3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords über und unter Wasser in einer immersiven Virtual Reality Applikation - geodaesie.info

 
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Lütjens et al., 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords …                                        Fachbeitrag

          3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords
          über und unter Wasser in einer
          immersiven Virtual Reality Applikation
                Mona Lütjens, Thomas P. Kersten, Boris Dorschel und Felix Tschirschwitz

Zusammenfassung                                                    1 Einleitung
Dieser Beitrag beschreibt die Entwicklung einer Virtual Rea-
lity (VR) Applikation zur Visualisierung des auf der kanadi-       Schon in der frühen Menschheitsgeschichte wurden In‑
schen Baffininsel befindlichen Fjords Clyde Inlet. Dafür wurde     formationen der Erdoberfläche in Karten dargestellt. Im
eine Methodik entwickelt, terrestrische und bathymetrische         Zuge des technologischen Fortschritts konnten Inhalte
Datensätze (Geländemodelle) zu vereinigen, um den Fjord            geografisch immer genauer abgebildet werden. Karten
als Ganzes über und unter Wasser in seiner Ausdehnung von          werden heute nicht nur für die Navigation gebraucht,
160 km × 80 km darstellen zu können. Die immersive VR-             sondern dienen auch als Werkzeuge, um räumliche Be‑
Applikation bietet die Möglichkeiten, das Gelände mit oder         ziehungen besser verstehen zu können. Allerdings führen
ohne Wasseroberfläche durch drei verschiedene Fortbewe-            derartige Fragestellungen mit 3D‑Bezug beim Nutzer zu
gungsarten zu erkunden und zu untersuchen. Darüber hinaus          einer kognitiven Herausforderung, wenn sie auf zweidi‑
können verschiedene Distanzmessungen im Geländemodell              mensionalen Karten abgebildet werden. Deshalb werden
durchgeführt werden und die Geländetexturen zur besseren           heutzutage viele Hilfsmittel angeboten, die den Verlust der
Veranschaulichung des Terrains verändert werden. Durch die         dritten Dimension kompensieren sollen. Zu ihnen zählen
rasante technologische Entwicklung hat sich Virtual Reality        u. a. Geländeschummerungstechniken (Imhof 1965), die
als neue Methode für immersive 3D-Visualisierungen in vie-         das Relief besser hervortreten lassen. Eine andere Mög‑
len Anwendungen in der Wissenschaft, in der Industrie und in       lichkeit bietet die Visualisierung von 3D‑Modellen am
der Wirtschaft etabliert. Für dieses Projektbeispiel wurde im      Computerbildschirm, die durch Drehen und Wenden ei-
Rahmen einer Befragung von Testpersonen aus vier verschie-         nen dreidimensionalen Eindruck erwecken (Zanini 1998).
denen Berufsgruppen das Potenzial von VR analysiert und es            Eine andere Lösung ist die Darstellung von 3D‑Ob‑
wurden mögliche Anwendungen für diese VR-Applikation               jekten und Modellen in Virtual Reality (VR). Im Gegen‑
vorgeschlagen.                                                     satz zur herkömmlichen Visualisierung von virtuellen
                                                                   3D‑Modellen taucht der Nutzer bei einer VR‑Anwendung
Summary                                                            komplett in eine computergenerierte Umgebung ein und
This paper describes the development of a Virtual Reality (VR)     kann Geoinformationen viel intuitiver und realitäts­
application to visualise the fjord Clyde Inlet on Baffin Island,   naher erfassen. Kopf-, Arm- und Gehbewegungen in der
Canada. For this purpose, a methodology was developed to           realen Welt werden auf entsprechende Bewegungen im
combine terrestrial and bathymetric data sets (terrain models)     virtuellen Raum übertragen, sodass der Nutzer komplett
to represent the fjord as an entire area in its 160 km × 80 km     von der eigenen Wirklichkeit entkoppelt ist, ohne sei‑
dimensions. The immersive VR application offers the possi-         ne derzeitige reale Position zu verlassen. Virtual Reali‑
bility to explore the terrain with or without water surface by     ty (VR) ist definiert als »eine realistische und immersive
three different modes of locomotion. In addition, various dis-     Simulation einer dreidimensionalen Umgebung, die mit
tance measurements can be carried out in the terrain model         interaktiver Soft- und Hardware erstellt und durch die
and the terrain textures can be changed to better illustrate       Bewegung des Körpers erfahren oder kontrolliert wird«
the terrain representation. Due to the rapid technological         (Random House Unabridged Dictionary 2018). Die tech‑
development Virtual Reality has established itself as a new        nische Machbarkeit wurde vom VR‑Pionier Jaron Lanier
method for immersive 3D visualisation in many applications         schon relativ früh demonstriert. Lanier (1992) beschreibt
in science, industry and economy. For this project example, the    die Ausrüstung und die technischen Anforderungen, die
potential of VR was analysed in a survey of test persons from      notwendig sind, um die Illusion zu erreichen, in einer
four different professional groups and possible applications       virtuellen Welt zu sein. Der Begriff wurde allerdings vom
for this VR application are suggested.                             Autor Damien Broderick in seinem 1982 erschienenen
                                                                   Science-Fiction-Roman »The Judas Mandala« erstmals
Schlüsselwörter: Bathymetrie, Digitales Geländemodell              eingeführt. Weitere neuere Definitionen sind in der Lite‑
(DGM), Game Engine, Virtual Reality (VR)                           ratur von Dörner et al. (2014), Freina und Ott (2015) und
                                                                   Portman et al. (2015) verfügbar, die VR meist in einem
                                                                   weiteren Sinne beschreiben, obwohl einige explizit auch
                                                                   nicht-interaktive Inhalte verwenden.
                                                                      Aufgrund der jüngsten Fortschritte in Hard- und Soft‑
                                                                   waretechnologie ist VR allgegenwärtig und findet nicht

DOI 10.12902/zfv-0252-2019                                         © Wißner-Verlag                144. Jg. 3/2019   zfv   167
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Fachbeitrag                                              Lütjens et al., 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords …

nur in der Spieleindustrie, sondern auch in immer mehr             in Richtung Barnes Ice Cap zieht. Der Clyde Inlet liegt in
professionellen Bereichen Anwendung. So wird VR be‑                den Baffin Mountains und ist somit Teil der Arktischen
reits u. a. erfolgreich in der virtuellen Chirurgie, der virtu‑    Kordilleren – eine Bergkette entlang der nordöstlichen
ellen Therapie sowie in der Flug- und Fahrzeugsimulation           Küste Nordamerikas (Abb. 1).
angewandt (Gutiérrez et al. 2008). In der HafenCity Uni‑              Für die Erzeugung eines kohärenten digitalen Gelände­
versität Hamburg wurden bereits mehrere VR‑Projekte                modells (DGM) des gesamten Gebiets wurden folgende
realisiert. Das Alt-Segeberger Bürgerhaus wurde als eines          Datensätze implementiert:
der ersten virtuellen Museen für einen immersiven Be‑              pp Bathymetrische Daten von der Expedition MSM66 mit
such mit der HTC Vive als Head Mounted Display (HMD)                  einer Auflösung von 5 m (2017)
vorgestellt (Kersten et al. 2017b). Zwei historische Städ‑         pp Bathymetrische Daten von International Bathymetric
te (einschließlich der Landschaft um diese Städte herum)              Chart of the Arctic Ocean (IBCAO) mit einer Auflösung
wurden in der Vergangenheit als VR‑Anwendungen für                    von 500 m (Jakobsson et al. 2012)
einen virtuellen Rundgang entwickelt: Duisburg im Jahr             pp Terrestrische Daten des ArcticDEM mit einer Auflö‑
1566 (Tschirschwitz et al. 2019) und Segeberg im Jahr                 sung von 2 m und 5 m (Polar Geospatial Center and
1600 (Kersten et al. 2018a). Zwei religiöse Kulturdenk‑               Regents of the University of Minnesota 2017)
mäler stehen als VR‑Anwendungen zur Verfügung: die                 pp Terrestrische Daten des CanadianDEM mit einer Auflö‑
Selimiye Moschee in Edirne, Türkei (Kersten et al. 2017a)             sung von etwa 20 m (Government of Canada, Natural
und das Holzmodell des Salomonischen Tempels (Kersten                 Resources Canada 2016)
et al. 2018b). Das Potenzial von VR für die Darstellung
von sehr großen Geländedaten wird in diesem Beitrag
anhand des kanadischen Fjords Clyde Inlet vorgestellt.             3 Methodik
Das Projekt wurde 2017/2018 in einer Zusammenarbeit
zwischen dem Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zent‑            Die für diese Studie verwendeten bathymetrischen Daten
rum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerha‑            wurden während der Forschungsreise MSM66 mit dem
ven und der HafenCity Universität Hamburg bearbeitet.            deutschen Forschungsschiff Maria S. Merian im Jahr 2017
                                                                 gesammelt. Die Expedition fand unter der Leitung des
                                                                 Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar-
2 Untersuchungsgebiet und Datensätze                             und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven und des
                                                                 Zentrums für Marine Umweltwissenschaften (MARUM) in
Das Untersuchungsgebiet befindet sich auf der öst‑               Bremen statt. Mit dem am Rumpf des Schiffs fest einge‑
lichen Seite der Baffininsel im arktischen Kanada und            bauten Fächerecholot mit einer Aufnahmefrequenz von
misst 160 × 80 km2. Mit –847 m unter dem Meeresspiegel           12 kHz wurden bathymetrische Daten auf einer Strecken‑
gehört der Bereich um die Schelfkante zu den tiefsten            länge von 2760 km in 163 Messstunden erfasst. Durch
Stellen des Gebiets. Die höchsten Erhebungen erreichen           einen breiten Öffnungswinkel von 130° und eine hohe
knapp 1900 m über dem Meeresspiegel. Zu ihnen zäh‑               Pingrate konnte der gesamte Fjord bis auf die Randbe‑
len die schneebedeckten Berggipfel des Hochplateaus der          reiche flächendeckend vermessen werden. Gemäß der
Baffininsel. Wesentlicher Bestandteil des Untersuchungs‑         technischen Spezifikation des Fächerecholots (Kongsberg
gebiets ist das Fjordsystem Clyde Inlet, welches sich von        Maritime AS 2011) beträgt die Genauigkeit in mittlerer
der Baffin Bay südwestlich ca. 120 km ins Landesinnere           Wassertiefe von 280 m bestenfalls 0,6 m im Nadirbereich
                                                                                         und 1,7 m in den äußeren Mess‑
                                                                                         strahlen (Beams). Diese Genauig‑
                                                                                         keit bezieht allerdings nicht die
                                                                                         Messgenauigkeit weiterer Sen‑
                                                                                         soren wie etwa GNSS, inertiale
                                                                                         Messeinheit (IMU) und Tachyme‑
                                                                                         ter zur Positionsbestimmung der
                                                                                         Sensoren im Schiffskoordinaten‑
                                                                                         system ein. Für eine Abschätzung
                                                                                         der absoluten Genauigkeit muss
                                                                                         das Gesamtsystem durch Fehler‑
                                                                                         fortpflanzung betrachtet werden,
                                                                                         welches jedoch hier nicht durch‑
                                                                                         geführt wurde. Während der
                                                                                         Messung wurden zudem elf gut
                                                                                         verteilte Wasserschallprofile ge‑
                                                                                         nommen, um den Schallverlauf
Abb. 1: Untersuchungsgebiet Clyde Inlet mit Fahrtlinien (rot) der Expedition MSM66       durch die Wassersäule korrigie‑

   168    zfv   3/2019 144. Jg.                  © Wißner-Verlag
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ren zu können. Die erfassten Punktdaten wurden in der
Prozessierung von größeren Ausreißern, von Navigati‑
ons-, Lage- und Refraktionsfehlern entlang der Schelf‑
kante bereinigt. Aus den nun korrigierten Daten wurde
ein digitales Geländemodell für die Unterwassertopogra‑
phie mit einer Rasterweite von 5 m × 5 m für die weitere
Verarbeitung berechnet.
   Im Gegensatz zu den bathymetrischen Daten kann das
Terrain über Wasser sehr effizient und hochauflösend
aus Luftbild- oder Satellitenbilddaten vermessen werden.         Abb. 3: Das digitale Geländemodell des Untersuchungs­
Während mit digitalen Luftbildkameras eine Punktdichte           gebietes als Geländeschummerung mit noch nicht inter­
von 5 cm bis 10 cm erreicht werden kann, weisen optische         poliertem Übergangsbereich (weiß) und Geländeabschnit­
Sensoren kommerzieller Satelliten eine Punktdichte von           ten, die fiktive Höhenwerte besitzen (blau).
maximal 0,5 m bis 1 m auf. Die während der Expedition
                                                                 dass sich Inseln im Fjord mit dem Festland verbinden und
 ArcticDEM                                                       um zu gewährleisten, dass sich die Küstenlinie durch die
    2m                                           Zusammen-
                 Zusammen-                       führung der     Interpolation nicht zu weit in Richtung der bathymetri‑
                 führung der
                    Daten
                                                    Daten        schen Daten verschiebt, wurden an einigen Stellen Ras‑
 ArcticDEM
    5m
                                                                 terzellen mit einem negativen Höhenwert belegt (blaue
                                                Belegung von     Fläche in Abb. 3). Die Region von der Fjordmündung
                                                  fiktiven
   CDEM
                     Neue                       Höhenwerten      bis zur Schelfkante ist nur zu einem Viertel von den Fä‑
                 Projektion &
    20 m
                 Resampling
                                                                 cherecholotdaten erfasst, sodass ergänzend Gebiete ohne
                                                 Interpolation   Daten mit bathymetrischen IBCAO-Daten belegt wurden.
                     Neue       Zuschneiden     des Übergangs-
  IBCAO
                 Projektion &    auf Schelf-
                                                                 Diese konnten jedoch, aufgrund ihrer geringen Auflösung
   500 m                                           bereichs
                 Resampling        bereich                       von 500 m, erst ab einer Entfernung von 1000 m hinter
   MBES                                            Ergebnis:
                                                                 der Küstenlinie verwendet werden. Am Ende wurden alle
                    Neue
 Bathymetry
                  Projektion
                                                 lückenfreies    Datensätze zu einem gesamten digitalen Geländemodell
    5m                                               DGM
                                                                 zusammengeführt.
Abb. 2: Workflow zur Entwicklung des digitalen Gelände­             Das berechnete DGM konnte nun in die Game Engine
modells aus verschiedenen Datensätzen                            Unreal Engine 4 (UE4) als gekachelter Datensatz im‑
                                                                 portiert werden. Die Unreal Engine 4 wurde gegenüber
MSM66 gemessenen bathymetrischen Daten besitzen in               anderen Game Engines (z. B. Unity) ausgewählt, weil die
mittlerer Wassertiefe von 280 m eine Punktdichte von ca.         visuelle Programmiersprache (mit Blueprints) Anwendern
3 m. Die terrestrischen Datensätze wurden zu einem ein‑          mit geringen Programmierkenntnissen einen leichteren
heitlichen Geländemodell zusammengeführt. Dabei dien‑            Einstieg in die Entwicklungsumgebung ermöglicht. Ins‑
te das ArcticDEM mit einer Auflösung von 5 m als Basis‑          gesamt bestand das Modell aus 128 Kacheln mit jeweils
modell. Da dieses jedoch einige Lücken aufwies, wurden           2017 × 2017 Pixel und 8 Millionen Dreiecken, was für
diese zunächst mit dem ArcticDEM (Auflösung 2 m) und             eine Echtzeit-Visualisierung in VR eine Herausforderung
zum Schluss mit dem CanadianDEM gefüllt. Damit alle              darstellt. Da die Echtzeit-Visualisierung der gesamten
Datensätze zueinander passten, wurden die Projektion             128 Kacheln (mit einem Datenvolumen von 1 GB) mit
und die Rasterauflösung der jeweiligen Datensätze so an‑         einer Auflösung von 5 m eine zu große Rechenleistung
gepasst, dass sie den Spezifikationen des ArcticDEMs ent‑        beanspruchen würde, wurde das Werkzeug Level Strea‑
sprachen. Eine Illustration des Workflows zur Entwick-           ming (Epic Games Inc. 2019) eingesetzt. Dieses Tool lädt
lung des digitalen Geländemodells ist in Abb. 2 gegeben.         immer nur die an der Nutzerposition nächstgelegenen
   Um die terrestrischen und bathymetrischen Gelände‑            Kacheln in den Arbeitsspeicher. Die übrigen Kacheln
modelle nun vereinigen zu können, musste zunächst der            werden aber dennoch mit einer sehr starken Reduktion
Übergang zwischen Land und Wasser bearbeitet werden.             der Dreiecksanzahl von 99,97 % angezeigt, sodass die ge‑
Da die bathymetrischen Daten aufgrund ihrer Aufnah‑              samte Landschaft immer zu sehen und eine angemessene
me vom Schiff nicht bis zur Wasseroberfläche und die             Rechenleistung zur ruckfreien Darstellung des Geländes
aus Bilddaten generierten Geländemodelle nur bis zur             in Echtzeit gewährleistet sind.
Wasserkante reichen, bleibt ein kleiner Übergangsbereich            Um die virtuelle Umgebung realistischer aussehen zu
ohne Geländedaten. Daher musste dieser Bereich aus den           lassen, wurden natürliche Effekte wie sich bewegendes
angrenzenden Daten der Geländemodelle interpoliert               Wasser, Sonnenstrahlen, Schatten, Blumen, Gräser, Wind
werden. Der Übergangsbereich (weiße Fläche in Abb. 3)            und Möwen in die VR‑Applikation programmiert. In
repräsentiert im Fjord jeweils eine Fläche von 30 m bis          Abb. 4 ist die Qualität der virtuell generierten Landschaft
1000 m, in deren Gebiet die Daten der Geländemodel‑              (rechts) im Vergleich zur echten Fjordumgebung (Foto
le linear interpoliert wurden. Um jedoch zu verhindern,          links) dargestellt.

                                                                 © Wißner-Verlag                144. Jg. 3/2019   zfv   169
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Fachbeitrag                                         Lütjens et al., 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords …

                                                                                     Abb. 4:
                                                                                     Vergleich der echten Fjord­umge­
                                                                                     bung im Foto (links) mit der
                                                                                     vir­tuell generierten Umgebung
                                                                                     (rechts)

   Die Farbgebung der Landschaft wurde so erstellt, dass     zugehörige Textur zu. Insgesamt gibt es für diese An‑
die verschiedenen geografischen Merkmale und Daten‑          wendung fünf verschiedene Gebiete (siehe Abb. 5). Das
sätze unterschiedliche Texturen besitzen. Auch kann der      terrestrische Gelände kann in einer natürlichen Färbung
Nutzer zwischen verschiedenen Texturen je nach An‑           mit Gletschern (Abb. 6) oder in Grau dargestellt werden.
wendung und Fragestellung wählen (siehe Kap. 4). Um          Der mit dem Schiff vermessene bathymetrische Datensatz
eine korrekte Platzierung der Texturen zu garantieren,       kann entweder in Grau (Abb. 7) nach einer Sediment‑
wurde eine Splat Map entwickelt. Eine Splat Map ent‑         klassifizierung oder in einer auf die Wassertiefe bezo‑
hält die Umrisse der jeweiligen Gebiete und weist durch      genen Regenbogenfarbskala angezeigt werden (Abb. 8).
eine entsprechende Farbkodierung jedem Bereich die da‑       Um diesen Datensatz von den interpolierten und den

                                                                        Abb. 5:
                                                                        Splat Map mit den fünf Bereichen: Bathy­
                                                                        metrie des MSM66-Datensatzes (blau),
                                                                        Bathymetrie des IBCAO-Daten­satzes (lila),
                                                                        interpolierter Übergangsbereich (orange),
                                                                        Gletscherdaten vom RGI-Datensatz (weinrot)
                                                                        (RGI Consortium 2017) und ter­res­tri­scher
                                                                        Bereich (türkis)

                                                                        Abb. 6:
                                                                        Natürliche Texturen des Geländes mit Spie­
                                                                        gelung auf der Wasseroberfläche in der
                                                                        VR-Applikation (erzeugt durch Rendering
                                                                        in der Game Engine)

                                                                        Abb. 7:
                                                                        Graue Texturen der Topographie ohne Wasser­
                                                                        oberfläche in der VR-Applikation mit Dar­
                                                                        stellung des Übergangs­bereiches zwischen
                                                                        Bathy­metrie-Daten und digitalem Gelände­
                                                                        modell (dunkelgrau)

                                                                        Abb. 8:
                                                                        Graue Textur des Geländes über Wasser und
                                                                        Regenbogenfärbung für die Topographie
                                                                        unter Wasser in der VR-Applikation

  170    zfv   3/2019 144. Jg.             © Wißner-Verlag
3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords über und unter Wasser in einer immersiven Virtual Reality Applikation - geodaesie.info
Lütjens et al., 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords …                                    Fachbeitrag

                                                                                       Abb. 9:
                                                                                       Höhendifferenz- und Neigungs­
                                                                                       messungen zwischen zwei Punkten
                                                                                       in VR (links) und Höhen- und
                                                                                       Distanz­messungen in VR (rechts)

IBCAO-Daten zu differenzieren, wurden die letzteren in              In der Hydrographie könnte VR vor allem für die Qua‑
Dunkelgrau eingefärbt.                                          litätsanalyse hilfreich sein, da fehlerhafte Ausreißer in
   Die Navigation in der Virtual Reality Anwendung er‑          der 3D‑Darstellung deutlich sichtbar werden, aber zur‑
folgt über drei Fortbewegungsmodi: Fliegen, Springen            zeit in der Applikation nicht eliminiert werden können.
und Teleportieren zu festen Wegpunkten. Die Anwen‑              Außerdem könnte VR sehr nützlich für die Interpretation
dung enthält zudem die Möglichkeit, die Höhe über den           des Geländes sein, vor allem im Bezug auf Backscatter‑
Meeresspiegel zu erfassen und die Distanz zum Nutzer zu         analysen, die Hinweise zur Sedimentbeschaffenheit wie‑
messen. Des Weiteren können Höhendifferenzen und Nei‑           dergeben (Lütjens 2018). Diese Informationen können
gungswinkel zwischen zwei Punkten mit Hilfe der Con­            sehr leicht über das Gelände drapiert werden und so mit
trol­ler bestimmt werden (Abb. 9). Diese Informationen sind     der Neigung des Geländes korreliert werden (siehe auch
für viele andere Fachdisziplinen (z. B. Geologen, Archäo‑       Abb. 8). Für Geologen bietet VR den Vorteil, Geländenei‑
logen und Bauingenieure) sehr relevant, um Distanzen            gungen und Dimensionen morphologischer Landformen
und die Räumlichkeit vorstellbar machen zu können.              intuitiver zu erfassen als auf einer zweidimensionalen
                                                                Karte. Bauingenieure könnten VR für verschiedene Kons‑
                                                                truktionsentwürfe nutzen, um sich geplante Bauvorha‑
4 Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen                           ben auch im realen Umfeld virtuell anzeigen zu lassen.
                                                                Dies könnte den Entscheidungsprozess signifikant unter‑
Die Benutzerfreundlichkeit und Einsatzmöglichkeit der           stützen. Für Archäologen bietet VR ein kostengünstiges
VR‑Anwendung wurde im Rahmen einer Kurzstudie mit               Werkzeug, um Orte oder Gebäude, die nicht mehr exis‑
zehn Repräsentanten aus den Berufsgruppen Hydrogra‑             tieren oder schwer zugänglich sind, zu rekonstruieren, zu
phie, Geologie, Archäologie und Bauingenieurswesen er‑          visualisieren und zu analysieren. Eine virtuelle immer‑
fasst. Jeder Teilnehmer konnte die Applikation für etwa         sive Rekonstruktion hat nicht nur finanzielle Vorteile,
eine halbe Stunde nutzen. Der Fragebogen und die Aus‑           sondern ermöglicht dem Anwender z. B. die Analyse von
wertung sind umfassend in Lütjens (2018) dokumentiert.          virtuellen Sichtachsen auch unter verschiedenen Wetter‑
   Die Handhabung und Benutzerfreundlichkeit wurden             bedingungen.
von den Probanden als überaus angenehm empfunden.                   Ein großer Nachteil der verwendeten Game Engine
Alle Befragten fanden die Anwendung einfach zu nutzen           gegenüber traditioneller GIS-Software sind die sehr ein‑
und niemand fühlte sich in der virtuellen Welt unwohl.          geschränkten Import- und Exportmöglichkeiten von
Zudem erhielten alle Nutzer einen verbesserten Eindruck         Daten. Rasterdatensätze haben keinen räumlichen Bezug
der Landschaft im Gegensatz zu einer einfachen 2D‑Prä‑          in der Game Engine, d. h. Koordinatentransformationen
sentation. Welche Informationen über die Landschaft im          müssten zusätzlich programmiert werden. Die hier ver‑
Detail für die Nutzergruppen interessant sind, ist in Lüt‑      wendete einfache Lösung, Datensätze korrekt zu verknüp‑
jens (2018) beschrieben. Die Funktionalitäten und Mess‑         fen, erfolgte durch eine Skalierung und Rotation nach der
werkzeuge erwiesen sich außerdem als sehr nützlich, um          Messung von Strecken und Richtungen. In der Game En‑
notwendige Informationen, z. B. über die Geländemorpho‑         gine UE4 sind das Programmieren der Interaktionen, das
logie, aus dem Terrain abzugreifen und um die Dimensio‑         Setzen der Teleportationspunkte und die Berechnung des
nen der Landschaft besser zu erfassen und zu begreifen.         Level-of-Detail für die Geländedaten sehr zeitaufwendig.

                                                                                                        Abb. 10:
                                                                                                        Komponenten
                                                                                                        (links) und sche­
                                                                                                        matischer Auf­
                                                                                                        bau (rechts) des
                                                                                                        VR-Systems HTC
                                                                                                        Vive (HTC Corpo­
                                                                                                        ration 2018)

                                                                © Wißner-Verlag               144. Jg. 3/2019   zfv   171
3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords über und unter Wasser in einer immersiven Virtual Reality Applikation - geodaesie.info
Fachbeitrag                                                    Lütjens et al., 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords …

Der Arbeitsaufwand für dieses Projekt betrug ca. drei                         Schenke, H. W., Zarayskaya, Y., Accettella, D., Armstrong, A., An‑
                                                                              derson, R. M., Bienhoff, P., Camerlenghi, A., Church, I., Edwards,
Monate. Vor dem Einsatz des VR‑Systems sind der Auf‑
                                                                              M., Gardner, J. V., Hall, J. K., Hell, B., Hestvik, O., Kristoffersen, Y.,
bau des Trackingsystems Lighthouse mit den Basisstatio‑                       Marcussen, C., Mohammad, R., Mosher, D., Nghiem, S. V., Pedrosa,
nen und eine Kalibrierung des Interaktionsraums mit den                       M. T., Travaglini, P. G., Weatherall, P. (2012): International Bathy‑
Controllern erforderlich (Abb. 10), was ungefähr einem                        metric Chart of the Arctic Ocean (IBCAO) Version 3.0; Geophysical
                                                                              Research Letters, Vol. 39, L12609. DOI: 10.1029/2012GL052219.
geringen Zeitaufwand von 15 Minuten entspricht.
                                                                           Kersten, T., Büyüksalih, G., Tschirschwitz, F., Kan, T., Deggim, S., Kaya,
                                                                              Y., Baskaraca, A. P. (2017a): The Selimiye Mosque of Edirne, Turkey –
                                                                              An Immersive and Interactive Virtual Reality Experience using HTC
5 Fazit und Ausblick                                                          Vive. The International Archives of the Photogrammetry, Remote
                                                                              Sensing and Spatial Information Sciences, 42(5/W1), S. 403–409.
                                                                           Kersten, T., Tschirschwitz, F., Deggim, S. (2017b): Development of a
In diesem Beitrag konnte gezeigt werden, dass große,                          Virtual Museum including a 4D Presentation of Building History
hochauflösende und flächendeckende Geländedatensätze                          in Virtual Reality. The International Archives of the Photogramme‑
durch Kachelung und mit Hilfe des Level Streamings in                         try, Remote Sensing and Spatial Information Sciences, 42(2/W3), S.
                                                                              361–367.
Virtual Reality visualisiert werden können. Dafür wur‑
                                                                           Kersten, T., Deggim, S., Tschirschwitz, F., Lindstaedt, M., Hinrichsen, N.
de die Fusion der Geländedaten über und unter Wasser                          (2018a): Segeberg 1600 – Eine Stadtrekonstruktion in Virtual Reali‑
durch lineare Interpolation erreicht. Die VR‑Anwendung                        ty. Kartographische Nachrichten, 68(4), S. 183–191.
wurde als insgesamt benutzerfreundlich wahrgenommen                        Kersten, Th., Tschirschwitz, F., Lindstaedt, M., Deggim, S. (2018b): The
                                                                              historic wooden model of Solomon’s Temple: 3D recording, model‑
und alle Testpersonen attestierten eine bessere Vorstel‑
                                                                              ling and immersive virtual reality visualisation. Journal of Cultural
lung von der Geländetopographie gegenüber einer zwei‑                         Heritage Management and Sustainable Development, Special Issue:
dimensionalen Darstellung. Durch die Testpersonen aus                         Digital workflows for the conservation and sustainability of historic
unterschiedlichen Fachdisziplinen konnte die Funktio‑                         places, 8(4), S. 448–464.
                                                                           Kongsberg Maritime AS (2011): Product description EM 122 Multibeam
nalität, das Verständnis der Interaktionen und die Ein‑
                                                                              Echo Sounder. http://epic.awi.de/45364/1/Kongsberg_302440ae_
satzmöglichkeiten der VR‑Applikation überprüft und be‑                        em122_product_description.pdf, letzter Zugriff 26.01.2019.
stätigt werden. Allerdings bietet die Game Engine keine                    Lanier, J. (1992): Virtual reality: The promise of the future. Interactive
optimalen Datenimport- und -exportmöglichkeiten und                           Learning International, 8(4), S. 275–79.
                                                                           Lütjens, M. (2018): Immersive Virtual Reality Visualisation of the Arctic
es fehlt der räumliche Bezug zu den verschiedenen Daten‑
                                                                              Clyde Inlet on Baffin Island (Canada) by Combining Bathymetric
sätzen über entsprechende Koordinatensysteme. Dennoch                         and Terrestrial Terrain Data. http://edoc.sub.uni-hamburg.de/hcu/
konnte das Potenzial von VR für die verschiedenen getes‑                      volltexte/2018/436, letzter Zugriff 26.01.2019.
teten Berufsgruppen im Rahmen dieser entwickelten Ap‑                      Polar Geospatial Center and Regents of the University of Minneso‑
                                                                              ta (2017): Introduction to ArcticDEM. www.pgc.umn.edu/guides/
plikation demonstriert werden. Mit dieser VR‑Applika‑
                                                                              arcticdem/introduction-to-arcticdem, letzter Zugriff 05.12.2018.
tion sind Anwendungen in der Hydrographie, Geologie,                       Portman, M. E., Natapov, A., Fisher-Gewirtzman, D. (2015): To go where
Geomorphologie, Landschaftsvisualisierung, Archäologie                        no man has gone before: Virtual reality in architecture, landscape
u. a. vorstellbar. Die Entwicklung von Game Engines für                       architecture and environmental planning. Computers, Environment
                                                                              and Urban Systems, 54, S. 376–384.
die Visualisierung von Geodaten wird sicherlich weiter
                                                                           Random House Unabridged Dictionary (2018): Virtual Reality. www.
voranschreiten, sodass VR zukünftig auch zunehmend                            dictionary.com/browse/virtual-reality, letzter Zugriff 05.12.2018.
für hydrographische und weitere Anwendungen mit ein‑                       RGI Consortium (2017): Randolph Glacier Inventory – A Dataset of
deutig räumlichem Bezug eingesetzt wird.                                      Global Glacier Outlines: Version 6.0: Technical Report, Global Land
                                                                              Ice Measurements from Space; Digital Media, Colorado, USA. DOI:
                                                                              10.7265/N5-RGI-60.
                                                                           Tschirschwitz, F., Richerzhagen, C., Przybilla, H.-J., Kersten, T. (2019):
Literatur                                                                     Duisburg: Transferring a Historic 3D City Model from Google Earth
Epic Games Inc. (2019): Level Streaming. https://docs.unrealengine.           into a Virtual Reality Application. Photogrammetrie, Fernerkun‑
   com/en-us/Engine/LevelStreaming, letzter Zugriff 26.01.2019.               dung, Geoinformation (PFG) – Journal of Photogrammetry, Remote
Dörner, R., Broll, W., Grimm, P., Jung, B. (2014): Virtual und Augmen‑        Sensing and Geoinformation Science, 87(1), S. 1–10.
   ted Reality (VR/AR): Grundlagen und Methoden der Virtuellen und         Zanini, M. (1998): Dreidimensionale synthetische Landschaften: wis‑
   Augmentierten Realität. Springer-Verlag.                                   sensbasierte dreidimensionale Rekonstruktion und Visualisierung
Freina, L., Ott, M. (2015): A Literature Review on Immersive Virtual          raumbezogener Informationen. Diss. Techn. Wiss. ETH Zürich, Nr.
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   Digital Elevation Model Product Specifications. http://ftp.geogratis.   Kontakt
   gc.ca/pub/nrcan_rncan/elevation/cdem_mnec/doc/CDEM_product_             Mona Lütjens | Thomas P. Kersten | Felix Tschirschwitz
   specs.pdf, letzter Zugriff 05.12.2018.                                  HafenCity Universität Hamburg, Überseeallee 16, 20457 Hamburg
Gutiérrez, M. A., Vexo, F., Thalmann, D. (2008): Stepping into Virtual     mona.luetjens@hcu-hamburg.de | thomas.kersten@hcu-hamburg.de
   Reality. London: Springer-Verlag.                                       felix.tschirschwitz@hcu-hamburg.de
HTC Corporation (2018): Vive PRE User Guide. www.htc.com/managed-
   assets/shared/desktop/vive/Vive_PRE_User_Guide.pdf, letzter Zu‑         Dr. Boris Dorschel
   griff 06.12.2018.                                                       Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar-und Meeres­
Imhof, E. (1965): Kartographische Geländedarstellung. Reprint 2010,        forschung, Van-Ronzelen-Straße 2, 27568 Bremerhaven
   Walter de Gruyter, S. 425.                                              boris.dorschel@awi.de
Jakobsson, M., Mayer, L., Coakley, B., Dowdeswell, J. A., Forbes, S.,
   Fridman, B., Hodnesdal, H., Noormets, R., Pedersen, R., Rebesco, M.,    Dieser Beitrag ist auch digital verfügbar unter www.geodaesie.info.

   172      zfv   3/2019 144. Jg.                       © Wißner-Verlag
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