3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords über und unter Wasser in einer immersiven Virtual Reality Applikation - geodaesie.info
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Lütjens et al., 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords … Fachbeitrag 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords über und unter Wasser in einer immersiven Virtual Reality Applikation Mona Lütjens, Thomas P. Kersten, Boris Dorschel und Felix Tschirschwitz Zusammenfassung 1 Einleitung Dieser Beitrag beschreibt die Entwicklung einer Virtual Rea- lity (VR) Applikation zur Visualisierung des auf der kanadi- Schon in der frühen Menschheitsgeschichte wurden In‑ schen Baffininsel befindlichen Fjords Clyde Inlet. Dafür wurde formationen der Erdoberfläche in Karten dargestellt. Im eine Methodik entwickelt, terrestrische und bathymetrische Zuge des technologischen Fortschritts konnten Inhalte Datensätze (Geländemodelle) zu vereinigen, um den Fjord geografisch immer genauer abgebildet werden. Karten als Ganzes über und unter Wasser in seiner Ausdehnung von werden heute nicht nur für die Navigation gebraucht, 160 km × 80 km darstellen zu können. Die immersive VR- sondern dienen auch als Werkzeuge, um räumliche Be‑ Applikation bietet die Möglichkeiten, das Gelände mit oder ziehungen besser verstehen zu können. Allerdings führen ohne Wasseroberfläche durch drei verschiedene Fortbewe- derartige Fragestellungen mit 3D‑Bezug beim Nutzer zu gungsarten zu erkunden und zu untersuchen. Darüber hinaus einer kognitiven Herausforderung, wenn sie auf zweidi‑ können verschiedene Distanzmessungen im Geländemodell mensionalen Karten abgebildet werden. Deshalb werden durchgeführt werden und die Geländetexturen zur besseren heutzutage viele Hilfsmittel angeboten, die den Verlust der Veranschaulichung des Terrains verändert werden. Durch die dritten Dimension kompensieren sollen. Zu ihnen zählen rasante technologische Entwicklung hat sich Virtual Reality u. a. Geländeschummerungstechniken (Imhof 1965), die als neue Methode für immersive 3D-Visualisierungen in vie- das Relief besser hervortreten lassen. Eine andere Mög‑ len Anwendungen in der Wissenschaft, in der Industrie und in lichkeit bietet die Visualisierung von 3D‑Modellen am der Wirtschaft etabliert. Für dieses Projektbeispiel wurde im Computerbildschirm, die durch Drehen und Wenden ei- Rahmen einer Befragung von Testpersonen aus vier verschie- nen dreidimensionalen Eindruck erwecken (Zanini 1998). denen Berufsgruppen das Potenzial von VR analysiert und es Eine andere Lösung ist die Darstellung von 3D‑Ob‑ wurden mögliche Anwendungen für diese VR-Applikation jekten und Modellen in Virtual Reality (VR). Im Gegen‑ vorgeschlagen. satz zur herkömmlichen Visualisierung von virtuellen 3D‑Modellen taucht der Nutzer bei einer VR‑Anwendung Summary komplett in eine computergenerierte Umgebung ein und This paper describes the development of a Virtual Reality (VR) kann Geoinformationen viel intuitiver und realitäts application to visualise the fjord Clyde Inlet on Baffin Island, naher erfassen. Kopf-, Arm- und Gehbewegungen in der Canada. For this purpose, a methodology was developed to realen Welt werden auf entsprechende Bewegungen im combine terrestrial and bathymetric data sets (terrain models) virtuellen Raum übertragen, sodass der Nutzer komplett to represent the fjord as an entire area in its 160 km × 80 km von der eigenen Wirklichkeit entkoppelt ist, ohne sei‑ dimensions. The immersive VR application offers the possi- ne derzeitige reale Position zu verlassen. Virtual Reali‑ bility to explore the terrain with or without water surface by ty (VR) ist definiert als »eine realistische und immersive three different modes of locomotion. In addition, various dis- Simulation einer dreidimensionalen Umgebung, die mit tance measurements can be carried out in the terrain model interaktiver Soft- und Hardware erstellt und durch die and the terrain textures can be changed to better illustrate Bewegung des Körpers erfahren oder kontrolliert wird« the terrain representation. Due to the rapid technological (Random House Unabridged Dictionary 2018). Die tech‑ development Virtual Reality has established itself as a new nische Machbarkeit wurde vom VR‑Pionier Jaron Lanier method for immersive 3D visualisation in many applications schon relativ früh demonstriert. Lanier (1992) beschreibt in science, industry and economy. For this project example, the die Ausrüstung und die technischen Anforderungen, die potential of VR was analysed in a survey of test persons from notwendig sind, um die Illusion zu erreichen, in einer four different professional groups and possible applications virtuellen Welt zu sein. Der Begriff wurde allerdings vom for this VR application are suggested. Autor Damien Broderick in seinem 1982 erschienenen Science-Fiction-Roman »The Judas Mandala« erstmals Schlüsselwörter: Bathymetrie, Digitales Geländemodell eingeführt. Weitere neuere Definitionen sind in der Lite‑ (DGM), Game Engine, Virtual Reality (VR) ratur von Dörner et al. (2014), Freina und Ott (2015) und Portman et al. (2015) verfügbar, die VR meist in einem weiteren Sinne beschreiben, obwohl einige explizit auch nicht-interaktive Inhalte verwenden. Aufgrund der jüngsten Fortschritte in Hard- und Soft‑ waretechnologie ist VR allgegenwärtig und findet nicht DOI 10.12902/zfv-0252-2019 © Wißner-Verlag 144. Jg. 3/2019 zfv 167
Fachbeitrag Lütjens et al., 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords … nur in der Spieleindustrie, sondern auch in immer mehr in Richtung Barnes Ice Cap zieht. Der Clyde Inlet liegt in professionellen Bereichen Anwendung. So wird VR be‑ den Baffin Mountains und ist somit Teil der Arktischen reits u. a. erfolgreich in der virtuellen Chirurgie, der virtu‑ Kordilleren – eine Bergkette entlang der nordöstlichen ellen Therapie sowie in der Flug- und Fahrzeugsimulation Küste Nordamerikas (Abb. 1). angewandt (Gutiérrez et al. 2008). In der HafenCity Uni‑ Für die Erzeugung eines kohärenten digitalen Gelände versität Hamburg wurden bereits mehrere VR‑Projekte modells (DGM) des gesamten Gebiets wurden folgende realisiert. Das Alt-Segeberger Bürgerhaus wurde als eines Datensätze implementiert: der ersten virtuellen Museen für einen immersiven Be‑ pp Bathymetrische Daten von der Expedition MSM66 mit such mit der HTC Vive als Head Mounted Display (HMD) einer Auflösung von 5 m (2017) vorgestellt (Kersten et al. 2017b). Zwei historische Städ‑ pp Bathymetrische Daten von International Bathymetric te (einschließlich der Landschaft um diese Städte herum) Chart of the Arctic Ocean (IBCAO) mit einer Auflösung wurden in der Vergangenheit als VR‑Anwendungen für von 500 m (Jakobsson et al. 2012) einen virtuellen Rundgang entwickelt: Duisburg im Jahr pp Terrestrische Daten des ArcticDEM mit einer Auflö‑ 1566 (Tschirschwitz et al. 2019) und Segeberg im Jahr sung von 2 m und 5 m (Polar Geospatial Center and 1600 (Kersten et al. 2018a). Zwei religiöse Kulturdenk‑ Regents of the University of Minnesota 2017) mäler stehen als VR‑Anwendungen zur Verfügung: die pp Terrestrische Daten des CanadianDEM mit einer Auflö‑ Selimiye Moschee in Edirne, Türkei (Kersten et al. 2017a) sung von etwa 20 m (Government of Canada, Natural und das Holzmodell des Salomonischen Tempels (Kersten Resources Canada 2016) et al. 2018b). Das Potenzial von VR für die Darstellung von sehr großen Geländedaten wird in diesem Beitrag anhand des kanadischen Fjords Clyde Inlet vorgestellt. 3 Methodik Das Projekt wurde 2017/2018 in einer Zusammenarbeit zwischen dem Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zent‑ Die für diese Studie verwendeten bathymetrischen Daten rum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerha‑ wurden während der Forschungsreise MSM66 mit dem ven und der HafenCity Universität Hamburg bearbeitet. deutschen Forschungsschiff Maria S. Merian im Jahr 2017 gesammelt. Die Expedition fand unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- 2 Untersuchungsgebiet und Datensätze und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven und des Zentrums für Marine Umweltwissenschaften (MARUM) in Das Untersuchungsgebiet befindet sich auf der öst‑ Bremen statt. Mit dem am Rumpf des Schiffs fest einge‑ lichen Seite der Baffininsel im arktischen Kanada und bauten Fächerecholot mit einer Aufnahmefrequenz von misst 160 × 80 km2. Mit –847 m unter dem Meeresspiegel 12 kHz wurden bathymetrische Daten auf einer Strecken‑ gehört der Bereich um die Schelfkante zu den tiefsten länge von 2760 km in 163 Messstunden erfasst. Durch Stellen des Gebiets. Die höchsten Erhebungen erreichen einen breiten Öffnungswinkel von 130° und eine hohe knapp 1900 m über dem Meeresspiegel. Zu ihnen zäh‑ Pingrate konnte der gesamte Fjord bis auf die Randbe‑ len die schneebedeckten Berggipfel des Hochplateaus der reiche flächendeckend vermessen werden. Gemäß der Baffininsel. Wesentlicher Bestandteil des Untersuchungs‑ technischen Spezifikation des Fächerecholots (Kongsberg gebiets ist das Fjordsystem Clyde Inlet, welches sich von Maritime AS 2011) beträgt die Genauigkeit in mittlerer der Baffin Bay südwestlich ca. 120 km ins Landesinnere Wassertiefe von 280 m bestenfalls 0,6 m im Nadirbereich und 1,7 m in den äußeren Mess‑ strahlen (Beams). Diese Genauig‑ keit bezieht allerdings nicht die Messgenauigkeit weiterer Sen‑ soren wie etwa GNSS, inertiale Messeinheit (IMU) und Tachyme‑ ter zur Positionsbestimmung der Sensoren im Schiffskoordinaten‑ system ein. Für eine Abschätzung der absoluten Genauigkeit muss das Gesamtsystem durch Fehler‑ fortpflanzung betrachtet werden, welches jedoch hier nicht durch‑ geführt wurde. Während der Messung wurden zudem elf gut verteilte Wasserschallprofile ge‑ nommen, um den Schallverlauf Abb. 1: Untersuchungsgebiet Clyde Inlet mit Fahrtlinien (rot) der Expedition MSM66 durch die Wassersäule korrigie‑ 168 zfv 3/2019 144. Jg. © Wißner-Verlag
Lütjens et al., 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords … Fachbeitrag ren zu können. Die erfassten Punktdaten wurden in der Prozessierung von größeren Ausreißern, von Navigati‑ ons-, Lage- und Refraktionsfehlern entlang der Schelf‑ kante bereinigt. Aus den nun korrigierten Daten wurde ein digitales Geländemodell für die Unterwassertopogra‑ phie mit einer Rasterweite von 5 m × 5 m für die weitere Verarbeitung berechnet. Im Gegensatz zu den bathymetrischen Daten kann das Terrain über Wasser sehr effizient und hochauflösend aus Luftbild- oder Satellitenbilddaten vermessen werden. Abb. 3: Das digitale Geländemodell des Untersuchungs Während mit digitalen Luftbildkameras eine Punktdichte gebietes als Geländeschummerung mit noch nicht inter von 5 cm bis 10 cm erreicht werden kann, weisen optische poliertem Übergangsbereich (weiß) und Geländeabschnit Sensoren kommerzieller Satelliten eine Punktdichte von ten, die fiktive Höhenwerte besitzen (blau). maximal 0,5 m bis 1 m auf. Die während der Expedition dass sich Inseln im Fjord mit dem Festland verbinden und ArcticDEM um zu gewährleisten, dass sich die Küstenlinie durch die 2m Zusammen- Zusammen- führung der Interpolation nicht zu weit in Richtung der bathymetri‑ führung der Daten Daten schen Daten verschiebt, wurden an einigen Stellen Ras‑ ArcticDEM 5m terzellen mit einem negativen Höhenwert belegt (blaue Belegung von Fläche in Abb. 3). Die Region von der Fjordmündung fiktiven CDEM Neue Höhenwerten bis zur Schelfkante ist nur zu einem Viertel von den Fä‑ Projektion & 20 m Resampling cherecholotdaten erfasst, sodass ergänzend Gebiete ohne Interpolation Daten mit bathymetrischen IBCAO-Daten belegt wurden. Neue Zuschneiden des Übergangs- IBCAO Projektion & auf Schelf- Diese konnten jedoch, aufgrund ihrer geringen Auflösung 500 m bereichs Resampling bereich von 500 m, erst ab einer Entfernung von 1000 m hinter MBES Ergebnis: der Küstenlinie verwendet werden. Am Ende wurden alle Neue Bathymetry Projektion lückenfreies Datensätze zu einem gesamten digitalen Geländemodell 5m DGM zusammengeführt. Abb. 2: Workflow zur Entwicklung des digitalen Gelände Das berechnete DGM konnte nun in die Game Engine modells aus verschiedenen Datensätzen Unreal Engine 4 (UE4) als gekachelter Datensatz im‑ portiert werden. Die Unreal Engine 4 wurde gegenüber MSM66 gemessenen bathymetrischen Daten besitzen in anderen Game Engines (z. B. Unity) ausgewählt, weil die mittlerer Wassertiefe von 280 m eine Punktdichte von ca. visuelle Programmiersprache (mit Blueprints) Anwendern 3 m. Die terrestrischen Datensätze wurden zu einem ein‑ mit geringen Programmierkenntnissen einen leichteren heitlichen Geländemodell zusammengeführt. Dabei dien‑ Einstieg in die Entwicklungsumgebung ermöglicht. Ins‑ te das ArcticDEM mit einer Auflösung von 5 m als Basis‑ gesamt bestand das Modell aus 128 Kacheln mit jeweils modell. Da dieses jedoch einige Lücken aufwies, wurden 2017 × 2017 Pixel und 8 Millionen Dreiecken, was für diese zunächst mit dem ArcticDEM (Auflösung 2 m) und eine Echtzeit-Visualisierung in VR eine Herausforderung zum Schluss mit dem CanadianDEM gefüllt. Damit alle darstellt. Da die Echtzeit-Visualisierung der gesamten Datensätze zueinander passten, wurden die Projektion 128 Kacheln (mit einem Datenvolumen von 1 GB) mit und die Rasterauflösung der jeweiligen Datensätze so an‑ einer Auflösung von 5 m eine zu große Rechenleistung gepasst, dass sie den Spezifikationen des ArcticDEMs ent‑ beanspruchen würde, wurde das Werkzeug Level Strea‑ sprachen. Eine Illustration des Workflows zur Entwick- ming (Epic Games Inc. 2019) eingesetzt. Dieses Tool lädt lung des digitalen Geländemodells ist in Abb. 2 gegeben. immer nur die an der Nutzerposition nächstgelegenen Um die terrestrischen und bathymetrischen Gelände‑ Kacheln in den Arbeitsspeicher. Die übrigen Kacheln modelle nun vereinigen zu können, musste zunächst der werden aber dennoch mit einer sehr starken Reduktion Übergang zwischen Land und Wasser bearbeitet werden. der Dreiecksanzahl von 99,97 % angezeigt, sodass die ge‑ Da die bathymetrischen Daten aufgrund ihrer Aufnah‑ samte Landschaft immer zu sehen und eine angemessene me vom Schiff nicht bis zur Wasseroberfläche und die Rechenleistung zur ruckfreien Darstellung des Geländes aus Bilddaten generierten Geländemodelle nur bis zur in Echtzeit gewährleistet sind. Wasserkante reichen, bleibt ein kleiner Übergangsbereich Um die virtuelle Umgebung realistischer aussehen zu ohne Geländedaten. Daher musste dieser Bereich aus den lassen, wurden natürliche Effekte wie sich bewegendes angrenzenden Daten der Geländemodelle interpoliert Wasser, Sonnenstrahlen, Schatten, Blumen, Gräser, Wind werden. Der Übergangsbereich (weiße Fläche in Abb. 3) und Möwen in die VR‑Applikation programmiert. In repräsentiert im Fjord jeweils eine Fläche von 30 m bis Abb. 4 ist die Qualität der virtuell generierten Landschaft 1000 m, in deren Gebiet die Daten der Geländemodel‑ (rechts) im Vergleich zur echten Fjordumgebung (Foto le linear interpoliert wurden. Um jedoch zu verhindern, links) dargestellt. © Wißner-Verlag 144. Jg. 3/2019 zfv 169
Fachbeitrag Lütjens et al., 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords … Abb. 4: Vergleich der echten Fjordumge bung im Foto (links) mit der virtuell generierten Umgebung (rechts) Die Farbgebung der Landschaft wurde so erstellt, dass zugehörige Textur zu. Insgesamt gibt es für diese An‑ die verschiedenen geografischen Merkmale und Daten‑ wendung fünf verschiedene Gebiete (siehe Abb. 5). Das sätze unterschiedliche Texturen besitzen. Auch kann der terrestrische Gelände kann in einer natürlichen Färbung Nutzer zwischen verschiedenen Texturen je nach An‑ mit Gletschern (Abb. 6) oder in Grau dargestellt werden. wendung und Fragestellung wählen (siehe Kap. 4). Um Der mit dem Schiff vermessene bathymetrische Datensatz eine korrekte Platzierung der Texturen zu garantieren, kann entweder in Grau (Abb. 7) nach einer Sediment‑ wurde eine Splat Map entwickelt. Eine Splat Map ent‑ klassifizierung oder in einer auf die Wassertiefe bezo‑ hält die Umrisse der jeweiligen Gebiete und weist durch genen Regenbogenfarbskala angezeigt werden (Abb. 8). eine entsprechende Farbkodierung jedem Bereich die da‑ Um diesen Datensatz von den interpolierten und den Abb. 5: Splat Map mit den fünf Bereichen: Bathy metrie des MSM66-Datensatzes (blau), Bathymetrie des IBCAO-Datensatzes (lila), interpolierter Übergangsbereich (orange), Gletscherdaten vom RGI-Datensatz (weinrot) (RGI Consortium 2017) und terrestrischer Bereich (türkis) Abb. 6: Natürliche Texturen des Geländes mit Spie gelung auf der Wasseroberfläche in der VR-Applikation (erzeugt durch Rendering in der Game Engine) Abb. 7: Graue Texturen der Topographie ohne Wasser oberfläche in der VR-Applikation mit Dar stellung des Übergangsbereiches zwischen Bathymetrie-Daten und digitalem Gelände modell (dunkelgrau) Abb. 8: Graue Textur des Geländes über Wasser und Regenbogenfärbung für die Topographie unter Wasser in der VR-Applikation 170 zfv 3/2019 144. Jg. © Wißner-Verlag
Lütjens et al., 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords … Fachbeitrag Abb. 9: Höhendifferenz- und Neigungs messungen zwischen zwei Punkten in VR (links) und Höhen- und Distanzmessungen in VR (rechts) IBCAO-Daten zu differenzieren, wurden die letzteren in In der Hydrographie könnte VR vor allem für die Qua‑ Dunkelgrau eingefärbt. litätsanalyse hilfreich sein, da fehlerhafte Ausreißer in Die Navigation in der Virtual Reality Anwendung er‑ der 3D‑Darstellung deutlich sichtbar werden, aber zur‑ folgt über drei Fortbewegungsmodi: Fliegen, Springen zeit in der Applikation nicht eliminiert werden können. und Teleportieren zu festen Wegpunkten. Die Anwen‑ Außerdem könnte VR sehr nützlich für die Interpretation dung enthält zudem die Möglichkeit, die Höhe über den des Geländes sein, vor allem im Bezug auf Backscatter‑ Meeresspiegel zu erfassen und die Distanz zum Nutzer zu analysen, die Hinweise zur Sedimentbeschaffenheit wie‑ messen. Des Weiteren können Höhendifferenzen und Nei‑ dergeben (Lütjens 2018). Diese Informationen können gungswinkel zwischen zwei Punkten mit Hilfe der Con sehr leicht über das Gelände drapiert werden und so mit troller bestimmt werden (Abb. 9). Diese Informationen sind der Neigung des Geländes korreliert werden (siehe auch für viele andere Fachdisziplinen (z. B. Geologen, Archäo‑ Abb. 8). Für Geologen bietet VR den Vorteil, Geländenei‑ logen und Bauingenieure) sehr relevant, um Distanzen gungen und Dimensionen morphologischer Landformen und die Räumlichkeit vorstellbar machen zu können. intuitiver zu erfassen als auf einer zweidimensionalen Karte. Bauingenieure könnten VR für verschiedene Kons‑ truktionsentwürfe nutzen, um sich geplante Bauvorha‑ 4 Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen ben auch im realen Umfeld virtuell anzeigen zu lassen. Dies könnte den Entscheidungsprozess signifikant unter‑ Die Benutzerfreundlichkeit und Einsatzmöglichkeit der stützen. Für Archäologen bietet VR ein kostengünstiges VR‑Anwendung wurde im Rahmen einer Kurzstudie mit Werkzeug, um Orte oder Gebäude, die nicht mehr exis‑ zehn Repräsentanten aus den Berufsgruppen Hydrogra‑ tieren oder schwer zugänglich sind, zu rekonstruieren, zu phie, Geologie, Archäologie und Bauingenieurswesen er‑ visualisieren und zu analysieren. Eine virtuelle immer‑ fasst. Jeder Teilnehmer konnte die Applikation für etwa sive Rekonstruktion hat nicht nur finanzielle Vorteile, eine halbe Stunde nutzen. Der Fragebogen und die Aus‑ sondern ermöglicht dem Anwender z. B. die Analyse von wertung sind umfassend in Lütjens (2018) dokumentiert. virtuellen Sichtachsen auch unter verschiedenen Wetter‑ Die Handhabung und Benutzerfreundlichkeit wurden bedingungen. von den Probanden als überaus angenehm empfunden. Ein großer Nachteil der verwendeten Game Engine Alle Befragten fanden die Anwendung einfach zu nutzen gegenüber traditioneller GIS-Software sind die sehr ein‑ und niemand fühlte sich in der virtuellen Welt unwohl. geschränkten Import- und Exportmöglichkeiten von Zudem erhielten alle Nutzer einen verbesserten Eindruck Daten. Rasterdatensätze haben keinen räumlichen Bezug der Landschaft im Gegensatz zu einer einfachen 2D‑Prä‑ in der Game Engine, d. h. Koordinatentransformationen sentation. Welche Informationen über die Landschaft im müssten zusätzlich programmiert werden. Die hier ver‑ Detail für die Nutzergruppen interessant sind, ist in Lüt‑ wendete einfache Lösung, Datensätze korrekt zu verknüp‑ jens (2018) beschrieben. Die Funktionalitäten und Mess‑ fen, erfolgte durch eine Skalierung und Rotation nach der werkzeuge erwiesen sich außerdem als sehr nützlich, um Messung von Strecken und Richtungen. In der Game En‑ notwendige Informationen, z. B. über die Geländemorpho‑ gine UE4 sind das Programmieren der Interaktionen, das logie, aus dem Terrain abzugreifen und um die Dimensio‑ Setzen der Teleportationspunkte und die Berechnung des nen der Landschaft besser zu erfassen und zu begreifen. Level-of-Detail für die Geländedaten sehr zeitaufwendig. Abb. 10: Komponenten (links) und sche matischer Auf bau (rechts) des VR-Systems HTC Vive (HTC Corpo ration 2018) © Wißner-Verlag 144. Jg. 3/2019 zfv 171
Fachbeitrag Lütjens et al., 3D-Visualisierung eines kanadischen Fjords … Der Arbeitsaufwand für dieses Projekt betrug ca. drei Schenke, H. W., Zarayskaya, Y., Accettella, D., Armstrong, A., An‑ derson, R. M., Bienhoff, P., Camerlenghi, A., Church, I., Edwards, Monate. Vor dem Einsatz des VR‑Systems sind der Auf‑ M., Gardner, J. V., Hall, J. K., Hell, B., Hestvik, O., Kristoffersen, Y., bau des Trackingsystems Lighthouse mit den Basisstatio‑ Marcussen, C., Mohammad, R., Mosher, D., Nghiem, S. V., Pedrosa, nen und eine Kalibrierung des Interaktionsraums mit den M. T., Travaglini, P. G., Weatherall, P. (2012): International Bathy‑ Controllern erforderlich (Abb. 10), was ungefähr einem metric Chart of the Arctic Ocean (IBCAO) Version 3.0; Geophysical Research Letters, Vol. 39, L12609. DOI: 10.1029/2012GL052219. geringen Zeitaufwand von 15 Minuten entspricht. Kersten, T., Büyüksalih, G., Tschirschwitz, F., Kan, T., Deggim, S., Kaya, Y., Baskaraca, A. P. (2017a): The Selimiye Mosque of Edirne, Turkey – An Immersive and Interactive Virtual Reality Experience using HTC 5 Fazit und Ausblick Vive. The International Archives of the Photogrammetry, Remote Sensing and Spatial Information Sciences, 42(5/W1), S. 403–409. Kersten, T., Tschirschwitz, F., Deggim, S. (2017b): Development of a In diesem Beitrag konnte gezeigt werden, dass große, Virtual Museum including a 4D Presentation of Building History hochauflösende und flächendeckende Geländedatensätze in Virtual Reality. The International Archives of the Photogramme‑ durch Kachelung und mit Hilfe des Level Streamings in try, Remote Sensing and Spatial Information Sciences, 42(2/W3), S. 361–367. Virtual Reality visualisiert werden können. Dafür wur‑ Kersten, T., Deggim, S., Tschirschwitz, F., Lindstaedt, M., Hinrichsen, N. de die Fusion der Geländedaten über und unter Wasser (2018a): Segeberg 1600 – Eine Stadtrekonstruktion in Virtual Reali‑ durch lineare Interpolation erreicht. Die VR‑Anwendung ty. Kartographische Nachrichten, 68(4), S. 183–191. wurde als insgesamt benutzerfreundlich wahrgenommen Kersten, Th., Tschirschwitz, F., Lindstaedt, M., Deggim, S. (2018b): The historic wooden model of Solomon’s Temple: 3D recording, model‑ und alle Testpersonen attestierten eine bessere Vorstel‑ ling and immersive virtual reality visualisation. Journal of Cultural lung von der Geländetopographie gegenüber einer zwei‑ Heritage Management and Sustainable Development, Special Issue: dimensionalen Darstellung. Durch die Testpersonen aus Digital workflows for the conservation and sustainability of historic unterschiedlichen Fachdisziplinen konnte die Funktio‑ places, 8(4), S. 448–464. Kongsberg Maritime AS (2011): Product description EM 122 Multibeam nalität, das Verständnis der Interaktionen und die Ein‑ Echo Sounder. http://epic.awi.de/45364/1/Kongsberg_302440ae_ satzmöglichkeiten der VR‑Applikation überprüft und be‑ em122_product_description.pdf, letzter Zugriff 26.01.2019. stätigt werden. Allerdings bietet die Game Engine keine Lanier, J. (1992): Virtual reality: The promise of the future. Interactive optimalen Datenimport- und -exportmöglichkeiten und Learning International, 8(4), S. 275–79. Lütjens, M. (2018): Immersive Virtual Reality Visualisation of the Arctic es fehlt der räumliche Bezug zu den verschiedenen Daten‑ Clyde Inlet on Baffin Island (Canada) by Combining Bathymetric sätzen über entsprechende Koordinatensysteme. Dennoch and Terrestrial Terrain Data. http://edoc.sub.uni-hamburg.de/hcu/ konnte das Potenzial von VR für die verschiedenen getes‑ volltexte/2018/436, letzter Zugriff 26.01.2019. teten Berufsgruppen im Rahmen dieser entwickelten Ap‑ Polar Geospatial Center and Regents of the University of Minneso‑ ta (2017): Introduction to ArcticDEM. www.pgc.umn.edu/guides/ plikation demonstriert werden. Mit dieser VR‑Applika‑ arcticdem/introduction-to-arcticdem, letzter Zugriff 05.12.2018. tion sind Anwendungen in der Hydrographie, Geologie, Portman, M. E., Natapov, A., Fisher-Gewirtzman, D. (2015): To go where Geomorphologie, Landschaftsvisualisierung, Archäologie no man has gone before: Virtual reality in architecture, landscape u. a. vorstellbar. Die Entwicklung von Game Engines für architecture and environmental planning. Computers, Environment and Urban Systems, 54, S. 376–384. die Visualisierung von Geodaten wird sicherlich weiter Random House Unabridged Dictionary (2018): Virtual Reality. www. voranschreiten, sodass VR zukünftig auch zunehmend dictionary.com/browse/virtual-reality, letzter Zugriff 05.12.2018. für hydrographische und weitere Anwendungen mit ein‑ RGI Consortium (2017): Randolph Glacier Inventory – A Dataset of deutig räumlichem Bezug eingesetzt wird. Global Glacier Outlines: Version 6.0: Technical Report, Global Land Ice Measurements from Space; Digital Media, Colorado, USA. DOI: 10.7265/N5-RGI-60. Tschirschwitz, F., Richerzhagen, C., Przybilla, H.-J., Kersten, T. (2019): Literatur Duisburg: Transferring a Historic 3D City Model from Google Earth Epic Games Inc. (2019): Level Streaming. https://docs.unrealengine. into a Virtual Reality Application. Photogrammetrie, Fernerkun‑ com/en-us/Engine/LevelStreaming, letzter Zugriff 26.01.2019. dung, Geoinformation (PFG) – Journal of Photogrammetry, Remote Dörner, R., Broll, W., Grimm, P., Jung, B. (2014): Virtual und Augmen‑ Sensing and Geoinformation Science, 87(1), S. 1–10. ted Reality (VR/AR): Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Zanini, M. (1998): Dreidimensionale synthetische Landschaften: wis‑ Augmentierten Realität. Springer-Verlag. sensbasierte dreidimensionale Rekonstruktion und Visualisierung Freina, L., Ott, M. (2015): A Literature Review on Immersive Virtual raumbezogener Informationen. Diss. Techn. Wiss. ETH Zürich, Nr. Reality in Education: State Of The Art and Perspectives. eLearning 12893. DOI: 10.3929/ethz-a-001997933. and Software for Education, (1), S. 133–141. Government of Canada, Natural Resources Canada (2016): Canadian Digital Elevation Model Product Specifications. http://ftp.geogratis. Kontakt gc.ca/pub/nrcan_rncan/elevation/cdem_mnec/doc/CDEM_product_ Mona Lütjens | Thomas P. Kersten | Felix Tschirschwitz specs.pdf, letzter Zugriff 05.12.2018. HafenCity Universität Hamburg, Überseeallee 16, 20457 Hamburg Gutiérrez, M. A., Vexo, F., Thalmann, D. (2008): Stepping into Virtual mona.luetjens@hcu-hamburg.de | thomas.kersten@hcu-hamburg.de Reality. London: Springer-Verlag. felix.tschirschwitz@hcu-hamburg.de HTC Corporation (2018): Vive PRE User Guide. www.htc.com/managed- assets/shared/desktop/vive/Vive_PRE_User_Guide.pdf, letzter Zu‑ Dr. Boris Dorschel griff 06.12.2018. Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar-und Meeres Imhof, E. (1965): Kartographische Geländedarstellung. Reprint 2010, forschung, Van-Ronzelen-Straße 2, 27568 Bremerhaven Walter de Gruyter, S. 425. boris.dorschel@awi.de Jakobsson, M., Mayer, L., Coakley, B., Dowdeswell, J. 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