4/21 UNIVERSITAS - UNIVERSITAS Austria
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UNIVERSITAS 4/21 Mitteilungsblatt ISSN 1996-3505 Mitglied der Fédération Internationale des Traducteurs
2 UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 INHALT Agenda Translation 5 Dagmar Jenner Geschlechtergerechtes Deutsch: Ein Thema mit vielen Facetten 10 Jenni Zeller One Size Fails All Ein Rückblick auf den Workshop „GenderFairMT“ 16 Bettina Schreibmaier-Clasen Dolmetscherin für Österreichische Gebärdensprache 18 „Über den Tellerrand“ – Interview mit Martina Kichler Übersetzerin für Leichte Sprache 21 „Über den Tellerrand“ – Interview mit Verena Brinda Über den menschlichen Mehrwert im Translationsprozess Ein Nachbericht zum Workshop „Übersetzen und Technologien“ 24 Charlotte Schinnerl Rezensionen: Translator’s Blues (The Cahiers Series) 25 Eva Holzmair-Ronge Dolmetschen im Medizintourismus 28 Xenia Zarafu Dolmetschen als Dienst am Menschen – Texte für Mira Kadric 29 Elisabeth Poleschinski ´ Mediensplitter31 Julia Klug UNIVERSITAS-Terminkalender33 UNIVERSITAS Austria Verbandsmitteilungen34 UNIVERSITAS Austria Rätsel36 Vera Ribarich
UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 3 EDITORIAL Herzlichen Dank für Ihre Rückmeldungen! Liebe Leser*innen, Dagmar Jenner ohnehin ausführlich in ihrer Ko- lumne behandelt – werde ich mich bemühen, in ein großes Dankeschön an Sie alle für das posi- Zukunft einen noch stärkeren Fokus auf diese tive und konstruktive Feedback zum Mitteilungs- Themen zu legen. blatt! Mit 130 Teilnehmer*innen hat die Umfra- ge meine Erwartungen weit übertroffen und ich Ihre weiteren Themenvorschläge und Wünsche freue mich sehr, dass Sie sich die Zeit genommen habe ich notiert – von allgemeinen Themen wie ©Katrin Franz Photography haben, uns Ihre Wünsche und Interessen mit- ethischen Fragen beim Übersetzen und Dolmet- zuteilen. Das aktuelle Editorial wird daher den schen, der Zukunft unserer Branche und der sonst üblichen Rahmen ein wenig sprengen, politischen und kulturellen Relevanz von Spra- denn ich möchte Ihnen die Ergebnisse der Um- che über Community Interpreting, CAT-Tools frage natürlich nicht vorenthalten und auch auf und Dolmetschen in der Diplomatie bis hin zu den einen oder anderen Punkt eingehen. ganz spezifischen Themen wie Erfahrungsbe- richten zu RSI-Plattformen, Medienübersetzen Tamara Paludo, Redakteurin Die Umfrageergebnisse für Streaminganbieter und Argumenten für eine professionelle Übersetzung in Zeiten von DeepL Das eindeutigste Ergebnis brachte die Frage war eine Idee spannender als die nächste. Bei nach dem Format, in dem Sie das Mitteilungs- rund 70 verschiedenen Vorschlägen könnte es blatt lesen: 95 % nützen die Papierform, nur eine Weile dauern, bis Ihr Thema an die Reihe knapp 5 % lesen es online. In Zeiten, in denen kommt, aber ich werde versuchen, auf mög- sich auch die Freizeit zunehmend vor dem Bild- lichst alle Themenvorschläge einzugehen. Wenn schirm abspielt, war dieses Ergebnis für mich Sie als Expert*in zu einem bestimmten Thema die Bestätigung, dass das Druckformat auch einen Artikel schreiben möchten, ist dieser na- weiterhin gewünscht ist. Vereinzelt wurden Be- türlich jederzeit willkommen! denken in puncto Klimaschutz geäußert – diese hege ich ebenfalls, daher bin ich seit einiger Ihre Top 20 der Themen Zeit auf der Suche nach einer umweltfreund- licheren Alternative. Aufgrund von Verfügbar- Zu den Mediensplittern: Die QR-Codes findet keitsengpässen und erhöhten Papierpreisen eine leichte Mehrheit (52 %) nützlich – wirklich zieht sich das jedoch noch ein wenig hin. genutzt werden sie jedoch nur von 18 %, statt- dessen suchen Sie Artikel eher über den Kurz- Die fünf Themenbereiche, die Sie am meisten link (22 %) oder eine Suchmaschine (26 %). Die interessieren, sind allgemeine und technolo- Themen, die Sie in diesem Bereich am meis- gische Entwicklungen, Fachübersetzen, Ver- ten interessieren, sind österreichische und in- bandsneuigkeiten und Tipps für Selbstständige. ternationale Branchennews (83 % bzw. 78 %), Abgesehen von den Verbandsneuigkeiten – die neue Technologien (64 %) und die Darstellung
4 UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 Themen unserer Berufsfelder durch branchenfremde Die Interviewreihe „Über den Tellerrand“ widmet Personen (62 %). Unsere Verantwortliche für sich in dieser Ausgabe ganz der Barrierefreiheit: 1. Allgemeine aktuelle die Mediensplitter, Julia Klug, hat sich schon Martina Kichler erzählt von ihrem Alltag als Dol- Entwicklungen in der aktuellen Ausgabe darum bemüht, Ihren metscherin für Österreichische Gebärdensprache 2. Aktuelle technologische Wünschen Rechnung zu tragen. und Verena Brinda von ihrer Tätigkeit als Über- Entwicklungen setzerin für Leichte Sprache. 3. Fachübersetzen Das Feedback zur gendergerechten Sprache fiel 4. Verbandsneuigkeiten relativ eindeutig aus: Genau zwei Drittel (66,6 %) Charlotte Schinnerl gibt uns einen Einblick in den 5. Tipps für Selbstständige finden die momentane Lösung, den Autor*innen Workshop „Übersetzen und Technologien“, der 6. Aktuelle rechtliche die Wahl zu lassen, gut, da sie Diversität auch am 30. September stattfand. Außerdem wartet Entwicklungen sprachlich widerspiegelt. 23 % finden diese Lö- die Ausgabe wieder mit zahlreichen Rezensionen 7. Interviews mit Mitgliedern sung unruhig und würden eine blatteinheitliche auf: Eva Holzmair-Ronge stellt einen dritten Teil 8. Aktuelle steuerliche Version bevorzugen. Damit werden wir es auch der „Cahiers Series“ vor, Elisabeth Poleschinski Entwicklungen weiterhin allen Autor*innen freistellen, nach ih- den Sammelband „Dolmetschen als Dienst am 9. Berichte von UNIVERSITAS- ren Präferenzen zu gendern – zumindest solange Menschen – Texte für Mira Kadric“ ´ und Xenia Zara- Veranstaltungen es keine UNIVERSITAS-weite Lösung gibt oder, fu das Werk „Dolmetschen im Medizintourismus“. 10. Marketing wie es eine Person formuliert hat, bis ein sozio- 11. Lektorat kultureller Kontext vorherrscht, in dem Gendern Ich hoffe, Sie finden in diesem Mitteilungsblatt 12. Berichte von externen nicht (mehr) erforderlich ist. Spannendes, Interessantes und Hilfreiches für Veranstaltungen/ Ihren Alltag als Sprachdienstleister*in. Auch ab- Konferenzen Was erwartet Sie in diesem seits von Umfragen freue ich mich natürlich jeder- 13.Konferenzdolmetschen Mitteilungsblatt? zeit über Feedback, Anregungen und Wünsche: 14.Post-Editing tamara.paludo@universitas.org. 15.Rezensionen von Da wir gerade bei dem Thema sind: Jenni Zel- Neuerscheinungen ler hat sich in den letzten Monaten intensiv mit Damit bleibt mir nur noch, Ihnen allen einen 16.Videodolmetschen dem Thema der genderinklusiven Sprache aus- möglichst entspannten Jahresausklang und 17.Forschung einandergesetzt und ihre ersten Erkenntnisse in einen guten Start in ein positives Jahr 2022 18.Literaturübersetzen einem großartigen Artikel für uns aufbereitet. zu wünschen! 19.Community Interpreting Auch Bettina Schreibmaier-Clasen hat sich beim 20.Untertitelung Workshop „GenderFairMT“ mit diesem Thema be- Beste Grüße schäftigt und berichtet von der Veranstaltung. Tamara Paludo IMPRESSUM Das Mitteilungsblatt von UNIVERSITAS Austria, Berufsverband für Dolmetschen und Übersetzen, dient dem Informationsaustausch zwischen den Verbandsmitgliedern. ISSN 1996-3505 Herausgeber: UNIVERSITAS Austria, Berufsverband für Dolmetschen und Übersetzen Gymnasiumstraße 50, 1190 Wien, Tel.: + 43 1 368 60 60, info@universitas.org Redaktion: Tamara Paludo, tamara.paludo@universitas.org Ständige Mitarbeit: Ekaterina Graf, Dagmar Jenner, Julia Klug, Vera Ribarich • Koordination Rezensionen: Christina Mayer • Korrektorat: Sophia Scherl Die Beiträge spiegeln die Meinungen der Autor*innen wider und entsprechen nicht unbedingt der Meinung von UNIVERSITAS Austria. Beiträge, Wünsche, Anregungen, Leser*innenbriefe bitte an eine der oben stehenden E-Mail-Adressen senden – danke! Das Mitteilungsblatt erscheint vierteljährlich. Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe: 15. Jänner 2022 Grafik und Layout: Sabina Kargl-Faustenhammer Titelbild: © Ryan Klaus / Unsplash
UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 5 AGENDA TRANSLATION Dagmar Jenner Ob es zeitgemäß und wünschenswert wäre, dass auch nicht zertifizierte Mitglieder in der externen Mitgliedersuche aufscheinen – so, wie dies andere Verbände handhaben. Ob es an der Zeit wäre, eine Lanze für die Verrechnung von Übersetzungen, Lektorat und Korrektorat pro Stunde zu brechen. Un- Illustration: © UNIVERSITAS Austria ser Ausschuss für Übersetzen wird hier die Vor- und Nachteile zusammenschreiben und in weiterer Folge möchten wir einen breit angelegten Dialog mit Ihnen starten. Wie und wo unsere nächste Mitgliederver- sammlung (Termin: 25. Februar 2022) statt- finden soll – auf Wunsch vieler Mitglieder wird es eine hybride Mitgliederversammlung sein. Hier haben wir entschieden, Profis an Bord zu holen und die Veranstaltung extern organisieren zu lassen. Wie wir angesichts von Strafzinsen und Liebe Kolleginnen und Kollegen, Inflation, durch die unser Erspartes nicht mehr, sondern weniger wird, unser Geld und wieder sind drei Monate vergangen und nachhaltig zum maximalen Nutzen unserer Weihnachten steht vor der Tür. In letzter Zeit Mitglieder investieren können. Auch diesbe- hat sich bei uns im Verband sehr viel getan und züglich möchten wir Ihre Wünsche und Be- ich werde mich bemühen, Ihnen an dieser Stelle dürfnisse abfragen. Zur Diskussion stehen einen guten Überblick über die vielen Aktivitä- unter anderem eigene Räumlichkeiten (Co- ten und die zahlreichen Themen, mit denen wir Working, Dolmetsch-Hub, Sitzungsräume), uns beschäftigen, zu geben. Bei einem Verband ein Solidaritätsfonds für Härtefälle unter mit mittlerweile über 850 Mitgliedern geht uns unseren Mitgliedern sowie projektbezogene die Arbeit im Büro, im Vorstand und in den Aus- Zusammenarbeit mit Universitäten. schüssen keinesfalls aus. Über die schöne Ent- wicklung bei unseren Mitgliederzahlen freue ich Zur weiteren Nachlese empfehle ich Ihnen mei- mich persönlich besonders, denn je mehr wir nen diesbezüglichen Blogbeitrag auf unserer sind, desto schlagkräftiger sind wir als Verband Website: https://www.universitas.org/energie- und desto mehr Gehör können wir uns in der Öf- und-kollektive-intelligenz-bei-der-vorstands- fentlichkeit verschaffen. klausur/ Das zentrale Thema der letzten Monate war Die oben genannten und andere Themen möch- zweifelsohne die Vorstandsklausur Ende Septem- ten wir mit Ihnen, unseren Mitgliedern, wie er- ber und die dort besprochenen Weichenstellun- wähnt breit diskutieren, weshalb es etwa bei den gen für die Zukunft. kommenden „Meet & Share“-Veranstaltungen schwerpunktmäßig um diese Fragen gehen wird. Wir fragten uns unter anderem bzw. entschieden Wie stehen Sie zu diesen Überlegungen? Wir Folgendes: freuen uns auf Ihre Meinungen! Übrigens or- ganisiert nun Matteo Paone unsere „Meet & Ob es angesichts der immer schwieriger wer- Share“-Treffen in Wien (zuletzt am 21. Okto- denden Nachfolgesuche für die „Führungspo- ber), nachdem unser ehemaliges Vorstandsmit- sitionen“ Generalsekretärin und Präsidentin glied Tamara Popilka dieses erfolgreiche Format an der Zeit wäre, für diese beiden Positionen jahrelang sehr engagiert betreut hat. zu bezahlen oder alternativ eine bezahlte Geschäftsführung zu etablieren.
6 UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 © John Michael Oliver Der fast komplette Vorstand samt Ausschuss-Verbindungspersonen (nicht im Bild: Martina Kichler, Katharina Redl und Jenni Zeller) Übrigens wurden am Rande der Klausur auch im Mitgliederbereich unter „Infothek für Mit- Fotos vom Vorstand sowie Porträtfotos der ein- glieder à Sonderkonditionen“. zelnen Vorstandsmitglieder für unsere Website angefertigt, und zwar vom Fotografen unseres Ein weiteres Highlight der letzten Monate war Vertrauens: John Michael Oliver. Falls Sie für der Internationale Tag des Übersetzens am Ihr eigenes Business noch professionelle Fotos 30. September. Diesmal richtete die IG Über- brauchen: Für UNIVERSITAS-Mitglieder bietet setzerinnen Übersetzer die Feierlichkeiten im der Fotograf Sonderkonditionen an – alle Infos Literaturhaus in Wien aus. Wir lauschten den pointierten Ausführungen von Waltraud Kolb zum Thema maschinelle Übersetzung im litera- rischen Bereich. Außerdem wurde im Rahmen der Veranstaltung der Elisabeth-Markstein- Preis von UNIVERSITAS Austria an Alexandra Jantscher-Karlhuber verliehen, und zwar für ihre nachhaltige Nachwuchsförderung im Rah- men des Maria-Verber-Mentoringprogramms. Unten sehen Sie die bereits seit 2020 festste- hende Preisträgerin mit der wunderbaren von UNIVERSITAS-Mitglied Irene Mühldorf gestalte- ten Urkunde. Herzliche Gratulation, Alexandra! Mitte Oktober war Generalsekretärin Bettina Schreibmaier-Clasen bei der nun vollständig © UNIVERSITAS Austria digitalen Konferenz „Meet Central Europe“ im Einsatz – virtueller UNIVERSITAS-Stand inklu- sive (siehe Foto unten). Über diese ganz neue Erfahrung wird Bettina noch auf dem einen oder anderen Kanal berichten. Apropos Konfe- Preisträgerin Alexandra Jantscher-Karlhuber mit der Autorin dieser Zeilen renz: Da die Einreise in die USA für Menschen aus Europa bis Ende Oktober nicht möglich war,
UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 7 © UNIVERSITAS Austria Unser Verband ganz virtuell bei der Konferenz „Meet Central Europe“ war unsere Generalsekretärin nicht vor Ort in Angesichts der verheerenden Menschenrechtsla- Minneapolis bei der Konferenz des amerikani- ge in Afghanistan haben wir im Vorstand beschlos- schen Verbandes ATA, sondern erlebte die On- sen, eine Spende an Red T (www.red-t.org) in line-Schiene vor ihrem PC. Schade, denn Hahnsi der Höhe von 500 EUR seitens des Verbandes und Sealvia hätten wieder mal Lust gehabt, zu tätigen. Damit einher ging ein Spendenauf- sich bei einer großen Konferenz unter die Leute ruf an alle Mitglieder über unser Forum. Die zu mischen und sich auf das eine oder andere Organisation Red T setzt sich seit Langem für Foto zu stehlen. Dolmetscher:innen und Übersetzer:innen in Kri- sengebieten ein. Gründerin Maya Hess, die vie- Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe ging von le von Ihnen von ihrer beeindruckenden Rede 3. bis 5. November die Online-Konferenz „Trans- anlässlich unseres 65-Jahr-Jubiläums im Jahr lating Europe Forum“ über die Bühne. Unsere 2019 kennen, berichtete uns, dass die Spende stellvertretende Generalsekretärin Martina Kich- vollständig an einen afghanischen Dolmetscher ler vertrat dort in einer Podiumsdiskussion zum ging, der für die NATO gearbeitet hatte. Nach Thema „The human factor in the post-Covid wor- jahrelangen Bemühungen gelang es nun, ihn king environment“ die Perspektive der verbands- und seine Familie außer Landes zu bringen. Die mäßig organisierten Selbstständigen. Familie musste alles zurücklassen, ist derzeit in Kuwait und hofft auf einen Neustart in Ka- Von der internationalen Zusammenarbeit nada. Auch wenn Afghanistan derzeit nicht so kann ich berichten, dass eine Zweier-Delega- stark in den Medien vorkommt wie vor einigen tion von UNIVERSITAS Austria (bestehend aus Wochen – das Leid geht weiter. Wenn auch Sie Martina Kichler und mir) an der Mitglieder- helfen wollen: https://red-t.org/sponsors/ versammlung unseres Regional-Dachver- bandes FIT Europe teilgenommen hat. Nach Auch unser Dachverband FIT hat in einem den Vorstandswahlen folgt der irische Kolle- Rundbrief an die Leitung aller nationalen Ver- ge John O’Shea als Vorsitzender auf Annette bände dazu aufgerufen, Infos über bereits er- Schiller, die hervorragende Arbeit geleistet folgte und geplante Unterstützung und Hilfe- und das Profil von FIT Europe deutlich ge- stellung für Kolleg:innen aus Afghanistan schärft hat. (auch wenn sie nicht akademisch ausgebildet sind) zusammenzufassen – etwa durch Auf-
8 UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 nahme in unsere Berufsverbände. In meinem am Tag davor, also am Freitag, den 25. Februar, Bericht an die FIT ging ich auf die vielen Ini- statt. Weitere Info dazu folgt. tiativen ein, die es in Österreich und/oder in unserem Verband gibt: COMMUNITAS, den QUA- Am 11. Oktober fand übrigens das spanischspra- DA-Lehrgang für Dolmetschen im Asylwesen so- chige Webinar mit Mariana Fávila Alcalá zum wie den Universitätslehrgang „Dolmetschen für Thema „Gendergerechte Sprache im Spanischen“ Gerichte und Behörden“, der auch in Dari/Farsi statt, betreut von unserer früheren Fortbildungs- angeboten wird. beauftragten Bettina Schreibmaier-Clasen. Apropos FIT: Wie bereits im Forum gepostet, Weniger inhaltsstark, aber dafür umso gesel- findet der Weltkongress der FIT kommendes liger werden unsere UNIVERSIPunsch-Treffen Jahr in Varadero, Kuba, statt – und zwar von sein, die für unsere diversen Standorte derzeit 1. bis 3. Juni 2022 (direkt davor der „Statutory in Planung sind. Angepeilt werden Termine Congress“ für offizielle Vertreter:innen der Mit- Ende November bzw. Anfang Dezember. In Wien gliedsverbände). Dies ist insofern eine Premi- werden wir nach Möglichkeit wieder für einen ere, als der FIT-Weltkongress zum ersten Mal in guten Zweck trinken, und zwar am Mittwoch, Lateinamerika über die Bühne geht. den 24. November. Weiter in Sachen Internationales freue ich Was unsere internationalen Kontakte anbelangt, mich zu berichten, dass in Zusammenarbeit so kann ich berichten, dass von 29. bis 31. Ok- mit der Universität Salamanca derzeit un- tober das schon traditionelle jährliche Treffen sere Verbandwebsite ins Spanische übersetzt des „Réseau franco-allemand“ mit einem sehr wird, und zwar von Studierenden der Transla- ansprechenden Programm in Köln stattfand, tionswissenschaft im Rahmen einer Lehrver- wo ich unseren Verband vertreten durfte. Diese anstaltung. Vielen Dank an Tamara Paludo, die kleine und feine Konferenz wird abwechselnd dieses Projekt von unserer Seite betreut, und von den Berufsverbänden im deutsch- und fran- die Korrekturleser:innen, die sich die Texte an- zösischsprachigen Raum veranstaltet; UNIVER- sehen werden. SITAS Austria ist auch mit von der Partie. Das umtriebige Fortbildungsteam, bestehend Von 20. bis 22. September fand am INTRAWI aus Jelena Semjonowa-Herzog und Martina in Innsbruck die feine „TRANSLATA“-Konferenz Kichler, ist gut beschäftigt mit der Durchfüh- zum Thema „Zukunftsperspektiven in der Trans- rung von Veranstaltungen und der Planung der lationswissenschaft“ statt. Generalsekretärin zukünftigen. Ich freue mich, dass so viele von Bettina Schreibmaier-Clasen war dabei, war vom Ihnen unsere lehrreichen und kostengünstigen Ambiente des INTRAWI sehr angetan und stärkte Angebote nutzen. Derzeit stehen die folgenden in vielen persönlichen Gesprächen unsere Ver- Veranstaltungen an bzw. wurden zum Zeitpunkt bundenheit mit den westlichen Bundesländern. des Erscheinens dieser Kolumne bereits durch- geführt: weitere Einblicke in die Zusammen- In Sachen regionale Aktivitäten außerhalb arbeit mit Agenturen von Katja Jääskeläinen Wiens gab bzw. gibt es regelmäßige Online- am 18. Oktober sowie das Webinar „Entspannte oder Präsenzveranstaltungen in Tirol (Meet Schultern – gelöster Nacken – klare Sicht“ am & Share am 22. Oktober in Innsbruck, UNI- 7. Dezember, auf das ich besonders gespannt VERSIPunsch am 2. Dezember), der Steiermark bin. Vielleicht sehen wir uns dort? (Infoveranstaltung zum Thema Sozialversiche- rung am 8. November, UNIVERSIPunsch am Auch die Planung für die ganztägige Präsenz- 1. Dezember), Oberösterreich und Salzburg veranstaltung am 26. Februar 2022 zum Thema (virtuelle Stammtische). „Kontrastivgrammatische Aspekte der Überset- zung Englisch–Deutsch“ mit Karin Königs läuft Unsere Social-Media-Kanäle blühen und gedei- auf Hochtouren. Anmeldungen sind bereits auf hen dank der umsichtigen Betreuung durch un- der Startseite unserer Website möglich (hin- ser engagiertes Team (Goran Jonic´ und Matteo unterscrollen und bei den Veranstaltungen auf Paone). Dessen ungeachtet haben wir bei der „alle anzeigen“ klicken). Und nicht vergessen: Klausur beschlossen, uns auch in diesem Bereich Unsere hybride Mitgliederversammlung findet zu professionalisieren und eine Digitalagentur
UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 9 beizuziehen, mit der wir eine handfeste und pra- xisorientierte Social-Media-Strategie erarbeiten wollen. Die Sondierungen laufen bereits. Bei den Ausschüssen von UNIVERSITAS Aus- tria geht die Arbeit ebenso weiter: Etwa wur- de im Ausschuss für PR und Strategie in Zusammenarbeit mit unserer Werbeagentur Friedl & Schmatz, die auch für die erfolgreiche „Hahnsi“-Kampagne verantwortlich zeichnet, ein Imagefilm über unseren Verband, kombi- niert mit Information über die Vorteile humaner Übersetzung, erstellt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und wird gerade finalisiert. Sobald © UNIVERSITAS Austria das Video fertig ist, informieren wir Sie umge- hend auf allen Kanälen! Außerdem hat der Ausschuss ein neues Goody bestellt – und zwar superpraktische und hoch- qualitative Obst- und Gemüsebeutel für den Unser neues Goody schont die Umwelt und umweltschonenden Einkauf. Diese feschen Beu- sieht dabei richtig gut aus. tel werden bei unseren nächsten Veranstaltun- gen in Wien, Graz und Innsbruck verteilt – holen Sie sich Ihr Exemplar! In unserem Büroteam, das die Dreh- und Angel- scheibe der Verbandsarbeit ist, gab es eine Än- Da das Zentrum für Translationswissenschaft in derung: Nach zweieinhalb äußerst produktiven Wien nun überwiegend zum Präsenzunterricht Jahren in unserem Büro hat Daniela Kosic´ eine zurückgekehrt ist, ist unser Büro wieder wie Vollzeitstelle angetreten. Ich bedanke mich für in vorpandemischen Zeiten geöffnet, und zwar die hervorragende Zusammenarbeit in den letz- Montagnachmittag und Donnerstagvormittag. ten Jahren und bin mir sicher, dass sich unse- So oder so sind wir natürlich jederzeit per E-Mail re translatorischen Wege wieder kreuzen wer- an info@universitas.org erreichbar. den. Ihre Nachfolge hat mit Anfang November Nike Schödl angetreten und wird derzeit von Translatorischen Gruß Marlene Hönigsberger in die zahlreichen Agen- Dagmar Jenner den der Verbandsarbeit eingearbeitet. dagmar.jenner@universitas.org
10 UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 GESCHLECHTERGERECHTES DEUTSCH: EIN THEMA MIT VIELEN FACETTEN Jenni Zeller Ob Translator*in oder nicht – Sprache spielt in unser aller Leben eine zentrale Rolle. Dass sie dabei mehr als reines Kommunikationsmittel ist, wird in der sehr präsenten und oft hitzigen Debatte um geschlechtergerechte Sprache offensichtlich. Dabei handelt es sich um ein komplexes und sehr dynamisches Thema, das verschiedenste Aspekte in sich eint – von Politik und gesellschaftlichem Wandel über Identitätsfragen und individuelle, emotional aufgeladene Meinungen bis hin zu Linguistik. Diese Intersektionalität sowie -disziplinarität macht es nicht einfach, den Überblick zu behalten, und selbst in der Fachbranche der Translation herrscht häufig ein Informationsdefizit oder Überforderung ob der Thematik. Die folgenden Erklärungen und Hintergrundinformationen sollen einerseits als Übersicht, andererseits als Beitrag für eine sachlichere Diskussion dienen. S prache ist nicht nur ein linguistisches System. Sprache trägt stets auch ein Stück Gesellschaftsgeschichte, Ideolo- gie und Politik in sich, wie seit langem Denker*innen wie Hannah Arendt, Judith But- ler oder Jürgen Habermas unterstreichen. Beim Thema der geschlechtergerechten Sprache tref- fen die linguistische und politische Seite von Sprache aufeinander und werden oft vermengt. „ Sehen wir sie uns zunächst einzeln an. Sprache ist vom Denken geprägt und Sprache prägt das Denken. Zugleich ist Sprache die Grundlage jedes “ gesellschaftlichen Handelns. Duden: Gendern – ganz einfach! (Diewald und Steinhauer, 2019b:7) 1. Die deutsche Sprache im gesellschaftlichen und politischen Wandel © Jenni Zeller Worum geht es bei der aktuellen Debatte zur geschlechtergerechten Sprache überhaupt ge- Geschlechtergerechte Sprache ist ein komplexes Thema mit unterschiedlichsten nau? Dafür lohnt sich ein kurzer Blick in die Perspektiven und Intersektionen. Vergangenheit unseres Sprachgebrauchs und des gesellschaftlichen Wandels, die eng mitein- ander verflochten sind: 1 Eine interessante Lektüreempfehlung zum Konzept „male as norm“ (MAN), das uns alltäglich umgibt (zum Bei- spiel auf männliche Körper abgestimmte Sicherheitsgurte, Medikamente usw.) ist im Übrigen das 2019 erschienene In der europäischen Geschichte allgemein war Sachbuch „Invisible Women“ von Caroline Criado Perez. der öffentlich-politische Raum patriarchal ge-
UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 11 prägt und der Mann galt als Norm.1 Zudem bür- sich Frauen mehr Rechte, soziale Freiheiten gerte es sich für viele Berufs- und Personen- und berufliche Möglichkeiten, wodurch sie in bezeichnungen ein, jeweils das grammatische immer mehr Bereiche vordrangen und Funktio- Geschlecht für typische Geschlechterrollen zu nen einnahmen. Zu dieser Zeit des gesellschaft- verwenden. Ab Ende des 19. Jahrhunderts ge- lichen und somit sprachlichen Wandels wurde langten Frauen allmählich in bis dahin klassisch die Praktik des Mitmeinens von Frauen durch männliche Rollen, wie etwa die des Lehrers. Zu grammatisch männliche Bezeichnungen, die als dieser Zeit, die auch von der ersten Welle des geschlechtsneutral umschrieben wurden, zum Feminismus (Stichwort: Suffragetten-Bewe- üblichen Sprachgebrauch. Die Verwendung des gung) geprägt war, entstand die sprachliche sogenannten generischen Maskulinums wurde Konvention, weibliche Formen basierend auf und wird dabei von der feministischen Lingu- den männlichen Bezeichnungen zu konstruie- istik, die damals ihren Ausgang nahm, als dis- ren (z. B. Lehrer-in), um dem explizit Ausdruck kriminierend und stereotypisierend kritisiert. zu verleihen. Übrigens gibt es jetzt, rund 100 Auf die Thematik des generischen Maskulinums Jenni Zeller studiert im Jahre später, ähnliche Entwicklungen in tradi- kommen wir gleich zu sprechen. Master Translationswissen- tionell weiblich dominierten Bereichen, durch schaft sowie Philosophie die sogar neue Wörter geschaffen werden, wie In den 1970er-Jahren entstand auch die Pride- und ist beim französischen „Entbindungspfleger“ oder „Hausmann“ für Bewegung, die 1969 mit dem Stonewall-Auf- Außenministerium als „ männliche Hebammen und Hausfrauen. stand in New York ihren Ausgang nahm. Die Übersetzerin tätig. Neben- Welle schwappte bis Europa: 1971 wurden in bei engagiert sie sich als [Es] [...] ist unzweifelhaft, dass diese Österreich gleichgeschlechtliche Beziehungen UNIVERSITAS-Jungmitglie- alte Ordnung der Geschlechter zwar legalisiert, seit 2004 ist Diskriminierung auf- dervertreterin und Präsiden- zurückgedrängt werden konnte, doch grund sexueller Orientierung gesetzlich verbo- tin des Clubs Alpbach Tirol. “ in vielen gesellschaftlichen Bereichen ten, seit 2019 ist die gleichgeschlechtliche Ehe auch in unserer Zeit weiterwirkt. möglich und seit 2020 gibt es sechs Möglich- (Diewald und Steinhauer, 2019a:16) keiten für die Geschlechtsangabe im Personen- standsregister basierend auf dem Persönlich- In der Nachkriegszeit und vor allem ab der keitsrecht und der EMRK. Nach einer langen Frauenbewegung der 1970er-Jahre erkämpften Geschichte der Pathologisierung und Diskrimi- © Raphael Renter / Unsplash Die Queer-Rechtsbewegung verzeichnet nach und nach politische Fortschritte und mehr Sichtbarkeit in der Gesellschaft.
12 UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 nierung ist der Kampf um Gleichberechtigung Was ist eigentlich geschlechtergerechte Spra- ein zentrales Anliegen für die Pride-Bewegung, che? Wie Lann Hornscheidt und Ja'n Samm- die sich durch große Dynamik und Vielfalt in la, zwei Fachpersonen in diesem Gebiet, es puncto Geschlechtsidentitäten auszeichnet. gut zusammenfassen, stecken dahinter zwei Das bekannte Akronym LGBTQIA+ verleiht dem Grundideen: genderfreie Sprache oder gender- bereits Ausdruck: Es geht um lesbische, schwu- inklusive Sprache. Durch erstere soll gar kein le, bisexuelle, transgeschlechtliche, queere, in- Geschlecht, durch letztere alle Geschlechter tergeschlechtliche, asexuelle und viele andere explizit angesprochen werden. In jedem Fall Menschen. Das Anliegen ist dabei nicht nur geht es darum, allen Geschlechtern sprachlich Inklusion und gegenseitiger Respekt, sondern gerecht zu werden. Und warum ist geschlech- auch das Finden neuer sprachlicher Mittel für tergerechte Sprache nötig? Um alle anzuspre- neue soziopolitische Realitäten und Identitä- chen und miteinzubeziehen, soziopolitische ten. Es gilt, geschlechterbasierte Stereotype Machtgefälle sichtbar zu machen, Bewusstsein aufzubrechen und starre binäre Kategorien bei zu schaffen und zur Gleichbehandlung aller bei- Gender und Sexualität zu hinterfragen. Katego- zutragen. Aktuell dreht sich die Diskussion im rien, auf denen auch die deutsche Sprache auf- Mainstream primär noch um Gendern entlang „ baut. Und damit kommen wir zur sprachlichen der binären, also männlichen und weiblichen Dimension der Thematik. Geschlechter. Jedoch ist die Frage des Genderns um einiges vielfältiger und betrifft eben auch Sprache hat die Aufgabe, die Wirklichkeit geschlechtsdiverse Identitäten. Da die Diskus- abzubilden. Die gesellschaftliche sion häufig noch im binären Geschlechtsver- Wirklichkeit passt heute vielfach aber ständnis begründet ist, bestehen Aufholbedarf nicht mehr zum traditionellen Sprach- und der Bedarf für Bewusstseinsbildung. gebrauch wie z. B. dem geschlechts- übergreifenden Maskulinum, deshalb Aus linguistischer Perspektive grundlegend entwickelt die Diskussion um für die Thematik von geschlechtergerechtem “ geschlechtergerechte Sprache gerade Deutsch sind die Kategorien Genus (grammati- auch eine so starke Dynamik. sches Geschlecht), Gender (soziales Geschlecht) (Müller-Spitzer 2021:6) und Sexus (biologisches Geschlecht). Die zen- trale Frage der geschlechtergerechten Sprache ist, in welcher Beziehung Gender, Sexus und 2. Die deutsche Sprache und Genus zueinanderstehen. Also welchen Einfluss das grammatische Geschlecht auf mentale Re- Geschlechtergerechtigkeit präsentationen und somit unser Denken sowie Stereotype hat.2 Konkret geht es dabei stets um Diskriminierung hat viele Formen und schlägt das generische Maskulinum, das im Deutschen sich auch im Sprachgebrauch nieder. Deshalb nach wie vor dominant ist und, wie bereits er- vermeiden wir im Regelfall beleidigende Be- wähnt, seit den 70er-Jahren immer schärfer zeichnungen und üben uns in Political Correct- aus feministischer und nun auch LGBTQIA+- ness. Um diskriminierungsfrei zu kommunizie- Perspektive kritisiert wird. ren und neuen gesellschaftlichen Entwicklungen 2 Auch jenseits der Sprache ist unsere gerecht zu werden, achten immer mehr Men- Um die deutsche Linguistin Carolin Müller-Spit- Gesellschaft stark von geschlechtsspe- schen, öffentliche Medien, Institutionen und zer (2021:1) zu zitieren: „Dreh- und Angelpunkt zifischen Stereotypen und Strukturen Organisationen – wie auch UNIVERSITAS – der Auseinandersetzung um geschlechterge- „ geprägt. Ein bekanntes Beispiel ist hier auf geschlechtergerechte Sprache. rechte Sprache ist das sogenannte generische das Gender-Marketing: blau und cool für Maskulinum. Es bezeichnet den Sprachge- Jungs, rosa und Glitzer für Mädchen. Sprache an sich diskriminiert nicht: brauch, dass männliche Bezeichnungen für Diese Art des Denkens ist in uns allen verankert und kann mitunter durch Sprache ist keine handelnde Person. alle Personen ‚gelten‘, d. h., dass z. B. Schüler geschlechtergerechte Sprache hinterfragt Diskriminierung findet im Gebrauch der eine neutrale Bezeichnung für Schüler*innen werden. Im Hinblick auf den Wandel Sprache statt, im Handeln von Menschen jeglichen Geschlechts sei [...].“ Ein häufiges von Gesellschaft und Sprache übrigens mittels Sprache. Diskriminierendes Argument für das generische Maskulinum ist, “ ironisch: Rosa war bis in die 1940er eine Sprachhandeln setzt ein Machtgefälle es sei natürlich und schon immer da gewesen. Jungenfarbe, Blau eine Mädchenfarbe und voraus. Das stimmt so nicht ganz; das generische Mas- Farbe der Jungfrau Maria. (Diewald und Steinhauer, 2019a:30) kulinum ist seither zwar dominant im Sprach-
UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 13 gebrauch, doch weibliche und andere Formen 3. Geschlechtergerechtes Deutsch gab es vorher auch schon, wenn auch weniger in Anwendung weit verbreitet, was den oben erwähnten his- torischen und gesellschaftlichen Umständen Eines sei gleich vorweggeschickt: Die goldene geschuldet ist. Das Wort „Studierende“ gab es Regel der geschlechtergerechten Sprache gibt beispielsweise schon im 18. Jahrhundert. Ab- es (noch) nicht. Das sorgt bei vielen, die tag- gesehen davon klammert das Argument der Na- täglich mit Sprache arbeiten, für Frustration. türlichkeit die Tatsache aus, dass Sprache sich Unlängst führte ich auf der Arbeit mit Kolle- in stetem Wandel befindet, der auf ihren Spre- ginnen eine Unterhaltung darüber, wie mühsam chenden und deren Sprechgewohnheiten ba- es sei, dass es beispielsweise allein zwischen siert. Selbst wenn das generische Maskulinum der Europäischen Kommission, dem deutschen also schon immer da gewesen wäre, könnte sich Auswärtigen Amt und dem Generalsekretariat dieser Umstand jederzeit ändern. der deutschen EU-Ratspräsidentschaft unter- schiedliche Leitfäden gibt. Dieses Sentiment Mit dem Zusammenhang zwischen generischem teilen viele. Auch der Duden und der Rat der Maskulinum – also einem Genus – und unserem deutschen Rechtschreibung, die weithin als Denken zu Geschlecht und Gender haben sich Autoritäten und verlässliche Quellen der deut- verschiedene Studien befasst. Sehr bekannt schen Sprache erachtet werden, geben hier ist beispielsweise eine Studie des belgischen keine definitiven Antworten. In dieser Hinsicht Psycholinguisten Pascal Gygax aus dem Jahr ist wichtig, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass 2008, laut deren Ergebnissen das grammatische Duden und Rechtschreibrat vor allem deskrip- Geschlecht die mentale Assoziationsrichtung tiv, nicht präskriptiv, agieren. Sie legen keine steuert: Personenbezeichnungen im generi- sprachlichen Vorschriften fest, sondern beob- schen Maskulinum werden oft – auch abhängig achten und dokumentieren den mehrheitlichen von Kontext und Anzahl – nicht geschlechts- Sprachgebrauch und dienen dann als Informa- übergreifend, sondern männlich interpretiert. tionsquelle. Obwohl etwa laut deutscher Recht- Anderen Studien zufolge besteht ein signifi- schreibung gewisse gendergerechte Schreib- kanter Zusammenhang zwischen Sprachen mit weisen mit Sonderzeichen (s. u.) aktuell nicht grammatischem Geschlecht und der Erwerbs- korrekt sind, heißt das nicht, das sie es nie sein „ beteiligung von Frauen in den entsprechenden werden. Ländern oder auch zwischen nicht gegenderten Stellenausschreibungen und der niedrigeren Dass die Umsetzung geschlechterge- Bewerbungsquote von Frauen. Natürlich gibt es rechter Sprache in ihrer Konsequenz auch Studien, die das Gegenteil behaupten. Je- variiert, zeigt auch, dass Sprecherinnen doch steht durch die uneindeutige Forschungs- und Sprecher von ihrer Freiheit lage fest: Das generische Maskulinum funktio- Gebrauch machen, selbst die Balance niert nicht immer oder für alle, selbst wenn es auszuloten zwischen Sichtbarmachung Frauen gibt, die sich durch die männliche Form von Geschlechterdiversität auf der “ angesprochen fühlen. Abgesehen davon ist das einen Seite und persönlichem ästhe- Anliegen der Geschlechtergerechtigkeit nicht tischem Empfinden auf der anderen. nur das Ansprechen aller, sondern das bewusste (Hartmann 2021, z.n. Müller-Spitzer, Sichtbarmachen und Vorgehen gegen sprachli- 2021:9) che Diskriminierung. Wie die Germanist*innen Diewald und Steinhauer (2021a:30) es ausdrü- cken: „Nicht-Nennung läuft auf Ignorieren hi- naus, wenn andere explizit benannt sind.“ © Visual Stories || Micheile / Unsplash Nach diesen theoretischen Überlegungen wen- den wir uns nun der entscheidenden Frage zu: Wie formuliere ich gendergerecht und was sind Alternativen für das generische Maskulinum?
14 UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 Diese sprachliche Vielfalt ist zugleich Zeugnis Im Folgenden nun ein Überblick über die gän- davon, dass die deutsche Sprache sich aktuell in gigsten und interessantesten Varianten, die einem tiefgreifenden Wandel befindet, der von übrigens auch abwechselnd in einem Text ver- unterschiedlichsten Akteur*innen geprägt ist. Der wendet werden können: oft bemühte Genderwahn oder die Befürchtung ei- ner Sprachpolizei ist dabei unbegründet: „Eine le- a. Doppelnennung (Lehrerinnen und Lehrer) bendige Sprache entwickelt sich im Wesentlichen durch Sprech- und Schreibhandlungen der an der Die Doppelnennung ist gängig, wird aber nicht Sprache Teilnehmenden.“ (Müller-Spitzer, 2021:3) immer empfohlen. Einerseits aus Gründen der Das heißt einerseits, dass Sprecher*innen, die Platznot, andererseits, weil sie lediglich binäre nicht gendern wollen, es im Regelfall nicht müs- Geschlechtsidentitäten explizit abbildet. Den- sen, außer beispielsweise aus beruflichen Grün- noch ist sie weit verbreitet.3 den. Andererseits heißt das aber auch, dass die aktuellen Debatten und neuen Formen in der b. Geschlechtsneutrale Formulierungen deutschen Sprache aus gutem Grund stattfinden (Lehrkraft) – nämlich, weil immer mehr Sprecher*innen an „ geschlechtergerechter Sprache gelegen ist. Strategien für diese Formulierungen sind alter- native Wörter (Lehrkraft), Umformulierungen Keine Regel einer Sprache gilt für alle (Person, die lehrt) oder die Substantivierung Zeiten. Zu allen Zeiten gibt es neue von Partizipien oder Adjektiven (Lehrende). Ein Ausdrucks- und Benennungsbedürfnisse, schönes Beispiel für eine geschlechtergerechte die in der Gemeinschaft der diese Spra- Anrede inklusive Doppelnennung stammt übri- che Sprechenden ‚ausgehandelt‘ werden gens von Bundespräsident Alexander Van der müssen. Neue Ausdrücke entstehen Bellen: „Sehr geehrte Damen und Herren und aber nicht durch Vorschriften, sondern alle Menschen, die hier leben“. sie ergeben sich durch vermehrte Ver- “ wendung innerhalb der Sprachgemein- c. Explizit geschlechtergerechte Formulie- schaft [...]. rungen (mit Sonderzeichen * : _ / ’) (Diewald und Steinhauer, 2019b:8) Kurzformen mit Sonderzeichen sind praktisch, Genau in dieser Hinsicht tragen Medien, Institu- platzsparend und werden mit einem Glottis- tionen und Fachleute wie etwa Translator*innen schlag ausgesprochen. Die beiden beliebtesten eine besondere Verantwortung, da sie den Dis- Varianten sind hier der Asterisk und der Dop- kurs maßgeblich beeinflussen und Bewusstsein pelpunkt. Der Asterisk (*) stammt ursprünglich schaffen können. Um zu erörtern, welche Vari- aus der Computerwissenschaft, kann aber gera- anten des geschlechtergerechten Deutsch gän- de im LGBT-Kontext auch auf diverse Gender- gig sind, habe ich im Zuge meiner Recherchen identitäten verweisen. Der Doppelpunkt ( : ) unter anderem Medien wie den ORF und den ist stark im Kommen und hat im Gegensatz Standard kontaktiert und Leitfäden von der EU, zum Asterisk den Vorteil, dass Screenreader- deutschsprachigen Ministerien, Universitäten Software (beispielsweise für Sehbehinderte) sowie anderen Institutionen konsultiert. Zwi- ihn korrekt als kurze Sprechpause liest. Auch schen ihnen gibt es Parallelen und Differenzen. den Gender-Gap ( _ ), durch den physisch Platz In allen ist jedoch die Empfehlung zu finden, für mehr Identitäten im Wort geschaffen wird, das generische Maskulinum so weit wie mög- trifft man häufig an. lich zu vermeiden. Das Binnen-I wird aufgrund seiner Binarität nicht mehr als zeitgemäß be- d. Pronomen 3 Übrigens: Bei zusammengesetzten trachtet. Des Weiteren wird generell dazu an- Wörtern kommt es laut Diewald und Stein- geregt, Überlegungen zum jeweiligen Kontext Da das Deutsche im Gegensatz zum Englischen hauer (2019a:60–63) darauf an, ob das und Kommunikationszweck anzustellen und nicht auf Wörter wie „they“ zurückgreifen kann, Wort Abstrakta oder spezifische Personen die vier Prinzipien der Barrierefreiheit zu be- stellen geschlechtsneutrale Pronomen eine He- bezeichnet. Der Bürgersteig könne so der rücksichtigen: wahrnehmbar (hörbar), bedien- rausforderung dar. Mögliche Alternativen sind Bürgersteig bleiben oder auch zum Gehweg bar (technologisch), verständlich und robust Paraphrasen oder das Verwenden des Namens werden, bei der Lehrerschaft sieht es (mit Zukunftsperspektive). der Person. Im Idealfall fragt man die betref- anders aus. fende Person nach ihren Pronomen.
UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 15 e. Genderfreie Sprachveränderungen und Pronomen Das ist ein besonders spannendes, wenn auch wohl (noch) nicht mehrheitsfähiges Gebiet, auf dem dens deutschens Linguistens und Sprach- aktivistens Lann Hornscheidt sehr bekannt ist. Hornscheidt (2021:53) hat das ens-System als genderfreie Variante des Deutschen entwickelt, bei der nicht als solches umformuliert, sondern eher umdekliniert wird: „Ens ist der Mittelteil aus Mensch [...] und kann [...] an Substanti- ve angehängt oder als Pronomen verwendet werden.“ Mit dieser Idee ist Hornscheidt nicht © Jenni Zeller allein – zahlreiche Lai*innen und linguisti- sche Fachleute der nichtbinären Community befassen sich intensiv damit, sprachliche Mittel dafür zu finden, ihrer Geschlechtsidentität auf Die deutsche Sprache durchläuft aufgrund der Frage der Geschlechtergerech- neue Weise Ausdruck zu verleihen. Allein auf tigkeit einen tiefgreifenden Wandel, der sich durch verschiedenste sprachliche der Nichtbinär-Wikipedia (nibi.space) finden Formen, Leitfäden und Perspektiven äußert. sich über 20 verschiedene Pronomen und ähnli- che, unterschiedlich raffinierte Sprachsysteme. Die Vorschläge „sier“ und „xier“ sind vermutlich emotional aufgeladen und basiert auf unter- Zitierte Quellen am bekanntesten. Diese Systeme mögen für vie- schiedlichsten Lebensrealitäten. Daher ist es le als kompliziert und unrealistisch erscheinen, im Sinne einer sachlichen und fruchtbringen- Diewald, Gabriele und Anja sind aber aus (populär-)linguistischer Perspek- den Diskussion sowie diskriminierungsfreien Steinhauer (2019a). Hand- tive interessant. Zudem verfolgen sie bewusst Kommunikation wichtig, sich durch Recher- buch geschlechtergerechte die Absicht, zu irritieren und so zum Nachden- chen und im Dialog mit anderen zu informieren Sprache. Wie Sie angemes- ken anzuregen – mit Erfolg. und dazuzulernen. In der Translationsbranche sen und verständlich gen- im Besonderen wäre ein Austausch zwischen dern. Berlin: Dudenverlag. Wie schon gesagt gibt es keine goldene Regel Translator*innen, technologischen Fachleuten, für ein geschlechtergerechtes Deutsch. Momen- Kund*innen, Institutionen und der LGBTQIA+- Diewald, Gabriele und Anja tan beschränkt sich die Festlegung des Sprach- Community wichtig, um einerseits die Bedürf- Steinhauer (2019b). Gen- gebrauchs in dieser Hinsicht auf spezifische nisse und Fragen der einzelnen Akteur*innen dern – ganz einfach! Berlin: Kontexte, deren Richtlinien und das, was am zu kommunizieren und andererseits das gegen- Dudenverlag. weitesten verbreitet ist. Auch UNIVERSITAS seitige Verständnis zu fördern. Gerade dank tüftelt derzeit an solchen Empfehlungen. Freundschaften mit nichtbinären Personen habe Hornscheidt, Lann und Ja'n ich persönlich auch zur Thematik gefunden und Sammla (2021) Wie schrei- 4. Abschließende Gedanken zu seitdem viel gelernt. Zum Beispiel auch, dass be ich divers? Wie spreche geschlechtergerechtem Deutsch Geschlechtergerechtigkeit auch in anderen ich gendergerecht? Ein Sprachen ein großes Thema ist – dazu aber in Praxishandbuch zu Gender „ und der Gender-Debatte einem Mitteilungsblatt im nächsten Jahr mehr. und Sprache. Hiddensee: w_orten & meer. „Gibt es nichts Wichtigeres als die Genderei?“, Wir verstehen Sprache als eine ganz ist eine gängige Frage in Zeiten des Klimawan- zentrale Handlungsmöglichkeit. Spra- Müller-Spitzer, Carolin dels und der Globalisierung. Da mag wohl etwas che wird von allen überall und immer (2021). „Geschlechterge- dran sein. Aber geschlechtergerechte Sprache verwendet – und kann kontinuierlich rechte Sprache: Zumutung, hindert uns ja nicht daran, auch anderen wich- neu gestaltet werden. Dies respektvoll Herausforderung, Notwendig- tigen Dingen nachzugehen. Sprache, Denken, und diskriminierungskritisch zu tun, keit?“, in: Leibniz-Institut Politik und Gesellschaft sind zudem eng mit- indem der eigene Sprachgebrauch über- für Deutsche Sprache (ed.) “ einander verwoben und befinden sich in ste- dacht und verändert wird, liegt in der (Jg. 37, Nr. 2), 1–12. tem Wandel. Einen solchen Wandel erleben wir Hand jeder einzelnen Person. Verfügbar unter: https://doi. in sprachlicher Hinsicht momentan besonders (Hornscheidt und Sammla, 2021:16) org/10.14618/sr-2-2021- intensiv. Das Thema ist komplex, vielfältig, muel, Stand: 25.10.2021.
16 UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 „ONE SIZE FAILS ALL“ – ODER DIE (NICHT IMMER GANZ UNKONTROVERSE) FUNKTION UNSERER SPRACHE ALS SPIEGEL DER GESELLSCHAFTLICHEN VERHÄLTNISSE Bettina Schreibmaier-Clasen A ls ich im Sommer dieses Jahres die vor allem auch einem breiteren Publikum außer- Einladung zum Workshop Gender- halb unserer wohlwollenden Bubble zugänglich FairMT erhielt, hatte ich noch keine gemacht werden kann. Nicht unerheblich vor Vorstellung davon, welche vielsei- allem für die Seite der professionellen Überset- tigen Einblicke und welch bereichernder Aus- zung, die ich bei dieser Gelegenheit vertreten tausch mich von 15. bis 17. September 2021 durfte, war aber auch die Erkenntnis, dass wir an der TU Wien erwarten würden. Die Lernkurve als Sprachmittler*innen auch in diesem Bereich war zweifellos steil und begann schon damit, eine Vermittler*innenrolle einnehmen. dass man sich zu Beginn der Veranstaltung das © weissphotography Pronomen aussuchen sollte, mit dem man sich Eine Vorstellung der ersten Ergebnisse hat im identifiziert: Neben „sie” und „er” gab es auch Rahmen einer Podiumsdiskussion am 17. Sep- für mich noch so ungewohnte Pronomen wie tember 2021 auf dem Erste Campus stattgefun- beispielsweise „hen“, „nim“ oder „xier“ – ein den. Mit unseren Überlegungen stehen wir noch erster Vorgeschmack darauf, dass das mit der ganz am Anfang und es wird noch viel Arbeit, Bettina Schreibmaier-Clasen geschlechterinklusiven Sprache gar nicht so vor allem aber auch Überzeugungsarbeit brau- arbeitet als freiberufliche einfach ist … chen, um dem Thema der Geschlechterinklusivi- Übersetzerin für die Spra- tät das gesellschaftliche Gehör zu verschaffen, chen Deutsch, Spanisch und Für eine erste Beratschlagung zum Status quo das es verdient. Englisch von Wien aus für und der weiteren Vorgehensweise bei dieser The- Kund*innen in verschiede- matik waren wir aber mit Vertreter*innen aus der Im Folgenden finden Sie nun eine stark gekürz- nen Teilen der Welt. Seit Queer Community, dem Machine-Learning und te Version der offiziellen Presseaussendung, der 2021 ist sie Generalsekre- auch der professionellen Übersetzung bestens vollständige Text ist auf unserem Blog zu fin- tärin von UNIVERSITAS aufgestellt. An drei Tagen haben wir uns gemein- den. Herzlichen Dank an Dagmar Gromann für Austria. sam von Problemen über Utopien und Wünsche ihren unermüdlichen Einsatz und dafür, dass sie bis hin zu konkreten Maßnahmen vorgearbeitet, uns als Berufsverband die Möglichkeit gibt, Teil wie diese Thematik in Angriff genommen und dieser spannenden Entwicklung zu sein! U nterschiede in Medienberichterstattungen über nichtbinäre Personen, wie kürzlich anlässlich des Coming-outs von Demi Lovato In der Forschung und Praxis der Sprachtech- nologien wird das Thema der Diskriminierung zwar thematisiert, aber meist auf ein binäres als nichtbinär, zeigen noch große Unsicherhei- Geschlechterverständnis (männlich/weiblich) ten im deutschen Sprachraum zum Thema der beschränkt. Aber welche Strategie wählen geschlechterinklusiven und/oder geschlechter- für eine genderfaire Sprache? „Leser:innen“, neutralen Sprache. Ebenso bestehen Zweifel im „Leser*innen“, „Leser_innen“, „Leser’innen”, Bereich der Sprachdienstleistung, welche gen- „Lesxs“, „Les**“, „Lesens“ oder eine ganz an- derfaire Sprachstrategie gewählt werden soll, dere Strategie? zum Beispiel in der Übersetzung und Dolmet- schung ins Deutsche und aus dem Deutschen.
UNIVERSITAS Mitteilungsblatt 4/21 17 Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, haben rum keine starke Präferenz für die Art des Son- Forscher*innen der Universität Wien, TU Wien, derzeichens haben, als erste und unterste Stufe FH Campus Wien und FH St. Pölten, unterstützt der genderfairen Sprache identifiziert werden. durch das Center for Technology and Society In Hinblick auf die oberste Stufe oder das zu (CTS), einen dreitägigen partizipativen Work- erreichende Ziel gab es verschiedene Ideen, von shop mit einer abschließenden Podiumsdiskus- geschlechtsneutralen Neo-Pronomen und der sion organisiert. Gemeinsam mit Expert:innen „-ens“-Strategie (zum Beispiel „Lesens“) bis aus der nichtbinären und queeren Communi- hin zu geschlechtsinklusiven Strategien, wie ty, aus Übersetzung und aus der Sprachtech- etwa die Einführung der Sylvain-Konvention. In nologie haben wir das Thema der genderfairen diesem System wird ein neues Geschlecht, und Sprache und genderfairen Sprachtechnologie zwar das Indefinitivum (auch „liminales Ge- erörtert, mit besonderem Fokus auf der maschi- schlecht“ genannt), in die Sprache eingeführt nellen Übersetzung (MT). (zum Beispiel wird neben „der Mann“ und „die Frau“ zusätzlich „din Lim“ eingeführt). In Hinblick auf bestehende Probleme wurden sehr pragmatische Themen besprochen, von Als Hauptkriterien für die Wahl der Strategie häufiger Unterwellung von genderfairer Spra- wurden Niederschwelligkeit, Praktikabilität che durch Rechtschreibprüfungen bis hin zu und Universalität gesehen. Eines der wich- Zweifeln an der Lesbarkeit und Verständlichkeit tigsten Kriterien ist die Möglichkeit, über und einiger Strategien, insbesondere für Sprach- mit Personen sprechen zu können, ohne deren lernende oder Menschen mit Lesebeeinträchti- Geschlechtsidentität preisgeben zu müssen, gungen. Zusätzlich kann die Wahl der genderfai- also eine Strategie des „Nicht-Outings“. Wei- ren Sprachtechnologie auch von technischen Ein- ters sollte die gewählte Strategie eine hohe schränkungen beeinflusst werden, zum Beispiel Lesbarkeit, Verständlichkeit und Erlernbar- hat das Gendersternchen eine Funktion in der keit für Sprachlernende bieten. Außerdem ist Markdown-Syntax (nämlich Text zu kursivieren). es essenziell, dass die Strategie niederschwel- lig in Hinblick auf die Aussprache ist. Haupt- Innerhalb der Beteiligtenkreise wurden geteilte kriterium aus technischer Sicht ist, dass die Utopien zum Thema greifbar in Form einiger konkreten Einschränkungen der Umsetzbarkeit Flipcharts (nichtbinärer und queerer Personen- berücksichtigt werden sollten, zum Beispiel li- kreis), des Lego-Einhorns Leonda, the Gender mitierte Zeichenlänge in bestimmten Kontexten Avenger (MT-Expert*innen) sowie des eierle- wie Benutzer:innenoberflächen, bereits existie- genden Wollmilch-Ich-bin-ichs mit nims Stu- rende Belegung von bestimmten Zeichen mit fenprozess (professionelle Übersetzer*innen) konkreten Funktionen, besonders beim Gender- dargestellt. Die letzten beiden Personenkreise sternchen, und explizite Klarheit über die zu haben besonders die Notwendigkeit einer Stan- verwendende Sprache in allen Kontexten. dardisierung mit gewisser Flexibilität und einer möglichen offiziellen Anlaufstelle für Fragen Abschließend geht als Ergebnis des Workshops zur genderfairen Sprache hervorgehoben, zum deutlich hervor, dass diese Initiative als inter- Beispiel eine Art „Helpline“. Dahingegen reflek- und transdisziplinäre multiprofessionelle Team- tiert die Utopie der nichtbinären und queeren arbeit fortgeführt werden soll und wird. Teilnehmx eine harsche Gegenwart: Gewünscht werden die Möglichkeit für Veränderung und Dynamik, mehr Respekt und Sensibilität und „einfach nur sein können!“. Der gesamte Text kann auf unserem Blog nachgelesen werden: Bei der Auffindung von konkreten Strategien https://xl8.link/df5p8d zur genderfairen Sprache hat sich eine deut- liche Präferenz für ein stufenweises Modell ab- gezeichnet, das eine schrittweise Einführung neuer sprachlicher Strategien ermöglicht. Gene- rell konnte die Verwendung von Sonderzeichen, wobei sich einige Teilnehmys für das Gender- sternchen ausgesprochen haben, andere wiede-
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