5 Die Rolle des Verbrauchers in der Wertschöpfungskette
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Landbauforschung – Sonderheft 330 (2009) 99 5 Die Rolle des Verbrauchers in der Wertschöpfungskette 1 Prof. Dr. Monika Schreiner Für die Betrachtung der Rolle des Verbrauchers Derzeit ist eine Vielzahl von Food-Trends auf in der Wertschöpfungskette werden in diesem dem Markt erkennbar, die zum Teil widersprüch- Kapitel exemplarisch das Verbraucherverhalten, liche oder zumindest unterschiedliche Verbrau- die Trends und die Vermarktungsstrategien aus cherpräferenzen zufriedenstellen, wie beispiels- dem Food-Bereich dargestellt und diskutiert. Ge- weise Functional Food, Nature Food, Ethic Food, rade dieses Spektrum an gartenbaulichen Pro- Convenience Food, Hand Held Food, Light Pro- dukten zeigt eine ausgesprochen starke Dyna- dukte oder Clean Food, um nur einige zu nen- mik sowohl in den Verbraucherpräferenzen als nen. Gemüse und Obst sind bei allen diesen auch in der Marktentwicklung, assoziiert mit der Food-Trends essentielle Bestandteile, da sie ka- Ausbildung stark ausgeprägten, sehr verschie- lorienarm sind und nachweislich gesundheitsför- denartigen Trends. Für die Unternehmen und dernde Inhaltsstoffe aufweisen. Food-Trends das Marketing der Zukunft sind diese Verände- sind die Reaktion auf die vielfältigen Ernäh- rungen bedeutsam. Der Grund dafür ist, dass die rungswünsche und auch Ernährungsprobleme, Verbraucher nicht mehr nur unspezifisch nach die sich aus dem Wandel gesellschaftlicher Produkten suchen, die irgendwie zu ihnen pas- Rahmenbedingungen ergeben und die zu einem sen, sondern ganz gezielte Produktangebote Angebot an Lebensmitteln führt, das die spezifi- wünschen, die ihnen in ihrer aktuellen Lebenssi- schen Verbraucherwünsche erfüllt und konkrete tuation behilflich sind. Dies gilt insbesondere für Lösungsstrategien bei Ernährungsproblemen die Lebensmittel Obst und Gemüse, die in immer anbietet. wieder neuen Be- und Verarbeitungsformen an- geboten werden. 5.2 Verbraucher und Lebensstile 5.1 Verbraucher und ihre Präferenzen Die heutige Gesellschaft in der westlichen Welt ist nicht mehr durch Kasten oder Klassengesell- Es hat sich gezeigt, dass es nicht den einen uni- schaften charakterisiert, die eine schichtspezifi- formen Verbrauchertyp gibt, sondern ganz viel- sche Wertevorstellung bestimmen. Auch die so- fältige Verbrauchergruppen mit sehr unterschied- zialen Schichten, bestimmt durch Bildungsgrad, lichen Wünschen und Vorlieben. Auch unterlie- Beruf und Einkommenshöhe, haben ihre starren gen Verbraucherpräferenzen einem ständigen Abgrenzungen im Hinblick auf Werthaltungen gesellschaftlichen Wandel (Karmasin, 2007). So und Lebenseinstellungen verloren (Hradil, 2001). führt beispielsweise das gesteigerte Gesund- Auch weitere soziodemographische Kriterien wie heits- und Umweltbewusstsein in allen Bereichen Alter, Geschlecht, Größe des Haushalts oder des gesellschaftlichen Lebens zu neuartigen Anzahl der Kinder erklären in zunehmendem Verbraucherwünschen und Produktanforderun- Maße das Verbraucherverhalten und die gen. Damit stellt sich die Frage also auch nach Verbraucherpräferenzen nur noch unzureichend. den Qualitätseigenschaften, die als Summe das Im Gegensatz sind es heutzutage die Lebenssti- Qualitätsprofil eines Produktes bilden. Die Quali- le, die das Verbraucherverhalten in der westli- tätseigenschaften, welche die spezifischen chen Gesellschaft prägen. Als Lebensstil wird ein Verbraucherwünsche befriedigen und somit auch relativ stabiles, regelmäßig wiederkehrendes die neuen Ansprüche der Verbraucher an die Muster der alltäglichen Lebensführung verstan- Qualität gärtnerischer Produkte erfüllen, ergän- den – ei n Ensemble von Wertorientierungen, zen damit die vielfältigen Präferenzen der Einstellungen, Deutungen, Geschmackspräferen- Verbraucher. zen, Handlungen und Interaktionen, die aufein- ander bezogen sind (Geißler, 2002). Lebensstile sind dabei bereichsübergreifend, d. h. die Art der Lebensführung drückt sich in einer Vielzahl von 1 Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau Großbeeren und Erfurt e. V. (IGZ), Theodor Echtermeyer Weg 1, 14979 Großbee- ren, schreiner(at)igzev.de
100 Monika Schreiner: Die Rolle des Verbrauchers in der Wertschöpfungskette Lebensbereichen aus, wie z. B. Familie, kulturel- So ist es möglich, verschiedene Lebensstil-Typen le Interessen, Arbeit und Politik mit einem zu definieren, die sich durch spezifisches Kon- Schwerpunkt im Freizeit- und Konsumbereich. sumverhalten und bestimmte Verbraucherwün- Zudem sind Lebensstile identitätsstiftend und di- sche charakterisieren (Dziemba et al., 2007): stinktiv. Sie schaffen individuelle oder auch kol- – Junge Verbrauchergruppen (CommuniTeens, lektive Identitäten, weil sich Verbraucher oder Inbetweens, Young Globalists): Bereits im Al- Verbrauchergruppen mit einem bestimmten Mus- ter zwischen 10 und 14 Jahren beginnen die ter der Lebensführung identifizieren. Dabei ma- Teenager heute ihre nahezu selbstständige chen Individualisierungstendenzen den Einzel- Beteiligung am Konsumsektor (Heinz, 2001). nen immer freier, sich für den einen oder ande- Gruppen junger Verbraucher agieren mit in- ren Lebensstil zu entscheiden. tensivem Networking, sind auf der Identitäts- Wenn Lebensstile zunehmend die Verbraucher- suche, finden in Job und Karriere ihre Erfül- präferenzen prägen, so hat dies natürlich auch lung. Sie kaufen bevorzugt auf Online- Auswirkungen auf das Konsumverhalten. Da- Plattformen, sie bevorzugen Rund-um-die- durch lässt sich heute beispielsweise über das Uhr-Angebote und legen Wert auf Qualität. rein biologische Alter im Hinblick auf Wünsche, – Mid-Ager-Verbrauchergruppen (Very Impor- Bedürfnisse und Kaufentscheidungen des tant Baby-Familie, Super-Daddys, Tiger- Verbrauchers nur noch wenig aussagen (Dziem- Ladys): Die Rollen zwischen Frauen und ba et al., 2007). Dies führt zu Veränderungen in Männern werden neu verteilt, ebenso wird die der Verbrauchergruppenkonstellation. Verbrau- Rolle der Familie neu definiert. Dieser Identi- chergruppen müssen jetzt vor dem Hintergrund täts-Switch verändert das Konsummuster und der zunehmenden biographischen Freiheit gese- die Produktpräferenzen. Eingekauft wird Ser- hen werden und unter dem Einfluss des Mega- vice auf allen Ebenen. Mid Ager sind quali- trends Individualisierung stärker in Bezug zum täts- und markenbewusst und geben dafür gesellschaftlichen Wandel gesetzt werden. Die viel Geld aus. Wohlfühlen und Convenience klassische Biographie – als linearer Ablauf von sind wichtige Aspekte dieses Lebensstils. Jugend (als Ausbildungszeit), Berufstätigkeit und – Best-Ager-Verbrauchergruppen (Silverpre- Familienzeit (als Reproduktionsphase) sowie neure, Super-Grannys, Greyhopper): Immer Ruhestand – wird zur Multigraphie (Dziemba et mehr ältere Bürger sind auch im Alter aktiv. al., 2007). Jugend, Berufstätigkeit und Ruhe- Damit wird Altern zum zweiten Aufbruch. Die stand werden durch andere, neue Biographie- Rente wird zur Durchgangsstation auf dem phasen ergänzt. Zwischen Jugend und Erwach- Weg zu neuen Aufgaben. Die Senioren sind senendasein schiebt sich die Postadoleszenz als erfahrene und kritische Konsumenten, die „Zeit des Ausprobierens, der Selbstfindung und großen Wert auf Qualität und Service legen, Ausprägung der individuellen Eigenschaften“. aber auch zunehmend auf gesundheitliche Familien werden später gegründet. Durch eine Aspekte der Ernährung Wert legen (Karma- umfangreichere Ausbildungsphase wird länger sin, 2007). an einem jugendlichen Lebensstil festgehalten. Zwischen Berufstätigkeit und Ruhestand kommt es zur Phase des zweiten Aufbruchs. Damit ein- 5.3 Verbraucher- und Food-Trends her gehen berufliche Neuorientierungen und neue Partnerschaften. Dabei handelt es sich um Wenn sich soziale Milieus auflösen und die klas- eine bewusste Neuorientierung. Der Ruhestand sische Biographie durch Multigraphien ersetzt wird zum Unruhestand (Dziemba et al., 2007). wird, entscheiden nicht mehr Klassenzugehörig- Während die klassische Biographie einen linea- keiten über das Konsumverhalten, sondern die ren, quasi vorgeschriebenen Verlauf einnimmt, unterschiedlichen Lebensstile. Ausgerichtet auf ist die Multigraphie sehr vielfältig. In der Multi- das heterogene Konsum- und Anspruchsverhal- graphie treten anstelle eines einzelnen, lebens- ten der verschiedenen Lebensstil-Typen bedient langen Berufes mehrere Job- und Branchen- eine Fülle an Food-Trends die daraus resultie- wechsel bzw. ein Nebeneinander verschiedener renden unterschiedlichen Verbraucherpräferen- Beschäftigungsformen. Gleiches gilt für die Part- zen. nerschaft. Nicht nur eine Eheschließung, son- dern mehrere Partnerschaften werden einge- gangen.
Landbauforschung – Sonderheft 330 (2009) 101 Die Lebensmittelindustrie hat die Bedeutung des carotinoidreichen Frischprodukten und damit ei- Lebensstils und der damit einhergehenden Iden- ner erhöhten Aufnahme an sekundären Pflan- tifikation des Verbrauchers längst erfasst. Sie re- zenstoffen gesundheitsfördernde Wirkungen auf- agiert mit ihrem Produktangebot auf die Lifestyle- treten (Wise et al., 1996; Verhoeven et al., 1997; Vorstellungen der Verbraucher. Hier ein Beispiel: Müller et al., 1999; Watzl, 2002). So führten z. B. ein mit natürlichen Antioxidantien aus roten erst erhöhte tägliche Verzehrsmengen an gluco- Trauben und Rooibos angereichertes Getränk sinolatreichem Gemüse wie 400 g Weißkohl oder wirbt mit dem Slogan „Think what you drink“ 500 g Brokkoli zu erhöhten Gehalten an Cate- (Ipsei von Coca-Cola). Damit wird dem Verbrau- chol-Östrogen, die das Auftreten von Brustkrebs cher impliziert, Du bist was Du trinkst. Das Ge- deutlich vermindern (Watzl, 2001). tränk wird somit zum Ausdruck der Persönlich- Da diese Mengen an sekundären Pflanzenstof- keit. fen in der Regel nicht täglich aufgenommen wer- Im Folgenden sollen einige aktuelle Food-Trends den, wird als diätetische Vermeidungsstrategie und die Möglichkeiten, die sich dadurch für die von Krebs und cardiovaskulären Erkrankungen Vermarktung gartenbaulicher Produkte ergeben, derzeit neben einer niedrigen Fettaufnahme und dargestellt werden. einem moderaten Alkoholgenuss ein Verzehr von Lebensmitteln – also auch von Gemüse und Obst – mit erhöhten Gehalten an sekundären 5.3.1 Functional Food Pflanzenstoffen empfohlen (Erbersdobler, 2003; Die meisten Käufer von funktionellen Lebensmit- Boeing et al., 2004). Auf diese Weise könnte un- teln lassen sich Verbrauchergruppen, wie den ter Berücksichtigung der gegenwärtigen Ernäh- Mid Agers und lebensälteren Verbrauchern, die rungsgewohnheiten die Versorgung mit protekti- Wert auf Gesundheit und Wellness legen, zuord- ven sekundären Pflanzenstoffen verstärkt wer- nen. Gesundheitsbewusste Ernährung ist in den den (Spiekermann, 2002; Brovelli, 2006). Industrieländern zu einem der wichtigsten ge- Dabei könnte eine erhöhte Aufnahme an ge- sellschaftlichen Trends geworden (Farkas, sundheitsfördernden sekundären Pflanzenstoffen 2001). Die Ernährung wird zunehmend als Mög- nicht nur durch den Verzehr von Frischgemüse lichkeit für eine aktive, positive Beeinflussung der und Frischobst, das mit sekundären Pflanzen- Gesundheit angesehen (Erbersdobler, 2003). stoffen angereichert ist, erfolgen. Gemüse und Daher spielen gesundheitliche Aspekte bei der Obst könnten auch als pflanzliche Rohstoffe für Kaufentscheidung von Lebensmitteln eine immer präventiv gesundheitsfördernde, funktionelle wichtigere Rolle (Rechkemmer, 2001). Knapp die Gemüse- und Obstprodukte (z. B. Fertiggerichte Hälfte aller Haushalte in Deutschland achtet auf wie Gemüsesuppen oder Tiefkühlgemüse und gesunde Ernährung (Dölle, 2007). -obst) verarbeitet werden, zur Beimischung in In zahlreichen epidemiologischen Studien wurde anderen funktionellen Lebensmitteln, wie etwa eine inverse Beziehung zwischen dem Gemüse- Müsliprodukten, dienen oder als Basis für Nutra- und Obstverzehr und dem Auftreten von chro- ceuticals verwendet werden. nisch-degenerativen Erkrankungen des Men- Es werden derzeit Kultur- und Nachernte- schen wie Krebs (Steinmetz und Potter, 1991, Managementsysteme zur Optimierung der Ge- 1996; World Cancer Research Fund/American halte an sekundären Pflanzenstoffen bei Gemü- Institute of Cancer Research, 1997; Kris- se und Obst entwickelt (u. a. Cisneros-Zevallos, Etherton et al., 2002) und cardiovaskulären Be- 2003; Schreiner, 2005; Schreiner und Huyskens- schwerden (Ness und Powles, 1997; Law und Keil, 2006). So wurde die Tomate „Santessa“, Morris, 1998, 1999; Ness et al., 1999; Joshipura vermarktet als die Tomate mit einem Plus an Ly- et al., 2001; Bazzano et al., 2002; Kris-Etherton copin, von The Greenery auf dem Markt lanciert et al., 2002) nachgewiesen. Anhand von in vitro- (www.Thegreenery.com). Anhand der Werbe- Ansätzen, tierexperimentellen Befunden und kampagne wird sichtbar, dass insbesondere Humanstudien konnten deutliche Hinweise für Frauen wie Tiger-Ladys und Super-Grannys die eine protektive Wirkung von sekundären Pflan- Zielgruppe dieses Gemüseproduktes sind. Brok- zenstoffen ermittelt werden (Hauner und Watzl, koli-Sprossen, sogenannte Broccosprouts, wer- 2001; Watzl, 2001). den als protektives Lebensmittel auf dem Markt Humanstudien belegen jedoch, dass erst mit ei- beworben (www.brocco.nl), da diese außerge- ner erhöhten Verzehrsmenge von beispielsweise wöhnlich reich an dem antikanzerogen wirksa- glucosinolat- oder sulfidreichem Gemüse oder men, hydrolisierten Glucosinolat Glucoraphanin
102 Monika Schreiner: Die Rolle des Verbrauchers in der Wertschöpfungskette (Sulforaphan) sind (Fahey et al., 2007). Diese auch gesundheitsbewusste Verbrauchertypen Beispiele zeigen, wie Frischprodukte mit dem nutzen diese Möglichkeiten. Sie bevorzugen Zusatznutzen Gesundheitsförderung auf dem Mischsalate, Tiefkühlgemüse oder gekühlte Markt etabliert werden können. Weitere Beispiele Teigwaren (GFK, 2001). Erste Convenience- von verarbeiteten Lebensmitteln auf der Basis Produkte im Lebensmittelhandel waren Trocken- von Gemüse und Obst sind u. a. Fertigsuppen produkte, Tiefkühlprodukte und Fertigmahlzeiten (z. B. Knorr activ), Cerealien, angereichert mit für die Mikrowelle. Geradezu klassisch ist die Obst, das reich an Antioxidatien ist (z. B. Kluth) große Produktpalette an Tiefkühlgemüse. So ist oder Säfte mit Zusätzen aus natürlichen Antioxi- der Produktionswert des Gemüsebaus ein- datien (z. B. Gerolsteiner Linee). schließlich Verarbeitungsgemüse nach Angaben des BMELV in den Jahren 1999 bis 2007 von gut Diese Beispiele zeigen nicht nur die Bandbreite, 1,1 Mrd. € auf 1,8 Mrd. €, also um rund 64 % ge- sondern auch das Vermarktungspotenzial dieses stiegen (Abbildung 5.1). Produktsegments. Weltweit stellt der Markt für funktionelle Lebensmittel ein Wachstumspoten- zial von 230 Mrd. US$ dar. Das Umsatzvolumen liegt in Deutschland bei knapp 1 Mrd. €, Tendenz 2,0 1,82 1,82 steigend. Das Marktpotenzial wird auf 5,5 bis 1,8 1,68 6 Mrd. € geschätzt, was einem Anteil von 5 bis Produktionswert Gemüse (Mrd. €) 1,6 1,49 10 % der heutigen Gesamtausgaben für Le- 1,41 1,36 1,4 1,31 bensmittel entspricht. 1,27 1,2 1,14 Die Entwicklung protektiver Lebensmittel geht 1,0 jedoch noch weiter in Richtung personalisierte Ernährung. Ziel einer personalisierten Ernährung 0,8 ist es, die Ernährung auf den individuellen, 0,6 menschlichen Genotyp und Phänotyp zuzu- 0,4 schneiden, um dadurch ernährungsbedingten 0,2 Krankheiten, wie z. B. Diabetes, Osteoporose oder Erkrankung der Herzkranzgefäße, vorzu- 0,0 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 beugen (Kraus-Stojanowic, Schrezenmeir, 2007). Quelle: Ertragslage Gartenbau BMELV (versch. Jgg.). 5.3.2 Convenience Food Abbildung 5.1 Entwicklung des Produktionswertes von Gemüse Vor dem Hintergrund zunehmender Berufstätig- keit, insbesondere bei Frauen, der ansteigenden Singelisierung und steigender Überalterung der Der Verbraucherwunsch nach Frische, auch bei Bevölkerung in der westlichen Gesellschaft, ist Convenience-Produkten, wurde durch die Ent- Convenience Food ein anhaltender und stetig an wicklung von Chilled-Food-Produkten, wie z. B. Bedeutung gewinnender Food-Trend. Immer gekühlte Obst- und Gemüsesäfte, aufgenom- weniger Verbraucher wollen ihre Zeit mit auf- men. Heute will der Verbraucher jedoch neben wendigem Kochen verbringen. Einfach und Convenience auch gleichzeitig Geschmack, Ge- schnell soll die Zubereitung der Mahlzeit erfol- sundheit und Natürlichkeit, ideale Vorrausset- gen. Als Antwort darauf wurde Convenience zungen also für Gemüse- und Obst-basierte Food entwickelt, also bequem zuzubereitende Ready-to-Eat-Produkte (http://www.univeg.de/de/ und küchenfertige Gerichte. Angesprochene produkte/convenience.html). Beispiele dafür sind Verbraucher sind Berufstätige, Singles und eilige Fertigsalate (Salate in Verzehrschalen mit Dres- Konsumenten. Damit bedient dieser Food-Trend sing und Toppings), Frischobstsalate, Gemüse- fast alle Lebensstil-Typen. Nach den Ergebnis- mischungen (frisch oder tiefgefroren), marinier- sen der GfK-Studie Food Trends ist jeder fünfte tes Gemüse für Grill, Mikrowelle oder Wok, Deutsche als convenience-affin zu bezeichnen Obstsäfte aus frisch gepressten Früchten oder (GFK, 2001). Diese Gruppe nutzt nahezu jede Tiefkühlkräuter. Erleichterung, die ihm Lebensmittelindustrie und Hand Held Food ist die konsequente Weiterent- Schnell-Gastronomie bietet: fertige Dessertpro- wicklung der Convenience-Produkt-Philosophie dukte, Konserven, tiefgekühlte und andere Fer- (Rützler, 2005). Die Jobkultur in den industriali- tiggerichte, ebenso wie Imbissmahlzeiten. Aber sierten Ländern bringt es mit sich, dass immer
Landbauforschung – Sonderheft 330 (2009) 103 mehr Menschen ihren Hunger mit kleinen Hap- Lebensweise auf Gesundheit und Nachhaltigkeit" pen zwischendurch stillen. Die Auswahl an Hand – www.lohas.de). In den USA sollen ca. 30 % Held Food ist vielfältig – vom gesunden Gemü- diesem Verbrauchertyp entsprechen, in Deutsch- se- oder Obstsnack, wie z. B. essfertige Apfel- land sind es etwa 15 %. oder Ananasscheiben oder gewürfeltes Obst am Zu Nature Food gehören natürlich auch die Bio- Stiel, bis zum kalorienreichen Sandwich Produkte. Auf dem deutschen Markt führte ins- (www.lebensmittelnet.at). besondere der Einstieg großer Discounter in das Was liegt bei diesen Entwicklungen näher, als Bio-Sortiment zu relativ hohen Zuwachsraten die beiden Food-Trends Convenience Food und (Bien, 2006), wobei gut die Hälfte des Bio- Functional Food zu verbinden? Das beste Bei- Gemüses aus heimischer Erzeugung stammt spiel dafür ist der boomende Markt für (www.bio-markt.info). Der Handel hat sein Bio- Smoothies, dem Obst und Gemüse aus der Fla- Sortiment mit Konserven, Tiefkühlgemüse und sche. Im Gegensatz zu herkömmlichen Obst- Gemüsesäften spürbar erweitert (www.bio- und Gemüsesäften wird bei Smoothies das ge- markt.info). Die Käuferbasis wächst dabei konti- samte Frischobst oder Frischgemüse bis auf die nuierlich. Im Jahr 2004 lag die Zahl der Haushal- Schale und die Kerne verarbeitet. Basis der te, die zumindest einmal im Jahr Bio-Obst oder Smoothies ist somit das Fruchtmark oder Bio-Gemüse kaufen, noch unter 50 %. In 2007 Fruchtpüree. Somit sind im Vergleich zu her- zählten sich bereits gut zwei Drittel zu den Käu- kömmlichen Säften mehr Vitamine und andere fern von ökologisch erzeugtem Obst oder Gemü- ernährungsphysiolgisch wertvolle Inhaltstoffe in se. Die Käuferschicht ist seit 2004 also um den Smoothies enthalten, wie beispielsweise die knapp die Hälfte gestiegen (ZMP GmbH, Bonn, verschiedensten sekundären Pflanzenstoffe, http://www.zmp.de, 18.04.2008). Das spiegelt aber auch Ballaststoffe, wenngleich sie nicht die sich auch in zunehmenden Absatzmengen für Ernährungsdichte haben wie frisches Gemüse Bio-Gemüse und Bio-Obst wider (Abbildung 5.2): und Obst. Besteht ein Smoothie (Portion von 200 im Jahr 2008 wurde 23 % mehr Bio-Gemüse im bis 250 ml) mindestens zur Hälfte aus Mark, Pür- Vergleich zu 2005 gekauft, bei Bio-Obst sogar ree oder stückigen Bestandteilen, können da- 56 % mehr (Behr et al., 2009). durch gelegentlich bis zu zwei Portionen Obst bzw. Gemüse ersetzt werden (Deutsche Gesell- 140 schaft für Ernährung 2007). Bio-Gemüse Bio-Obst 120 Allein im letzten Jahr steigerte sich der deutsche Smoothie-Markt von 9 auf 40 Mio. € Umsatz 100 Absatzmenge (1.000 t) (Voß, 2008) und verdeutlicht damit das enorme Potenzial für den Obst- und Gemüsemarkt. 80 60 5.3.3 Nature Food Es gibt ebenso Verbraucher, die Geschmackser- 40 lebnisse jenseits der konfektionierten Lebensmit- 20 tel aus der Lebensmittelindustrie erleben wollen. Das bedeutet für diese Verbrauchergruppe un- 0 verarbeitete Frischware, die natürlich und um- 2005 2006 2007 2008 weltgerecht erzeugt ist. Geprägt von Lebensmit- Quelle: ZMP-Analyse 2009 auf Basis des GfK-Haushaltspanals. telskandalen und regelmäßigen Greenpeace- Meldungen über hohe Pflanzschutzmittelrück- Abbildung 5.2 stände wollen diese Verbraucher ethisch und Absatzmengen von Bio-Gemüse und Bio-Obst in ökologisch korrekte Lebensmittel, und damit Es- Deutschland sen mit gesundem Gewissen. Wie bei Conve- nience Food werden auch hier fast alle Lebens- stil-Typen angesprochen, insbesondere die Mid Der Verbraucherwunsch nach Nature Food findet Agers und Super-Grannys. Zu dem Verbraucher- neben Bio-Produkten auch seine Erfüllung in typ, der Nature Food bewusst kauft, gehören dem Angebot von Slow Food, was als bewusster auch die LOHAS (Lifestyle of Health and Sustai- Kontrast zu Fast Food zu verstehen ist. So spie- nability, was etwa bedeutet: "Ausrichtung der gelt Slow Food das Bedürfnis verschiedener
104 Monika Schreiner: Die Rolle des Verbrauchers in der Wertschöpfungskette Verbraucher nach der Authentizität meist regio- Neue Qualitätsprofile der gartenbaulichen Pro- nal erzeugter Produkte in einer globalisierten dukte müssen definiert und entwickelt werden, Welt wider. Hier erfolgt die Rückbesinnung zur lo- um die sich ändernden Verbraucherwünsche zu kalen Esstradition mit lokalem Obst und Gemüse erfüllen (Huyskens-Keil und Schreiner, 2003). Im mit der damit verbundenen Diversität des natürli- Hinblick auf die nachgefragten Inhaltsstoffe bei chen Lebensmittelangebots (www.slowfood.de; Obst und Gemüse hat sich beispielsweise ein Rützler, 2005). Spezifische regionale Produkte Einstellungswechsel vollzogen: den sekundären oder alte Kulturarten und -sorten sind klassische Pflanzenstoffen, die früher als toxisch galten, Beispiele dafür, um diese Gemüse- und Obst- werden heute funktionelle, d. h. gesundheits- produkte unter Slow Food zu vermarkten. So wirksame Eigenschaften zugesprochen. Diesen wird der Anbau und die Vermarktung u. a. von kommt durch das gestiegene Ernährungs- und Filder Spitzkraut, Alblinsen und der Champagner Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung eine Bratbirne durch das Slow-Food-Projekt „Die Ar- zunehmende Bedeutung zu (Watzl und Leitz- che des Geschmacks“ gefördert (Scholl und mann, 2005). So definiert sich die Qualität der Kress, 2007). derzeit stark nachgefragten Functional-Food- Produkte vorrangig über die enthaltenden bioak- Drei Viertel der Deutschen kaufen laut CMA am tiven Substanzen wie sekundäre Pflanzenstoffe liebsten heimische Produkte. 64 % sind zudem und Ballaststoffe. bereit, für den guten Geschmack eines Produk- tes mehr zu bezahlen, 45 % greifen für Lebens- mittel deutscher Herkunft gerne tiefer in die Ta- 5.4 Vermarktungsstrategien bei gartenbau- sche und für 37 % rechtfertigt der besonders gu- lichen Produkten te Nährwertgehalt von Lebensmitteln höhere Preise (Handelsmagazin, 2007). Damit wird Da neben soziodemographischen und psychi- deutlich, dass Nature Food ebenfalls ein Food- schen Faktoren immer stärker der Lebensstil den Segment ist, das zukünftig im verstärkten Maße Verbraucher und sein Produkterlebnis bestimmt, nachgefragt werden wird. Whole Foods, das in ist es auch konsequent, dass bei dem Produkt den USA ausschließlich Nature Food vermarktet, immer mehr die extrinsischen Eigenschaften bei weist ein Umsatzvolumen von 6,6 Mrd. US$ auf, der Vermarktung im Vordergrund stehen. Marke- Tendenz steigend (Haslauer, 2008). tingelemente wie Werbung, die Lebensstile kommunizieren, gewinnen immer mehr an Be- Die Betrachtung der unterschiedlichen Food- deutung (z. B. der Slogan „Weil Sie es sich wert Trends am Beispiel von Functional Food, Con- sind“) und führen zu dem gewünschten Kaufver- venience Food und Nature Food macht deutlich, halten. dass diese Trends zum einen pragmatische Lö- sungen für Ernährungsprobleme liefern (Functio- Der Multikonzern Unilever, stark vertreten auf nal Food, Convenience Food), zum anderen eine dem Food-Markt, verdeutlicht das ganz klar in persönliche, ethische Einstellung befriedigen seinen Werbebotschaften auf seiner Homepage (Nature Food). So können viele Food-Trends (www.unilever.de): „Sich gut fühlen, gut ausse- gleichzeitig auftreten, die auch teils widersprüch- hen und mehr vom Leben haben“. Gezeigt wer- liche Verbraucherpräferenzen erfüllen. den dynamische, aktive Leute, die mit sich und der Natur im Einklang sind. Im Verlauf der Persönlichkeitsentwicklung und bei dem Durchlaufen der Multigraphie verändert der Verbraucher oft auch seinen Lebensstil-Typ. 5.4.1 Marken bei Gemüse und Obst So wird der Verbraucher seine sich ändernden Wünsche durch wechselnde Bevorzugung der Wie können sich also gartenbauliche Produkte, unterschiedlichsten Food-Trends befriedigen. und dabei insbesondere frische aber auch verar- Verbraucheranforderungen unterliegen demnach beitete Gemüse- und Obstprodukte, auf dem hart einem starken Wandlungsprozess (Karmasin, umkämpften Lebensmittelmarkt behaupten? 2007). Somit unterliegt auch die an Kundenprä- Qualitätsdifferenzierung ist dabei angesichts des ferenzen orientierte Qualität eines gartenbauli- massiven Verdrängungswettbewerbs von über- chen Produktes – sei es Gemüse, Obst, Zier- legener Bedeutung (Pahnke-Leimbach, 2007). pflanze oder Ziergehölz – einem ständigen Um erfolgreich neue Produkte auf dem Markt zu Wechsel, der sich aus dem Wertewandel, be- etablieren, ist die Beantwortung der Frage ent- dingt durch Veränderungen gesellschaftlicher scheidend, für welche Zielgruppe das Produkt und persönlicher Rahmenbedingungen, ergibt. bestimmt ist, welche Verbraucherpräferenzen es
Landbauforschung – Sonderheft 330 (2009) 105 erfüllen soll und was die Neuartigkeit des Pro- Insbesondere Mid Agers gehören zu den Käufern dukts auszeichnet (Pahnke-Leimbach, 2007). In von Bio-Produkten, aber auch diese sind durch Zeiten zunehmender Marktsättigung und immer verschiedene Lebensstiltypen gekennzeichnet. homogener werdenden Produkt- und Leistungs- Somit wird eine Marktsegmentierung bei Bio- angeboten spielen dabei Marken eine wichtige Produkten zunehmend wichtiger. Nach Erb- Rolle (Bhagwati, 2008). Um gleichzeitig die gro- Weber (2007) ist Bio als ausschließliche Nutzen- ße Angebotsfülle zu ordnen und zu verstehen komponente nicht mehr ausreichend. Bio muss und damit eine Struktur im alltäglichen Leben zu kombiniert werden mit anderen Food-Trends wie besitzen, orientieren sich viele Verbraucher an Convenience Food, Functional Food oder Sen- Marken, u. a. von Herstellern oder dem Lebens- sual Food (Genuss). Auch die Etablierung von mitteleinzelhandel. Marken verbinden sowohl Bio-Premium-Marken ist eine Möglichkeit der physische als auch emotionale Qualität in den Bio-Segmentierung. Auf der Düsseldorfer Messe Produkten, die unter einem entsprechenden La- wurde Yanick+Fée für sein Bio-Engagement von bel angeboten werden. Markenartikel stehen für der renommierten Fachzeitschrift Lebensmittel Qualität, Zugehörigkeit, Identifikation und für Praxis als Biomarke des Jahres 2008 ausge- Profilierung versprechen damit einen gewissen zeichnet. Alle Produkte dieser Marke sind Bio- Status. Markenartikel steigern für gewisse zertifiziert und zeichnen sich durch Top-Quali- Verbraucher das Lebensgefühl. Es ist für sie ein täten aus (www.yanickfee.com). Mittel zur Selbstdarstellung (Bhagwati, 2008). 5.4.1.2 Premium-Marken bei Gemüse und 5.4.1.1 Bio-Marken bei Gemüse und Obst Obst Im Lebensmitteleinzelhandel wird eine Vielzahl Mit Gärtners Beste, Rio Grande und der Selecti- von Eigenmarken angeboten, die auch gleichzei- on Yacaran lancierte Edeka Premium-Marken im tig die wichtigsten Food-Trends abdecken. So Bereich Gemüse und Obst (www.edeka.de/ gibt es beispielweise bei Edeka die Marke Bes- EDEKA/Content/DE/ForYou/Eigenmarken) auf tes aus der Region mit dem Angebot regionaler den Markt. Karstadt offeriert in seinen Perfetto- Produkte. Zusammen mit dem Biolabel Bio Feinkostabteilungen unter der Premium-Marke Wertkost bedienen diese Marken den gesamten San Lucar Gemüse und Obst, das bei konse- Bereich des Nature Food (www.edeka.de/ EDE- quenter Selektion nach Qualität ausschließlich KA/Content/DE/ForYou/Eigenmarken). Aber auch reif und von der Hand geerntet wird Discounter wie z. B. Lidl (Bioness), Aldi (Aldi (www.perfetto.info). Ein weiteres Beispiel ist die Bio), Norma (Bio Sonne) oder Plus (BioBio) ha- Premium-Marke Saveol für Gemüse, die bei ver- ben sich mit ihren Bio-Marken den Biomarkt er- schiedenen Einzelhändlern im Sortiment aufge- schlossen. Dem gegenüber stehen Bio-Marken nommen wurde. Saveol-Gemüse stammt aus der von verschiedenen Herstellern wie Alnatura, Ba- Bretagne. Die Palette umfasst hauptsächlich sic – Bio-Genuss für alle, Bioland, Demeter, Er Tomaten in den verschiedensten Angebotsfor- Sol, Naturland, Pro Bio oder Dennree. Diese men (u. a. Strauchtomaten, auch als Cherry- Marken müssen, um sich von den Bio-Marken oder Cocktailtomate, Fleischtomaten), aber auch des Einzelhandels absetzen zu können, weitere Paprika, Gurken und Schalotten. Geworben wird Differenzierungsfelder zur Positionierung ihrer mit Gemüse für gehobene Ansprüche und einem Bio-Marke belegen, wie beispielsweise die regi- überzeugenden Geschmackserlebnis onale Herkunft, Güte der Rohstoffe, Produktions- (www.saveol.com). und Herstellungsverfahren, Rezepturen oder auch Qualitätsgarantien wie bei einem Gütesie- gel (Meyer, 2006). 5.4.2 Produktinnovationen bei Gemüse und Obst Bio-Produkte sind bei dem Verbraucher akzep- tiert. Der gesamte Bio-Food-Bereich boomt und Eine weitere Möglichkeit, sowohl die Verbrau- ist im Jahr 2008 in Deutschland auf ca. 6 Mrd. € cherpräferenzen gezielt zu erfüllen als auch der gestiegen (Erb-Weber, 2007). Bereits 24 % aller Marktsättigung von Standardgemüse oder -obst deutschen Haushalte legen Wert auf biologisch entgegenzuwirken, ist die Einführung neuer Pro- reine, unbehandelte Lebensmittel dukte. (www.acnielsen.de/news/pr20051129.shtml).
106 Monika Schreiner: Die Rolle des Verbrauchers in der Wertschöpfungskette 5.4.2.1 Kontinuierliche Produktinnovation aber wenn Produkte auf natürliche Art und Weise noch einen Mehrwert bieten können, dann wird Bei diesen sogenannten Produktinnovationen der Verbraucherwunsch nach gesunder Ernäh- kann es sich um lediglich geringe Modifikationen rung besonders bedient. Zurzeit bietet The eines bereits bestehenden Produktes handeln Greenery in der „Santessa“-Produktreihe zwei (kontinuierliche Produktinnovation), wie bei- verschiedene Varianten an: die mittelgroße und spielsweise die Erweiterung der Angebotspalette fruchtige „Santessa“-Strauchtomate und die voll- bei Blumenkohl. Die weiße Monotonie bescherte aromatische „Santessa“-Cocktail-Strauchtomate. dem Blumenkohl im letzten Jahrzehnt Absatz- Entsprechende Verbraucherinformationen zu probleme und einen Rückgang im Anbau. Der den ernährungsphysiologischen Eigenschaften Verzehr von Blumenkohl galt als bieder und des Produktes werden auf der Verpackung mit- langweilig. Die Erzeugerpreise gingen in den geliefert. Keller. Mit den in den letzten Jahren durch spon- tane Mutationen hervorgetretenen und danach Ein weiteres Beispiel ist die von Petoseed ent- konsequent weiter gezüchteten farbigen Varian- wickelte Möhrensorte „Nutri Red“, die ebenfalls ten soll der Blumenkohlabsatz wieder gesteigert durch einen hohen Lycopingehalt gekennzeich- werden (Blau, 2008). Eine Umfrage bei 400 Stu- net ist. Die meisten Möhrensorten enthalten kein denten der Leibniz-Universität Hannover (Bonda- Lycopin. Ein besonderer Vorzug von „Nutri Red“ renko und Hörmann, 2007) zeigte einen Be- ist, dass diese Möhrensorte neben Lycopin kanntheitsgrad des grünen Romanesco-Blumen- ebenfalls ß-Carotin enthält. Durch diese Kombi- kohls von bereits 64 %. Allerdings wurde er ver- nation verstärkt sich die antioxidative Wirkung gleichsweise selten gekauft (nur von 17 % der beider Carotinoide (www.bionetz.ch/news/hinter Befragten). grund/2006/bground183.htm). Salate und damit auch vorgefertigte Salate kom- Die Firma Rijk Zwaan Welver GmbH erhielt im biniert mit den verschiedenartigsten Dressings Jahr 2007 für die Entwicklung eines Sortiments und Toppings, avancieren zur Hauptmahlzeit und neuer Salattypen unter der Bezeichnung Multi- besetzen gleichzeitig Attribute wie gesund und blattsalat „Salanova“ den Innovationspreis Gar- leicht. Vorgefertigte Salate sind als Convenience tenbau in der Kategorie Pflanze. Dabei handelt Food, im Fast-Food-Bereich aber auch in es sich um Blatt- und Kopfsalatsorten, die sich Gastro-Konzepten oder im Einzelhandel als to- durch sehr viele, kleine Einzelblätter von den go-Produkt nicht mehr wegzudenken (Tischer bisher üblichen Sorten unterscheiden. Die Inno- und Vootz, 2007). So werden Fertigsalatprodukte vation trägt den Anforderungen kleiner Familien in immer neuen Kreationen angeboten (Rützler, und von Singlehaushalten, den Herstellern von 2005). Variiert werden die Blattgemüsearten Convenience-Produkten, der verarbeitenden In- (neben Lactuca-Arten auch Rucola, Feldsalat, dustrie und der Gastronomie in besonderer Wei- Blattspinat, Babyleaf), Dressings (z. B. asiatische se Rechnung. ‘Salanova‘ ist damit für Verbrau- oder karibische Gewürz- und Kräutermischun- cher und Handel eine Alternative zu herkömmli- gen, Senf-Honig-Mischungen), zugegeben wer- chen, meistens zu voluminösen Kopf- und Blattsa- den diverse Sprossen und Nüsse als auch die laten (www.g-net.de/content/pressedienst/2006/ verschiedensten Toppings (z. B. Mini-Fleisch- ausschreibung_innovationspreis_2007.pdf). spieße, Croutons oder regionale Käsespezialitä- ten). 5.4.2.2 Diskontinuierliche Produktinnovation Ebenso gibt es aber auch Möglichkeiten, weitge- hende Modifikationen an einem bereits existie- Diskontinuierliche Produktinnovationen werden renden Produkt vorzunehmen (dynamische kon- überwiegend in der Lebensmittelindustrie entwi- tinuierliche Produktinnovation). So enthält die ckelt und auf den Markt gebracht. In diesen Be- von The Greenery in 2007 neu eingeführte „San- reich fällt eine Vielzahl der Produkte aus der An- tessa“-Tomate im Vergleich zu herkömmlichen gebotspalette von Convenience Food und Func- Tomaten doppelt so viel Lycopin, ein Carotinoid tional Food. Innovationen in dem gartenbauli- mit antioxidativen Eigenschaften. Mit „Santessa“ chen Produktionsbereich sind meistens Modifika- wurde eine Tomate entwickelt, die der stark tionen oder Verbesserungen bereits bestehender wachsenden Nachfrage nach Functional Food gartenbaulicher Erzeugnisse, aber sie können entspricht und gleichzeitig höchste Anforderun- der entscheidende Rohstofflieferant für neuartige gen an den Geschmack erfüllt (Green Report, Lebensmittelkreationen sein. Exemplarisch sol- 2007). Obst und Gemüse sind ohnehin gesund,
Landbauforschung – Sonderheft 330 (2009) 107 len hier nur die bereits erwähnten Smoothies und klusiv zu vermarkten. Dabei geht es darum, eine to-go-Salatmischungen genannt werden. begrenzte Anzahl geeigneter Produktionsbetrie- be auszuwählen und dadurch die Absatzmengen Jedoch gibt es auch Beispiele für diskontinuierli- sowie die Qualitäten zu regulieren, damit für che Produktinnovationen im gartenbaulichen neue Sorten über ein begrenztes Marktvolumen Produktionsbereich. Klassisch in dieser Hinsicht und hohe Qualitätsstandards höhere Erzeuger- ist die Einführung der Kiwi als völlig neuer Obst- preise erzielt werden können. Durch Lizenzver- art in den 60er-Jahren nach Europa. einbarungen werden Rechte und Pflichten der Im Hinblick auf Functional Food hat ein EU- Beteiligten festgelegt. Voraussetzung ist, dass weites Konsortium von Pflanzenbiologen und dieser Club ein züchterisches Ausschließlich- Medizinern aus Großbritannien, Italien, Deutsch- keitsrecht an der betreffenden Sorte besitzt (Le- land und der Niederlande eine anthocyan- be, 2002). Das Prinzip der Clubsorten ist es, von angereicherte Tomate entwickelt (Butelli et al., der Züchtung einer neuen Sorte, ihrem Anbau, 2008). Die starke Erhöhung der Anthocyane in der Regulierung der Produktionsmengen sowie Tomatenfrüchten wurde durch die Expression durch die Bewerbung und Marktlancierung eine zweier Transkriptionsfaktoren aus Antirrhinum möglichst weitestgehende Beeinflussung des majus erzielt. In den Tomatenfrüchten erhöhte Produktpreises zu erreichen. Unterstützt wird sich der antioxidative Status deutlich und erreich- dies in der Regel durch ein dichtes Kontrollnetz te Niveaus, die sonst nur in Blau- bzw. Brombee- und durch eigens hierfür geschaffene Absatz- ren zu finden sind. Butelli et al. (2008) zeigten strukturen. zudem, dass die durchschnittliche Lebensdauer Bei einer Neueinführung eines Produktes können krebsanfälliger Mäuse, die mit anthocyanan- ohnehin häufig über eine gewisse Zeitspanne gereicherten Tomaten gefüttert wurden, von 140 höhere Preise erzielt werden. Diese Primeurprei- auf 180 Tage im Vergleich zu Mäusen mit her- se sollen durch künstliche Verknappung und ei- kömmlichen Tomaten als Futter deutlich steigern ner intensiven Bewerbung, die beim Verbraucher konnten. ein hohes Nachfrageniveau erzeugen soll, bei Clubsorten möglichst über mehrere Jahre gehal- 5.5 Schlussfolgerungen ten werden (Lebe, 2002). Voraussetzung für einen kontinuierlichen und Folglich kann man abschließend nur Erich Sixt, steigenden Absatz von gartenbaulichen Produk- Vorstandsvorsitzenden der Sixt AG, zitieren: „Für ten ist die Erfüllung der Verbraucherpräferenzen. einen Unternehmer gibt es keine gesättigten Die Etablierung von Marken oder die Einführung Märkte. Es gibt nur Chancen“. von Produktinnovationen können eine Marktsät- tigung brechen. Dabei muss vor einer Marktein- Literaturverzeichnis führung klar sein, welcher Verbrauchertyp die Zielgruppe ist, welche Wünsche diese Gruppe Bazzano L, He J, Ogden G, Vupputuri S, Loria C, hat und welche Qualitätseigenschaften diese Meyers L, Whelton P (2002) Fruit and vege- Verbraucherpräferenzen erfüllen. Gerade bei Na- table intake and risk of cardiovascular dis- ture Food, Convenience Food und auch Functio- ease in US adults: the first national Health nal Food eröffnet sich dem gartenbaulichen Pro- and nutrition examination survey epidemi- duktionssektor die Möglichkeit, auch zukünftig ologic follow-up study. Amer. J. Clin. Nutr. eine gute Marktposition zu sichern. Die Basis da- 76, 93-99 für liefert die Erzeugung von qualitativ hochwer- Bhagwati A (2008) Marken lösen Emotionen aus. tigen pflanzlichen Produkten oder die gezielte www.tagblatt.ch/Magazin/leben/tb-le Produktion von pflanzlichen Ausgangsrohstoffen für die Lebensmittelindustrie. Voraussetzung da- Behr HC, Bien B, Engelhardt H, Kasbohm A, bei ist, dass diese Produkte die nachgefragten Loof S, Schaack D, Thielen M (2009) Öko- Eigenschaften voll erfüllen. markt Jahrbuch 2009 – Verkaufspreise im ökologischen Landbau. ZMP Zentrale Markt- Eine weitere Möglichkeit der Absatzsicherung und Preisberichtstelle GmbH und -steigerung ist die Einführung neuer Sorten in Verbindung mit der Etablierung eines spezifi- Bien B (2006) Verbrauchertrend Bio ungebremst. schen Vermarktungskonzepts, wie es das Club- MafoBriefe 10, 4-5 system bei neuen Apfelsorten verdeutlicht. So wird ein Sortenclub gebildet, um neue Sorten ex-
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