A BC - Oberrheinkonferenz

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Grenzüberschreitende Kooperationen im öffentlichen Personenverkehr
          in der Trinationalen Metropolregion Oberrhein.
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Ich versichere, dass ich die beiliegende Diplomarbeit ohne Hilfe Dritter und ohne Benutzung
anderer als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt und die den benutzten
Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.
Diese Arbeit hat in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegen.

_____________________________________
Heidelberg, im Oktober 2010
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Das Gelingen dieser Arbeit ist nicht zuletzt durch die Unterstützung Dritter möglich
geworden, denen ich an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank entgegen bringen möchte.
Danken will ich zunächst meinem akademischen Betreuer Herrn Prof. Dr. Tim Freytag, der
mir mit seiner Fachkompetenz während des gesamten Zeitraums der Arbeit zur Seite stand
und wichtige Denkanstöße zur Vorgehensweise gab.

Bei den Mitgliedern der Arbeitsgruppe „Grenzüberschreitender Personenverkehr“ der
Trinationalen Oberrheinkonferenz möchte ich mich für den Auftrag bedanken, die
bestehenden Tarifkooperationen in der Oberrheinregion darzustellen und gut funktionierende
Beispiele der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in diesem Bereich zu analysieren.
Weiterhin sei den Experten der Verkehrspolitik und -planung für die informatorische
Unterstützung gedankt, die bei Nachfragen stets zeitnah erfolgte. Die zahlreichen Interviews
wären ohne Ihre Geduld und Auskunftsfreude nicht möglich gewesen. Ihnen sei an dieser
Stelle für Ihre Kooperation gedankt.

Für das aufwändige Korrekturlesen danke ich insbesondere meiner Familie sowie meinen
Freunden Fabian, David, Anne und Ariane. Weiterhin gebührt Armin, Simon und Niklas ein
herzliches Dankeschön. Sie alle waren gleichzeitig mit der Anfertigung Ihrer Diplomarbeit
beschäftigt, hatten immer ein offenes Ohr und trugen ebenfalls maßgeblich zum Gelingen
dieser Arbeit bei.

Heidelberg, im Oktober 2010                                            Johann Singer
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I.     Einleitung                                                           1

II.    Das trinationale Oberrheingebiet                                     3
       1. Eine bewegte Geschichte mit gemeinsamer Kultur                    3
       2. Geographie des Oberrheins                                         3
       3. Wirtschaftsstruktur                                               6

III.   Die Oberrheinregion - gelebte europäische Integration                8
       1. Der Weg zur Europäischen Union                                    8
       2. Drei politische Strukturen                                        9
       3. Grenzüberschreitende Kooperation                                  11

IV.    Europäische Metropolregionen - Zugpferde der europäischen Integration 13
       1.   Deutschland                                                     13
       2.   Frankreich                                                      15
       3.   Schweiz                                                         15
       4.   Metropolregionen nach BLOTEVOGEL                                15
       5.   Der Weg zur Trinationalen Metropolregion Oberrhein              17

V.     Methodische Grundlagen und Ziele                                     18
       1. Qualitative Dokumentenanalyse                                     18
       2. Arten von Befragungen                                             18
             2.1 Das Leitfadeninterview                                     19
             2.2 Das Experteninterview                                      20
             2.3 Gütekriterien                                              20

VI.    Der Oberrhein als Transitregion                                      22

VII.   Europäische Verkehrspolitik                                          26

VIII. Öffentliche Mobilität in der verkehrswissenschaftlichen Diskussion    28
       1.   Die politische Rolle des öffentlichen Verkehrs                  28
       2.   Der öffentliche Verkehr im sozioökonomischen Wandel             29
       3.   Integrierte Verkehrsentwicklung                                 33
       4.   Öffentliche Mobilität als staatliche Daseinsvorsorge            34
       5.   Service Public                                                  35

IX.    Organisation des Öffentlichen Personennahverkehrs                    37
       1. Deutschland                                                       37
          1.1 Rechtliche Rahmenbedingungen                                  37
          1.2 Organisation                                                  37
          1.3 Finanzierung                                                  39
2. Frankreich                                    40
          2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen              40
          2.2 Organisation                              41
            2.3 Finanzierung                            43

       3. Schweiz                                       43
          3.1 Rechtliche Rahmenbedingungen              43
          3.2 Organisation                              44
          3.3 Finanzierung                              44

       4. Synthese der Ergebnisse                       45

X.     Tarifphilosophien im öffentlichen Verkehr        46
       1. Deutschland                                   46
       2. Frankreich                                    47
       3. Schweiz                                       48

XI.    Grenzüberschreitende Tarifkooperationen          49
       1.   Zwischen Südpfalz und der Région Alsace     49
       2.   Zwischen Strasbourg und Ortenau             53
       3.   Zwischen Freiburg und Colmar                56
       4.   Zwischen Freiburg und Mulhouse              57
       5.   Trinationaler Eurodistrikt Basel            59

XII.   Best Practice - Analyse                          65
       1. Analyse                                       65
       2. Entwicklungspotentiale                        67

XIII. Infrastrukturelle Maßnahmen                       69
       1.   Regio S-Bahn Basel                          69
       2.   Grenzüberschreitende Tram Basel             71
       3.   Grenzüberschreitende Tram Strasbourg        72
       4.   TGV Rhin-Rhône                              73
       5.   Ausbau der Rheintalstrecke                  74

XIV. Fazit                                              76

XV.    Abstrait                                         78

       Abbildungs- und Tabellenverzeichnis              80
       Literaturverzeichnis                             81
       Internetquellen                                  87
       Abkürzungsverzeichnis                            90
       Leitfaden - Grenzüberschreitende Kooperationen   92
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Leistungsfähige Verkehrsinfrastrukturen und attraktive Angebote im Personenverkehr sowie
bedarfsgerechte begleitende Dienstleistungen sind die Grundlage für eine prosperierende
wirtschaftliche Entwicklung einer jeden Region. Sie dienen gleichermaßen der Mobilität aller Teile
der Bevölkerung, einschließlich behinderter und alter Menschen, sowie dem Austausch von Gütern
und Diensten. Sie verbinden Räume, lenken die Entwicklung der Siedlungsstrukturen und
stabilisieren diese. Bei der Gestaltung des Verkehrssystems in der Trinationalen Metropolregion
Oberrhein (TMO) gilt es daher, die Mobilität in Abstimmung mit anderen Politikzielen bestmöglich
auszubauen und die Voraussetzungen für eine gezielte strukturelle Entwicklung zu schaffen. Das
Verkehrssystem muss insbesondere seinen Beitrag zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen
leisten, aus denen letztlich die Wirtschaftskraft der Region resultiert.

Aus den stetig steigenden Mobilitätsansprüchen der Bevölkerung und Wirtschaft sowie angesichts
der Notwendigkeit eines sensiblen Umgangs mit der Umwelt, vor dem Hintergrund fortschreitender
Klimaerwärmung und Artensterben, ergeben sich wachsende Anforderungen an die Ausrichtung
des gesamten Verkehrssystems. Die Mobilitätsverlagerung auf Verkehrsmittel und Fahrzeuge mit
möglichst geringer Umweltbelastung sowie effektive Verkehrsvermeidung bildet damit ein
besonders wichtiges Ziel im Rahmen einer übergreifenden Strategie zur Verminderung des
Ausstoßes von Treibhausgasen. Es kommt verstärkt darauf an, die negativen Auswirkungen des
notwendigen Verkehrs vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln.

Durch eine integrierte Verkehrsentwicklung soll über eine geschickte, verkehrsträgerübergreifende
Bündelung von Maßnahmen eine optimale Wirkung im Sinne eines nachhaltigen Verkehrssystems
erreicht werden. In diesem Zusammenhang stellt der öffentliche Verkehr (ÖV) eine erstrebenswerte
Alternative zum Motorisierten Individualverkehr (MIV) dar.

Die vorliegende verkehrsgeographische Untersuchung verfolgt das Ziel, das grenzüberschreitende
Angebot des öffentlichen Verkehrs innerhalb der Oberrheinregion zu analysieren. Neben der
qualitativen Dokumenten- und Literaturanalyse wurden hierfür zahlreiche Experteninterviews mit
Vertretern aus Verkehrspolitik und -planung durchgeführt, um ein umfassendes Bild der
grenzüberschreitenden Kooperationen in der Oberrheinregion generieren zu können. Da ein
übersichtliches und attraktives Tarifangebot für potentielle ÖV-Nutzer einen starken Anreiz
darstellt, wurden neben den infrastrukturellen Maßnahmen die bestehenden Tarifkooperationen
untersucht. Die gewonnenen Informationen wurden nach dem „Best Practice“ - Prinzip analysiert,
um anschließend Entwicklungspotentiale für die gesamte Oberrheinregion ableiten zu können.

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Zu Beginn dieser Arbeit wird das zu untersuchende Oberrheingebiet vorgestellt, wobei auf Kultur,
Geographie und Wirtschaftsstruktur dieser dynamischen Region eingegangen wird. Anschließend
soll die grenzüberschreitende, politische Kooperation innerhalb der trinationalen Oberrheinregion in
das System der gesamteuropäischen Integration eingebettet werden, wodurch die Bedeutung der
grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im gesamteuropäischen Kontext verdeutlich wird.

In Kapitel vier wird die humangeographische Diskussion um „Europäische Metropolregionen“
beleuchtet und die Bedeutung dieser Regionen in den einzelnen Nationalstaaten vertiefend
diskutiert. Schwerpunktmäßig soll hier der funktionale Ansatz BLOTEVOGELS (2002) betrachtet
werden, wonach Metropolregionen anhand bestimmter Metropolfunktionen definiert werden
können. Aufbauend auf dieser theoretischen Grundlage gilt es die TMO bezüglich ihrer
„Gatewayfunktion“ im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs zu untersuchen. Nach der
Erläuterung der methodischen Vorgehensweise wird die TMO in ihrer Bedeutung als europäische
Transitregion mit ihren wichtigsten Verkehrsadern beschrieben, bevor die Grundlagen der
europäischen Verkehrspolitik thematisiert werden.

Im achten Kapitel wird die verkehrswissenschaftliche Diskussion um die Rolle der Öffentlichen
Mobilität analysiert, bevor die Organisation des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in
Deutschland, Frankreich und der Schweiz vergleichend betrachtet wird. Die Bestellung von
Verkehrsleistungen im ÖV als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge schafft hierbei die Grundlage
für die tägliche Mobilität der Bürger und erleichtert ihnen die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben. Aus der Analyse der Organisationsstrukturen des ÖV in den drei Nationalstaaten lassen sich
Gemeinsamkeiten und Hemmnisse der grenzüberschreitenden Kooperationen ableiten.

In Kapitel zehn werden die verschiedenen Tarifphilosophien in den drei Anrainerstaaten
thematisiert, bevor die regionalen grenzüberschreitenden Tarifkooperationen detailliert erläutert
werden. Aus der anschließenden „Best Practice“ - Analyse ergeben sich Entwicklungspotentiale für
die gesamte Oberrheinregion.

Zum Abschluss dieser Arbeit soll auf zukünftige grenzüberschreitende Verkehrsprojekte
eingegangen werden, durch die das öffentliche Verkehrssystem in der Oberrheinregion weiter
gestärkt und ausgebaut wird. Als Autor dieser Arbeit möchte ich einen Beitrag zur nachhaltigen
Entwicklung des öffentlichen Verkehrssystems in der Oberrheinregion leisten und wünsche allen
Lesern eine informative Lektüre.

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Das deutsch-französisch-schweizerische Oberrheingebiet stellt für seine Bewohner schon seit
Jahrhunderten einen zusammenhängenden Lebensraum mit einer sehr bewegten Geschichte dar. Als
erstes historisch erwähntes Volk siedelten sich die Kelten ca. 700 v. Chr. in der Region an (vgl.
Internetquelle: Tourisme Alsace).   Der zivilisatorische Quantensprung erfolgte jedoch erst mit Ankunft
der Römer, die nachdem sie Helvetien erobert hatten über den Rhein nach Germanien drängten. Es
gelang ihnen dabei auch jene Gebiete zu unterwerfen, die heute den deutschen Teil der
Oberrheinregion bilden. Zeugen des römischen Einfluss sind bekannte Kurorte wie Baden-Baden.
Auch das Elsass wurde von den Römern erobert. So war das heutige Strasbourg zu römischer Zeit
ein Militärlager namens Argentoratum (vgl. BAK 2005, 7). Nach dem Niedergang des Römischen
Reichs besiedelten die Alemannen das Länderdreieck, deren germanischer Einfluss nach der
Zugehörigkeit zum Römischen Reich das zweite verbindende Element darstellt. Im Lauf der
Geschichte gehörten die Teilregionen am Oberrhein immer wieder verschiedenen Staatengebilden
an. Hiervon war insbesondere das Elsass betroffen. Bevor es 1945 von der nationalsozialistischen
Herrschaft befreit wurde, war es seit dem 30-jährigen Krieg (1618-1648) ständiger Auslöser für
Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich (vgl. Courrier International 2010, 33). Der Kontakt
zwischen dem Elsass, Baden und der Südpfalz war nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu
abgebrochen und wurde erst in den 1960er Jahren wieder intensiviert (vgl. Internetquelle: Tourisme
Alsace).   Die trinationale Region ist somit trotz der Trennung durch den Rhein, trotz der
verschiedenen Mentalitäten und Sprachen und vor allem trotz der vergangenen Kriege über
nationalstaatliche Grenzen hinweg eng miteinander verbunden. Die gemeinsame franco-
alemannische Kultur mit ihren typischen Traditionen begründet daher den besonderen Reiz dieser
Region, in welcher der europäische Gedanke täglich erlebbar ist.

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Der Rhein bildet die natürliche geographische Zäsur und gleichzeitig das gliedernde Element für
den gesamten Oberrheinraum, der im Osten durch den Schwarzwald, im Westen durch die Vogesen
und im Süden durch Teile des Jura eingerahmt wird, sodass große Teile der Region mit Wald
bedeckt sind (Abb. 1). Für die landwirtschaftliche Nutzung stehen 40 % der Fläche zur Verfügung,
während lediglich 11 % als Siedlungs- und Verkehrsflächen beansprucht werden (vgl. BAK 2005, 5).
Die Region mit ihren knapp 6 Mio. Einwohnern setzt sich aus den vier Teilgebieten Südpfalz,
Elsass, Nordwestschweiz und Baden zusammen, wobei das Elsass und Baden zusammen drei
Viertel der Gesamtfläche von 21.500 km² einnehmen (vgl. BBR 2009, 15). Bevölkerungsgeographisch
bildet Baden mit 2,4 Mio. Einwohnern die größte Teilregion, gefolgt vom Elsass mit 1,8 Mio.
                                                                                                     3
Personen und der Nordwestschweiz mit 1,3 Mio. Bürgern. Den kleinsten Bevölkerungsanteil stellt
mit 300.000 Einwohnern die Südpfalz (vgl. BAK 2005, 16). Das Oberrheingebiet ist durch eine
ursprüngliche Städtestruktur geprägt, wobei drei dominierende Großstädte von einem Netz kleinerer
Städte umgeben sind (Abb. 2). Die drei Zentren liegen jeweils in einem der drei Anrainerstaaten. Das
in der Nordwestschweiz gelegene Basel mit seinen 170.000 Einwohnern bildet das Eingangstor zur
Schweiz und damit den Hauptanziehungspunkt im Süden des Oberrheingebiets. Der Einfluss Basels
als weltweit anerkanntes Zentrum der Chemie- und Pharmaindustrie erstreckt sich weit über die
Stadtgrenzen hinaus nach Frankreich in den Raum Saint-Louis sowie auf deutscher Seite in den
Raum Lörrach und Weil am Rhein. Damit umfasst der Trinationale Eurodistrikt Basel (TEB)
insgesamt 226 Kommunen mit 830.000 Einwohnern (vgl. Internetquelle: TEB).
             Abb. 1: Der Naturraum Oberrhein

               Quelle: GISOR 2007
                                                                                                  4
Im französischen Elsass dominiert Strasbourg mit 270.000 Einwohnern als Hauptstadt der Region
und Sitz zahlreicher europäischer Einrichtungen wie dem Europarat, dem Europaparlament und
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Strasbourgs Agglomeration beherbergt 640.000
Einwohner, ist Standort führender Industrien und eines hochentwickelten Dienstleistungssektors
(vgl. Courrier International 2010, 34).   Das rheinabwärtsgelegene Karlsruhe (290.000 Einwohner) ist seit
Anfang der 1950er Jahre Sitz des Bundesgerichtshofs als auch des Bundesverfassungsgerichts.
Außerdem bildet Karlsruhe mit seiner Universität, vielen anderen Hochschulen sowie dem
Karlsruher Institut für Technologie ein Zentrum im Bildungs- und Forschungsbereich auf
internationaler Ebene (vgl. Internetquelle: Karlsruhe Stadt). Um die Attraktivität einer Region als
dauerhaften Wohnort zu erfassen, ist die reine Bevölkerungszahl jedoch unzureichend. Hierfür
sollte vor dem Hintergrund einer zunehmend alternden Gesellschaft mit einer mittelfristig
abnehmenden Zahl an Erwerbspersonen die dynamische Bevölkerungsentwicklung der Region als
Indikator herangezogen werden. Mit einem jährlichen Bevölkerungswachstum von 0,6 % ist die
Oberrheinregion im europäischen Wettbewerb der Wohnstandorte konkurrenzfähig (BAK 2005, 25).
                     Abb. 2: Bevölkerungsverteilung im Oberrheingebiet

                         Internetquelle: GISOR 2009
                                                                                                       5
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Um     die    wirtschaftliche   Struktur    und      Ausrichtung   einer   Region      innerhalb    moderner
Volkwirtschaften analysieren zu können, sollen in Anlehnung an das klassische Dreisektorenmodell
von FOURASTIÉ (1949) und dessen Erweiterung um die quartären Informationsdienste nach
GOTTMANN (1961) folgende fünf Wachstumssektoren unterschieden werden.

Tab. 1: Die fünf Wachstumssektoren moderner Volkswirtschaften

Traditioneller     Der Traditionelle Sektor umfasst die in der Vergangenheit sehr bedeutsamen Branchen
Sektor             wie Textil- und Papierherstellung, Tabakwaren sowie die Nahrungsmittel- und
                   Getränkeindustrie. Eine Vielzahl dieser Branchen verlor jedoch in den letzten Jahren in
                   Westeuropa zunehmend ihre Stellung als wirtschaftlicher Wachstumstreiber und sah sich
                   einer verstärkten Auslagerung in Schwellen- und Entwicklungsländern ausgesetzt.
Old Economy        Die Old Economy beinhaltet die Bereiche der traditionellen Industrie, welche sich
                   zumeist durch eine sehr wertschöpfungsintensive Produktion auszeichnen, sodass es
                   gelingt an traditionellen Industriestandorten im weltweiten Innovationswettbewerb zu
                   bestehen. Beispielhaft sind das Transportwesen, der Fahrzeugbau, die Medizintechnik
                   und die chemisch-pharmazeutische Industrie.
New Economy        Die New Economy ist gekennzeichnet durch die Mitte der 90er Jahre aufstrebenden
                   Informations-     und    Kommunikationstechniken,       die   für     einen     weltweiten
                   Wirtschaftsaufschwung sorgten. Neben Telekommunikation und Computerherstellung
                   umfasst die Branche auch begleitende IT Services und zeichnete sich in den letzten
                   Jahren durch überdurchschnittliche Wachstumsraten aus.
Urbaner            Zum Urbanen Sektor gehören Bereiche wie finanz- und unternehmensbezogene
Sektor             Dienstleistungen, die meist mit einem räumlich sehr engen Kundenkontakt verbunden
                   sind, sodass für diese Branche eine verstärkte Konzentration in Metropolen ausgemacht
                   werden kann. Weiterhin umfasst der Urbane Sektor Dienstleitungen des alltäglichen
                   Bedarfs wie Handel, Gastgewerbe, Immobilienwesen, Vermietung, Verkehr sowie andere
                   persönliche Dienstleistungen. Für die genannten Dienstleistungsbereiche kann ebenfalls
                   eine zunehmende Konzentration in größeren Städten ausgemacht werden, wobei dieser
                   Trend durch demographische Faktoren verstärkt wird. Ein Großteil der urbanen
                   Dienstleistungsbereiche verspricht weiterhin hohe Wachstumspotentiale, da auf sie ein
                   zunehmend steigender Anteil an real verfügbaren Einkommen entfällt.
Politischer        Der Politische Sektor beinhaltet neben der öffentlichen Verwaltung auch Branchen wie
Sektor             Gesundheits- und Unterrichtswesen, Energie- und Wasserversorgung sowie die
                   Landwirtschaft. All diese Branchen stehen nach wie vor unter starkem Einfluss der
                   öffentlichen Hand, sodass bei einer verstärkt wettbewerbsorientierten Umgestaltung der
                   Rahmenbedingungen zukünftige Impulse aus diesen Bereichen zu erwarten sind.
verändert nach Internetquelle: BAK Basel Economics

                                                                                                            6
Der oberrheinische Wirtschaftsraum ist gekennzeichnet durch seine zentrale Lage innerhalb des
europäischen    Verdichtungsraums,          der   „Blauen   Banane“.    Die    strukturelle   Stärke   der
Oberrheinregion liegt in der Old Ecomomy, wobei insbesondere die hoch produktive chemisch-
pharmazeutische Industrie stark vertreten ist und ein beachtliches Wertschöpfungswachstum
aufweist (vgl. SCHRÖDER 2007, 61). So trugen die altansässigen und wertschöpfungsintensiven
Industriebranchen 2006 in der Oberrheinregion rund 10 % zum regionalen Bruttoinlandsprodukt bei
(vgl. ORK 2008, 5).   Überdurchschnittlich ist auch der Traditionelle Sektor vertreten, wenngleich
dessen Bedeutung während der vergangenen Jahre stetig abnahm (vgl. LAVIELLE 2009, 153). Eine
merkliche Schwäche der Oberrheinregion liegt in der unterdurchschnittlichen Repräsentation des
Urbanen Dienstleistungssektors, der normalerweise in Metropolregionen mit zentraler Lage
überdurchschnittlich     etabliert   ist.    In   diesem    Sektor   besteht   somit   noch    deutliches
Wachstumspotenzial für die Region (vgl. BBR 2009, 15). Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der
Oberrheinregion ist mit strukturell ähnlichen Europäischen Metropolregionen vergleichbar und
„bildet mit einem realen Bruttoinlandsprodukt von 165 Milliarden Euro ein Schwergewicht im
europäischen Vergleich“ (ORK 2008, 5).

Die einzigartige Forschungs- und Bildungslandschaft in der Oberrheinregion wird durch die sieben
Universitäten und vielen Hochschulen charakterisiert, deren Zusammenarbeit sich in der
Europäischen Konföderation Oberrheinischer Universitäten (EUCOR) manifestiert. In zahlreichen
Forschungsnetzwerken werden dabei kontinuierlich neue bi- und trinationale Studiengänge lanciert,
was in Bezug auf die Forschungsqualität am Oberrhein zu sehr guten Ergebnissen im
internationalen Vergleich führt (vgl. Internetquelle: EUCOR).

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12      676A7 73!4DEF657"5457
Um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Oberrheinregion zu verstehen, bedarf es
zunächst der Betrachtung des gesamteuropäischen Kontexts. Frankreich und Deutschland verbindet
die Geschichte der Europäischen Union (EU), deren Grundstein im Jahre 1951 gelegt wurde, als die
sechs Nationalstaaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande
die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) errichteten (vgl. NEWRLY 2003, 5).

Ziel war es, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch die gleichberechtigte Zusammenarbeit
den Frieden zwischen Siegern und Besiegten in Europa dauerhaft zu sichern. Die sechs
Mitgliedsstaaten beschlossen 1957 mit Unterzeichnung der Römischen Verträge, die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) auf der Basis eines gemeinsamen Markts für eine Vielzahl von
Waren und Dienstleistungen zu begründen. Zeitgleich mit der EWG wurde auch die Europäische
Atomgemeinschaft (Euratom) ins Leben gerufen, deren Zweck in der gemeinsamen Entwicklung
und friedlichen Nutzung der Atomenergie bestand (vgl. FONTAINE 2007, 59). Die drei Institutionen
EGKS, EWG und Euratom verfügten zunächst jeweils über eine eigene Kommission mit Rat, bevor
sie 1967 durch den Fusionsvertrag als Organe der Europäischen Gemeinschaft (EG) vereinigt
wurden (vgl. ebd.).

Im Jahre 1993 wurde mit dem Vertrag von Maastricht die Europäische Union gegründet und die
Vorschriften für eine gemeinsame Währung, für die Außen- und Sicherheitspolitik sowie für eine
engere Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres verabschiedet (vgl. BIEBER et al. 2006,
35).   Die Europäische Union basiert seither auf den drei Pfeilern, der Europäischen Gemeinschaft,
der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie der polizeilichen und justiziellen
Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Mit dem Vertrag von Maastricht wurden weiterhin die
Unionsbürgerschaft begründet, die Rechte des Europäischen Parlaments gestärkt und eine
gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion eingeführt. Zu den sechs Gründungsländern sind seit
1951 ständig neue Mitglieder hinzugekommen, sodass die EU heute aus 27 Staaten besteht. Die
Schweiz ist kein EU Mitglied und bildet somit eine Außengrenze zu seinen EU-Nachbarstaaten (vgl.
FONTAINE 2007, 13).

Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum trat 1994 in Kraft, sodass der
Binnenmarkt der EG um die Mitgliedsstaaten der Europäischen Freihandelszone (EFTA) erweitert
wurde. Die Schweiz gehört ebenfalls zu dieser Freihandelszone, doch trat sie als einziger EFTA-
Staat dem Europäischen Wirtschaftsraum nicht bei (vgl. NEWRLY 2003, 7).

                                                                                                8
Frankreich und Deutschland kooperieren mit der Schweiz zum einen auf unmittelbar
zwischenstaatlicher Ebene, zum anderen auf der Grundlage bestehender Abkommen mit der EU. Im
Jahre 1972 wurde das Freihandelsabkommen zwischen der EG und der Schweiz unterzeichnet,
wodurch tarifäre Handelshemmnisse, wie Zölle und Kontingente für Industrieprodukte, zwischen
den Vertragspartnern abgebaut wurden (vgl. Internetquelle: SECO).

Nach der Ablehnung des Vertrags über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in der Schweizer
Volksabstimmung von 1992 beschritt die Regierung in Bern den Weg der Annährung an die EU
über Bilaterale Abkommen (vgl. Internetquelle: EDA, 1). In Ergänzung zum Freihandelsabkommen
regeln die sieben Bilateralen Abkommen I aus dem Jahre 2002 eine zusätzliche gegenseitige
Marktöffnung in bestimmten Bereichen. Das für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsraum und
Arbeitsmarkt bedeutendste Dossier ist das Personenfreizügigkeitsabkommen, welches die
schrittweise Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes für EU-Bürger beinhaltet (vgl. Internetquelle: EDA,
2).   Mit der Unterzeichnung der Bilateralen Verträge II im Jahre 2004 wurde die wirtschaftliche
Zusammenarbeit weiter verstärkt und auf zentrale politische Bereiche ausgeweitet, wobei unter
anderem der Schweizer Beitritt zum Schengen-Raum angestrebt wurde (vgl. ebd.). Seit 2005 sind
viele der Bilateralen Abkommen II bereits in Kraft getreten, doch erfordert vor allem die
Ausdehnung der Personenfreizügigkeit weitere Verhandlungen. Trotz der Bilateralen Abkommen
zwischen der Schweiz und der EU bleiben diverse Zollschranken im freien Wirtschafts- und
Warenverkehr weiterhin bestehen. Es liegt im gegenseitigen Interesse von Schweiz und EU, diese
zukünftig abzubauen.

2      6474B4DEF67#BB657
Die Bundesrepublik Deutschland ist föderalistisch aufgebaut, wodurch den Bundesländern wichtige
Entscheidungskompetenzen, wie beispielsweise im Bildungs- und Polizeiwesen zukommen.
Zahlreiche Gesetze benötigen erst die Zustimmung des als Länderkammer fungierenden
Bundesrats, bevor sie vom Bund verabschiedet werden können. Grundlegende politische
Weichenstellungen für Baden und die Südpfalz werden somit durch die entsprechenden
Landesregierungen mit Sitz in Stuttgart bzw. Mainz getroffen. Jedoch haben auch die Stadt- und
Landkreise sowie die kommunalen Zusammenschlüsse gewisse Entscheidungskompetenzen, sodass
bei den Gemeinden im verfassungsrechtlichen Rahmen eine grundsätzliche Allgemeinzuständigkeit
für alle öffentlichen Aufgaben in ihrem Gebiet verbleibt (vgl. Internetquelle: BPB, 1).

                                                                                                   9
Die Französische Republik ist im Gegensatz zum föderalen Deutschland ein zentralistisch
organisierter Staat. Die französische Verfassung aus dem Jahre 1958 regelt bereits, dass sich die
Gebietskörperschaften durch gewählte Räte nach Maßgabe der zentral verabschiedeten Gesetze
selbst verwalten (vgl. GROSSER 2005, 73). Das Elsass ist eine von insgesamt 26 französischen
„Régions“. Das Exekutivorgan der Region wird durch den für sechs Jahre gewählten Regionalrat
(Conseil Régional) verkörpert, dem ein Wirtschafts- und Sozialrat zur Seite steht. Diesem gehören
Vertreter verschiedener Organisationen und Institutionen wie z.B. Arbeitgeberverbände und
Gewerkschaften an (vgl. Internetquelle: BPB, 2). Seit 1983 erhielten die Regionen größere
Eigenverantwortung, die jeweils 1993 und 2004 um Bildungs- und Wirtschaftskompetenzen
erweitert wurde (vgl. ebd.). Dies umschließt allerdings nicht das Recht, eigene Gesetze zu
verabschieden oder sich eine eigene Verfassung zu geben. Die „Région Alsace“ ist in die
Départements    „Haut-Rhin“     und   „Bas-Rhin“    unterteilt   (Abb.   3),   wobei   auch   diesen
Gebietskörperschaften eigene Kompetenzen         im Bildungs- und Sozialwesen sowie der
Wirtschaftsförderung zukommen (vgl. NEWRLY 2003, 9).

Die Schweizerische Eidgenossenschaft setzt sich aus 26 souveränen Kantonen und Halbkantonen
zusammen, denen im Rahmen der vorhandenen föderalen Strukturen ein beträchtliches Maß an
politischer Entscheidungsfreiheit und Verwaltungsautonomie gewährt wird. Jeder Kanton verfügt
nach Maßgabe des von der Bundesverfassung gewährten Spielraums über eine eigene Verfassung
und damit eigene Gesetze (vgl. Internetquelle: SwissInfo). Innerhalb der Kantone fungieren die
Gemeinden als öffentlich rechtliche Körperschaften, die einen Teil der Staatsaufgaben eigenständig
erfüllen. Auf bundesstaatlicher Ebene liegt die gesetzgebende Gewalt bei der Bundesversammlung,
die sich aus den zwei Kammern Nationalrat und Ständerat zusammensetzt. Der Nationalrat vertritt
das Volk direkt, während die Kantone im Ständerat vertreten sind. Die zugeteilten Kompetenzen
ermöglichen es den Nordschweizer Kantonen Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau, Solothurn
und Jura (Abb. 3), individuell oder auch koordiniert mit den Nachbarn jenseits der Schweizer
Staatsgrenzen zusammenzuarbeiten (vgl. ebd.).

                                                                                                 10
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Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Oberrheinregion hat bereits eine langjährige
Tradition. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstand zunächst eine informelle und sektorale
grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die in den folgenden Jahrzehnten stetig ausgebaut und
erweitert wurde (vgl. NEWRLY 2003, 45 f.). Mit der Unterzeichnung des Bonner Abkommens am 22.
Oktober 1975 wurde erstmalig das Verwaltungsgebiet des Oberrheins definiert (Abb. 3) und eine
Regierungskommission zur Prüfung und Lösung von nachbarschaftlich grenzüberschreitenden
Fragen in der Oberrheinregion ins Leben gerufen, wodurch den zuvor informellen Abstimmungen
ein institutioneller Rahmen gegeben wurde (vgl. WASSENBERG 2007, 89 ff.).
     Abb. 3: Die Verwaltungseinheiten der Oberrheinregion

       Quelle: BAK Economics 2005
                                                                                            11
Um die Regierungskommission bei ihrer Arbeit zu unterstützen wurden zwei Regionalausschüsse
für das nördliche und südliche Mandatsgebiet eingesetzt. Zum ersten Mal verliehen damit die
deutsche, französische und schweizerische Regierung ihrem gemeinsamen Wunsch Ausdruck, die
grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit in regelmäßigen Treffen zu organisieren, Kontakte
zu pflegen und sich gemeinschaftlich mit grenzüberschreitenden Fragestellungen zu befassen (vgl.
NEWRLY 2003, 62).     Anlässlich der dritten gemeinsamen Sitzung der beiden Ausschüsse am 21.
November 1991 erfolgte die Zusammenführung der Regionalausschüsse zur trinationalen
Oberrheinkonferenz (ORK). Die Konferenz wurde somit zum zentralen Informations- und
Koordinationsorgan der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Oberrheinregion (vgl.
Internetquelle: ORK, 1).   Die ORK bildet heute eine Plattform für rund 600 Fachleute aus den
jeweiligen Regionalverwaltungen und richtet zu verschiedenen Themengebieten trinational besetzte
Arbeitsgruppen ein (vgl. Région Alsace 2008, 11). Dabei stellen die deutschen, französischen und
schweizerischen Partnerbehörden ihre Fachleute zur Verfügung, um im Rahmen der Arbeitsgruppen
Projekte der ORK zu planen und die Beschlüsse der Konferenz umzusetzen. Derzeit sind folgende
Arbeitsgruppen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen der Oberrheinkonferenz
tätig: Erziehung und Bildung, Gesundheit, Jugend, Katastrophenhilfe, Kultur, Raumordnung,
Umwelt, Verkehr und Wirtschaft. Im Januar 2007 wurde darüber hinaus die neue fachübergreifende
Kommission für Klimaschutz eingerichtet (vgl. Internetquelle: ORK, 2).

Im Dezember 1997 wurde der Oberrheinrat gegründet, der als grenzüberschreitende Politikinstanz
das „Parlament“ der Oberrheinregion darstellt, dessen Beschlüsse von den vier Kommissionen
Wirtschaft-Arbeitsmarkt, Verkehr-Raumordnung, Landwirtschaft-Umwelt und Kultur-Jugend-
Ausbildung vorbereitet werden (vgl. WASSENBERG 2007, 406 ff.). Das Hauptziel des Oberrheinrats
besteht in der politisch unterstützenden Arbeit für die ORK. Darüber hinaus soll er den
grenzüberschreitenden politischen Austausch entwickeln und vertiefen sowie sämtliche Initiativen
bezüglich regionaler und kommunaler Projekte unterstützen (vgl. NEWRLY 2003, 70). Beide
Institutionen leisten damit einen beachtlichen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung des gesamten
Oberrheinraums. Für die Weiterentwicklung des Oberrheingebiets zu einer Europäischen
Metropolregion ist die Zusammenarbeit über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg unverzichtbar.

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Mit der im März 2000 von der EU verabschiedeten Lissabon-Strategie will die europäische
Staatengemeinschaft „im Rahmen des globalen Ziels der nachhaltigen Entwicklung ein Vorbild für
den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt in der Welt sein“ und zum weltweit
„wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum“ aufsteigen (Europäische Kommission 2010,
2).   In der Diskussion um die erfolgreiche Umsetzung dieser Strategie verdichteten sich in den
vergangenen Jahren die Debatten um die Rolle großstädtischer Ballungsgebiete, welche vom
Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) wie folgt beschrieben werden:

„Ein großstädtisches Ballungsgebiet besteht aus einem Zentrum, einer einzelnen Stadt oder einem
städtischen Ballungsgebiet sowie einem Umland, den benachbarten Gemeinden, aus dem viele Pendler
täglich zu ihrer Arbeit ins Zentrum anreisen.“ (EWSA 2007, 10)

Der EWSA erklärt weiterhin, dass man sich bei der erfolgreichen Umsetzung der Lissabon-
Strategie auf die großstädtischen Ballungsgebiete zu konzentrieren habe, da diese im Zentrum
rascher wirtschaftlicher, technologischer und sozialer Entwicklungen stünden und somit einen
wesentlichen Beitrag zur Umsetzung der europäischen Wachstumsstrategie leisteten. Außerdem
könnten zahlreiche kleinere Exzellenzzentren in der EU von der positiven Entwicklung in den
großstädtischen Ballungsräumen profitieren (vgl. EWSA 2007, 12). Die EU sieht somit einen direkten
Zusammenhang zwischen der erfolgreichen Umsetzung der Lissabon-Strategie und der
Entwicklung großstädtischer Ballungsräume. Es besteht Einigkeit darüber, dass ein Zentrum über
eine Mindestzahl an Einwohnern und Arbeitsplätzen verfügen muss. Auch sollte es einen
Anziehungspunkt für Berufspendler zwischen den Wohnorten im Umland und den Arbeitsplätzen
im Zentrum darstellen (vgl. ARNING 2009, 10 ff.). Uneinigkeit besteht jedoch bezüglich der Festlegung
konkreter Grenzwerte für solche Mindestgrößen auf europäischer Ebene. Bei aller Einigkeit,
Metropolregionen als Motoren der ökonomischen Entwicklung weiter zu stärken, fehlt somit die
eindeutige Definition des Begriffs „Metropolregion“ (vgl. ADAM et al. 2005, 430). Daher soll im
Folgenden näher auf das jeweilige Begriffsverständnis in Deutschland, Frankreich und der Schweiz
eingegangen werden.

12      6BDEF57
Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) definiert Metropolregionen als
„Agglomerationsräume mit hohem Bevölkerungs- und Wirtschaftspotential, die sich besonders dynamisch
entwickeln und sich in ihrer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leistungsfähigkeit
dem internationalen Wettbewerb stellen.“ (BBR 2005, 366)

                                                                                                           13
Im Jahre 1997 wurden in Deutschland durch den Entschluss der Ministerkonferenz für
Raumordnung (MKRO) die sieben Städte bzw. Stadtregionen Berlin/Brandenburg, Hamburg,
München, Rhein-Main, Rhein-Ruhr, Stuttgart und das Sachsendreieck als „Europäische
Metropolregionen“ ausgewiesen (vgl. BBR 2009, 2). Der „Initiativkreis Europäische Metropolregionen
in Deutschland“ (IKM), welcher sich als Interessenvertretung der europäischen Metropolregionen
in Deutschland versteht, beschreibt diese als „Ballungsräume, die sich durch ihre herausragende
Bedeutung im internationalen Netz der Großstadtregionen auszeichnen“ (IKM 2009, 11). Im
Besonderen sind sie durch ihre wirtschaftliche Stärke, ein leistungsfähiges Verkehrssystem,
politische   und      wirtschaftliche        Entscheidungsebenen,          ein   verflochtenes    Netz   an
unternehmensorientierten Dienstleistungsgesellschaften und ein großes Bevölkerungspotential
gekennzeichnet     (vgl.   BLOTEVOGEL          2001,   157   ff.).   Die   zunächst   sieben   „Europäischen
Metropolregionen in Deutschland“ wurden nunmehr als „Motoren der gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung mit guter Erreichbarkeit auf europäischer
und internationaler Ebene und weiter Ausstrahlung auf das Umland“ anerkannt (ADAM 2005, 417).
Mit der Annahme des Raumordnungsberichts durch die Bundesregierung im Jahre 2005 und der
Neuformulierung der Leitbilder und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland
durch die MKRO im Juni 2006 wurde den Metropolregionen weitere Aufmerksamkeit durch Bund
und Länder zuteil (vgl. KNIELING 2009, 1). Im Ergebnis sind heute anhand verschiedener Kriterien die
in Abb. 4 dargestellten elf Europäischen Metropolregionen innerhalb Deutschlands anerkannt.
                           Abb. 4: Die Europäischen Metropolregionen in Deutschland

                            Quelle: www.e-politik.de
                                                                                                         14
2       %564EF7
Als Pendant zu den deutschen Metropolregionen können in Frankreich die Regionen betrachtet
werden, die von der Délégation interministérielle à l'aménagement du territoire et à l'attractivité
régionale (DATAR) als Gebiete der metropolitanen Kooperation (coopération métropolitaine)
ausgezeichnet werden. Basis für die Auswahl bildet der Entscheid des Comité interministériel
d`aménagement du territoire (CIADT) aus dem Jahr 2003, eine nationale Strategie zur Stärkung der
europäischen Ausstrahlung französischer Metropolen zu entwickeln (vgl. CIADT 2003, 6 f.). Alleinige
Bedingung für die Anerkennung als Metropolraum ist eine Mindesteinwohnerzahl von 500.000
Personen. Die Bevölkerung sollte sich hierbei entweder innerhalb eines einzigen Ballungsraums
oder innerhalb eines abgegrenzten Gebiets konzentrieren, das sich aus mehreren mittelgroßen
Städten zusammensetzt. Eine dieser Städte sollte dabei jedoch mindestens 200.000 Einwohner
aufweisen (vgl. CIADT 2003, 10). Im Sommer 2005 wurde eine Liste mit 15 französischen
Metropolregionen veröffentlicht, deren Namensgebung von „metropolitanem Raum“ (aire
métropolitaine) über „metropolitanes Netzwerk“ (réseau metropolitain) oder „Städte- und
Agglomerationskonferenz“ (conférence des villes et agglomerations) bis zur schlichten
Bezeichnung „Metropole“ (métropole) reicht (vgl. WIECHMANN 2009, 22). Die unterschiedlichen
Bezeichnungen der französischen Regionen lassen dabei im Gegensatz zur deutschen
Einheitsbezeichnung Raum zur Differenzierung und Hervorhebung spezifischer Besonderheiten.
Hierbei bleibt allerdings zu beachten, dass das Gebietskonzept der metropolitanen Kooperation
nicht gleichzusetzen ist mit dem deutschen Konzept der Europäischen Metropolregion. So ist der
Eurodistrikt Strasbourg/Ortenau nach französischer Klassifikation auf der Ebene der metropolitanen
Kooperation einzuordnen, während ein Eurodistrikt aus deutscher Sicht hierarchisch unterhalb einer
Metropolregion anzusiedeln ist (vgl. ebd.).

2       #EF964 7
In der Schweiz werden anstelle der Bezeichnung Metropolregion die Begriffe Metropolitanregion
bzw. Metropolitanraum verwendet, welche allerdings im Schweizer Sprachgebrauch weit weniger
bekannt sind als die in Deutschland gängige Bezeichnung „Metropolregion“ (vgl. WIECHMANN 2009,
25).   Das Schweizer Bundesamt für Statistik weist auf Grundlage der Volkszählung aus dem Jahre
2000 die fünf Metropolitanräume Zürich, Genf-Lausanne, Basel, Bern sowie die Tessiner
Agglomeration um Lugano aus, wobei diese als funktional verbundene Agglomerationen bezeichnet
und rein statistisch definiert werden (vgl. SCHWEIZERISCHE EIDGENOSSCHENSCHAFT 2006, 6). Eine
Agglomeration gehört demnach dann zu einem Metropolitanraum, wenn der Anteil von
Wegpendlern aus dieser Agglomeration in die Kernagglomeration mindestens 8,3 % entspricht (vgl.
ebd.).

                                                                                                15
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Nach den differenzierten nationalstaatlichen Betrachtungen soll an dieser Stelle näher auf den
funktionalen Ansatz BLOTEVOGELS eingegangen werden, dessen Modell eine zentrale Grundlage
für die Diskussion um neue Leitbilder der Raumentwicklung von Metropolregionen in den letzten
Jahren darstellt. BLOTEVOGEL definiert Metropolregionen nach folgenden Metropolfunktionen:

Metropolfunktionen                          Merkmale
Entscheidungs- und Kontrollfunktion,        Privatwirtschaftlich:
welche sich nach der Zahl und Bedeutung     - Headquarter großer nationaler und internationaler Unternehmen
von Entscheidungszentren der öffentlichen   - Niederlassungen hochspezialisierter, unternehmensnaher Dienstleister
Hand, der Wirtschaft und der Finanzwelt     - Marktkapitalisierung der am Börsenstandort gehandelten Aktien
richtet.                                    - Internationale Bedeutung als Finanzplatz

                                            Politisch:
                                            - Regierungsstellen, Parteien, Verbände und Kammern
                                            - juristische Stellen, ausländische Botschaften und Konsulate
                                            - internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen
Innovations- und Wettbewerbsfunktion,       Erzeugung und Verbreitung von Wissen:
die sich durch die Generierung und          - höhere Bildungseinrichtungen mit Verknüpfungsgrad zur Wirtschaft
Verbreitung von Wissen, Einstellungen,      - Anzahl inländischer und ausländischer Studierender
Werten und Produkten auszeichnet.
                                            Wirtschaftlich-technische Innovation:
                                            - F&E Einrichtungen, wissensintensive Dienstleister
                                            - Gründungsdynamik von Start-Ups
                                            - Anzahl herausgegebener wissenschaftlicher Zeitschriften
                                            - Spezialisierung des Arbeitsmarkts

                                            Soziale und kulturelle Innovation:
                                            - bedeutende Museen und Kulturdenkmäler
                                            - Festspiele und andere internationale Großereignisse
                                            - Touristisches Potential und Internationalität der Bevölkerung
Gatewayfunktion,                            Zugang zu Menschen:
welche auf die Einbindung der               - Anzahl europäischer Hochgeschwindigkeitsverbindungen
Metropolregion in nationale und             - Verkehrsaufkommen wichtiger Autobahnen
internationale Waren-, Personen-, und       - Anzahl internationaler Flugziele mit Passagier-, und Frachtaufkommen
Informationsströme zielt.                   - Erreichbarkeit einzelner Teilgebiete (Anbindung an Regionalverkehr)

                                            Zugang zu Wissen:
                                            - Bedeutung des Standorts als Medienzentrum
                                            - Bibliotheken und Kongresse

                                            Zugang zu Märkten und Gütern:
                                            - bedeutende Messen und Ausstellungen
                                            - Güterumschlag wichtiger Güterverkehrszentren
                                            - Anzahl und Bedeutung internationaler Logistikfirmen
verändert nach BLOTEVOGEL 2002, 346

In der vorliegenden verkehrsgeographischen Untersuchung wird die „Gatewayfunktion“ der
trinationalen Oberrheinregion untersucht, wobei der Schwerpunkt auf dem System des öffentlichen
Personenverkehrs liegt. Neben der Verknüpfung zwischen Fern- und Regionalverkehr steht die
analysierende Darstellung der verschiedenen grenzüberschreitenden Kooperationsformen auf
regionaler Ebene im Mittelpunkt.
                                                                                                                 16
,2      676A7 7*45B45657'6B6A45786F6457
Anlässlich des 11. Dreiländerkongresses unterschrieben im Januar 2008 die wichtigsten
oberrheinischen Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft eine gemeinsame Erklärung mit
dem Ziel, die bestehenden Synergien und Partnerschaften in der Region weiter zu stärken. Am 30.
März 2009 wurde die Trinationale Metropolregion Oberrhein (TMO) erstmals in Brüssel
präsentiert und ist damit als einheitlicher Lebens-, Wirtschafts-, und Kulturraum auf europäischer
Ebene angekommen. Ziel der gemeinsamen Anstrengungen ist es, den Oberrhein mit seinem hohen
Potenzial im Wettbewerb der europäischen Regionen zu positionieren und vorhandene
Kooperationsstrukturen im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft weiter zu entwickeln (vgl.
Internetquelle: ORK, 4).    Das ORK-Präsidium hat darauf hin beschlossen, diese Entwicklung mit einer
Arbeitsgruppe „Trinationale Metropolregion Oberrhein“ zu begleiten. Somit soll unter Einbezug
der Gremien innerhalb sowie Initiativen außerhalb der ORK eine zielführende Arbeit gewährleistet
werden (Abb. 5). Die Metropolregion bietet den Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen
öffentlichen und privaten Partnern sowie den Bürgern der Oberrheinregion und bezweckt die
Verwirklichung innovativer Projekte mit hohem Mehrwert auf den Gebieten Forschung und
Entwicklung, Industrie, Umwelt sowie Kultur und Touristik. Dies soll der Oberrheinregion eine
starke Identität, Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit auf europäischer und internationaler Ebene
verleihen und Synergien effektiv nutzen. Weiterhin soll der wirtschaftliche, gesellschaftliche und
territoriale Zusammenhalt am Oberrhein gestärkt werden, um das Gebiet zu einem Modellraum für
ausgewogene und nachhaltige Entwicklung zu gestalten (vgl. ebd.).

     Abb. 5: Die Organisationstruktur der Trinationalen Metropolregion Oberrhein

                                       B

     verändert nach Internetquelle: ORK, 4

                                                                                                  17
2   784E7BF956DA75B95B4767B
Dieser Arbeit liegen verschiedene Methoden der Informationsgewinnung zugrunde. Neben der
qualitativen Dokumentenanalyse, die der systematischen Bearbeitung von Textinhalten dient,
wurden leitfadengestützte Experteninterviews mit Vertretern verschiedener Institutionen aus den
Bereichen Verkehrspolitik und Verkehrsplanung durchgeführt, um ein möglichst umfassendes Bild
der grenzüberschreitenden Kooperationen im öffentlichen Verkehr innerhalb der trinationalen
Oberrheinregion darstellen zu können.

12   -4BB4.6765B655/D67
In den letzten Jahren hat sich in fast allen Humanwissenschaften der „Trend zur qualitativen
Forschung als Ergänzung bzw. Alternative zu einseitig quantitativ-naturwissenschaftlich
orientierten Ansätzen verstärkt“ (MAYRING 2006, 54). Bezüglich der qualitativen Inhaltsanalyse
besteht die Grundidee darin, Texten inhaltliche Informationen zu entnehmen, selbige in eine
auswertbare Form zu übertragen und anschließend gelöst vom Ursprungstext zu analysieren.
Grundsätzlich erfordert dieses Vorgehen vor der eigentlichen Analyse den Aufbau eines
geschlossenen Kategoriensystems (vgl. GLÄSER/LAUDEL 2009, 191). Der Text wird in Untereinheiten
zerlegt, welche anschließend auf relevante Inhalte überprüft und schließlich in die gebildeten
Kategorien eingeordnet werden (vgl. ebd.).

Mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse können somit auch größere Textumfänge empirisch und
methodisch kontrolliert ausgewertet werden. Entscheidend hierfür ist jedoch, dass das Textmaterial
in ein Kommunikationsmodell eingebettet wird, in welchem die Analyseziele festgesetzt werden.
Diese können sich auf den Textproduzenten, die Entstehungssituation des Textes, den
soziokulturellen Kontext oder die mediale Textwirkung beziehen. Außerdem zeichnet sich die
qualitative Inhaltsanalyse durch ein regelgeleitetes Vorgehen nach einem inhaltsanalytischen
Ablaufmodell aus, wodurch das Material in Untersuchungseinheiten zerlegt und systematisch
untersucht werden kann (vgl. ATTESLANDER 2006, 181 ff.).

2   0B657.57(6A5A657
Die Befragung ist die am häufigsten verwendete Methode der Informationsbeschaffung, wobei die
Variationen der einzelnen Befragungsformen sehr vielfältig und differenziert sind. Grundsätzlich
wird zwischen quantitativen und qualitativen Interviews unterschieden, die grundlegende
Unterschiede aufweisen (vgl. BROSIUS 2009, 19 f.). Bei einer Differenzierung der Interviewarten sollte
bedacht werden, dass die verschiedenen Fragetechniken durchaus auch kombiniert auftreten können
und daher die tatsächliche Komplexität nur vereinfacht dargestellt wird (vgl. LAMNEK 2005, 332).
                                                                                                   18
Vergleicht man die einzelnen Interviewformen, so lassen sich die jeweiligen Unterschiede besser
feststellen und dementsprechend leichter fällt es, die passende Interviewform für die eigene
Erhebung zu identifizieren. Der größte Unterschied zwischen standardisierten und nicht-
standardisierten Interviews besteht beispielsweise in ihrer Erhebungsdauer. Während die offene
Befragung meist längere Zeit in Anspruch nimmt, kann durch standardisierte Fragen oder einen
hinterlegten Leitfaden eine deutliche Zeitersparnis für die Durchführung der Interviews erreicht
werden (vgl. BROSIUS 2009, 112 ff.). Für das standardisierte Interview spricht die hohe Zuverlässigkeit
sowie einfache Durchführung und Auswertung der gewonnenen Informationen. Allerdings ist die
Breite bzw. Tiefe der Antworten sehr beschränkt, da der Befragte mehr oder weniger zu
standardisierten Antworten gedrängt wird (vgl. SCHOLL 2003, 75). Die offene Befragung kann
hingegen flexibler durchgeführt und an den Gesprächsstil angepasst werden. Zudem wird das nicht-
standardisierte Interview nicht vorab durch den Forscher determiniert, sodass es durch die fehlende
Vorgabe fester Antwortkategorien eher zu lebensnahen und detaillierten Antworten kommen kann
(vgl. ATTESLANDER 2006, 134).

Ein erheblicher Unterschied in der Befragungsform besteht auch darin, ob man sich in der
Kommunikationsform auf ein mündliches oder schriftliches Interview festlegt. Für ein mündliches
Interview spricht die allgemein hohe Antwortquote, sofern die zu befragende Person erreicht
werden kann (vgl. MAYER 2008, 100 f.). Außerdem kann die Art und Weise der Beantwortung vom
Interviewer zusätzlich beobachtet und interpretiert werden, was die Antworten gegebenenfalls
relativieren kann. Schließlich können je nach Verlauf des Interviews zusätzliche Fragen gestellt
werden, die sich aus dem Gespräch ergeben (vgl. ebd.). Ein Nachteil des mündlichen Interviews liegt
darin, dass es keine anonyme Befragung darstellt und damit zu erwarten ist, dass der Befragte
oftmals Antworten gibt, die nicht seiner wahren Meinung entsprechen. In gewisser Weise kann der
Interviewer das Ergebnis des Gesprächs mit seiner Fragestellung und weiteren Gesprächsführung
beeinflussen, was sich in wissenschaftlicher Hinsicht jedoch als ebenso nachteilig erweisen kann
(vgl. ATTESLANDER 2006, 131 f.).   Darüber hinaus sind bei telefonischen Befragungen die passenden
Interviewpartner mitunter nur schwer bzw. über Umwege zu erreichen und auch die Zeittoleranz
bezüglich der Interviewlänge ist hierbei wesentlich geringer als in einem persönlichen Gespräch
(vgl. BROSIUS 2009, 119).

21 D7)64B6545B6.4697
Sobald konkrete Aussagen über einen Sachverhalt das Ziel der Datenerhebung darstellen, ist das
Leitfadeninterview anderen Interviewformen vorzuziehen. Hierbei basiert das Interview auf offen
formulierten Fragen, auf welche der Befragte frei antworten kann (vgl. SCHOLL 2003, 66 f.).

                                                                                                    19
Durch den konsequenten Einsatz des Leitfadens wird die Vergleichbarkeit der Daten durch eine
stringente Struktur erhöht. Der Leitfaden dient dabei als Stütze und soll sicherstellen, dass keine
wesentlichen Aspekte der Forschungsfrage im Interview übergangen werden (vgl. MAYER 2008, 37
ff.).   Das Interview muss jedoch nicht zwingend nach der zuvor festgelegten Reihenfolge des
Leitfadens verlaufen. Vielmehr obliegt es dem Interviewer eigenständig zu entscheiden, ob bzw.
wann er detailliert nachfragt und vertiefende Ausführungen des Befragten unterstützt oder diese
unterbindet (vgl. ebd.). Das Interview sollte dabei die Forderung nach Offenheit qualitativer
Forschung erfüllen, weshalb der Befrager angehalten ist, den Leitfaden nicht zu starr zu verfolgen
und im falschen Moment entscheidende Ausführungen zu unterbrechen. Allzu weite und
themenferne Exkurse sollten jedoch verhindert werden, da sonst die Interviewzeit zu sehr
ausgeweitet wird und das zusätzlich gewonnene Material meist nur von geringem Nutzen für die
Beantwortung der eigentlichen Forschungsfrage ist (vgl. SCHOLL 2003, 69).

2 D7316B6545B6.4697
Das Experteninterview bildet eine besondere Form des Leitfadeninterviews, wobei der Befragte
weniger als Privatperson als vielmehr in seiner Funktion als Experte für die klar definierte
Forschungsfrage zu betrachten ist (vgl. ATTESLANDER 2006, 132). Das Interview bezieht sich somit
auf einen bestimmten Wirklichkeitsausschnitt, wobei der Befragte als Repräsentant einer Gruppe
bzw. Institution in die wissenschaftliche Untersuchung einbezogen wird (vgl. SCHOLL 2003, 67). Dem
Leitfaden kommt hierbei eine starke Steuerungsfunktion zu, um unergiebige Themenbereiche
auszuschließen und das Experteninterview auf die Forschungsfrage zu begrenzen (vgl. ebd.).
Experten können weiterhin Hinweise auf nützliche Fachliteratur geben, wobei es unabdingbar ist,
bereits über einen gewissen Literaturgrundstock zu verfügen, um die Relevanz der empfohlenen
Literatur richtig einschätzen zu können (vgl. BAADE et al. 2005, 76).

  2! C$B64B6465B
In der Literatur zur qualitativen Sozialforschung finden sich zahlreiche Expertenmeinungen, zu
Aufbau und Gestaltung einer Befragung, die sowohl eine repräsentative Aussage als auch
zufriedenstellende     Auswertung     gewährleisten     sollen.   Durch   die   Entlarvung   typischer
Schwachstellen von Befragungen werden sogenannte Gütekriterien vorgegeben, welche die
Gültigkeit (Validität) und Zuverlässigkeit (Reliabilität) der Untersuchung garantieren sollen (vgl.
MAYER 2008, 55 ff.).   Ein Hauptkriterium bildet die Objektivität des Forschers, der so wenig wie
möglich durch seine persönliche Meinung und Vorstellung die Durchführung und anschließende
Auswertung der Erhebung sowie die Interpretation der Ergebnisse beeinflussen sollte (vgl. ebd.).

                                                                                                   20
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