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Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapa- zitätsmechanismen verzichten? Dokumentation der Stellungnahmen der Referenten für die Diskussionsveranstaltung am 17. September 2014 Impulse in Kooperation mit
Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapa- zitätsmechanismen verzichten? Impressum Impulse Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapazitätsmechanismen verzichten? Dokumentation der Stellungnahmen der Referenten für die Diskussionsveranstaltung am 17. September 2014 im Hotel Maritim ProArte in Kooperation mit Energie & Management Erstellt von Referenten: Agora Energiewende ■ Dr. Christoph Riechmann, Frontier Economics Rosenstraße 2 | 10178 Berlin ■ Prof. Dr. Felix Höffler, EWI Köln T +49. (0) 30. 284 49 01-00 ■ Ben Schlemmermeier, LBD Beratungsgesellschaft mbH F +49. (0) 30. 284 49 01-29 ■ Andreas Flamm, Entelios AG www.agora-energiewende.de ■ Markus Peek, r2b info@agora-energiewende.de ■ Julius Ecke, enervis ■ Dr. Felix Matthes, Öko-Institut Projektleitung: Dr. Thies Clausen thies.clausen@agora-energiewende.de Redaktion: Mara Marthe Kleiner Korrektorat: infotext GbR Satz: UKEX GRAPHIC, Ettlingen Druck: kdps, Berlin Titelbild: © Jörg Hackemann - Fotolia.com 051/05-I-2014/DE
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, sinkende Großhandelspreise und der wachsende Beitrag der Gutachter des Bundeswirtschaftsministeriums gebeten, ihre Erneuerbaren Energien zur Stromversorgung wirken sich zentralen Ergebnisse darzustellen – und zudem die Verfas- negativ auf die Wirtschaftlichkeit von fossilen Kraftwerken ser der zentralen Kapazitätsmarktvorschläge eingeladen, aus. Die sukzessive Ankündigung von Kraftwerksstillle- diese Ergebnisse kritisch zu kommentieren. Dabei widmet gungen und die mangelnde Investitionsbereitschaft in neue sich der erste Teil dieses Readers der Frage, ob ein Kapazi- Anlagen führten in den vergangenen Jahren zu intensiven tätsmechanismus notwendig ist, während der zweite Teil Diskussionen darüber, wie – gerade auch mit Blick auf den die verschiedenen Sichtweisen auf die unterschiedlichen Kernenergieausstieg im Jahr 2022 – jederzeit ausreichende Kapazitätsmarktvorschläge dokumentiert. Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann. Wir sind der Überzeugung, dass die intensive Diskussion Die neue Bundesregierung hat sich einen strukturierten um Kapazitätsmechanismen in Deutschland in ihrem vier- Prozess vorgenommen, an dessen Ende die Verabschiedung ten Jahr in eine neue Phase eintreten sollte. Die bisherige eines Marktdesign-Gesetzes stehen soll. Den Auftakt bildete Diskussion war äußerst fruchtbar – sie ist unter Beteiligung die Veröffentlichung mehrerer Studien für das Bundeswirt- aller Stakeholder und auf hohem Niveau geführt worden. schaftsministerium zum zukünftigen Strommarktdesign Doch es ist auch deutlich geworden, dass kein Vorschlag für im Juli 2014. Die übergreifende These der Studien ist, dass sich in Anspruch nehmen kann, in jeder Hinsicht gelungen Kapazitätsmechanismen überflüssig sind, wenn der exis- zu sein, und auch, dass keiner der Vorschläge katastrophal tierende Energy-only-Markt gezielt weiterentwickelt und versagen würde. die Nachfrage deutlich flexibilisiert wird – Stromnachfrager werden dann bei hohen bis sehr hohen Börsenpreisen ihre Auf dem Weg hin zu politischen Entscheidungen ist es des- Stromnachfrage reduzieren, um so Angebot und Nachfrage halb an der Zeit, Vorfestlegungen zu reflektieren und nüch- wieder in Einklang zu bringen. Demgegenüber haben etli- terner und konkreter als bisher Stärken und Schwächen, che Gutachten 2012 und 2013 die Notwendigkeit eines die Chancen und Risiken der unterschiedlichen Vorschläge und Versorgungssicherheit gewährleistenden Kapazitätsinstru- der ihnen jeweils zugrunde liegenden Annahmen zu analy- ments betont und hierfür auch Vorschläge vorgelegt. sieren. Wir hoffen, mit der Veranstaltung und dem vorlie- genden Reader einen Schritt in diese Richtung zu gehen. Agora Energiewende und Energie & Management bieten dieser Debatte wie schon in der Vergangenheit eine öffent- Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre! liche Plattform. Der vorliegende Reader dokumentiert un- sere Konferenz Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Ihr Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapazitätsmechanis- Patrick Graichen, Direktor Agora Energiewende men verzichten? vom 17. September 2014. Wir haben die Timm Krägenow, Chefredakteur Energie & Management 1
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Inhalt Teil 1: Die Ob-Frage: Schafft ein flexibilisierter Energy-only-Markt Versorgungssicherheit? Versorgungssicherheit in einem Energy-only-Markt 5 Dr. Christoph Riechmann, Matthias Janssen, Thomas Niedrig, Patrick Peichert, Jens Perner Können wir auf einen Kapazitätsmechanismus wirklich verzichten? 13 Prof. Dr. Felix Höffler Die Investoren-Perspektive 17 Ben Schlemmermeier Die Stromnachfrager-Perspektive 27 Andreas Flamm Teil 2: Die Wie-Frage: Vergleich verschiedener Kapazitätsmechanismen Ergebnisse der Vergleichsstudie im Auftrag des BMWi 31 Markus Peek Ein Kommentar der Bewertung des dezentralen Leistungsmarktes im BMWi-Impact-Assessment 41 Julius Ecke Zur Bewertung des fokussierten Kapazitätsmarkts 47 Dr. Felix Matthes Zum Vorschlag eines umfassenden Kapazitätsmarktes 57 Prof. Dr. Felix Höffler 3
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Impulse | Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapazitätsmechanismen verzichten? Versorgungssicherheit in einem Energy-only-Markt Dr. Christoph Riechmann, Matthias Janssen, Thomas Niedrig, Patrick Peichert, Jens Perner * In1Deutschland wie in weiten Teilen Europas wird derzeit kann, um mittel- und langfristig – das heißt auch in einem eine intensive Diskussion um die Einführung sogenannter zunehmend von dargebotsabhängigen Erneuerbaren Ener- Kapazitätsmechanismen zur Gewährleistung von Versor- gien geprägten Marktumfeld – Versorgungssicherheit im gungssicherheit im Stromsektor geführt. Vor diesem Hin- Strommarkt sicherzustellen. tergrund haben Frontier Econmics und Formaet Services die Leistungsfähigkeit des heutigen Marktdesigns, basierend Zur Beantwortung dieser Frage haben Frontier Econmics auf dem sogenannten Energy-only-Markt (EOM) im Hin- und Formaet Services im Rahmen einer Studie für das Bun- blick auf die zukünftige Sicherstellung der Versorgungs- desministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) um- sicherheit im deutschen Strommarkt qualitativ und quan- fangreiche qualitative und quantitative Analysen (Markt- titativ untersucht. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, simulationen) vorgenommen. Dabei wird auf die Frage dass der EOM bei geeigneter Ausgestaltung auch in Zukunft fokussiert, inwieweit beziehungsweise unter welchen Vo- eine den Verbraucherpräferenzen entsprechende, sichere raussetzungen das Marktdesign in der Lage ist, in ausrei- Stromversorgung zu geringstmöglichen Kosten gewährleis- chendem Maße Kapazitäten von Stromerzeugungsanlagen, ten kann. Speichern oder Nachfrageflexibilität bereitzustellen, welche eine weitgehend einschränkungsfreie Stromversorgung ge- Hintergrund währleisten. Mögliche Versorgungseinschränkungen durch Störungen oder Engpässe auf der Transport- oder Verteil- Das Strommarktdesign in Deutschland und den meisten netzebene werden hierbei nicht betrachtet. seiner Nachbarländer basiert bisher überwiegend auf dem Prinzip des EOM. Dabei finanzieren sich Stromerzeugungs- Aktuell mangelnde Kraftwerksrentabilität als investitionen primär durch energieabhängige Entgelte (in Ausdruck von Überkapazitäten Euro pro Megawattstunde), die eine implizite Vergütung von Leistungsbereitstellung enthalten. Im Gegensatz dazu Die Diskussion um die Funktionsfähigkeit des EOM und werden im Rahmen von Kapazitätsmechanismen, welche mögliche Kapazitätsmechanismen hat in den vergange- derzeit in einigen Ländern Europas implementiert werden, nen Jahren vor allem deshalb Dynamik entfaltet, weil viele durch politische Intervention ergänzende Leistungszah- konventionelle Kraftwerke ihre Vollkosten derzeit im Markt lungen induziert (zum Beispiel in Euro pro Megawatt pro nicht oder kaum decken können und sich Neuinvestitionen Jahr). Dadurch soll die Vor- und Bereithaltung von Kapazität kaum rentieren. Folge der unbestrittenen wirtschaftlichen beanreizt und somit Versorgungssicherheit gewährleistet Schwierigkeiten für eine Vielzahl von Kraftwerksbetreibern werden. sind signifikante Anmeldungen zur Kraftwerkstilllegung. Entsprechend stellt sich auch in Deutschland die Frage, ob Aus der mangelnden Kraftwerksrentabilität kann allerdings das heutige auf dem EOM-Prinzip basierende Strommarkt- nicht geschlossen werden, dass der heutige Strommarkt design als ausreichend verlässlich eingeschätzt werden nicht funktionieren würde. Vielmehr ist die heutige Situ- ation in Deutschland zurückzuführen auf derzeitige Über- * Frontier Economics kapazitäten im deutschen Strommarkt, vor allem bedingt 5
Christoph Riechmann | Versorgungssicherheit in einem Energy-only-Markt durch die Wirtschaftskrise in Europa und einen erhebli- anderem durch hohe Spotmarktpreise in Zeiten von Knapp- chen, in diesem Maße von vielen Akteuren nicht vorherge- heit. So können Erzeuger neben ihren variablen Kosten zu- sehenen Ausbau der Erneuerbaren Energien. Eine Phase der sätzlich sogenannte Knappheitsrenten erzielen, welche der Marktkonsolidierung mit (vorübergehenden und endgül- Refinanzierung der Investitionen dienen. Zudem handeln tigen) Kraftwerksstilllegungen sowie Investitionszurück- die Marktakteure untereinander bereits heute Reserveleis- haltung sind deshalb zu erwarten und ökonomisch sinnvoll. tung zur Absicherung zum Beispiel eigener Stromerzeugung, Dies wird auch durch die Ergebnisse der im Rahmen der bei der ein Leistungspreis gezahlt wird. Bei zunehmend Untersuchung durchgeführten Marktsimulationen unter- volatileren Strompreisen und knapperen Kapazitätsreser- stützt: Wir beobachten kurzfristig (Modellperiode 2015 bis ven, als sie heute zu beobachten sind, ist damit zu rechnen, 2019) weitere vorübergehende und endgültige Stilllegungen dass weitere, bereits heute gängige Produkte wie zum Bei- von Erzeugungskapazitäten in Deutschland. Mittel- und spiel Liefer- und Bezugsoptionen, bei denen das Leistungs- langfristig (ab 2020) werden jedoch modellendogen neue In- preiselement in der Optionsprämie deutlich zum Ausdruck vestitionen in Kraftwerkskapazitäten getätigt und vorüber- kommt, in deutlich größerem Umfang gehandelt werden. gehend stillgelegte Kraftwerke wieder in Betrieb genommen. Schließlich zahlen die Netzbetreiber Leistungspreise im Rahmen der Beschaffung von Regelleistung. Insofern ist der Bereits der heutige Energy-only-Markt enthält EOM bereits heute kein Markt mit ausschließlich energie- Leistungspreiselemente basierten Produkten und Preisen. Weiterhin kann die heutige Marktsituation nicht als Indiz Auch reale EOM können Versorgungssicher- dafür herangezogen werden, dass die Bereitstellung von heit gewährleisten Kraftwerksleistung und sonstigen Kapazitäten (wie Nach- frageflexibilität) im EOM grundsätzlich nicht entgolten Demnach kann ein wettbewerblicher EOM grundsätzlich würde. Vielmehr hat die Vorhaltung von Leistung auch in die Deckung von Vollkosten (das heißt inklusive Investiti- einem EOM aus folgenden Gründen einen essenziellen Wert: onskosten und fixen Betriebskosten) aller benötigten Anla- gen ermöglichen. Damit werden im EOM-Rahmen die An- →→ unbedingte Lieferverpflichtung: Strombezugsverträge reize zur Errichtung und Vorhaltung der volkswirtschaftlich beinhalten die sogenannte „unbedingte Lieferverpflich- optimalen Gesamtleistung und dem kostengünstigsten Er- tung“. Dies bedeutet, dass der Stromproduzent bezie- zeugungsmix generiert. hungsweise -anbieter zum kontrahierten Zeitpunkt die zur Produktion der kontrahierten Energiemenge erfor- Die zentrale Frage ist, ob diese impliziten Leistungszahlun- derliche Leistung bereithalten muss. Somit ergeben sich gen ausreichen, um nachhaltig Versorgungssicherheit zu für den Anbieter Anreize zur Leistungssicherung. gewährleisten. →→ Sanktionsmechanismus Ausgleichsenergie: In der der- zeitigen Ausgestaltung des Energy-only-Marktes geht In realen Energy-only-Strommärkten könnten Konstella- von dem Ausgleichenergie-Preissystem eine sanktionie- tionen auftreten, in welchen die vorangehend skizzierten rende Wirkung aus: Wer trotz Lieferverpflichtung nicht Mechanismen eines EOM nicht vollständig wirken können. liefert oder wer mehr Strom bezieht, als er gekauft hat, Wir kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass diese Her- muss Ausgleichsenergiepreise bezahlen. Daher ist das ausforderungen, wie im Folgenden erläutert, durch Maß- Ausgleichsenergiesystem ein wesentlicher Eckpfeiler für nahmen und Reformen innerhalb des EOM handhabbar die Gewährleistung von Versorgungssicherheit im EOM. werden oder im deutschen Kontext von geringerer Relevanz in der Praxis sind (Abbildung 1). Durch diese Mechanismen ergibt sich eine Zahlungsbe- reitschaft für Leistung im EOM. Diese artikuliert sich unter 6
Impulse | Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapazitätsmechanismen verzichten? Mögliche Gründe für Marktunvollkommenheiten im EOM Abbildung 1 Leistungs- EOM kann im Grundsatz auch ohne „explizite“ Leistungspreise preiselemente usreichende Versorgungssicherheit gewährleisten a im EOM 1 2 3 4 5 Unterversorgung Politische Risiken Unterversor Wohlfahrts- Spill Over von Mögliche durch externe gung durch hohe schäden durch ausländischen Markt und „Missing Effekte bei Marktrisiken für Marktmacht- Kapazitäts störungen Money” Brownouts Investoren missbrauch mechanismen Erleichterung des Marktzutrittes für Nachfrageflexibilität & unkonventionelles Angebot (z.B. Notstromaggregate) Ansätze für Weiter- Regeln für die Bilanzkreisabrechnung auch bei entwicklung Versorgungsunterbrechungen (Auswahl) Stabile politische Rahmenbedingungen (z.B. EE und KWK) Explizites Bekenntnis zur Akzeptanz von Spitzenlastpreisen Schluss folgerung EOM kann Versorgungssicherheit sicherstellen Frontier Economics In der fachlichen Debatte werden verschiedene mögliche Im Folgenden erläutern wir unsere Einschätzung zur Re- Gründe für Marktunvollkommenheiten oder auch regulato- levanz dieser Punkte vor dem Hintergrund des Marktrah- rische Eingriffe in den Strommarkt als Herausforderungen mens in Deutschland beziehungsweise Europa. genannt: Mögliche externe Effekte praktisch wenig →→ externe Effekte bei der Bereitstellung des Gutes „Versor- relevant und minimierbar gungssicherheit“, insbesondere wegen des Charakters ei- nes öffentlichen Gutes; Versorgungssicherheit setzt voraus, dass die Nachfrage im →→ ineffiziente Allokation von Marktrisiken beziehungs- Strommarkt zu (nahezu) jeder Zeit physisch auf ein aus- weise prohibitive Risiken bei kapitalintensiven Investi- reichendes Angebot trifft, das heißt, dass Angebots- und tionen; Nachfragefunktion (nahezu) zu jedem Zeitpunkt einen →→ Herausforderung von Marktmachtpotenzial insbesondere Schnittpunkt aufweisen. Die Stromwirtschaft ist allerdings in Knappheitssituationen; derzeit durch folgende Besonderheiten gekennzeichnet: →→ mangelnde Vollkostendeckung durch regulatorische Eingriffe in den Preisbildungsmechanismus (Missing →→ (Kurzfristig) relativ geringe Preiselastizität der Money); Nachfrage: Viele Stromverbraucher (vor allem Haus- →→ internationale Spill-over-Effekte bei Einführung von haltskunden) verfügen bisher nicht über die notwendige Kapazitätsmechanismen im angrenzenden europäischen technische Ausstattung, um im Fall von hohen Preisen Ausland. ihren Verbrauch (manuell oder automatisiert) und damit zugleich ihre Strombezugskosten zu reduzieren. Daher könnte es in Knappheitssituationen grundsätzlich dazu 7
Christoph Riechmann | Versorgungssicherheit in einem Energy-only-Markt kommen, dass aufgrund einer zu geringen Preiselastizität lichen externen Effekten im Falle von Versorgungsunter- der Nachfrage keine Markträumung möglich ist. brechungen weitgehend abstrahieren. So würden mögliche →→ externe Effekte durch Nicht-Ausschließbarkeit und Lei- Defizite am Strommarkt grundsätzlich (nur) zu Teillastab- tungsgebundenheit: Eine Reihe von Verbrauchern (vor schaltungen einzelner Verbraucher bei Aufrechterhalten ei- allem Haushalte, Gewerbe, kleine Industriekunden) ver- nes sicheren Betriebs des europäischen Verbundnetzes füh- fügen über keine Möglichkeit zur Leistungsbegrenzung, ren. Alle anderen Marktakteure sind von externen Effekten um zu verhindern, dass sie mehr Strom beziehen als ver- nicht betroffen. Gleichzeitig ist den Marktakteuren vorab traglich vereinbart (keine individuelle Abschaltbarkeit). unbekannt, welche Kunden beziehungsweise Netzgebiete Wird Versorgungssicherheit durch einzelne Marktak- abgeschaltet würden. Dies mindert die Berechenbarkeit teure zur Verfügung gestellt, können andere Marktak- externer Effekte weiter. Die Marktakteure müssen also für teure deshalb hiervon nicht oder nur eingeschränkt aus- den Regelfall damit rechnen, bei Bilanzungleichgewichten in geschlossen werden. Die Marktakteure sind zudem über ihrem Bilanzkreis erhebliche Ausgleichsenergiezahlungen das Stromnetz verbunden: Für den Fall, dass es in Knapp- leisten zu müssen, Erzeuger können für den Regelfall damit heitssituationen aufgrund unzureichender Preiselastizi- rechnen, dass für die Erzeugungsanlagen Knappheitspreise tät der Nachfrage und unzureichender Ausschließbarkeit realisierbar sind, zumal Netzbereiche mit signifikanter Er- zu einer unfreiwilligen Abschaltung einzelner Verbrau- zeugung von den Netzbetreibern mit hoher Wahrschein- cher oder einzelner Verteilnetze kommen würde, kann lichkeit nicht abgeschaltet würden. sich ein einzelner Verbraucher nicht durch die Zahlung eines hohen Preises (ex ante) absichern. Im Fall einer un- Weiterhin lassen sich die Wirkungen externer Effekte be- freiwilligen Abschaltung einzelner Verteilnetze können ziehungsweise das Risiko des Auftretens von externen Ef- zudem Erzeuger, die davon betroffen sind, nicht von dem fekten durch Anpassungen im Marktrahmen weiter redu- eigentlich hohen Wert des Stroms profitieren, da dann zieren oder ganz vermeiden, wie zum Beispiel durch: eine Lieferung nicht möglich ist. →→ Probleme bei der Bestimmung eines adäquaten Preises →→ Aktivierung von Nachfrageflexibilität und heute noch bei Teilabschaltungen: In einer Situation mit Teilabschal- marktfernen Flexibilitäten wie Netzersatzanlagen: Ex- tungen lässt sich entweder gar kein Marktpreis feststel- terne Effekte treten bei ausreichender Nachfrageflexibi- len oder es wird gegebenenfalls ein Algorithmus notwen- lität nicht auf. Die (wirtschaftlich) erschließbaren Poten- dig, der zu Berechnung eines Preises führt. Dieser spiegelt ziale an Nachfrageflexibilität, insbesondere im Bereich jedoch unter Umständen nicht den (Grenz-)Wert des der Lastabschaltungen im Industriesektor, und bisher Stroms in dieser Extremsituation wider. Der tatsächliche nicht im Markt integrierter Erzeugung (zum Beispiel in Wert des Stroms entspräche gegebenenfalls den Grenz- Form von Netzersatzanlagen) halten wir für erheblich. kosten des Lastabwurfs, also den Kosten für Lastabwurf, Etwaige Hemmnisse und Barrieren für den Markteintritt die bei dem an stärksten geschädigten Kunden auftreten. solcher Flexibilitäten, zum Beispiel bei den Netzentgelten, Ist dieser Wert nicht in der Abrechnung hinterlegt (zum sollten abgebaut werden. Beispiel in Form des Ausgleichsenergiepreises) reduziert →→ Definition von Regeln für den Fall eines (partiellen) dies aus Sicht von Investoren die Rentabilität bei Ent- Lastabwurfs, damit auch bei einer Versorgungsunter- scheidungen zu Kraftwerksinvestitionen und zum Wei- brechung eine Abrechnung von Erzeugung und Ver- terbetrieb. brauch vorgenommen werden kann. So könnten für den (hypothetischen Fall) des partiellen Lastabwurfs fik- Externe Effekte sind somit im Strommarkt theoretisch nicht tive Abrechnungspreise definiert werden, um betroffene auszuschließen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Marktakteure für externe Effekte zu kompensieren be- Marktakteure in der stromwirtschaftlichen Praxis bei Ihren ziehungsweise Bilanzungleichgewichte abzurechnen. Absicherungs- und Investitionsentscheidungen von mög- 8
Impulse | Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapazitätsmechanismen verzichten? →→ Reform des Ausgleichsenergieregimes: Das Ausgleichs- wird. Zum Beispiel durch die verlängerte Nutzung von Be- energiesystem wirkt als Sanktionsmechanismus im EOM standkraftwerken (inklusive Retrofit), den Bau von Gastur- und kann gestärkt werden. Zum Beispiel, indem Ausglei- binen oder die Aktivierung von Nachfrageflexibilitäten oder chenergiepreise auf Basis von Grenzkosten des Reserve- Netzersatzanlagen, alles Maßnahmen mit vergleichsweise abrufs kalkuliert werden (und nicht auf Basis von Durch- geringen Kapitalkosten je Megawatt. schnittskosten) und im Knappheitsfall (das heißt nahe am drohenden Ausfall) die Kosten von Versorgungsunterbre- Eine Möglichkeit für die Politik, mit den oben genann- chungen (Value of Lost Load) reflektieren. Hierdurch wür- ten Risiken umzugehen, bestünde in einer verpflichten- den für die Marktakteure (Bilanzkreise) adäquate Anreize den Sozialisierung der Risiken – zum Beispiel über einen zur Absicherung von möglichen Bilanzkreisungleich- (mit langfristiger Kapazitätskontrahierung verbundenen) gewichten geschaffen (zum Beispiel durch den Kauf von Kapazitätsmechanismus. Dies kann zu einer Reduktion der Optionen) und Anbieter von Kapazität könnten zusätzli- Risikokosten des einzelnen Investors führen. Das Vorgehen che Renditen erwirtschaften. Auch eine Verbesserung der birgt jedoch die Gefahr von Fehlinvestitionen, da Investi- Anreize für die Bewirtschaftung von Bilanzkreisen wie tionsentscheidungen nicht mehr primär von den Akteuren zum Beispiel von Differenzbilanzkreisen, die von regu- (das heißt Investoren) getroffen werden, welche die Chancen lierten Marktakteuren geführt werden, ist zu prüfen. und Risiken zukünftiger Gewinne tatsächlich tragen, son- dern – zumindest indirekt – von staatlicher oder hoheitli- Risiken durch (politische) Unsicherheiten cher Stelle. Dies könnte in der Tendenz beispielsweise dazu grundsätzlich im EOM zu managen führen, dass Investitionen zu kapitalintensiv ausfallen. Zu- dem geht die Einführung von Kapazitätsmechanismen mit Risiken aus Unsicherheit über zukünftige marktliche und neuen (vor allem politischen) Risiken für Investoren einher, vor allem politische Entwicklungen spielen im Strommarkt, welche durch entsprechend höhere Renditen entgolten wer- der auf langlebigen und kapitalintensiven Investitionen ba- den müssen. So könnten gegebenenfalls die Risikokosten für siert, eine wichtige Rolle. Der Strommarkt ist jedoch grund- einzelne Investoren sinken, während zugleich die Kosten für sätzlich in der Lage, diese Risiken effektiv und effizient zu die Gesellschaft steigen könnten (zum Beispiel bei Überin- managen. So bestehen zahlreiche Instrumente und Produkte vestition). zur Absicherung von unsicheren zukünftigen Kosten und Erlösen. Beispielsweise lassen sich volatile Kurzfriststrom- Um negative Folgen politischer Unsicherheiten so weit wie preise für Zeiträume von wenigen Jahren grundsätzlich möglich zu minimieren, sollte das langfristige Investitions- durch entsprechende (zum Beispiel Options-)Produkte in umfeld allerdings durch klare und stabile – möglichst im ge- sichere Strompreise überführen. Langfristige Risiken wer- sellschaftlichen Konsens formulierte – politische Leitlinien den von Investoren getragen, die für diese Risikoübernahme bestimmt sein. So sind zum Beispiel verlässliche langfristige mit entsprechend höheren Renditen kompensiert werden. Ziele für den weiteren Zubau Erneuerbarer Energien oder auch klare langfristige Ziele und Regeln für das europäische Sofern kein Marktversagen auf dem Kapitalmarkt vorliegt, Handelssystem für CO 2-Zertifikate für ein planbares Mark- ist es also möglich, dass Investitionsentscheidungen unter tumfeld bedeutsam. Berücksichtigung aller mit der Investition verbundenen Chancen und Risiken getroffen werden. Dies gilt grundsätz- Marktmachtmissbrauch kein inhärentes lich auch in einem zunehmend auf dargebotsabhängigen EOM-Problem, da Markt bestreitbar Erneuerbaren Energien basierenden Marktumfeld. Weiter- hin ist davon auszugehen, dass die Bereitstellung von Fle- Der Markt für Stromerstabsatz in Deutschland war bezie- xibilität in einem zunehmend durch Erneuerbaren Energien hungsweise ist von einer gewissen Marktkonzentration geprägten Marktumfeld weniger kapitalintensiv ausfallen gekennzeichnet. Die Marktkonzentration in der Stromer- 9
Christoph Riechmann | Versorgungssicherheit in einem Energy-only-Markt zeugung ist in den letzten Jahren allerdings aufgrund des die Marktakteure die Preisspitzen antizipieren und reali- Ausbaus der Erneuerbaren Energien, Desinvestitionspro- sieren beziehungsweise spüren, kommt es zu keiner Ein- grammen der großen Erzeuger und neuen konventionellen schränkung der erzeugungsseitigen Versorgungssicherheit. Kraftwerken von Drittanbietern zurückgegangen. Weiterhin besteht in mittlerer und längerer Frist ein diszip- Die Pivotalität einzelner Anlagen ist in Knappheitssitua- linierender Wettbewerbsdruck, da (tatsächliche oder für die tionen allerdings inhärenter Bestandteil eines jeden wett- Zukunft erwartete) überhöhte Preise zum Markteintritt von bewerblichen und auf dem EOM-Prinzip basierenden Erzeugungsanlagen oder der Aktivierung von Nachfragefle- Strommarktes. Die Möglichkeit, Knappheitspreise in Spit- xibilität führen („Bestreitbarkeit des Marktes“). zenlastzeiten zum Beispiel in Höhe der Kosten von freiwilli- ger Nachfragereduktion am Markt realisieren zu können, ist Missing Money durch Preisregulierung kann zur Refinanzierung von Kapitalkosten und fixen Betriebs- unterbunden werden kosten für „Grenzanlagen“ erforderlich und keine miss- bräuchliche Ausnutzung von Marktmacht. Dieser Prozess Sollten Spitzenlastpreise politisch nicht auf Akzeptanz sto- entspricht dem in der Literatur bekannten Peak Load Pri- ßen und zum Beispiel preisregulatorische Eingriffe in den cing. Dementsprechend zeigen auch die Modellsimulationen Markt erfolgen, könnten diese die Funktionsweise des EOM des EOM, dass die Strompreisspitzen auf dem Großhandels- erheblich stören, da der Strompreis hierdurch nicht die zur markt in Jahren mit knapperen Erzeugungskapazitäten (im Vollkostendeckung notwendigen Höhen erreichen kann Modell vor allem die Perioden um das Jahr 2023) signifikant (Missing Money). Während derartige Eingriffe in einigen ansteigen (Abbildung 2). Solange dies zugelassen wird und Ländern die Motivation zur Einführung von Kapazitätsme- Bedeutung von Preisspitzen im Großhandelsmarkt Abbildung 2 historisch 2013 2013 2015 2023 2030 2035 300 % 250 % 200 % % des Base 150 % 100 % 50 % 0% 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Stunde Frontier Economics 10
Impulse | Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapazitätsmechanismen verzichten? chanismen sind (beispielsweise Preisobergrenzen in eini- soweit Transportkapazitäten verfügbar sind. Es sollten gen US-Märkten), liegen diese Bedingungen im deutschen allerdings im europäischen Kontext klare internationale Strommarkt in dieser Form allerdings heute nicht vor, das Regeln für grenzüberschreitende Stromlieferungen in heißt, es bestehen heute keine regulatorischen Preisober- Knappheitsfällen etabliert werden. grenzen. →→ Marktmechanismus funktioniert weiterhin: In Extremsituationen, in denen ausländische Kapazität zum Allerdings könnte schon das Risiko solcher zukünftiger Beispiel wegen zeitgleicher Spitzenlast oder beschränk- staatlicher Eingriffe in die Preisbildung das Investitions- ter Transportkapazitäten nicht oder nur eingeschränkt kalkül von Investoren beeinträchtigen und dadurch die Ver- für Exporte nach Deutschland zur Verfügung steht, steigt sorgungssicherheit unterminieren. Von Vorteil wäre deshalb der Strompreis in Deutschland entsprechend an. In der ein explizites politisches beziehungsweise administratives Folge können sich Investitionen in Kraftwerke hierzu- Bekenntnis zur Akzeptanz von erforderlichen Preisspitzen lande trotz des in vielen Stunden geringeren Preisniveaus auf dem Strommarkt, zum Beispiel gestützt durch die An- amortisieren. Im Ausland durch Kapazitätsmechanis- hebung der technischen Preisobergrenzen an den Strom- men beanreizte Kapazität kann demnach die Anzahl der börsen, idealtypisch bis zum geschätzten Value of Lost Load. Stunden mit hohen Spotpreisen in Deutschland reduzie- Zudem könnte die Kartellamtspraxis bezüglich des Mark- ren, ohne jedoch den Funktionsmechanismus generell zu up-Verbots für marktbeherrschende Unternehmen durch beeinträchtigen. eine „Umkehr der Beweislast“ angepasst werden. Demnach könnten auch bisher als „marktbeherrschend“ eingeschätzte Auch wenn sich unterschiedliche Marktdesigns in be- Unternehmen Preisgebote oberhalb der eigenen variablen nachbarten Ländern – bei einer sinnvollen Definition von Kosten abgeben, es sei denn, ihnen könnte nachgewiesen Versorgungssicherheit – nicht nachteilig auf die Versor- werden, dass diese Gebote nicht zur Vollkostendeckung not- gungssicherheit auswirken, werden doch Ansiedlungs- und wendig und damit marktmissbräuchlich sind. Verteilungseffekte zwischen Produzenten und Verbrau- chern in den verschiedenen Ländern verursacht. Insofern Keine unmittelbare Gefährdung für ist eine internationale Koordination und, soweit möglich, Versorgungssicherheit durch ausländische Harmonisierung wünschenswert. Kapazitätsmechanismen Versorgungssicherheit im internationalen Einige Deutschland umgebende Länder haben Kapazitäts- Kontext zu betrachten mechanismen eingeführt beziehungsweise befinden sich derzeit im Prozess der Implementierung eines solchen. Die Bei der Beurteilung der Versorgungssicherheit muss der Ursachen hierfür sind vielschichtig und basieren auf den Beitrag von in Knappheitssituationen verfügbaren Import- jeweiligen Gegebenheiten und Zielsetzungen der Länder. möglichkeiten berücksichtigt werden. Sollte die Politik die Zielsetzung einer jederzeit möglichen national autarken Die Einführung von Kapazitätsmechanismen in benach- Versorgung vorgeben, so kann ein Energy-only-Markt – barten Ländern erfordert alleine jedoch keinen Kapazitäts- unabhängig von der Existenz ausländischer Kapazitätsme- mechanismus in Deutschland, um hierzulande die Versor- chanismen – diese Anforderung allenfalls zufällig erfüllen. gungssicherheit zu gewährleisten: Dies liegt darin begründet, dass im EOM Investitionsent- scheidungen auf Basis des internationalen Zusammenspiels →→ zusätzliche Kapazität auch in Deutschland nutzbar: In von Angebot und Nachfrage unter Berücksichtigung der vielen Situationen kann die durch einen Kapazitätsme- durch Grenzkuppelstellen gegebenen Import- und Export- chanismus im Ausland induzierte zusätzliche Kapazi- möglichkeiten getroffen werden. tät zur Versorgungssicherheit in Deutschland beitragen, 11
Christoph Riechmann | Versorgungssicherheit in einem Energy-only-Markt Fazit zur Funktionsfähigkeit des EOM internationale Koordination der Definition von Versor- gungssicherheit und der grenzüberschreitenden Prozesse Ein auf dem EOM-Prinzip basierendes Strommarktde- für den Fall, dass Knappheiten auftreten. sign kann grundsätzlich eine den Verbraucherpräferenzen entsprechende sichere Stromversorgung zu geringstmög- Wir gehen davon aus, dass diese Maßnahmen ein ausrei- lichen Kosten gewährleisten. Dies gilt auch vor dem Hin- chend definiertes Marktumfeld schaffen können, um auch tergrund von zunehmenden Anteilen dargebotsabhängiger selten benötigter Flexibilität einen adäquaten Marktwert für Erneuerbarer Energien und von Kapazitätsmechanismen die bereitgestellte Kapazität zu sichern und damit in einem im angrenzenden Ausland. Aufgrund aktuell bestehender EOM Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dies zeigen Überkapazitäten besteht derzeit keine Gefahr einer erzeu- auch die im Rahmen des Projektes durchgeführten Modell- gungsseitigen Gefährdung der Versorgungssicherheit. rechnungen: Bei entsprechend definiertem Marktumfeld führen die Marktmechanismen zu Kapazitäten, welche auch Um auch in Zukunft ein ausreichend hohes Versorgung- im Rahmen von probabilistischen Analysen zu komfortab- sicherheitsniveau durch den EOM zu gewährleisten, len Versorgungssicherheitsniveaus führen. erscheinen in einigen Bereichen Anpassungen des Markt- rahmens geboten. Wesentliche Maßnahmen zur Verbesse- rung des Marktrahmens sehen wir deshalb unter anderem in folgenden Bereichen: →→ Anreize für beziehungsweise Abbau von Barrieren für die Integration von Nachfrageflexibilitäten und bisher marktferner Erzeugungsanlagen (zum Beispiel Netzer- satzanlagen); →→ kommerzielle Regeln für den Fall von erzeugungsbeding- ten, unfreiwilligen Lastunterbrechungen zur Minimie- rung beziehungsweise Vermeidung (dann nur hypotheti- scher) externer Effekte, insbesondere, um Stromerzeugern den tatsächlichen Wert des Stroms in dieser Situation zu vergüten; →→ verbesserte Anreize für die Bewirtschaftung von Bilanz- kreisen durch Weiterentwicklung der Regelungen zur Ausgleichsenergie; →→ langfristig stabile politische Rahmenbedingungen (zum Beispiel bezüglich Erneuerbare-Energien-Förderung, Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, EU-Emissions- handel) zur Minimierung politischer Risiken; →→ glaubhafte Vermeidung impliziter und expliziter Preiso- bergrenzen für den Stromgroßhandelsmarkt und damit explizite Akzeptanz von Knappheitspreisbildung (Peak Load Pricing) und 12
Impulse | Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapazitätsmechanismen verzichten? Können wir auf einen Kapazitätsmechanismus wirklich verzichten? Prof. Dr. Felix Höffler * Voraussetzungen für einen funktionierenden ann Value of Lost Load Pricing ernsthaft ein Element →→ 1. K Energy-only-Markt des Martkdesigns sein? →→ 2. Was ist eine realistische Rolle von Demand Side Auf einen Kapazitätsmechanismus kann und sollte man Management (DSM)? verzichten, wenn der Energy-only-Markt (EOM) langfristig →→ 3. Wie problematisch ist Marktmacht in Knappheits zuverlässig funktioniert. situationen? →→ 4. Wie ist das Problem regulatorischer Unsicherheit Theoretisch kann der EOM gut funktionieren. Das erfor- einzuschätzen? dert „Knappheitspreise“, damit auch das Kraftwerk mit den höchsten Grenzerzeugungskosten seine Vollkosten verdie- Value of Lost Load Pricing: Das klassische Problem des EOM nen kann. In einigen Stunden muss daher die Nachfrage die ist, dass es bei fehlender Nachfrageflexibilität zu Blackouts Preise setzen. Der im Wettbewerb sich einstellende Preis kommen kann. In diesem Fall kann der Markt keinen Preis liegt dann weit oberhalb der Grenzkosten der letzten pro- für Strom ermitteln, da die angebotene Strommenge nicht duzierenden Einheit und entspricht dem Nutzenverlust des ausreicht, die – zu jedem zugelassenen Preis nachgefragte – ersten Verbrauchers, der freiwillig auf Strom verzichtet. Menge zu decken. In jedem Lehrbuch der Energieökonomik findet sich als Antwort hierauf, dass in solchen Situationen Allerdings setzt dies wettbewerbliches Anbieterverhalten ein Value of Lost Load (VoLL) Pricing durchgeführt werden selbst in Knappheitssituationen voraus. Das ist dann wenig könnte. Theoretisch führt dies dann zu einem effizienten problematisch, wenn die Nachfrage in Knappheitssituati- Marktergebnis, bei dem auch langfristig die richtigen In- onen sehr elastisch ist, also kleine Preissteigerungen einen vestitionsanreize gesetzt werden. starken Rückgang der Stromnachfrage bewirken. In der Praxis findet sich kaum VoLL Pricing. Es gibt keine Eine deutliche Zunahme flexibler Lasten ist grundsätzlich verlässliche Abschätzung für den VoLL. Jede VoLL-Preisset- nicht unplausibel. Allerdings steigt der benötigte Umfang zung ist weitgehend arbiträr und wäre in der Praxis starken flexibler Lasten mit dem Anteil Erneuerbarer Energien an. Lobbying-Einflüssen ausgesetzt. Es muss geregelt werden, Auch muss es sich um Nachfrage handeln, die sehr hohe wer in der Knappheitssituation Zahlungen erhält und wer variable Kosten der Lastreduktion aufweist. sie leistet. Und das System ist anfällig gegenüber der Aus- übung von Marktmacht. Warum es riskant erscheint, sich auf den EOM zu verlassen DSM-Potenziale: Es gibt unbestreitbar große DSM-Poten- ziale, die technisch möglich erscheinen. Erfreulicherweise In der gegenwärtigen Diskussion sind es mindestens vier findet zunehmend Beachtung, dass es nicht nur auf Gesamt- Argumente, die einen EOM-Ansatz stützen und die kritisch oder Durchschnittskosten solcher Maßnahmen ankommt, reflektiert werden sollten: sondern auf die Aufteilung auf Fix- und variablen Kosten. * EWI Köln 13
Felix Höffler | Können wir auf einen Kapazitätsmechanismus wirklich verzichten? Die meisten diskutieren DSM-Maßnahmen haben eine weil sie sich ergeben würden, wenn kein Unternehmen ver- Kostenstruktur, die Kraftwerken sehr ähnlich ist. Sie haben sucht, den Marktpreis durch sein Angebotsverhalten zu ma- hohe Investitionskosten und niedrige variable Kosten. Es nipulieren (sondern den Preis „als gegeben annimmt“). handelt sich hier um Maßnahmen, die gerade deshalb für den Nutzer attraktiv erscheinen, weil sie so gestaltet sind, In Knappheitssituationen können Preise aber von jedem dass der Nutzer von der Nachfragereduktion kaum etwas Anbieter auf Niveaus weit oberhalb der wettbewerblichen mitbekommt (zum Beispiel der Kühlschrank, der kurzfristig Knappheitspreise angehoben werden. Wie jede Markt- etwas höhere Temperaturen zulässt). machtausübung führt dies dann nicht nur zu einer Umver- teilung von Konsumenten zu Produzenten durch überhöhte Umgekehrt heißt das dann, dass der Grenzschaden für den Preise, sondern auch zu Fehlallokationen, zum Beispiel Nutzer gering ist und er seine Maßnahme im Strommarkt zu durch Überinvestition in DSM. sehr niedrigen Preisen anbieten würde. Sie würden damit gerade keine Knappheitspreise erzeugen (sondern umge- Dieses Marktmachtproblem kann auch nicht durch die Ge- kehrt wiederum solche benötigen, um die Investitionen zu- fahr drohenden Marktzutritts gelöst werden. Der Strom- rückzuverdienen). markt ist weder insgesamt noch in Knappheitsstunden ein „bestreitbarer Markt“. DSM-Potenziale, die die im EOM notwendige Funktion er- füllen, hohe Knappheitspreise zu erzeugen, müssen daher Die disziplinierende Funktion drohenden Marktzutritts be- solche sein, deren Inanspruchnahme sehr weh tut: Typi- ruht auf der Idee der Hit and Run-Strategie. Mit den Worten scherweise Lastabwürfe, die zu sehr teuren Produktions- von William Baumol, dem Begründer der Theorie bestreit- ausfällen führen oder hohe Schäden an Produktionsanlagen barer Märkte: „The crucial feature of a contestable market is verursachen. its vulnerability to hit-and-run entry. Even a very transient profit opportunity need not be neglected by a potential ent- Ökonomisch können solche DSM-Maßnahmen effizient rant, for he can go in, and, before prices change, collect his sein. Ob es sich für die beteiligten Nachfrager um attraktive gains and then depart without cost, should the climate grow Perspektiven handelt, ist eine andere Frage. hostile.” 1 Marktmacht: Der EOM braucht, um Grenzkraftwerke finan- Damit dies funktioniert, müssen Marktzutritts- und -aus- zieren zu können, Knappheitssituationen, in denen alle Er- trittskosten gering sein. Wieder Baumol: „By this we mean zeugungskapazitäten genutzt werden, sodass die Nachfrage that any firm can leave without impediment, and in the pro- preissetzend werden kann. Per constructionem bedeutet cess of departure can recoup any costs incurred in the entry dies, dass jeder Anbieter, auch ein kleiner, in diesen Situa- process. If all capital is salable or reusable without loss other tionen über Marktmacht verfügt, also durch sein Angebots- than that corresponding to normal user cost and deprecia- verhalten den Marktpreis beeinflussen kann. tion, then any risk of entry is eliminated.” 2 Die Ausübung von Marktmacht in Knappheitssituationen Nichts von dem trifft auf den Strommarkt zu. Fixe und ver- ist gerade nicht eine Voraussetzung für das Funktionieren sunkene Kosten spielen im Strommarkt eine große Rolle. Sie des EOM. Eine solche Interpretation würde ein grundsätzli- führen zu Marktzutritts- und -austrittskosten, die wie- ches Fehlverständnis des EOM offenbaren. derum die disziplinierende Wirkung potenziellen Wettbe- Knappheitspreise im diskutierten Sinn sind Wettbewerbs- 1 William J. Baumol: Contestable Markets: An Uprising in the Theory preise, auch wenn sie oberhalb der Grenzkosten der letzten of Industry Structure. American Economic Review 72, 1 (1982), S. 4. produzierenden Einheit liegen. Sie sind Wettbewerbspreise, 2 ebd. 14
Impulse | Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapazitätsmechanismen verzichten? werbs stark reduzieren – gerade wenn es sich um wenige wattstunde); vierstellige Zahlen werden ebenso genannt wie Stunden im Jahr handelt, die stochastisch anfallen. fünfstellige. Regulatorische Unsicherheit: Gerade weil der EOM das Bei einem (Grenzkosten-)Preis von 100 Euro pro Megawatt- Marktmachtproblem nicht lösen kann, gehört viel Optimis- stunde wäre der Deckungsbeitrag aus dieser einen Stunde mus dazu, zu glauben, dass nicht regulierend in die Preisset- aus dem Kraftwerksportfolio bei den unterstellten variablen zung im Strommarkt eingegriffen wird. Kosten 1,3 Millionen Euro. Bei einem Preis von 1.000 Euro pro Megawattstunde wären dies 23,4 Millionen Euro und Das liegt daran, dass nicht nur die Grenzkraftwerke (oder bei 10.000 Euro pro Megawattstunde ergäben sich 245 Mil- DSM-Maßnahmen) die Knappheitspreise erhalten, sondern lionen Euro. (Zum Vergleich: Das entspräche 1,6 Prozent be- auch alle anderen Kraftwerke. Im langfristigen Wettbe- ziehungsweise 17 Prozent des Betriebsergebnis von RWE im werbsgleichgewicht benötigen sie diesen auch. Es bedeutet Segment Strom, Kontinentaleuropa, 2013, das sich auf 1.450 aber, dass es einzelne wenige Stunden gibt, die für Erzeuger Millionen Euro belief). extrem profitabel sind. In einer solchen Situation wäre es unmöglich, für einen Au- Würden wir in einem funktionierenden EOM leben (im ßenstehenden zu beurteilen, ob der wettbewerbliche Knapp- langfristigen Gleichgewicht), dann könnte folgende Situ- heitspreis 1.000 oder 10.000 Euro pro Megawattstunde ist. ation leicht eintreten. Nehmen wir an, die Spitzenlast tritt Das liegt allein schon daran, dass durch die Wetterunsicher- in der Stunde 19 des 17. Dezember 2014 auf, in der es – was heit auch im langfristigen Wettbewerbsgleichgewicht ex untypisch, aber nicht extrem unwahrscheinlich ist – sehr post Übergewinne oder auch Verluste auftreten können, je wenig Windeinspeisung gibt. In der Folge werden alle kon- nachdem, wie häufig Spitzenlast und wenig Wind gleichzei- ventionellen Anlagen gebraucht und die Nachfrage wird tig auftreten. preissetzend. Ein Wettbewerbshüter würde sich vermutlich nicht auto- Wir könnten dann zum Beispiel für die RWE AG folgende matisch darauf verlassen wollen, dass ein Preis von 10.000 Überschlagsrechnung anstellen: 3 Wir unterstellen, dass alle Euro pro Megawattstunde dem wettbewerblichen Niveau RWE-Kapazitäten ausgelastet werden und nehmen be- entspricht – die Versuchung, Preise in die Höhe zu treiben, stimmte variable Kosten an. 4 Wie hoch die Knappheits- erscheint dafür zu groß. Umgekehrt würde sich das Un- preise ausfallen müssen, kann niemand genau sagen: Sie ternehmen nicht darauf verlassen wollen, dass es Preise in müssen sicher oberhalb der Grenzkosten der letzten pro- notwendiger Höhe uneingeschränkt realisieren kann. duzierenden Einheit sein (im Beispiel: 100 Euro pro Mega- Ein EOM ohne Preishöhenkontrolle ist schwer vorstellbar – ein EOM mit zu strikter Preishöhenkontrolle kann aber 3 In keiner Weise soll im Folgenden unterstellt werden, dass RWE nicht funktionieren. Ein Dilemma, das nur schwer aufzulö- Marktmacht ausübt, ungebührliche Gewinne macht oder ähnliches. sen ist. Eine äquivalente Rechnung ließe sich für jeden anderen Betreiber anstellen, RWE macht nur seine Kapazitäten sehr transparent, was die Rechnung erleichtert: www.rwe.com/web/cms/de/59916/ transparenz-offensive/deutschland/stromerzeugung-online/ver- fuegbare-leistung-365-tage-vorschau/. Nuklear: 3.878 Megawatt, Braunkohle: 10.332 Megawatt, Steinkohle: 4.522 Megawatt, Gas: 3.313 Megawatt, Sonstige: 2.541 (download: 8.9.2014). 4 Kernenergie: 25 Euro pro Megawattstunde, Braunkohle: 35 Euro pro Megawattstunde, Steinkohle: 45 Euro pro Megawattstunde, Gas: 70 Euro pro Megawattstunde, Sonstige: 100 Euro pro Megawattstunde. 15
Agora Energiewende | Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapazitätsmechanismen verzichten? 16
Impulse | Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign: Kann der Energy-only-Markt 2.0 auf Kapazitätsmechanismen verzichten? Die Investoren-Perspektive Ben Schlemmermeier * 1 Hintergrund ihre unternehmerischen Entscheidungen treffen und wel- che Folgen dies für die Versorgungssicherheit haben kann. Betreiber1 melden Tausende Megawatt an Kraftwerks- Hieraus müssen wir die Anforderungen an eine Anpassung leistung zur Stilllegung an. Investoren treffen keine Neu- des Marktdesigns entwickeln. bauentscheidungen, nicht einmal für dringende Ersatzin- vestitionen in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen für die Nachfolgend beschreiben wir zunächst abstrakt die Ge- industrielle und öffentliche Wärmeversorgung. schäftsmodelle von Investoren, leiten daraus deren unter- nehmerische Entscheidungskriterien ab, um schließlich vor Die Meinung zur Beurteilung der Situation ist polarisiert: dem Hintergrund dieser Kriterien die Marktentwicklung und das bestehende Marktdesign zu beurteilen. →→ Die einen sagen: Es bestehen Überkapazitäten im Markt. Diese führen zu intensivem Wettbewerb mit niedrigen 2 Das Geschäftsmodell der Kraftwerks Erzeugermargen. Die Überkapazitäten müssen durch investition Stilllegung bereinigt werden. Neubauten benötigen wir nicht. Dies sagen uns die Preissignale. Nach der Markt- Investitionen in Kraftwerke sind kapitalintensiv und lang- bereinigung entstehe ein neues Gleichgewicht. Anpas- fristig. Der Investor engagiert sich, um Gewinn zu erzielen. sungsbedarf am Marktdesign bestehe nur im geringen Grundlage seiner Investitionsentscheidung ist die Erwar- Umfang (strategische Reserve, Flexibilisierung). tung, dass innerhalb der Lebensdauer des Kraftwerks das →→ Die anderen sagen: Überkapazitäten im Energy-only- investierte Kapital verzinst zurückfließt. Dabei ist die zent- Markt (EOM) sind kein vorübergehendes Phänomen, das rale Frage, welche Absatzmengen bei welchen Marktpreisen nur einer Marktbereinigung bedarf, sondern sie sind in- zukünftig zu den Deckungsbeiträgen führen, die einen Ka- nerhalb des EOM systemimmanent und als Folge der Ko- pitalrückfluss erwarten lassen, und zwar über den entspre- existenz von konventionellen Kapazitäten und Erneuer- chenden Amortisationszeitraum. bare-Energien-Kapazitäten ein dauerhafter Zustand. Das bestehende Strommarktdesign versagt, weil es Versor- 2.1 Das Geschäftsmodell des integrierten Versorgers gungssicherheit nicht erhalten kann, und muss deshalb im demarkierten Gebietsmonopol um einen Kapazitätsmechanismus ergänzt werden. Nur Vor der Liberalisierung hatte der integrierte Energiever- so können die Einkommensströme entstehen, um Be- sorger innerhalb seines Versorgungsgebietes ein Monopol. standskraftwerke im Markt zu halten und Neubaukraft- Um die Verbraucher zu schützen, waren die Preise durch die werke in den Markt zu bringen. Bundestarifordnung Elektrizität (BTOElt) und das Kartell- recht reguliert. Im Kern kommt es nicht darauf an, wie die Nationalökono- men in ihren Modellen die Welt nachbauen und uns er- Investierte der integrierte Versorger in ein Kraftwerk, klären, was richtig wäre. Vielmehr kommt es darauf an zu wusste er, dass er den dort zu erzeugenden Strom an seine verstehen, nach welchen Kriterien Betreiber und Investoren „gefangenen“ Kunden verkaufen konnte. Er hatte also kein Absatzmengenrisiko. Der Regulierungsrahmen ermöglichte * LBD Beratungsgesellschaft mbH 17
Ben Schlemmermeier | Die Investoren-Perspektive es, die Preise kostenorientiert zu bilden. Er hatte also kein Markt, der die Stromerzeugung mit dem Einzelhandels- Marktpreisrisiko. markt verbunden hat. Das Änderungsrisiko seiner Annahmen zu Absatzmengen Kern dieses Großhandelsmarktes ist der day-ahead organi- und Absatzpreisen innerhalb seiner Investitionsrechnung sierte Spotmarkt mit einer täglichen Auktion von Angebot war nicht entscheidungsrelevant, weil der Rechtsrahmen und Nachfrage. Die Funktionsweise des Marktplatzes folgt es ermöglichte, die Preise zu verlangen, die zum verzinsten den in der Rechtsordnung gestalteten Regeln. Rückfluss des Kapitals erforderlich waren. Fehlgeschlagene Investitionen (zum Beispiel das Kernkraftwerk Mühlheim- 2.3 D as Geschäftsmodell der Kraftwerksinvestoren im Kärlich) belasteten nicht den Gewinn, sondern erhöhten die Energy-only-Markt Kosten und dementsprechend den Strompreis. Die Inves- Anders als im regulierten Monopol waren die Kraftwerks- titionsplanung orientierte sich am Wachstum des Brutto- investoren im liberalisierten Strommarkt Mengen- und inlandsprodukts. Der absolute Gewinn war umso höher, je Preisrisiken ausgesetzt. Es gab keine stabile Erlösbasis und mehr Kapital investiert worden war. damit keine stabilen Cashflows mehr. Die vielfältigen Fehlallokationen dieses Regulierungsrah- Herausforderung war und ist, die zukünftigen Strompreise mens waren Anlass für die darauf folgende Strommarktlibe- und den zukünftigen Kraftwerkseinsatz zu prognostizieren. ralisierung. Dazu wurden Marktmodelle entwickelt. Markterfahrungen gab es nicht oder nur wenige aus den USA und aus Groß- 2.2 Die Rechtsordnung gestaltet die Liberalisierung britannien. Die Modelle folgten (und folgen noch) alle den und Regulierung des Strommarktes Regeln und deren Wirkungen des Day-ahead-Handels am Vorausgeschickt: Der Strommarkt ist ein Geschöpf der Spotmarkt: Rechtsordnung. Er ist kein stofflicher Markt. Die in der Rechtsordnung niedergelegten Regeln schaffen den Markt. →→ grenzkostenorientierte Preisbildung mit Markträu- Neudeutsch wird deshalb von Marktdesign gesprochen. Bei mungspreis (in der Merit Order (1) bestimmt das letzte Funktionsdefiziten muss deshalb differenziert werden zwi- zur Deckung der Nachfrage (2) erforderliche Angebot den schen einem Versagen des Marktdesigns und einem Versa- Preis (3)) gen des Marktes. →→ Der Deckungsbeitrag aus der Differenz des Markträu- mungspreises zu den Grenzkosten deckt Fixkosten (4) des Kern des Strommarktdesigns zur Ablösung der demarkier- Betriebs und der Finanzierung. ten Gebietsmonopole integrierter Versorger waren zwei →→ Kraftwerke, die nicht zur Nachfragedeckung benötigt Bausteine: Liberalisierung und Regulierung. Die Teile der werden, (5) generieren keine Deckungsbeiträge. Dies gilt Wertschöpfung in der Stromversorgung, die insbesondere für Überkapazitäten, die aus Gründen der Versorgungssicherheit über die eigentliche Spitzenlast (6) →→ wettbewerblich organsiert werden konnten, sollten in den hinaus vorgehalten werden. Wettbewerb gestellt werden; →→ natürliche Monopole darstellten, sollten reguliert werden. Die Modelle hatten die Frage zu beantworten, welche zu- künftigen Deckungsbeiträge erwartet werden können und Die Stromerzeugung und der Einzelhandel mit Strom an ob diese zu einem verzinsten Rückfluss des Kapitals führen. Endkunden wurden wettbewerblich organsiert, die Netz- betreiber wurden reguliert. Die Wertschöpfungsstufen im Damit einher ging die Frage, wer das Risiko der Marktpreis- Wettbewerb und die im natürlichen Monopol wurden ent- änderung trägt, sollten die Prognoserechnungen nicht ein- flochten. Es wurde ein Großhandelsmarkt geschaffen, der treffen. 18
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