Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern: Gründe und Reformoptionen
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Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern: Gründe und Reformoptionen Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen 01/2018
Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern: Gründe und Reformoptionen Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen April 2018
Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern Seite 3 Inhalt Seite Kurzfassung 5 1. Ausgangslage 9 2. Über- und Fehlversorgung im deutschen Krankenhauswesen? 12 3. Ursachen von Über- und Fehlversorgung 17 3.1 Übernachfrage 17 3.2 Angebotsinduzierte Nachfrage 19 3.3 Krankenhausplanung in Deutschland 23 3.4 Krankenhausfinanzierung in Deutschland 25 3.5 Die Zuständigkeit der Länder 29 4. Reformoptionen 31 4.1 Der Stand der Reformen nach dem Krankenhausstrukturgesetz 31 4.2 Unzulängliche Reformüberlegungen 33 4.3 Selektivvertragliches Versorgungsmanagement in der GKV 36 4.3.1 Versorgungsmanagement als Konzept 36 4.3.2 Einkommensunabhängige Boni und Beitragsgerechtigkeit 39 4.3.3 Selektives Kontrahieren 41 4.3.4 Eine andere Sicht zum Versorgungsmanagement 44 4.4 Kapazitätsteuerung 46 4.4.1 Selektivvertragliches Versorgungsmanagement als Regeltarif 46 4.4.2 Selektivvertragliches Versorgungsmanagement als Wahltarif 48 4.4.3 Ein Investitionsfonds als Reformoption 50 5. Empfehlungen 53 Verzeichnis der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats 57
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Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern Seite 5 Kurzfassung Die stationäre Versorgung in Deutsch- Abbau von Überkapazitäten zu verwenden land steht in der Kritik. Sie hat mit verän- sind. Der Beirat ist indes zu dem Ergebnis derten Erfordernissen nicht Schritt gehal- gelangt, dass die defizitäre Kranken haus- ten. Es gibt stationäre Überkapazitäten und struktur gesetzgeberische Maßnahmen er- gleichzeitig apparativ schlecht ausgestat- fordert, die über die bisher ergriffenen hi- tete Krankenhäuser. Eine Arbeitsgruppe der nausgehen. Konkret empfiehlt er eine Leopoldina, der Nationalen Akademie der Neuordnung der Finanzierung von Kran- Wissenschaften, verdeutlicht die Defizite kenhäusern, und er spricht sich mehrheit- durch einen Vergleich mit Dänemark. Hätte lich für die Einführung von Wahltarifen in Deutschland die Krankenhausstruktur sei- der Gesetzlichen Krankenversicherung aus, nes nordischen Nachbarn, kämen in der die ein Versorgungsmanagement beinhal- Akutversorgung auf 1.000 Einwohner nicht ten. 6,1 Betten, sondern lediglich 2,5. Auch gäbe Ausgangspunkt der Beiratsanalyse sind es nicht 1.371 Plankrankenhäuser, sondern Fallzahlsteigerungen im stationären Sektor, lediglich 330. Diese wären dann aber alle mit die sich nicht allein medizinisch begründen einem Computertomographen (CT) und mit lassen. Nach Beiratsauffassung ist die Fehl- Intensivbetten ausgestattet. Tatsächlich ver- steuerung der Ressourcen im stationären fügen 19 Prozent der deutschen Plankran- Sektor auf das Fehlen wirksamer Mechanis- kenhäuser über kein Intensivbett und 34 men zurückzuführen, die eine Anpassung Prozent über keinen eigenen CT und dies, der Strukturen und Kapazitäten an verän- obwohl sie grundsätzlich einen Anspruch derte Erfordernisse sicherstellen. Der neu auf steuerfinanzierte Investitionen haben. geschaffene Strukturfonds erleichtert zwar Die Probleme haben den Gesetzgeber die Umwidmung von Kapazitäten; er ist veranlasst, im Rahmen des Krankenhaus- aber kein geeignetes Instrument, um zu er- strukturgesetzes vom 10. Dezember 2015 reichen, dass an den Stellen der Versorgung, einen Strukturfonds ins Leben zu rufen, wo Kapazitäten abgebaut werden müssen, dessen Mittel für die Verbesserung der Ver- auch entsprechend entschieden wird. 52 sorgungsstruktur und insbesondere den Prozent der allgemeinen Krankenhäuser ha-
Seite 6 Kurzfassung ben weniger als 200 Betten. Nach dem Stand Im Ergebnis werden also nicht nur Betriebs- der Literatur lassen sich Krankenhäuser mit kosten bundesweit abgewälzt, sondern auch weniger als 200 Betten aber im Regelfall Investitionskosten. Die Folge dieser Praxis nicht kosteneffizient betreiben. sind zu viele kleine, schlecht ausgerüstete Nach der geltenden Kompetenzvertei- Einrichtungen, die freiwillig nicht aufgeben lung wäre es grundsätzlich Aufgabe der Län- und die auch niemand zur Aufgabe zwingt. der, überzählige Krankenhäuser zu schlie- Der Beirat macht zwei Vorschläge zur ßen und die verbleibenden bedarfsgerecht besseren Ressourcensteuerung im Kran- zu stärken. Dazu kommt es aber nicht in kenhaussektor. Der eine zielt darauf ab, dem wünschenswerten Maße. Das dürfte den wirtschaftlichen Druck, ohne zwin- daran liegen, dass die politischen Kosten der gende medizinische Indikation zu operie- Schließung eines Krankenhauses den politi- ren, zu mindern. Nach dem anderen sollen schen Nutzen in aller Regel übersteigen. Die die Möglichkeiten der Krankenhäuser, ohne Schließung eines Krankenhauses zu vertre- zwingende medizinische Indikation zu ope- ten, ist schwieriger, als die Dinge laufen zu rieren, eingeschränkt werden. Im Ergebnis lassen. Diese Beharrungstendenz wird noch soll durch eine marktnähere Selbststeue- dadurch verstärkt, dass die Kosten nicht al- rung die Qualität der Versorgung verbessert lein von jenem Bundesland zu tragen sind, und eine Anpassung der Kapazitäten durch dessen Bürger von der wohnortnahen Ver- Umwidmung oder Betriebsaufgabe erzwun- sorgung profitieren. Ein guter Teil der Kos- gen werden. ten wird über die ganze Republik verteilt, Um den wirtschaftlichen Druck zu min- und zwar dadurch, dass bundesweit tätige dern, soll die Finanzierung der medizinisch Krankenversicherungen die Kosten über notwendigen Investitionen auf eine ver- bundesweit erhobene Mitgliedsbeiträge fi- lässliche Grundlage gestellt werden. Zwei nanzieren. Insoweit werden die Kosten der Lösungen werden vom Beirat zur Diskus- wohnortnahen Versorgung in einem Land sion gestellt. Nach der favorisierten Lösung auch Bürgern anderer Bundesländer ange- würden die Krankenhäuser künftig monis- lastet. tisch von den Krankenversicherungen fi- Streng genommen gilt das zwar nur für nanziert. Als Folge würden die Versicherten die laufenden Betriebskosten und nicht für über ihre Beiträge nicht nur die Betriebskos- die Investitionskosten. Letztere sind nach ten tragen, sondern zusätzlich auch die In- der geltenden Kompetenzverteilung vom je- vestitionskosten. Damit würde die Last der weiligen Bundesland aufzubringen. Die Län- Investitionsfinanzierung letztlich vom Steu- der haben aber längst ihr Handeln an der erzahler auf den Beitragszahler übergehen. Erfahrung ausgerichtet, dass Krankenhäuser Besser als heute wäre dadurch gewährleis- auch mit einer unzulänglichen Investitions- tet, dass notwendige Investitionen nicht an finanzierung zurechtkommen. Die Einrich- fehlenden Steuereinnahmen scheitern. Al- tungen beschaffen sich die fehlenden Inves- lerdings würden die Länder ihre Finanzie- titionsmittel, indem sie die Leistungsmenge rungskompetenz einbüßen. ausdehnen. Die Fallpauschale, die ihnen ein Eine zweitbeste Lösung verpflichtet die operativer Eingriff einbringt, deckt schließ- Länder, für jedes Krankenhausbett in ihrer lich nicht nur die variablen Betriebskosten, Zuständigkeit eine Bettenpauschale in einen sondern lässt sich in Teilen auch verwenden, neu einzurichtenden gemeinsamen Fonds um notwendige Investitionen zu finanzie- einzuzahlen. Die Höhe der Bettenpauschale ren. Das entspricht zwar nicht der geltenden wäre so zu bemessen, dass alle medizinisch Kompetenzverteilung, wird aber toleriert. notwendigen Investitionen finanziert wer-
Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern Seite 7 den können. Nach dieser Lösung würde es der Therapiewahl eingeschränkt; der Über- den Ländern erschwert, Betten zu genehmi- und Fehlversorgung an deutschen Kran- gen, ohne die Kosten zu tragen. Zu erwarten kenhäusern könnte auf diesem Wege aber wäre, dass die Länder stärker als heute auf spürbar entgegengewirkt werden. Betroffen den Abbau überzähliger Betten drängen und wären vor allem planbare Operationen und dass sie die verbleibenden Einrichtungen weniger der Bereich der Akut- und Notfall- bedarfsgerechter als heute ausstatten. versorgung. Allerdings sollte nach den Vorstellungen Das Angebot von VM-Tarifen setzt vo- des Beirats nicht nur die Finanzierung von raus, dass die Gesetzlichen Krankenver- Krankenhausinvestitionen reformiert wer- sicherungen über erweiterte, aber nicht den. Es sollten auch die Möglichkeiten der regulierungsfreie unternehmerische Gestal- Krankenhäuser eingeschränkt werden, über tungsfreiheiten verfügen. Als Korrektiv für den medizinischen Bedarf hinaus zu operie- eine gestärkte Gestaltungsverantwortung ren. Nach der Mehrheit der Wissenschaft- würde der Wettbewerb um zufriedene Ver- ler sollte das dadurch geschehen, dass den sicherte dienen. Zu erwarten ist, dass sich Gesetzlichen Krankenversicherungen das Versicherte dem selektivvertraglichen Ver- Recht eingeräumt wird, ihren Versicherten sorgungsmanagement in der Erwartung Tarife mit speziell gestaltetem Versorgungs- anvertrauen, nicht nur von einer besseren management anzubieten. Solche Wahltarife Versorgungsqualität zu profitieren, son- – Selekt- oder VM-Tarife genannt1 – würden dern auch von geringeren Versicherungs- sich dadurch auszeichnen, dass sie die im kosten. VM-Tarife dürften kostengünstiger Status Quo gegebenen Freiheiten der Arzt- sein, weil seltener über das medizinisch in- und Therapiewahl gezielt einschränken.2 dizierte Maß hinaus operiert würde. Im Rahmen dieser Tarife sollte es Die vielen Gesetzlichen Krankenversi- der einzelnen Krankenversicherung erlaubt cherungen müssten bei der vorgeschlage- sein, mit ausgewählten Krankenhäusern nen Konzeption, Kalkulation und Aushand- Verträge abzuschließen, die für all jene Ver- lung von VM-Tarifen Leistungen erbringen, sicherungsnehmer bindend sind, die sich in für die ihnen (mehr als den privaten Versi- dem Wahltarif eingeschrieben haben. Ge- cherungen) die notwendigen Erfahrungen sundheitsleistungen, die vom Gemeinsamen bisher weitgehend fehlen. Insofern verlangt Bundesausschuss (G-BA) zu Pflichtleistun- das Reformpaket des Beirats eine längere gen der Gesetzlichen Krankenversicherung Vorbereitungs- und Umsetzungsphase, die erklärt wurden, könnten nicht ausgeschlos- sicherlich eine weitere Anbieterkonzentra- sen werden. Dagegen wäre es den Versiche- tion mit sich bringen wird. rungen gestattet, Behandlungen auf der Ba- Mit steigendem Wettbewerbsdruck dürf- sis medizinischer Leitlinien verbindlich zu ten sich die Gesetzlichen Krankenversiche- vereinbaren. Damit würde zwar die Freiheit rungen gedrängt sehen, genau zu prüfen, wel- che Krankenhäuser bei welchen Leistungen gute Qualität erbringen und welche nicht. 1 Im angelsächsischen Sprachraum spricht man vom Preferred-provider-Modell. Stationäre Einrichtungen, die den Erwartun- 2 Eine Minderheit verweist auf die Bedeutung gen nicht entsprechen, kämen sicherlich un- der Eigenverantwortung, die Patienten bei der ter Druck. Sie müssten entweder umstruk- Einholung von Informationen über Gesundheits- leistungen haben. Auch werde die technische Ent- turieren oder den Betrieb einstellen. Bei den wicklung bei Expertensystemen die Einholung von verbleibenden Einrichtungen wären eine Informationen deutlich erleichtern. Dies lasse es stärkere Spezialisierung und eine bessere Aus- geraten erscheinen, persönliche Wahlfreiheiten im Behandlungsfall zu stärken und einer möglichen schöpfung von Größenvorteilen zu erwarten. Übernachfrage durch Selbstbehalte zu begegnen.
Seite 8 Kurzfassung Als Folge würde es notwendig, die Sicher- stellung der stationären Versorgung auf eine neue Grundlage zu stellen. Der Beirat empfiehlt, den G-BA zu beauftragen, nicht nur für operative Leistungen Mindestmen- gen vorzuschreiben, sondern auch für alle stationären Leistungen Mindestkriterien der Erreichbarkeit festzulegen. Nur solche Krankenversicherungen sollten dann eine Zulassung erhalten, die sich auf ein flächen- deckendes und den Erreichbarkeitsvorga- ben genügendes Vertragssystem mit statio- nären Leistungserbringern stützen können. Im Ergebnis würde die stationäre Versor- gung auf vertraglicher Basis sichergestellt. Die Vorschläge des Beirats sehen tiefgrei- fende Änderungen in den sozialrechtlichen Rahmenbedingungen vor. Die Konsequen- zen für die zukünftige stationäre Versor- gung in Deutschland wären weitreichend. Verantwortlichkeiten, die bisher bei den Ländern liegen, würden auf die Gesetzlichen Krankenversicherungen übertragen. Diese sähen sich gezwungen, zu gestalten und nicht nur zu verwalten. Auf lange Sicht führt aber nach der Einschätzung des Beirats kein Weg daran vorbei, zum Wohl der Versicher- ten den Krankenversicherungen eine akti- vere Rolle bei der Steuerung der Ressourcen im Krankenhaussektor zuzuweisen.
Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern Seite 9 1. Ausgangslage Deutschland gab 2015 nach OECD-Angaben die Schweiz kamen auf die gleiche Quote 11,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und Dänemark auf 2,8 Prozent. Interessan- (BIP) für Gesundheit aus.1 Im internatio- terweise lag die von der OECD ermittelte nalen Vergleich ist diese Quote hoch, aber Quote für die USA bei ähnlich hohen 3,0 keineswegs auffällig. Ein ähnliches Niveau Prozent. Höhere Quoten als in Deutschland erreichen Frankreich (11,0 Prozent), Schwe- werden lediglich für Griechenland (3,3 Pro- den (11,1 Prozent) und Japan (11,2 Prozent), zent), Frankreich (3,3 Prozent) und Öster- aber auch die Nachbarländer Dänemark reich (3,4 Prozent) ausgewiesen. (10,6 Prozent), Niederlande (10,8 Prozent) Obwohl das deutsche Gesundheitswe- und Schweiz (11,5 Prozent), die deswegen sen im Ländervergleich also keine Auffällig- Erwähnung verdienen, weil in der Diskus- keiten aufweist, warnt die OECD, dass sich sion um die Weiterentwicklung des deut- in Deutschland Fehlanreize für eine Über- schen Gesundheitswesens auf sie immer versorgung und ein Überangebot an Kran- wieder Bezug genommen wird. Einen auf- kenhausleistungen verfestigen könnten.3 fälligen Ausreißer im OECD-Vergleich stel- Eine Arbeitsgruppe der Leopoldina, der Na- len nur die USA mit einer Ausgabenquote tionalen Akademie der Wissenschaften, hat von 16,9 Prozent dar. sich in einem Thesenpapier vom Oktober 3,1 Prozentpunkte gingen bei den deut- 2016 den Warnungen angeschlossen.4 So wie schen Gesundheitsausgaben zu Lasten des die OECD sehen die Autoren im stationären Krankenhaussektors.2 Die Niederlande und Sektor „deutliche Hinweise auf Fallzahlstei- 1 h t t p : // s t a t s . o e c d . o r g / i n d e x . a s p x ? Krankenhaussektor erfassen stationäre Behandlung DataSetCode=HEALTH_STAT. Die Zahlen der und Pflege („inpatient curative and rehabilitative OECD weichen von denen des Statistischen Bun- care“) und beziehen sich auf das Jahr 2014. desamtes leicht ab. Das Amt beziffert die Gesund- 3 OECD, 2013, Managing hospital volumes – heitsausgaben 2015 auf 344,2 Mrd. €, was einer Germany and experiences from OECD countries, Quote von 11,3 Prozent vom BIP entspricht. Vgl. Paris, Executive Summary. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Gesell- 4 Leopoldina, 2016, Zum Verhältnis von Medizin schaftStaat/Gesundheit/Gesundheitsausgaben/ und Ökonomie im deutschen Gesundheitssystem Gesundheitsausgaben.html – 8 Thesen zur Weiterentwicklung zum Wohle der 2 Ebenda. Die wiedergegebenen Quoten zum Patienten und der Gesellschaft, Halle/Saale
Seite 10 Ausgangslage gerungen …, die nicht allein medizinisch be- bleibenden behoben werden. Wie dieses Ziel gründet sind“ (S. 7). Als Ursache identifizie- zu erreichen ist, lässt die Arbeitsgruppe in- ren sie ökonomische Fehlanreize. Man habe dessen offen. Vor diesem Hintergrund wid- versäumt, die Einführung von Fallpauscha- met sich dieses Gutachten der Ressourcen- len im Krankenhauswesen mit Strukturver- steuerung im Krankenhaussektor. änderungen zu verbinden. Das System der Zunächst werden im zweiten Kapitel diagnosebezogenen Fallgruppen (Diagnosis Hinweise auf Über- und Fehlversorgung re- Related Groups, kurz: DRGs) gebe den Klini- feriert. Das dritte Kapitel diskutiert mög- ken Anreize zu Mengensteigerungen insbe- liche Gründe, mit denen sich Fehlsteue- sondere bei Indikationsstellungen, bei deren rungen in der Krankenhausversorgung Vergütung rechnerisch ein hoher Anteil auf ursächlich erklären lassen. Von hoher Plau- Fixkosten entfalle. Die DRGs könnten indes- sibilität erweist sich eine Kombination von sen nicht allein für mögliche Fehlentwick- Gründen, und zwar eine mangelhafte In- lungen verantwortlich gemacht werden. Es vestitionsfinanzierung seitens der Länder gebe in Deutschland zu viele Krankenhäu- in Verbindung mit einer überwiegend an- ser und zu viele Krankenhausbetten, die um gebotsorientierten Krankenhausbedarfspla- Patienten und finanzielle Mittel konkurrier- nung. Letztere hat Überkapazitäten in der ten. stationären Versorgung entstehen lassen Die Leopoldina und die OECD werden und dem medizinisch-technischen Fort- hier stellvertretend für die verbreitete Ex- schritt zu wenig Rechnung getragen. Der pertenmeinung angeführt, nach der im Druck, die vorhandenen Kapazitäten aus- deutschen Krankenhauswesen politischer zulasten, verleitet die Einrichtungen häu- Handlungsbedarf besteht. Leider gibt es hin- fig dazu, wirtschaftlichen Erwägungen sichtlich konkreter Handlungsempfehlun- eine medizinisch unangemessene Bedeu- gen weitaus geringeren Konsens. Die OECD tung beizumessen und die Generierung der moniert lediglich, dass die Krankenhaus- fehlenden Investitionsmittel und die De- budgets einer schwächeren Kontrolle unter- ckung sonstiger Kosten durch eine Aus- lägen als in vielen anderen OECD-Ländern. weitung von Leistungsmengen zu suchen. Insbesondere würden die DRGs nur zur Ver- Zwar sind diese Zusammenhänge schon öf- gütung erbrachter Krankenhausleistungen ter benannt und beklagt worden; dies ge- genutzt und nicht wie etwa in Australien schah allerdings überwiegend mit der Er- oder im Vereinigten Königreich zur Kran- wartung an die Politik, sie möge handeln, kenhausbudgetierung.5 Die Arbeitsgruppe einen Rückbau der nicht benötigten Versor- der Leopoldina bringt demgegenüber zum gungskapazitäten veranlassen und die ver- Ausdruck, dass eine Weiterentwicklung des bleibenden besser ausfinanzieren. Eine sol- DRG-Systems allein nicht ausreiche, um die che Erwartung greift nach Auffassung des ökonomischen Fehlentwicklungen zu behe- Beirats indes zu kurz. Sie ignoriert die An- ben. Die Zahl der Krankenhäuser müsse re- reize und Zwänge, unter denen Politik han- duziert und die Unterfinanzierung der ver- delt. Man darf von ihr nicht erwarten, dass sie unmittelbar wirkende Entscheidun- 5 In Australien werden für jedes Krankenhaus gen über den Fortbestand von Krankenhäu- Fallzahlen im Vorhinein geschätzt und mit Hilfe sern trifft, deren Bedarf sie selbst in ande- der DRGs in ein Budget umgerechnet, über das das Krankenhaus frei verfügen kann (OECD, 2013, ren Zeiten festgestellt hat. Eine Inkongruenz Managing hospital volumes – Germany and experi- von Nutzen- und Kosteninzidenz bewirkt, ences from OECD countries, a.a.O., S. 13). Die DRGs dass die Interessen unmittelbar Betroffe- werden also zur Budgetierung genutzt und nicht wie in Deutschland nur zur Vergütung erbrachter ner und deren Widerstand gegen Verän- Leistungen.
Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern Seite 11 derungen übermäßiges Gewicht erhalten. Diskussion legt eine Reihe von Empfehlun- Der Beirat prüft daher in diesem Gutach- gen für die Gesundheitspolitik nahe, die im ten die Frage, wie das Krankenhauswesen in fünften Kapitel formuliert werden. Deutschland so geordnet werden kann, dass sich wettbewerbliche Prozesse stärker ein- setzen lassen, um die Ressourcen im statio- nären Sektor zum Wohle von Patienten und der Gesellschaft besser zu nutzen.6 Das ge- schieht im vierten Kapitel. Im dritten Kapi- tel wird zunächst der Stand der Reformen nach dem Krankenhausstrukturgesetz refe- riert und erläutert, warum von diesem und anderen Reformansätzen keine nachhaltige Besserung der beklagten Versorgungsmän- gel zu erwarten ist. Die Ansätze leiden un- ter ihrer einseitigen Angebotsorientierung. Sie legen übermäßiges Gewicht auf eine bü- rokratische Steuerung der Ressourcen. Im Weiteren wird dann geprüft, wie sich wett- bewerbliche Mechanismen stärker nutzen lassen. Voraussetzung dafür ist, dass es ge- lingt, die Zahlungsbereitschaft der Bevölke- rung für eine qualitativ hochwertige Versor- gung zur Geltung zu bringen. Eine Lösung sieht der Beirat in einer veränderten Inves- titionsfinanzierung sowie in der Förderung von selektivvertraglichem Versorgungsma- nagement. Letzteres ist in Deutschland un- terentwickelt, was auf die gesetzlichen Rah- menbedingungen zurückzuführen ist. Die 6 Mit seiner Forderung an die Politik, wettbe- werbsorientierten Lösungsvorschlägen im Gesund- heitswesen stärkere Beachtung zu schenken, folgt der Beirat verschiedenen Gutachten und Stellung- nahmen. Vgl. stellvertretend Monopolkommission, 2008, Weniger Staat, mehr Wettbewerb – Gesund- heitsmärkte und staatliche Beihilfen in der Wettbe- werbsordnung, 17. Hauptgutachten, Bundestags- Drucksache 16/10140, Kap. V; dieselbe, 2017, Stand und Perspektiven des Wettbewerbs im deutschen Krankenversicherungssystem, Sondergutachten 75; Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge- samtwirtschaftlichen Entwicklung, Die Finanzkrise meistern – Wachstumskräfte stärken, Jahresgut- achten 2008/2009; derselbe, Stabile Architektur für Europa – Handlungsbedarf im Inland, Jahresgut- achten 2012/2013, Tz 638; Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswe- sen, Wettbewerb an der Schnittstelle zwischen am- bulanter und stationärer Gesundheitsversorgung, Sondergutachten 2012.
Seite 12 Über- und Fehlversorgung im deutschen Krankenhauswesen? 2. Über- und Fehlversorgung im deutschen Krankenhauswesen? In ihrem Länderbericht 2015 spricht die in der Qualität der medizinischen Primär- OECD mit Bezugnahme auf das deutsche versorgung schließt. Krankenhauswesen von einem „gemisch- Ein detaillierteres Bild der deutschen ten Bild bei der Versorgungsqualität“.7 Sie Krankenhausleistungen wird in dem etwas führt folgende Hinweise an. Einerseits sei älteren OECD-Bericht aus 2013 gezeichnet.8 die Überlebensrate bei Akutbehandlung Hier finden sich international vergleichende im Krankenhaus nach einem Schlaganfall Angaben zu stationär erbrachten operati- besser als in den meisten anderen Ländern. ven Eingriffen. Demnach ist Deutschland in Andererseits sei die Überlebensrate von vier von insgesamt fünfzehn erfassten Akti- Patienten, die mit Herzinfarkt in ein Kran- vitätsbereichen Spitzenreiter in der OECD, kenhaus eingeliefert werden, unterdurch- und zwar bei perkutanen Koronarinter- schnittlich. Deutschland erreicht in dieser ventionen (624 in Deutschland vs. 177 im Leistungskategorie sogar nur Platz 25 von OECD-Schnitt, jeweils bezogen auf 100.000 32 verglichenen Ländern. Des Weiteren mo- Personen), Leistenbrüchen (223/110), künst- niert die OECD hohe Einweisungsraten bei lichen Hüften (295/154) und brusterhal- chronischen Krankheiten wie Diabetes und tenden Operationen (232/108). In drei wei- Herzinsuffizienz. Sie seien „weit höher als teren Bereichen erreicht Deutschland das im OECD-Schnitt“. Die OECD geht hierbei zweithöchste Aktivitätsniveau, und zwar bei von potenziell vermeidbaren Krankenhaus- Herzkranz-Bypässen (116/47), Gallenbla- aufenthalten aus, woraus sie auf Schwächen senentfernungen (236/154) und Knieersatz (213/122).9 7 OECD, 2015, Gesundheit auf einen Blick – Wo steht Deutschland? https://www.oecd.org/ germany/Health-at-a-Glance-2015-Country-Note- 8 OECD, 2013, Managing hospital volumes – Ger- GERMANY-In-Deutsch.pdf; Health at a Glance many and experiences from OECD countries, a.a.O. 2015, OECD Indicators, Mortality following acute 9 Ebenda. Die wiedergegebenen Zahlen spiegeln myocardial infarction (AMI). 2013 verstarben in überwiegend die Verhältnisse von 2010 wider. Die Deutschland 8,7 Prozent der Patienten über 45 Rangpositionen ergeben sich aus Bevölkerungs- Jahre, die mit einem akuten Herzinfarkt in Kran- durchschnitten. Eine derartige Rangbildung ist in kenhäuser eingewiesen wurden, während ihres der Literatur kritisiert worden, und zwar mit dem stationären Aufenthaltes. In Australien lag die ent- Hinweis, dass die deutsche Bevölkerung älter sei sprechende Quote bei 4,1 Prozent und in Schweden als die der meisten Vergleichsländer und dass sich bei 4,5 Prozent. Vgl. auch Leopoldina, a.a.O., S. 6. diese Tatsache in der Zahl der stationär erbrachten
Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern Seite 13 Bei einem so hohen Aktivitätsniveau würde spruchnahme von Behandlungen erklären. es nicht überraschen, wenn die Lebenser- Der Verdacht auf Überversorgung in weiten wartung in Deutschland besonders hoch Bereichen verbunden mit Fehlversorgung wäre. Das ist aber nicht der Fall. Mit 83,6 in einzelnen Bereichen wird auch durch Jahren erreichten deutsche Frauen bei Ge- die Äußerungen von Leistungserbringern burt 2014 gerade mal den Durchschnitts- gestützt. 2015 befragten Reifferscheid et wert der EU28-Staaten, und der entspre- al. knapp 5000 Chefärzte, Geschäftsführer chende Wert bei Männern überstieg mit und Pflegedirektoren zu Rationierung und 78,7 den EU28-Schnitt von 78,1 nur leicht.10 Überversorgung im Krankenhausbereich.11 Das hohe Niveau an Krankenhausleistungen 43 Prozent der Befragten antworteten. Von korrespondiert also nicht mit einer entspre- den antwortenden Chefärzten gaben 46 chend hohen Lebenserwartung. Das könnte Prozent an, aus ökonomischen Gründen man als Hinweis für eine ineffiziente Res- schon mal nützliche Maßnahmen vorent- sourcennutzung deuten. Das scheint auch halten oder durch weniger effektive, aber die OECD so zu sehen. Jedenfalls warnt sie kostengünstigere Alternativen ersetzt zu vor der Gefahr, dass sich in Deutschland haben. Das deuten die Autoren als Anzei- Fehlanreize für eine Überversorgung und chen einer Unterversorgung. Sie betreffe ein Überangebot an Krankenhausleistun- alle Fachbereiche, die Intensität sei indessen gen verfestigen könnten. Das traditionell gering ausgeprägt. 39 Prozent der Chefärzte hohe deutsche Niveau an Krankenhausleis- glaubten dagegen, dass in ihrem Fachge- tungen lasse sich nicht allein durch Unter- biet wirtschaftliche Rahmenbedingungen schiede in der Demografie, der Morbidität zu überhöhten Fallzahlen führen. Das gilt und der sozialen Präferenzen für die Inan- insbesondere für die Kardiologie und die Orthopädie. Chefärzte aus diesen Bereichen Eingriffe niederschlage. So argumentieren Verena nehmen mit 60,7 bzw. 48 Prozent die Prob- Finkenstädt und Frank Niehaus (2015, Die Aussa- lematik insgesamt signifikant stärker wahr, gekraft von Länderrankings im Gesundheitsbereich – Eine Analyse des Einflusses der Altersstruktur wie nachstehende Abbildung zeigt. 12 auf die OECD-Daten, Wissenschaftliches Institut der PKV), dass das Medianalter Deutschlands 2010 nach Japan das zweithöchste in der OECD gewesen sei und dass, wenn man eine Altersstandardisierung durchführe, Deutschland in vielen Rangpositionen mehrere Plätze zurückfalle. Diesem Einwand muss man entgegenhalten, dass Deutschland in einigen Kategorien auch nach vorne rückt. Ein auffallen- des Beispiel liefern Blinddarmentfernungen. In der zitierten Studie von Finkenstädt et al. rückt Deutschland durch die Altersstandardisierung bei 32 Ländern von dem sechsten auf den dritten Platz 11 Reifferscheid, Antonius, Natalie Pomorin und vor. Insbesondere bei jungen Frauen zwischen 15 Jürgen Wasem, 2015, Ausmaß von Rationierung und 19 Jahren werden in Deutschland auffallend und Überversorgung in der stationären Versor- viele Operationen durchgeführt, und zwar 4,7 mal gung, Deutsche medizinische Wochenschrift 2015, öfters als in den USA. Dadurch erreicht das Risiko 140(13): e129-e135. von Frauen, am Blinddarm operiert zu werden, in 12 Ob es angebracht ist, von einer Überversorgung einer über das Alter kumulierenden vergleichenden oder vielleicht besser von einer Fehlversorgung zu Betrachtung von 17 OECD-Ländern den Spitzen- sprechen, mag dahingestellt bleiben. Neubauer et wert und behält diesen bis zum hohen Alter von al. definieren Fehlversorgung als eine Versorgung, 85 und mehr (McPherson, Klim, Giorgia Gon und “die so nicht erbracht werden sollte, weil eine an- Maggie Scott, 2013, International Variations in a dere Versorgungsform medizinisch zweckmäßiger Selected Number of Surgical Procedures, OECD und wirtschaftlicher ist“. Neubauer, Günter und An- Health Working Paper No. 61, S. 40 ff.). dreas Gmeiner, Krankenhausplanung am Scheide- 10 OECD, Health at a Glance: Europe 2016. Tabelle weg, in: Krankenhaus-Report 2015, Jürgen Klauber, 3.2. Life expectancy (LE) and healthy life years (HLY) Max Geraedts, Jörg Friedrich und Jürgen Wasem, at birth, by gender, 2014 Hrsg., Schattauer, Stuttgart, S. 177.
Seite 14 Über- und Fehlversorgung im deutschen Krankenhauswesen? Abbildung 1: Antworten von Chefärzten auf die Frage: „Glauben Sie, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Ihrem Fachgebiet zu überhöhten Eingriffszahlen führen?“13 Anhaltspunkte für eine Überversorgung Sie soll hier am Beispiel von Eingriffen an liefert die Entwicklung der Leistungsmen- der Wirbelsäule mit Zahlen illustriert wer- gen, die seit der Jahrtausendwende an deut- den. In den Jahren 2004 bis 2009 erhöhte schen Krankenhäusern zu beobachten ist. sich die Zahl der Bandscheibenoperatio- Die Entwicklung ist Gegenstand verschie- nen von 112.317 um 43 Prozent auf 160.407. dener Dokumentationen und Gutachten.14 Die Zahl der Interventionen am Rücken- mark erhöhte sich im gleichen Zeitraum 13 Reifferscheid et al., a.a.O. Die Frage zur ökono- von 244.493 um 46 Prozent auf 355.794, und misch-motivierten Überversorgung galt nur allge- mein für das jeweilige Fachgebiet und nicht speziell die Zahl der diagnostizierten Versteifungen für die eigene Abteilung. der Wirbel erhöhte sich im gleichen Zeit- 14 Felder, Stefan, Boris Augurzky, Rosemarie raum von 45.718 gar um 220 Prozent auf Gülker, Roman Mennicken, Stefan Meyer, Jürgen 146.410.15 Wasem, Hartmut Gülker, Nikolaus Siemssen, 2012, Mengenentwicklung und Mengensteuerung stati- onärer Leistungen, Forschungsprojekt im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes, RWI; Schreyögg, Jonas, deutschen Krankenhäusern, Monitor Versorgungs- Reinhard Busse et al., 2014, Forschungsauftrag forschung 04, S. 43-51. nach § 17b Abs. 9 KHG. Endbericht, Hamburg/ 15 https://de.statista.com/statistik/daten/stu- Berlin. Für Hinweise zu weiteren Studien vgl. Heinz die/201989/umfrage/anzahl-der-eingriffe-an-der- Naegler und Karl Heinz Wehkamp, 2014, Die Öko- wirbelsaeule-in-deutschen%20-krankenhaeusern/ nomisierung patientenbezogener Entscheidungen Abfrage am 25. Februar 2017. Die starke Zunahme im Krankenhaus – Zur Mengenentwicklung in stationärer Behandlungsfälle wegen Rückenleiden
Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern Seite 15 Die Fallmengenentwicklung im stationären Begründungen wird im Weiteren von Ver- Bereich hat den Gesetzgeber veranlasst, ak- sorgungsmängeln in deutschen Kranken- tiv zu werden. So hat er beginnend mit dem häusern ausgegangen und der Fokus auf die Jahr 2009 den Vertragsparteien mit zuneh- Frage gerichtet, wie sich die Ressourcen- mender Verbindlichkeit aufgetragen, bei der steuerung im Krankenhaussektor diesbe- Vergütung von Leistungen, die über das für züglich wirksam und dauerhaft verbessern das Vorjahr krankenhausindividuell fest- lässt. gelegte Niveau hinausgehen, so genannte Nun stellen Über- und Fehlversorgung Mehrleistungsabschläge zu vereinbaren.16 mutmaßlich nicht das einzige Problem im Die Erhebung von Mehrleistungsabschlä- stationären Bereich dar. Ein großes Problem, gen ist sinnvoll, wenn der Anreiz zur Er- auf das in diesem Gutachten aber nicht wei- bringung von Mehrleistungen gedämpft ter eingegangen wird, ist etwa der unbefrie- werden soll. Der Gesetzgeber muss also eine digende Stand der sektorenübergreifenden Überversorgung vermutet haben und als Versorgung. Deutschland dürfte eines der Problem begreifen. Bei der Einführung von wenigen Länder sein, das sich mit der sta- Mehrleistungszuschlägen ist es nicht geblie- tionären Versorgung und dem System nie- ben. Im Rahmen des Krankenhausstruktur- dergelassener Fachärzte zwei Strukturen mit gesetzes (KHSG) wurde 2016 ein Struktur- überlappenden Aufgaben leistet, ohne dass fonds ins Leben gerufen, den die Bundesre- die jeweiligen Zuständigkeiten klar geregelt gierung explizit mit dem Zweck begründet, wären. Darunter leidet nicht nur die Quali- „zur Verbesserung der Versorgungsstruktur tät der Versorgung; Ressourcen werden auch insbesondere den Abbau von Überkapazitä- ineffizient genutzt. Ein Beispiel, das in jün- ten … zu fördern“.17 gerer Zeit für Schlagzeilen sorgte, liefert die Angesichts der Einschätzungen von Notfallversorgung. OECD und Leopoldina, der Befragungs- Experten beklagen, dass Patienten bei ergebnisse unter Chefärzten sowie der einem Notfall, der ambulant behandelbar Maßnahmen des Gesetzgebers und deren wäre, oftmals teure Krankenhausambulan- zen aufsuchen.18 Eine effiziente Navigation ist Gegenstand verschiedener Berichte. Vgl. etwa des Patientenstroms finde nicht statt. Sach- die Gesundheitsberichterstattung des Bundes: gerechte Lösungen scheiterten in der Ver- Heiner Raspe, 2012, Rückenschmerzen, Robert Koch-Institut, Hrsg., insbesondere Abb. 3. Vgl. auch gangenheit an gegensätzlichen wirtschaft- den Krankenhaus-Report 2013 des AOK-Bundes- lichen Interessen von Krankenhäusern und verbands und des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Darin wird festgestellt, dass sich die niedergelassenen Ärzten. Der Hauptge- Zahl der Wirbelsäulenoperationen bei AOK-Versi- schäftsführer der Deutschen Krankenhaus- cherten zwischen 2005 und 2010 mehr als verdop- gesellschaft, Georg Baum, hat den Kassen- pelt hat. Auch die regionale Verteilung bestimmter Arten von Operationen wirft Fragen auf. Darauf hat ärzten schon öffentlich vorgeworfen, ihren zuletzt die Bertelsmann-Stiftung hingewiesen, und Versorgungsauftrag unzureichend wahr- zwar unter dem Titel „Rückenschmerzen: In man- chen Regionen wird bis zu 13-mal häufiger operiert zunehmen und Kosten der Notfallversor- als andernorts“. https://www.bertelsmann-stiftung. gung auf die Krankenhausambulanzen ab- de/de/themen/aktuelle-meldungen/2017/juni/ wälzen zu wollen. Das Hauptmotiv sei die rueckenschmerzen-in-manchen-regionen-wird- bis-zu-13-mal-haeufiger-operiert-als-andernorts/ Schonung der Budgets der Kassenärztlichen Abfrage vom 21. Juni 2017. 16 Nach dem Krankenhausfinanzierungsreform- gesetz (KHRG) vom 17. März 2009 „sollen“ die Ver- tragsparteien Mehrleistungsabschläge vereinbaren. 18 Augurzky, Boris, Krankenhausversorgung nach Nach dem GKV-Finanzierungsgesetz (GKV-FinG) dem KHSG – noch weitere Herausforderungen? in: vom 22. Dez. 2010 „haben“ sie es zu tun. Krankenhaus-Report 2017, in: Jürgen Klauber, Max 17 Gesetzentwurf der Bundesregierung zum KHSG Geraedts, Jörg Friedrich und Jürgen Wasem, Hrsg., vom 26. Aug. 2015, BT-Drs. 18/5867, S. 4. Schattauer, Stuttgart, S. 3-12, hier S. 5.
Seite 16 Über- und Fehlversorgung im deutschen Krankenhauswesen? Vereinigungen.19 Der Gesetzgeber hat die Kritik zum Anlass genommen, im Rahmen des Krankenhausstrukturgesetzes den Kas- senärztlichen Vereinigungen aufzutragen, in bzw. an Krankenhäusern Notdienstpraxen („Portalpraxen“) einzurichten oder aber die Notfallambulanzen stärker in den vertrags- ärztlichen Notdienst einzubinden.20 Die vielfältigen sektoralen Schnittstel- lenprobleme sind kein Gegenstand dieses Gutachtens. Dieses fokussiert auf den sta- tionären Bereich und befasst sich dort al- lein mit dem Vorwurf der bestehenden Über- und Fehlversorgung. Allerdings ist zu erwarten, dass die Empfehlung des Bei- rats, bestehende rechtliche Hindernisse bei der Durchsetzung von Versorgungsmanage- ment zu beseitigen, auch einen Beitrag zur Lösung der Schnittstellenprobleme liefert. 19 Nichtnamentlich gezeichneter Bericht der FAZ unter dem Titel „Streit über steigende Zahl von Notfallpatienten“ vom 10. Mai 2017. 20 §75 Abs. 1b SGB V
Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern Seite 17 3. Mögliche Ursachen von Über- und Fehlversorgung Leistungsmengen resultieren unter Markt- in der Regel von Versicherungen übernom- bedingungen aus dem Zusammenwirken men. Sieht man von Zuzahlungen ab, belas- von Angebot und Nachfrage. Entsprechend ten sie den Patienten im Behandlungsfall kann eine Über-und Fehlversorgung wirt- nicht spürbar. Im Weiteren seien stets di- schaftlich gesehen ihre Ursache im Angebot, rekte Kosten gemeint, wenn von Behand- in der Nachfrage oder gar im Zusammen- lungskosten die Rede ist. wirken beider Seiten haben. Für das Men- Im Regelfall resultiert die Nachfrage genergebnis mag die Verursachung wenig nach medizinischen Leistungen aus ei- relevant sein, für ordnungspolitische Kon- ner Erkrankung und damit aus Umstän- sequenzen ist sie dagegen zentral. Nur bei den, auf die der Empfänger der Leistun- ihrer zweifelsfreien Klärung lässt sich das gen keinen nennenswerten Einfluss hat. Die Problem von Über- und Fehlversorgung Determinanten der Nachfrage sind „exo- sachgerecht therapieren. In diesem Sinne gen“. Von einer Übernachfrage kann man seien nachfolgend denkbare Ursachen ge- selbst dann nicht sprechen, wenn ein Ver- nauer geprüft. sicherter häufig erkrankt und in der Scha- densrechnung der Versicherung somit ein 3.1 Übernachfrage schlechtes Risiko darstellt. Ein hohes Scha- densrisiko rechtfertigt allenfalls eine hohe Die medizinische Leistungserbringung ver- Versicherungsprämie. Von einer Übernach- ursacht direkte und indirekte Kosten. Zu frage kann man allerdings dann sprechen, den indirekten Kosten zählen solche, die wie wenn der Versicherte im Schutze der Versi- etwa Unannehmlichkeiten und Zeitverlust cherung die Leistungsnachfrage ausweitet als unmittelbare Begleiterscheinung einer und wenn eine derartige Verhaltensände- Behandlung von dem betroffenen Patienten rung vom Versicherungsgeber nicht festge- selbst zu tragen sind.21 Dagegen werden die stellt werden kann oder darf, so dass eine ri- direkten Kosten bei ärztlicher Verordnung sikogerechte Tarifierung nicht möglich ist. In der Fachliteratur spricht man von mo- 21 Man könnte auch von intangiblen Kosten spre- ralischem Risiko. Der Begriff erschließt sich chen.
Seite 18 Mögliche Ursachen von Über- und Fehlversorgung aus der Perspektive des Versicherungsgebers. sen frei. Zu beachten sind indessen die Gren- Er zielt weniger auf die moralische Fragwür- zen, die der Gesetzgeber in § 53 Abs. 1 und digkeit entsprechenden Verhaltens, als viel- 8 SGB V bei einem Wahltarif mit Selbstbe- mehr auf die Erfassung eines Risikos, das ne- halt für die Prämienzahlung vorsieht. So darf ben dem exogenen Schadensrisiko besteht diese maximal zwanzig Prozent des Jahres- und von der Versicherung einzukalkulie- beitrags ausmachen und nicht mehr als 600 ren ist. Es liegt in der Natur eigennützig han- Euro betragen. delnder Menschen, dass moralische Risiken Eine Deckelung der Prämie passt zum nicht völlig eliminiert werden können. Sie Wesen einer Sozialversicherung. Die Förde- können aber eingedämmt werden. Probate rung von Kostenbewusstsein bei den Ver- Mittel sind Zuzahlungen oder ein pauschaler sicherten soll nicht mit einer Entsolidari- Selbstbehalt. Solche Anreizinstrumente sor- sierung von guten und schlechten Risiken gen dafür, dass der Versicherte die finanziel- erkauft werden. Adverser Selektion soll vor- len Folgen seiner risikoerhöhenden Verhal- gebeugt werden. Die Bezugnahme auf den tensänderungen mitträgt. Das fördert sein persönlich getragenen Beitrag ist hingegen Kostenbewusstsein und eine zurückhaltende nicht sachgerecht.24 Sie schwächt den Anreiz Inanspruchnahme von Leistungen.22 für Geringverdiener, sich für einen Wahlta- Die GKV kennt Zuzahlungen in bestimm- rif mit Selbstbehalt zu entscheiden. Das wird ten Fällen. Die wichtigsten gibt es bei der besonders deutlich bei den Empfängern von Verschreibung von Arzneimitteln und ei- ALG I, ALG II und Sozialhilfe, also einem Per- ner vollstationären Krankenhausbehand- sonenkreis, für den das Jobcenter bzw. der lung. Selbstbehalte sind dagegen nicht zuständige Kostenträger die Beitragszahlung vorgeschrieben. Die gesetzlichen Kranken- zur GKV übernimmt. Weil dieser Personen- versicherungen sind aber befugt, Wahltarife kreis keine eigenen Beiträge entrichtet, kann mit Selbstbehalt anzubieten. In einem sol- ihm nach Gesetz auch keine Prämie geboten chen Tarif verpflichten sich die Versicherten, werden. Damit kann ihm aber auch kein An- einen Teil der anfallenden Kosten für medi- reiz gesetzt werden, sich kostenbewusst zu zinische Leistungen selbst zu tragen. Im Ge- verhalten. Sachgerechter wäre es, für die Prä- genzug darf ihnen die Krankenkasse eine mienzahlung eine Deckelung zu wählen, die Prämie zahlen.23 Die Gestaltung des Wahlta- sich an den geschätzten Kosten bemisst, die rifs mit Selbstbehalt steht den Krankenkas- die Krankenversicherung bei Wahl des Tarifs mit Selbstbehalt pro Versichertem einsparen 22 Damit Zuzahlungen und Selbstbehalte ihre kann.25 verhaltenssteuernde Wirkung entfalten können, Insofern ist nicht auszuschließen, dass dürfen sie von den Versicherten nicht unterlaufen werden. Diese Einsicht hat wettbewerbspolitische die von Experten in Deutschland monierte Konsequenzen. Weder darf es eine Versicherung Überversorgung in Teilbereichen der GKV geben, die Zuzahlungen im Schadensfall erstattet, noch die Möglichkeit, Krankheitskosten doppelt auf eine Übernachfrage zurückzuführen ist zu versichern. Um letztere Möglichkeit ausschlie- und damit auf Mängel bei der Eindämmung ßen zu können, muss es konkurrierenden Versi- moralischer Risiken. Im nichtstationären Be- cherungsanbietern gestattet sein, Informationen über die kontrahierte Deckung der Versicherten reich mag diese These sogar eine gewisse, auszutauschen. Dieser Austausch ist zwar mit ei- nem strengen Verständnis von Wettbewerb nicht vereinbar, es gilt aber zu verhindern, dass gewitzte 24 Wohl in Anlehnung an den Begriff des Kosten- Versicherungsnehmer das gleiche Schadensrisiko trägers spricht das Gesetz von getragenen Beiträ- bei mehreren Versicherungsgebern absichern und gen. In der Terminologie der Finanzwissenschaft im Schadensfall keinen Selbstbehalt tragen. handelt es sich um gezahlte Beiträge. 23 Man könnte auch von einem Bonus sprechen. 25 Ersatzweise wäre eine Deckelung vertretbar, die Das Gesetz verwendet jedoch den Begriff der Prä- auf den durchschnittlich getragenen Beitrag aller mienzahlung. Versicherten Bezug nimmt.
Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern Seite 19 anekdotisch gestützte Plausibilität haben. Im den.26 36,2 Prozent aller deutschen Kranken- stationären Bereich ist die These einer Über- häuser befand sich 2016 in privater Träger- versorgung als Folge von Übernachfrage da- schaft.27 Diesen Einrichtungen darf durchaus gegen weit weniger plausibel. Nicht nur sind Gewinnorientierung unterstellt werden. Die die von den Patienten zu tragenden indirek- verbleibenden knapp zwei Drittel sind zwar ten Kosten einer Krankenhausbehandlung in als öffentliche oder freigemeinnützige Ein- aller Regel hoch. Es gibt auch Zuzahlungen richtungen lediglich zur Kostendeckung ver- bei vollstationärer Unterbringung, die – so- pflichtet, bei fehlendem Kostendruck könn- weit sie nicht als Ausgleich für die gesparten ten sich aber auch bei ihnen patientenfremde Kosten von Verpflegung und Unterbringung wirtschaftliche Interessen breitmachen. wahrgenommen werden – einer Übernach- Der Kostendruck in der stationären Ver- frage entgegenwirken. sorgung ist indessen infolge hoher Über- kapazitäten erheblich. Deswegen darf man 3.2 Angebotsinduzierte auch unterstellen, dass weniger die Finan- zierung von Annehmlichkeiten für das Kran- Nachfrage kenhauspersonal das Handeln in den Ein- richtungen leitet als vielmehr die reine Versicherte suchen einen Arzt bei Sympto- Deckung der Kosten. Wie nachfolgend einge- men einer möglichen Erkrankung auf. Sie hend begründet werden soll, lässt sich ange- erwarten Heilung oder Linderung, wobei sie botsinduzierte Nachfrage auch mit dem Stre- diagnostische und therapeutische Entschei- ben nach Kostendeckung begründen. Man dungen mehr oder weniger an den behan- muss den Leistungserbringern keine eigen- delnden Arzt delegieren. Letzterer ist der me- nützigen Motive unterstellen, um Über- und dizinische Experte, der in aller Regel besser Fehlversorgung zu erklären. Eigennützige als der betroffene Patient weiß, was zu tun Motive können sich auf die Versorgungs- ist. Von daher wird die Nachfrage nach medi- mängel allenfalls verschärfend auswirken. zinischen Leistungen vor allem von den dia- Die Probleme in der stationären Versor- gnostischen und therapeutischen Entschei- gung wurzeln dagegen in Überkapazitäten dungen des Leistungserbringers geprägt. bei gleichzeitig unzureichend ausfinanzier- Solange letzterer im alleinigen Interesse des ten Investitionen. Die Überkapazitäten sor- Patienten handelt, spricht man von delegier- gen in vielen Krankenhäusern für einen Kos- ter Nachfrage. Angebotsinduzierte Nachfrage tendruck, der die Leistungserbringer dazu liegt vor, wenn ein Anbieter medizinischer bringt, medizinische Entscheidungen wirt- Leistungen patientenfremde, insbesondere schaftlichen Erwägungen unterzuordnen wirtschaftliche Eigeninteressen berücksich- und die Deckung der Kosten in der Auswei- tigt. Er ist dann nicht länger der perfekte tung von Leistungsmengen zu suchen. Sol- Sachwalter des Patienteninteresses. Für die Berücksichtigung patientenfrem- 26 Ein prominentes Beispiel aus der ambulanten der wirtschaftlicher Interessen kommen Versorgung liefern die sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen (IGEL), die niedergelassene verschiedene Motive infrage. Gewinnori- Ärzte in erheblichen Umfang erbringen und mit entierung mag eines sein, die Finanzierung dessen Zustimmung direkt beim Patienten abrech- nen dürfen. Es handelt sich hierbei um Leistungen, von arbeitsplatzbezogenen Annehmlichkei- bei deren Erbringung dem behandelnden Arzt ein ten für das Krankenhauspersonal ein ande- wirtschaftliches Eigeninteresse unterstellt werden res. An der empirischen Relevanz solcher darf. Sie sind nicht durch den gesetzlichen Leis- tungskatalog gedeckt. Motive kann sicherlich nicht gezweifelt wer- 27 Statistisches Bundesamt, 2017, Gesundheit – Grunddaten der Krankenhäuser, Fachserie 12 Reihe 6.1.1.
Seite 20 Mögliche Ursachen von Über- und Fehlversorgung ches Verhalten mag dann zwar dem Erhalt Preise und fallende Durchschnittskosten bei des eigenen Arbeitsplatzes dienen. Als eigen- überdimensionierten Kapazitäten zusam- nützig kann man es deswegen aber nicht be- mentreffen. In Deutschland ist genau diese zeichnen. Mit dem Streben nach Kostende- Konstellation zu beklagen. ckung erfüllen die Einrichtungen lediglich Anhaltspunkte für überdimensionierte eine regulatorische Vorgabe. Wenn daraus Krankenhauskapazitäten werden im nach- Über- und Fehlversorgung resultieren, ist das folgenden Unterabschnitt noch zur Sprache der Politik anzulasten und nicht den Leis- kommen. Sie sind einer wenig sachgerechten tungserbringern. Krankenhausbedarfsplanung der Länder an- Dass es selbst beim Fehlen eigennützi- zulasten. Die Politik hat aber nicht nur über- ger Motive zu angebotsinduzierte Nachfrage dimensionierte Krankenhauskapazitäten zu kommen kann, erschließt sich nicht auf den verantworten, sondern auch eine wirtschaft- ersten Blick. Grundsätzlich wäre es vorstell- lich und medizinisch ungesunde Betriebs- bar, dass die Preise für medizinische Leis- größenstruktur. Es gibt in Deutschland zu tungen auf einem Niveau administriert wer- viele kleine und schlecht ausgerüstete Ein- den, bei dem die ex ante geplante Nachfrage richtungen.28 1.064 bzw. 66,2 Prozent der dem langfristigen Angebot entspricht. Wenn 1.607 allgemeinen deutschen Krankenhäuser der behandelnde Arzt sein Angebot dann an besitzen weniger als 300 Betten. 52,1 Prozent solchen Preisen ausrichtet und wenn er alle besitzen sogar weniger als 200.29 Internati- Kosten einbezieht, resultiert eine effiziente onale Studien sehen die optimale Betriebs- Versorgung. Von einer Fehlsteuerung der größe von Krankenhäusern dagegen bei min- Ressourcen könnte man in einer derart idea- destens 230, wenn nicht gar bei 300 Betten.30 len Welt nicht sprechen. Nach internationalen Maßstäben ist also die Die Orientierung an einer derart idealen überwiegende Zahl der deutschen Kranken- Welt hilft jedoch, mögliche Effizienzstörun- häuser zu klein. Sie sind nicht kosteneffizi- gen zu erkennen. Eine erste wurzelt in falsch ent zu betreiben. Produktionstechnisch zeigt administrierten Preisen. Der Krankenhaus- sich das darin, dass diese Einrichtungen in ei- bereich liefert das passende Beispiel. So sol- nem Bereich fallender Durchschnittskosten len die Versorgungspauschalen, die von den wirtschaften. Die Konsequenzen werden in Krankenversicherungen für stationär er- der folgenden Abbildung 2 schematisch ver- brachte Leistungen erstattet werden, ledig- deutlicht. lich die durchschnittlichen Betriebskosten decken. Die fixen Investitionskosten werden 28 Leopoldina, a.a.O. bislang nicht in die DRGs eingerechnet. Un- 29 Statistisches Bundesamt, 2017, a.a.O. ter solchen Umständen kann man nicht er- 30 In einer Studie für Dänemark wird die optimale warten, dass eine ressourceneffiziente Ver- Zahl an Betten auf 275 pro Krankenhaus geschätzt. sorgung resultiert. Unterhalb von 230 Betten sei es aus Kostengrün- den angezeigt, Kapazitäten zu konsolidieren. Vgl. Allerdings kann man mit einer unvoll- Kristensen, Troels, Kim Rose Olsen, Jannie Kils- ständigen Kostenkalkulation allein keine mark und Kjeld Möller Pedersen, 2008, Economies of scale and optimal size of hospitals: Empirical angebotsinduzierte Übernachfrage erklä- results for Danish public hospitals, University of ren. Man würde vielmehr eine Unterversor- Southern Denmark. Eine andere Studie hat die Lite- gung erwarten, wenn die Behandlungserlöse ratur der Jahre 1969 bis 2014 systematisch mit dem Ziel ausgewertet, die optimale Betriebsgröße von die verursachten Kosten nicht zu decken er- Krankenhäusern zu ermitteln. Die Studie kommt lauben. Wie nachfolgend verdeutlicht wer- zu dem Ergebnis, dass die Größenersparnisse bis in den Bereich von 200 bis 300 Betten reichen. S. den soll, ist mit einer Überversorgung aber Giancotti, Monica, Annamaria Guglielmo und Ma- dann zu rechnen, wenn falsch administrierte rianna Mauro, 2017, PLoS One 12(3), https://www. ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5371367/
Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern Seite 21 Abbildung 2: Überversorgung bei fallenden Durchschnittskosten als Folge nicht ausfinanzierter Investitionen Abbildung 2 veranschaulicht die wirtschaft- sorgungsmenge deckt (Punkt B), werden liche Lage derjenigen Krankenhäuser, die die Einrichtungen gedrängt, die Leistungs- im Bereich fallender Durchschnittskosten mengen bis Punkt C auszuweiten und De- und nicht ausgeschöpfter Skalenersparnisse ckungsbeiträge zu erwirtschaften (Strecke operieren. Die Abbildung ist so zu lesen, dass DC). Die Flucht in die Menge ist also die ein nach Kostendeckung strebendes Kran- wirtschaftlich rationale Reaktion eines um kenhaus genau die medizinisch indizierte seine Existenz kämpfenden Krankenhauses. Leistungsmenge erbrächte, wenn die resul- Falls Kostendeckung das Ziel ist, werden die tierenden Betriebs- und Investitionskosten Leistungsmengen bis zu jenem Punkt aus- durch die Versorgungspauschalen gedeckt gedehnt, bei dem die Fallpauschalen (DRGs) würden (Punkt A). Da die erforderlichen nicht nur die durchschnittlichen Betriebs- Investitionen von den Ländern aber nicht kosten decken, sondern die höheren, durch- ausfinanziert werden und die Fallpauschale schnittlichen Gesamtkosten (also einschließ- lediglich die durchschnittlichen Betriebs- lich jener Kosten, die aus Ersatz- und Erneu- kosten für die medizinisch indizierte Ver- erungsinvestitionen resultieren). Bei eigen-
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