Für ein gesundes Leben - Kommt gut an - Deutschlands Gesundheitsforschung - Gesundheitsforschung-bmbf.de

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Für ein gesundes Leben
Kommt gut an — Deutschlands Gesundheitsforschung
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Vorwort
Liebe Leserinnen, liebe Leser,

bereits heute können wir viele Erkrankungen gut behan-        In dieser Broschüre lesen Sie, wie langjährige Gesund-
deln und heilen. Unsere Lebensqualität ist dadurch deut-      heitsforschung und ihre Förderung dazu beitragen,
lich gestiegen, ebenso wie unsere Lebenserwartung. Die        Gesundheit zu schützen, Krankheiten zu heilen und
Erfolge moderner Medizin verdanken wir vor allem einer        Menschen zu helfen. Sie stellt Ihnen Beispiele vor, die
starken Gesundheitsforschung. Ohne sie ist medizini-          belegen, mit wie viel Herzblut und Engagement – und
scher Fortschritt nicht möglich. Das Bundesministerium        wie brillant – die Wissenschaftlerinnen und Wissen-
für Bildung und Forschung schafft hierfür eine verlässli-     schaftler forschen und ihre Ideen weiterverfolgen – zum
che Basis. Mit unserer strategischen Förderung setzen wir     Wohle von Patientinnen und Patienten. Das Spektrum
wichtige Impulse, gehen aber auch aktuelle Herausforde-       der Gesundheitsforschung ist enorm: Es reicht von neuen
rungen an. Wir schaffen kooperative Strukturen, in denen      Therapieoptionen im Kampf gegen Krebs über digitale
Spitzenforscherinnen und -forscher interdisziplinär           Unterstützungssysteme bei Herz-Kreislauf-Erkrankun-
zusammenarbeiten. Dabei ist es uns besonders wich-            gen bis hin zu Präventionsprogrammen, die uns unsere
tig, dass wissenschaftliche Erkenntnisse den Menschen         Selbstständigkeit im Alter erhalten. Ich wünsche Ihnen
möglichst schnell helfen. Denn bis Forschungsideen zu         viel Freude beim Lesen!
marktfähigen Anwendungen oder neuen Therapieopti-
onen führen, vergehen oft Jahre oder sogar Jahrzehnte.
Diese Prozesse wollen wir beschleunigen.

Dass dies möglich ist, zeigen uns eindrucksvoll die Erfolge   Anja Karliczek
im Kampf gegen das Coronavirus. Bereits zu Beginn der
Pandemie gelang es Forschenden aus Deutschland, das           Mitglied des Deutschen Bundestages
Virus präzise nachzuweisen und seine Ausbreitung nach-        Bundesministerin für Bildung und Forschung
zuvollziehen. Schon elf Monate später starteten die ersten
Impfungen. Das war möglich, weil die Gesundheitsfor-
schung in Deutschland auf starken Strukturen basiert, die
bereits vor Jahren aufgebaut und etabliert wurden.
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KAPITEL                                                                                                                                                                       1

     Inhaltsverzeichnis

Starke Forschung braucht eine starke Basis                                                                                                                                 2
Forschungs­förderung in der C
                            ­ orona-Pandemie                                                                                                                               4
„Niemand war vorbereitet“ — Interview mit Özlem Türeci................................................................................................7

Warum Gesundheits­forschung?                                                                                                                                               8
Forschung an der Schwelle zur personalisierten Krebsmedizin.................................................................................... 12
Therapie- und Impfstoffforschung halten Keime in Schach.......................................................................................... 18
Gesundheit für Jung und Alt................................................................................................................................................... 22

Neue Daten, neue Technologien, neue Chancen                                                                                                                           24
Genomforschung und Systemmedizin: Das große Ganze im Blick............................................................................... 30
Die NAKO Gesundheitsstudie................................................................................................................................................. 34

Was wirkt wirklich? Und was nicht?                                                                                                                                   36
Studien fördern, Menschen helfen........................................................................................................................................ 40

Grenzen überwinden, global vernetzen                                                                                                                                  42
Glossar                                                                                                                                                                     46

Impressum                                                                                                                                                                    49
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2                                                              KOMMT GUT AN — DEUTSCHLANDS GESUNDHEITSFORSCHUNG

Starke Forschung braucht eine starke Basis
Eine leistungsfähige Gesundheitsforschung ist die Grundlage für eine bestmögliche Gesundheitsversorgung der
Menschen. Politik muss den strukturellen Rahmen dafür schaffen und die richtigen inhaltlichen Akzente setzen. Das
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ist dabei mit seiner strategischen und langfristigen Forschungs-
förderung seit vielen Jahren ein verlässlicher Partner – in Deutschland, in Europa und weltweit.

Das BMBF treibt den Aufbau, die Weiterentwicklung                den Forschenden Veränderungsprozesse in der Wis-
und den Betrieb von Forschungsinstitutionen und                  senschaft voran. In den vergangenen 15 Jahren hat das
Forschungsinfrastrukturen voran und greift zugleich              BMBF damit die Gesundheitsforschungslandschaft in
wichtige Forschungsthemen gezielt über die Projekt-              Deutschland wegweisend gestaltet.
förderung auf. Seine vorausschauende und langfristig
angelegte Förderstrategie legt dabei den Grundstein für          Strukturelle Förderung zielt auf Kooperation
eine erfolgreiche Translation. Wie wertvoll Deutsch-             Hochdurchsatztechnologien und komplexe Daten­
lands leistungsfähige und inhaltlich breit aufgestellte          sätze aus unterschiedlichsten Quellen prägen längst
Forschungslandschaft ist, hat die COVID-19-Pandemie              die Gesundheitsforschung des 21. Jahrhunderts. Damit
eindrucksvoll gezeigt. Hier hat sich unser Land auch             sie an allen Standorten gleichermaßen genutzt werden
international große Verdienste erworben – etwa bei               können, müssen zahlreiche Institutionen und Fach-
der Entwicklung von diagnostischen Tests oder neuen              richtungen kooperieren. Der Aufbau dieser Strukturen
Impfstoffen.                                                     ist eine zentrale Komponente der Forschungsförde-
                                                                 rung. So verpflichtet die Medizininformatik-Initiative
Politik als Mitgestalterin der ­Forschungslandschaft             des BMBF die teilnehmenden Einrichtungen, gemein-
Erfolgreiche Gesundheitsforschung „passiert“ aber                sam Standards für die kooperative Forschung mit
nicht von selbst. Kreative und kompetente Expertinnen            patientenbezogenen Daten zu verabreden. Auch bei der
und Experten sind die Grundvoraussetzung für wissen-             translationsorientierten Erforschung von Volkskrank-
schaftliche Höchstleistungen. Damit sie ihr Potenzial            heiten durch die Deutschen Zentren der Gesundheits-
entfalten können, brauchen sie optimale Rahmenbe-                forschung treibt das BMBF gemeinsam mit den Sitzlän-
dingungen. Diese herzustellen, ist Aufgabe der For-              dern der jeweiligen Standorte kooperative Strukturen
schungspolitik.                                                  voran. Die neue Struktur des Berliner Instituts für
                                                                 Gesundheitsforschung in der Charité (BIH) ermöglicht
        Die Forschungsförderung in der Gesund-                   eine besondere Form der Zusammenarbeit in der trans-
                                                                 lationalen Gesundheitsforschung. Durch seine Integra-
        heitsforschung ist eine Erfolgsgeschichte.
                                                                 tion in die Charité – Universitätsmedizin Berlin kann
     Wir haben heute schlagkräftige Forschungs-                  das BIH Translation nun dort vorantreiben, wo die enge
    netzwerke, die es mit Großforschungseinrich-                 Verzahnung von Grundlagenforschung, klinischer For-
      tungen anderer Länder aufnehmen können.                    schung und universitärer Krankenversorgung tagtäg-
        Und die digitale Vernetzung setzt enorme                 lich stattfindet. Diese Kooperation zwischen einer zu 90
                                                                 Prozent bundesgeförderten Einrichtung der Gesund-
     kooperative Energien frei. Davon profitieren                heitsforschung mit einem Universitätsklinikum ist für
         wir in der Pandemie und darüber hinaus.                 die translationale Forschung richtungsweisend. Zu-
    Prof. Dr. Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender Charité –      künftig kann sie auch für andere Querschnittsthemen
    Universitätsmedizin Berlin, Past-Präsident Medizinischer     der universitären Forschung Vorbildfunktion haben.
                                 Fakultätentag 2012 bis 2019
                                                                 Neue Forscherinnen und Forscher braucht das Land!
                                                                 Neben der strukturellen Weiterentwicklung der
Dazu gehören insbesondere der Aufbau und die Weiter-             Gesundheitsforschung ist die Nachwuchsförderung
entwicklung von Infrastrukturen. Außerdem setzt sich             eine Kernaufgabe des BMBF. Denn die Gesundheitsfor-
das BMBF für eine innovationsfreundliche Ausgestal-              schung in Deutschland soll für junge Wissenschaftle-
tung des Rechtsrahmens ein und treibt im Dialog mit              rinnen und Wissenschaftler so attraktiv bleiben, wie sie
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STARKE FORSCHUNG BRAUCHT EINE STARKE BASIS                                                                                                       3

es derzeit ist – oder noch attraktiver werden. Dafür gilt                       Rasch auf Herausforderungen reagieren
es, den Einstieg ins Forscherleben zu erleichtern, etwa                         Während die Struktur- und Nachwuchsförderung
durch Netzwerke, die dem wissenschaftlichen Nach-                               meist langfristig angelegt sind, ist die Projektförderung
wuchs den Zugang zu Fördermitteln erleichtern.                                  ein Instrument für die rasche Reaktion auf Heraus-
                                                                                forderungen, deren Lösung kurz- oder mittelfristig
           Ich hatte Deutschland verlassen, weil                                neue Erkenntnisse erfordert. Dabei werden inhaltliche
                                                                                Förderschwerpunkte oftmals mit einer strukturellen
          die Möglichkeiten in meinem Fach, der                                 Förderung kombiniert. Das bietet den Forschenden
     ­Infektiologie, damals sehr begrenzt waren.                                langfristige Perspektiven und stellt die Translation von
   Der Grund, warum ich 2013 aus den USA zu-                                    Ergebnissen in die Gesundheitsversorgung sicher. Ein
 rückgekommen bin, waren unter anderem. die                                     markantes Beispiel dafür ist die Forschungsförderung
                                                                                des BMBF in der Corona-Pandemie (Kapitel 2).
  neuen Strukturen, die hier aufgebaut wurden.
  Sie ermöglichen es mir heute, eine Forschung                                  Ziele, Strategien und Erfolge der Forschungsförde-
       zu betreiben, die international sichtbar ist.                            rung und Gesundheitsforschung
                                                                                Der Schwerpunkt der vorliegenden Publikation ist ein
   Prof. Dr. Marylyn Addo, Leiterin der I­ nfektiologie, Universi-
                                                                                Überblick über die langfristig angelegte strategische
tätsklinikum H­ amburg-Eppendorf (UKE), Impfstoffforscherin
                                                                                Förderung der Gesundheitsforschung. Sie zeigt, wie
                                                                                die Wissenschaft der Vielfalt der Menschen Rechnung
Bei den Karrierewegen von Forscherinnen und For-                                trägt, um Volkskrankheiten gezielter zu bekämpfen und
schern ist die Gleichstellung oft noch nicht erreicht. Das                      die Personalisierung der Medizin voranzutreiben, etwa
betrifft – wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen –                        in der Krebsforschung (Kapitel 3). Forschende nutzen
Führungspositionen stärker als die „Arbeitsebene“. So ist                       dabei neue und zunehmend digitale Technologien, die
nur jede sechste Professur der höchsten Besoldungsstufe                         akademische Forschungsinstitutionen und Unterneh-
mit einer Frau besetzt. Das BMBF wird daher seine Nach-                         men oft gemeinsam entwickeln (Kapitel 4). Die patien-
wuchsförderung, die oft längerfristig angelegt ist und                          tenorientierte Forschung untersucht die Wirksamkeit
Frauen gezielte Förderoptionen bietet, in den nächsten                          und den Nutzen neuer Konzepte, Wirkstoffe oder Medi-
Jahren weiter ausbauen. Spezielle Programme sollen es                           zinprodukte beim Menschen (Kapitel 5). Nicht erst seit
forschenden Medizinerinnen und Medizinern darüber                               der Corona-Pandemie wissen wir, dass Forschende und
hinaus ermöglichen, exzellente Forschungsarbeit künf-                           Forschungsförderer globale Gesundheitsprobleme, wie
tig besser mit ihrer Tätigkeit als Ärztin oder Arzt in der                      zum Beispiel Infektionserkrankungen, nur in weltwei-
Klinik zu vereinen.                                                             ter Kooperation lösen können (Kapitel 6).

                                  3 230                                                                              700            Mio.
                                                                                                              rund
                           mehr
                                        Mrd.
                            als
                                        Euro                                                                                        Euro
für die Erforschung und Bekämpfung von Volkskrank-
heiten – von der Herz-Kreislauf- bis zur Krebsforschung
                                                          Mio. Euro
                                                          für die Medizininformatik-Initiative – als ein
                                                                                                                               für die genomische
                                                                                                                          Medizin und die Etablie-
in den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung         zentraler Baustein zur Digitalisierung der Medizin              rung der Systemmedizin

230                                                             645                                                     70
                                                                     fast
                       Mio.                                                            Mio.                      rund               Mio.
                       Euro                                                            Euro                                         Euro
für klinische Studien und rund

235
                                                                            für Herausforderungen der                     für die Erforschung ethi-

                       Mio.        für die Versorgungs-                     globalen Gesundheit und für                   scher, rechtlicher und
                                   forschung – für eine best-               die Bekämpfung von Risiken, die               sozialer Aspekte (ELSA)

                       Euro        mögliche und effiziente                  keine Ländergrenzen kennen*                   der modernen Medizin
                                   Gesundheitsversorgung                                * ohne Fördermittel zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie

Fördermittel des BMBF für ausgewählte Maßnahmen des Gesundheitsforschungs­programms von 2010 bis 2020 sowie für laufende
Maßnahmen bis 2025 (Planzahlen). Die Fördermittel zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie sind auf Seite 6 separat dargestellt.
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Forschungs­
                      förderung in der
                    ­Corona-Pandemie
Wie wichtig eine staatliche Förderung der Gesundheitsforschung sein kann, die langfristig angelegt
und in der Lage ist, flexibel und zügig auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren, wurde jedem
durch die Corona-Pandemie vor Augen geführt. Von heute auf morgen waren diagnostische Tests
erforderlich. Die Suche nach Behandlungen musste so schnell wie möglich starten. Und nahezu
im Echtzeitbetrieb während des Pandemiemanagements galt es, das neue Virus zu verstehen, seine
Ausbreitung abzuschätzen und darauf aufbauend möglichst effektive Eindämmungsmaßnahmen zu
konzipieren – auf Bevölkerungsebene und auf Ebene besonders gefährdeter Personengruppen.

Auch in Deutschland wurden die Menschen von der Infektiosität und Ausbreitungsgeschwindigkeit
von SARS-CoV-2 überrascht. Das Land war aber nicht völlig unvorbereitet und konnte – auch dank
kluger Förderentscheidungen im Bereich Gesundheitsforschung in den vergangenen Jahren – einen
maßgeblichen Beitrag zum weltweiten Kampf gegen die Pandemie leisten. Das trifft insbesondere auf
die Forschung zu Diagnoseverfahren sowie auf die Impfstoffentwicklung zu. Während der Pandemie-
monate wurde dann mit neuen Förderprogrammen auf aktuelle Forschungsbedarfe reagiert. Dabei
etablierte Strukturen werden der Gesundheitsforschung über die Pandemie hinaus zugutekommen.
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Forschungs­förderung in der C
                            ­ orona-Pandemie                                                                          5

Auf das Ausmaß der COVID-19-Pandemie war Deutschland genauso wenig vorbereitet wie andere Länder. Als aller-
dings klar wurde, dass es sich bei der Epidemie in Wuhan, die sich dann auf den ganzen Globus ausbreitete, um einen
Ausbruch von SARS-Coronaviren handelte, hatte Deutschland einen Startvorteil. Denn die Coronavirus-Forschung
begann hierzulande nicht bei „null“, sondern konnte auf einen breiten Fundus an Wissen, Techniken und Strukturen
aufsetzen, der über die Jahre erarbeitet wurde.

Zoonosenforschung als Fundament für das                      Impfstofftechnologie und Testsysteme
P
­ andemiemanagement                                          für die ganze Welt
Eine wichtige Basis war dabei die Zoonosenforschung.         Nicht nur bei der Diagnostik, auch bei der Entwick-
Zoonosen sind Infektionserkrankungen des Men-                lung von Impfstoffen leistet Deutschland einen
schen, die ihren Ursprung im Tierreich haben. Im Jahr        wichtigen Beitrag im Kampf gegen die Pandemie. So
2006 hat das BMBF mit dem Bundesministerium für              startete das BMBF ein mit 750 Millionen Euro ausge-
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz              stattetes Sonderprogramm zur Beschleunigung der
und dem Bundesministerium für Gesundheit eine                Impfstoffforschung und -Entwicklung in Deutschland.
gemeinsame Forschungsvereinbarung zu Zoonosen                Zudem stellte es der internationalen Impfstoff-Initia-
abgestimmt. Später schloss sich auch das Bundesmi-           tive Coalition for Epidemic Preparedness Innovations
nisterium der Verteidigung an. In der Folge brachte          (CEPI) in den Jahren 2020 und 2021 insgesamt zusätz-
das BMBF mehrere Förderinitiativen auf den Weg,              liche 350 Millionen Euro für die Impfstoffentwicklung
darunter im Jahr 2007 den Förderschwerpunkt „Zoo-            gegen SARS-CoV-2 zur Verfügung. Bei drei SARS-CoV-
notische Infektionserkrankungen“ und im Anschluss            2-Impfstoffen war das BMBF im Rahmen von Förder-
die „Nationale Forschungsplattform zu zoonotischen           programmen engagiert. So wurde die Entwicklung des
Infektionserkrankungen“ und das „Nationale For-              mRNA-Impfstoffs CVnCoV des Tübinger Biotech-Un-
schungsnetz zoonotische Infektionserkrankungen“.             ternehmens CureVac sowohl über CEPI als auch über
Nicht zuletzt als Reaktion auf die erste SARS-Epide-         das Sonderprogramm gefördert. Und der Impfstoff
mie in den Jahren 2002/2003 waren Coronaviren ein            MVA-SARS-2-S, ein auf einem Impfvirus basierender
zentrales Forschungsfeld der deutschen Zoonosenfor-          Vektorimpfstoff, wurde im Rahmen des BMBF-geför-
schung. Den Anfang machte der Verbund „Ökologie              derten Deutschen Zentrums für Infektionsforschung
und Pathogenese von SARS“, für den von 2007 bis              (DZIF) zur Studienreife gebracht und anschließend
2014 insgesamt 5,6 Millionen Euro zur Verfügung              mithilfe der IDT Biologika GmbH, die ebenfalls über
gestellt wurden. An ihn schloss sich der Verbund             das Sonderprogramm gefördert wurde, in die klinische
„RAPID – Risikobewertung bei präpandemischen re­             Prüfung überführt (Seite 19).
spiratorischen Infektionserkrankungen“ an, der unter         Die bislang größte Erfolgsgeschichte der SARS-CoV-
der Leitung von Prof. Dr. Christian Drosten von der          2-Impfstoffforschung „made in Germany“ ist der
Charité Berlin seit 2017 mit rund 2,9 Millionen Euro         Impfstoff BNT162b2, der von dem Mainzer Unter-
gefördert wird.                                              nehmen BioNTech entwickelt wurde und gemeinsam
Neben SARS wurde in den vergangenen Jahren unter             mit dem Pharmaunternehmen Pfizer vertrieben
anderem das MERS-Coronavirus intensiv erforscht.             wird. BNT162b2 war der erste in der EU zugelassene
Wie SARS ist auch MERS bei Fledermäusen verbreitet.          Impfstoff gegen SARS-CoV-2. Seit Dezember 2020 ist
Anders als SARS nutzt es Kamele als Zwischenwirt,            er in vielen Teilen der Welt im Rahmen der COVID-
bevor es den Menschen infiziert. Letztlich hat die jah-      19-Impfprogramme im Einsatz. Das Unternehmen Bi-
relange Forschung zu SARS und MERS dazu geführt,             oNTech wurde vom BMBF unter anderem im Rahmen
dass in Deutschland direkt nach Veröffentlichung der         der Gründungsoffensive Biotechnologie (GO-Bio) und
genetischen Sequenz von SARS-CoV-2 im Januar 2020            über das Sonderprogramm gefördert.
ein leistungsfähiges Testverfahren zur Diagnose einer        Aus dem GO-Bio-Förderprogramm sind noch weitere,
Infektion entwickelt wurde. Das wiederum erlaubte            innovative Unternehmen hervorgegangen, die zur
es, sehr schnell zu erkennen, dass sich das neue SARS-       Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beitragen. So
Virus im Rachen stark vermehrt und damit wesent-             hat das Freiburger Start-up Spindiag ein innovatives,
lich ansteckender ist als sein Vorgänger.                    voll automatisiertes und hochmobiles SARS-CoV-2
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6                                                            KOMMT GUT AN — DEUTSCHLANDS GESUNDHEITSFORSCHUNG

Schnelltestsystem entwickelt, das eine sehr kosten-            partnerschaften Drugs for Neglected Diseases
günstige Vor-Ort-Diagnostik ermöglicht und auch für            initiative (DNDi) und Global Antibiotic Research
andere Infektionserkrankungen einsetzbar sein soll.            and Development Partnership (GARDP) mit 20
                                                               Millionen Euro.
Vielfältige Forschungsförderung im Kontext
der Pandemiebekämpfung                                         Corona-Forschung: Ein Turbo für die Vernet-
Nach Beginn der Pandemie hat das BMBF in                       zung der Universitäten
rascher Folge weitere Förderprogramme an-                      Auf nationaler Ebene hat die Pandemie dazu
gestoßen, darunter ein mit 45 Millionen Euro                   beige­traten, bereits existierende Programme für
ausgestattetes Sofortprogramm zur Entwicklung                  die Vernetzungen, der klinischen und transla­
von Medikamenten und zum besseren Verständ-                    tionalen Forschung zu beschleunigen und
nis des Virus. Für die Stärkung der klinischen                 weiterzuentwickeln. So wurde bereits im April
Entwicklung therapeutischer Ansätze gegen CO-                  2020 das Netzwerk Universitätsmedizin (NUM)
VID-19 stellt das BMBF ein Jahr nach Beginn der                gegründet und der Aufbau mit einer Förderung
ersten Forschungsarbeiten noch einmal mindes-                  von 150 Millionen Euro unterstützt. Es setzt unter
tens 5­ 0 Millionen Euro zur Verfügung. Darüber                anderem auf den Aktivitäten der BMBF-geför-
hinaus beteiligt sich Deutschland an internati-                derten Medizininformatik-Initiative auf und hat
onalen Projekten wie der Medikamenten-Studie                   insgesamt 13 vordringliche COVID-19-bezogene
Solidarity der WHO und der Initiative „Access                  Forschungs­t hemen definiert, zu denen seither
to COVID-19 Tools Accelerator“ (ACT-A), die                    bundesweit und vernetzt geforscht wird.
sich die Entwicklung, Produktion und weltweit                  Das NUM hat eine klare Perspektive über die
gerechte Verteilung von Impfstoffen, Therapien                 ­COVID-19-Pandemie hinaus. Anfang Dezember
und Diagnostika zum Ziel gesetzt hat. Das BMBF                  2020 hat der Haushaltsausschuss des Deutschen
unterstützt den ACT-A über seine Beiträge an                    Bundestages beschlossen, dass das Netzwerk ver-
CEPI und mit 60 Millionen Euro an die Diagnos-                  stetigt und inhaltlich erweitert werden soll. Dafür
tik-Produktentwicklungspartnerschaft FIND.                      werden für die Jahre 2022 bis 2024 insgesamt 240
Zusätzlich fördert das BMBF die Entwicklungs-                   Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Wichtige BMBF-Maßnahmen im Bereich Gesundheitsforschung zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

         50               Mio.
                          Euro
          für die Erforschung und Ent-
          wicklung von Therapeutika
                                          20
                                           Mio. Euro
                                                             für Innovationen der
                                                             Medizintechnik für
                                                             Prävention, Infektions-
                                                             schutz, Diagnostik,
                                                             Therapie und Nachsorge
                                                                                        12 Mio. Euro  für Computer-Modellie-
                                                                                                      rungen zur Unterstützung
                                                                                                      des Pandemiemanagements
                                                                                                                   ­

390                     Mio.
                        Euro
für den Auf- und Ausbau eines
bundesweiten Netzwerks
                                                             750                       Mio.
                                                                                       Euro
                                                             für ein Sonderprogramm zur Impf-
                                                             stoffentwicklung und -produktion
                                                                                                 80         ­
                                                                                                                Mio.
                                                                                                                Euro
                                                                                                 für Produktentwicklungs-
                                                                                                 partnerschaften, die weltweit
Universitätsmedizin                                          in Deutschland und                  z.B. neue Medikamente auch für

                                                             350
                                                                                                 ärmere Länder zu erschwingli-

                                                                                       Mio.      chen Kosten produzieren können

             45
                                         zum besseren

                                Mio.
                                         Verständnis des
                                         Virus und für die                             Euro
                                Euro
                                         Entwicklung von     zusätzlich für die internationale
                                         Medikamenten        Impfstoffinitiative CEPI
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Forschungs­förderung in der C
                            ­ orona-Pandemie                                                                             7

„Niemand
war vorbereitet“
Seit der COVID-19-Pandemie hat Deutschland mit
der Mainzer Firma BioNTech einen neuen Biotech-
Superstar. Zusammen mit ihrem Ehemann Ugur
Sahin hat die Ärztin Özlem Türeci das Unternehmen
gegründet. In einem Gespräch erklärt sie, wie aus
Grundlagenforschung Therapien werden, die der
Menschheit helfen.

Vor ziemlich genau einem Jahr erreichten uns die ersten
Meldungen über den COVID-19-Ausbruch in China. Wann
war Ihnen klar, dass Ihr Unternehmen einen maßgebli-          geholfen. Damals ging es konkret um einige der gerade
chen Beitrag zur Bewältigung dieser Krise leisten kann?       genannten Modifikationen im „Rückgrat“ der mRNA,
Das war bereits im Januar 2020. Diese Entscheidung fiel,      um sie pharmazeutisch zu optimieren. Ugur Sahin, der
bevor die Epidemie von der WHO offiziell zu einer Pan-        diesen Antrag gestellt hatte, setzte ein Hochdurchsatz-
demie erklärt wurde. Wir haben uns früh entschlossen,         Screening auf und erarbeitete mit unserem Team
ein Großprojekt zu initiieren, um in sehr kurzer Zeit einen   Modifikationen, mit denen man mRNA die jeweils
Impfstoff zu entwickeln. Dieses haben wir „Lightspeed“,       gewünschten Eigenschaften verleihen kann. Das war im
also Lichtgeschwindigkeit, genannt. Wir sind Immunolo-        Grunde die Start-up-Phase von BioNTech. Diese Vorar-
gen oder besser gesagt Immuningenieure. Die Entwick-          beiten haben dazu beigetragen, dass wir mRNA heute so
lung einer präventiven Vakzine gegen ein neues Virus ist      breit einsetzen – nicht nur in der Krebstherapie und der
eindeutig eine immunologische Aufgabe. Und weil wir           Infektionsprävention. Präklinisch haben wir auch den
zuvor lange Jahre Immuntherapien gegen Krebs entwi-           Einsatz bei entzündlichen Autoimmunerkrankungen
ckelt haben, verstehen wir das Immunsystem in seiner          wie Multiple Sklerose erschlossen.
Tiefe. Das waren gute Voraussetzungen, um mit einem
innovativen Ansatz zur Lösungsfindung beizutragen.            Was würden Sie jungen Menschen, die sich durch Sie
                                                              inspiriert fühlen, empfehlen?
Sie haben das Unternehmen BioNTech 2008 mitgegrün-            Es gibt mit Sicherheit verschiedene Wege, einen Beitrag
det. Wie lange hatten Sie sich da schon mit der mRNA-         dazu zu leisten, dass Wissenschaft ihrem nobelsten Ziel
Technologie beschäftigt?                                      folgen kann, Menschen zu helfen. Das Feld der biomedi-
Wir hatten uns schon mehrere Jahre vor der BioNTech-          zinischen Translation ist extrem interdisziplinär. Das se-
Gründung mit der Technologie beschäftigt. Damals ha-          hen wir auch bei uns – wir stellen Mediziner, Biologen,
ben wir erkannt, dass wir die mRNA optimieren müssen,         Informatiker, Biostatistiker, Chemiker und viele andere
um sie pharmazeutisch als Wirkstoff nutzen zu können.         ein. Was, glaube ich, wichtig ist: Wer zu einem Wanderer
In diese Arbeit haben wir viele Jahre investiert und          zwischen den Welten, zwischen Wissenschaft und An-
sie ist einer der Gründe, warum wir unseren COVID-            wendung werden will, und darum geht es letztlich, der
19-Impfstoff so schnell entwickeln konnten. Wir muss-         muss zwei Dinge kombinieren – Mut und Demut. Um
ten beispielsweise Modifikationen entwickeln, um die          definierte Karrierewege zu verlassen, persönliche Risi-
mRNA zu stabilisieren und sie vor dem allzu schnellen         ken einzugehen und an einer wissenschaftlichen Vision
Abbau in der Zelle zu schützen. Außerdem haben wir die        festzuhalten, dafür braucht es Mut. Da ist es dann auch
mRNA so verändert, dass die Zelle mehr Protein daraus         gut, dass es Organisationen wie das BMBF gibt, die nicht
herstellen kann. Und wir haben Verfahren entwickelt,          nur Senior-Autoren, sondern auch junge Wissenschaft-
mit denen wir die mRNA zielgerichtet in die antigen-          lerinnen und Wissenschaftler unterstützen. Mut reicht
präsentierenden Zellen einbringen können.                     aber nicht. Es geht auch darum einzusehen, dass eine
                                                              einzelne Innovation nicht zum Ziel führt. Es müssen
Wie wichtig war in dieser Phase die Förderung                 Expertisen und Menschen zusammengeführt werden,
durch das BMBF?                                               die gemeinschaftlich, mit unternehmerischem Geist
In dieser frühen Phase, vor der Gründung des Unter-           und nachhaltig dafür sorgen, dass Translation gelingt.
nehmens, hat uns die GO-BIO Förderung des BMBF sehr           Dafür braucht es Demut. Mit Ego allein geht das nicht.
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Warum
                                           Gesundheits­
                                             forschung?
Menschen erkranken seit jeher an Infektionen, an bösartigen Tumoren, an Herz-Kreislauf-Erkrankun-
gen, an neurologischen und psychiatrischen Leiden und an erblich bedingten Stoffwechselstörungen.
Was sich ändert, ist die relative Bedeutung der einzelnen Erkrankungen. Jede Generation erlebt „ihre“
gesundheitlichen Herausforderungen, die sie bewältigen muss und die es zu erforschen gilt.

Der demografische Wandel ist eine Kernherausforderung. Er führt zu mehr chronischen Erkrankun-
gen, mehr Krebs und mehr Demenz. Hier gibt es viel Forschungsbedarf, um Menschen ein möglichst
gesundes Altern zu ermöglichen. Eine zweite Herausforderung hat uns das Jahr 2020 sehr plastisch
vor Augen geführt: Bevölkerungswachstum, Verstädterung und Globalisierung führen dazu, dass
Infektionskrankheiten wieder wichtiger werden und dass sich „neue“ Erreger wie SARS-CoV-2 in nie
gekannter Geschwindigkeit verbreiten können.

Die Forschungsförderung des BMBF zielt auf inhaltliche und strukturelle Verbesserungen. Durch
sie sollen neue Erkenntnisse möglichst rasch den Patientinnen und Patienten zugutekommen – als
bessere Diagnostik, als neue Therapien oder auch als innovative Präventionskonzepte. Denn was sich
verhindern lässt, muss nicht behandelt werden.
Warum Gesundheits­forschung?                                                                                                   9

Vernetzte Forschung für den Kampf
gegen Volkskrankheiten
Was haben Demenz, Diabetes, Bluthochdruck und chronisch-obstruktive Lungenerkrankung gemeinsam? Es sind
nicht ansteckende „Volkskrankheiten“, die heute viel mehr Menschen betreffen als noch vor wenigen Jahrzehnten.
Entsprechend großen Bedarf gibt es an besseren Versorgungskonzepten und wirksameren Therapien. Gesundheitsfor-
schung zu Volkskrankheiten erfordert modernste Methoden und große Studien. Die Forschungsförderung des BMBF
zielt deswegen auch auf die Etablierung kooperativer Strukturen – damit moderne Medizin schneller bei all jenen
ankommt, die sie brauchen.

Erkrankungen der Lunge und des Herz-Kreislauf-Sys-         für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), das
tems, neurologische und psychiatrische Erkrankungen        Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und
und Stoffwechselstörungen wie der Diabetes domi-           das Deutsche Konsortium für Translationale Krebs-
nieren in Industrienationen alle krankheitsbezogenen       forschung (DKTK). Derzeit läuft der Aufbauprozess
Statistiken. Das betrifft die Todesursachenstatistik, wo   für zwei neue Deutsche Zentren der Gesundheitsfor-
die Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf Platz eins, die        schung in den Bereichen Kinder- und Jugendgesund-
Atemwegserkrankungen auf Platz drei und die neuro-         heit beziehungsweise Psychische Gesundheit.
logischen und psychiatrischen Erkrankungen auf Platz
vier stehen. Es betrifft aber auch die Krankheitskos-
tenstatistiken: So entfielen 2015 auf Herz-Kreislauf-
Erkrankungen 13,7 Prozent aller Gesundheitskosten.            Volkskrankheiten in Zahlen
Es folgten neurologische und psychiatrische Erkran-
kungen mit 13,1 Prozent. Erkrankungen der Atemwege
hatten einen Anteil von 4,9 Prozent und Stoffwechsel­
erkrankungen wie Diabetes von 4,6 Prozent.

Große Erkrankungen erfordern große Netzwerke
Schätzungen zufolge wird 2050 jeder dritte Mensch in
                                                              Laut WHO sind sieben von zehn      Rund 60 Prozent aller vorzeiti-
Deutschland 65 Jahre oder älter sein. Ende 2019 war es        Todesfällen weltweit bedingt       gen Todesfälle weltweit gehen
nicht einmal jeder fünfte. Da viele Volkskrankheiten          durch nicht übertragbare Er-       auf kardiovaskuläre Erkrankun-
auch altersabhängige Erkrankungen sind, wird der de-          krankungen wie Herz-Kreislauf-     gen zurück. In Deutschland
                                                              Erkrankungen, Lungenerkran-        sind 36 Prozent aller Todesfälle
mografische Wandel dazu führen, dass die Bedeutung            kungen, Krebs oder Diabetes.       Folge dieser Erkrankungen.
dieser Erkrankungen steigt. Deswegen hat das BMBF
seit 2009 neue Forschungsstrukturen geschaffen, die
speziell die Erforschung der großen Volkskrankheiten
stärken, nämlich die Deutschen Zentren der Gesund-
heitsforschung (DZG).
Die DZG sind bundesweite Netzwerke von exzellenten
universitären und nicht universitären Forschungs-
einrichtungen, die sich auf bestimmte Erkrankungen
oder Erkrankungsgruppen spezialisiert haben. Sie sind         Rund einer von zwölf Menschen       Die chronisch-obstruktive Lun-
eine in dieser Art international einzigartige, dezentral      in Deutschland leidet heute an      generkrankung (COPD) betrifft
                                                              einem Diabetes. 1980 war es         weltweit über 200 Millionen
strukturierte Antwort auf die Großforschungszentren,          noch jeder zwanzigste, und 1960     Menschen und in Deutschland
die es in weniger föderalistisch geprägten Ländern            nicht einmal jeder hundertste.      leidet etwa jeder zehnte
wie Frankreich oder deutlich größeren Ländern wie             Beim Typ-2-Diabetes gibt es eine    Erwachsene über 40 Jahren an
                                                              klare Altersabhängigkeit: Rund      einer COPD. Schätzungsweise
den USA und China gibt. Bisher wurden sechs DZG
                                                              25 Prozent der 70-Jährigen und      entstehen dem deutschen
etabliert, nämlich das Deutsche Zentrum für Diabetes-         über 30 Prozent der 80-Jährigen    ­Gesundheitswesen dadurch
forschung (DZD), das Deutsche Zentrum für Herz-               sind davon betroffen.               Kosten in Höhe von rund zehn
Kreislauf-Forschung (DZHK), das Deutsche Zentrum                                                  Milliarden Euro – pro Jahr.

für Lungenforschung (DZL), das Deutsche Zentrum
10                                                      KOMMT GUT AN — DEUTSCHLANDS GESUNDHEITSFORSCHUNG

                                                          Digitale Plattformen, über die klinische Studien effi-
                                                          zient und datenschutzkonform geplant und durch-
       KÖPFE UND KARRIEREN: NEUE THERAPIEN BEI
       VORHOFFLIMMERN GESUCHT!                            geführt werden können, sind ein weiteres wichtiges
                                                          Standbein aller DZG. Patientinnen und Patienten
                           Wie vernetzte, trans-
                                                          profitieren davon unmittelbar, denn die DZG können
                           lationale Forschung
                                                          so auch größere klinische Studien selbst stemmen. Im
                           im Kontext eines
                                                          Rahmen des DZHK etwa haben seit Gründung über
                           DZG konkret Themen
                                                          8.000 Patientinnen und Patienten an 19 klinischen
                           voranbringen und auch
                                                          Studien teilgenommen.
                           Forschungskarrieren
                           prägen kann, zeigt
                                                        Patientinnen und Patienten erhalten in Deutsch-
                           Prof. Dr. Tanja Zeller,
Leiterin der Forschung Kardiologie am Univer-            land sehr früh Zugang zu neuen Therapien, weil
sitären Herzzentrum des Universitätsklinikums                die DZG attraktive Partner für internationale
Hamburg-Eppendorf (UKE). Sie hat am DZHK-                 Studien sind. In den USA wird mit Respekt und
Standort Hamburg das Feld der Genomik und
                                                        Anerkennung auf die Strukturen geblickt, die hier
Systembiologie mit dem Fokus auf kardiovaskulä-
re Erkrankungen etabliert und 2014 eine entspre-                                     geschaffen wurden.“
chende DZHK-Professur übernommen. Zeller hat                        Prof. Dr. Susanne Herold, Medizinische Klinik II,
im Rahmen einer BMBF-Nachwuchsförderung im                                Universitätsklinikum Gießen und Marburg
symAtrial-Projekt des e:Med-Programms geneti-
sche Veränderungen identifiziert, die bei Vor-
                                                          Die deutsche Forschung zu Volkskrankheiten ist
hofflimmern relevant sind. Die Hamburger sind
                                                          international viel sichtbarer geworden. Ein Fokus aller
dabei unter anderem auf das Stoffwechselprodukt
                                                          DZG ist die translationale Forschung: Wissen aus der
Acylcarnitin gestoßen, das störend auf den Herz-
                                                          Grundlagenforschung soll möglichst schnell in der
rhythmus wirkt. Es könnte einen neuen Ansatz-
                                                          Versorgung ankommen. Wie das konkret aussieht,
punkt für die Prävention oder die Behandlung
                                                          zeigen beispielhaft zwei Projekte des DZHK. Unter der
des Vorhofflimmerns bieten – eine Erkrankung,
                                                          Leitung von Prof. Dr. Stefanie Dimmeler vom Insti-
die als Folge des demografischen Wandels immer
                                                          tut für kardiovaskuläre Regeneration der Universität
häufiger wird und für die dringend Versorgungs-
                                                          Frankfurt am Main wurden MicroRNA, also sehr kleine
konzepte gesucht werden.
                                                          Nukleinsäuren, erforscht. Nach vielen präklinischen
                                                          Experimenten konnte kürzlich eine klinische Phase-I-
                                                          Studie erfolgreich abgeschlossen werden. Jetzt soll die
Schnellerer Zugang zu innovativer Versorgung              MicroRNA-Therapie beim akuten Koronarsyndrom
Die Finanzierung der DZG ist langfristig angelegt und     und bei Herzschwäche neue therapeutische Horizonte
erfolgt bei den bestehenden sechs Zentren zu 90 Pro-      erschließen.
zent durch den Bund. Die restlichen 10 Prozent tragen     Ein zweites Beispiel, bei dem es gelungen ist, Grund-
anteilig jene Bundesländer, in denen die DZG-Stand-       lagenforschung an die Schwelle klinischer Studien zu
orte liegen. Von 2009 bis 2016 förderten Bund und         bringen, ist das „Herzpflaster“, eine Entwicklung, die von
Länder den Aufbau der DZG mit über einer Milliarde        Prof. Dr. Thomas Eschenhagen vom Universitätsklini-
Euro. Aktuell werden jährlich rund 250 Millionen          kum Hamburg-Eppendorf vor über 25 Jahren initiiert
Euro bereitgestellt. Bei dieser Förderung handelt es      wurde und nun in die Praxis überführt werden soll. Es
sich nicht um eine Komplettförderung der Institutio-      handelt sich um ein auf Basis von Stammzellen ent-
nen, sondern um eine Förderung der vernetzten For-        wickeltes Gewebeprodukt aus Herzmuskelzellen. Das
schung. Das betrifft zum Beispiel gemeinsam genutzte      Gewebepflaster wird auf geschädigte Bereiche des Herz-
Biobanken. So wurde am DZL eine deutschlandweite          muskels aufgenäht, zum Beispiel nach einem Herzin-
Biobank für Lungenerkrankungen aufgebaut, die             farkt. Dort führt es zur Bildung von neuem Herzgewebe.
viele Millionen Bioproben organisatorisch-technisch       Eine erste klinische Studie unter Leitung von Prof. Dr.
zusammenführt, wobei die Proben selbst dezentral an       Wolfram Zimmermann von der Universität Göttingen
den unterschiedlichen Standorten lagern.                  soll jetzt im Rahmen des DZHK starten.
Warum Gesundheits­forschung?                                                                                                       11

Forschungsinfrastruktur im Kampf                              Translationale Forschung bringt Grundlagenwissen an die Patientinnen
                                                              und Patienten. Beispiel Herz: BMBF-gefördert, wurden Stoffwechsel-
gegen die Pandemie                                            produkte beschrieben, die neue Therapieansätze bei Vorhofflimmern
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat                 eröffnen. Und es wurde ein Herzpflaster entwickelt, das den Heilungspro-
                                                              zess nach einem Herzinfarkt künftig verbessern könnte.
sich gezeigt, dass die für die Volkskrankheiten auf-
gebauten Netzwerkstrukturen sehr flexibel auf neue
Forschungsbedarfe adaptierbar sind. Das betrifft nicht
                                                                              KÖPFE UND KARRIEREN:
nur die Erforschung der Lunge und der SARS-CoV-2-­                            „SPANNENDE ZEITEN
bedingten Lungenentzündung, sondern auch individu-                            FÜR DIE WISSENSCHAFT“
elle Risikokonstellationen bei Diabetes sowie kardiovas-
                                                                    An der Universitäts­
kuläre und neuronale Manifestationen beziehungsweise.
                                                                    medizin Göttingen leitet
Folgeerkrankungen der SARS-CoV-2-Infektion.
                                                                    Dr. Roberto Goya-­
Insbesondere das DZL und das DZIF, aber auch DZHK,
                                                                    Maldonado die Fach-
DZNE und DZD steuerten im Frühjahr 2020 in kür-
                                                                    gruppe Systemische
zester Zeit um und liefern jetzt wertvolle Beiträge
                                                                    Neurowissenschaften
zur Grundlagenforschung, zur Diagnostik und zur
                                                                    und Bildgebung in
Therapie. So wurde am DZD herausgefunden, dass der
                                                                    der Psychiatrie. Im
lockdown-bedingte Stress nicht in ähnlichem Maße wie
                                                                    Rahmen einer BMBF-
die Katastrophe von Tschernobyl oder das Erdbeben
                                                                    Nachwuchsförderung koordiniert er das PreNeSt-
von Los Angeles zu einem Anstieg des Typ-1-Diabetes
                                                                    Projekt. Mithilfe von funktioneller Magnetreso-
führte. Am DZHK konnte gezeigt werden, dass das
                                                                    nanztomografie und moderner Statistik-Software
SARS-CoV-2-Virus Herzmuskelzellen direkt angreift.
                                                                    soll die transkraniale Magnetstimulation (TMS)
Inwieweit das Virus auch zu Langzeitfolgen am Herzen
                                                                    stärker personalisiert werden, um Patientinnen und
führt, wird jetzt untersucht. Außerdem wurden Projekte
                                                                    Patienten mit Depression effektiver behandeln zu
zur Telemedizin bei zu Hause isolierten COVID-19-Pa-
                                                                    können. Mittlerweile haben die Göttinger in ihrem
tientinnen und -Patienten sowie zu unterschiedlichen
                                                                    Forschungsprojekt an der Grenze von klinischer
medikamentösen Therapien initiiert.
                                                                    Medizin, Big-Data-Forschung und Bildgebung rund
                                                                    150 Betroffene untersucht und damit einen Daten-
Ausblick
                                                                    satz zur Verfügung gestellt, den es weltweit in dieser
Volkskrankheiten werden auch in den nächsten Jahren
                                                                    Qualität sonst nicht gibt. Das eröffnet viele Spielräu-
einen wichtigen Schwerpunkt der BMBF-Förderung
                                                                    me, auch für den Einsatz von künstlicher Intelligenz.
bilden. Dies spiegelt sich nicht zuletzt im 2018 veröffent-
                                                                    „Es sind spannende Zeiten für die Wissenschaft und
lichten Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der
                                                                    speziell für die translationale Forschung bei einer
Bundesregierung wider. Der dort noch als Ziel definierte
                                                                    Volkskrankheit wie der Depression.“
Aufbau weiterer DZG nimmt durch den Aufbauprozess
der beiden neuen Zentren konkrete Formen an.
12                                                        KOMMT GUT AN — DEUTSCHLANDS GESUNDHEITSFORSCHUNG

Forschung an der Schwelle zur
personalisierten Krebsmedizin
Krebs ist immer noch eine der größten Herausforderungen für die Medizin. Der Forschungsbedarf ist riesig. Das liegt
zum einen daran, dass die Zahl der Krebserkrankungen steigt, was die Suche nach präventiven Strategien immer dring-
licher macht. Gleichzeitig hat sich unser Verständnis von Krebs fundamental verändert. Das Ergebnis sind komplett
neue Behandlungskonzepte – mit entsprechend hohem Bedarf an translationaler und klinischer Forschung. Für die
Patientinnen und Patienten sind das gute Nachrichten. Denn es gibt berechtigte Hoffnung auf große therapeutische
Fortschritte in den nächsten Jahren.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus,         eine ungesunde Lebens- und Ernährungsweise und
dass sich die Zahl der Krebserkrankungen weltweit in        sich ändernde Umweltbedingungen, zum Beispiel eine
den nächsten Jahren verdoppeln wird. Schon heute ge-        stärkere UV-Belastung und Luftverschmutzung. Auch
hören Krebserkrankungen in den höheren Lebensjahr-          Infektionen können Krebs verursachen, beispielsweise
zehnten zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt.           bestimmte Virusentzündungen der Leber.
Rund 500.000 Menschen erkranken derzeit in Deutsch-
land pro Jahr neu an einer Krebserkrankung – mehr als       Krebsmedizin im Umbruch
doppelt so viele wie bei Herzinfarkt oder Schlaganfall.     Die klassische Krebstherapie kennt drei Säulen, näm-
Bis 2030 dürfte diese Zahl auf rund 600.000 ansteigen.      lich die Chirurgie, die Chemotherapie und die Strah-
Hauptgrund dafür ist das steigende Durchschnittsal-         lentherapie. Welche dieser Therapiekonzepte jeweils im
ter. Es kommen aber noch andere Faktoren dazu, etwa         Vordergrund stehen, hängt von der Art des Tumors und
                                                            vom Tumorstadium ab. In den vergangenen Jahren hat
Warum Krebsforschung?                                       die Krebsforschung eine ganze Reihe von neuen Thera-
                                                            pien hervorgebracht, die das traditionelle Säulensche-
Bessere Behandlungen gesucht!                               ma erweitern. So sind die molekular gezielten Therapi-
Krebs ist eine schwere, immer noch oft tödliche             en keine Chemotherapien im traditionellen Sinne, weil
Erkrankung. Mit einem Anteil von 25 Prozent                 sie nicht undifferenziert das Zellwachstum bremsen,
sind Krebserkrankungen die zweithäufigste                   sondern ganz gezielt Mechanismen blockieren, die für
Todesursache in Deutschland.                                den jeweiligen Tumor relevant sind. Hinzugekommen
                                                            sind auch Immuntherapien, die helfen, das eigene Im-
                                                            munsystem gegen den Tumor in Stellung zu bringen.
Krebs lässt sich verhindern!                                Die vielen neuen Krebstherapien der vergangenen
Etwa vier von zehn Krebserkrankungen sind                   Jahre spiegeln wider, dass sich unser Verständnis von
komplett vermeidbar. Nur: Wie genau Präventi-               Krebs stark verändert hat. Krebs wird heute nicht mehr
onskonzepte aussehen müssen, um das auch zu                 so sehr als Organerkrankung gesehen, bei der sich die
erreichen, ist noch weitgehend unklar.                      Zellen eines Organs unkontrolliert vermehren, sondern
                                                            eher als molekular definierte und sehr individuel-
                                                            le Systemerkrankung. Lungenkrebs ist nicht gleich
Krebs ist teuer!                                            Lungenkrebs und auch bei ein und derselben Person
2015 entfielen sechs Prozent aller Gesundheits-             verändert sich im Laufe der Zeit die Molekularbiologie
ausgaben in Deutschland auf bösartige Tumor­                der Krebserkrankung. Selbst innerhalb eines Tumors
erkrankungen, und dieser Anteil steigt.                     sind die Krebszellen unterschiedlich. Und das indivi-
                                                            duelle Immunsystem nimmt sehr starken Einfluss auf
                                                            Entstehung und Verlauf einer Krebserkrankung.
                                                            Insgesamt ist Krebs eine der komplexesten Erkran-
Krebs ist individuell!
                                                            kungen, die es gibt, und entsprechend herausfordernd
Bei manchen Tumoren muss intensiv behandelt
                                                            gestaltet sich die moderne Krebsforschung. Sie muss in
werden, bei anderen reicht unter Umständen
                                                            der Lage sein, schnell und zuverlässig die molekularen
eine Überwachung. Wer wovon am meisten
                                                            Eigenschaften eines Tumors zu analysieren. Sie muss
profitiert, muss genau erforscht werden.
                                                            immunologische Zusammenhänge aufdecken.
Warum Gesundheits­forschung?                                                                                       13

Und sie muss, wenn es in Richtung Diagnose und             der Gesundheitsforschung: Expertinnen und Experten
Therapie geht, unterschiedliche Methoden und               aus Onkologie, Pathologie, Radiologie, Nuklearmedi-
­Behandlungsansätze nutzen, da einer hochkomplexen         zin, Molekularbiologie, Informatik, Statistik und an-
 Erkrankung nicht mit monodimensionalen Strategien         deren Disziplinen müssen kooperieren. Das erfordert
 begegnet werden kann. Krebsforschung ist deswegen         Forschungsinfrastrukturen, die solche Kooperations-
 auch eines der am stärksten interdisziplinären Felder     szenarien unterstützen beziehungsweise ermöglichen.

Nachgefragt                        
Welche Krebsforschung brauchen wir?                        kenntnisse aus der Grund-
Prof. Dr. Michael Baumann ist Vorstandsvorsitzender        lagenforschung schneller
des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in            in die Versorgung. Fort-
Heidelberg und Sprecher des Deutschen Konsortiums          schritte in der molekularen
für Translationale Krebsforschung (DKTK).                  Diagnostik und Therapie
                                                           kommen Patientinnen und
Wie muss Krebsforschung gestaltet sein, damit Krebs-       Patienten sehr früh zugute.
kranke davon profitieren?                                  Das alles ist auch Folge
                                                                                               Prof. Dr. Michael
Sie muss vor allem langfristig angelegt sein. Kurze        strategischer Forschungs-
                                                                                                  Baumann
Projektförderung reicht in vielen Fällen nicht, um neues   förderung.
Wissen zu generieren und dann zu prüfen, wie die Er-
kenntnisse die Versorgung verbessern können. Krebs-        Kann Krebsforschung auch Krebs verhindern?
forschung muss außerdem der hohen Komplexität von          Eindeutig ja. Für die Forschung, die zur Impfung gegen
Krebserkrankungen Rechnung tragen. Dazu braucht es         Gebärmutterhalskrebs führte, gab es ja sogar einen No-
intelligente Netzwerkstrukturen, wie das im DKTK und       belpreis für einen deutschen Forscher. Wir müssen hier
auch im derzeit im Ausbau befindlichen NCT-Netzwerk        allerdings deutlich mehr tun. 40 Prozent aller Krebser-
umgesetzt wird. Die Alternative wären Megazentren,         krankungen können durch Primärprävention vermie-
wie wir sie aus China und den USA kennen. Das ist in       den werden, aber das Entscheidende ist natürlich die
Deutschland weder realistisch noch sinnvoll.               Frage: Wie? Da gibt es noch sehr viel Forschungsbedarf,
                                                           auch in der Grundlagenforschung, etwa zum genauen
Deutschland investiert sehr viel Geld in die Krebsfor-     Zusammenhang zwischen Ernährung oder Infektio-
schung. Ist das gut angelegt?                              nen und Krebs. In translationalen Ansätzen müssen
Absolut. Mit Strukturen wie dem DKTK und den NCT,          konkrete Konzepte für gezielte Interventionen entwi-
aber auch mit neuen Institutsgründungen zu Strah-          ckelt und evaluiert werden. Da liegt noch eine Menge
lentherapie und Krebsimmuntherapie, bringen wir Er-        Arbeit vor uns.
14                                                         KOMMT GUT AN — DEUTSCHLANDS GESUNDHEITSFORSCHUNG

Strukturelle Weiterentwicklung der deutschen                 ∙ Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf und
Krebsforschung                                                 das Institut für Radioonkologie – OncoRay forschen
Das BMBF hat in den vergangenen zehn Jahren zusam-             auf Weltniveau zu nuklearmedizinischen Krebsthe-
men mit anderen Fördermittelgebern wie der Deut-               rapien, Strahlentherapie und Protonentherapie sowie
schen Krebshilfe und der Deutschen Forschungsge-               zur Bildgebung.
meinschaft die Krebsforschung nicht nur projektweise         ∙ Die jüngste institutionelle Neugründung ist das
gefördert, sondern strukturell und institutionell wei-         Helmholtz-Institut für Translationale Onkologie
terentwickelt. Dabei wurden seitens des BMBF insge-            (HI-TRON), bei dem DKFZ und Universität Mainz
samt mehr als 2,2 Milliarden Euro investiert. Kennzei-         kooperieren. Es soll sich zu einer international füh-
chen der meisten strukturellen Fördermaßnahmen im              renden Plattform für individualisierte Krebsimmun-
Bereich Krebsforschung ist, dass ganz gezielt kooperati-       therapien entwickeln.
ve Strukturen – Netzwerke, gemeinschaftliche Institute,
übergreifende Forschungsplattformen – unterstützt
werden, um die für die Krebsforschung erforderliche                    Forschung konkret:
kritische Masse sowie Synergien bei der Nutzung der                    Krebsforschungsstandort Sachsen
teils sehr aufwendigen technischen Infrastrukturen zu
erreichen.                                                      Wie mit viel Engagement und einer Kaskade auf-
                                                                einander abgestimmter Fördermaßnahmen ein
∙ Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist                internationaler Leuchtturm der Krebsforschung
  die größte biomedizinische Forschungseinrichtung              entsteht, zeigt der Forschungsstandort Sachsen.
  in Deutschland. Es ist Mitglied der Helmholtz-Ge-             Im Jahr 2002 war das Universitätsklinikum Dresden
  meinschaft Deutscher Forschungszentren und ver-               eine der ersten Kliniken, die ein auf leistungsfähigste
  fügt über ein Gesamtbudget von mehr als 280 Mil-              Krebsversorgung zielendes Comprehensive Cancer
  lionen Euro jährlich, das zu 90 Prozent vom BMBF              Center aufbaute. Daran anknüpfend wurde 2007 im
  getragen wird. Das DKFZ legt einen starken Fokus auf          Rahmen der BMBF-Innovationsförderung „Unter-
  Grundlagenforschung und translationale Forschung.             nehmen Region“ unter dem Namen OncoRay ein
  Es betreibt außerdem den Krebsinformationsdienst,             Zentrum für Innovationskompetenz für medizinische
  an den sich Bürgerinnen und Bürger – Krebsbetroffe-           Strahlenforschung in der Onkologie etabliert, das seit
  ne wie auch Angehörige – wenden können, wenn sie              2010 gemeinsam mit dem Heidelberger Institut für
  Beratungsbedarf zu Krebserkrankungen haben.                   Radioonkologie (HIRO) das National Center for Ra-
∙ In dem im Jahr 2011 gegründeten Deutschen Kon-                diation Research in Oncology (NCRO) bildet. Damit
  sortium für Translationale Krebsforschung (DKTK),             wurde Dresden auf der Landkarte der onkologischen
  einem von sechs bereits etablierten Deutschen                 Forschung deutlich sichtbar. Fördermaßnahmen
  Zentren der Gesundheitsforschung, bündeln mehr                lockten viele junge Forschende an. Es entstand eine
  als zwanzig universitäre und außeruniversitäre For-           „kritische Masse“, die dazu führte, dass sich For-
  schungseinrichtungen ihre Kräfte, um Erkenntnisse             schungsschwerpunkte über die Strahlenonkologie
  aus der Grundlagenforschung zu Krebs rascher in               hinaus bildeten. Diese Entwicklungen trugen auch
  die Versorgung zu bringen. Das DKTK hat ein Budget            dazu bei, dass Dresden 2014/2015 ein Standort des
  von etwa 29 Millionen Euro pro Jahr.                          DKTK und im Jahr 2015 zum zweiten Standort des
∙ Das sich aktuell im Ausbau befindliche Nationale              NCT wurde. Besonders hervorzuheben ist Dresdens
  Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) ver-                      Beitrag zur Weiterentwicklung der Protonentherapie:
  eint an verschiedenen Standorten Forschung und                Eine neue Nachweismethode der Strahlenpositionie-
  Versorgung unter einem Dach, indem es sich als                rung im Patienten während der Therapie wurde hier
  onkologisches Spitzenzentrum in Kooperation mit               entwickelt und kommt weltweit zum ersten Mal zum
  dem DKFZ auf komplexe klinische Studien für die               Einsatz. Sie erhöht die Präzision, schont damit das
  personalisierte Onkologie fokussiert. 2020 wurden zu          umliegende gesunde Gewebe und verringert Kom-
  den zwei bestehenden Standorten in Heidelberg und             plikationen. Auch die Erforschung von Biomarkern
  Dresden vier weitere Standorte ausgewählt, die 2021           für Strahlentherapie und Onkochirurgie bringt den
  gemeinsam eine vom BMBF geförderte Konzeptent-                Sachsen international viel Anerkennung.
  wicklungsphase durchlaufen.
Warum Gesundheits­forschung?                                                                                                                   15

Am OncoRay und NCT/UCC Dresden wird an einer Verbesserung der Strahlentherapie bei aggressiven Hirntumoren geforscht. Grundlage hierfür ist eine
kombinierte PET/MRT-Bildgebung, die wichtige Informationen für eine verbesserte Therapie liefert.

Versorgungsfortschritte an vielen Stellen                                   durchsatzverfahren an vielen Stellen aus der Forschung
Die institutionelle Weiterentwicklung der deutschen                         in die Routineversorgung zu überführen – eine der ganz
Krebsforschungslandschaft hat dazu beigetragen, dass                        großen Erfolgsgeschichten der translationalen Krebs-
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zahlrei-                           forschung der vergangenen zehn Jahre. Das gilt konkret
che Arbeitsgruppen etablieren konnten, die in ihren                         zum Beispiel bei Kindern mit schwer behandelbaren
Bereichen international zu den führenden Forschungs-                        Krebserkrankungen oder mit Rückfällen. Es gilt aber
akteuren gehören. Die deutsche Krebsforschung spielt                        auch bei einem häufigen Tumor wie dem Lungenkrebs.
international in vielen Bereichen ganz oben mit. Das                        Auch bei der Krebsdiagnostik hat sich die Forschungs-
kommt nicht zuletzt den Krebspatientinnen und                               förderung an vielen Stellen bewährt, etwa bei Patien-
Krebspatienten zugute, die oft schon in einem sehr frü-                     tinnen und Patienten mit Rückfällen einer akuten lym-
hen Stadium Zugang zu neuen und hochinnovativen                             phoblastischen Leukämie (ALL), einer Unterform des
Versorgungskonzepten erhalten.                                              Blutkrebses. Hier wird im Rahmen des von Dr. Cornelia
Beispiele dafür gibt es sehr viele und sie können hier nur                  Eckert von der Charité Berlin koordinierten Verbund-
angerissen werden. So ist es gelungen, die molekularge-                     projekts IRMA-4-ALL eine technologische Plattform
netische Diagnostik von Tumoren mit modernen Hoch-                          entwickelt, mit der das Ansprechen auf unterschied-
                                                                            liche ALL-Behandlungen extrem präzise gemessen
                                                                            werden kann. Die Behandlung kann so viel indivi-
                                                                            dueller als bisher geplant werden. Nach vielen Jahren
                                                                            engagierter Forschung wird diese Diagnoseplattform
                                                                            jetzt zu einem kommerziellen Produkt weiterentwi-
                                                                            ckelt – das auch bei anderen Krebserkrankungen gute
                                                                            Dienste leisten wird.
                                   Mutationen                               Die Krebsversorgung schon erreicht — und zwar
                                                                            weltweit — hat das prostataspezifische Membran-An-
                                                                            tigen PSMA, das für die Diagnostik bei Prostatakrebs
               Wildtyp                                                      genutzt wird. PSMA wurde unter anderem im Rahmen
                                                                            einer DKTK-Verbundforschung zu einem Tracer für
                                                                            die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) weiterent-
                                                                            wickelt. Das Molekül wird dazu schwach radioaktiv
                                                                            markiert. Wird es dem Patienten gespritzt, können
                                                                            auch kleinste Krebsherde sehr gut sichtbar gemacht
                                                                            werden. Damit aber nicht genug: PSMA kann auch für
                                                                            eine sehr gezielte Strahlentherapie genutzt werden. Die
Beim nicht kleinzelligen Adenokarzinom der Lunge wurden zahlreiche          Präzision der Bestrahlung, die das gesunde Gewebe
genetische Veränderungen entdeckt, die für die Krebsbehandlung              verschont, führt dazu, dass die Lebensqualität der
relevant sind. Nur noch bei derzeit 37 Prozent der Tumore wird keine der
bekannten relevanten Mutationen (Wildtyp) entdeckt. Deswegen ist die
                                                                            Patienten bei dieser Behandlung besser als bei vielen
genetische Untersuchung bei diesem Krebs heute Standard.                    anderen Behandlungen ist.
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