ABSCHIEBUNG UND (UNBEGLEITETE) JUNGE GEFLÜCHTETE - RECHTLICHER RAHMEN UND HANDLUNGS-OPTIONEN DER KINDER- UND JUGENDHILFE - BAFF-ZENTREN

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ABSCHIEBUNG UND (UNBEGLEITETE) JUNGE GEFLÜCHTETE - RECHTLICHER RAHMEN UND HANDLUNGS-OPTIONEN DER KINDER- UND JUGENDHILFE - BAFF-ZENTREN
Bundesfachverband
       unbegleitete

BumF   minderjährige
       Flüchtlinge

              ARBEITSHILFE

 ABSCHIEBUNG UND
  (UNBEGLEITETE)
JUNGE GEFLÜCHTETE
Rechtlicher Rahmen und Handlungs-
optionen der Kinder- und Jugendhilfe
ABSCHIEBUNG UND (UNBEGLEITETE) JUNGE GEFLÜCHTETE - RECHTLICHER RAHMEN UND HANDLUNGS-OPTIONEN DER KINDER- UND JUGENDHILFE - BAFF-ZENTREN
Impressum

Herausgeber:

               Bundesfachverband     BumF – Bundesfachverband unbegleitete
               unbegleitete          minderjährige Flüchtlinge e.V.
    BumF       minderjährige
               Flüchtlinge           Paulsenstr. 55 – 56, 12163 Berlin
                                     www.b-umf.de

                                     Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der
                                     Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge
                                     und Folteropfer – BAfF e.V.
                                     Paulsenstraße 55-56, 12163 Berlin
                                     www.baff-zentren.org

Copyright: BumF / BAfF Dezember 2018. Alle Rechte vorbehalten.

Autor/innen:
Nerea González Méndez de Vigo, BumF e.V. – Bundesfachverband
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge;
Nina Hager, BAfF e.V. – Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der
Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer;
Dr. Jonathan Leuschner, Rechtsanwalt

Layout: Daniela Krebs, BAfF e.V.

Gefördert durch das:
ABSCHIEBUNG UND (UNBEGLEITETE) JUNGE GEFLÜCHTETE - RECHTLICHER RAHMEN UND HANDLUNGS-OPTIONEN DER KINDER- UND JUGENDHILFE - BAFF-ZENTREN
Arbeitshilfe

Abschiebung und
(unbegleitete) junge
Geflüchtete
Rechtlicher Rahmen und Handlungs-
optionen der Kinder- und Jugendhilfe

Nerea González Méndez de Vigo
Bundesfachverband unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge

Nina Hager
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychoso-
zialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer

Dr. Jonathan Leuschner
Rechtsanwalt

                                                 3
ABSCHIEBUNG UND (UNBEGLEITETE) JUNGE GEFLÜCHTETE - RECHTLICHER RAHMEN UND HANDLUNGS-OPTIONEN DER KINDER- UND JUGENDHILFE - BAFF-ZENTREN
Vorwort
    Der politische und gesellschaftliche                Die Dunkelziffer von Fällen, in denen
    Ton ist rau geworden – nicht nur, aber              Abschiebungen rechtswidrig erfolgt
    vor allem, wenn es um Geflüchte-                    sind und mit unverhältnismäßiger
    te geht. Ausdruck findet dies u. a. in              Gewaltanwendung          durchgeführt
    einer härteren Vollzugspraxis, wobei                wurden, dürfte noch um einiges hö-
    sich die Härte an der konsequente-                  her sein, als es die Berichterstattung
    ren Umsetzung von vollstreckbaren                   vermuten lässt. Personen mit be-
    Entscheidungen ebenso zeigt, wie an                 schränkten Geldmitteln und Ressour-
    der Art und Weise der Vollziehung. So               cen, die mitten in der Nacht ohne Vor-
    prangerte beispielsweise die Natio-                 ankündigung abgeschoben werden,
    nale Stelle zur Verhütung von Folter                haben – trotz häufig bestehender
    jüngst das Vorgehen bei einer Ab-                   Hilfsnetzwerke – eine geringe Chance
    schiebung aus Manching an, bei der                  ihre Anliegen gerichtlich überprüfen
    ein 14-jähriger Junge – ebenso wie                  zu lassen.
    seine psychisch kranke Mutter – ge-
    fesselt wurde.1 Der Flüchtlingsrat                  Dabei machen die aus dem verän-
    Thüringen berichtete von dem Ver-                   derten politischen und gesellschaft-
    such der Abschiebung einer schwan-                  lichen Klima folgenden behördlichen
    geren Frau mitten in der Nacht aus                  Handlungen vor unbegleiteten min-
    einem Krankenhaus heraus.2 Auch                     derjährigen Flüchtlingen (umF) be-
    der Versuch, einen werdenden Vater                  dauerlicherweise keinen Halt. Bera-
    aus dem Krankenhaus abzuschieben,                   tungsanfragen und Rückmeldungen
    während seine Frau in den Wehen lag,                aus Fortbildungsveranstaltungen zei-
    hat kürzlich für Aufsehen gesorgt.3 Ak-             gen, dass es deutlich erkennbare Ver-
    tuell stehen zudem Sammelabschie-                   suche gibt, auch die Vollzugspraxis
    bungen der Berliner Ausländerbehör-                 gegenüber unbegleiteten Minderjäh-
    de aufgrund der Art und Weise ihrer                 rigen zu verschärfen. In jüngster Ver-
    Durchführung im Fokus von Untersu-                  gangenheit erreichen uns immer wie-
    chungen.4                                           der Berichte und Fallschilderungen,
                                                        in denen unbegleitete Minderjährige

    1 Bayerischer Rundfunk, Anti-Folter-Stelle erhebt schwere Vorwürfe 05/2018, https://www.br.de/
    nachrichten/anti-folter-stelle-erhebt-schwere-vorwuerfe-100.html [letzter Abruf: 21.12.2018].
    2 Flüchtlingsrat Thüringen, Pressemitteilung 05/2018, https://www.fluechtlingsrat-thr.de/
    aktuelles/pressemitteilungen/unmenschlicher-abschiebeversuch-einer-frau-mit-risikoschwangerschaft,
    [letzter Abruf: 21.12.2018].
    3 Spiegel Online v. 24.10.2018, Werdender Vater sollte während der Geburt abgeschoben
    werden, http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/thueringen-werdender-vater-sollte-
    abgeschoben-werden-hebammen-wehren-sich-a-1234907.html [letzter Abruf: 21.12.2018].
    4 Pressemitteilung Flüchtlingsrat Berlin v. 22.10.2018, http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_
    neue_meldungen2.php?post_id=878 [letzter Abruf 21.12.2018].

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abgeschoben werden – insbesondere                 Die Ausländerbehörde Berlin hat vor
in die Westbalkanstaaten. So wurde                diesem Hintergrund auf Weisung der
z.B. ein Fall an uns herangetragen, in            Senatsverwaltung für Inneres und
dem trotz vorheriger Versicherung, es             Sport in ihren Verfahrenshinweisen
handele sich nur um einen Vorspra-                ausdrücklich festgehalten, dass Ab-
chetermin bei der Ausländerbehörde,               schiebungen von umF und jungen
von hier direkt die Abschiebung voll-             Volljährigen aus Jugendhilfeeinrich-
zogen wurde, ohne Vormund/in oder                 tungen unzulässig sind.6
Jugendamt hierüber zu informieren.
Zum Teil erfolgt eine Abschiebung                 Zwar sind Abschiebungen von unbe-
auch aus den Jugendhilfeeinrichtun-               gleiteten Minderjährigen nicht per se
gen heraus. Ein besonders tragisches              rechtswidrig und selbst die UN-Kin-
Beispiel für die um sich greifende be-            derrechtskonvention geht von der
hördliche Härte gegenüber Minder-                 Möglichkeit der Abschiebungen von
jährigen war zuletzt der Fall eines               unbegleiteten Minderjährigen aus,
12-Jährigen, der trotz Traumata zu                wenn dabei das Kindeswohl berück-
seinem einschlägig vorbestraften                  sichtigt wird.7 Die Anforderungen an
drogenabhängigen Vater abgescho-                  die Behörden, die die Abschiebung
ben wurde. Dieser hatte deutlich ge-              vollziehen, sind jedoch aus guten
macht, sich nicht um seinen Sohn                  Gründen sehr hoch und in vielen Fäl-
kümmern zu können. Zudem lebte                    len kaum zu erfüllen. Elementar bei
die sorgeberechtigte Großmutter in                der Betreuung und Unterstützung
Deutschland.5                                     von umF ist es daher, diese Anforde-
                                                  rungen und die Rechte zu kennen, die
Dabei ist nicht nur besorgniserre-                den Betroffenen bei einer (drohen-
gend,       dass   Abschiebeversuche              den) Abschiebung zustehen.
überhaupt vorgenommen werden,
sondern dass diese z.T. auch aus Ju-              Die vorliegende Arbeitshilfe soll hier-
gendhilfeeinrichtungen heraus ver-                zu einen Beitrag leisten und den in der
sucht werden. Dabei betrifft das nicht            Beratung Aktiven Orientierung bieten
nur die jungen Menschen, gegen die                und Handlungsoptionen aufzeigen.
die Abschiebungshandlung adres-                   Ihr Ziel ist es, den regelmäßig auf-
siert ist, sondern insbesondere auch              tretenden Fragen nachzugehen, die
all die anderen jungen Menschen,                  im Zusammenhang mit der Abschie-
denen die Jugendhilfe aufgrund brü-               bung von umF auftreten können.
chiger Lebensbiographien Schutz                   Hierbei soll erklärt werden, wann
und einen sicheren Ort bieten soll.               und unter welchen Voraussetzungen

5 Hessenschau, Abschiebung eines Zwölfjährigen sorgt für Diskussionen 02/2018, https://www.
hessenschau.de/gesellschaft/abschiebung-eines-zwoelfjaehrigen-sorgt-fuer-diskussionen,abschiebung-
zwoelfjaehriger-mazedonien-100.html [letzter Abruf: 21.12.2018].
6   Verfahrenshinweise der Ausländerbehörde Berlin vom 27.11.2018, S. 387.
7   Art. 9 Abs. 4 UN-KRK.

                                                                                                     5
eine Abschiebung in Betracht kommt,
    welche Besonderheiten im sog. Dub-
    lin-Verfahren sowie für „Anerkannte“
    (also Personen, die einen Schutzsta-
    tus in einem anderen europäischen
    Land zugesprochen bekommen ha-
    ben) gelten und praxisnah erläutert
    werden, welche Handlungsoptionen
    bestehen, wenn die Polizei plötzlich
    vor der Tür steht. Die Lektüre dieser
    Arbeitshilfe kann nicht den Blick in
    Lehrbücher und/oder Kommentare
    ersetzen und erst recht nicht die Be-
    ratung durch fachkundige Personen
    im Einzelfall. Sie kann aber hoffent-
    lich einen ersten Überblick zu einer
    schwierigen Thematik geben.

    Danksagung

    Die Herausgeber danken dem Bun-
    desministerium für Familie, Senioren,
    Frauen und Jugend und dem DRK-Ge-
    neralsekretariat für die finanzielle
    Unterstützung, ohne die die Erstel-
    lung dieser Arbeitshilfe nicht möglich
    gewesen wäre.

6
Inhalt
1. Grundlagen und typische Fallkonstellationen.......................................... 8
  1.1. Was ist eine Abschiebung?................................................................................ 8
  1.2. Vollziehbare Ausreisepflicht.............................................................................. 8
  1.3. Ablehnung des Asylantrages im nationalen Verfahren ................................... 9
    1.3.1. Ablehnung als „einfach unbegründet“............................................................... 9
    1.3.2. Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“................................................... 10

  1.4. Ablehnung des Asylantrages als unzulässig (Dublin-/Anerkanntenfälle)..... 11
    1.4.1. Asylantrag in anderem Staat nicht entschieden.............................................. 11
    1.4.2. Asylantrag in anderem Staat abgelehnt........................................................... 13
    1.4.3. Schutzstatus in anderem Staat zuerkannt....................................................... 13
    1.4.4. Exkurs: Unzulässigkeitsentscheidungen bei Familien mit Kleinkindern
           bekommen....................................................................................................... 14

  1.5. Verzicht auf die Einleitung eines Asylverfahrens........................................... 15
  1.6. Welche Duldungsgründe können der Abschiebung entgegenstehen?......... 15
    1.6.1. Reiseunfähigkeit ............................................................................................... 15
    1.6.2. Fehlende Dokumente........................................................................................ 18
    1.6.3. Ausbildung ........................................................................................................ 18
    1.6.4. Besonderer Minderjährigenschutz ................................................................... 18

  1.7. Verhältnismäßigkeit ....................................................................................... 20
  1.8. Wird die Abschiebung angekündigt?.............................................................. 21
  1.9. Zwischenfazit .................................................................................................. 22

2. Drohende Abschiebung – was tun?..........................................................23
  2.1. Einstweiliger Rechtsschutz............................................................................. 23
  2.2. Anwesenheitsrecht – gibt es „vormundfreie“ Räume?.................................. 24
    2.2.1. Jugendhilfeeinrichtung und Grundrechteschutz nach Art. 13 GG? ................ 26
    2.2.2. Verhältnismäßigkeit.......................................................................................... 29
    2.2.3. Fallkonstellation: Der/die Jugendliche wird trotzdem mitgenommen........... 31
    2.2.4. Praktische Tipps und Hinweise......................................................................... 32

                                                                                                                                    7
1. Grundlagen und typische Fallkonstellationen

    1.1. Was ist eine Abschiebung?

    Unter Abschiebung versteht man die                 erneut zu prüfen.9 Wurde zum Bei-
    zwangsweise Durchsetzung der Aus-                  spiel ein Asylantrag bestandskräftig
    reisepflicht.8 Die Abschiebung stellt              abgelehnt, wird im Rahmen der Ab-
    einen sog. Realakt dar, sie ist schlich-           schiebung nicht erneut kontrolliert,
    tes Verwaltungshandeln im Rahmen                   ob die Ablehnung möglicherweise zu
    der Verwaltungsvollstreckung. Die                  Unrecht erfolgte. Rechtsschutz gegen
    einzelnen Voraussetzungen des zu-                  die Abschiebung kann allerdings den-
    grunde liegenden Verwaltungsaktes                  noch erlangt werden (s.u. Ziff. 2).
    sind während der Abschiebung nicht

    1.2. Vollziehbare Ausreisepflicht
    Wann eine Abschiebung vollzogen                    Ausreisepflichtig ist eine Person,
    werden kann, richtet sich nach § 58                wenn sie keinen Aufenthaltstitel
    Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Nach                 (mehr) besitzt11 – etwa nach dem
    Absatz 1 ist ein/e Ausländer/in abzu-              (endgültigen) negativen Abschluss
    schieben, wenn die                                 des Asylverfahrens oder aber, wenn
      • Ausreisepflicht vollziehbar ist,               weder ein Asylantrag gestellt (und
      • eine Ausreisefrist nicht gewährt               positiv entschieden) noch aus ande-
        wurde oder diese abgelaufen ist,               rem Grund eine Aufenthaltserlaub-
        und                                            nis von der Ausländerbehörde erteilt
      • die freiwillige Erfüllung der                  wurde.
        Ausreisepflicht nicht gesichert
        ist oder die Überwachung der                   Vollziehbar ist die Ausreisepflicht
        Ausreise erforderlich ist.                     insbesondere, wenn die ablehnende
                                                       behördliche Entscheidung bestands-
    Zentrale Voraussetzung einer Ab-                   kräftig geworden ist – also entweder
    schiebung ist also, dass der/die                   die Rechtsmittelfrist abgelaufen oder
    Ausländer/in vollziehbar ausreise-                 eine negative gerichtliche Entschei-
    pflichtig ist.10                                   dung ergangen (und hiergegen nicht
                                                       weiter vorgegangen wurde) sowie die

    8   Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage, 2016, § 58 Rn. 2.
    9   Hocks, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage, 2016, § 58, Rn. 1.
    10 § 58 AufenthG.
    11 § 50 AufenthG.

8
Frist zur freiwilligen Ausreise abge-         • bei einer Ablehnung des Asyl-
laufen ist.12                                   antrages als „unzulässig“ (dazu
                                                1.4);
Im Rahmen der Betreuung von umF               • bei einem Verzicht auf die Ein-
sind insbesondere drei Konstellatio-            leitung eines Asylverfahrens bei
nen denkbar, in denen die vollziehba-           gleichzeitiger Ablehnung eines
re Ausreisepflicht und damit letztlich          Antrages auf Erteilung einer Auf-
eine Abschiebung drohen kann:                   enthaltserlaubnis (dazu 1.5).
  • bei einer Ablehnung des Asylan-
    trages im nationalen Verfahren
    (dazu 1.3);

1.3. Ablehnung des Asylantrages im nationalen Verfahren
Die wohl am häufigsten vorkommen-            kein Raum ist für die Feststellung
de Fallkonstellation bei der Betreu-         von nationalen Abschiebungsverbo-
ung von umF und jungen Volljährigen          ten. Mit dem negativen Bescheid des
ist die Ablehnung des Asylantrages           BAMF wird neben der Ablehnung auch
im nationalen Verfahren. Dabei muss          die sog. Abschiebungsandrohung13
dringend unterschieden werden zwi-           erlassen und eine Frist zur freiwilli-
schen der Ablehnung als „einfach un-         gen Ausreise von 30 Tagen gesetzt.
begründet“ und „offensichtlich unbe-         Die Abschiebungsandrohung soll den
gründet“.                                    Staat bezeichnen, in den der/die Aus-
                                             länder/in abgeschoben werden soll.
                                             Grundsätzlich kommt auch eine Ab-
1.3.1. Ablehnung als „einfach                schiebung in einen anderen Staat in
unbegründet“                                 Betracht, wenn der/die Ausländer/
                                             in in diesen Staat einreisen darf oder
Die Ablehnung eines Asylantrages als         der Staat zu der Rücknahme ver-
„einfach unbegründet“ beschreibt             pflichtet ist.14 Wurde ein Asylantrag
die Feststellung des Bundesamtes             auf diese Weise abgelehnt, kann hier-
für Migration und Flüchtlinge (BAMF),        gegen innerhalb von zwei Wochen15
dass weder die Voraussetzungen des           Klage vor dem zuständigen Verwal-
Flüchtlingsschutzes noch des subsi-          tungsgericht erhoben werden, die
diären Schutzes vorliegen und auch           aufschiebende Wirkung entfaltet.16

12 § 58 Abs. 2 AufenthG.
13 § 34 AsylG iVm § 59 AufenthG.
14 § 34 AsylG iVm § 59 Abs. 2, 3 AufenthG.
15 § 74 Abs. 1 S. 1 AsylG.
16 § 74 Abs. 1 S. 1 iVm § 38 Abs. 1 AsylG.

                                                                                      9
Wird die Klage fristgerecht erho-                     über diesen Antrag bleibt der/die Be-
     ben, ist die betroffene Person wäh-                   troffene gestattet und somit vor einer
     rend des Klageverfahrens vor einer                    Abschiebung asylrechtlich geschützt.
     Abschiebung geschützt und kann                        Erst mit Eintritt der Rechtskraft
     nicht abgeschoben werden. Gegen                       lebt die Frist zur freiwilligen Ausrei-
     eine ablehnende Entscheidung des                      se wieder auf und der/die Betroffe-
     Verwaltungsgerichts kann ein (nur                     ne ist vollziehbar ausreisepflichtig.
     extrem selten erfolgreicher) Antrag                   Liegen keine Duldungsgründe vor,
     auf Zulassung der Berufung gestellt                   droht die Abschiebung.
     werden. Auch bis zur Entscheidung

     Beispiel:

                 1. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt.

                 2. Der Antrag auf Asylanerkennung wird abgelehnt.

                 3. Der subsidiäre Schutzstatus wird nicht zuerkannt.

                 4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des
                    Aufenthaltsgesetzes liegen nicht vor.

     1.3.2. Ablehnung als „offen-                          sich von der einfachen Ablehnung
     sichtlich unbegründet“                                insbesondere dadurch, dass eine Kla-
                                                           ge gegen den Bescheid keine auf-
     Insbesondere bei der Betreuung von                    schiebende Wirkung hat und daher
     jungen Volljährigen aus Ländern, die                  zusätzlich zur Klage ein Antrag auf
     auf der Liste der sog. „sicheren Her-                 Anordnung der aufschiebenden Wir-
     kunftsstaaten“ stehen, begegnet Un-                   kung (häufig als Eilantrag bezeichnet)
     terstützer/innen von (ehemals) umF                    nötig ist. Wird dieser Eilantrag ab-
     auch die deutlich schärfere Ableh-                    gelehnt, besteht eine vollziehbare
     nungsform „offensichtlich unbegrün-                   Ausreisepflicht. Auch hier gilt dann:
     det“. Asylanträge von umF, die nicht                  Liegen keine Duldungsgründe vor,
     aus den sog. „sicheren Herkunfts-                     droht die Abschiebung.
     staaten“ kommen, dürfen nicht als
     „offensichtlich unbegründet“ abge-
     lehnt werden.17 Diese unterscheidet

     17 Artikel 25 Abs. 6 lit. a i.V.m. Art. 31 Abs. 8 RL 2013/32/EU.

10
1. Der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wird
            als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

         2. Der Antrag auf Asylanerkennung wird als offensichtlich
            unbegründet abgelehnt.

         3. Der subsidiäre Schutzstatus wird nicht zuerkannt.

         4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des
            Aufenthaltsgesetzes liegen nicht vor.

1.4. Ablehnung des Asylantrages als unzulässig
(Dublin-/Anerkanntenfälle)

Von großer praktischer Bedeutung ist      sonders genau zu prüfen, welche
auch die Frage, wie mit Fällen umzu-      Fallkonstellation bei dem oder der
gehen ist, in denen die Zuständigkeit     betreuten Jugendlichen bzw. jungen
eines anderen Staates und damit die       Volljährigen vorliegt. Nachstehend
Unzulässigkeit des Asylantrages in        die derzeit am häufigsten vorkom-
Deutschland droht. Wird ein Asylan-       menden Sachverhalte:
trag gestellt, prüft das BAMF in der
Regel zunächst, ob Deutschland für
die Prüfung des Asylantrages zustän-      1.4.1. Asylantrag in anderem
dig ist. Stellt die Behörde dabei fest,   Staat nicht entschieden
dass bereits in einem anderen Mit-
gliedstaat der Europäischen Union,        Hat eine Person als Minderjährige/r
Schweiz, Liechtenstein, Norwegen          (über ihre/n/seine/n Vormund/in)
oder Island ein Asylantrag gestellt       einen Asylantrag in Deutschland ge-
wurde (und über diesen vielleicht         stellt und liegt aus einem anderen
sogar bereits entschieden wurde),         Dublin-Staat lediglich eine Regist-
wird der Asylantrag als unzulässig        rierung (ohne Asylantrag) oder die
abgelehnt. Das BAMF prüft dann nur        Information vor, dass über den dort
noch, ob die Voraussetzungen für          gestellten Asylantrag noch nicht ent-
den Erlass von nationalen Abschie-        schieden wurde, droht nach derzeiti-
beverboten gem. § 60 Abs. 5 oder          ger Rechtslage keine Abschiebung in
Abs. 7 AufenthG vorliegen. In diesem      den anderen Dublin-Staat. Dies folgt
Zusammenhang lohnt es sich, be-           aus einer Entscheidung des Euro-

                                                                                  11
(© BAfF e.V.)
     Auch bei umF und jungen Volljährigen werden häufig die Asylanträge abgelehnt – sie benötigen
     bei den Klagen dringend rechtliche Unterstützung.

     päischen Gerichtshofs (EuGH) vom                  antragstellung maßgeblich.20 Wenn
     06.06.201318 und der sich anschlie-               also ein/e unbegleitete/r minderjäh-
     ßend hierzu etablierten Rechtspra-                rige/r Asylsuchende/r in Deutschland
     xis. Bei unbegleiteten minderjähri-               vor dem 18. Geburtstag einen Asyl-
     gen Asylsuchenden gelten demnach                  antrag stellt, dann darf keine Über-
     wichtige Ausnahmen bezüglich des                  stellung in einen anderen Staat nach
     Dublin-Regimes. Für diese Personen-               der Dublin-III-VO erfolgen. Ergeht in
     gruppe soll – anders als für Erwach-              dieser Fallkonstellation dennoch ein
     sene – gerade nicht ausschlaggebend               Unzulässigkeitsbescheid mit einer
     sein, wo sie ihren ersten Asylantrag              Abschiebungsanordnung, sollte drin-
     gestellt haben oder über die euro-                gend im Rechtsmittelwege hiergegen
     päische Außengrenze auf europäi-                  vorgegangen werden, um den Behör-
     schem Boden gelangt sind, sondern                 denfehler zu beseitigen. Schnelles
     in allererster Linie die Anwesenheit              Handeln ist dabei geboten – zusätz-
     von Familienangehörigen in einem                  lich zur Klage ist nämlich ein Eilantrag
     anderen Dublin-Staat.19 Sind keine                erforderlich, für den nur eine Woche
     Familienangehörigen in einem Dub-                 nach Zustellung des Bescheides Zeit
     lin-Staat, so ist die letztmalige Asyl-           bleibt.21

     18 EuGH, 06.06.2013 – C-648/11.
     19 Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO. Zu der Familienzusammenführung nach Dublin finden Sie hier:
     https://www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/02_2018_Familienzusammenfu__hrungen.pdf
     Informationen zu Verfahren und Voraussetzungen.
     20 Art. 8 Abs. 3 Dublin III-VO.
     21 § 34a Abs. 2 AsylG.

12
1.4.2. Asylantrag in anderem                     Im Fazit gilt für alle Konstellationen:
Staat abgelehnt                                  Kommt es nach der Ablehnung ei-
                                                 nes Asylantrages in einem anderen
Eine besonders schwierige Fallkons-              Dublin-Staat zu einem Unzulässig-
tellation liegt vor, wenn der Schutz-            keitsbescheid in Deutschland, sollte
antrag einer Person, die minderjäh-              umgehend rechtlicher Rat eingeholt
rig einen (weiteren) Asylantrag in               werden, da auch hier schnelles Han-
Deutschland gestellt hat, in einem an-           deln geboten ist und die Ablehnung
deren Dublin-Staat bereits abgelehnt             im anderen Dublin-Staat zudem nicht
wurde. Mit Teilen der Rechtspre-                 selten in Kombination mit einer feh-
chung22 wird davon ausgegangen,                  lerhaften Altersfestsetzung auftritt.
dass auch in diesen Fällen das oben
zitierte EuGH-Urteil vom 06.06.2013
volle Wirkung entfaltet, der letztmali-          1.4.3. Schutzstatus in anderem
ge Asylantrag also ausschlaggebend               Staat zuerkannt
für Zuständigkeit der Durchführung
des Asylverfahrens ist (s. unter 1.4.1.).        Problematisch sind außerdem Fälle,
Teilweise wird jedoch argumentiert,              in denen bereits über den Asylan-
der Antrag sei in dieser Konstellation           trag in einem anderen Mitgliedstaat
als unzulässig abzulehnen, weil die              der Europäischen Union positiv ent-
Zuständigkeit des Erstantragsstaates             schieden wurde. Hat ein anderer
angenommen werden müsse – die                    Dublin-Staat dem/der Betroffenen
oben dargestellte Rechtsprechung                 den Flüchtlingsschutz oder den sub-
des EuGHs wird hier also nicht für               sidiären Schutzstatus zuerkannt,
anwendbar gehalten, da es sich um                wird das BAMF den Asylantrag als
einen sog. Zweitantrag handele.                  unzulässig ablehnen und nur prü-
Wird dieser als Zweitantrag gewer-               fen, ob Abschiebungsverbote vor-
tete Asylantrag negativ beschieden,              liegen. Die aus der Rechtsprechung
etwa, weil keine neuen Beweismittel              des EuGHs folgenden Privilegien für
vorgelegt wurden oder sich die dem               Minderjährige (s.o.) gelten dann ge-
Verwaltungsakt zugrunde liegende                 rade nicht mehr, weil die Dublin-VO
Sach- oder Rechtslage nachträglich               schlicht nicht mehr anwendbar ist.
nicht zugunsten des Betroffenen ge-              Minderjährige teilen in dieser Fall-
ändert hat, kann die Abschiebung in              konstellation vielmehr das Schick-
den Herkunftsstaat angeordnet wer-               sal von Erwachsenen und müssen
den. In dem Fall kann mit der oben               versuchen, auf gerichtlichem Wege
zitierten Rechtsprechung des EuGH                gegen den Unzulässigkeitsbescheid
nicht mehr unmittelbar argumentiert              anzukämpfen, um zu vermeiden,
werden, weil sich der Betroffene nicht           vollziehbar ausreisepflichtig zu wer-
mehr im Dublin-Verfahren befindet.               den. Die konkrete Rechtsschutzform

22 OVG Saarlouis 9.12.2014 – 2 A 313/13, JAmt 2015, S. 154.

                                                                                           13
hängt dabei maßgeblich davon ab,                  erhebliche konkrete Gesundheitsge-
     für welche Bescheidform sich die Be-              fahren für die in besonderem Maße
     hörde entscheidet.23                              auf ihre Eltern angewiesenen Kinder
                                                       auszuschließen, wenn es belastbare
                                                       Anhaltspunkte für das Bestehen von
     1.4.4. Exkurs: Unzulässigkeits-                   Kapazitätsengpässen bei der Unter-
     entscheidungen bei Familien                       bringung rückgeführter Asylsuchen-
     mit Kleinkindern bekommen                         der gibt.24

     Das BAMF hat bereits vor dem Er-                  Maßgeblich ist hierbei eine konkrete
     lass der Abschiebungsanordnung bei                und individuelle Zusage. Eine blo-
     der Überstellung von Familien mit                 ße Bestätigung der Behörde eines
     Neugeborenen und Kleinstkindern                   Mitgliedstaats, dass die betroffene
     bis zum Alter von drei Jahren in Ab-              Familie nach der Überstellung in ein
     stimmung mit den Behörden des                     bestimmtes Projekt übernommen
     Zielstaats sicherzustellen, dass die              werde, stellt keine ausreichende Ga-
     Familie bei der Übergabe an diese                 rantieerklärung dar.25
     eine gesicherte Unterkunft erhält, um

       Übersicht Rechtsmittel:
       1.2 Ablehnung als „einfach unbegründet“: Klagefrist 2 Wochen
       1.3 Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“: Klagefrist und
           Eilantrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO: 1 Woche
       1.4 Ablehnung des Asylantrages als „unzulässig“
           (Dublin-/Anerkanntenfälle)
       			 1.4.1 Asylantrag in anderem Staat nicht entschieden:
          			       Klage und Eilantrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO: 1 Woche
       			 1.4.2 Asylantrag in anderem Staat abgelehnt:
          			       Klage und Eilantrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO: 1 Woche
       			 1.4.3 Schutzstatus in anderem Staat zuerkannt:
          			       Klage und Eilantrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO26: 1 Woche

     23 Da das BAMF in dieser Konstellation z.T. von der gesetzlichen Regelung abweicht, sollte
     entweder sofort anwaltlicher Rat eingeholt werden oder der/die nicht anwaltlich vertretene
     Minderjährige sollte sich an die Vorgaben der Rechtsbehelfsbelehrung halten.
     24 EGMR, Urteil vom 04.11.2014, Nr. 29217/12 (Tarakhel).
     25 BVerfG, Beschluss vom 17.04.2015, 2 BvR 602/15.
     26 Beachte Fußnote 23.

14
1.5. Verzicht auf die Einleitung eines Asylverfahrens
Die vollziehbare Ausreisepflicht        enthaltserlaubnis abgelehnt und die
kann schließlich auch dann eintre-      Abschiebung angedroht, beträgt die
ten, wenn der/die Vormund/in sich       Klagefrist einen Monat.28 Die Klage
gegen die Einleitung eines Asylver-     und ein eventuell erforderlicher Wi-
fahrens entschieden hat, stattdessen    derspruch entfalten in diesen Fällen
einen Antrag auf Erteilung einer Auf-   keine aufschiebende Wirkung29, so-
enthaltserlaubnis27 gestellt hat und    dass zusätzlich ein Antrag gem. § 80
dieser Antrag abgelehnt wurde. Wird     Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsord-
ein Antrag auf Erteilung einer Auf-     nung (VwGO) zu stellen ist.

1.6. Welche Duldungsgründe können der Abschiebung
entgegenstehen?
Bevor die Abschiebung einer vollzieh-
bar ausreisepflichtigen Person tat-     1.6.1. Reiseunfähigkeit
sächlich – und rechtmäßig – durch-
geführt werden kann, muss geprüft       Der Abschiebung kann die Reiseun-
werden, ob die Vollzugsmaßnahme         fähigkeit des/der Minderjährigen
hindernde Gründe, d.h. Duldungs-        oder jungen Volljährigen entgegen-
gründe, vorliegen. Dabei unterschei-    stehen.
den sich die möglichen Duldungs-
gründe in Verfahren mit Beteiligung     Das Vorliegen der Reiseunfähigkeit
von umF zunächst nicht von denen        muss die mit der Abschiebung be-
in Verfahren mit Beteiligung von Er-    fasste Behörde allerdings nicht von
wachsenen. Der Abschiebung können       sich aus prüfen. Vielmehr vermutet
somit rechtliche, tatsächliche und/     das Gesetz grundsätzlich erst einmal,
oder dringende persönliche bzw. hu-     dass die vollziehbar ausreisepflichti-
manitäre Duldungsgründe entgegen-       ge Person gesund genug ist, um die
stehen. Von besonderer Bedeutung        Abschiebung durchzustehen.30 Diese
sind in der Regel die Duldung wegen     Vermutung kann nur widerlegt wer-
Reiseunfähigkeit, wegen fehlender       den, indem die Person eine sog. qua-
Heimreisedokumente, weil eine Aus-      lifizierte ärztliche Bescheinigung bei
bildung begonnen wurde und – ins-       der mit der Abschiebung befassten
besondere bei umF – aus Gründen         Behörde einreicht.
des Minderjährigenschutzes.

27 Bspw. § 25 Abs. 3 AufenthG.
28 § 74 VwGO.
29 § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
30 § 60 a Abs. 2 c AufenthG.

                                                                                 15
Die Anforderungen an diese sog. qua-            lich“ bei den Behörden vorgelegt
     lifizierte ärztliche Bescheinigung sind         werden.32 Unter „unverzüglich“ wird
     jedoch hoch. Damit eine ärztliche Be-           ein Zeitraum von höchstens zwei Wo-
     scheinigung zu einer „qualifizierten“           chen verstanden.33
     Bescheinigung wird, müssen folgen-
     de Kriterien erfüllt sein:                      Wenn die Bescheinigung erst zwei
        • tatsächliche Umstände, auf                 Wochen nach ihrer Ausstellung vor-
           deren Grundlage eine fachliche            gelegt wird, geht die Ausländerbehör-
           Beurteilung erfolgt ist;                  de in der Regel davon aus, dass die
        • die Methode der Tatsachenerhe-             Bescheinigung nicht mehr „unver-
           bung;                                     züglich“ vorgelegt wurde. Das Gesetz
        • die fachlich-medizinische Be-              sieht dann vor, dass diese Beschei-
           urteilung des Krankheitsbildes            nigung nicht berücksichtigt werden
           (Diagnose);                               darf. Das bedeutet, dass die Auslän-
        • den Schweregrad der Erkran-                derbehörde ohne Berücksichtigung
           kung;                                     der ärztlichen Bescheinigung weiter
        • Folgen, die sich nach ärztlicher           davon ausgeht, dass die Person rei-
           Beurteilung aus der krankheits-           sefähig ist und abgeschoben werden
           bedingten Situation voraussicht-          kann.
           liche ergeben.
                                                     Wenn die qualifizierte ärztliche Be-
     Die Bescheinigung muss von einem                scheinigung rechtzeitig vorgelegt
     Arzt oder eine Ärztin ausgestellt wer-          wurde, kann die Ausländerbehörde
     den.31 In der Praxis gestaltet es sich          eine ärztliche Untersuchung durch
     in vielen Teilen Deutschlands sehr              einen Amtsarzt/eine Amtsärztin an-
     schwer, eine solche Bescheinigung               ordnen. Dieser Termin sollte unbe-
     zu erhalten, da die Anforderungen               dingt in Begleitung einer Bezugs-
     sehr hoch sind und oft monatelang               person wahrgenommen werden. Der
     auf einen Termin bei einer Ärztin oder          Amtsarzt/die Amtsärztin sind jedoch
     einem Arzt gewartet werden muss.                nicht verpflichtet, die Anwesenheit
     Sollte die Person es trotzdem ge-               der Bezugsperson bei der Unter-
     schafft haben, eine entsprechende               suchung zu gestatten, wenn davon
     qualifizierte ärztliche Bescheinigung           ausgegangen werden kann, dass das
     zu erhalten, muss diese „unverzüg-              Untersuchungsergebnis dadurch be-

     31 Eine Bescheinigung beispielsweise von Psychologischen Psychotherapeuten /
     -therapeutinnen oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen / -therapeuten sind
     nicht ausreichend (Allgemeine Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zur
     Duldungserteilung nach § 60 a AufenthG, S. 15, https://www.frsh.de/fileadmin/pdf/behoerden/
     Erlasse_ab_2012/BMI_Entwurf_Allgemeine-Anwendungshinweise-_60aAufenthG_20170424.pdf )[letzter
     Abruf: 21.12.2018].
     32 § 60a Abs. 2d S. 1 AufenthG.
     33 A.a.O. Fn. 31.

16
(CC0 Nietjuh / pixabay.de)

                             Die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung sind hoch und sie muss den Be-
                             hörden unverzüglich vorgelegt werden.

                             einträchtigt werden könnte.34 Wenn                sichtigt wurde. Die mit der Abschie-
                             der Termin ohne Entschuldigung                    bung befasste Behörde sollte unbe-
                             nicht wahrgenommen wird, ist die                  dingt über den gestellten Eilantrag
                             Ausländerbehörde berechtigt, die                  informiert werden. Zusätzlich sollte
                             vorgetragenen Erkrankung nicht zu                 das Gericht dazu angehalten werden,
                             berücksichtigen.35                                der Behörde mitzuteilen, dass es von
                                                                               einem „Stillhalten“ der Behörde bis
                             Wird die ärztliche Bescheinigung erst             zur Entscheidung über den Eilantrag
                             eingereicht, wenn die Abschiebung                 ausgeht.36
                             akut droht, sollte zusätzlich ein Eil-
                             antrag beim zuständigen Verwal-
                             tungsgericht gestellt werden, um zu
                             verhindern, dass die Abschiebung
                             erfolgt, ohne dass die Bescheinigung
                             durch die Ausländerbehörde berück-

                             34 Vgl. hierzu RA Joachim Francke, Ist die Anwesenheit von Begleitpersonen bei medizinischen
                             Begutachtungen zuzulassen? 28.01.2013, http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/
                             foren/c/2013/C1-2013_Anwesenheit_Begleitpersonen_bei_Begutachtung.pdf [letzter Abruf:
                             21.12.2018]
                             35 § 60 a Abs. 2 d S. 3 AufenthG.
                             36 Die Vorkommnisse der vergangenen Monate haben in diesem Zusammenhang zu einem
                             massiven Vertrauensverlust gegenüber den Behörden geführt, da – jedenfalls nach den bisher
                             vorliegenden Erkenntnissen – Hinweise dazu vorliegen, dass in Einzelfällen Abschiebungen trotz
                             noch laufender Gerichtsverfahren vorangetrieben wurden.

                                                                                                                              17
1.6.2. Fehlende Dokumente                         hin nicht erkannt haben und diese
                                                       restriktiv anwenden. Bezüglich der
     Soweit der/die Jugendliche bzw.                   Einzelheiten und der bestehenden
     junge Volljährige nicht abgeschoben               Anwendungsprobleme bei der Aus-
     wird, weil seine oder ihre Identität              bildungsduldung wird auf die zahl-
     nicht abschließend geklärt und daher              reichen Ratgeber und Arbeitshilfen
     auch nicht das Rücknahmeverspre-                  verwiesen, die inzwischen erhältlich
     chen des vermeintlichen Aufnahme-                 sind.38
     staates eingeholt werden kann, stellt
     auch dies einen Duldungsgrund dar.
     Die Praxis zeigt jedoch, dass es sich             1.6.4. Besonderer Minderjähri-
     hierbei um den unsichersten und ver-              genschutz
     mutlich auch unangenehmsten Dul-
     dungsgrund handelt, weil er jederzeit             Einen besonderen Duldungsgrund für
     wegfallen kann und die Ausländerbe-               unbegleitete Minderjährige enthält
     hörden starken Druck hinsichtlich der             schließlich § 58 Abs. 1 a AufenthG.39
     Mitwirkungspflichten ausüben.37                   Diese Vorschrift verlangt, dass der/
                                                       die Minderjährige im Zielland einer
                                                       geeigneten Einrichtung oder einer
     1.6.3. Ausbildung                                 sorgeberechtigten Person übergeben
                                                       werden kann.
     Von enorm großer praktischer Be-
     deutung ist der Duldungsgrund der                 Die Anforderungen an diesen Nach-
     qualifizierten Berufsausbildung in                weis sind aus Gründen des Minder-
     § 60a Abs. 2 S. 4 ff AufenthG. Der                jährigenschutzes extrem hoch. In der
     Gesetzgeber hat hiermit auf den                   Praxis können sie kaum erfüllt wer-
     großen Wunsch der deutschen Wirt-                 den:
     schaft nach Arbeitskräften reagiert
     und einen Anspruch auf die Erteilung              Nach der Rechtsprechung des Bun-
     der sogenannten Ausbildungsdul-                   desverwaltungsgerichts40      reicht
     dung formuliert. Bedauerlich ist in               dabei nämlich nicht die abstrakte
     diesem Zusammenhang, dass einige                  Möglichkeit aus, der/die Minderjähri-
     Ausländerbehörden – insbesonde-                   ge werde an Verwandte übergeben.
     re in Bayern – den Sinn und großen                Vielmehr müssen „die Ausländerbe-
     Nutzen dieser Regelung auch weiter-               hörden – und ggf. die Verwaltungs-

     37 Zu den Mitwirkungspflichten Themenschwerpunkt im Asylmagazin 1 – 2/2018, S. 7–28, https://
     www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asylmagazin/Beitraege_AM_2018/AM18-1-2_thema_
     mitwirkungspflichten.pdf [letzter Abruf: 21.12.2018].
     38 Siehe z.B. https://www.einwanderer.net/fileadmin/downloads/tabellen_und_uebersichten/
     ausbildungsduldung.pdf m.w.N. [letzter Abruf: 21.12.2018].
     39 § 58 Abs. 1 a AufenthG setzt Art. 10 der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) um.
     40 BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 -BVerwG 10 C 13.12.

18
gerichte – in jedem Einzelfall die              derjährigen aufzunehmen, sind in
Überzeugungsgewissheit davon ver-               diesem Kontext irrelevant und ent-
schaffen, dass die Übergabe des un-             binden die Ausländerbehörde nicht
begleiteten Minderjährigen an eine              von ihrer Nachweispflicht, die sich
in der Vorschrift genannte Person               allein nach den oben dargestellten
oder Einrichtung nicht nur möglich              Grundsätzen richtet.
ist, sondern tatsächlich auch erfolgen
wird (konkrete Möglichkeit der Über-            Der Minderjährigenschutz, der in die-
gabe).“41 Diese konkrete Möglichkeit            ser Regelung Ausdruck findet, ver-
der Übergabe an die in der Norm ge-             pflichtet außerdem die Ausländer-
nannten Stellen oder Personen muss              behörde, den/die Vormund/in bzw.
zur Überzeugung der Ausländerbe-                rechtliche Vertretung des/der Min-
hörde sowie – im Falle der Ergreifung           derjährigen über den Ausgang der
von Rechtsmitteln – der Verwaltungs-            Ermittlung in Kenntnis zu setzen
gerichte feststehen. Der Verwaltungs-           und zwar so, dass diese/r die Möglich-
gerichtshof Baden-Württemberg hat               keit hat, das Ergebnis der Ausländer-
in einer aktuellen Entscheidung42 die           behörde (gerichtlich) überprüfen zu
Voraussetzungen weiter konkreti-                lassen. Entgegen der Auffassung vie-
siert. Danach folgt u.a. auch aus der           ler Ausländerbehörden ist dies auch
vorrangigen Berücksichtigung des                nicht entbehrlich geworden, weil
Kindeswohls nach Art. 3 UN-Kinder-              Abschiebungen seit Oktober43 nicht
rechtskonvention (UN-KRK), dass                 mehr angekündigt werden dürfen.44
auch die konkrete Eignung der Auf-              Die hier beschriebene Mitteilungs-
nahmeeinrichtung in diesem Kon-                 pflicht der Ausländerbehörden ge-
text ausschlaggebend ist. Hierzu hat            genüber der rechtlichen Vertretung
sich die Ausländerbehörde nicht nur             des Minderjährigen knüpft nämlich
über die grundsätzlichen Strukturen             an die Vergewisserungspflicht der
vor Ort zu informieren, sondern ganz            Ausländerbehörde sowie der Rechts-
konkret über das Bestehen und zur               schutzgarantie aus Art. 19 Grund-
Verfügungstehen eines Platzes in                gesetz (GG) an.45 Unangekündigte
einer für die/den jeweilige/n Minder-           Abschiebungen von unbegleiteten
jährige/n geeigneten Einrichtung.               Minderjährigen sind deshalb von vor-
Die Bereitschaft der Behörden im                neherein unzulässig.
Zielland, etwa aufgrund von Abkom-
men oder aufgrund von Zusagen im
Einzelfall, den abgeschobenen Min-
41 BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 -BVerwG 10 C 13.12.
42 VGH Mannheim 22.5.2017 – 11 S 322/17, JAmt 2017, S. 460.
43 BGBl. I 2015, S. 1722.
44 § 59 Abs. 1 S. 8 AufenthG.
45 BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 – 10 C 13.12; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom
22.05.2017-11 S 322/17.

                                                                                         19
1.7. Verhältnismäßigkeit
     Da die Abschiebung eine Zwangs-                   hältnismäßigkeitsgrundsatz in Ein-
     maßnahme darstellt, kann diese nur                klang zu bringen.
     unter Wahrung der Verhältnismä-
     ßigkeit erfolgen. Möchte sich der/die             In Fällen, in denen (begleitete) Min-
     Betroffene gegen eine Abschiebung                 derjährige abgeschoben werden sol-
     wehren bzw. die Art und Weise der                 len, die zur Schule gehen, ist darüber
     Durchführung gerichtlich überprüfen               hinaus zu berücksichtigen, dass das
     lassen, so ist hierauf ein besonderes             Recht das Schuljahr zu beenden ein
     Augenmerk zu legen. Denn die Be-                  dringender persönlicher Grund im
     hörde hat bei Ergreifung staatlicher              Rahmen der Ermessensduldung48
     Zwangsmaßnahmen besonders sen-                    darstellt und sich gemeinsam mit
     sibel zu prüfen, wie sie ihr Ziel er-             dem vorrangig zu berücksichtigen-
     reicht, ohne übermäßig in die Rechte              den Kindeswohl – auch von der Aus-
     der betroffenen Person einzugreifen.              länderbehörde – zu einem Anspruch
                                                       verdichten kann.49 Zu den Besonder-
     Eine konsequente Anwendung des                    heiten, die gelten, wenn junge Men-
     Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes                   schen in Jugendhilfeeinrichtungen
     führt z. B. dazu, dass sich Abschie-              leben, s. unter Ziff. 2.2. ff.
     bungen aus Schulen bspw. immer
     verbieten, insbesondere wenn da-
     mit einher geht, dass Schüler/innen
     aus dem Unterricht geholt, vor allen
     anderen bloßgestellt werden und
     damit Unruhe in die Klasse oder die
     Einrichtung getragen wird.46 Die Poli-
     zei hat hier zu berücksichtigen, dass
     es keine sachliche Notwendigkeit
     gibt, die Abschiebung gerade von der
     Schule (oder vom Kindergarten) aus
     vorzunehmen und auf diese Weise
     den staatlichen Bildungsauftrag zu
     stören.47 Auch die Anwendung von
     Gewalt – vor allem gegenüber jungen
     Menschen – ist kaum mit dem Ver-

     46 RA Hubert Heinhold, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landesverband Bayern,
     Abschiebung aus Schulen und Betrieben, Juni 2017, S. 5. https://www.gew-bayern.de/fileadmin/
     media/publikationen/by/Flugblaetter/GEW_Leitfaden_Abschiebung_Schule_Bayern_Heinhold_
     Juni_2017.pdf [letzter Abruf: 21.12.2018].
     47 A.a.o. Fn. 45.
     48 Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage, § 60a Rn. 36.
     49 Art. 3 Abs. 1 UN-KRK.

20
(CC0 Wokandapix/ pixabay.de)

                               Eine konsequente Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes führt z. B. dazu, dass sich Ab-
                               schiebungen aus Schulen immer verbieten.

                               1.8. Wird die Abschiebung angekündigt?

                               Grundsätzlich darf nach Ablauf der                 Bei unbegleiteten Minderjährigen
                               o.g. Frist zur freiwilligen Ausreise der           hingegen gilt, dass eine bevorstehen-
                               Termin der Abschiebung nicht ange-                 de Abschiebung bzw. das Ergebnis
                               kündigt werden.50 Etwas anderes gilt               der Ermittlung, ob eine Abschiebung
                               nur dann, wenn eine Person ein Jahr                in Einklang mit § 58 Abs. 1a AufenthG
                               oder länger geduldet wurde und die                 durchgeführt werden kann, dem/der
                               Duldung widerrufen wird, weil der                  Vormund/in immer rechtzeitig mitge-
                               Duldungsgrund entfallen ist.51 Endet               teilt werden muss. Diese/r muss die
                               die Duldung durch Ablauf der Gültig-               Möglichkeit haben, das Ergebnis der
                               keitsdauer oder erlischt sie durch Ein-            Ausländerbehörde gerichtlich über-
                               treten einer auflösenden Bedingung,                prüfen zu lassen und sich hiergegen
                               dann bedarf es keiner vorherigen An-               zu wehren (s. unter Ziff. 1.6.4).53
                               kündigung.52

                               50 § 59 Abs. 1 S. 8 AufenthG. Dies gilt aber nur für die Mitteilung des Abschiebungstermins
                               selbst, nicht aber für die Mitteilung darüber, ob die Voraussetzungen für die Durchführung der
                               Abschiebung schon erfüllt sind.
                               51 § 60 a Abs. 5 S. 4 AufenthG.
                               52 Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage, 2016, § 60a, Rn. 42. Da die Ausländerbehörde
                               in einem solchen Fall unter Umständen ein Festnahmerecht gem. § 62 Abs. 5 AufenthG zusteht,
                               bietet es sich an, deutlich vor Ablauf der Duldung bei der Ausländerbehörde vorzusprechen.
                               53 § 59 Abs. 1 S. 8 AufenthG.

                                                                                                                                 21
1.9. Zwischenfazit
     Wie dargestellt, ist eine Abschiebung    Härtefallverfahren oder im Wege ei-
     von unbegleiteten Minderjährigen         nes Asylfolgeantrages erfolgen kann.
     nur in wenigen Ausnahmefällen
     rechtmäßig.                              Gerade bei Personen aus den sog. si-
                                              cheren Herkunftsstaaten sollte in die-
     Grundsätzlich sollte bei einer nega-     sem Kontext auch immer an die Auf-
     tiven Entscheidung im Asylverfahren      enthaltserlaubnis aus humanitären
     dringend die Einlegung von Rechts-       Gründen gem. § 25 Abs. 3 AufenthG
     mitteln durch eine/n auf das Asyl-       wegen des Bestehens von Abschie-
     recht spezialisierte/n Rechtsanwäl-      beverboten etwa wegen katastropha-
     tin/Rechtsanwalt geprüft werden.         ler Versorgungslage im Zielstaat bei
     Scheitert der Versuch der Aufent-        umF54 oder gesundheitlichen Gründe
     haltssicherung auf asylrechtlichem       gedacht werden.55
     Wege endgültig (also auch vor Ge-
     richt), muss die Ausländerbehörde        Gelingt die Aufenthaltssicherung auf
     die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 a    keinem der genannten Wege und
     AufenthG und das Vorliegen weiterer      steht die Abschiebung tatsächlich un-
     Duldungsgründe prüfen. Hierbei soll-     mittelbar bevor, kann noch versucht
     ten sich die Betroffenen nicht auf den   werden, diese mittels gerichtlicher
     Amtsermittlungsgrundsatz der Aus-        Eilentscheidung zu verhindern (dazu
     länderbehörden verlassen, sondern        s. unter Ziff. 2.).
     stattdessen proaktiv auf bestehende
     Duldungsgründe hinweisen. Dies gilt
     in besonderem Maße in Bezug auf
     das Vorliegen von gesundheitlichen
     Einschränkungen, da diesbezüglich
     – wie oben gezeigt – der Amtsermitt-
     lungsgrundsatz durch den Gesetzge-
     ber zu Lasten der Betroffenen einge-
     schränkt wurde.

     Die Betroffenen und ihre Betreuer/
     innen sollten während des gesamten
     Verfahrens zudem stets überprüfen,
     ob die Aufenthaltssicherung über
     Bleiberechtsregelungen (§ 25a Auf-
     enthG), humanitäre Regelungen (z. B.
     § 25 Abs. 5 AufenthG), Petitions- bzw.

     54 BVerwG v. 13.06.2013 -- 10 C 13.12.
     55 § 60 Abs. 5, 7 AufenthG.

22
2. Drohende Abschiebung – was tun?

Im Idealfall gelingt die Aufenthaltssi-          derjähriger bei der Ausländerbehör-
cherung auf einem der oben genann-               de festgenommen und im direkten
ten Wege.                                        Anschluss abgeschoben, obwohl dem
                                                 Vormund zuvor mehrfach mündlich
Was ist jedoch, wenn die Person bei-             mitgeteilt wurde, dass bei der Vor-
spielsweise im Rahmen der Verlänge-              sprache keine Festnahme erfolgen
rung einer Duldung festgenommen                  würde und sowohl mit der Auslän-
wird? Verwiesen sei beispielsweise               derbehörde als auch dem zuständi-
auf dem im Vorwort genannten Fall:               gen Sozialamt die freiwillige Ausreise
Hier wurde eine unbegleiteter Min-               besprochen worden war.

2.1. Einstweiliger Rechtsschutz
In einem solchen Fall sollte sofort              Im Falle der Volljährigkeit gestaltet
– wenn möglich – die zuständige                  sich dies schwieriger.
Rechtsanwältin oder der zuständige
Rechtsanwalt informiert werden. Ist              Ist die aufenthaltsrechtliche Situa-
ein Rechtsanwalt / eine Rechtsanwäl-             tion der/des jungen Volljährigen un-
tin noch nicht mandatiert und muss               sicher, ist es daher dringend ratsam,
es schnell gehen, sollte ein Eilantrag           frühzeitig Kontakt zu einer/einem auf
gem. § 123 VwGO auf vorläufige Aus-              Asyl- und Aufenthaltsrecht spezia-
setzung der Abschiebung an das zu-               lisierten Rechtsanwältin/Rechtsan-
ständige Verwaltungsgericht gefaxt               walt aufzunehmen. Sollte noch kein
werden. Der Antrag ist bei Minder-               Anwalt / keine Anwältin mandatiert
jährigen durch den/die Vormund/                  sein, sollte eine Vollmacht des/der
in zu stellen. In dem Antrag muss so             jungen Volljährigen vorgehalten wer-
genau wie möglich dargelegt werden,              den, um kurzfristig Rechtsbeistand
weshalb eine Abschiebung rechts-                 beauftragen zu können.
widrig sein könnte. Liegen zum Bei-
spiel neue ärztliche Bescheinigungen             Falls dies nicht möglich sein sollte,
vor, sind diese ebenfalls zu übersen-            gestaltet sich die Situation schwie-
den. Die Ausländerbehörde und auch               rig, da junge Volljährige Eilanträge
die Bundespolizei sollten umgehend               an das Verwaltungsgericht eigenhän-
über den Eilantrag informiert wer-               dig unterzeichnen müssen.57 Das gilt
den.56                                           auch für die Fälle, in denen eine Vor-
56 Vergleiche hierzu ausführlich: Berliner Flüchtlingsrat, Handlungsoptionen im Fall von
Abschiebungen aus Sammelunterkünften, Dezember 2017, https://www.wir-treten-ein.de/wp-
content/uploads/2015/01/15_01_21_BHP_PA_Ratgeber_A6.pdf [letzter Abruf: 21.12.2018].
57 § 67 Abs. 1 VwGO.

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                                 Ist die aufenthaltsrechtliche Situation der/des jungen Volljährigen unsicher, ist es dringend ratsam,
                                 frühzeitig Kontakt zu einer/einem Rechtsanwältin/Rechtsanwalt aufzunehmen.

                                 mundschaft über das 18. Lebensjahr                  hen aber ernstliche Zweifel an der
                                 hinaus besteht. Denn im asyl- und                   Rechtmäßigkeit der beabsichtigten
                                 aufenthaltsrechtlichen Verfahren ist                Abschiebung, sollten zumindest
                                 die Vollendung des 18. Lebensjahres                 Freund/innen oder Betreuer/innen
                                 maßgeblich für die Begründung der                   mit schriftlicher (!) Vollmacht der
                                 Verfahrensfähigkeit und nicht – wie                 betroffenen Person einen formlosen
                                 im Vormundschaftsrecht – das Hei-                   Antrag an das Verwaltungsgericht
                                 matrecht.58                                         richten, die Abschiebung einstweilen
                                                                                     zu untersagen.59 Damit ist zumindest
                                 Ist der Rechtsbeistand / die Rechts-                eine Überprüfung der Aktenlage si-
                                 beiständin nicht erreichbar, beste-                 chergestellt.60

                                 2.2. Anwesenheitsrecht – gibt es „vormundfreie“ Räume?
                                 Immer wieder treten Fragen im Hin-                  stands gegenüber den Behörden – in
                                 blick darauf auf, in welchen Situatio-              diesem Fall in der Regel gegenüber
                                 nen der/die Minderjährige oder der/                 der Ausländerbehörde bzw. der Poli-
                                 die junge Volljährige sich eines Bei-               zei – bedienen können.

                                 58 § 80 AufenthG; § 12 AsylG.
                                 59 A.a.o. Fn. 45.
                                 60 Vgl. ebd.

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Besonders häufig gelangt die Frage                rechtmäßig handeln zu können und
zu uns, ob Jugendliche Termine bei                um das Gebot des effektiven Rechts-
der Ausländerbehörde alleine wahr-                schutzes zu wahren.61 Ohne Vor-
nehmen können. Mitunter wird dies                 mund/in könnten Minderjährige das
von der Ausländerbehörde auch so                  Verwaltungshandeln nicht überprü-
vorgegeben. Vormünder/Vormundin-                  fen, wozu sie jedoch grundgesetzlich
nen und Betreuende kommen dem                     berechtigt sind.62 Zudem hat ein/e
dann – trotz Unbehagen – oftmals                  Vormund/in die tatsächliche Sorge
nach. Vielfach geschieht dies wegen               für den/die Minderjährige/n inne. So-
mangelnder Kenntnis der eigenen                   weit die Betreuenden des Heims / der
Rechte. So auch in dem oben be-                   Jugendhilfeeinrichtung eine Sorge-
schriebenen Fall.                                 rechtsvollmacht des/der Vormund/
                                                  in bezüglich der Vertretung im aus-
Kommt es daher zu einer Situation, in             länderrechtlichen Verfahren haben,
der der/die Vormund/in oder die be-               gilt dies gleichermaßen für sie. Eine
treuende Person von den Behörden                  Sorgerechtsvollmacht kann formlos
an der Teilnahme an Gesprächen ge-                erteilt werden.63
hindert werden, ist es zentral, die ent-
sprechenden Anwesenheitsrechte zu                 Für junge Volljährige gilt – wie für
kennen und durchzusetzen.                         jede andere Person, die sich in einem
                                                  Verwaltungsverfahren befindet –
Grundsätzlich gilt, dass weder die                dass ein Beistand / eine Beiständin
Polizei noch die Mitarbeiter/innen                zur Unterstützung hinzugezogen wer-
der Ausländerbehörde den/die Vor-                 den kann.64 Beistände müssen keine
mund/in davon abhalten dürfen, bei                Jurist/innen sein, sondern können
jedweden Terminen anwesend zu                     jede von den jungen Volljährigen ge-
sein und die Interessen der Jugendli-             wählte Person sein, solange diese
chen wahrzunehmen. Bei Minderjäh-                 Person nicht von der Behörde zurück-
rigen besteht die Pflicht, die gesetz-            gewiesen wird.65 Grundsätzlich ha-
liche Vertretung hinzuzuziehen, um                ben Beistände das Recht, an Bespre-

61 § 80 AufenthG i.V.m. §1793 BGB.
62 Art. 19 Abs. 4 GG.
63 Hoffman, Sorgerechtsvollmachten, Themengutachten TG-1035, abrufbar über http://kijup-
online.de.
64 § 14 VwVfG findet im verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Verfahren – spricht der
Abschiebung – Anwendung, da es sich auch hierbei um eine Verwaltungstätigkeit iSv § 1 Abs. 1
VwVfG.
65 § 14 Abs. 6 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG): Eine Zurückweisung kann nur in sehr engem
Rahmen geschehen, z.B. bei mangelnder Eignung. Diese liegt vor, wenn der Beistand nicht die
Fähigkeit hat, den für das Verfahren maßgeblichen Sachverhalt und die rechtliche Bedeutung
sachdienlicher Erklärungen, Anträge usw. zum Verfahren zu erfassen (Kopp/Ramsauer, VwVfG, §
14, Rn. 38).

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chungen und Verhandlungen mit den                diese Aufgabe im Spannungsfeld von
     Behörden teilzunehmen.66 Sollten                 Kindeswohl, Asyl- und Aufenthalts-
     Beistände von den Behörden ohne                  recht sowie den dem konkreten An-
     Angabe von Gründen an der Teilnah-               stellungsverhältnis innewohnenden
     me an einer Besprechung gehindert                Sachzwängen gut bewältigt werden
     werden, so muss dies unbedingt do-               kann, ist eine der zentralen Heraus-
     kumentiert werden.                               forderungen für die Führung einer
                                                      Vormundschaft für unbegleitete min-
     Das gilt auch uneingeschränkt für die            derjährige Flüchtlinge. Die Fähigkeit
     Anhörung im Asylverfahren, was ge-               zur fortwährenden selbstkritischen
     rade für junge Volljährige, die keine/n          Auseinandersetzung mit dem eige-
     Vormund/in mehr haben, besonders                 nen professionellen Selbstverständ-
     bedeutsam ist.67                                 nis und der beruflichen Rolle sind da-
                                                      bei wesentlicher Bestandteil. 69 Hierzu
     Aber nicht nur die Kenntnis der eige-            gehört auch, dass – besonders vor
     nen Rechte erscheint hier zentral, um            dem Hintergrund sich ständig verän-
     die jungen Menschen gut zu unter-                dernder Rechtslagen – externe fach-
     stützen. Mindestens ebenso wichtig               liche Beratung und Expertise hinzu-
     ist es, sich über die eigene Rolle als           gezogen wird.
     Vormund/in Klarheit zu verschaffen
     und zu vergegenwärtigen, dass die
     Interessen, denen der/die Vormund/               2.2.1. Jugendhilfeeinrichtung
     in – gleich welche Form der Vormund-             und Grundrechteschutz nach
     schaft geführt wird – in erster Linie            Art. 13 GG?
     verpflichtet ist, diejenigen des jungen
     Menschen sind. Am Kindeswohl und                 Werden Verfahren zur Abschiebung
     an den Interessen des betroffenen                eingeleitet, muss der/die Vormund/
     jungen Menschen muss sich das Han-               in darüber informiert werden, damit
     deln der Vormundin / des Vormunds                rechtzeitig Rechtsmittel eingelegt
     orientieren und messen lassen. Der/              werden können (s.u. Ziff. 1.6.4). Aus
     die Vormund/in ist dabei parteili-               diesem Grund sollte die Situation,
     che Interessenvertretung des Kindes              dass die Polizei zum Zweck der Ab-
     oder Jugendlichen – auch im Rah-                 schiebung unangekündigt vor der Tür
     men der Amtsvormundschaft.68 Wie                 steht, nicht vorkommen. Dennoch
     66 A.a.o. Fn. 63.
     67 Flüchtlingsrat Niedersachsen 2016, Anhörung im Asylverfahren – Anwesenheit eines
     Beistands, https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2016/10/beistand-anh%c3%b6rung-
     161025-fr_2.pdf [letzter Abruf: 21.12.2018].
     68 § 55 Abs. 3 S. 2 SGB VIII.
     69 Vgl. bspw. LVR Rheinland/Westfalen, Arbeits- und Orientierungshilfen Qualitätsstandards
     für Vormünder, https://www.lvr.de/media/wwwlvrde/jugend/service/arbeitshilfen/dokumente_94/
     jugend_mter_1/amtsvormundschaft/Qualitaetsstandards_fuer_Vormuender_20131201.pdf , S. 28. ff.
     [letzter Abruf: 21.12.2018].

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