11/12 2021 DSO-Nachrichten Konzertprogramm mit Zeitbezug - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

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11/12 2021 DSO-Nachrichten Konzertprogramm mit Zeitbezug - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
75 Jahre DSO
Jubiläumskonzerte mit Robin Ticciati

Mitsuko Uchida
spielt Beethoven

Neues vom Tage
Konzertprogramm mit Zeitbezug

DSO-Nachrichten
11/12 2021
11/12 2021 DSO-Nachrichten Konzertprogramm mit Zeitbezug - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
2   Inhalt                                                                                   Editorial   3

                                                Liebe Leserin,
                                                lieber Leser,
                                                am 15. November 1946, vor 75 Jahren, wurde das DSO ge-
3   Editorial                                   gründet. In seinen drei Namen – erst RIAS-, dann Radio-,
                                                heute Deutsches Symphonie-Orchester Berlin – spiegeln
4   Marin Alsop im Gespräch                     sich Stationen einer bewegten Geschichte, die wir Ihnen aus
                                                den unterschiedlichsten Perspektiven in den DSO-Nach-
10 Ihr Konzertbesuch im November und Dezember
                                                richten und auf unserem Jubiläumsblog erzählen. Mit zwei
12	75 Jahre DSO – Jubiläumskonzerte            Konzerten, die Robin Ticciati am 19. und 20. November diri-
                                                giert, wollen wir den Geburtstag gebührend feiern.
16	Oper im Kühlhaus
18 Marie Jacquot und Gautier Capuçon            Auch darüber hinaus haben die Monate November und De-
                                                zember einiges zu bieten. Die Dirigentinnen Marin Alsop und
22 Mstislaw Rostropowitsch
                                                Marie Jacquot, die Pianistin Mitsuko Uchida, die Geigerin
24 rbbKultur-Kinderkonzerte                     Lisa Batiashvili und die Cellisten Gautier Capuçon und She-
                                                ku Kanneh-Mason versprechen großartige Konzerterleb-
26 Konzertkalender                              nisse. Mit ›Neues vom Tage‹ wagen Robin Ticciati und der
31 Kammerkonzerte                               Geiger Pekka Kuusisto das Experiment des tagesaktuell ku-
                                                ratierten Programms, mit der Kammeroper ›The Bear‹ und
32 Silvester und Neujahr                        dem ›Debüt‹-Konzert kommt der künstlerische Nachwuchs
34 Neues vom Tage und Casual Concert            zum Zuge. Und den Jahreswechsel begehen wir endlich wie-
                                                der, zauberhaft und spektakulär, gemeinsam mit dem Circus
37 Impressum                                    Roncalli im Tempodrom.
38 Baalbek und Athen
                                                Wir freuen uns sehr, trotz weiterhin bestehender Einschrän-
40 Debüt im Deutschlandfunk Kultur              kungen auch in der Jubiläumssaison für Sie spielen zu dür-
42 Gedenken in Babyn Jar                        fen. Feiern Sie mit uns und kommen Sie ins Konzert. Wir
                                                freuen uns auf Sie!
44 Robin Ticciati und Mitsuko Uchida
                                                Herzliche Grüße
48 Kammermusik in Spandau
                                                Ihr Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
50 Jubiläumsblog
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Im Gespräch   5

So 5.12.   Marin Alsop

Das große Blind Date
Marin Alsop gehört zu den wichtigsten Dirigent*innen un-
serer Zeit. Seit 2019 steht sie als Chefdirigentin dem ORF
Radio-Symphonieorchester Wien vor, im Sommer 2020
ernannte sie das Baltimore Symphony Orchestra nach 14
Jahren an seiner Spitze zur Ehrendirigentin. Neben weltwei-
ten Gastdirigaten engagiert sich die in New York geborene
Musikerin besonders für die Förderung des Pultnachwuch-
ses – als Studiengangsleiterin an der Johns Hopkins Univer-
sity, mit der von ihr gegründeten Taki Concordia Conducting
Fellowship oder als Musikdirektorin des National Orchestral
Institute + Festival (NOI+F). Am 5. Dezember steht sie erst-
mals am Pult des DSO.

Marin Alsop, Sie haben zwei intensive Lehrjahre mit Leo-
nard Bernstein verbracht. Können Sie sich noch an das
erste Zusammentreffen mit ihrem Mentor erinnern?
Ja, ich habe ihn 1987 beim Schleswig-Holstein Musik Fes-
tival getroffen. Es gibt eine Dokumentation des Dirigenten-
wettbewerbs auf YouTube, die diese erste Begegnung zeigt.
Er war sehr großzügig zu mir, ein wunderbarer Lehrer! Er
war mein Idol und mein Held. Mit ihm arbeiten zu können,
war ein einmaliges Ereignis in meinem Leben. Lenny war wie
ein großes Hündchen, das um dich herumläuft und voller
Freude anspringt – wie ein großer Hund, der nicht weiß,
dass er groß ist (lacht). Er hatte überhaupt kein Gefühl für
soziale Distanz, überhaupt nicht, null! Ich habe einige Vi-
deoaufnahmen zuhause, wo er aufspringt, zum Pult rennt
und kurzerhand meine Partitur an sich reißt. Er war einfach
äußerst enthusiastisch, in allem, was er tat, und dabei über-
aus ansteckend.
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Heute sind Sie selbst Mentorin für viele junge Dirigentin-       Frauen. Plötzlich hieß es: Oh mein Gott, was ist passiert?
nen und Dirigenten. Was raten Sie ihnen, wenn diese ihre         Die können das auch! Ich meine: Hallo?! Seit Anbeginn der
ersten Schritte tun?                                             Zeiten leben Frauen auf diesem Planeten.
Versuche immer, Du selbst zu sein. Sei immer gut vorbe-
reitet. Lass Dich von der Musik leiten, um die richtigen         Sie haben 14 Jahre das Baltimore Symphony Orchestra
Entscheidungen zu treffen. Und vor allem: Nimm nichts zu         geleitet. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
persönlich!                                                      Nun, ich habe sehr hart gearbeitet, um das Orchester zum
                                                                 Erfolg zu führen und die Verbindung zwischen Orchester
Was meinen Sie: Welche der fünf folgenden Attribute              und Publikum zu intensivieren. Es klingt vielleicht etwas
würden Ihren Charakter wohl am besten beschreiben?               seltsam, aber ich habe versucht, eine Kultur der Freude zu
Direkt, geradlinig, fokussiert, integrativ, authentisch?         schaffen. Das war kein einfacher Weg. Wir brauchten eini-
Ja, klingt gut! Wobei »direkt« und »geradlinig« in etwa das-     ge Jahre, um dahin zu kommen. Am Anfang rieten mir so-
selbe beschreiben, oder? Ich glaube, das beste Wort wäre         gar einige Bekannte davon ab. Aber ich flüchte vor keiner
»empathisch«, auch wenn es in Ihrer Liste nicht vorkommt.        Herausforderung. Ich versuche immer, meinem Herzen zu
Es passt aber gut zum letzten Attribut »authentisch«. Das        folgen, um einer Aufgabe und einer neuen Position gerecht
ist so ziemlich das Wichtigste für mich. So bin ich.             zu werden. Das Ziel ist, eine Win-win-Situation zu schaffen,
                                                                 von der ersten Minute an. Denn das Leben ist wirklich zu
Und welchen Charakterzug mögen Sie gar nicht?                    kurz, um es mit Nebensächlichkeiten zu füllen.
Ich mag meinen Perfektionismus nicht. Ich glaube, viele
Musiker*innen leiden darunter. Denn dann bist du niemals         Beim Konzert im Dezember dirigieren Sie zum ersten Mal
zufrieden, drängst immer nach vorne. Ich versuche mir klar       das DSO. Auf was sind Sie bei diesem Orchester am meis-
zu machen, dass Perfektion ein wenig überbewertet wird.          ten neugierig?
Und für das Publikum ist diese Art von extremer Perfektion       Ich freue mich schon sehr darauf! Es sind eigentlich immer
auch gar nicht so wichtig. Natürlich wollen sie Exzellenz und    dieselben Dinge, auf die ich neugierig bin, wenn ich zum ers-
hohe musikalische Qualität, aber ohne Leidenschaft macht         ten Mal mit einem Orchester arbeite. Welche Persönlichkeit
das keinen Sinn.                                                 strahlt es aus, wie klingt es, sind die Musiker flexibel und
                                                                 neugierig? Es ist wie ein großes Blind Date. Und wir spielen
»Der Taktstock wiegt nicht mehr als 35 Gramm«, haben             ein wundervolles Programm an diesem Abend.
Sie einmal gesagt. Eine schöne Metapher und Klarstel-
lung, dass Frauen sehr wohl ein Orchester führen können.         Unter anderem Samuel Barbers Erste Symphonie. Was
Das ist einfach ein Fakt. Wenn jemand behauptet, du könn-        mögen Sie an diesem Werk?
test eine Sache nicht schaffen, einfach weil du physisch oder    Es ist eine perfekte Mischung meiner Haltung zur Musik
mental nicht in der Lage seist, dann ist das Unsinn. Frauen      als Amerikanerin, spiegelt aber auch meine Leidenschaft
haben beides, und sie haben auch die musikalischen Vor-          für das große romantische symphonische Repertoire wi-
aussetzungen dazu. Aber das Thema muss man nicht wei-            der – eine Quintessenz amerikanischer Musik. Eigentlich
ter vertiefen. Die Institutionen hatten ein Problem, nicht die   besteht es aus vier Sätzen, wird jedoch durchgespielt. Es
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                                                             Musik – weil sie oft so zugänglich ist. Das ist widersinnig,
                                                             oder? Aber Kunstmusik muss ja sperrig sein. Nun ja … ich
                                                             spiele sie trotzdem!

                                                             Zum Abschluss dirigieren Sie ›Daphnis et Chloé‹, die
                                                             Suite Nr. 2 von Maurice Ravel. Sie beginnt mit dem wun-
                                                             derschönen Sonnenaufgang. Ravel war bekanntermaßen
                                                             kein Frühaufsteher. Auf die Frage, warum ihm die Kompo-
                                                             sition so gut gelungen sei, antwortete er: »Ich habe meine
                                                             Vorstellungskraft benutzt …«
                                                             (Lacht laut) Der war gut! Er muss ein lustiger Typ gewesen
                                                             sein. Und wissen Sie was: Das hat Ravel mit Leonard Bern-
                                                             stein gemein. Der ging erst zu Bett, wenn die Sonne aufging.
                                                             Entsprechend spät ist er aus den Federn gekommen.

                                                             Und wie ist das bei Ihnen?
                                                             Ich liebe den frühen Morgen! Bevor irgendjemand wach
                                                             ist, bevor die E-Mails reinkommen, sitze ich schon an den
    Mit dem britischen Shootingstar Sheku Kanneh-Mason       Partituren und bin alleine mit der Musik. Spätestens um
    gibt einer der spannendsten Cellisten unserer Zeit am    sechs Uhr stehe ich auf. Niemand stört mich, ich bin ganz
    5. Dezember sein Debüt beim DSO. Er eröffnet den Abend   fokussiert. Ich liebe das. Ich habe dann auch die Zeit, ein
    mit dem e-Moll-Konzert von Edward Elgar – dem ebenso     wenig Deutsch zu lernen. Eine wirklich fantastische, aber
    leidenschaftlichen wie ergreifend melancholischen Ab-    auch herausfordernde Sprache. Sie folgt manchmal einer
    schiedswerk des Komponisten.                             abstrusen Logik.

                                                             Was ist das lustigste deutsche Wort, das Sie bislang
ist brillant komponiert, auch wenn es mit ganz wenig mu-     gelernt haben?
sikalischem Material auskommt. Barber hat es 1936 ge-        Hmm, … »Ausfahrt«! Das Schild sehen wir immer an der Au-
schrieben. Ich glaube, sein Gesamtwerk wird im höchsten      tobahn. Es bedeutet: Jetzt aber aufpassen!
Grade unterschätzt, seine Musik wird selbst in Amerika
selten gespielt. Das muss man sich mal vorstellen! Viele     Das Gespräch führte HELGE BIRKELBACH.
amerikanische Komponisten des 20. Jahrhunderts wer-
den einfach unterschlagen, wie etwa John Corigliano,
Christopher Rouse oder Joan Tower – allesamt einzigarti-
ge Stimmen Amerikas. Generell, so scheint es mir, gibt es
einen Unwillen gegenüber amerikanischer symphonischer                                             Konzertkalender S. 28
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Corona     11

Information    Corona

Ihr Konzertbesuch
im November
und Dezember
Wir freuen uns sehr, Sie, unser Publikum, auch in den Mo-
naten November und Dezember wieder in der Philharmonie
und an unseren anderen Veranstaltungsorten begrüßen zu
dürfen. Trotz der positiven Entwicklung und der steigenden
Zahl von Impfungen werden uns Einlass- und Abstands-
regeln, Maskenpflicht und kurzfristige Änderungen sicher
noch einige Zeit begleiten. Deswegen gelten weiterhin fol-
gende Regularien:

Vor dem Einlass in die Philharmonie werden die Kontaktda-
ten per App oder Papierformular erfasst, neben dem Ticket
sind ein tagesaktueller, negativer Coronatest beziehungs-
weise ein Impf- oder Genesenennachweis und ein Lichtbild-
ausweis Voraussetzung für den Einlass. Eine FFP2-Maske
muss im Gebäude und auch während des Konzerts getragen
werden, im Saal sind dafür wieder alle Plätze besetzt. Auf-
grund der Einlasskontrollen möchten wir Sie um rechtzeiti-
ges Erscheinen ersuchen.

Wir bitten um Nachsicht und Verständnis dafür, dass sich
viele dieser Bedingungen kurzfristig ändern können – in
die eine wie die andere Richtung. Stets aktuelle Infor-
mationen rund um Ihren Konzertbesuch beim DSO fin-
den Sie einfach und bequem auf unserer Website unter
→ dso-berlin.de/update
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Jubiläumskonzerte     13

                                                 Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen die Art des
                                                 Feierns. Jubiläumskonzerte folgten einer fast
                                                 rituellen Ordnung: Feierliche Ouvertüre, Festre-
                                                de(n), beeindruckendes Hauptwerk mit namhafter
                                             Solistenbeteiligung, Symphonisches mit »optimisti-
                                         schem« Ende. Das DSO hinterfragte diese Praxis schon
                                         früher. Seinem Jubiläumspublikum präsentierte es Wer-
                                         ke, die nicht unter den ersten zehn der Klassik-Charts
                                         gelistet sind, aber dafür ihr Auditorium durch Ansprüche
                                         ehren, die sie stellen.

                                         Robin Ticciati und das DSO nehmen das diesjährige,
                                         75. Jubiläum zum Anlass, über Grundlagen und Ziele ih-
                                         res Tuns und Wirkens musikalisch nachzudenken. Le-
                                         bendige Orchesterkultur braucht ständige Entwicklung
                                         und Veränderung, und sie fußt auf einer langen Tradition.
                                         Im Prinzip des Variierens spiegelt sich dies wider. Die
                                         Spannung zwischen verbindlicher Überlieferung und per-
                                         manentem Wandel trug Ralph Vaughan Williams in sei-
                                         nen Variationen über ein Thema von Thomas Tallis, dem
                                         Renaissancemeister, aus. Der britische Zeitgenosse von
                                         Zemlinsky, Skrjabin, Reger, Schönberg und Ravel, den
                                         Impulsgebern und Gründervätern der Moderne, gewann
                                         im letzten Jahrzehnt durch Sir Roger Norringtons Auf-
                                         führung seines symphonischen Œuvres mit dem DSO im
                                         Berliner Kulturleben größere Aufmerksamkeit; er ist ein
                                         Stück DSO-Geschichte geworden.

Fr 19.11. / Sa 20.11.   Robin Ticciati   Die Kunst der Improvisation
                                         Variieren gehörte in den Aufbruchzeiten des bürgerlichen

Jubiläumskonzerte
                                         Musiklebens zur Kunst des Improvisierens, mit der bedeu-
                                         tende Virtuosen ihr Publikum verzauberten. Es bringt den

›75 Jahre DSO‹
                                         Augenblick, die gelebte Situation ins Spiel. Gemeinsam
                                         praktiziert, verlangt es von allen Konzentration, Sensibi-
                                         lität und Vertrauen. Robin Ticciati arbeitete mit dem DSO
                                         an dieser Musizierform, noch ehe das »Improviso«, das
11/12 2021 DSO-Nachrichten Konzertprogramm mit Zeitbezug - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
14                                                                                                  Jubiläumskonzerte        15

Unvorhergesehene, durch die Pandemie mit der Gewalt
eines Donnerschlags das gesellschaftliche und kulturelle
Leben erschütterte. Sir George Benjamin, erster Träger des
Schönberg-Preises, den das DSO Anfang des Jahrhunderts
vergab, verleiht in ›Sudden Time‹ dem Erlebnis des plötz-
lich Hereinbrechenden, das lange nachzittert, ästhetische
Gestalt. Improvisieren, die Fähigkeit, aus dem Unvorherge-
sehenen den Impuls zu überzeugender Kunst zu gewinnen,
wurde in der Corona-Zeit zum Überlebenselixier. Die schnel-
le, unmittelbare Reaktion auf die gesellschaftliche Situati-
on wird für Chefdirigent und Orchester auch in Zukunft ein
Thema bleiben, etwa bei ›Neues vom Tage‹ → S. 35.

Beziehung zu den USA
Das DSO verdankt sich amerikanischer Initiative: Der Rund-
funk im amerikanischen Sektor rief es 1946 ins Leben. Die
besondere Beziehung zu den USA schlug sich in der Ein-
ladung amerikanischer Komponisten, in einer Präferenz
NS-Exilierter für dieses Orchester nieder, sie regte immer
wieder die Programmplanungen an. Antonín Dvořák steht
sinnbildlich für die europäisch-amerikanische Verbindung.
Er lehrte an einem New Yorker Konservatorium und suchte
Antwort auf die Frage, was eine spezifisch amerikanische
Musik auszeichnen könnte. Das DSO kombiniert eines sei-                                                         Lisa Batiashvili
ner beliebtesten Werke mit dem Jazz, dem populären Reim-
port aus den USA, in dem die Kunst des Improvisierens in         alle Schattierungen des Klangs – von der stolzen Pose der
virtuose Höhen geführt wird.                                     Hörner über schmeichelnde und spöttische Töne der Holz-
                                                                 bläser bis zum verführerischen »Gesang« der Solovioline. Das
Virtuosität, der Glanz, aber auch die Versonnenheit des          ganze Orchester wird von dieser Brillanz in breitester Emotio-
Musizierens, bestimmen den Schlussteil des Jubiläumspro-         nalität erfasst. »Der Jugend Feuerpulse«, von denen die Par-
gramms. Mit Lisa Batiashvili freut sich das DSO auf eine So-     titur spricht, zeichnen dieses Glanzstück und das Musizieren
listin, mit der es großartige Konzerterlebnisse verbindet. Mit   des DSO mit seinem jungen Chefdirigenten aus.
Ernest Chaussons ›Poème‹ schlägt sie einen deutsch-franzö-
sische Bogen, der für das DSO gerade in den letzten Dekaden      HABAKUK TRABER
große Bedeutung gewann. Das Schlussstück aber gibt dem
Orchester, was des Orchesters ist: Strauss’ ›Don Juan‹ nutzt                                           Konzertkalender S. 27
11/12 2021 DSO-Nachrichten Konzertprogramm mit Zeitbezug - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Oper im Kühlhaus     17

                                                                ohne ihr vorher noch die Verwendung ihrer Pistole zu erklä-
                                                                ren – als die Auseinandersetzung eine überraschende wie
                                                                pikante Wendung nimmt.

                                                                Nachwuchsförderung ist Chefsache
                                                                Der britische Komponist William Walton hat Anton Tsche-
                                                                chows kammerspielartige Komödie ›Der Bär‹ im Auftrag
                                                                der Koussevitzky Foundation in den Sechzigerjahren in eine
                                                                schräg-skurrile »Extravaganza« verwandelt. Wortwitz und
                                                                eine abwechslungsreiche Musiksprache sorgen in diesem
                                                                leichtfüßigen Operneinakter mit drei Gesangspartien für
                                                                ein kurzweiliges Bühnenvergnügen. Am 28. November ist
                                                                ›The Bear‹ unter der Leitung von Robin Ticciati im Kühlhaus
                                                                Berlin am Gleisdreieck zu erleben. Das kleine Ensemble
                                                                bilden – bereits zum zweiten Mal nach dem großen Erfolg
So 28.11.   Robin Ticciati                                      von Brittens ›The Rape of Lucretia‹ 2018 – Studierende der
                                                                Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin, der Robin Ticciati
                                                                seit 2020 als Honorarprofessor für Musikalische Leitung im
»You Sir, are a Bear«                                           Fachbereich Gesang verbunden ist.

                                                                Die Inszenierung im Industrie-Ambiente des Galeriesaals
        Ein Jahr ist seit dem Tod ihres geliebten, doch noto-   übernimmt erneut Andrea Tortosa Baquero. Das Kammer-
         risch untreuen Gatten vergangen. Jelena Ivanovna       orchester setzt sich aus den Akademistinnen und Aka-
         Popova (Dominika Kościelniak, Mezzosopran) hat         demisten sowie Mitgliedern des DSO zusammen. Seit
        sich in ihrem Dasein als Witwe eingerichtet und lässt   seinem Amtsantritt engagiert sich Robin Ticciati für die
     sich auch von ihrem Diener Luka (Shokri Francis Raoof,     Ferenc-Fricsay-Orchesterakademie, studiert mit ihren
Bass) nicht überreden, das Landgut zu verlassen und end-        Mitgliedern Ensemblestücke und Musiktheaterprojekte
lich einmal wieder auszugehen. Mitten in die Szenerie platzt    ein. Das Programm, das ursprünglich für März 2020 geplant
plötzlich ein ebenso ungebetener wie ungehobelter Besu-         war, dann aber dem ersten Corona-Lockdown zum Opfer
cher: Es ist der Gutbesitzer Smirnov (Oliver Boyd, Bariton),    fiel, eröffnet der DSO-Chefdirigent mit einem Instrumen-
ein Gläubiger des verstorbenen Gemahls, der mit Nach-           talstück: der Tanzfolge von Julian Andersons ›Khorovod‹.
druck, aber ziemlich erfolglos eine unbezahlte Haferrech-
nung einzutreiben versucht. Zwischen Popova und Smirnov         CHRISTOPH EVERSMEYER
entbrennt ein heftiger Streit samt wüster Beschimpfungen.
Der ebenso erboste wie amourös entflammte Futterliefe-
rant fordert seine Schuldnerin schließlich zum Duell, nicht                                          Konzertkalender S. 27
11/12 2021 DSO-Nachrichten Konzertprogramm mit Zeitbezug - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Jacquot / Capuçon    19

Fr 5.11.   Marie Jacquot

Zukunftshoffnung,
süffig instrumentiert
Sich mit Hilfe von Musik an den eigenen Haaren aus dem
Sumpf ziehen – das versuchen die Komponisten dieses
Konzerts unter Leitung von Marie Jacquot. Mit einer Or-
chestersuite aus Francis Poulencs Ballett ›Les animaux
modèles‹ widmet sich die junge französische Dirigentin
einem Werk, das in ihrer Heimat zuletzt einige Auffüh-
rungen erlebte, in Deutschland aber weithin unbekannt
ist. »Weshalb wir diese köstliche Musik nicht öfter hören,
ist ein Rätsel«, schrieb vor einigen Jahren der englische
Musikkritiker Jeremy Nicholas in der Zeitschrift ›Gramo-
phone‹ und mutmaßte sarkastisch: »Zuviele gute Melo-
dien, vermutlich.«

Tatsächlich ist diese Musik melodienselig und süffig
instrumentiert, ohne dabei heute noch unter Populis-
mus-Verdacht zu geraten. Denn es war zweifellos große
Kunst, solche Melodien »in den dunkelsten Tagen des
Sommers 1940 zu komponieren«. Mit diesen Worten
erinnerte Poulenc sich später an die fieberhafte Schaf-
fenszeit in jenen Monaten, als die deutsche Besatzung
Frankreichs im Zweiten Weltkrieg begann. »Ich versuch-
te damals, einen Anlass zur Zukunftshoffnung für mein
Land zu finden.« Entsprechend bediente sich Poulenc bei
literarischen Stoffen, die für die nachfolgende Generation
gedacht waren: bei den Geschichten von Jean de La Fon-
taine, dem großen französischen Nationaldichter aus der
Epoche Ludwigs XIV. De La Fontaines anschauliche Fa-
beln von großen und vor allem von kleinen Tieren, die sich
20                                                                                                Jacquot / Capuçon     21

                                                               nach Stalins Tod einsetzte. Schostakowitsch knüpft stilis-
                                                               tisch an die Sturm-und-Drang-Zeit seiner frühen Jahre an
                                                               und nimmt auch die solitäre Stellung des Solo-Cellos nicht
                                                               so genau – verknüpft er die Partie doch mit einem eben-
                                                               so solistisch geführten Horn aus dem Orchester. Solist des
                                                               Konzerts mit dem DSO ist Gautier Capuçon. Er tritt in die
                                                               Fußstapfen des jungen Mstislaw Rostropowitsch, der bei
                                                               der Uraufführung des Konzerts 32 Jahre alt war. Dem le-
                                                               gendären russischen Cellisten – den mit Berlin nicht wenig
                                                               verbindet und der mehrfach beim DSO gastierte → S. 22 –
                                                               widmete der Komponist einst sein Konzert.

                                                               Ballett für die Ewigkeit
                                                               Acht Aschenbrödel-Ballette entstanden im Verlauf des
                                                               19. Jahrhunderts – und acht verwies das Märchenballett
Gautier Capuçon                                                ›Cinderella‹ aus dem Jahr 1945 für vermutlich alle Zeiten in
                                                               die Archive. Dabei komponierte Sergei Prokofjew ›Cinde-
gegen ihre feindliche Umwelt behaupten, ersetzten im fran-     rella‹ unter schwierigsten Bedingungen – wurde doch das
zösischen Schulunterricht in den Jahrhunderten nach ihrer      Leningrader Kirow-Theater, wo das Werk herauskommen
Entstehung die langatmigen lateinischen Heldengeschich-        sollte, bereits 1941 aufgrund des herannahenden Krieges ge-
ten des Sprach- und Rhetorikunterrichts. Entsprechend be-      schlossen. Die Umstände von Weltkrieg und Diktatur konn-
gegnen wir in Poulencs Ballett ›Les animaux modèles‹ unter     ten auch diesen Komponisten nicht daran hindern, eines der
anderem einem verliebten Löwen und zwei Kampfhähnen.           bekanntesten Stücke des Ballettrepertoires zu schaffen.
Deren Ballettnummer unterlegte Poulenc 1940 mit einem          Die Suite aus ›Cinderella‹, die am 5. November erklingt, hat
französischen Kriegslied – was in der Uraufführung im Au-      Marie Jacquot zusammengestellt. Nach ihrem erfolgreichen
gust 1942 ein gewisses Risiko darstellte, schließlich saßen    ›Debüt im Deutschlandfunk Kultur‹ vor drei Jahren und zwei
im Theater in Paris etliche NS-Funktionäre.                    aufgrund der Pandemie abgesagten Konzerten kehrt die
                                                               französische Dirigentin nun endlich in einem Abo-Konzert
Musikalischer Aufbruchsgeist                                   und einem Kinderkonzert → S. 24 ans Pult des DSO zurück.
Zuversicht in schwierigen Zeiten verschaffte sich auch
Dmitri Schostakowitsch – allein durchs Komponieren neuer       MATTHIAS NÖTHER
Stücke. 1959 war das Konzert für Violoncello und Orchester
Nr. 1 das erste von insgesamt vier Werken, mit denen er sei-
nen noch aus der Stalin-Ära herrührenden lethargisch-de-
pressiven Zustand überwand. Man meint förmlich die Ent-
krampfung zu hören, die in der sowjetischen Musikszene                                              Konzertkalender S. 26
Rostropowitsch   23

11.10.1966   Mstislaw Rostropowitsch beim DSO

            Das Konzert am 11. Oktober 1966 muss eine
              ziemliche Sensation gewesen sein. »Der Bei-
              fall«, resümierte ›Der Kurier‹, »nahm zum guten
              Ende des Konzerts tumultöse Formen an«, und
             die Morgenpost pries das Musizieren des Solis-
          ten als »das Schönste und Vollkommenste, was die
Welt heute bieten kann«. Mstislaw Rostropowitsch hieß der
Cellist, der hier an der Seite des DSO (damals RSO) und un-
ter der Stabführung von Lukas Foss im Großen Sendesaal
im Haus des Rundfunks gefeiert wurde: für die Aufführung
des gerade entdeckten C-Dur-Cellokonzerts von Haydn –
mit Kadenzen von Benjamin Britten – und die Deutsche
Erstaufführung des ihm gewidmeten Zweiten Cellokonzerts
von Schostakowitsch. Nach dem Konzert hinterließ er dem
Orchester die nebenstehend abgebildete Widmung in den
Autogrammbüchern des DSO-Musikers Heinrich Köhler.

Im April 1985 kam Rostropowitsch dann ohne Instrument
und dirigierte die Vierten Symphonien von Beethoven und
Schostakowitsch. Bei den Jubiläumskonzerten zum 40. Ge-
burtstag des RIAS sorgte er am 5. Mai 1986 als Cellist in
Strauss’ ›Don Quixote‹ für Furore und dirigierte wenige Tage
später an der Seite von Anne-Sophie Mutter Brahms’ Violin-
konzert und Auszüge aus Prokofjews ›Romeo und Julia‹. Am
20. Mai 1999 leitete er beim DSO schließlich die Urauffüh-
rung der ›Seligpreisungen‹, die ihm sein Schüler Alexander
Knaifel gewidmet hatte. Sie sahen neben dem Dirigat für
den bewunderten Lehrer auch noch Klavier- und Cellopar-
tien vor – eine Verbeugung vor dem Ausnahmekünstler.
24                                                                                                            Kinderkonzerte        25

So 7.11. / So 28.11.     rbbKultur-Kinderkonzerte                   und die Schuhe, damit sie auch sie auf den Ball des Prinzen
                                                                    gehen kann. Und der tanzt sogar mit ihr. Doch dann muss
                                                                    Cinderella Hals über Kopf fliehen. Ob der Prinz sie wieder-
Märchenhafter                                                       findet? Darum geht es am 7. November im 88. rbbKultur-
                                                                    Kinderkonzert. Das DSO leitet die französische Dirigentin
Neustart                                                            Marie Jacquot. Sie hat aus der Ballettmusik von Prokofjew
                                                                    die schönsten Stücke ausgewählt. Und es gibt sogar ein Bal-
                                                                    lett: Lea Hladka tanzt mit einem Partner besondere Momente
                       Nach fast zwei Jahren Pandemiepause          aus ›Cinderella‹.
                         starten die rbbKultur-Kinderkonzerte
                           mit dem DSO wieder durch. Gleich         Die Märchenoper ›Hänsel und Gretel‹ steht immer vor Weih-
                            zwei Märchen mit Musik gibt es im       nachten auf den Spielplänen der Musiktheater. Am 28. No-
                             November zu hören: ›Cinderella‹ mit    vember bringt das Blechbläserquintett
                             der Ballettmusik von Sergei Prokof-    des DSO eine ganze besondere
                             jew und, in einer Fassung für Blech-   Fassung mit Auszügen aus die-
                             bläserquintett, ›Hänsel und Gretel‹    ser Oper auf die Bühne – mit
                            von Engelbert Humperdinck.              Trompeten, Horn, Posau-
                                                                    ne und Tuba. Christian
                      »Rucke di guh, rucke di guh! Blut ist im      Schruff erzählt Euch
                    Schuh. Der Schuh ist zu klein, Die rech-        beide Märchen zur
                 te Braut sitzt noch daheim!« Das rufen die         Musik für Kinder ab 6
           Tauben dem Prinzen zu, der überall nach der schö-        Jahren. Und er hat in
nen Prinzessin sucht, mit der er auf dem großen Ball getanzt        jedem Konzert Über-
hatte. Mitten im Walzer war sie weggelaufen, und der Prinz          raschungen parat.
wusste nicht, wohin. Sie hatte aber einen Schuh verloren,           Da im November das
und nun sucht der Prinz im ganzen Land nach seiner Besit-           ›Open House‹ leider
zerin. Das ist Aschenputtel, wie sie im Märchen der Brüder          noch nicht stattfinden
Grimm heißt. In Russland heißt sie Soluschka, in Italien Ce-        kann, stellen wir Euch vor
nerentola, in Frankreich Cendrillon und englisch Cinderella.        dem Konzert verschiedene             Di
Auch die Märchen unterscheiden sich in jedem Land. Immer            Orchesterinstrumente auf der           eD
                                                                                                              irig
aber ist die Heldin ein Mädchen, dessen Mutter stirbt und           Bühne vor. Alle Infos findet Ihr un-           enti
                                                                                                                        n Marie Jacquot
dessen Vater wieder heiratet. So bekommt Cinderella eine            ter → dso-berlin.de/ kinderkonzerte
Stiefmutter und zwei Stiefschwestern. Und die behandeln sie
schlecht, lassen sie nur die Drecksarbeit machen. Natürlich         CHRISTIAN SCHRUFF
dürfen nur die bösen Stiefschwestern auf den Ball gehen.
Doch eine gute Fee gibt Cinderella ein wunderschönes Kleid                                               Konzertkalender S. 26 / 27
26                                                                                          Konzertkalender   27

     November
                                                         Fr 19.11., Sa 20.11. / 20 Uhr / Philharmonie
                                                         Jubiläumskonzerte ›75 Jahre DSO‹
                                                         Vaughan Williams Fantasie über ein Thema
                                                         von Thomas Tallis
     Fr 5.11. / 20 Uhr / Philharmonie                    Benjamin ›Sudden Time‹
     Poulenc Auszüge aus der Suite                       Dvořák Scherzo capriccioso für Orchester – mit
     ›Les animaux modèles‹                               Jazz-Improvisationen für Klavier und Violoncello
     Schostakowitsch Violoncellokonzert Nr. 1 Es-Dur     Chausson ›Poème‹ für Violine und Orchester
     Prokofjew Suite aus dem Ballett ›Cinderella‹,       Strauss ›Don Juan‹
     zusammengestellt von Marie Jacquot                  ROBIN TICCIATI
     MARIE JACQUOT                                       Lisa Batiashvili – Violine
     Gautier Capuçon – Violoncello                       Rolf Zielke – Klavier
                                                         Stephan Braun – Violoncello
     So 7.11. / 12 Uhr / Haus des Rundfunks
     Kinderkonzert ›Das Orchester erzählt ein Märchen‹   So 28.11. / 12 Uhr / Haus des Rundfunks
     Prokofjew Suite aus dem Ballett ›Cinderella‹,       Kinderkonzert ›Die Blechbläser knuspern‹
     zusammengestellt von Marie Jacquot                  Humperdinck Auszüge aus ›Hänsel und Gretel‹
     MARIE JACQUOT                                       BLECHBLÄSERQUINTETT DES DSO
     Christian Schruff – Moderation                      Christian Schruff – Moderation

     Fr 12.11., Sa 13.11. / 20 Uhr / Philharmonie        So 28.11. / 20 Uhr / Kühlhaus Berlin
     Anderson ›The Crazed Moon‹                          Ensemblekonzert der Orchesterakademie
     Beethoven Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur                Anderson ›Khorovod‹ für 15 Instrumente
     Rachmaninoff Symphonie Nr. 3 a-Moll                 Walton ›The Bear‹ – Extravaganza in einem Akt
     ROBIN TICCIATI                                      (szenische Aufführung)
     Mitsuko Uchida – Klavier                            ROBIN TICCIATI
                                                         Gesangsstudent*innen der Hochschule für Musik
     So 14.11. / 17 Uhr / Villa Elisabeth                Hanns Eisler Berlin
     Kammerkonzert                                       Mitglieder des DSO
     Originalwerke und Bearbeitungen für Nonett von      Akademist*innen des DSO
     Brahms, Foerster und Hába                           Andrea Tortosa Baquero – Regie
     ENSEMBLE DES DSO
28                                                                                      Konzertkalender   29

     Dezember
                                                         So 19.12. / 20 Uhr / Philharmonie
                                                         ›Neues vom Tage‹
                                                         Das Programm mit tagesaktuellem Bezug wird
                                                         kurzfristig bekannt gegeben.
     So 5.12. / 20 Uhr / Philharmonie                    ROBIN TICCIATI
     Elgar Violoncellokonzert e-Moll                     Pekka Kuusisto – Violine
     Barber Symphonie Nr. 1
     Ravel ›Daphnis et Chloé‹ – Suite Nr. 2
                                                         Mo 20.12. / 20.30 Uhr / Philharmonie
     MARIN ALSOP
                                                         Casual Concert ›Neues vom Tage‹
     Sheku Kanneh-Mason – Violoncello
                                                         Das Programm mit tagesaktuellem Bezug wird
                                                         kurzfristig bekannt gegeben.
     Fr 10.12. / 22 Uhr / Pergamonmuseum                 ROBIN TICCIATI
     Kammerkonzert ›Notturno‹
     Originalkompositionen und Bearbeitungen von
                                                         Fr 31.12. / 15 + 19 Uhr / Tempodrom
     Bott, Britten, Debussy, Händel, Harrison, Marais,
                                                         Silvesterkonzerte
     Meyer und Ortiz
                                                         Das Programm wird im Dezember bekannt gegeben
     ENSEMBLE DES DSO
                                                         JAMES GAFFIGAN
                                                         Jess Gillam – Saxophon
     So 12.12. / 20 Uhr / Philharmonie
                                                         Artist*innen des Circus Roncalli
     ›Debüt im Deutschlandfunk Kultur‹

                                                         Januar
     Mussorgsky Vorspiel zur Oper ›Chowanschtschina‹
     Mendelssohn Bartholdy Violinkonzert e-Moll
     Desenclos ›Incantation, thrène et danse‹ für
     Trompete und Orchester
     Hindemith Konzertmusik für Streichorchester und     Sa 1.1. / 18 Uhr / Tempodrom
     Blechbläser ›Bostoner Symphonie‹                    Neujahrskonzert
     RUTH REINHARDT                                      Das Programm wird im Dezember bekannt gegeben
     Diana Adamyan – Violine                             JAMES GAFFIGAN
     Selina Ott – Trompete                               Jess Gillam – Saxophon
                                                         Artist*innen des Circus Roncalli
Kammerkonzerte       31

                                                                  So 14.11.   Kammermusik in der Villa Elisabeth

                                                                  Nonette für Bläserquintett und vier Streicher präsentiert
                                                                  das Kammerkonzert am 14. November, prominent besetzt
                                                                  mit überwiegend Orchestersolist*innen des DSO. Von Alois
                                                                  Hába, dem tschechischen Schreker-Schüler, Avantgardis-
                                                                  ten und Mikrointervall-Apologeten, ist das Vierte Nonett
                                                                  von 1964, von dessen Landsmann Josef Bohuslav Foerster
                                                                  eines von 1931 zu hören. Johannes Brahms’ Erste Orchester-
                                                                  serenade, die 1859 zunächst in einer heute verlorenen No-
                                                                  nettfassung erklang, kehrt in der Bearbeitung von Matthias
                                                                  Pflaum wieder in ihrer ursprünglichen Besetzung zurück.

                                                                  Fr 10.12.   ›Notturno‹ im Pergamonmuseum

                                                                  Die Reihe ›Notturno‹, die
                                                                  das DSO gemeinsam mit
                                                                  der Stiftung Preußischer
                                                                  Kulturbesitz veranstal-
                                                                  tet, ist nach wie vor ein
                                                                  Publikumsmagnet. Das
                                                                  erste Konzert der zwölf-
                                                                  ten Saison findet am 10.
                                                                  Dezember im Pergamon-
                                                                  museum statt. Vor der
                                                                  Fassade des Wüstenpa-
                                                                  lastes von Mschatta er-         Detail der Mschatta-Fassade
         Der Perfekte Ein- oder Ausklang                          kundet ein Ensemble aus
                                                                  Musikern des DSO mit Gästen an Vibraphon, Theorbe und
 ist 3 Minuten von der Philharmonie Entfernt.                     Oud unter dem Titel ›Metamorphosen zwischen Orient und
                                                                  Okzident‹ Originalwerke und Bearbeitungen von Britten,
                                                                  Debussy, Händel, Marais, Ortiz u. a. und setzt sich auch im-
                                                                  provisatorisch mit deren Musik auseinander.

    QIU Lounge im the Mandala Hotel am Potsdamer Platz                                             Konzertkalender S. 26 / 28
Potsdamer Strasse 3 | Berlin | 030 / 59 00 5 00 00 | www.qiu.de
32                                                             Silvester und Neujahr   33

Fr 31.12. / Sa 1.1.   James Gaffigan

Comeback
in der Manege
Mit dem neuen Jahr nahen auch die zauberhaften Silves-
ter- und Neujahrskonzerte des DSO im Tempodrom mit
den Artistinnen und Artisten des Circus Roncalli. Nach
dem ersten, pandemiebedingten Ausfall in der inzwischen
über 15-jährigen Erfolgsgeschichte trifft zum kommenden
Jahreswechsel endlich wieder musikalisches Zauberwerk
auf Weltklasse-Akrobatinnen und -Unterhaltungskünst-
ler. Unter der Leitung von James Gaffigan – seit Septem-
ber Chefdirigent des Orquestra de la Comunitat Valencia-
na –, der nach zehn Jahren wieder am Pult des DSO steht,
sorgen die Musikerinnen und Musiker für kurzweilige mu-
sikalische Unterhaltung auf höchstem Niveau.

Als Solistin ist erstmalig Jess Gillam dabei, die mit ihrem
Saxophon und viel frischem Wind durch die Konzertsäle der
Welt wirbelt. Seit dem Anstoß ihrer steilen Karriere im Jahr
2016 spielt sie sich regelmäßig bei den BBC Proms in die
Herzen des Publikums und schoss mit ihren beiden Alben
auf Platz 1 der UK Classical Charts. Spannungsreiche Klas-
siker und populäre Klänge, atemberaubende Kunststücke,
magische Showeinlagen und humorvolle Clownereien las-
sen den Jahreswechsel wieder zu einem sprühenden Feuer-
werk für Augen und Ohren werden. Manege frei!

Konzertkalender S. 29
Neues vom Tage      35

So 19.12. / Mo 20.12.   Robin Ticciati

›Neues vom
Tage‹
        Die Krise als Chance – für das DSO ist das
         mehr als eine Plattitüde. Flexibilität, Wi-
         derstandsfähigkeit und Kreativität, die das
        Orchester seit 75 Jahren als Reaktion auf
    existenzielle Herausforderungen auszeichnen,
haben sich in den Coronajahren wieder einmal als
tonangebende Eigenschaften erwiesen. Aus der
Not eine Tugend machen, aus dem engen Korsett
strenger Regeln ungeahnte Freiheiten gewinnen,
das Genie des Augenblicks nicht nur kurz aufblitzen
lassen, sondern für die eigene Fortentwicklung nut-
zen – dies sind einige der Lehren, die Robin Ticciati
und das Deutsche-Symphonie-Orchester Berlin
aus der Pandemie gezogen haben. Was in den ver-
gangenen eineinhalb Jahren an innovativen Radio-
konzerten, Filmproduktionen und Outreach-Pro-
jekten entstand, wäre in dieser Dichte, Komplexität
und Verschiedenheit niemals zustande gekommen,
hätte man all diese Ideen mit dem üblichen Vorlauf
von etwa zwei Jahren planen wollen.

Die ungewohnte Erfahrung, binnen Tagen ein Kon-
zertprogramm auf die Beine stellen zu müssen und
zu können, hat sich für das DSO als veritabler In-
novations- und Kreativmotor erwiesen. Mit dem
Konzertformat ›Neues vom Tage‹ bekommt dieser
seine eigene Spielwiese, auf der das Orchester und
36                                                                                                                           Impressum             37

sein Künstlerischer Leiter kurzfristig auf aktuelle Themen
reagieren wollen. »In gewisser Weise kehren wir damit aber
auch an die Wurzeln unserer Kunstform, in die Wiener Klas-
                                                                     Momente eines Livekonzerts
sik, zurück«, erzählt Ticciati, »als beispielsweise Mozart erst
in der Kutsche zum Konzertsaal sein Klavierkonzert vollen-           Entdecke unseren neuen
dete, oder er seine Kompositionen ganz kurzfristig an die zur        Instagram-Filter und teile
Verfügung stehende Besetzung anpasste.«                              deine ganz persönlichen
                                                                     Konzerteindrücke.
Musik am Puls der Zeit
Nur wenige Tage vor Weihnachten, am 19. Dezember, diri-              Verlinke @dsoberlin, und
giert Robin Ticciati das erste Konzert der neuen Reihe. Das          wir teilen deinen Post in
Programm wird erst wenige Tage vorher zusammengestellt               unserer Story.
und veröffentlicht. Es wird sich mit dem aktuellen Zeitge-
schehen beschäftigen, mit einem Thema, das die Menschen
ganz akut bewegt, das relevant ist, und zu dem die Musik
etwas beizutragen hat. Mit dem furchtlosen Finnen Pekka           Impressum
Kuusisto hat Ticciati den perfekten Violin-Partner dafür ge-      Deutsches Symphonie-Orchester Berlin                   Das Deutsche
                                                                  Interim-Management                                     Symphonie-Orchester
funden. Der denkt nicht in Schubladen und lebt seine vie-
                                                                  Benjamin Dries (V. i. S. d. P.), Thomas Schmidt-Ott    Berlin ist ein Ensemble
len Talente lustvoll aus – er geigt und dirigiert, komponiert,    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit                      der Rundfunk
konzipiert und improvisiert, bewegt sich mühelos zwischen         Daniel Knaack, Anna Nolte                              Orchester und Chöre
Bach und zeitgenössischer Musik, Folklore, Jazz und elek-         Redaktion Maximilian Rauscher, Benjamin Dries          GmbH Berlin.
tronischen Klängen, und scheut keine Experimente.                 Redaktionelle Mitarbeit Daniel Knaack,
                                                                  Anna Nolte                                             Geschäftsführer
                                                                  Marketing Tim Bartholomäus                             Anselm Rose
Casual Concert am 20.12.                                          Art- und Fotodirektion Stan Hema                       Gesellschafter
Teile des kreativen Spontanprogramms stehen auch auf dem          Layout und Satz peick kommunikationsdesign             Deutschlandradio,
Spielzettel des Casual Concert tags darauf, bei dem Robin         Redaktionsschluss 14.10.2021,                          Bundesrepublik
                                                                  Änderungen vorbehalten                                 Deutschland,
Ticciati ein weiteres Mal in die Rolle des Musikvermittlers
                                                                  © Deutsches Symphonie-Orchester Berlin 2021            Land Berlin, Rundfunk
schlüpft und die Werke des Abends kenntnisreich und un-                                                                  Berlin-Brandenburg
terhaltsam vorstellt, live mit dem Orchester Hörbeispiele         Abbildungen / Fotos
gibt und schließlich das Programm im Zusammenhang er-             Jörg Brüggemann / Ostkreuz (S. 1, 12), Adriane White (S. 4), Jake Turney
klingen lässt. Karten gibt es wie gewohnt zum günstigen           (S. 8), janis – stock.adobe.com (S. 10), André Josselin (S. 15), Janine Escher
Einheitspreis, die Platzwahl ist frei und der Dresscode ist       (S. 16), Werner Kmetitsch (S. 18, 25), Fabien Monthubert / Erato Warner
                                                                  Classics (S. 20), Archiv DSO (S. 23, 38), Dorothee Mahnkopf (Grafik
wie immer »casual«.
                                                                  S. 24), bpk / Museum für Islamische Kunst, SMB / Johannes Kramer (S. 31),
                                                                  Roncalli (S. 33), Felix Broede (S. 34), Meyerson ricostudios (S. 40), Anton
                                                                  Fedorov / The Gate Agency for BYHMC (S. 43), Justin Pumfrey (S. 44),
Konzertkalender S. 29                                             Marco Borggreve (S. 46), Stadtgeschichtliches Museum Spandau (S. 48)
38                                                                                           Baalbek und Athen    39

August 1963   Baalbek und Athen                            Zeit für Ausflüge nach Beirut oder Damaskus ließ, dem
                                                           Orchester aber ein enormes Repertoire abverlangte. Den

Antike Kulissen
                                                           Auftakt vor den Stufen des gewaltigen Bacchus-Tempels
                                                           schlug Dmitri Chorafas mit Tschaikowskys ›Romeo und
                                                           Julia‹, Beethovens ›Eroica‹ und dem Ersten Klavierkon-
                                                           zert von Liszt, das José Iturbi interpretierte. Im zweiten
        Seit 1956 findet im Libanon – mit bürgerkriegs-    Konzert (Bild) dirigierte Wolfgang Sawallisch Strauss’
         bedingten Unterbrechungen – in den monu-          ›Don Juan‹, Mozarts ›Jupiter‹-Symphonie und die Vierte
         mentalen Ruinen der römischen Tempelanla-         von Brahms. Zudem lieferte das Orchester die Musik zu
         gen das Baalbeck International Festival statt.    vier Abenden mit insgesamt sechs Balletten – darunter
        Auf einer seiner ersten großen Tourneen ins        Strawinskys ›Le sacre du printemps‹ – und dem Ensem-
       Ausland machte das DSO vom 14. bis zum 24.          ble des Théâtre Royal de la Monnaie aus Brüssel unter
                       August 1963 dort Station. Der                     der Leitung des legendären Choreographen
                           Blick in den Reiseplan ent-                        Maurice Béjart.
                               hüllt ein dicht gepacktes
                                  Programm, das zwar                              Direkt nach dem letzten Auftritt
                                                                                   ging es dann frühmorgens nach
                                                                                   Athen, wo im römischen Hero-
                                                                                   des-Atticus-Odeon schon das
                                                                                   nächste Konzert folgte, unter
                                                                                    anderem mit Beethovens Fünf-
                                                                                    tem Klavierkonzert und der So-
                                                                                    listin Gina Bachauer. Nach zwei
                                                                                    weiteren Ballettabenden ende-
                                                                                     te das mediterrane Gastspiel
                                                                                     mit Strauss’ ›Till Eulenspie-
                                                                                      gel‹, Tschaikowskys Fünfter
                                                                                      und Opernarien mit der Mez-
                                                                                      zosopranistin Grace Bumbry.
                                                                                       Zwei Tage später spielte das
                                                                                       Orchester schon wieder auf
                                                                                       der Berliner Funkausstellung.
                                                                                       Geprobt hatte man in Athen.
Debüt    41

                                                              den Weg auf die Solopodien, im vergangenen Jahr gewann
                                                              sie zudem den Chatschaturjan-Wettbewerb, der pandemie-
                                                              bedingt nur per Livestream stattfinden konnte.

                                                              Auch die Österreicherin Selina Ott hat 2018 die Musikwelt
                                                              im Sturm erobert, als sie mit 20 Jahren als erste Frau über-
                                                              haupt den Internationalen Musikwettbewerb der ARD im
                                                              Fach Trompete gewann. Nach ihrem Studium in Karlsruhe
                                                              und Wien veröffentlichte sie 2020 ihre Debüt-CD mit dem
                                                              Radio-Symphonieorchester Wien. Diese enthält neben Kon-
                                                              zerten von Arutiunian und Peskin auch das Werk, mit dem
                                                              sie sich in Berlin vorstellt: ›Incantation, thrène et Danse‹,
So 12.12.   Ruth Reinhardt                                    ein bunt schillerndes Bravourstück von Alfred Desenclos.

Debüt auf großer                                              Ruth Reinhardt (Bild) gestaltet den programmatischen
                                                              Rahmen mit dem Vorspiel zu Modest Mussorgskys unvoll-

Bühne
                                                              endeter Oper ›Chowanschtschina‹ und Paul Hindemiths
                                                              Konzertmusik für Streichorchester und Blechbläser, die er
                                                              1930 zum 50. Geburtstag des Boston Symphony Orchest-
                                                              ra schrieb. Den USA ist die 1988 in Saarbrücken geboren
Auch nach 62 Jahren wird das Konzept nie langweilig: Jun-     Dirigentin, die zu den interessantesten Nachwuchskräf-
ge, spannende Künstlerpersönlichkeiten, die gerade erste      ten ihrer Zunft gehört, selbst eng verbunden. Nach ei-
Wettbewerbe gewonnen und mit einer eigenen Stimme             nem Geigen- und Dirigierstudium in Zürich erwarb Rein-
auf sich aufmerksam gemacht haben, sind bei ›Debüt im         hardt einen Master in Dirigieren bei Alan Gilbert an der
Deutschlandfunk Kultur‹ eingeladen, gleich ganz oben ein-     Juilliard School in New York. Sie war Stipendiatin beim
zusteigen – an der Seite des DSO, auf der großen Bühne der    Seattle Symphony Orchestra, beim Tanglewood Music
Philharmonie und vor noch größerem (Radio-)Publikum. Das      Center und bei Marin Alsops ›Taki Concordia‹-Programm
Konzert am 12. Dezember sollte ursprünglich im Juni 2020      → S. 5, später Dudamel-Fellow des Los Angeles Philhar-
stattfinden – nun wird es endlich nachgeholt.                 monic und zwei Jahre lang Assistant Conductor beim Dal-
                                                              las Symphony Orchestra. Neben der Zusammenarbeit mit
Mit Felix Mendelssohn Bartholdys wunderbarem Violinkon-       zahlreichen US-Orchestern steht sie mehr und mehr auch in
zert stellt sich die armenische Geigerin Diana Adamyan dem    Europa am Pult – und gibt am 12. Dezember ein Debüt beim
Berliner Publikum vor. 2000 in eine Musikerfamilie hinein-    DSO, auf das man überaus gespannt sein darf.
geboren, begann sie ihre Ausbildung in Jerewan und studiert
seit Oktober 2018 bei Ana Chumachenco in München. Der
Erste Preis beim Menuhin-Wettbewerb 2018 eröffnete ihr                                              Konzertkalender S. 28
42                                                                                                          Babyn Jar    43

Rückblick     Gedenkkonzert

Tal der Tränen
Konzert am 6. Oktober in Kyjiw zum Gedenken
an die Opfer von Babyn Jar

Babyn Jar, die »Altweiberschlucht« vor den Toren der Stadt
Kyjiw, wurde in nur 36 Stunden am 29. und 30. Septem-
ber 1941 zum Schauplatz des größten Einzelmassakers
des Zweiten Weltkriegs. Das SS-Sonderkommando 4a,
Wehrmachtssoldaten und Angehörige von Polizeieinheiten
zwangen an jenen Tagen 33.771 Jüdinnen und Juden, sich zu
versammeln, Geld und Dokumente abzugeben, sich zu ent-
kleiden, in das tiefe Tal hinabzusteigen, sich mit dem Gesicht
auf die Erde oder auf die Menschen unter ihnen zu legen,         Heute ist Babyn Jar ein Park inmitten der ukrainischen
und sie erschossen sie, ohne Unterbrechung im Akkord, im         Hauptstadt, und auf den ersten Blick erinnert nichts an die
Schichtbetrieb. Frauen, Kinder, Babys und Alte waren es          Geschehnisse vor 80 Jahren. Neben Einzeldenkmälern, die
zum überwiegenden Teil. Bis zum Ende des Krieges sollten         seit der Unabhängigkeit des Landes errichtet wurden, wird
insgesamt wenigstens 100.000 Menschen in der unwirtli-           hier ab 2016 der Aufbau der größten Gedenkstätte Europas
chen Senke grausam hingerichtet werden.                          vorangetrieben. Auf Einladung des ›Babyn Yar Holocaust
                                                                 Memorial Center‹ und mit Unterstützung des Auswärtigen
Als die deutschen Truppen 1943 von der Roten Armee zu-           Amtes spielte das DSO am 6. Oktober zur offiziellen Gedenk-
rückgedrängt wurden, nötigten sie Zwangsarbeiter, die            veranstaltung. Unter der Leitung von Thomas Sanderling
Leichen zu exhumieren, sie aufeinanderzuschichten und            und mit Beteiligung von Bassbariton Albert Dohmen sowie
zu verbrennen. Sie zerstreuten die Asche in alle Winde und       der Herren des Kiev Municipal Chamber Choir brachte das
zermalmten selbst noch die Knochenreste, um Spuren ihrer         Orchester vor rund 500 geladenen Ehrengästen, zu denen
Gräueltaten zu beseitigen. Nach dem Krieg wollte auch die        auch die Präsidenten der Ukraine, von Israel und Deutsch-
sowjetische Staatsführung nichts von den Opfern wissen,          land zählten, Schostakowitschs Dreizehnte, die sogenannte
vielmehr wurde der Versuch unternommen, die Schlucht mit         ›Babi Jar‹-Symphonie, zur Aufführung. Das Konzert wurde
Schlamm zu füllen. Er missglückte gewaltig: Die errichteten      von der Deutschen Welle live bei YouTube übertragen und
Dämme brachen, und der in Wohnviertel flutende Schlick           von Deutschlandfunk Kultur am selben Abend ausgestrahlt.
forderte weitere 1.500 Menschenleben. Auch dieses Ver-           Beide Sendungen sind noch bis zum 6. November über den
brechen versuchte man zu vertuschen.                             DSO PLAYER abrufbar: → dso-berlin.de/player
Ticciati / Uchida   45

Fr 12.11. / Sa 13.11.   Robin Ticciati

Mit tiefem
Gefühl
        Im 19. Jahrhundert durfte man vom Konzertpubli-
         kum durchaus Sitzfleisch erwarten, doch ein vier-
         stündiges Programm musste auch die wohlwoll-
        endsten Kritiker verstimmen. »Da haben wir denn
     auch in der bittersten Kälte von halb sieben bis halb
elf ausgehalten und die Erfahrung bewährt gefunden, dass
man auch des Guten – und mehr noch, des Starken – leicht
zu viel haben kann«, berichtete der Komponist und Autor
Johann Friedrich Reichardt von einem Konzert, das Bee-
thoven am 22. Dezember 1808 in Wien veranstaltet hatte.
Auf dem Programm standen – neben einer Konzertarie,
einer Solofantasie und Auszügen aus der C-Dur-Messe –
Uraufführungen der Fünften und Sechsten Symphonie, der
Chorfantasie und des Vierten Klavierkonzerts. Dessen »Ad-
agio, ein Meistersatz von schönem, durchgeführtem Gesan-
ge, sang er wahrhaft auf seinem Instrumente mit tiefem,
melancholischem Gefühl, das auch mich dabei durchström-
te«, schwärmte der Rezensent dann doch.

Das größte Konzert
Bis heute gehört Beethovens G-Dur-Konzert, das so lyrisch
und zart mit dem Klavier allein beginnt, und das wie kein
anderes zuvor die Symphonie und das »concertare« zu ei-
nem wunderbaren Ganzen verschmilzt, zum geliebten Kern
des Repertoires. Ein Blick in die Orchestergeschichte för-
dert Namen wie Walter Gieseking, Wilhelm Backhaus, Cla-
ra Haskil, Claudio Arrau, Annie Fischer, Van Cliburn, Rudolf
46                                                                                                   Ticciati / Uchida   47

                                                               Mysterium, das nicht erst seit der Romantik den künstle-
                                                               rischen Blick auf unseren Erdtrabanten umflorte, nimmt
                                                               bei ihm eine düstere Wendung. Inspiration war ihm, wie er
                                                               schreibt, ein Gedicht von W.B. Yeats, »in dem er eine be-
                                                               ängstigende Vision des ›Mondes, der durch viele Geburten
                                                               verrückt geworden ist / und durch den Himmel taumelt‹ be-
                                                               schreibt. Dieses Bild in Verbindung mit der wunderschönen
                                                               Mondfinsternis, die im März 1996 zu beobachten war« bil-
                                                               dete den Ausgangspunkt seiner Himmelsbetrachtung.

                                                               Abseits der Moderne
                                                               Mit Sergei Rachmaninoffs Dritter Symphonie widmet sich
                                                               Ticciati nach der Pause dann einem Werk, das mehr noch als
                                                               die 2018 von ihm dirigierte Zweite im Schatten der enorm
                                                               populären Klavierkonzerte steht. Die vernichtende Kritik an
                                                               seiner Ersten Symphonie hatte den Komponisten 1897 in
Buchbinder, Vladimir Ashkenazy, Nelson Freire, Lars Vogt       eine tiefe Schaffenskrise gestürzt, auch der Erfolg der Zwei-
oder Martin Helmchen zutage, die »Beethovens vielleicht        ten 1908 konnte seine Selbstzweifel nicht lindern. Nach der
größtes Klavierkonzert« (Robert Schumann) seit 1950 beim       »ungnädigen« Aufnahme der Dritten 1936 in Philadelphia
DSO interpretierten. Am 12. und 13. November gesellt sich      notierte er verbittert: »Immer schmerzhafter wird mir der
Mitsuko Uchida zu ihnen. Beethoven ist für sie, neben Bach,    Gedanke zur Gewissheit: von mir […] wird es keine weitere
Mozart und Schubert, einer ihrer »vier Heiligen«. Mit Mo-      Symphonie mehr geben. Persönlich bin ich fest überzeugt,
zarts Klaviersonaten begann die Weltkarriere der in Japan      dass dieses Werk gut ist. Aber manchmal können auch Kom-
geborenen Musikerin, die ab ihrem 12. Lebensjahr in Wien       ponisten irren!« Und manchmal hilft einfach nur die histo-
studierte und seit den Siebzigerjahren in London lebt. Heute   rische Distanz. Im Umfeld von Jazz und der musikalischen
gehört Dame Mitsuko Uchida zu den größten Pianist*innen        Moderne mag sie wie ein spätromantisches Relikt gewirkt
der Gegenwart. Dass ihr Repertoire viel mehr als nur die       haben, doch mit ihrem Klangfarbenreichtum und dem nos-
»Heiligen« umfasst, hat sie nicht nur bei ihrem gefeierten,    talgischen, im Herzen der russischen Musiktradition ver-
späten DSO-Debüt im April 2019 mit Ravels G-Dur-Konzert        bundenen Gestus ist die Dritte heute unbedingt wieder eine
bewiesen. Auf ihre Rückkehr zum Orchester darf man also        Entdeckung wert.
überaus gespannt sein.
                                                               MAXIMILIAN RAUSCHER
Mondmusik
Dem klaviersymphonischen Kraftzentrum des Abends baut
Robin Ticciati einen kontrastreichen Rahmen, angefangen
mit Julian Andersons ›Crazed Moon‹. Das sehnsuchtsvolle                                              Konzertkalender S. 26
Kammermusik   49

                                                             der gewaltigen Renaissancefestung. Unter dem Titel ›Die
                                                             Posaunen von Jericho‹ präsentiert am 29. Oktober zum
                                                             Auftakt im Archäologischen Fenster der Zitadelle ein Po-
                                                             saunenensemble Werke von Mendelssohn Bartholdy und
                                                             Bruckner sowie traditionelle Volksweisen im Kontext der jü-
                                                             dischen Geschichte Spandaus, verbunden mit der Film- und
                                                             Live-Performance ›No Mad‹, die der DSO-Posaunist Tomer
                                                             Maschkowski und der Bewegungskünstler Oren Lazovski
                                                             im Gotischen Saal gestalten.

                                                             Am 1. Dezember geht es mit Streichtrio, Oboe und der Tän-
                                                             zerin Anna Rose in der Ausstellung ›Enthüllt – Berlin und
                                                             seine Denkmäler‹ auf eine bewegte Reise durch die Stadtge-
                                                             schichte, bei der steinerne Zeugen der Vergangenheit durch
Konzertreihe   Ensembles des DSO                             tänzerische Umarmung zu neuem Leben erwachen. Ein
                                                             Gesprächskonzert mit gemischtem Quintett und Habakuk
                                                             Traber befasst sich am 15. Januar im Gotischen Saal mit dem
Forte Kultur –                                               Barock und seinen Folgen in der Musikgeschichte. Mit Don-
                                                             ner, Blitz und Lichtarrangements entstehen am 20. Februar
Kammermusik in der                                           vor den Kanonen der Exerzierhalle ganz neue Klangwelten
                                                             zwischen Schlagzeug, Perkussion und Marimbaphon. Im
Zitadelle Spandau                                            März lädt ein Quartett-Programm zu musikalischen Bild-
                                                             betrachtungen ins Zentrum für Aktuelle Kunst, bevor im
                                                             Mai ein Wandelkonzert mit Blechbläsern und elektronischer
Seit vier Jahrzehnten ist Kammermusik ein fester Bestand-    Musik, das die unbekannten Ecken der alten Festung auch
teil im Programm des DSO. Seine Mitglieder, die sonst im     unter freiem Himmel erkundet, die erste Saison der neuen
großen Orchester aufgehen, können hier eigene Akzente        Reihe beschließt. Sie verspricht spannende und erkenntnis-
setzen, unbekanntes Terrain erkunden und neue Konzert-       reiche Konzerterlebnisse.
formate ausprobieren. In der Saison 2021 / 2022 erweitern
die Musikerinnen und Musiker das Angebot um die Reihe        Weitere Informationen zu Programmen, Besetzungen und
›Forte Kultur‹, die zu kammermusikalischen Begegnungen       Kartenbuchung unter → dso-berlin.de/fortekultur
in der Zitadelle Spandau einlädt, von den Ensembles selbst
konzipiert und vom Kulturamt Spandau veranstaltet wird.      ›Forte Kultur‹ ist eine Veranstaltung des
In sechs Konzerten verbinden sie hier Musik mit anderen
performativen Ausdrucksformen, erkunden historische Zu-      mit Unterstützung der
sammenhänge und bespielen auf kreative Weise die Räume       Senatsverwaltung für Kultur und Europa
Blog   51

Online    Jubiläumsblog

Orchestergeschichte
zum Nachlesen
           Wir freuen uns, Ihnen in den DSO-Nachrich-
            ten immer wieder spannende Einblicke in die
            Orchestergeschichte geben zu dürfen. Wenn
            Sie Spaß an unseren historischen Exkursionen
           haben und mehr darüber lesen möchten, laden
         wir Sie herzlich ein, unseren neuen Blog ›75 Jahre
DSO‹ zu erkunden. Dort finden Sie Woche für Woche neue
Beiträge rund um Geschichten, Menschen und Fundstücke
aus siebeneinhalb Jahrzenten Orchesterhistorie.

Blättern Sie mit uns in den Autogrammbänden, die der Cel-
list Heinrich Köhler für das Orchester geführt und dabei
von unzähligen großen Künstlerinnen und Künstler, die von
Anfang an den Weg des DSO begleitet haben, persönliche,
herzliche und bisweilen auch humorvolle Widmungen erhal-
ten hat. Stöbern Sie mit uns im Archiv, begleiten Sie uns auf
Tourneen in alle Welt, lesen Sie die Geschichten, die sich
hinter einzelnen Bildern verbergen, oder sehen Sie sich an,
wie sich die Programmhefte und Plakate in einem Dreivier-
teljahrhundert verändert haben. Unsere Beiträge werfen
Schlaglichter auf große Komponisten, bedeutende Dirigen-
ten und herausragende Solistinnen, auf ungewöhnliche Pro-
gramme, die von Anfang an durch Entdeckerfreude gekenn-
zeichnet waren, auf ein breites Tonträgerangebot, das die
musikalische Neugierde des DSO dokumentiert und vieles
mehr. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Lesen!
                                                                → dso-berlin.de/blog
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