Abu Brahma, Buddha, Jesus, Obelix, Tarzan und die Baumgeister - Mythomanisch grüngolden säuselnde Menschheitsmärchen.
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fotonachweis Ulrich Holbein Abu Brahma, Buddha, Jesus, Obelix, Tarzan und die Baumgeister Mythomanisch grüngolden säuselnde Menschheitsmärchen. 76 Hagia Chora 37/38 | 2012
f o k u s ma (ein Vorfahr von Abraham), der gutgebaute Onan, der unra- Ulrich Holbein, vermutlich Dryade, jedenfalls sierte Esau oder der damals noch ziemlich grünschäbelige und bartlose Methusalem zwischen Kameldorn und Sandviperskelett, k a u z i g e r L i t e r a t a u s d e n d i c h t b e w a l d e t e n oder Kabil, nicht ohne Kainsmal, verfolgt vom Geist des unsen- siblen Habil, zusätzlich malträtiert von Entitäten à la Sabazi- B e r g e n d e s K n ü l l w a l d s, b e e h r t H a g i a C h o r a us, Jiva, Jaganmata, Nahema, Naama, Namrael, Vasuki, Ophion, Kundalini, Kadru, Ninhursag, Samael, und Mittagshitze kitzelte m i t e i n e r We l t - u n d R e l i g i o n s g e s c h i c h t e d e r ihre Augenlider, und reuevoll schluchzten sie auf. In jeder fol- genden Generation jaulten wieder welche auf und sehnten sich B a u m g e i s t e r. unauslöschlich und unstillbar zurück, in schwachen Stunden und verheimlichten Momenten und Minuten. Immer süßer und öfter W ie der Baum von Babel gefällt wurde: – Tausend Jah- träumten manche, und manchmal alle, von fortschrumpfenden re vor Eva und Adam lebte in einem vorirakischen, Traumoasen und Traumblasen, die sich an wachsende Wüsten vorgnostischen, vorbiblischen, fast vormesopota- klammerten. Immer berückender tasteten geträumte Mondgeister mischen Dschungelgarten ein gutaussehendes Traumpärchen durchs Blattgefieder grüngolden schimmernden Lebensbaums in namens Chawwa und Adapa alias: Awa und Adama bzw. Ava ungeschorener uferloser Mutter-Oase. und Ada, so oder so: beide wunderbar nackt, drumrum alles hell und schön. Halb aufgeschälte Bananen flogen einem von selber -- ? ? ?-- in die unbehaarte Mundöffnung; alle Leute, Tiere, Blumen und Pflanzengeister hatten zauberhaften Sex miteinander. Kaum aber Wie sich Wüstensöhne ins grüne Paradies zurücksehnten: – In schob Chawwa ihrem lieben Adapa die Dattel der Erkenntnis zwi- anderen Textbruchstücken hieß es alsbald, Adapa bzw. sogar schen die Lippen, begann dieser, analphabetische Piktogramme Jahi, ihr eigener Sohn, ein heruntergekommener Protzgott (spä- in die herrliche Rinde zu ritzen, und der Feigenbaum des Lebens, ter verballhornt zu Jachwe), hätte die Isis Multimammia, seine der urmütterliche Yonibaum, botanischer gesagt: nicht etwa der eigene Urmama und Gebärmutti gewaltsam „gehackt“ (verge- gemeine Feigenbaum, sondern der hindustanische Banyanbaum, waltigt!?) (was spätere Umweltschützer lieber mit „verschandelt“ Ficus bengalensis, auf deutsch: Würgefeige, der älteste Welt- und übersetzten) und habe sich so das prähistorische FKK-Paradies Lebensbaum von Babel, die baumförmige Nabelschnur und ein- auf ewig verscherzt. Immerhin, Fata Morgana hungerte den ver- zige lebendige Brücke zwischen Erde und Himmel, Eden und Ely- fluchten Gott und dessen hartgesottenes Volk nicht völlig aus: sium, zuckte ein wenig zusammen. Dryaden schrien leise auf; aus In die wachsenden Wüsten sprengte sie stellenweise Mini-Zitate dem Baum brach, statt waldhonigfarbener flüssiger Bernstein- aus Paradiesgrün ein, sogenannte Oasen, voll mit Zisternen und tränen oder Gummimilch, blutrotes Menschenblut! Und schon Dattelpalmen, und setzte Chawwa- und Adapa-Varianten hinein, schwebte über den lichtflecküberrieselten Wonnen eine einzige Eva und Adam, deren Weltenbaum sich ziemlich verkürzte, kaum sittliche Aufforderung, eigentlich leicht zu erfüllen: „Fällen dürft noch in den transzendenten Himmel wuchs und also die Kir- ihr allerlei Bäume in diesem Wald, aber den Baum von Babel, den che im botanischen Dorf ließ, und deren Aufgabe, den Baum müßt ihr stehnlassen! Sonst werdet ihr des Todes sterben!“ Alle nicht abzuholzen, sich irreal ermäßigte zum Verbot, Obst zu es- hielten sich dran, zumal der Baum von Babel als unfällbar galt. sen. Denn das Götterknäuel, das zeitweise auf den Namen „Elo- Wozu dann aber das Verbot? Im träumenden Adapa aber arbeite- him“ hörte, wollte alles selber essen; halt ein prähistorischer Res- te es. Holzfällen war hierzulande ganz unbekannt. Holzäxte lie- sourcenstreit. Elefanten, die alles Grüne überweideten, stampften ßen sich im Waldesdunkel kaum herstellen, Steine für Steinäxte alsbald durch Wüstenstaub; fast erübrigten sich Engel mit Flam- im Moosgeflecht kaum freilegen. Hartholz drang in kaum weni- menschwert. Anthropologisch gesprochen: Kaum wurden Tiere ger hartes Holz kaum ein. Kurz und ungut: Irgendwann gelang es Menschen, setzten sie sich Tiermasken auf. Kaum schmolz im Adapa, den Weltbaum zu fällen. So koppelte er sich, samt Welt, Lauf der Menschwerdung das Fell des Homo sapiens hinweg, zu- von seiner Urmutter ab, die zeitweise „Banjana“ hieß, zeitweise gunsten nackter Affen, wurden Feigenblatt, Löwenfell und Ge- „Maja“, zeitweise „Fata Morgana“. Adapa hatte Flora, die zeit- sichtsschleier nötig. Abu Brahma trug als Milchkind grellrote weise Pomona hieß, sehr wehgetan. Die fallende Weltesche riß Blättermasken, gegen Sonnenbrand und Pockendämonen. kleinere Bäume mit sich. Wurzeln grabschten im Sand herum. Wolkenlose, regenfreie Regionen gebaren brennende Mytho- Plötzlich saßen Chawwa und Adapa, statt im säuselnden Viel- logeme, wettergegerbt maskuline Gotteswut. Wolken- und nebel- strom-Paradiesgarten, in erodiertem Brachland. Nirgendwo nette verhangene Regionen produzierten Religionen vom entfernten, Baumseelen, dafür aber rauhkörnige Sandsturmgeister namens unbekannten Gott, der nur blitzweise durch Wolkenwände Samum, vor denen man sich – wie vor bösem Blick – mit Schlei- bricht und als ewiges Licht kurz ein vorübergehendes Jammer- ern schützte, 2000 vor Muhammad. Medizinmänner auf Borneo tal begießt. Geschenküberladene, immer schlaffere Kamelbuckel gingen verschleiert wie zoroastrische und ägyptische Priesterkö- schmolzen auf dem Weg von Restgrün zu Schrumpfinsel, Abu nige der 18. Dynastie. Und alles voll dubiöser Wüstendämonen Brahma und Methusalem immer vornweg, viel Sand in der San- namens Nahuscha, Nehuschtan, Nachon, Kamosch, Kakodaimon, dale, Dornen im Zeh, Balken im Auge, viel Schweiß auf männlich Beelzebub, Baal, Jahwe, Balifat, Balisat, Hubal, Allah und viele fliehenden Stirnen, rüstig ausschreitend, doch nirgendwo weit andere. und breit die anvisierte, erlösend näherrückende, ultimative Oase. Die Wüste wuchs. Die hartherzig mit Geboten und Strafen Denn siehe, die Wüste war sehr groß. Außer einmal, da spielten drangsalierten, hart bestraften, wettergegerbten Vorväter heu- und schwappten und glühten über einer Mauer grüngolden die tiger Israeli und Palästinenser schleppten sich durch hitzeflim- schönsten Palmwipfel, Blütenwolken, herübermurmelnde Quel- mernden Wüstenstaub. Sandwüsten, Staubwüsten, Steinwüsten, len, Vogelgetschilp, da aber löste sich alles flimmernd im Wüsten- Trockenwüsten, Todeszonen hatten es eilig, auf Bauerwartungs- licht auf, man saß durstig zwischen Felskehlen, Gesteinsabschup- land, Betonwüste und Kulturwüste hinauszulaufen, verfrühter als pungen und Wüstenrinde, und alles war nur ein Stück Epithelium nötig, Flächenfraß im öffentlichen Interesse. Oft saßen Abu Brah- schönster Fata Morgana gewesen, versprengt aufglimmende, von Hagia Chora 37/38 | 2012 77
Hitzedelirium grundierte Visionen. Religiös begabte Wüstensöh- deiner leiblichen Versorgung mit lebenswichtigen Vitaminen … ne wie Kusch, Jaakov, Henoch, König Nimrod oder auch Abu jetzt weigert sich sogar der Schatten der Fächerpalme, den Kopf- Brahma träumten von lichtumflossenen Himmelsleitern, die den schmerz Christi zu kühlen … Bananen fallen vor Schreck runter, Götterbaum mühselig rekonstruieren oder ersetzen sollten, und wenn du nahst … unsere Dornen und Stacheln verlängern sich statt den Baum von Babel nochmal zu setzen, zu hegen und zu unbewusst … nicht dass du an einen toten Baum gehängt wirst … gießen, bauten sie den Turm von Babel. Gärtner wurden Maurer. welch Freveltat, fruchttragende Bäume grausam verdorren zu las- Statt Gartenbaukunst – Baukunst. Kein „Zurück zur Natur“ kam sen … auch wenn’s nur symbolisch gemeint war …“ in Sicht. Kein lebendig himmelstürmerisch sich rankender Baum Falls damalige Baumgeister Termini wie „symbolisch“ und „Vi- wuchs in den Himmel, sondern ein vorchristlicher Wolkenkratzer, tamine“ draufhatten! Wüstensohn Jesus outete sich als gefühls- dank staubtrockner Maurerskunst, Lehmziegel auf Lehmziegel, arm vorauseilende Asphaltpflanze, identifiziert mit dem Angreifer Stein auf Stein, wuchs seinem Einsturz entgegen, wie hochschie- Wüste, und schlug der raunenden Urmutter das liebevoll gerei- ßende Raketen ihrem Absturz. Wandervölker, kaum aufgestie- chte Füllhorn und saftreiche Proviantpaket samt Blütenschmuck gen in die kahlen Hochplateaus aufgenötigten Monotheismusses, aggressiv aus der zartgegliederten Hand, Jesus als mutierter oder tanzten bei erstbester Gelegenheit immer gleich wieder um Gol- auch sublimierter Erysichthon, aber ohne dessen männlich ver- dene Kälber. Und die wenigen Welteschen wurden auch noch schwitzte Achselhöhlen – Jesus als aggressiver Zauberer, als ma- fortgeholzt. Mytho-Unhold Erysichthon erneuerte die mesopo- gischer Schreibtischtäter. Wie unökologisch, Lahme und Leichen tamische Vergewaltigung der Großen Mutter, indem er brachial wieder laufen zu lassen, aber lebendige Schweine in Abgründe ein steinaltes Baumheiligtum fällte; geschildert in Ovidius Nasos zu hetzen und Obstbäume kaputtzuhexen! Und schon nahte der „Metamorphosen“. Wüste wuchs. karmische Rückstoß in Gestalt der ewigen Vollzugsbeamten und schleppte den Pflanzenverflucher zur Schädelstätte. Der die grü- -- ? ? ?-- ne Welt der ewigen Mutter beleidigt hatte, bekam – statt diony- sisches Weinlaub oder Vorschusslorbeer – zur Strafe eine Dor- Buddha & Jesus und der Feigenbaum: – Padmasambhava, Pars- nenkrone aufgesetzt und wurde lebendig und durstig an totes vanatha, Mankaliputta Gosala, Mahavira und Buddha, nachdem Holz genagelt, mit Nägeln des Eisernen Zeitalters, fortgeweht die sie 5 × 34 Inkarnationen als Baumgeister durchgemacht hat- Laubmaske des geopferten Adonis, Attis, Osiris, Tammuz, Mel- ten, mussten schwitzen und laufen, denn ein passender Erleuch- chisedek oder Mithras, lichtjahrfern hindustanischer religiöser tungsbaum stand keinesfalls Baum an Baum, und keine 30 Meter. Feigenbäume. Statt unter indischem Bodhi-Baum zu erwachen, Nur punktuell, unter günstigem Planetenstand, saß ein poten- schloß er die Augen an indianischem Marterpfahl und teilte als zieller Erleuchtungsträger unterm lebendig raschelnden Bodhi- verdorrter Sohn das Los des wegen ihm verdorrten Fruchtbaums, Baum, Ficus religiosis, streichelte dessen Luftwurzeln, träumte neuzeitlicher gesagt: emotional verkümmert. Alles verwunderli- vom Lumbini-Hain und vom Rosenapfelbäumchen seiner Kind- cherweise nach dem Ritus altgermanischer Jurispudenz: Lang be- heit, und die Paradiesschlange kam als Kobrakönigin Muktalinda, vor Germanien missioniert und mosaisch infiltriert wurde, wurde einer Abgesandten der Großen Mutter Maja bzw. Fata Morgana, in heiligen Hainen jedem, der Äste abbrach, etwas anatomisch herbeigeschlängelt und reichte ihm die hochprozentige Frucht der Analoges abgebrochen. Und wer Rinde abschälte, wurde abge- Erkenntnis ohne allen Freßneid, ohne wahnhafte Sündenbockzu- schält, Baum um Baum und Ast um Ast. weisung. Damals raunten noch keine Baumgeister aus Bäumen, Das alles schlug seltsam zurück auf die Pflanzenwelt im Gar- sondern 1800 v. Chr., aus dem Dornbusch des Moses, einer selbst- ten Gethsemane und auf die unteren Himmelsschichten. Engel, entzündlichen Gaspflanze oder Fraxinella (Dietamnus albus L.), kaum noch aus dem Himmel gestoßen, stürzten immer seltener ein männlicher Gott, und bei Eva und Adam, sowie 600 v. Chr. bei Bäumen entgegen, die kaum noch in den Himmel wuchsen. Dem Buddha, Schlangen -- ? -- Sündenfall der Engel folgte der Sündenfall der Pflanzen, die zu Der uralte Banyanbaum, unter dem fünftausend Krieger Ale- Stinkbäumen wurden, zu Brennesseln, vom Blindmull unterwühl- xanders des Großen Platz fanden, fing plötzlich an, zu raunen ten Taubnesseln, und machten sich als fleischfressende Blumen und übermenschliche Weisheit auszuspenden, warf nämlich dem unbeliebter als sanfte Osterlämmchen und Osterhasen in Wohl- Feldherrn Eroberungslust vor und prophezeite sein baldiges Ende, fühl-Oasen. Quellen strullerten und pieselten nur noch halb so wobei sich kaum die botanische Frage erhob, wie der Baum seine lieblich, in sichtlich nochmal halbierter Oase. Wüste wuchs. Hat- Sprechwerkzeuge eingespeichelt haben könnte. ten da vorn nicht bis vorhin noch Orchideen geblüht? Nur eini- Nebenan stand ein gelernter Holzfacharbeiter aus Bethlehem ge Trockenbüsche blieben stehn. Abgebrochene Dornenzweige im Garten Gethsemane, palmenumfächelt von warmer Nachtluft wuchsen sofort nach; wohl um all jene Kakteen zu rächen, die und dem sanften Schnarchton des kahlköpfigen Fischverarbeiters von Jachwe, wenn dieser durch die Wüste brauste, geköpft wor- Petrus, und erwies sich als wenig naturverbunden, floss keines- den waren. So dampfte und darbte die Südhalbkugel als geolo- wegs mystisch hinein ins pflanzliche Geraschel, taub und amu- gische Glatze, ausgeliefert Sonnenwind und Sonnenbrand. Von sisch und gefühlsblind für die Schlafgestalten der Blumenköpfe der Holzklotzanbetung bis zur Kruzifixproduktion – keine Reli- und die jammernden und drohenden Palm-, Busch- und Baum- gionsgeschichte ohne Kahlschlag. geister: „Dass du neulich – o weh – unseren Bruder, den heiligen Fei- -- ? ? ?-- genbaum … wie konnte er nur … einerseits vom lebendigen Gott reden … und dann den Baum des Lebens vernachlässigen … du Der monotheistische Vandalismus des Sankt Bonifax: – Nur die hast uns verflucht … wir haben dir … warum so unerleuchtet … ein Nordhalbkugel lag noch äonenlang flächendeckend im Sumpf- Schlag gegen die herz- bzw. feigenblattförmige Yoni der Maja … wald, viel zu dunkel, um sich für Holzaxtproduktion zu veraus- und das ganz ohne Axt … einfach nur durch ein Wort … ein Zau- gaben. Und Steine für Steinäxte fanden sich im Moosgeflecht berwort … bis heut haben wir uns nicht erholt … nicht nochmal kaum. Urtümliche Gestalten à la Conan, der Barbar, manch ein ausgetrieben … aber was hat dir der arme Feigenbaum getan, den nordischer Erysichthon, jagten Waldlöwen im Löwenwald und dir Fata Morgana darreichte, der dir kostenlos geschenkt ward zu schossen ständig daneben und kamen kaum durch, durch ent- 78 Hagia Chora 37/38 | 2012
f o k u s ulrich holbein Bei einem Waldgang mit Dr. Waldgong Bauer klagte ich: „Oh je, ich habe wurzelte Riesenfichten, Unterholz, Strunkwerk, Wurzelchaos, schon Symptome – ich sehe überall im Wald Frauen an den Bäumen her unberührt des Nachts von Sternlicht und Mondlicht, unbeschie- umhängen!“ Mein Therapeut belehrte mich: „Mein lieber Sohn, wisse, das nen des Tags von Sonnenlicht. Kein Lichttröpfchen tropfte auf sind keine Symptome. Im heiligen Hain ist das der Normalfall!“ den Waldboden durch. Man sah vor lauter Wald weder Bäume noch Himmelslicht. Urwaldriesen verfilzten sich ungekämmt in- Da legte er los, Sankt Bonifax: „Ach wirklich, du Trottel? Und einander, fast noch unaufdröselbarer als Rapunzelzöpfe oder warum hast du da eine Steinaxt in der Pfote? Ihr verehrt die als methusalemische Rübezahlbärte, worin Zaunkönige hüpften Dämonen nur hier, im scheinheiligen Hain. Und außerhalb und und brüteten, lang bevor es Könige und Zäune gab. Bevor Früh- drumherum?! Da holzt ihr gewaltig ab! Ich aber sage euch: Be- gotik anfing, fand Pflanzengotik statt, fotosynthetisch inspi- reits Gletschermensch Ötzi hat exzessiv Brandrodung betrieben! rierter Lichtdurst als religiöse Hinauf- und Hinwärtsbewegung, Falls ihr den kennt. Und ich sage euch: in wenigen Jahrhunderten immer schön aufwärts und hinan. Nur standen sich die gottes- wird eine dampfende Maschine ganz Europa retten, und ratet mal wütigen Bäume wie angewurzelt gegenseitig auf den Wurzeln wovor! Vor dem definitiven Kahlschlag, ihr Dussel!“ herum. Karl der Große fällte den Baum der Irminsul, die Säu- „Ach so …“, murmelte Obelix undeutlich und trottelte mit sei- le der Erde, Axis Mundi; Bengalenkönig Schaschanka machte ner Axt wieder an seine Arbeit. nebenan Buddhas tausendjährigen Bodhi-Baum nieder. Missi- „Wetten, dass eure Götzen euch nicht beschützen, wenn ich onsführer Sankt Ulphobertus bzw. Bonifax hätte beglückt, er- das Ding hier umhaue!?“ leuchtet durch unbegrenztes Paradies laufen können, wanderte Reigentanzende Baumfräulein, Moosmädels und Waldweib- stattdessen durch wegelose, brückenlose, mückenverseuchte lein, die nebenan in Hellas Dryaden und Nymphen hießen, Sumpfwälder, um flachsblonden Dumpfis vom Herrn Petrus was blitzten in goldgrüner Nacktheit auf und huschten von hinnen. zu erzählen, der einem Soldaten ein Ohr abhaute; denn das be- In einiger Höhe gabelten sich gewaltige Äste hinein in den Wald- eindruckte Obelix & Company – germanische Inkarnationen alt- Dom hochgelegener Luftwurzelsysteme. Den Stamm schmückten bekannter Esau-, Onan- und Lea-Visagen! – weit mehr als die Bänder, Kränze, Gedächtnistafeln, Denkzeichen erhörter Gelüb- Memme Jesus, die immer nur die andere Backe hinhielt. Auch de. Man fand eingeritzte Herzen, Embleme, Kürzel, ja sogar ver- Sankt Bonifax hatte was gegen die Bäume der Fata Morgana mit wachsene Hiebspuren, uralte Ansätze versunkener Holzfällerge- gar nicht so verkehrter Argumentation: „Ihr Obelixe! Ihr seht ja schlechter. Und Bonifax fällte 723 n. Chr. die schönste, älteste vor lauter Wald den Himmel und die Sterne nicht! Ich schen- Eiche, demonstrativ, mitten im heiligen Hain, unweit von Geis- ke euch erstmals einen freien Ausblick, heraus aus diesem grü- mar bei Fritzlar bei Wabern, hinter Homberg an der Efze. Nieder nen Plunder, der euch alles verbaut, hinaus auf eine kleine Lich- zur Erde musste der rauschende Wipfel! Doch leider beschützten tungs-Oase mitten in der rauschenden Wüste tiefverschatteten die zuständigen Baumgeister ihren Baum tatsächlich nicht – wa- Urwalds.“ rum eigentlich nicht? Bonifax hatte tückisch einen leicht be- „Aber die heiligen Baumgeister!“ sagte Obelix zum Dolmet- deckten Sonnentag gewählt, ohne jede Gewitterneigung, so dass scher. „Die da – da oben … Baumgeister … die verehren wir im- also Donar nicht im mindesten donnern konnte. Folglich war er mer so … weil die so …“ nun also ab sofort vom Ausländergott besiegt worden. Missi- Hagia Chora 37/38 | 2012 79
onar contra Eiche; feministische Mythologinnen interpretierten Spiritus ohnedies jederzeit als ziemlich anrüchige, allzu popu- das später dann wieder als Knechtung des weiblichen Prinzips. läre Derivate, Entitäten und Vulgärformen und Schwundformen Germanen und Christen fällten um die Wette Bäume, 2000 Jahre herum, so wenig ernstzunehmen wie Wattebart Sancta Claus ne- bevor der Terminus „Naturbeherrschung“ aufkeimte. Historicus ben ewigem Gottvater. Aufklärer widerlegten die Existenz von Tacitus zeigte sich schockiert von verödeten Landstrichen in Ger- Gespenstern genauso wie die von sämtlichen Göttern, von Oli- manien. Zimmermann Jesus mutierte zur Möbelindustrie. fant und Vitzliputzli bis Gott. Aber Erfinder und Wissenschaft- ler entdeckten exakt in dem Moment, als unsichtbare Dämonen -- ??? -- wissenschaftlich abgeschafft wurden, unter Lupe und Mikroskop jede Menge unsichtbarer, plötzlich sichtbar zu machender Auf- Global-Ernüchterung: schwere Zeiten für Baumgeister in Grünan- gusstierchen, Spermien, Bakterien, die praktisch genauso nervös lagen: – Auch die Nordhalbkugel wurde abgeschoren, abgefrüh- herumwimmelten wie vorher alles dämonische Gelichter und alle stückt, abgegrast. Fehlende Kettensägen und Vollernter hielten paracelsischen Elementarwesen. Entweder wurde die freigewor- die gesamteuropäische Abholzung kaum auf. Aus Bäumen wur- dene Nische bloß blitzschnell neu besetzt, oder infektiöse Dämo- den Pfahlbauten, Bauten, Möbel, Karren, Schiffe. Aus Buchen nen und Einbläser wurden einfach in Krankheitskeime umge- wurden Bücher, in denen immerhin manchmal zu lesen stand: tauft, Succubus in Streptokokkus. Der gute, alte apotropäische „Anno 1539, am 11. tage Aprilis war Dr. Martinus Luther in sei- Schleier, auch Abwehrschleier genannt, wurde zum Mundschutz nem Garten / vnd sahe die beume mit tieffen gedancken an / wie von Chirurgen und Zahnärzten. Und die prähistorische Tiermaske sie also schoen / vnd lieblich blueheten / knospeten und grue- mutierte zur modernen Gasmaske. Dschungel domestizierte sich neten / und verwunderte sich sehr darueber / und sprach / Gelobet zu englischen Gärten. Französische Gärten ernüchterten sich zu sey Gott der schoepfer / der aus todten verstorbenen Creaturen Golfplatz-Rasen. Blumenwiesen entfärbten sich zu Löwenzahn- / im Lentzen alles wieder lebendig machet.“ Auf Buchenholzba- wiesen, Rasen, Nutzfläche. Entwurzeltes Stadtleben versuchte, sis hätte Amerigo und Columbus weder Indien noch Kolumbien sich an wachsblumenartig entwurzelter Schnittblumen-Industrie noch Amerika entdecken können; Schiffahrt blieb von Anfang zu erbauen. Aus Heiligen Hainen wurden großstädtische Grün- an angewiesen auf die Gerbsäure im Eichenholz, die haltbare anlagen und Behindertenparkplätze. Grünanlagen entfärbten sich Konstruktionen erlaubte. Ohne Eichbäume kein Columbus, keine zu vollgepinkelten Grauanlagen, Stadtbegrünung zum Straßen- mittelalterliche Seefahrt, also keine Ausbreitung der Stubenflie- begleitgrau. Denn Straßen sind Lebensadern unserer Wirtschaft. ge durch die ganze Welt. Für ein Segelschiff wurden 2500 Eichen Bäume wurden zu Verkehrshindernissen, angepinkelt von Hund abgeholzt, für eine Werft noch x-mal mehr. Doch von den 2500 und Mann. Baumgeist und Pflanzenseele hatten für verwesende Baumgeistern, die pro Schiff obdachlos wurden, etablierten sich Holzverbraucher Sargbretter zu liefern. Waldbrände wurden zu- auf jedem Schiff nicht 2500 Klabautermänner, sondern bloß ein nehmend abhängig von Streichhölzern aus Holz, Holz contra Klabautermann, im Höchstfall. Seeleute lagen seekrank im Halb- Holz. Anfangs hatten Radio und Fernsehn hölzerne Gehäusever- schlaf und hörten Holzwurm, Ratten und Klabautermann im Holz schalungen. Die kaum noch säuselnde, kaum noch rauschende, knuspern. Baumgeist-Experten blieben die Erklärung schuldig, vermutlich leidende, unverdrossen austreibende Pflanzenseele wie das Schicksal von 2499 überall obdachlos herumhuschenden ergraute, staubte ein, erstickte in der Kübelpott-Krüppelkonife- Baumgeistern pro Segelschiff weiterging. ren-Ästhetik der Floristik-Center, wie sie bereits auf Dostojewskis Elfen, Gnome, Sylphen hatten keine Chance, es unangenehm Datschen trostlos grassierte. Friedrich Nietzsche krähte „Gott ist zu finden, dass sie ohne eine Überportion Anthropomorphismus tot!“ und „Die Wüste wächst!“ Walt Disney beteuerte: „Die Wüste nicht extrem plausibel in Erscheinung treten, und oft auch gar lebt!“ Salvation Army & Zeugen Jehovas beteuerten: „Jesus lebt!“ nicht, trotz Überdosis. Baumgeister teilten mit Gott das Schicksal Gartenarchitekten kamen runter zu Einkaufsstraßendekorateuren. allzu weitgehender Unsichtbarkeit. Aber ins strenge, später als Kontrollinstanzen wie Parkwächter und Schutzmänner hatten alle naturfeindlich verpönte Christentum schlichen sich kleine grüne Hände voll zu tun, nudistisch engagierte Dryaden im Stadtpark Inseln ein, und stille friedliche Waldkapellen, also heimliche Hei- und Nixen im Stadtteich vernünftiger Tätigkeit zuzuführen. Al- lige Haine, paradiesische Erinnerungszipfel, eingesprengt in den leebäume sorgten für täglich sechs Baumtote statt Autotote. Und grauen Stein gotischer Kathedralen, die fast schon die graue Be- ganze Wälder hatten sich widerspruchslos flachzulegen für Bibel- ton-Ästhetik späterer Jahrhunderte vorwegnahm, globale Versie- zitate à la „Gott häuft Leichen auf!“ und BILD-Zeitungsschlagzei- gelung, Zuasphaltierung, Verbunkerung, Verbauung, Bau-Boom. len à la „Nonne beißt Hund!“ Vernünftige Forstwirtschaft hütete Denn schon seit längerem kam nüchtern-pragmatische, Restwälder als Rohstoffquellen. Statt Baumgeist – pragmatischer entzauberungssüchtige Neuzeit herangerollt, und zwar seit Geist, Stangenholzplantagen, Fichtenmonokultur, militärisch in 600 v. Chr. Ein theoretischer Holzfäller, Empedokles’ Zeitgenos- Reih und Glied, erntbare Lebendmasse mit schrumpfender Rest- se Diogenes von Apollonia trat als Spielverderber und Aufklärer standzeit. Statt Baumseele – Seelsorger und Seelenklempner. auf und sprach den Pflanzen das Denken ab. Wie unspendabel! Sechs Wochentage lang randalierten Naturbeherrscher, um sonn- Wie unverzeihlich! In solch kaltherzig reduktionistischen, reali- tags die beherrschte Natur mit Naturverbundenheit zu belästigen. tätslastigen Theoremen röhrte von Anfang an die – sowieso un- Avalon schimmerte kaum noch durch. Wer Industrie, Verstädte- aufhaltsame – Baumsäge. rung, Zersiedelung dafür schuldig sprach, dass Zwerge, Gnome, Magier Prospero zerbrach auf windgeistumstürmter Insel frei- Nymphen sich nicht mehr zeigten, übersah, dass auch Tiere vor willig seinen Zauberstab. Der hochbetagte Faust II. tat es ihm technischen Welten nicht zurückschrecken und dass Elfen und nach und entfernte alle Magie von seinem Pfad. Die Anatomie Feen sich auch in guten, alten heimeligen Zeiten seit jeher nicht der Engel erzeigte sich nicht mehr mit Darwin vereinbar; denn jedem zeigten. Andere Erklärungsmodelle wurden erwogen: El- Flügel enthüllten sich jetzt als umgebildete Vorderbeine; Engel fen starben nur deshalb aus, weil keiner mehr im Wald onaniert, konnten laut Evolutionstheorie keinesfalls Flügel und Arme zu- sichtlich eine plausiblere Vermutung als die Technik-These. Au- gleich tragen, sowenig wie Moses Hörner tragen durfte, trotz al- ßerdem tendierten nicht nur fromme Mütterchen zum Elfenglau- ler ikonographischer Gegenbeweise. Schlossgeist und Poltergeist ben, eher Philosophen und Strafsenatsvorsitzende, und dies nicht westen und wirkten und webten neben dem gloriosen Sanctus nur in Irland und Finnland. 80 Hagia Chora 37/38 | 2012
f o k u s sir joseph noel paton Elfenwälder zu Shakespeares Zeiten: Die Hochzeit von Oberon und Titania -- ??? -- aus dem „Sommernachtstraum“. Gemälde von Sir Joseph Noel Paton: „Stu dy for The Quarrel of Oberon and Titania“, 1849. Wie grüne Fee & Green Man am längeren Hebel sitzen: – Das ver- lorene und wiedergefundene Paradies verschärfte sich zu einem Umtost von globaler Holzwirtschaft, sah Humanist Johann nie dagewesenen Paradies. Die traumhafte, immer schärfer wer- Gottfried Herder die Pflanze auf dem Weg zu ihrer Humanisie- dende Erinnerung daran ließ sich weder plattwalzen noch aus- rung. Der überaus beseelte Pflanzenphilosoph Gustav Theodor rupfen. Je mehr der grüngoldene Baum des Lebens neben grauer Fechner ward vom Seelenleuchten der Blumen ergriffen. Selbst Theorie im Grau in Grau nüchtern infizierter und imprägnierter relativ trockene Systematiker und Rubrizierer wie Carl von Lin- Welt verblasste, desto spärlicher und farbintensiver grünten be- né hauchten der Pflanze ein Empfindungleben ein. Hochsensi- drohte Lichtblicke. Je motorisierter, entseelter, zombiehafter, ble Dichter wie Hölderlin (abgeleitet von Holunderbusch) sangen TÜV-kompatibler, säurefester, streusalzresistenter, abgashärter sympathetisch: „Wie gern würd ich zum Eichbaum.“ Zuspätro- die Immanenz of modern world vorwärtsknatterte, desto glü- mantiker wie Ludwig Tieck, Joseph von Eichendorff und Robert hender schimmerten schönere Zeiten samt raunender Holunder- Schumann schwärmten von über mir rauschender, schöner Wald mütter und Eschengeister durch den Smog der Ballungszentren. einsamkeit, so als wollten sie den Deutschen deren Vorfreude Paradiesische Erinnerungszipfel, Idyllen und Spitzweg-Garten- auf das anrollende Industriezeitalter prophylaktisch vermiesen. lauben überboten den lapidaren Paradiesmythos an sentimen- Student Anselmus hörte Serpentia-Weisheit aus einem Holun- talisch aufglimmender Tränenseligkeit. Urgermanischer, paga- derbusch an der Elbe in Dresden wispern. Bruno Wille wurde ein nischer, heidnischer Löwenzahn und Wegerich brachen durch die Wacholderbaum zum Bodhibaum. Bächtold-Stäublis wunderbar Risse im katholischen Straßenbelag. Resistentes Avalon meldete uferloses „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ blühte sich und überrollte, seltsam verändert, die artfremden Intermezzi auf und stellte Thomas von Aquins hartherzige „Summa theolo- Jerusalem und Jericho mit Karneval, Osterspaziergang, zweitem gica“ optimal in den Schatten, und siehe, Volksglauben vermoch- und drittem Frühling, verspäteter Früh- und Spätromantik, mit te Reicheres … + „Le Sacre du Printemps“ und Greenpeace. Tao Yuanming (365–427) dichtete: „Die Bäume scheinen mich Mehr Lesevergnügen von Ulrich Holbein: Narratorium, Ammann Verlag • Ulrich zu kennen und untereinander zu flüstern.“ Tang-Dynastie-Poeten Holbeins Weltverschönerung, Zweitausendeins • Bitte umblättern! Einhundertelf züchteten Chrysanthemen und liebten Blumenelfen inniger als ihr Appetithäppchen, Elfenbein • Dies Meer hat keine Ufer: Klassische Sufi-Mystik: Leben. John Milton schilderte in seinem „Lost Paradise“ den Pa- Sufi-Weisheiten, marixverlag radiesbaum als Banyanbaum. Barthold Heinrich Brockes besang Krokusse schier inniger als deren Schöpfer. Jean-Jacques Rous- Ulrich Holbein studierte in Kassel Malerei und wurde als seau genoß eine buddhaartige Erleuchtung unter einem Chaus- Schriftsteller durch seine Kolumnen in der „Zeit“, der Frank- seebaum. Johnny Appleseed, Apfelbauer (1774–1845), von US- furter Allgemeinen oder der Süddeutschen Zeitung bekannt. Umweltschützern als Pionier-Ökologe und Naturheiliger gefeiert, 2011 wurde Ulrich Holbein mit dem „Kasseler Literaturpreis lebte zeitweise in einem Platanenstumpf. für grotesken Humor“ ausgezeichnet. Hagia Chora 37/38 | 2012 81
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