ROGER SCHMIDT DAS BUCH EINES TRAINERS - Verlag Die Werkstatt

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ROGER SCHMIDT DAS BUCH EINES TRAINERS - Verlag Die Werkstatt
ROGER
                     Jörn Wolf

SCHMIDT
                      mit

DAS BUCH EINES TRAINERS
ROGER SCHMIDT DAS BUCH EINES TRAINERS - Verlag Die Werkstatt
ROGER SCHMIDT DAS BUCH EINES TRAINERS - Verlag Die Werkstatt
ROGER
  SCHMIDT
DAS BUCH EINES TRAINERS
      MIT JÖRN WOLF

    VERLAG DIE WERKSTATT
ROGER SCHMIDT DAS BUCH EINES TRAINERS - Verlag Die Werkstatt
ROGER SCHMIDT
Roger Schmidt hat nach seinem Abitur und seiner Zeit bei der Bundeswehr eine Ausbil-
dung zum Werkzeugmechaniker abgeschlossen. Um sich sein Maschinenbau-Studium
(Schwerpunkt Kunststofftechnik) zu finanzieren, spielte er beim TuS Paderborn-Neu-
haus. Anschließend arbeitete er acht Jahre als Ingenieur bei der Firma Benteler.
  Parallel dazu trainierte er den Verbandsligisten Delbrücker SC (Meister und Auf-
stieg). 2007 wurde er von Marco de Angelis überredet, den SC Preußen Münster
(Meister und Aufstieg) zu übernehmen. Der erste Schritt zum Profitrainer – entgegen
der eigentlichen Planungen. Hauptberuflich als Trainer zu arbeiten, war bis dahin nie
ein Gedankenspiel.
  2011 machte Roger Schmidt seinen Fußballlehrerschein.
  Dann wurde er Cheftrainer beim SC Paderborn, ehe er Red Bull Salzburg (2012 bis
2014, Meister und Pokalsieger), Bayer Leverkusen (2014 bis 2017, dreimal in Folge für
die Champions League qualifiziert) sowie Beijing Guoan (2017 bis 2019, zweimal für
die asiatische Champions League qualifiziert und Pokalsieger) betreute. Ab dem 1. Juli
2020 arbeitet Roger Schmidt für den niederländischen Topklub PSV Eindhoven.

                                           JÖRN WOLF
Jörn Wolf arbeitete als Journalist für die Hamburger Morgenpost sowie das Hamburger
Abendblatt. Von 2002 bis November 2016 war er Mediendirektor des Hamburger SV.
Seit Januar 2017 ist Wolf als persönlicher Assistent an der Seite von Roger Schmidt.

Abbildungsnachweis
Imago: Cover, 2/3, 12 (u.), 27, 47, 57, 67, 151, 168.
privat: 6, 8, 12 (o.), 13, 14, 15, 16, 17, 23, 25, 28, 30, 31, 35, 36, 37, 38, 42, 54, 59, 63, 68, 73, 86, 90,
102, 104, 123, 124, 132, 154, 158, 166, 172, 175, 179, 184, 187, 188, 189, 190, 191.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Siekerwall 21, 33602 Bielefeld
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Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, Göttingen
Druck und Bindung: Graphisches Centrum Cuno, Calbe

ISBN 978-3-7307-0494-3
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Inhalt
Vorwort I                                                  6
Vorwort II                                                 8
Erste Kontaktaufnahme und Vertragsunterzeichnung          10

Das Abenteuer China beginnt                               12
  Alles, was passiert ist, ist passiert,
  weil andere Menschen an mich geglaubt haben             17
  Auch der Trainer muss in Topform sein                   26
  Distanz bei Misserfolg                                  33
  Spieler müssen permanent gefordert werden!              42
  Befreie dich von Erfolgs- und Ergebnisdruck!            55

Nach dem Rausch                                          58
  Spieler holen, denen man vertraut                       64
  Erst harte Arbeit, dann guter Fußball                   74
  Bist du einer - oder bist du keiner?                    83

Die Mammutaufgabe: sieben Wochen Trainingslager          85
  So viel Zeit und Nähe wie möglich mit der Mannschaft    91
  Vor Datenflut schützen                                  98

Zurück in China                                          103
  Nicht zu viel Lob                                      110
  Unterstützung von Spielern ist keine Einbahnstraße     117
  Rotation? Immer die bestmögliche Aufstellung           125
  Entscheide erst, wenn du wirklich entscheiden musst    133
  Die Spieltags-Kabine ist kein Aufenthaltsraum          141
  Emotional bei Führung, ruhig bei Rückstand             148
  Das Spiel muss sich im Vergleich
  zum Training leicht anfühlen                           158
  Trainer, keine Marke                                   168
  Festgeschriebene Ablösesumme für Trainer               185

Das dritte Jahr. Oder die letzten sieben Monate          187
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                                 Vorwort I

    Wir haben probiert, es ein bisschen anders zu machen. Dies sollte kein Lehr-
    buch sein voll mit Trainingsübungen. Und keine Biografie. Wir wollen am Bei-
    spiel von Roger Schmidt aufzeigen, womit sich ein Fußballtrainer Tag für Tag
    wirklich auseinandersetzen muss.
       Was ein Trainer den ganzen Tag macht. Mit welchen Themen er sich immer
    wieder – egal, wo er arbeitet – konfrontiert sieht. Wie er seinen eigenen Stil
    findet, die viel zitierte Handschrift des Trainers. Wie er Training, Mann-
    schaftsbesprechungen und Matchpläne vorbereitet. Wann und wie er seine
    Entscheidungen trifft. Wie er seine Karriere plant. Was er vorlebt. Wie er mit
    seinen Spielern umgeht. Oder mit den Medien. Wie er während eines Spiels
    Einfluss nehmen kann. Oder wie hilflos er ist. Wir wollen versuchen, einen
    umfassenden Einblick geben.
       Unsere Zeit in China war aus vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Und her-
    ausfordernd in allen Facetten, die einem der Trainerjob abverlangt. Weit weg
    von zu Hause haben Jörn und ich unsere gemeinsamen Erfahrungen im Fuß-
    ball reflektiert.
       Am Anfang war es mehr ein tägliches Protokoll. Mit dann immer häufiger
    werdenden Zwischenfragen. Und der Auffälligkeit, dass es um ständig wie-
    derkehrende Themen geht. Themen, die mich schon begleiten, seit ich meine
    Karriere als Trainer begonnen habe. Ganz unabhängig davon, ob ich Trainer in
    der Verbandsliga bin oder eine Champions-League-Mannschaft betreue. Und
    genauso unabhängig davon, ob ich Trainer in Deutschland, Österreich, den
    Niederlanden oder China bin.
       Aus den vielen Gesprächen ist irgendwann die Idee entstanden, all die
    gesammelten Erfahrungen aufzuschreiben und sie den täglichen Protokollen
ROGER SCHMIDT DAS BUCH EINES TRAINERS - Verlag Die Werkstatt
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zuzuordnen. Über Wochen und Monate
haben wir gesprochen und geschrieben.
Gesprochen und geschrieben. An freien
Tagen. An langen Abenden. An Vor-
mittagen im Büro, ehe wir ins Tagesge-
schäft eingetaucht sind.
   Natürlich hat jeder Trainer seine
eigenen Ideen und Ansätze, die von
seiner Persönlichkeit, seinen Erfah-
rungen und seiner Vorstellung von
Fußball geprägt sind. Das hier ist ein-
fach das Buch eines Trainers, in dem
wir meine Erfahrungen und Sicht-
weisen zusammengefasst haben. Ohne
Anspruch darauf zu erheben, dass man
es genauso oder so in der Art machen
muss.
   Die Entscheidung, nach Peking zu
gehen, war aus sportlicher und wirt-
schaftlicher Sicht sowie aufgrund der gesammelten Lebenserfahrung richtig.
Und auch, weil wir dort die Zeit gefunden haben, dieses Buch entstehen zu
lassen.
   Für mich wäre es vor 15 Jahren als junger Trainer sicher eine Bereicherung
gewesen, ab und an in das Buch eines Kollegen gucken zu können, der seinen
Umgang mit den verschiedenen Themen, die für alle Trainer dieselben sind,
beschreibt. Jetzt wäre es schön, wenn unsere Gedanken den einen oder anderen
jungen Trainer inspirieren oder ihn motivieren, den eigenen Weg zu gehen.

                                    Roger Schmidt und Jörn Wolf, März 2020
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                                 Vorwort II

    08.07.2017, Neuss, Ortszeit: 13.35 Uhr: Das erste Spiel von Roger Schmidt als
    Trainer von Beijing Sinobo Guoan. Es ist noch keine Minute gespielt. Jonathan
    Soriano bekommt den Ball am Rand des Strafraums zugespielt, lässt beide
    Innenverteidiger stehen und schiebt dem Torwart den Ball durch die Beine.
    Meine Mutter, mein Bruder und ich hatten noch nicht mal auf unserem Sofa
    Platz genommen, als dieses 1:0 fiel. Wir jubelten. Es kommt mir vor, als sei es
    gestern gewesen, und ich könnte wetten, dass mindestens einer von uns ein
    paar Freudentränen vergossen hat.
       Viele Menschen erben Teile ihres Aussehens, ihrer Interessen und ihrer
    Begabungen von den Eltern. Selbstverständlich ist das bei meinem Bruder
    und mir auch der Fall. Manchmal neigen wir sogar dazu zu sagen, dass wir
    keine andere Wahl haben, als Fußball zu lieben. Denn das tun wir. Aber ich
    würde behaupten, dass es weder die Gene noch die Erwartungen sind, die uns
    so tief mit dem Fußball verbinden.
       Roger Schmidt oder Papa, wie ich ihn lieber nenne, ist einen beeindruckenden
    Weg gegangen, weil er nicht anders kann, als sich mit voller Leidenschaft und
    ganzem Herzblut einer Aufgabe anzunehmen. In jedem Sport sind mentale
    Bereitschaft und Klarheit die wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg. Dabei
    sind so unendlich viele Emotionen involviert, dass es einem manchmal unmög-
    lich erscheint, die richtigen Entscheidungen zu treffen – sowohl aus sportlicher
    als auch moralischer Perspektive. Und der Erfolg, nachdem wir am Ende doch
    alle streben, unterliegt dem Einfluss vieler Faktoren wie Glück, Zufall, Geld und
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Beziehungen. Laut Papa ist die Formel dabei ganz einfach: Aufopferungsbereit-
schaft, Entschlossenheit, Teamgeist und der unerschöpfliche Wille zu gewinnen.
   Während meines einjährigen Aufenthalts in Peking haben Papa und ich viele
Abende zusammen verbracht, die meisten davon bei einem phänomenalen
Japaner und grundsätzlich immer nur in „seinem“ Viertel Sanlitun. Es war schön,
dabei Deutsch zu sprechen, auch wenn mein Papa grundsätzlich kein Mann vieler
Worte ist. Großer Worte dafür allemal. Drumherumreden gibt es bei ihm nicht,
er kommt lieber gleich zum Punkt, oder wie er es ausdrücken würde: „Ich sage dir,
was Sache ist.“ Ganz anders verhält er sich, wenn Entscheidungen gefällt werden
müssen. Am Anfang habe ich nur den Kopf über seine Zögerlichkeit geschüttelt,
dies aber auf die vermeintliche Entscheidungsunfreudigkeit geschoben, die wir
Menschen so an uns haben. Bis mir irgendwann bewusst wurde, dass dieses Hin-
auszögern zum intuitiven Charakter meines Papas passt. Natürlich will er, wie
jeder andere Trainer auch, jedes Spiel gewinnen. Aber wenn wir manchmal am
Abend vor einem Spieltag zusammen aßen und ich hoffte, dass unsere Spieler gut
drauf sind, der Gegner vielleicht einen schlechten Tag hat und der Schiedsrichter
seine Kontaktlinsen nicht vergisst, kam Papa mir vor wie die Ruhe in Person.
   Heute meine ich den Grund dafür zu kennen. Mein Vater gibt alles: Er
nimmt den Gegner in Analysen auseinander, er hilft seinen Spielern, sich
individuell weiterzuentwickeln, er geht mit Motivation und Entschlossenheit
voraus und lässt trotzdem jedem Spieler ausreichend kreative Freiheit. Wenn
man weiß, dass man alles in seiner Macht Stehende getan hat, dann kann man
den kommenden 90 unberechenbaren Minuten hoffnungsvoll entgegensehen.
   Deswegen liebe ich den Fußball. Die Art und Weise des Spiels hat unter
anderem dazu beigetragen, wer mein Papa heute ist: ein erfolgreicher Trainer
und mein Vorbild.
   In den vergangenen Jahren hat der ein oder andere in Deutschland viel-
leicht den Eindruck bekommen, dass mein Papa ein schwieriger Mensch sei,
ein zu emotionaler Trainer. Aber: Was kann sich ein Spieler mehr wünschen
als jemanden, der ihn stetig anspornt und ihm hilft, seine Grenzen neu zu
setzen. Jemanden, der ihm volles Vertrauen schenkt und zu taktischer Überle-
genheit verhilft. Jemanden, dessen Ziel es ist, jeden seiner Spieler zu befähigen,
das volle Potenzial auszuschöpfen.
   Dieses Buch bietet Einblicke in die sportlichen Vorgehensweisen eines Trai-
ners. Es geht hier nicht um Entertainment, sondern um den Blick hinter die
Kulissen, wo zwischenmenschliche und taktische Intelligenz gefragt sind.

                                                      Joline Schmidt, März 2020
ROGER SCHMIDT DAS BUCH EINES TRAINERS - Verlag Die Werkstatt
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               Erste Kontaktaufnahme
             und Vertragsunterzeichnung
     Anfang April 2017 bekommt Roger Schmidt einen Anruf eines niederländi-
     schen Beraters. Ob er sich grundsätzlich vorstellen könne, als Trainer nach
     China zu gehen, will der wissen. Beijing Guoan wolle ihn unbedingt ver-
     pflichten. Roger weiß das Ganze nicht richtig einzuschätzen und gibt es an
     seinen Freund und Berater Marco de Angelis weiter. Ein paar Tage später
     meldet sich der Mann aus den Niederlanden erneut, um mitzuteilen, dass ein
     vom Verein mit einem Mandat ausgestatteter chinesischer Mittelsmann zu
     Roger Schmidt nach Düsseldorf kommen wolle. Es scheint ihnen ernst zu sein.
          Nach dem Gespräch beschließt Roger, die Einladung anzunehmen, und
     fliegt am 4. Mai für ein paar Tage nach Peking, um sich vor Ort ein genaueres
     Bild zu machen. In Chinas Hauptstadt trifft er den neuen Eigentümer des
     Vereins, Mr. Zhou Jinhui, einen schwerreichen Bauunternehmer (sein Unter-
     nehmen heißt Sinobo und findet sich auch im Vereinsnamen Beijing Sinobo
     Guoan wieder), und den General Manager Li Ming, einen ehemaligen chi-
     nesischen Nationalspieler. Man habe Roger Schmidt ganz bewusst gewählt,
     ihn schon während seiner Zeit in Leverkusen im Trainingsbetrieb beobachtet
     und sei begeistert von seiner Fußballphilosophie.
          Mit dem Deutschen soll der ins Mittelmaß der Liga abgerutschte stolze
     Hauptstadtklub den Serienmeister Guangzhou Evergrande an der Spitze des
     chinesischen Fußballs ablösen. Im ersten Vertragsjahr soll es die Champions
     League sein, im zweiten der Titel. In China muss es eben schnell gehen. Die
     laufende Saison wolle man noch irgendwie mit dem aktuellen spanischen
     Trainer zu Ende bringen. Aber dann …
          Roger fliegt erst mal zurück nach Deutschland: „Ich könnte mir das
     schon vorstellen. Klar, der wirtschaftliche Aspekt spielt die entscheidende
     Rolle. Aber eben auch nur in Verbindung mit dem guten Gefühl, das ich aus
     Peking mitnehme. Die Visionen und die Persönlichkeit des Owners haben
     mir gefallen.“
          In den Wochen danach geht es dort weiter den Bach runter. Zumindest
     fußballerisch. Es setzt eine Niederlage nach der anderen für Guoan. Mr. Zhou
     meldet sich mehrfach bei Roger: Ob er nicht sofort kommen wolle? Man
     könne doch nicht bis zur nächsten Saison warten. Die Stimmungslage sei
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überhaupt nicht gut. Man sei gezwungen, bald zu handeln. Roger sagt, dass
das für ihn auf keinen Fall infrage kommt. „Zu eintausend Prozent werde ich
diesen Sommer noch nicht wieder einsteigen. Ich habe auch alles andere
abgesagt. Die China-Nummer ist extrem reizvoll. Auch, weil die neue Saison
erst 2018 anfängt und ich so noch ein halbes Jahr mit der Familie habe.“
     Das Thema eines Wechsels nach China scheint damit erledigt. Zumal
Mr. Zhou daran gewöhnt sein dürfte, das zu bekommen, was er auch haben
möchte – ohne mehrmaliges Bitten. Roger Schmidt und Marco de Angelis
hören dann nichts mehr aus Peking. Auch die niederländischen Berater, die
vermittelt hatten, tappen im Dunkeln und haben keine Infos mehr. Nach
Rogers Absage habe sich Guoan auf die Suche nach einem Trainer machen
müssen, der sofort einsteigen kann, heißt es nur. Den spanischen Coach
hat man in der Zwischenzeit entlassen. Medienberichten zufolge soll Mona-
co-Trainer Leonardo Jardim der Nachfolger werden. Der nutzt das Interesse
der Chinesen aber offenbar nur, um seinen Vertrag in Monaco zu verbes-
serten Konditionen zu verlängern.
     Und plötzlich ist Peking wieder in der Leitung. Li Ming hat den Auf-
trag erhalten, sofort in Düsseldorf einzufliegen und dafür zu sorgen, dass
Roger spätestens zum Start der Rückserie im Juli 2017 als Trainer bei Beijing
Guoan an der Seitenlinie steht. Und der überdenkt seine Haltung: „Wenn
Menschen sich so um mich bemüht haben, habe ich das im Laufe meiner
Fußballkarriere irgendwie auch immer als Schicksal gesehen. Dann habe ich
in der Gesamtkonstellation mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
und den Bemühungen und Visionen des Vereins gemeinsam mit meiner Frau
entschieden, das Angebot doch sofort anzunehmen.“
     Am 10. Juni werden die Verträge unterschrieben. Drei Wochen später
sitzt Roger mit seinem Trainerteam im Flieger nach Peking. Richard Kitz-
bichler kennt er aus gemeinsamen Zeiten in Salzburg. Er wird für die Video-
analysen zuständig sein. Mit Oliver Bartlett hat er schon in Salzburg und
Leverkusen zusammengearbeitet. Er verantwortet das Athletiktraining.
Michael Kraft, der sich selbst lieber Tiger nennt, soll die chinesischen Tor-
hüter in Form bringen. Jim McGuinness, zuletzt bei Celtic Glasgow tätig und
davor ein in Irland extrem populärer Gaelic-Football-Spieler und -Trainer
(das Spiel ist eine Mischung aus Rugby und Soccer), wurde von Roger als
Individual- und Mentaltrainer angeheuert. Dazu kommt Physiotherapeut
Steffen Lutz, der auch schon in Salzburg und Leverkusen dabei war.
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                Das Abenteuer China beginnt
                                                   1. JULI   2017
                                 Treffen am Flughafen in Frankfurt. Es geht los.
                                 Die drei Wochen davor waren nervenaufreibend.
                                 Unzählige Mails und WhatsApp-Nachrichten
                                 wurden hin und her geschickt. Visa-Geschichten,
                                 vertragliche Dinge, Flug- und Hotelreservierungen,
                                 Kleidergrößen, Trainerlizenzen, Zertifikate. Ich
                                 schrecke jedes Mal auf, wenn eine neue Mail im
                                 Postfach erscheint. Der Leiter der Geschäftsstelle
                                 fordert über die Wochen alles vier- und fünffach an.
                                 Zwischenzeitlich melden sich andere Leute aus dem
                                 Klub, die dieselben Dinge haben wollen.
                                    Ein Videoanalyst schickt plötzlich Vertrags-
     entwürfe für die Co-Trainer. Ich frage ihn, warum die Dokumente von ihm
     kommen. Ganz einfach: Er sei halt gerade im Nachbarbüro gewesen und auf-
     gefordert worden, sie nach Deutschland zu mailen. Unglaubliches Durchein-
     ander. Aber irgendwie immer mit einem Augenzwinkern. In der Ruhe liegt die
     Kraft. Wird schon werden.
        Wir fliegen erst mal ab. Das mit den Verträgen wird sich vor Ort sicher auch
     noch regeln lassen. Keine Ahnung, ob jemand vom Verein schon irgendeinen
     Vertrag unterschrieben hat. Lassen wir uns überraschen. Auf nach Peking. Die
     Trainingsplanung beginnt an Bord von LH 720.

                                                         2. JULI   2017
                                               Landung in Peking. Großer Bahnhof
                                               am Flughafen. Fotografen, Blitz-
                                               licht. General Manager Li Ming und
                                               Darko Matić holen uns ab. Irgendwie
                                               ein schönes Gefühl, so empfangen zu
                                               werden und sich willkommen zu fühlen.
                                               Matić ist der sportliche Leiter des Ver-
     Darko Matić, Roger Schmidt, Li Ming,      eins, hat lange für Beijing Guoan gespielt
     Michael Kraft, Steffen Lutz, Richard
     Kitzbichler, Jörn Wolf, Jim McGuinness.   und spricht perfekt Deutsch.
13

   Wir fahren ins Hotel „Chao“ und fühlen uns
gleich heimisch. Ein tolles Hotel, eine Oase der
Ruhe mitten in der Millionenstadt. Und nur fünf
Fußminuten vom Workers’ Stadium entfernt –
unserer neuen Heimat. Nach einem kurzen
Frühstück gucken wir uns alles an: Vor dem
Stadion warten Fans. Über dem Eingang zur
Geschäftsstelle hängt ein großer Screen, auf dem
ein Willkommensfilm läuft – über Roger für Roger. Großes Kino. Man merkt
ihm an, wie gut es ihm tut, so viel Wertschätzung zu erfahren und so begrüßt zu
werden. Am Eingang zum Mannschaftstrakt hängt eine große Collage mit Fotos
von ihm und allen Trainern. Da hat sich jemand große Mühe gegeben.
   Überhaupt fühlen wir uns sofort wohl in unserem neuen Arbeitsbereich im
zweiten Stock des Stadions. Es ist alles da. Nicht so modern und perfekt wie in
den neuen Trainingszentren der Bundesliga. Aber vielleicht ist das gar nicht
entscheidend. Es gibt einen Besprechungsraum mit Leinwand und Beamer,
ein Arztzimmer und einen Behandlungsraum mit acht Massagebänken, eine
Sauna und ein Kaltwasserbecken, einen provisorisch eingerichteten Kraft-
raum mit Rädern und eine Rocky-Folterkammer in den Katakomben des Sta-
dions, einen Raum für die Equipment-Verantwortlichen, eine sehr geräumige
Mannschaftskabine. Hier und da werden wir noch ein bisschen modifizieren,
dann passt es. Fürs Erste.
   Wir lernen unsere neuen chinesischen Kollegen kennen. Ich habe das
Gefühl, dass sie sich auf uns freuen. Viele neue Mitarbeiter sind installiert
worden, andere mussten auf Wunsch der Vereinsführung gehen. Die Zeichen
stehen auf Aufbruch.
   Roger wird einen Tag vor der offiziellen Vorstellung exklusiv vom vereins-
eigenen TV-Sender interviewt. Die Pressesprecherin wirkt sehr professionell.
   Abendessen am runden Tisch in einem Restaurant direkt neben dem Sta-
dion. Natürlich Peking-Ente. Wir sind im besten Viertel gelandet, merkt man
sofort. Hier rund um das Stadion schlägt das Herz der Hauptstadt.
   Während des Essens gucken wir Tianjin Quanjian gegen Guangzhou Ever-
grande. In der Halbzeitpause flimmert Roger über den Bildschirm. Er ist ange-
kommen.

                             3. JULI   2017
Medizincheck in Peking. Hier werden nicht nur die neuen Spieler untersucht.
Wer länger bleiben will, wird komplett durchleuchtet. Massenabfertigung in
einem Randbezirk. Hoffentlich wird man hier nicht krank.
14

                                 Erstes Training auf dem Trainingsplatz am Sta-
                              dion. Davor treffen wir zum ersten Mal auf die
                              Mannschaft. General Manager Li Ming hält eine
                              Rede. Dann stellt Roger sich und sein Team vor.
                                 Die Pressekonferenz beginnt erst danach (besser
                              zuerst intern kommunizieren, dann extern). Und
                              sie ist bestens vorbereitet: lebensgroße Bilder von
                              Roger, tolles Set. Roger trifft genau den richtigen
                              Ton. Keine großen Ankündigungen, kein Formu-
                              lieren von großen Zielen. Er stellt nur die Arbeit
                              mit der Mannschaft in den Mittelpunkt.
                                 Dann geht es auf den Platz. Wir blicken in trau-
                              rige Spieleraugen. Müde Blicke. Die Spieler wirken
                              nicht inspiriert. Die letzten Wochen mit vielen
                              Niederlagen und Trainerwechseln scheinen nicht
                              spurlos an ihnen vorübergegangen zu sein. Was
                              mögen sie denken in diesem Moment? Schon
                              wieder ein Neuer? Schon wieder eine neue Idee?
                              Der Kader ist total aufgebläht und veraltet. 36
                              Spieler stehen vor uns. Viele von ihnen sind seit
                              Jahren im Verein, aber kaum mal zum Einsatz
                              gekommen.
                                 Wir fangen mit einfachen Übungen, aber mit
Erstes Meeting mit den chine-
                              einer klaren Idee an. Viel Anleitung. Wir geben
sischen Co-Trainern und Arzt.
                              ihnen Vertrauen, bestärken sie in dem, was sie tun.
   Angreifen, Bälle erobern, durchziehen. Nicht zurückschauen.
       Die Stimmung schwenkt schon während des ersten Trainings um.

                                 4. JULI   2017
     Mittagessen zwischen den beiden Trainingseinheiten in der stadioneigenen
     Kantine. Die ausländischen Spieler verziehen das Gesicht. Ist das wirklich so
     schlimm? Gucken wir uns mal an. Nicht so schlimm wie angekündigt, aber
     optimierungsbedürftig. Das Thema werden wir bei nächster Gelegenheit
     anpacken.
        Das Training läuft gut. Wir trainieren in zwei Gruppen. Eine macht Kraft-
     training, die andere arbeitet auf dem Platz. Nachmittags wechseln wir. Die
     Spieler lernen schnell, bekommen Sicherheit, haben Spaß. Jim McGuinness
     protokolliert alle Trainingsinhalte. Jede einzelne Übung mit entsprechender
     Animation.
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                6. JULI    2017
Wir lassen ein Pressegespräch im Stadion orga-
nisieren. Die Pressesprecherin lädt die wich-
tigsten Guoan-Reporter ein. Roger nimmt sich
eine Stunde Zeit, um sich ausführlich befragen zu
lassen. Eine Veranstaltung dieser Art, bei der sich
Journalisten und Trainer auf Augenhöhe begegnen,
hat es offenbar noch nicht gegeben. Einer der
Reporter, der den Verein seit 15 Jahren begleitet,
hält am Ende der Veranstaltung eine zehnminütige
Rede. Bedankt sich für die Kooperation. Es baut
sich alles in allem eine sehr positive Energie auf. In
der Mannschaft, im Staff, bei den Medien.

                7. JULI   2017
Abschlusstraining auf dem Platz. Roger hält das
Tempo die ganze Woche hoch. Mehr Gefühl als
wissenschaftlich belegte Belastungssteuerung. „Ich
wollte die Spannung bis zum Spiel durchziehen.
Mit dem Risiko, dass die Spieler am Wochenende
müde sein könnten. Aber dieses Risiko mussten
wir eingehen.“
   Dazu baut der Trainer in vielen Einzelgesprä-
chen Verbindungen zu den Spielern auf.
   Jonathan Soriano freut sich am meisten über
den Trainerwechsel. Er kam zu Saisonbeginn von
Red Bull Salzburg. „Johnny“, der auch schon für
den FC Barcelona spielte, war 2013/14 und 2014/15
Spieler des Jahres sowie dreimal Torschützenkönig
in Österreich, 2013/14 auch in der Europa League.
Roger war schon damals sein Trainer. Soriano
erzählt, dass ihm der alte Coach schon am zweiten
                                                         Vorstellung des neuen Trai-
Tag gesagt hat, dass er den türkischen Stürmer           ners und Pressekonferenz.
Burak Yilmaz stärker sieht und nicht auf ihn setzen
                                                         Ganz unten: Die Planung des
wird, er meistens nicht im Kader stehen wird. Eine       ersten Trainings mit den chi-
harte Zeit für Johnny. Oft saß er – während die          nesischen Co-Trainern. Immer
                                                         mit dabei: der Dolmetscher.
Mannschaft zu einem Auswärtsspiel unterwegs
war – vier Tage lang allein in der Stadt ohne seine
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                             Familie und ohne Anschluss zu irgendwem. So verliert
                             man einen Menschen und Spieler.
                                 Renato Augusto, der 2015 von Corinthians São
                             Paulo kam und davor vier Jahre bei Bayer Leverkusen
                              spielte, 33-mal für Brasilien spielte und bei Olympia
                             2016 Gold gewann, freut sich über einen klaren Plan.
                             „Ist das unsere Mannschaft?“, fragt er nach ein paar
                             Tagen. Schwärmt von der Stadt, sagt augenzwin-
Trainingsplanung in der       kernd über die chinesischen Spieler: „Wenn du ihnen
Kürze der Zeit: ganz „old-
school“ in handschrift-
                              zehnmal sagst, dass sie nach rechts laufen sollen, sagen
licher Form.                  sie zehnmal ja – und laufen dann nach links.“
                                 Zhang Xizhe, der nach einem kurzen Gastspiel
                              ohne Pflichtspieleinsatz beim VfL Wolfsburg, mittler-
                             weile wieder für Guoan spielt, erzählt offen, dass er
                              sich mit einem neuerlichen Vereinswechsel innerhalb
                              Chinas auseinandersetzt, weil er ständig auf der von
                              ihm ungeliebten Sechser-Position spielen muss. Roger:
                             „Ich lasse ihn schon in jedem Training weiter vorn
                              spielen, um ihn mental in eine bessere Verfassung zu
                              bringen. Die besten Spieler sollten möglichst auch auf
                              ihren besten Positionen spielen. Ansonsten beschäf-
                             tigen sie sich mit zu vielen negativen Dingen.“

                                   8. JULI    2017
     Erstes Spiel gegen Tabellenführer und Serienmeister Guangzhou Evergrande.
     Die aktuell mit Abstand beste Mannschaft in China. Anspannung. Ein biss-
     chen mehr dieses Mal als die übliche Spieltagsanspannung. Es ist brutal
     heiß. Das Stadion ist voll. 55.000 wollen das neue Beijing sehen. Das neue
     Schmidt-Beijing. Wird es etwas zu sehen geben? Was kann die Mannschaft
     nach fünf Trainingstagen umsetzen gegen Weltmeister-Trainer Luiz Felipe
     Scolari und seine Truppe?
        Nach 42 Sekunden schießt „Johnny“ Soriano das schnellste Tor der Ver-
     einsgeschichte. Ein Traumtor. Beijing überrollt Evergrande. Nach 20 Minuten
     kann es 5:0 stehen. Das Stadion steht kopf. 1:0 zur Halbzeit.
        Nach dem Wechsel geht es weiter nur in eine Richtung. Zweites Traumtor
     von Soriano, 2:0. Die Welle schwappt durchs Stadion. Die Mannschaft zer-
     reißt sich. Spielt, kämpft, läuft. Gibt alles. In der Nachspielzeit singen die Fans
     das Beijing-Vereinslied und lassen dabei die Lichter ihrer Handys leuchten.
     Was für eine Szenerie. Es ist klar: Das Spiel ist gewonnen, Evergrande hat für
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heute aufgegeben. Roger steht am Spielfeld-
rand und hat Tränen in den Augen. „Ich habe
an meine Familie gedacht, die zu Hause vor
dem Fernseher gesessen hat. Die Atmosphäre
war unglaublich. Das war einer der schönsten,
emotionalsten Abende, die ich im Fußball erlebt
habe.“                                              Oben: der
   Die Stimmung in der Kabine nach dem              Arbeitsweg
                                                    vom Hotel
Abpfiff ist grandios. Alle sind da. Die Spieler,    zum Stadion.
die nicht im Kader waren, feiern mit der Mann-      Unten: nach
schaft. Auch der Big Boss Mr. Zhou gratuliert       Abpfiff des
                                                    ersten Spiels.
dem Team in der Kabine zu ihrer Leistung
und kommt der Forderung des Kapitäns nach
doppelter Prämie sofort nach. Roger umarmt
Soriano und spricht dann voller Freude zu
seinen Spielern. Tosender Applaus. Was für ein
Abend. Einen besseren Anfang kann es nicht
geben.

           Alles, was passiert ist,
    ist passiert, weil andere Menschen
          an mich geglaubt haben
                       DIE KARRIEREPLANUNG

Ich bin quasi von Menschen, die überzeugt waren, dass ich ein guter Trainer für
ihren Verein sein könnte, überredet worden. Bevor ich eingestiegen bin, war
es der Vorsitzende vom Delbrücker SC, Heinz Austerschmidt, der mich mona-
telang angerufen und gefragt hat, ob ich nicht seinen Verein als Trainer über-
nehmen möchte. Durch seine Hartnäckigkeit habe ich erst angefangen, darüber
nachzudenken, ob es neben meinem gelernten Beruf als Ingenieur überhaupt
eine Alternative sein kann, eine Fußballmannschaft zu trainieren.
   Irgendwann habe ich für ein Jahr zugesagt. Aus dem einen Jahr sind dann
drei Jahre geworden. Der Aufwand parallel zum Beruf und zur Familie mit zwei
kleinen Kindern war allerdings so gewaltig, dass ich nach den drei Jahren das
Gefühl hatte, den Trainerjob wieder beenden zu müssen. So habe ich das den
Verantwortlichen in Delbrück auch mitgeteilt und aufgehört. Mein Plan war,
18

     mich viel mehr um meine Familie zu kümmern und mich in meinem Beruf wei-
     terzuentwickeln.
        Und dann wurde ich ein zweites Mal überredet. Nun ging es um ein haupt-
     berufliches Trainerengagement beim SC Preußen Münster. Die beiden dama-
     ligen Verantwortlichen, Sportmanager Carsten Gockel und Präsident Marco de
     Angelis, haben Kontakt zu mir aufgenommen. Durch den Aufstieg mit Delbrück
     in die vierte Liga und die dortigen Duelle mit Preußen bin ich in deren Blick-
     feld geraten. Für mich war es eigentlich ausgeschlossen, hauptberuflich als
     Trainer zu arbeiten. Trotzdem habe ich mich auf ein Gespräch eingelassen. Die
     beiden haben dann wochenlang um mich gekämpft. Und irgendwann – nach
     vielen Gesprächen mit meiner Frau – sagte ich zu, bin aus meinem Beruf aus-
     gestiegen und Trainer in Münster geworden. Mir wurde eine Vertragsgestaltung
     angeboten, mit der es mir jederzeit möglich gewesen wäre, in meinen alten
     Beruf zurückzukehren.
         Dieses hartnäckige Werben der verantwortlichen Personen habe ich immer
     auch ein bisschen als Schicksal angesehen. Wenn Leute so um mich kämpfen,
     soll es wohl so sein, dass ich Trainer werde, habe ich gedacht. Diese beiden
     ersten Trainerstationen haben mich geprägt. Zum einen war ich bei beiden Ver-
     einen emotional sehr stark mit den Verantwortlichen verbunden und es sind
     tiefe Freundschaften entstanden. Zum anderen, weil ich im weiteren Verlauf
     meiner Trainerkarriere sehr häufig auch emotionale Entscheidungen getroffen
     und mich immer wieder im gewissen Maße auf das schon beschriebene
     Schicksal verlassen habe.
        Ich hatte nie einen wirklichen Karriereplan und nie das Ziel, Bundesliga-
     trainer oder was auch immer zu werden. Ich war einfach nur mit Leib und
     Seele Trainer in dem Verein, in dem ich gerade war, und habe mich zu 100 Pro-
     zent mit der Aufgabe und den Menschen dort identifiziert, habe versucht, das
     Bestmögliche mit meiner Mannschaft zu erreichen. Meine Mannschaften habe
     ich geliebt und nie darüber nachgedacht, was möglicherweise als Nächstes
     kommen könnte.
        Alles, was passiert ist, ist immer passiert, weil andere Menschen an mich
     geglaubt haben. Und geglaubt haben, dass ich der richtige Trainer für ihren
     Verein bin. Das war in Paderborn so mit Wilfried Finke. In Salzburg mit Ralf
     Rangnick. In Leverkusen mit Rudi Völler und Jonas Boldt. Und bei Beijing Guoan
     mit Mr. Zhou. Natürlich haben sich diese Möglichkeiten auch immer durch einen
     gewissen sportlichen Erfolg bei der vorherigen Station ergeben.
         Nie habe ich aktiv nach irgendeinem Verein gesucht. Ich bin davon über-
     zeugt, dass durch eine hundertprozentige Identifikation mit dem aktuellen
     Verein und harte Arbeit mit der Mannschaft sich immer Türen für zukünftige
     Aufgaben öffnen. Für jeden Trainer. Man sollte seine komplette Energie in das
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Hier und Jetzt stecken. Versuchen, erfolgreich zu sein. Fußball mit Wiederer-
kennungswert zu spielen. Und nicht schon an den nächsten oder übernächsten
Karriereschritt denken.
    Heutzutage wird man durch das Fußballgeschäft leicht getrieben – auch
von Beratern. Ich glaube aber, dass man auf seinem eigenen Weg bleiben
sollte. Eine gewisse Persönlichkeit und Entscheidungskompetenz müssen
von Natur aus gegeben sein. Natürlich ist es zudem hilfreich, jemanden an
seiner Seite zu haben, der als Ratgeber fungiert und auch Verhandlungen
mit Vereinen führen kann. Für mich sollte ein Berater aber in erster Linie ein
guter Freund sein, dem ich vertraue und dessen Einschätzungen wertvoll für
mich sind. Gute Trainer und gute Spieler erwecken in der Regel durch ihre
Leistung Aufmerksamkeit und müssen nicht ständig irgendwo angeboten
werden.
    Bei dem Engagement in Peking sorgte natürlich der wirtschaftliche Aspekt
für den Impuls, überhaupt Gespräche zu führen. Aber auch hier war dann letzt-
lich die persönliche Verbindung zum neuen Eigentümer des Vereins ausschlag-
gebend. Grundsätzlich sind Transfers nach China sehr kompliziert, weil viele
Menschen involviert sind, viele Vermittler. Dass ich in China gelandet bin, hing
aber sehr stark damit zusammen, dass mir nach einem ersten Besuch in Peking
in einem persönlichen Brief des Owners große Wertschätzung entgegenge-
bracht und der dringende Wunsch formuliert wurde, dass ausgerechnet ich
diesen Job annehme.
    Und auch die Verantwortlichen der PSV Eindhoven, Toon Gerbrands und
John de Jong, haben sich über einen längeren Zeitraum sehr um mich bemüht
und mir das Gefühl gegeben, dass ich der richtige Trainer für ihren Verein bin.
Dabei haben sie nicht nur mit ihrem sportlichen Konzept überzeugt, sondern
schnell auch als Menschen.
    Es war klar und mit meiner Familie besprochen, dass ich nach dem Enga-
gement in Peking eine Pause einlege und nicht vor dem Sommer 2020 wieder
einsteige. Völlig unabhängig davon, welche Türen aufgehen würden.
    Das Engagement bei der PSV Eindhoven hat mich von der ersten Kontakt-
aufnahme an im Dezember 2019 gereizt. Nach den Gesprächen bin ich über-
zeugt, dass es jetzt die beste Option für mein Team und mich ist. Dort mit einer
jungen Mannschaft und hochtalentierten Spielern arbeiten und sie entwickeln
zu können, etwas Neues für den Verein zu gestalten. Möglicherweise auch eine
neue Art des Fußballs.“
WIE GEHT
FUSSBALLTRAINER?
Roger Schmidt und sein Assistent und
Freund Jörn Wolf geben die Antwort.

Schmidt hat sich vom Verbandsligatrainer
beim Delbrücker SC zu einer der charisma-
tischsten Trainerpersönlichkeiten über die
Grenzen Europas hinaus entwickelt.

Neben etlichen wertvollen Tipps für jeden
angehenden Trainer schildern Schmidt
und Wolf hier ihre höchst interessanten
Erlebnisse während des zweijährigen
Engagements beim chinesischen Erstligisten
Beijing Guoan – von täglichen Kommunika-
tionsproblemen über den Sieg im nationalen
Pokal bis hin zum emotionalen Abschied.

              ISBN 978-3-7307-0494-3
              VERLAG DIE WERKSTATT
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