Adieu, Fließbandarbeit! - Arbeitsplatz Betriebsgastronomie: großer Wandel, neue Chancen - Essenszeit
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KARRIERE & RATGEBER Adieu, Fließbandarbeit! Fotos: OTTO GmbH & Co.KG Arbeitsplatz Betriebsgastronomie: großer Wandel, neue Chancen 82 HOGAPAGE 1/2019
Kantinenjobs waren lange Zeit als eintöni- ge Fließbandarbeit für mäßig Ambitionierte verschrien. Und heute? Der Wandel der Betriebsgastronomie weg von der lieblosen Abfertigungshalle mit Schnell-und-günstig- Kost hin zum Wohlfühl- und Genuss-Treff- punkt der Belegschaft und externer Gäste hat zu einer erheblichen Aufwertung der Tätigkeiten der Leute, die dort arbeiten, geführt. Für wen und wo hier welche neuen Job-Chancen warten – hier sind die Antworten. Text: Petra Sodtke pus in Wien diniert: Das Essen ein Magenschmaus (frisch, regional, saisonal, nachhaltig dominiert), das Interieur ein Augenschmaus, das Kantinenpersonal adrett gekleidet und offensichtlich bestens geschult, in der Küche werkeln top- K antine oder Spitzenlokal? Das ist kaum mehr zu un- ausgebildete, erfahrene Köche. terscheiden, wenn man in modernen Betriebskan- tinen wie jenen des Küchengeräteherstellers Ratio- Im einladend-kommunikativen Ambiente genießen Chefs, nal in Landsberg am Lech, bei Bahlsen in Hannover, in der Azubis und (meist auch) externe Gäste Seite an Seite ab- »Elbe«, der Kantine des Handels- und Dienstleistungskon- wechslungsreiche Kost wie getrüffelte Pasta mit Rucola und zerns Otto in Hamburg, oder im »Iki« am Erste-Bank-Cam- Pecorino, Holunderblütenparfait, gesunde Bowls, hebräi- HOGAPAGE 1/2019 83
sche Shakshuka mit Hummus und Vieles mehr wird geboten – und »auf Durchzug schalten« kann, geht heimische Klassiker in bester Qualität. verlangt hier nicht. Eher gleicht die Arbeit Vorpanierte Schnitzel aus Massentier- Der derzeitige Boom der Gourmet- heute einer Kreativagentur mit viel- haltung, wie in herkömmlichen Kan- Kantinen hat den Arbeitsplatz Kan- fältigen Aufgaben und abwechslungs- tinen gang und gäbe, sind verpönt. tine heftig umgekrempelt. Denn je reichen Einsätzen. mehr dem Gast geboten wird, desto Nicht mal ein Hauch von Fritteusen- mehr ist auch das Küchen- und Dietmar Hagen, Gründer von »Essens- fett-Geruch reizt die Nase. Fakt ist: Servicepersonal gefordert, was seine zeit« (www.essenszeit.com) in Han- Immer mehr Unternehmen im In- wie Kreativität, Organisationsfähigkeit nover und eine federführende Kraft, Ausland rüsten ihre Kantinen zum und sein (spezialisiertes) Fachwissen die in den 1990er-Jahren den Wandel formschönen Ort der Begegnung und betrifft. So kommen zur gesunden, Aushängeschild auf, um ihr Image et wa Conven ience- Kantinen genussreichen nach außen als innovativer Betrieb zu Produkte, die man nur mutieren Kant inen-Kost schärfen. Und um gute Mitarbeiter, die auf heizen muss, in in Deutschland in Zeiten von »Feel-Good-Manage- Gourmet-Kantinen nur Dietmar zunehmend au sgelöst hat ment« und »Work-Life-Balance« auf mehr sehr spärlich – Hagen, zu Wohlfühl- (die vom Han- Gründer von Arbeitgeber-Benefits wie die Möglich- wenn überhaupt – zum »Essenszeit« Orten delsblatt verbrei- keit der gesunden Mittagspause genau Einsatz. Arbeiten wie tete Beschreibung achten, gewinnen und langfristig hal- am Fließband, wo man auch mal lo- Hagens als »Küchen-Revoluzzer« trifft ten zu können. cker zwischendurch ein bisschen seinen Beitrag sehr gut), sagt: »In mei- nen Kantinen gibt es z.B. kein einziges Menü zweimal, wir entwickeln unsere Rezepte ständig weiter. Für die Ausar- beitung sind wechselnde Dreier-Teams Kantine ist nicht gleich Kantine: zuständig. Das Gesamtkonzept in der Kantine muss jederzeit stimmen: der Arbeitgeber-Check die Gerichte, Konzeption, Akustik, das Wer feststellt, dass er gut in die Arbeitswelt Kantine passen könnte, sollte einen intensiven Arbeitgeber- Check durchführen, um sich beim Richtigen zu bewerben. Denn es gibt sie natürlich auch noch, die herkömmlichen Kantinen, in denen es Kreative und Ambitionierte schwer haben dürften. Wichtige Fragen – teils zur Vorab-Recherche, teils fürs ken: Marco Simonis, Kim Sohyi mit ihrer Kantine der KPMG Bewerbungsgespräch: Wirtschaftsprüfungsanstalt, Andreas Wojtas »Minori- • Wie innovativ ist der Kantinenbetreiber bzw. das Unter- tenstüberl« im Unterrichtsministerium in Wien, das »Iki« nehmen tatsächlich? der EB-Restaurantsbetriebe Ges.m.b.H. am Campus der • Welcher Tarif ist Grundlage für den Arbeitsvertrag? Erste Bank. • Welche Möglichkeiten der Weiterbildung und -entwick- lung gibt es? Auch Weltenbummler müssen übrigens die Arbeitswelt • Wie wird Führung verstanden, welche Werte werden Kantine nicht ausklammern. Ganz im Gegenteil, hier war- gelebt, wird Kreativität auf allen Ebenen geschätzt? ten attraktive Stellen, denn der Trend zur gehobenen Kan- Fotos: OTTO GmbH & Co.KG; LUMIPLAN tine ist auch in anderen Ländern stark präsent: In London Tipp: Potenzielle Arbeitgeber mit herausragenden Kanti- beispielsweise lohnt ein Blick auf das Medienunternehmen nen-Konzepten in Deutschland findet man etwa in Form Bloomberg, denn so ein außergewöhnliches Arbeitsumfeld der Auflistung der 50 besten Betriebsrestaurants des Lan- bekommt man nur selten zu sehen: Hier sorgt ein lebender, des, die der Verein Food & Health e.V. zusammen mit dem vertikaler Garten, von Architektenhand entworfen, im Be- Magazin FOCUS mit einer Fachjury Ende 2018 ermittelt und triebsrestaurant für ein Betriebsklima der besonderen Art. ausgezeichnet hat (www.focus.de). Im Headquarter des Technik-Unternehmens Dropbox in Gute Adressen für Bewerber: Zu den Preisträgern des o.g. San Francisco lässt es sich auch edel arbeiten: Hier lädt eine Wettbewerbs gehören in Deutschland z.B. Otto, Rational hypermoderne Kantine im Industrial-Stil mit unterteilten und Bahlsen (unter der Kantinen-Ägide von Dietmar Ha- Arealen und Leder-Lounges gleichzeitig zum Essen, Arbei- gen). In Österreich sollte man sich u.a. diese Namen mer- ten, Brainstormen, Abhalten von Gruppenmeetings ein. 84 HOGAPAGE 1/2019
Interieur, das bargeldlose Bezahlen, Mütter und Väter: die geregelte Leit- sehr niedrige Fluktuation.« Auch bei die Strukturen und Abläufe, die wir planke von Arbeitszeit, meist im Zeit- Rational und Otto soll der Mitarbei- laufend verbessern, und vieles mehr. raum von 6 Uhr bis 15 Uhr, mit freien terstamm dieses Jahr weiter mit neu- Kantinen mutieren zunehmend zu Wochenenden, die ja in der Gastro- en Talenten ergänzt werden (Extra- Wohlfühl-Orten. « nomie absolute Ausnahme sind, und Tipp für Köche!). genau planbare Urlaube. Für engagierte, ideenreiche Leute gibt es Was man sich allerdings klar machen also viel zu tun und kreativ auszutüfteln. Was das Gehalt betrifft, halten sich sollte: Wer als oberstes Ziel hat, schnell Und zwar nicht nur »an der Front« durch Dietmar Hagen und Andreas Deyerler, die Karriereleiter zu erklimmen und die Köche und Servicekräfte, sondern Leiter Restaurant- und Veranstal- zum Direktor aufzusteigen, sollte sich auch durch die Fachkräfte im organisa- tungsservice bei der Firma Rational mangels Möglichkeit besser einen an- torischen Bereich, wo neue, für (Fach-) (www.rational-online.com), zwar et- deren Arbeitsplatz suchen. »Unsere Hochschulabsolventen überaus attrak- was bedeckt, verraten im Interview Hierarchien sind f lach. Nicht ver- tive Jobs rund um Konzeption, Optimie- aber zumindest so viel: Man darf sich gleichbar mit der klassischen Hierar- rung und Entwicklung entstanden sind. auf ordentliche Arbeitsverträge und chie im Hotel- und Restaurantbe- übertarifliche, attraktive Vergütung reich«, sagt Andreas Deyerler. Nicht nur die Arbeitszeit ist ein einstellen. Diese Vorteile kommen an. Zuckerl Hagen: »Wir bekommen Bewerbungen Glücklich werden dafür jene, bei denen Die Zeiten, in denen ambitionierte von den besten Leuten aus À-la-carte- Weiterbildung und -entwicklung einen Top-Fachkräfte einen hohen Bogen um Restaurants. Außerdem haben wir eine hohen Stellenwert hat und die sich den Arbeitsplatz Kantine gemacht ha- ben, dürften bei den verlockenden, kreativen Job-Inhalten endgültig vor- bei sein. Dazu arbeitet man in einem schönen, modernen Arbeitsumfeld und kommt in den Genuss eines der unschlagbarsten Vorteile, gerade für 1) Kantinen-Mitarbeiter haben oft gut lachen: Die Fluktuation ist gering, die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz in der Regel hoch. 2) Modern eingerichtete Kantinen, wie etwa das »Iki« in Wien, haben ihren Gästen nicht nur kulinarisch, sondern auch optisch etwas zu bieten. n o 85
»Ein typischer Tag beginnt um 6 Uhr mit einer zirka fünfminütigen Mitar- beiter-Besprechung. Da werden die wichtigsten Dinge geklärt und aktuell Wissenswertes zu Themen wie Rezep- te, Hygiene, Einkauf, Lagerhaltung, Qualität kurz wiederholt, Teilverant- wortungen eingeteilt, Rezeptentwick- In einer angenehmen Umgebung wie hier bei Rational lässt es sich lungsteams bestimmt, Fehler bespro- auch entspannter arbeiten. chen. Danach bereiten die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze vor. Zwischen- durch gibt es Service-Meetings und jeden Freitag den Ausblick für die später vielleicht sogar einmal selbst- von Vollwert-Ernährung, frischer Kü- kommende Woche. Um 15 Uhr ist Fei- ständig machen wollen. Denn was che, Getreidekunde, werterhaltender erabend.« man hier lernt, ist so vielfältig, wie man Zubereitung, Nachhaltigkeit, Führung, es fast nirgends serviert bekommt: Von BWL u.v.m. Teamarbeit wird großgeschrieben. Planung über Ausführung, Zuberei- »Wir arbeiten übergreifend: Vom Chef- tung, Präsentation bis Werbungs- und Kantinen-Alltag: So viel Kreativität koch bis zum Tellerwäscher, jeder Verkaufsförderung, überall erhält man braucht Struktur packt mit an, wo er gebraucht wird. wertvolle Einblicke und kann Erfah- Aber auch mit dem Arbeitsalltag sollte Vorgesetzte leiten nach dem Prinzip rungen sammeln. Zudem bieten fast man sich identifizieren können. Dieser ›unterstützende Führung‹«, erklärt Ha- alle innovativen Kantinenbetreiber ist nämlich geprägt von genau festge- gen. Fazit: Für Einzelgänger, die lieber wie die Firmen Otto (www.otto.de) und legten Strukturen und Abläufen, »aber ihr eigenes Süppchen kochen und Rational interne und externe Schulun- nicht wie ein Korsett, sondern um die Routine statt kreativer Abwechslung gen. In Dietmar Hagens »Essenszeit« Kreativität des Teams möglich zu ma- bevorzugen, sind Kantinen, die nach gibt es sogar eine eigene Akademie mit chen«, sagt Hagen. Ohne Disziplin kei- modernen Konzepten arbeiten, sicher einem umfangreichen Lehrangebot ne Freiheit. nicht das geeignete Arbeitsumfeld. »Man sollte gerne Gastgeber sein« Interview mit Dietmar Hagen, Gründer von ESSENSZEIT (www.essenszeit.com), professioneller Gastgeber in Betriebsrestaurants und der Gemeinschafts- verpflegung sowie Berater von Unternehmen im Bereich der Betriebsgastro- nomie. Interview: Petra Sodtke Wer sind Ihre idealen Bewerber? Karriere in der Kantine Sie sollten mindestens drei bis vier Jahre Erfahrung haben – wie schafft das ein und in möglichst vielen Bereichen der Gastronomie gear- junges Talent? beitet haben. Gern gesehen sind Kräfte aus À-la-carte- Ich empfehle eine Lehre und/oder ein Restaurants. Eine fundierte Ausbildung wie Hotelfach- Bachelor-Studium zum Thema Ernährung, Ökotropho- schule, abgeschlossene Lehre etc. ist eine wichtige Basis. logie oder adäquate Kurse und Seminare wie z.B. Diäte- Zur Persönlichkeit: Man sollte ein Teamplayer, kreativ, tik, Glutenunverträglichkeit, vegane Küche. Daneben kommunikativ, offen sein, Weiterbildungswillen mitbrin- sollte man seine Gastgeber-Qualitäten weiterentwickeln, Fotos: Hilke Opelt; Hagen gen und Einsatz zeigen. Unbedingt braucht man das »Gas- vielfältige Praxis-Erfahrung sammeln, Fremdsprachen tro-Feeling«, man sollte also gern Gastgeber sein. Bei uns lernen. Aus meinem Werdegang kann ich mitgeben: Eine ist auch die Leidenschaft fürs Thema Voraussetzung: Mit solide Basis-Ausbildung ist immer gut, viel Wertvolles unserem untrennbaren Dreiergespann Genuss, Ernäh- lernt man vor allem in der Praxis, durch Anpacken und rung/Diätetik (vegane Küche, Fachwissen, Glutenunver- Offen-durchs-Leben-Gehen, durch Learning by Doing, träglichkeit etc.) und toller Geschmack sollte man sich vor allem wenn man so wie ich vom Koch zum Unter- identifizieren können. nehmer wird. 86 HOGAPAGE 1/2019
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