Adipöse Gesellschaft des 21. Jh - Ursachen von Übergewicht und Strategien dagegen
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Adipöse Gesellschaft des 21. Jh. Ursachen von Übergewicht und Strategien dagegen… Ludwig Kramer 1. Med. Abteilung mit Gastroenterologie, Krankenhaus Hietzing, Wien ludwig.kramer@wienkav.at
Adipositas und chronische Entzündung, z.B.Gelenke • Weit mehr als nur Gewichtsbelastung ! Aus dem Fettgewebe im Bauch stammen viele Entzündungssignale
• Was macht uns heute übergewichtig? Flüssige Kohlenhydrate! • Gestörtes Sättigungsmuster • Umwandlung von Kohlenhydraten in Fett • Begünstigung chronischer Erkrankungen (sog. NCD) Industriell prozessierte Nahrung • Künstliche Aromen – stimulieren Appetit • synthetische Süßstoffe – stimulieren Appetit • Fettarme Light- Produkte – stimulieren Appetit • Selbst energiefreie Zusatzstoffe können Energieausbeute steigern „Dysbiose“: veränderte Bakterien im Darm • Treibende Kraft für Entzündung und Stoffwechselstörung • Intestinales Mikrobiom Schaltstelle für Adipositas, Entzündung, Depression und mehr… Wird durch „westlichen“ Ernährungsstil verändert • Wird auch durch Sport und Training positiv verändert
„Zurück zur Natur“: Insektenzucht für (unlimitierte) Nahrungsproduktion? Chitin: Entzündungsinduktion Yonsei Med J 2009: 50:22-30
Of Mais and Men… Maisstärke: heute wichtigste Basis der Fructoseproduktion Fruktose-Glukose Sirup (HFCS) Staatliche Förderung
Zucker: Kulturgeschichte • Antike: Zucker spielt keine Rolle Hippokrates‘ Aphorismen: keine Erwähnung Früchte und Honig für Reiche • Mittelalter: Zucker weithin unbekannt • Ca. 1650: Rohrzucker wird als teure Medizin eingeführt Erst danach Aufkommen von „süß“ als literarische Metapher • Ca. 1900: Zucker bereits 20% Energie in britischer Diät Auftreten von „Altersdiabetes“, neuartige Leberschäden (Fettleber) • USA 1960-1985: Mais als Basis der Zuckerproduktion eingeführt Ab 1960: Verdrängung von Zucker durch Sucrose, Glucosesirup Ab 1976: high Fructose-Glucosesirup (HFCS) Staatl. Förderung von Mais, Zölle auf Rohr- und Rübenzuckerimport Globale Expansion von fast food - Ketten Ab 2000: „Altersdiabetes“ schon bei Kindern und Jugendlichen • „Generation XXL“
Fruchtzucker (Fructose) in der Ernährung – Trends in den USA pro Kopf-Einnahme (g/Tag) Marriott, J Nutr. 2009 Natürliche KH HFCS Haushaltszucker
Fructosesirup kam nicht allein... • Etwa gleichzeitig Aufkommen von TV – Massenkultur und Unterhaltungselektronik Bewegungsmangel schon bei Kindern Reduzierter Energieverbrauch „Snacks“ Fast food Erhöhte Energieaufnahme „Dysbiose“
Vergleich Mikrobiota europäischer Stadt- und afrikanischer Landkinder Europa: Firmikuten dominieren Afrika: Bacteroidetes dominieren Alistipes: - Kann Darmkrebs Begünstigen - durch fette Nahrung vermehrt Tilg et al. 2016
Nahrungsmittel im 20. Jahrhundert • Produktion und Verfügbarkeit werden globalisiert „BIG FOOD“ • Energiedichte nimmt zu Übergewicht, Adipositas werden globales Problem 60 % der erwachsenen Amerikaner sind übergewichtig! JAMA 2001;286:1195-1200
USA Nähe zum nächsten Fast Food Restaurant als Helligkeit dargestellt
Fast food: keineswegs neu, in allen Hochkulturen vorhanden Pompei, Thermopolium: 2010 wiedereröffnet
Getränke in menschlicher Evolution
Neu seit 1976: mit Fructose / HFCS 55 gesüßte Produkte
Neu seit 1960er Jahre: „zuckerfreie“ Soft Drinks USA: Anstieg HFCS Jahreskonsum seit 1970 von 294 g auf 33,4 kg bis 2003, seither Stagnation Yang, Q Yale J Biol Med. 2010; 83:101
Einnahme von fast food und flüssigen Kohlenhydraten ist positiv korreliert • In den letzten Dekaden ist der Konsum von Kohlenhydraten um 150-300 kCal/Tag angestiegen • Unterschiede bei Alter und Geschlecht • Mehr als 50% des Anstiegs erfolgt durch gesüßte Getränke Popkin BM, Armstrong LE, Bray GM, Am J Clin Nutr 2006, 83:529–542.
Anzahl täglicher Soft drinks, nicht „metabolisches Syndrom“ entscheidend für Entwicklung einer Fettleber (Risiko für Gefäß- und Leberkrankheiten) Alberti, Circulation, 2009
Noch nie war es so leicht, übergewichtig zu sein Früher waren arme Menschen dünn, heute sind sie dick Detroit, 1931 Detroit, 2009
USA - Entwicklung der Lebenserwartung 1983-1999 Männer Frauen
Evolution: hat uns nicht auf den Konsum von Softdrinks vorbereitet Fehlende physiologische Sättigungsreflexe führen zur Überernährung - Studien USA: bis zu 40 kg Fruchtzuckeraufnahme im Dünndarm/Tag - Fruchtzucker: stimuliert Appetit ! - Künstliche Süßstoffe: verändern Energiebilanz über Darmbakterien
Ab ca. 2005 nimmt der Anteil flüssiger Kohlenhydrate in den USA wieder ab (und in Mexico, China, Korea, UAE [...] zu) USA:
Folgen des Konsums von Soft Drinks • Sättigungsgefühl hält nur kurz an • Schnelle Magenentleerung Pylorus (Pförtner) lässt kleine Nahrungspartikel und Flüssigkeit durch Darm-Sensoren für Fett, Protein werden nicht stimuliert, Sättigungsreflexe „überlistet“ Aufgenommene Gesamtenergiemenge steigt
Soft drinks - weitere Folgen • Speicherung flüssiger Energie in Leber, Fettgewebe Spezialfall Fructose: kein Sättigungseffekt im Gehirn (und Darm) Vermutlich Konsequenz fehlender Insulinwirkung • Folge vermehrte Energieaufnahme – metabolisches Syndrom Gewisse Darmbakterien („Firmikuten“) profitieren Zellulosespaltung erzeugt Energie im Darm! Andere Bakterien (Bacteriodetes) bilden sich zurück Geringerer Energiegehalt im Stuhl adipöser Menschen: bessere Verwerter
Appetit (und Sättigung) entstehen in Darm-EECs, Blut & und Hirn • „Enteroendokrines System“ moduliert: • Transportfunktion der Eingeweide (Motilität) • Sekretion • Regulation des Zuckerstoffwechsel • Kommunikation mit enteralem Nervensystem • Appetitregelung Psichas J Clin Invest. 2015;125:908-917
Rezeptoren in enterochromaffinen Zellen (EEC) regulieren Appetit über Gewebshormone • Sättigung als Gesamteffekt unterschiedlicher Nahrungssubstrate im Darm und Langkettige Fettsäuren Kurzfettige Fettsäuren Peptide (zusammengesetzt aus Aminosäuren) Glucose Gallensäuren Bakterienprodukte Endokrine Wirkung Parakrine Wirkung J Clin Invest. 2015;125:908-917
Fetterzeugung in der Leber nach Traubenzucker (Glucose) versus Glucose/Fructose (25/50%) Glucose / Fructose Lipidsynthese Zuckerlösung Mittagessen
Soft Drinks und Fructose • Planet Health project - Menge des Konsums von Soft-Drinks bei Heranwachsenden sagt Zunahme des Gewichts bei Kindern voraus Ludwig DS Lancet 2001 • Mit HFCS gesüßte Getränke führen zu Überernährung Raben, Am J Clin Nutr2002 • Kohlenhydrate in flüssiger Form erhöhen Gesamtenergieaufnahme und Gewicht DiMeglio, Int J Obes Relat Metab Disord 2000 • USA: Anstieg HFCS Jahreskonsum seit 1970 von 294 g auf 33,4 kg Bray; Am J Clin Nutr, 2004
Wichtigste Zielgruppe für Softdrinks: junge Männer Anteil der Männer mit > 100 kg hat sich seit 2000 verdoppelt Änderung des Körperbilds?
David 2018
Industrielle Manipulation der Geschmacksempfindung: • Senomyx verwendete humane Nierenzellen abgetriebener Feten zur Untersuchung geschmacksverstärkender Moleküle in Softdrinks (Pepsi) “Using isolated human taste receptors, we created proprietary taste receptor-based assay systems that provide a biochemical or electronic readout when a flavor ingredient interacts with the receptor.” Weitere Kunden: Kraft Foods, Solae, Nestle. • Präs. Obamas Security and Exchange Commission (SEC) entschied 2012, dass es sich um „normale Geschäftsaktivität“ handelte.
Aromaindustrie • Grundlage Ohne Aromen wären die heutigen industriellen Nahrungsmittel weitgehend unverkäuflich geringe Qualität der Rohstoffe Rationalisierungsdruck Gesetzgeber unterstützen öfter Industrie als Konsumenten Immer mehr Aromen in der Nahrung, ichweniger Inhalt Knorr Hühnersuppe: 2 g Hühnerfleisch Maggi Rinds- Bouillon: 2,3g Rinderfett, 670 mg Fleischextrakt Glutamat Europaweit 95.000 Tonnen/ Jahr Großbritannien führend
Beispiel aus der Aromaindustrie • IFF – New York International Flavors & Fragrances 2.6 Milliarden $ Umsatz/Jahr 66 Fabriken in 34 Ländern Gerüche für • Hugo Boss, Donna Karan, Calvin Klein, Ralph Lauren • „Lockdüfte“ in Geschäften, manipulative Aromen für Klimaanlagen US Pat. 5.895.261 Muskelfleischaroma + Bräunung in Mikrowelle Erdbeeraromen Erdbeerernte- könnte nur 5% des Bedarfs decken Konsumenten mit Naturaroma nicht mehr zufrieden Künstliche Süßstoffe – kalorienneutral ???
Propionat wird von Darmbakterien erzeugt Anstieg durch Einnahme von Saccharin
Mikrobiom, Gesundheit und Wissenschaft
Darm – Mikrobiom und Adipositas
Ernährungsstil und Mikrobiom Wir steuern über Ernährung unsere Darmbakterien Herbert Tilg, Alexander R Moschen, Gut 2014 http://dx.doi.org/10.1136/gutjnl-2014-306928
Proliferationsmarker K67: abhängig von Diät
Industrielle Emulgatoren verändernd das Mikrobiom der Maus und begünstigen Darmentzündung und metabolisches Syndrom Wasser Carboxymethyl- Polysorbat 80 zellulose Wasser: größter Abstand Bakterien – Epithelzelle
Industrielle Emulgatoren verändern das Mikrobiom der Maus und begünstigen Darmentzündung und metabolisches Syndrom Füllstoffe /Emulgatoren: vermehrtes Fettgewebe Höheres Diabetesrisiko Appetitsteigerung !
Emulgator P-80 verändert das Mikrobiom der Maus und fördert Darmentzündung, Übergewicht und Leberstörung Kalorienaufnahme identisch! P-80, 1% per kg über Magensonde verabreicht Die Dosis entspricht den von der FDA als akzeptable Einnahme freigegebenen Menge 2016
Dysbiose: beeinflusst Toleranz und Barrierefunktion Galipeau HJ, Verdu EF, Gut Microbes 5:5, 594--605; 2014
Was können wir tun? • Beten?
Herr, erlöse uns von den Pyramiden „Ernährungspyramide“ des Fonds Gesundes Österreich
Was können wir tun? • Wissen ! Kontrolle der Energieaufnahme Flüssige Kohlenhydrate Kontrolle der Energieverwertung Dysbiose Bewegung Von Anfang an! Politik / Wirtschaftssystem Industrie beeinflusst Gesetze und Preisgestaltung
Adipositas–ökonomische Aspekte Studie Seattle 2005-2007: • Ernährungskosten lt. Diätempfehlungen der amerikanischen Fachgesellschaften: 36 $ / Tag, 20% Teuerung • Ernährungskosten bei Junk food (ca. 30% mehr Kalorien, Transfette, Stabilisatoren, Emulgatoren etc.) 3,2 $ / Tag, 2% Preisabnahme Höchste Gewichtszunahme bei Armen, nicht bei Reichen!
Kein Gewichtsanstieg durch zuckerfreie Getränke (Die Studie verwendete künstlich gesüßte Getränke als Kontrolle) Kein weiterer Unterschied des BMI nach einem Jahr
Wasser statt Saft !
Bewegung von Anfang an
Fördern der „richtigen“ Bakterien
Was sind die neuen Ergebnisse? • Überwiegen von A. muciniphilia assoziiert mit gesünderen Stoffwechselstatus bei übergewichtigen/ adipösen Individuen • Interaktion zwischen Artenvielfalt des Darmmikrobioms, einzelnen Spezies und A. muciniphilia - größere Artenvielfalt geht mit gesünderem Stoffwechselstatus einher • Stärkere Konzentration von A. muciniphilia bei Beginn einer kalorienreduzierten Diät führt zu mehr Verbesserung bei Glukosestoffwechsel, Blutfette, Körperzusammensetzung
• A. Muciniphila bei genetisch bestimmtem Diabetes/ Übergewicht 3300 fach reduziert • Präbiotika (Oligofructose) stellen Ausgangszustand Akkermansia komplett wieder her • Lactobacillus plantarum normalisiert Stoffwechsel bei fettvermehrter Diät • Positive Wirkung über Endocannabinoide auf Darmbarriere (Mucusdicke), Sekretion von Peptiden in der Darmschleimhaut, Entzündung und Zuckerstoffwechsel • Abgetötete A. muciniphila zeigten keine Wirkung
Auch das (gesunde) Mikrobiom muss ernährt werden
Lifestyle-Induced Microbiome Depletion and its Implications for Health • Die Menschheit hat sich mit einer dichten mikrobiellen Population, die den Gastrointestinaltrakt besiedelt, entwickelt. • Mikrobiota sind für unsere Biologie essenziell und übermitteln Signale für Entwicklung und Funktion von Immunsystem, Nervensystem und Stoffwechsel. • Es gibt überzeugende Evidenz, dass eine Störung der Wirt- Mikrobiom Symbiose zu einer Zunahme immun-vermittelter Veränderungen und Erkrankungen wie Adipositas, Herz- Kreislauferkrankungen, Rheuma und Gelenkserkrankungen, Darmkrebs, Allergien, Asthma, Autoimmunerkrankungen und Krebs führt. • Faktoren des heutigen Lebensstils gefährden schützende Bestandteile des Mikrobioms
Lifestyle-Induced Microbiome Depletion and its Implications for Health • Die Entwicklung der Symbiose zwischen Mikrobiom und Mensch erfolgte mit einer Diät die wesentlich mehr Fasern als die heutige industrielle Ernährung enthielt. • Der so genannte ‘fiber gap’ für die optimale Gesundheit und Aufrechterhaltung der mikrobiellen Diversität könnte sogar größer sein als derzeit erkannt. • Diese evolutionären Überlegungen, die Wahrnehmung des Darm Mikrobiom in der Aufrechterhaltung der Gesundheit und insbesondere die Gefährdung des Mikrobiom durch Industrialisierung sollten eine fundamentale Änderung der westlichen Diät mit signifikanter Zunahme von Ballaststoffen und Fasern zur Folge haben.
Ernährungskonzepte – West und Ost „West“ „Ost“ • Nahrungsaufnahme liefert • Nahrungsaufnahme dient primär Energie Erhaltung der Gesundheit – Maximale Ausbeute – Symbolkraft, Ästhetik – Hohe Energiedichte – Industrielle Herstellung – Niedrige Energiedichte • Konzerne, Förderung – Manuelle Herstellung – Kalorien, Vitamine • Oft künstlerische Aspekte – Proteine – Hülsenfrüchte, Gewürze – Tierische Fette • Weißes Fleisch, Fisch • Rotes Fleisch, Milchprodukte – Langsame Energiefreisetzung – Rasche Energiefreisetzung
Zusammenfassung • Ernährung und Appetit haben sich verändert Nahrungsmittel- und Aromenindustrie Zunahme flüssiger Kohlenhydrate Dysbiose Barrierestörung durch industrielle Produktion • Industrielle „rationale“ Ernährung: Historisch nie gesehene Gewichtszunahme in Industrienationen Bewusste Appetitmanipulation Zunahme an Adipositas, Unverträglichkeit, Darmerkrankungen Softdrinks, Fructose Appetit- und Umsatzsteigerung, Überlistung von Sättigungsreflexen Stress durch Zwang „gesund“ zu essen • Maßnahmen zur Beschränkung flüssiger KH („von Anfang an“) Aussichtsreichste anti-Adipositas-Strategie Bewegung ist essentiell!
Literatur zum Thema
Rotwein Bier Einkauf Einkauf 301 Kr 216 Kr
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