Affektive Störungen II - Prof. Dr. Christian Otte Universitätsmedizin Charité Berlin Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Campus Benjamin ...
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Affektive Störungen II Prof. Dr. Christian Otte Universitätsmedizin Charité Berlin Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Campus Benjamin Franklin http://psychiatrie.charite.de/
Sie sind Psychologin in einer Klinikambulanz. Zu Ihnen kommt eine 28jährige Studentin, die angibt, sich seit Wochen traurig, bleiern müde und kraftlos zu fühlen, ein deutlich erhöhtes Schlafbedürfnis zu haben und vermehrten Appetit zu verspüren. Was wollen Sie noch wissen? Wie gehen Sie vor? Mögliche Differentialdiagnosen?
Haupt- und Nebenkriterien nach ICD-10 Suizidgedanken / Negative und Suizidale Handlungen pessimistische Zukunftsperspektiven Vermindertes Selbstwertgefühl und Gefühl von Schuld Depressive Verminderter Selbstvertrauen und Wertlosigkeit Stimmung Antrieb Verlust von Interesse Appetitminderung und Freude Schlafstörungen Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
„Psychotische Depression“ Besonders schwere Depression mit - Hypochondrischem Wahn - Verarmungswahn Stimmungs- - Versündigungswahn kongruent - Nihilistischem Wahn - Halluzinationen Achtung: Hohes Suizidrisiko!
Bipolar-I-Störung; manische Episode • A. eine mindestens 1-wöchige, abgegrenzte Episode mit abnorm und anhaltend, expansiver oder reizbarer Stimmung UND abnorm und anhaltende Steigerung der Aktivität / Betriebsamkeit fast den ganzen Tag (bei Hospitaliserung auch kürzer) • B. Während der Periode der Stimmungsveränderung und gesteigerten Betriebsamkeit bestehen mindestens 3 der folgende Symptome in deutlichem Ausmaß: – übersteigertes Selbstwertgefühl oder Größenideen – vermindertes Schlafbedürfnis – vermehrte Gesprächigkeit oder Rededrang – Ideenflucht oder subjektives Gefühl des Gedankenrasens – erhöhte Ablenkbarkeit – gesteigerte Betriebsamkeit (in sozialen, beruflichen oder schulischen Bereich) oder psychomotorische Unruhe – übermäßige Beschäftigung mit angenehmen Aktivitäten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit unangenehme Konsequenzen haben (ungezügeltes Einkaufen, sexuelle Eskapaden…)
Manische Episode • C. Stimmungsveränderung ist schwer genug, um eine deutliche Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit oder der üblichen sozialen Aktivitäten oder Beziehungen zu verursachen oder eine Hospitalisierung zur Abwendung von Selbst- oder Fremdgefährdung erforderlich zu machen oder es sind psychotische Symptome vorhanden • D. die Episode geht nicht direkt auf eine körperliche Wirkung einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück • Beachte: eine manische Episode, die während einer antidepressiven Therapie auftritt aber über dem zu erwartenden physiologischen Effekt der Therapie hinausgehend anhält, ist kennzeichnend für eine manische Episode und somit auch als Bipolar-I-Störung zu diagnostizieren
Bipolar-I: hypomanische Episode • A. eine umschriebene Zeitspanne von mind. 4 Tagen mit abnorm und anhaltend, expansiver oder reizbarer Stimmung UND abnorm und anhaltende Steigerung der Aktivität / Betriebsamkeit fast den ganzen Tag • B. Während der Periode der Stimmungsveränderung und gesteigerten Betriebsamkeit bestehen mindestens 3 der folgende Symptome in deutlichem Ausmaß: – übersteigertes Selbstwertgefühl oder Größenideen – vermindertes Schlafbedürfnis – vermehrte Gesprächigkeit oder Rededrang – Ideenflucht oder subjektives Gefühl des Gedankenrasens – erhöhte Ablenkbarkeit – gesteigerte Betriebsamkeit (in sozialen, beruflichen oder schulischen Bereich) oder psychomotorische Unruhe – übermäßige Beschäftigung mit angenehmen Aktivitäten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit unangenehme Konsequenzen haben (ungezügeltes Einkaufen, sexuelle Eskapaden…)
Bipolar-I: hypomanische Episode • C. die Episode geht mit eindeutigen und für den Betroffenen uncharakteristischen Veränderungen im Verhalten und in der Leistung im Vergleich zu symptomfreien Zeiten einher • D. Die Stimmungsveränderungen und Funktionsbeeinträchtigungen sind für andere beobachtbar • E. Die Episode ist nicht schwer genug, um deutliche soziale oder berufliche Funktionsbeeinträchtigungen zu verursachen oder eine Hospitalisierung erforderlich werden zu lassen und es bestehen keine psychotischen Symptome • F. die Episode geht nicht direkt auf eine körperliche Wirkung einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück
Unterschiede Hypomanie und Manie Hypomanie Manie Leicht ausgeprägte Symptome Schwer ausgeprägte Symptome Geringfügige bis leichte Schwere Beeinträchtigungen Beeinträchtigungen Schwer beeinträchtigte Geringfügig bis leicht Urteilsfähigkeit beeinträchtigte Urteilsfähigkeit Psychotische Symptome Spricht gewöhnlich auf die Erfordert häufig eine stationäre ambulante Behandlung an Behandlung Schlafregulierung und/oder Erfordert eine Akuttherapie mit Benzodiazepine können die Stimmungsstabilisierer und/oder Episode manchmal beenden Antipsychotikum
Mixed features Vieta et al, Nature Reviews Disease Primers, 2018
Mixed features Vieta et al, Nature Reviews Disease Primers, 2018
Mixed features Vieta et al, Nature Reviews Disease Primers, 2018
Rapid Cycling • Kurze Phasenwechsel (mind. 4 Episoden pro Jahr): 15-20% • Verhältnis Frauen zu Männer 2 : 1
Fremdbeurteilungsverfahren Young-Mania Rating Scale (YMRS) 1. Gehobene Stimmung 7. Sprache/Denkstörung 2. Gesteigerte motorische 8. Inhalt* Aktivität 9. Störend-aggressives 3. Sexuelles Interesse Verhalten* 4. Schlaf 10. Erscheinungsbild 5. Reizbarkeit* 11. Einsicht 6. Sprechen* Skala (0-4) oder (0-8)*, max. 60 Punkte
Patientenvorstellung
Epidemiologie
Spektrum affektiver Störungen nach ICD-10 Risiko, im Laufe des Lebens zu erkranken (Lebenszeitprävalenz) 3% 15% 4% Manische Bipolare Depressive Episode Anhaltende Sonstige affektive Rezidivierende Episode Affektive Störung Depressive Störung Affektive Störung Störungen (F 30) (F 31) (F 32, F33) (F 34) (F 38) Bipolar I Bipolar II Zyklothymia Dysthymia (F 34.0) (F 34.1)
Verlauf n = 146 Follow-up: 12,8 Jahre % der Zeit depressiv; 31,9 symptom-frei; 52,7 manisch; 9,3 rapid cycling; 5,9 Judd et al. 2002
Verlauf • Manien sind selten unipolar! • Dauer der manischen Episode ohne Behandlung: Tage bis Monate (im Durchschnitt 3 Monate) • Dauer der depressiven Episode ohne Behandlung: Wochen bis Monate (im Durchschnitt 9 Monate) ABER • Depressive Phasen sind bei bipolaren Störungen häufig kürzer • Depressive Phasen sind 3-mal so häufig wie manische Phasen
Depression: Unipolar oder Bipolar? Seemöller et al. 2010
Verlauf • Risikofaktoren für einen schweren Verlauf mit häufig wiederkehrende Episoden: – Junges Ersterkrankungsalter – Weibliches Geschlecht – Gemischte Episoden – Schwerwiegende Lebensereignisse – Psychotische Symptome – Insuffizientes Ansprechen auf die phasenprophylaktische Therapie – Rapid Cycling
Ätiologie
Lebenszeitprävalenz und Heredität psychischer Erkrankungen Geschwind & Flint, Science 2015
Genetische Korrelation verschiedener psychiatrischer Erkrankungen Geschwind & Flint, Science 2015
Emil Kraepelin: „Dementia praecox“ vs. „manisch-depressives Irresein“
Multifaktorielle Genese psychischer Erkrankungen Vieta et al, Nature Reviews Disease Primers, 2018
Behandlung
Pfennig, Andrea; Bschor, Tom; Falkai, Peter; Bauer, Michael Diagnostik und Therapie bipolarer Störungen: Empfehlungen aus der aktuellen S3-Leitlinie
Zwei zentrale Behandlungssäulen Medikamentöse Behandlung Psychotherapie (v.a. Stimmungsstabilisierer) (beste Evidenz für Kognitive Verhaltenstherapie)
Erwartungen an das ideale Medikament bei bipolaren Störungen • Wirksamkeit für das gesamte bipolare Spektrum • Wirksamkeit in der akuten Manie (und Prophylaxe) • Wirksamkeit in der akuten Depression (und Prophylaxe) • Phasenprophylaxe! • Sicherheit und Verträglichkeit • Keinen Umschwung in eine andere affektive Phase („switch“) oder eine Zunahme der Zahl der Phasen induzieren Dieses Medikament gibt es nicht!
Vieta et al, Nature Reviews Disease Primers, 2018
S 3 Leitlinie Bipolare Störungen, 2019
S 3 Leitlinie Bipolare Störungen, 2019
S 3 Leitlinie Bipolare Störungen, 2019
International Society for Bipolar Disorders 2018 guidelines
„Man kann sich nämlich kaum ein schambesetzteres Leben vorstellen als das eines manisch-depressiven Menschen. Das liegt daran, dass ein solcher Mensch drei Leben führt, die einander ausschließen und bekriegen und beschämen: das Leben des Depressiven, das Leben des Manikers und das Leben des zwischenzeitlich Geheilten. Letzterem ist nicht zugänglich, was seine Vorgänger taten, ließen und dachten. Der zwischenzeitlich Geheilte (zwischenzeitlich, denn diese Störung ist eine lebenslange Krankheit, von der der Betroffene nur hoffen kann, dass sie möglichst selten ausbricht) wandert zerfetzt durch die Gegend und kann sich nur über das Schlachtfeld wundern, das hinter ihm liegt. Ändern kann er es nicht, obwohl der Maniker, der da gewütet hat, und der Depressive, der da siechte, zwei Versionen seines Ichs sind, die ihm nun völlig fremd werden (...). Und doch, es ist nicht von der Hand zu weisen: Er war es. Er war all die Taten und Katastrophen und Lächerlichkeiten, er war die Exzesse und Fehleinschätzungen, die Obsessionen und Nullsätze, die Hausverbote und Selbstmordversuche, die Peinlichkeiten, das Wüten, der Kollaps (…)“
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