AK Positionspapier Mai 2010 - EU-2020-Strategie Integrierte Leitlinien zu Europa 2020
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Mai 2010 AK Positionspapier EU-2020-Strategie Integrierte Leitlinien zu Europa 2020 www.akeuropa.eu
Wir über uns Die Bundesarbeitskammer ist die Im Rahmen ihrer Aufgaben bera- gesetzliche Interessenvertretung ten die Arbeiterkammern ihre von rund 3,2 Millionen Mitglieder unter anderem in ArbeitnehmerInnen und Fragen des Arbeitsrechts, des KonsumentInnen in Österreich. Konsumentenschutzes, in Sozial- und Sie vertritt ihre Mitglieder in allen Bildungsangelegenheiten. Mehr als sozial-, bildungs-, wirtschafts- drei Viertel der rund 2 Millionen Be- und verbraucherpolitischen ratungen jährlich betreffen arbeits-, Angelegenheiten auf nationaler sozial- und insolvenzrechtliche als auch auf der Brüssler EU- Fragestellungen. Darüber hinaus Ebene. Darüber hinaus ist die nimmt die Bundesarbeitskammer Bundesarbeitskammer Teil der im Rahmen von legislativen österreichischen Sozialpartnerschaft. Begutachtungsverfahren die Aufgabe wahr, die Positionen Das AK EUROPA Büro in Brüssel der ArbeitnehmerInnen und der wurde 1991 errichtet, um die KonsumentInnen gegenüber dem Interessen aller Mitglieder der Gesetzgeber in Österreich als auch. Bundesarbeitskammer gegenüber auf EU-Ebene einzubringen. den Europäischen Institutionen vor Ort einzubringen. Alle österreichischen Arbeitnehmer- Innen sind per Gesetz Mitglied der Zur Organisation und Aufgabe der Arbeiterkammern. Die Mitglieds- Bundesarbeitskammer in Österreich beiträge sind gesetzlich geregelt und betragen 0,5 Prozent des Die Bundesarbeitskammer Österreichs Bruttoeinkommens (maximal bis zur bildet die Dachorganisation Höchstbemessungsgrundlage in von neun Arbeiterkammern auf der Sozialversicherung). 560.000 (ua Bundesländerebene, die gemeinsam Arbeitslose, Eltern in Karenz, Präsenz- den gesetzlichen Auftrag haben, und Zivildiener) der rund 3,2 Millionen die Interessen ihrer Mitglieder zu Mitglieder sind von der Zahlung des vertreten. Mitgliedsbeitrages befreit, haben aber Anspruch auf das volle AK- Leistungsangebot! Herbert Tumpel Werner Muhm Präsident Direktor www.akeuropa.eu EU-2020-Strategie - Integrierte Leitlinien zu Europa 2020
Executive Summary Die von der Kommission vorgelegten zung der Erholung ruht vor allem auf integrierten Leitlinien zu Europa 2020 den Schultern der europäischen Ver- werden auf Jahre wesentliche Politik- braucher sowie der Investitionen.“ bereiche auf europäischer und natio- naler Ebene bestimmen. Ihre konkrete Die Stärkung der endogenen Wachs- Ausgestaltung ist daher für den Erfolg tumskräfte ist daher eine der ganz der EU-2020-Strategie von zentraler wesentlichen Herausforderungen, die Bedeutung. sich auch in den integrierten Leitlinien widerspiegeln muss. Das heißt kon- Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist kret: Stärkung der Binnennachfrage Die Finanz- und trotz der zu beobachtenden Stabilisie- und von Zukunftsinvestitionen. Die Wirtschaftskrise ist rung der Konjunktur noch lange nicht Bedingungen des Stabilitäts- und trotz der zu beobach- vorbei. Zu befürchten ist, dass Europa Wachstumspaktes dürfen kein Hinder- tenden Stabilisierung eine längere Phase der Stagnation nis dabei sein, wenn es darum geht, der Konjunktur noch bevorsteht, wenn es nicht gelingt, ein durch öffentliche Zukunftsinvestitionen lange nicht vorbei. neues Wachstumsmodell zu etablie- in Forschung, Bildung, Umwelt, soziale ren, das auf die endogenen Wachs- Infrastruktur etc das Potential für zu- tumskräfte setzt und gleichzeitig den künftiges Wachstum zu schaffen. Die sozialen und ökologischen Herausfor- Budgetpolitik muss auf die Ziele einer derungen Rechnung trägt. hohen Beschäftigung, Verteilungsge- rechtigkeit und Wachstum ausgerichtet Die integrierten Leitlinien werden einen sein. Potential für sinnvolle Investitio- Zeitraum abdecken, in dem sich ein nen gibt es genug. Die österreichi- weitreichender weltwirtschaftlicher schen Sozialpartner fordern ua einen Umbruch vollzieht. Die USA werden „European Green New Deal“, der durch als globale Konjunkturlokomotive nicht intelligente Investitionen (zB im Bereich mehr dieselbe Rolle spielen können erneuerbarer Energien) zusätzliche wie in der Vergangenheit. Die Warnung Arbeitsplätze schafft, Innovationen des IWF vom Oktober 2009, dass Euro- fördert und Kosten einspart (zB durch pa aufgrund der deutlich gesunkenen geringere Ölimporte). Nachfrage amerikanischer Verbrau- cherInnen (die Asien trotz gestiegener Ein wesentliches Defizit des vorliegen- Importe nicht wettmachen könne) auch den Entwurfs der integrierten Leitlinien längerfristig mit einem schwachen ist der Umstand, dass die Notwen- Wachstum rechnen müsse, bestätigt digkeit einer intelligenten Nachfrage- sich immer mehr. Auch der IWF fordert politik kaum thematisiert wird. Diese im Grunde ein neues Wachstumsmo- müsste sowohl bei den Vorschlägen dell, indem er klarstellt: „Eine Fortset- zur Haushaltskonsolidierung, zur Aus- www.akeuropa.eu EU-2020-Strategie - Integrierte Leitlinien zu Europa 2020
gabengestaltung und zur Lohnpolitik Steigerung der Beschäftigungsquote entsprechend berücksichtigt werden. von Frauen, erhöhen ihren Beitrag zum Zudem fehlt ein klares Bekenntnis zu BIP und zum Steueraufkommen und einer Neugestaltung der Finanzmärkte, gewährleisten nachhaltige Geburten- die zukünftig die Entstehung system- raten. Da sich die Gleichstellung von gefährdender spekulativer Blasen Frauen und Männern als Schlüssel zur ausschließt und die Finanzmärkte der dauerhaften Lösung alter wie neuer Realwirtschaft unterordnet. Dieses The- Probleme erwiesen hat, ist es wichtig, ma ist in den Leitlinien auffällig ausge- dass das Thema Gleichstellung ein klammert, ebenso die Notwendigkeit, Kernelement der EU-Strategie für 2020 die Finanzmärkte an den Kosten zur bleibt. Gleichstellungsmaßnahmen Bewältigung der Krise zu beteiligen. sollten deshalb nicht als kurzfristiger Kostenfaktor, sondern als langfristige Ebenso kommt einmal mehr Vertei- Investition betrachtet werden.“ lungsgerechtigkeit nicht explizit vor. Aus unserer Sicht geht es dabei um das Recht von ArbeitnehmernInnen an einer fairen Entlohnung bzw Beteili- gung am erwirtschafteten Wohlstand. Aber auch die ungleiche Verteilung von Vermögen muss thematisiert werden, da sie ein wesentlicher struktureller Faktor war, der zur Finanz- und Wirt- schaftskrise geführt hat. Wenig Bezug genommen wird auch auf Gleichstellungspolitik bzw Frauen- förderung. Die Überwindung der Diskri- minierung von Frauen am Arbeitsmarkt muss Bestandteil jeder Strategie zur Lö- sung der aktuellen Probleme sein, wie dies auch im Gleichstellungsbericht der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2009 zum Ausdruck kommt: „Bei der Gleichstellung handelt es sich nicht nur um eine Frage der Vielfalt und der sozialen Gerechtigkeit – ohne Gleich- stellung rücken auch Ziele wie nach- haltiges Wachstum, Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Zusammenhalt in weite Ferne. Investi- tionen in Gleichstellungsmaßnahmen lohnen sich, denn sie sorgen für eine www.akeuropa.eu EU-2020-Strategie - Integrierte Leitlinien zu Europa 2020
Die Position der AK im Einzelnen ad) Leitlinie 1: Gewährleistung der eines Ausbaus der bestehenden Qualität und langfristigen Tragfähig- sozialstaatlichen Absicherung, eines keit der öffentlichen Finanzen flächendeckenden Angebots an Bil- dungs- und Betreuungseinrichtungen Angesichts der Rekord- Angesichts der Rekordarbeitslosigkeit usw bedürfen, die eine Grundvor- arbeitslosigkeit von 24 von 24 Millionen Menschen in der EU aussetzung für technologischen, Millionen Menschen muss die Bekämpfung von Arbeitslo- strukturellen und gesellschaftlichen in der EU muss die sigkeit ein Hauptanliegen bzw ein kon- Wandel darstellen. Insbesondere für Bekämpfung von kretes Ziel der EU sein. In diesem Zu- eine bessere Vereinbarkeit von Beruf Arbeitslosigkeit ein sammenhang ist einer „Exit-Strategie“ und Familie und damit für eine höhere Hauptanliegen bzw bzw Konsolidierungsplänen nur unter Beschäftigungsquote sind die Rahmen- ein konkretes Ziel der Konjunktur- bzw Beschäftigungsvorbe- bedingungen derzeit nicht gegeben. EU sein. halten zuzustimmen. Diese längst notwendigen Zukunftsin- vestitionen weiter zu verschieben wäre In der Leitlinie 1 wird aus unserer ein fataler Fehler. Sicht zu sehr auf den Budgetkonsoli- dierungspfad (insbesondere auf das Vor diesem Hintergrund und ange- „strukturelle“ Defizit) fokussiert. Völlig sichts des Ausmaßes der Krise sollte unterbewertet werden (wieder) dabei aus unserer Sicht in der Leitlinie – die ua die konsum- und somit konjunktur- zudem laut Kommission bis 2014 weit- stützenden Wirkungen der sog „auto- gehend unverändert gelten soll – kein matischen Stabilisatoren“ zB im Bereich konkreter Zeitpunkt für den Beginn der der Arbeitslosen- oder Pensionsver- Konsolidierung festgeschrieben wer- sicherung. Gerade in wirtschaftlichen den. Stattdessen sollte das Wort „zeit- Abschwungphasen bzw bei niedrigem gerecht“ eingefügt und der Rückgang Wirtschaftswachstum stellen sie ver- der Arbeitslosigkeit als geeigneter Indi- lässliche Konstanten für den Erhalt der kator angeführt werden. Kaufkraft und die Stabilisierung der Konsumausgaben der privaten Haus- Am Ende des ersten Absatzes soll- halte dar. Gerade angesichts der Tat- te eingefügt werden: „Die Wirkung sache, dass die Wachstumsprognosen der automatischen Stabilisatoren nur sehr verhalten und unsicher sind, darf dabei ebenso wenig gefährdet erscheinen die Konsolidierungsemp- werden wie die notwendigen Inve- fehlungen überzogen und sozial- wie stitionen in den Ausbau der sozialen auch wachstumspolitisch kontrapro- Infrastruktur.“ duktiv. Bei der Aufzählung der wachstumsför- Statt die Sozialausgaben iwS zu kür- dernden Ausgabenposten im zweiten zen, würde es im Gegenteil sogar Absatz sollte jedenfalls Armutsbe- www.akeuropa.eu EU-2020-Strategie - Integrierte Leitlinien zu Europa 2020
kämpfung bzw Sicherung des sozialen merInnen. Problematisch sind hier die Zusammenhaltes und Ausbau der Formulierungen zur Lohnpolitik, die als sozialen Dienste dazu kommen. versteckter Aufruf zur Lohnzurückhal- tung gewertet werden können. Bei der wachstumsfreundlichen Gestal- tung des Steuersystems sollte ergänzt Wir schlagen daher wie folgt vor: werden: „... indem die Steuerlast vom Faktor Arbeit stärker beispielsweise auf • Makroökonomische Ungleichge- umweltschädliche Tätigkeiten sowie wichte resultieren auch aus der vermögens- und gewinnbezogene ungleichen Verteilung von Einkom- Steuern verlagert wird.“ Damit wäre ua men und Vermögen; dies sollte auch die Finanztransaktionssteuer er- entsprechend angeführt werden. fasst. Auch der Steuerbetrug sollte an- gesprochen werden, denn eine weitere • Die Rolle der Sozialpartner in der Haushaltsentlastung kann durch eine Lohnpolitik sollte verstärkt wer- Bekämpfung des Steuerbetrugs er- den. Gleichzeitig sollte klar zum reicht werden. In der EU werden durch Ausdruck kommen, dass eine Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und an der Produktivitätsentwicklung Steuervermeidung jährlich geschätzte orientierte Lohnpolitik in allen Mit- 200 bis 250 Mrd Euro entzogen, das gliedstaaten notwendig ist und es entspricht immerhin 1,6% des BIP der sollte eine Aussage zur Etablierung EU-27. Allein der Ausfall durch Mehr- armutsvermeidender Mindestlöh- wertsteuerbetrug wird – laut Angaben ne enthalten sein. des ehemaligen EU-Kommissar Kovacs am 6. Oktober 2009 vor dem Wirt- • Im zweiten Absatz sollte ergänzt schaftsausschuss des Europäischen werden: der Finanz- und Aktien- Parlaments – auf 60-70 Mrd Euro pro märkte. Jahr geschätzt. • Am Ende des Absatzes sollte Be- zug auf die Finanzmärkte genom- ad) Leitlinie 2: Beseitigung makroöko- men werden, zB durch folgende nomischer Ungleichgewichte Formulierung: „Außerdem achten die Union und die Mitgliedstaa- Es ist wichtig, dass die Beseitigung ten durch umsichtige und zielori- makroökonomischer Ungleichge- entierte Regulierung darauf, dass wichte thematisiert wird. Die konkrete nicht durch spekulative Blasen Formulierung der Leitlinie ist jedoch und Ungleichgewichte auf den potentiell gefährlich im Sinne einer Finanzmärkten die Realwirtschaft verklausulierten Aufforderung zur wei- in Mitleidenschaft gezogen wird.“ teren Druckweitergabe an Arbeitneh- www.akeuropa.eu EU-2020-Strategie - Integrierte Leitlinien zu Europa 2020
ad) Leitlinie 3: Abbau von Ungleich- Dimension völlig unterbelichtet ist, gewichten in der Eurozone schlagen wir folgende Änderungen bzw Ergänzungen vor: Positiv ist, dass hier die „Musterschü- ler“ aufgefordert werden, „strukturelle • Es ist darauf zu achten, dass Hemmnisse“ für den privaten Ver- Dienstleistungen von allgemeinem brauch zu beseitigen. Das ist zwar wirtschaftlichem Interesse sozial, etwas mysteriös formuliert, ist aber demokratisch, umweltschonend zu begrüßen, wenn es um eine faire und auf qualitativ hochwertiger Beteiligung der ArbeitnehmerInnen am Basis zu erschwinglichen Preisen erwirtschafteten Wohlstand geht. In zur Verfügung gestellt werden. Wo diese Richtung sollte es auch konkreti- dies notwendig ist, sind diese da- siert werden. her von den allgemeinen Regeln des Binnenmarktes auszunehmen. Wie die momentane Im Zusammenhang mit der Konsoli- Krise verdeutlicht, dierung und den Ungleichgewichten • Wie die momentane Krise verdeut- kann eine offene in der Eurozone verweisen wir auf eine licht, kann eine offene Marktwirt- Marktwirtschaft nur interessante Studie des Instituts für Ma- schaft nur dann langfristig aufrecht dann langfristig auf- kroökonomie. Die Studie kommt zum erhalten werden, wenn sie in eine recht erhalten wer- Ergebnis, dass eine alternative Strate- soziale Dimension eingebettet ist. den, wenn sie in eine gie – basierend auf einem Ausgleich Denn der Binnenmarkt ist kein Ziel soziale Dimension der strukturellen Ungleichgewichte an sich, sondern ein Mittel zur Er- eingebettet ist. durch eine schwächere Konsolidierung reichung von sozialem Fortschritt. in den Überschussländern und eine Dieser wird durch ein hohes Maß stärkere gesamteuropäische Nachfra- des Schutzes der Arbeiterneh- georientierung – nicht nur positiv für merInnen, der VerbraucherInnen Wachstum, Beschäftigung und Einkom- und der Umwelt gewährleistet und men der ArbeitnehmerInnen ist, son- zielt auf Vollbeschäftigung. Die dern wahrscheinlich auch die einzige Binnenmarktpolitik der nächsten Chance darstellt, die Währungsunion Jahre muss daher den Kampf zu retten. gegen Sozial- und Lohndumping in den Mittelpunkt stellen und ad) Leitlinie 6: Verbesserung der Rah- den sozialen Grundrechten zum menbedingungen für Unternehmen Durchbruch verhelfen. Es gilt den und Verbraucher und Modernisierung unfairen Wettbewerb um die der industriellen Basis niedrigsten Schutz- und Steuer- standards zu beenden. Davon In der Leitlinie werden erneut die klas- profitieren nicht nur die Arbeitneh- sischen Argumente angeführt, die auf merInnen und VerbraucherInnen die „Segnungen des Wettbewerbs“ sondern auch die europäischen abzielen. Da aus unserer Sicht we- Unternehmen: Auf der Grundlage sentliche Aspekte für die zukünftige zunehmend vereinheitlichter Stan- Binnenmarktpolitik ausgeklammert dards im Bereich Arbeit, Soziales, werden und insbesondere die soziale Konsumentenschutz und Umwelt www.akeuropa.eu EU-2020-Strategie - Integrierte Leitlinien zu Europa 2020
verlagert sich der Wettbewerb auf Frauen und Männer auf 75% bis zum Innovation, Kreativität und nach- Jahr 2020 ist grundsätzlich unterstüt- haltiges Wirtschaften. zenswert, es fehlen jedoch weitere Ziele. Im dritten Absatz wird zwar die • Bei der Verbesserung der Rah- Erhöhung der Beschäftigungsquoten, menbedingungen für Unterneh- insbesondere bei Jugendlichen, älteren men muss sichergestellt werden, Arbeitskräften und Frauen angespro- dass sich dadurch keine negativen chen, konkrete Ziele auf europäischer Auswirkungen auf Arbeitnehmer- Ebene sind jedoch nicht vorgesehen. Innen und VerbraucherInnen erge- Das bedeutet aus unserer Sicht eine ben. Der Hinweis auf die „Initiative merkliche Schwächung des europä- für kleinere und mittlere Unterneh- ischen Ansatzes. men in Europa“ sollte gestrichen werden. Wir vermissen zudem das Bekenntnis zum Ziel der Vollbeschäftigung und • Es muss sichergestellt werden, schlagen folgende Formulierung vor, dass die Mitbestimmung der Ar- die sich auf eine Schlussfolgerung beitnehmerInnen und der Schutz des Europäischen Rates stützen kann: der GläubigerInnen nicht durch „Vollbeschäftigung in der Europäischen neue Gesellschaftsformen unter- Union ist das Kernstück der EU-2020- laufen wird. Streng gilt es gegen Strategie und das Hauptziel der Wirt- Briefkastenfirmen vorzugehen, die schafts- und Sozialpolitik; hierfür müs- aus dem alleinigen Grund Steuern sen mehr und bessere Arbeitsplätze zu sparen oder geringere Regulati- geschaffen werden .“ onsstandards für sich in Anspruch zu nehmen, ihren Sitz in einen Im ersten Absatz sollte in Bezug auf „... anderen Mitgliedstaat verlagern. angemessenen Systemen der sozialen Sicherung zur Absicherung beruflicher • Die das öffentliche Auftragswesen Übergänge“ deutlich zum Ausdruck kennzeichnenden Grundsätze von gebracht werden, dass es um die offenen Märkten, Transparenz und Abfederung der sozialen Kosten von wirksamem Wettbewerb sollten Übergängen in einem Arbeitsleben verstärkt durch sozial- und um- geht und nicht nur um Anreize zur weltpolitische Vergabekriterien aktiven Arbeitssuche. Der Satzteil ab ergänzt werden. Darüber hinaus „...ergänzt um eine eindeutige Fest- sollte das öffentliche Auftragswe- legung der Rechte der Arbeitslosen“ sen Innovationsanreize bieten. sollte daher gestrichen werden, bzw zum Ausdruck gebracht werden, dass ad) Leitlinie 7: Erhöhung der Beschäf- die Aktivierung zur Arbeitsuche vor tigungsquote und Abbau der struktu- allem durch die Zurverfügungstellung rellen Arbeitslosigkeit von leistungsfähigen Dienstleistungen des Arbeitsmarktservice gewährleistet Das EU-Ziel der Erhöhung der Beschäf- werden sollte und weniger durch so tigungsquote der 20- bis 64jährigen genannte „Anreize“ bei den Arbeitslo- senunterstützungen. www.akeuropa.eu EU-2020-Strategie - Integrierte Leitlinien zu Europa 2020
Im zweiten Absatz sollten Maßnahmen frastruktur angeregt werden. So könn- zum Abbau der geschlechtsspezifi- ten Regionalfonds und der Agrarfonds schen Segmentierung des Arbeits- Mittel für die Herstellung der Infrastruk- marktes explizit erwähnt werden, dh es tur bereitstellen, Personal könnte aus sollen Maßnahmen gegen die Domi- dem ESF gefördert werden. nanz von Frauen in schlechtbezahlten Berufen (zB durch gendersensible Be- Wichtig wäre auch, nicht nur auf die rufsorientierung, Förderung von Ausbil- Notwendigkeit von Maßnahmen zur dungen in nicht-traditionellen Berufen) gleichen Entlohnung hinzuweisen, son- und zur Verbesserung der beruflichen dern zielführende Maßnahmen, wie zB Position von Frauen (zB betriebliche Einkommensberichte, anzuregen: Wie Karriereförderung von Frauen, Förde- das best practice Beispiel Schweden rung von Frauen in Führungspositio- zeigt, sind Berichte über die Einkom- nen) eingefordert werden. menssituation von Frauen und Män- nern auf betrieblicher Ebene ein gutes Im dritten Absatz sollte nicht nur auf Instrument für mehr Transparenz. Sie die Notwendigkeit der Schaffung von tragen dazu bei, ungerechtfertigte erschwinglichen Betreuungsmöglich- Lohnunterschiede offenzulegen und keiten zur Erhöhung der Beschäfti- auszugleichen. Diese Berichte dienen gungsquoten von Frauen hingewiesen nicht nur der Erhebung der Fakten, werden, sondern auch, dass es um die sondern setzen bei den Verantwortli- Schaffung von qualitativ hochwertigen chen auch einen Prozess der Ausein- Betreuungsmöglichkeiten geht und andersetzung in Gang. Väterbeteiligung an der Betreuung gefördert werden soll. Gute Kinder- Darüber hinaus vermissen wir in der betreuung ist eine der wichtigsten Leitlinie jede Aussage zur Gestaltung Maßnahmen für die Gleichstellung von der Arbeitszeit, etwa Zurückdrängung Frauen und Männern. Die EU hat mit exzessiver Überstundenarbeit (allein den Barcelona-Zielen von 33% Betreu- in Österreich werden jährlich unbe- ungsquote für unter 3-Jährige und 90% zahlte Überstunden im Ausmaß von Betreuungsquote für die Kinder zwi- bis zu 60.000 Vollzeitjobs geleistet) schen 3 Jahren und Schuleintritt kon- als Instrument zur besseren Vertei- krete Zielvorgaben bis 2010 vorgelegt. lung des Arbeitsvolumens sowie zur Jedoch haben 18 der 27 EU-Mitglied- Notwendigkeit einer generellen Ar- staaten das Ziel für die Kleinkinder beitszeitverkürzung. Gerade die Krise zum Teil deutlich nicht erreicht, 17 Staa- hat gezeigt, dass die Verkürzung der ten erreichen die Quote bei den Kin- Arbeitszeiten einen massiven Anstieg Die AK ist für eine dergartenkindern nicht. Das Monitoring der Arbeitslosigkeit verhindern kann. europäisch koordinier- hinsichtlich der Erreichung dieser Ziele Für eine europäisch koordinierte Politik te Politik der Arbeits- sollte daher jedenfalls weitergeführt der Arbeitszeitverkürzung sprechen zeitverkürzung. werden. Es sollte auch die Nutzung von zwei Argumente: Ersten wird es noch EU-Mitteln für den Ausbau von qualita- lange dauern, bis das Vorkrisen-Wirt- tiv hochwertiger Kinderbetreuungsin- schaftsniveau wieder erreicht ist. Und www.akeuropa.eu EU-2020-Strategie - Integrierte Leitlinien zu Europa 2020
zweitens wird der technische Fortschritt Erwerbslebens mit einem neu erlernten auch in dieser Zeit weiter voranschrei- Beruf neu anzufangen) ganz wichtig. ten. Vor der Wahl stehend, entweder Derartige Hinweise fehlen derzeit. weniger Beschäftigte oder weniger Arbeitsstunden je Beschäftigtem sollte Ebenso gilt es, Maßnahmen gegen Europa die letztere Option bevorzugen. geschlechtsspezifische Segmentierung Wir schlagen daher folgende Formulie- beim Zugang zu einer hochwertigen rung vor: „Zur Erhöhung der Erwerbs- beruflichen Aus- und Weiterbildung beteiligung sollten auch intelligente (zB durch Maßnahmen einer gender- Maßnahmen zu einer besseren Vertei- sensiblen Ausbildungs- und Berufs- lung der Arbeit geprüft werden.“ orientierung) anzuführen. Dies wäre ebenso bei „Leitlinie 9: Steigerung der Leistungsfähigkeit der allgemeinen ad) Leitlinie 8: Heranbildung von Ar- und beruflichen Bildungssysteme auf beitskräften, deren Qualifikationen allen Ebenen und Verbesserung des den Anforderungen des Arbeits- Zugangs zur Hochschulbildung“ zu marktes entsprechen, Förderung der berücksichtigen. Arbeitsplatzqualität und des lebens- langen Lernens ad) Leitlinie 10: Bekämpfung von Insgesamt ist das Thema „Arbeits- gesellschaftlicher Ausgrenzung und platzqualität“ in dieser Leitlinie mehr Armut als unterbelichtet: Keine Aussagen zu menschenwürdiger Arbeit, fairen Die AK begrüßt ausdrücklich eine eige- Einkommen oder Gesundheitsschutz. ne Leitlinie zur Bekämpfung von gesell- Dabei sind gerade diese Aspekte für schaftlicher Ausgrenzung und Armut. eine ausgewogene Flexicurity-Strate- Angesichts der aktuellen gesellschaftli- gie von zentraler Bedeutung und sind chen Entwicklung, die einerseits durch unverzichtbare Elemente einer Politik, zunehmende Erwerbslosigkeit, Verar- die flexible und reaktionsfähige interne mung und Versorgungsdefizite sozial- und externe Arbeitsmärkte realisieren staatlicher Leistungssysteme und an- helfen will. dererseits durch soziale Veränderun- gen in den Partnerschaftsbeziehungen Aus unserer Sicht ist der Aspekt der und Familienformen geprägt ist und Gesundheitsförderung von Arbeitneh- somit beträchtliche Konsequenzen für merInnen (sei es während der Beschäf- materielle und soziale Teilhabechan- tigung oder während Arbeitslosenpe- cen zeitigt, bedarf es entsprechender rioden) und der betrieblichen Wieder- Instrumente, um diesen Phänomenen eingliederung von ArbeitnehmerInnen entgegenzuwirken bzw die daraus re- nach langen Krankenständen oder sultierenden Folgen für die Betroffenen nach beruflicher Rehabilitation wegen zumindest abzufedern. massiver gesundheitlicher Beeinträch- tigungen (was ja nichts anderes be- Eine klarere Passage zur Integration deutet, als in der Regel in der Mitte des von Personen mit Migrationshinter- www.akeuropa.eu EU-2020-Strategie - Integrierte Leitlinien zu Europa 2020 10
grund in Gesellschaft und Arbeits- der im EU-weiten Vergleich niedrigen markt als ein wichtiges Thema zur Nettoersatzrate und der steigenden Gewährleistung gesellschaftlichen Arbeitslosigkeit eine Erhöhung der Zusammenhaltes in der EU wäre wün- Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld schenswert. Hier geht es um deutlich notwendig, um zu verhindern, dass mehr als um die Gewährleistung von Arbeitslosigkeit mit Armut einhergeht. Einkommenssicherheit in Situationen In einem ersten Schritt sollte diese auf des beruflichen Übergangs. Auch sollte 60% erhöht werden. Abschließend darauf hingewiesen werden, dass die bedarf es einer Gesetzesänderung im wachsende Gruppe der „working poor“ Bereich der Notstandshilfe, wonach besondere Aufmerksamkeit erfordert. das PartnerIneinkommen in Hinkunft nicht mehr zur Anrechnung gelangt. Eine ehrgeizige EU-Vorgabe ist sinnvoll, weil gerade in diesem Bereich in den meisten EU-Staaten ein enormer Hand- lungsbedarf gegeben ist. Für Öster- reich, das aktuell ca 1,2 Mio armutsge- fährdete Personen aufweist, bedeutet dies – in Übereinstimmung mit dem in der Leitlinie 10 festgehaltenem Kernziel – als quantifizierbares Ziel eine Reduk- tion der armutsgefährdeten Personen um ca 300.000 bis 2020, was einer jährlichen Senkung um 30.000 Betrof- fenen entspricht. Zur Zielerreichung ist die Einführung der Bedarfsorientierten Mindestsiche- rung in Österreich mit 01.09.2010 ein erster wesentlicher Schritt zur Armuts- verringerung, wobei es jedoch noch weiterer Schritte zur Anpassung an der von EU SILC festgesetzten Armutsge- fährdungsgrenze bedarf. Ein weiterer we- Ein weiterer wesentlicher Beitrag zur sentlicher Beitrag Bekämpfung der Armutsgefährdung zur Bekämpfung der ist die Anhebung und Durchsetzung Armutsgefährdung der Mindestlöhne in Österreich, die ist die Anhebung netto mindestens die Armutsgefähr- und Durchsetzung dungsschwelle zu erreichen haben der Mindestlöhne in und zwischen den Sozialpartnern zu Österreich. vereinbaren sind. Zudem ist angesichts www.akeuropa.eu EU-2020-Strategie - Integrierte Leitlinien zu Europa 2020 11
Für weitere Fragen steht Ihnen gerne zur Verfügung: Herr Norbert Templ (Experte der AK Wien) T +43 (0) 1 501 65 2158 norbert.templ@akwien.at sowie Herr Christof Cesnovar (in unserem Brüsseler Büro) T +32 (0) 2 230 62 54 christof.cesnovar@akeuropa.eu Bundesarbeitskammer Österreich Prinz-Eugen-Strasse, 20-22 A-1040 Wien, Österreich T +43 (0) 1 501 65-0 F +43 (0) 1 501 65-0 AK EUROPA Ständige Vertretung Österreichs bei der EU Avenue de Cortenbergh, 30 B-1040 Brüssel, Belgien T +32 (0) 2 230 62 54 F +32 (0) 2 230 29 73 www.akeuropa.eu EU-2020-Strategie - Integrierte Leitlinien zu Europa 2020 12
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