Aktuelle Geburtenentwicklung - Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa SYMPOSIUM - Land Steiermark

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Aktuelle Geburtenentwicklung - Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa SYMPOSIUM - Land Steiermark
Aktuelle Geburtenentwicklung
      Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa

                                         SYMPOSIUM
                                         Freitag • 27. Februar 2004
                                         Graz - Burg • Weißer Saal

FA6A REFERAT FRAU-FAMILIE-GESELLSCHAFT
Aktuelle Geburtenentwicklung – Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa • Inhaltsverzeichnis

INHALT
Einleitung              ..................................................................................................................................................................5

ReferentInnen, Moderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Vorworte            ....................................................................................................................................................................                                                                                                                                                                 8
              Ridi M. Steibl, Leiterin des Referates Frau-Familie-Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
              Landeshauptmann Waltraud Klasnic                                                  ............................................................................................................................                                                                                                                          10
Vorträge           . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

              Dr. Norbert Wagner: Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester?                                                                                                                                 ..................................................                                                  12
              Dr. Walter Bien: Wunsch und Wirklichkeit. Sozialer Wandel, individuelle Entwicklung und deren Auswirkung auf die Fertilitätsrate                                                                                                                                                                ....................                    23
              Mag. Regina Polak: Jugend-Werte: Zwischen Wunsch und Realität                                                                                        ..........................................................................................                                                                                         32
              Dr. Edit Schlaffer: Die neue Familie. Zwischen Ambitionen und Emotionen. Zusammenhang von Frauenerwerbsquoten und Geburtenverhalten                                                                                                                                                                                         ......      41
              Mag. Kristina Edlinger-Ploder: Zusammenfassung und Ausblick                                                                                  ..............................................................................................                                                                                             49
Anhang            . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

              Familienleistungen in Europa                                      ....................................................................................................................................                                                                                                                                  51
              Vaterschutzmonat im internationalen Vergleich                                                               ...............................................................................................................                                                                                                             63
              Recht auf Teilzeit                       . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               3
Aktuelle Geburtenentwicklung – Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa • Einleitung

EINLEITUNG
   Die demographische Entwicklung unserer Weltbevölkerung ist einem steten Wandel unterworfen. ExpertInnen weisen spätestens seit
den achtziger Jahren auf den dramatischen Geburtenrückgang in den industrialisierten Staaten hin und warnen eindringlich vor dessen
weitreichenden Folgen. In der Liste der Faktoren, welche in Zukunft die Bevölkerungsalterung entscheidend bestimmen werden, nimmt die
Fertilitätsrate eine zentrale Rolle ein.
   Dass ein Land ohne Kinder keine Zukunft hat, ist unumstritten. Im unmittelbaren Zusammenhang mit der Problematik ständig sinken-
der Geburtenraten steht das gesellschaftspolitische Anliegen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Frauen wie Männer müssen heut-
zutage die Möglichkeit haben, ihre Erwerbstätigkeit ohne größere Einschränkungen für ein intaktes Familienleben ausüben zu können.
   Wie und unter welchen Umständen kann die Politik die Fertilitätsrate beeinflussen? Was wissen wir heute über die Auswirkungen der
verschiedenen sozial- und insbesondere familienpolitischen Maßnahmen auf die Geburtenrate? Besteht zudem Bedarf an sozialer Unter-
stützung und sozialen Dienstleistungen – und in welchem Zusammenhang ist dieser Bedarf zu den aktuellen demographischen Entwick-
lungen zu sehen? Wie äußert sich die öffentliche Meinung zu diesem Fragenkomplex? In diesem Zusammenhang hat die Steiermärkische
Landesregierung eine Befragung der jungen Steirerinnen und Steirer durchgeführt, deren Ergebnisse seit Ende des Jahres 2003 vorliegen.
Das Symposium „Aktuelle Geburtenentwicklung – Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa“, welches auch im Hinblick auf das
10jährige Jubiläum des Internationalen Jahres der Familie 1994 durchgeführt wurde, beschäftigte sich mit diesen Fragen im europäischen
Vergleich.

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Aktuelle Geburtenentwicklung – Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa • ReferentInnen und Moderation

    ReferentInnen und Moderation
                                                                                                                Dr. Norbert Wagner
                                                                                                                Konrad-Adenauer-Stiftung, Paris
                             Waltraud Klasnic                                                                   Dr. Norbert Wagner hat nach dem Studium der
                             Landeshauptmann der Steiermark                                                     Volkswirtschaftslehre seine Forschungskarriere als
                             Geb. 1945 in Graz, seit 1970 politische Tätigkeit als                              wissenschaftlicher Leiter an der Universität Heidel-
                             Gemeinderätin, Mitglied des Bundesrates, Landes-                                   berg im Bereich „Internationale Wirtschaftsbezie-
                             leiterin der Österreichischen Frauenbewegung, Ab-                                  hungen“ begonnen. Nach zahlreichen Zwischensta-
                             geordnete zum Steirischen Landtag, Vizepräsidentin                                 tionen im Ausland – USA, Singapur, Moskau sowie
                             des Österreichischen Wirtschaftsbundes, Bundes-                                    Japan – ist er seit 1996 Leiter des Büros Paris der
                             leiterin der Katastrophenhilfe Österreichischer         Konrad-Adenauer-Stiftung und in dieser Funktion für Frankreich und Italien
                             Frauen, seit 1996 Landeshauptmann der Steiermark.       zuständig. Im Mai 2003 wurden seine Leistungen mit der Ernennung zum „Che-
                                                                                     valier dans l’Ordre national du Mérite“ gewürdigt.

                            Mag. Kristina Edlinger-Ploder                                                       Dr. Walter Bien
                            Landesrätin für Jugend, Frauen, Familie,                                            Deutsches Jugendinstitut, München
                            Bildung und Finanzen                                                                Dr. Walter Bien hat in Aachen Nachrichtentechnik,
                            Geb. 1971 in Graz, Studium der Rechtswissenschaf-                                   Psychologie, Pädagogik und Soziologie studiert. Zu
                            ten an der KFU Graz, Tätigkeiten in einem Handels-                                  seinen Arbeitsgebieten zählt Social Monitoring zu
                            unternehmen, 1998 Eintritt in das Büro von Lan-                                     Familie, Jugend sowie Kindheit durch gendersensi-
                            deshauptmann Waltraud Klasnic, Geburt der beiden                                    tive Umfragen sowie die statistische Aufbereitung
                            Kinder Konstantin im September 2000 und Tochter                                     dieser Daten. Seine Erfahrungen hat er in zahlrei-
                            Johanna im März 2002, ab Jänner 2002 Büroleite-                                     chen Projekten gesammelt, die sich von „Quantita-
    rin von LH Waltraud Klasnic, seit April 2003 Landesrätin, zuständig für die      tiver Soziometrie“ bis hin zur Entwicklung methodischer Instrumentarien zur
    Agenden Jugend, Frauen, Familie, Bildung und Finanzen.                           Analyse sozialer Strukturen erstrecken. Einige aktuelle Projekte von Dr. Bien
                                                                                     sind zur Zeit eine Regionaldatenbank, ein EU-Info-Portal und EUYOUPART.
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Aktuelle Geburtenentwicklung – Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa • ReferentInnen und Moderation

                            Mag. Regina Polak
                            Institut für Pastoraltheologie, Wien
                            Mag. Regina Polak hat Philosophie Katholische The-     „Frauen ohne Grenzen“ ins Leben gerufen, die den Dialog von Frauen auf inter-
                            ologie und Psychologie studiert und ist Vertrags-      nationaler Ebene unterstützen soll und sich besonders für Frauen aus Krisen-
                            assistentin am Institut für Pastoraltheologie an der   gebieten oder in gesellschaftlichen Umbruchsituationen stark macht. Die lau-
                            Universität Wien. Schwerpunkte in ihrer For-           fenden Projekte sollen helfen, Frauen in Afghanistan in das politische und ge-
                            schungs- und Projektarbeit waren bislang Themen        sellschaftliche Leben zu integrieren.
                            wie „Megatrend Religion? Neue Religiositäten in
                            Europa?“, Wertestudien zu den Bereichen Familie,
Arbeit, Politik und vor allem zum Stellenwert der Religion im Leben der Öster-                               Ridi M. Steibl
reicherInnen. Ein weiterer Schwerpunkt ist Jugendforschung, insbesondere das                                 Leiterin des Referates Frau-Familie-Gesellschaft
Verhältnis von Jugend, Transzendenz und Religion. Mag. Polak war unter an-                                   Bildungsreferentin im Katholischen Bildungswerk,
derem beim ORF in der Abteilung Religion/Fernsehen redaktionell tätig.                                       Referatsleiterin in der Diözese Graz-Seckau, wäh-
                                                                                                             rend dessen Ausbildung zur Kommunikationstraine-
                                                                                                             rin, seit 1989 Leiterin des Referates Frau-Familie-
                     Dr. Edit Schlaffer                                                                      Gesellschaft beim Amt der Stmk. Landesregierung,
                     Ludwig-Boltzmann-Forschungsstelle für Politik                                           seit 1990 Projektleiterin der Initiative Taten statt
                     und zwischenmenschliche Beziehungen, Wien                                               Worte, seit 1994 Abgeordnete zum Nationalrat, seit
                     Dr. Edit Schlaffer leitet als Sozialwissenschafterin          2003 Vorsitzende des Familienausschusses, Initiatorin des ersten österreichi-
                     seit über 20 Jahren die Ludwig Boltzmann-For-                 schen Gründerinnenzentrums in der Steiermark sowie seit 2002 Initiatorin des
                     schungsstelle für Politik und zwischenmenschliche             Business Incubators Graz.
                     Beziehungen in Wien. Ihr wichtigstes Anliegen ist,
                     die Gesellschaft zu verändern und vor allem das
                     Selbstvertrauen von Frauen aufzubauen. In diesem
Zusammenhang wurde von Dr. Schlaffer 2002 die internationale Initiative
                                                                                                                                                                    7
Aktuelle Geburtenentwicklung – Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa • Ridi M. Steibl

    RIDI M. STEIBL
    Leiterin des Referates Frau-Familie-Gesellschaft, Moderation
      in herzliches Grüß Gott an diesem wunderschönen verschneiten Morgen                                                          sium „Aktuelle Geburtenentwicklung, Trends und Grenzen der Familienpolitik
    E hier im Weißen Saal der Grazer Burg. Herzlich willkommen zum Sympo-                                                          in Europa“. Ein Satz zur Einbegleitung: Eine Gesellschaft, die auf Kinder ver-

                Abb. 1: Gesamtfruchtbarkeitsraten im Internationalen Vergleich
          4,5

          4,0

          3,5

          3,0

          2,5

          2,0

          1,5

          1,0                                                                                                                                                                                        1965

                                                                                                                                                                                                     1985
          0,5
                                                                                                                                                                                                     2002
          0,0
                                                                                                                             e

                                                                                                                                                                                      Stainigte
                                                                                                                                                 ch
                              rk

                                                                                                                                                                                                 n
                                                                                                 n

                                                                                                                                       en

                                                                                                                                                                                                rk
                                                                    ch

                                                                                                              lie n

                                                                                                                                                                                              ie n
                                             d
                     n

                                                                                                                                                                          e iz
                                                                                                                                                                    en
                                                                                                                                                           l
                                                                                nd
                                                        nd

                                                                                                       nd

                                                                                                                                                       ga
                                                                                                                             nd

                                                                                                                                                                                            a te
                                                                                            n ie
                                        la n
                lg ie

                          ma

                                                                                                                                                                                            ma
                                                                                                                                             re i
                                                                re i

                                                                                                                                   eg

                                                                                                                                                                ed

                                                                                                                                                                         hw

                                                                                                                                                                                 an
                                                                              n la
                                                   n la

                                                                                                     Ir la

                                                                                                                                                      r tu
                                                                                                             Ita

                                                                                                                         r la
                                                                                          ta n
                                        ch

                                                                                                                                            te r
                Be

                                                               nk
                         ne

                                                                                                                                  rw

                                                                                                                                                                                       ie r
                                                                                                                                                               hw

                                                                                                                                                                                        re
                                                                                                                                                                                 Sp
                                                                                                                                                                         Sc
                                                                                                                                                      Po
                                                                          he
                                                 F in

                                                                                                                        de
                                   u ts

                                                                                                                                                                                   Ve
                                                             F ra

                                                                                      b ri

                                                                                                                                  No

                                                                                                                                            Ös
                         Dä

                                                                                                                                                                                  S te
                                                                                                                                                               Sc
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Aktuelle Geburtenentwicklung – Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa • Ridi M. Steibl

zichtet, wird grauer, härter und egoistischer. Wir wollen das nicht! Wir in der
Steiermark haben hier schon Initiativen gesetzt. In Kürze werde Sie das in ei-    Abb. 2: Bundesländervergleich und Umfrageergebnisse in Österreich
ner Powerpoint Präsentation sehen. Ich möchte aber vorher in dieser Runde
noch begrüßen natürlich unsere Frau Landeshauptmann Waldtraud Klasnic,
unsere Frau Landesrätin Mag. Kristina Edlinger-Ploder und auch alle Vortra-                    Bundesländervergleich in Österreich
genden.
                                                                                             Im Jahr 2003 kamen in sieben Bundesländern
Zur Einstimmung für diesen heutigen Vormittag sehen Sie in hier die Gebur-                             weniger Kinder zur Welt:
tenentwicklung in Europa samt dem enormen Rückgang (Abb. 1).
                                                                                                     Vorarlberg              -5,9 %
                                                                                                     Salzburg                -4,1 %
   Die Umfrageergebnisse (Abb. 2) beim Wunsch nach Kindern und die Be-
reitschaft Österreich weit sehen auch in diese Richtung. Wunsch und Wirk-                            NÖ                      -2,7 %
lichkeit liegen sehr weit auseinander; das zeigt, dass heute Vormittag sicher                        OÖ                      -2,2 %
einige Lösungen gefunden werden sollten.                                                             Tirol                   -2,0 %
   Wir kommen nun zu einem ganz wichtigen Punkt, den man nicht oft ge-                               Steiermark              -1,7 %
nug sagen kann: Durch unsere Frau Landeshauptmann Klasnic ist die Initiati-                          Kärnten                 -0,7 %
ve KINDerLEBEN ins Leben gerufen worden und ich denke, dass das eine gute
Fortsetzung ist auch aus der Arbeit des Frauen- und Familienreferates heraus,
weil es partei- und ressortübergreifende Arbeiten gibt. Die Umsetzung der                                    Umfrageergebnis
Maßnahmen konzentriert sich auf Bereiche wie Generationenvertrag, Verein-
                                                                                                   7,2 %       wünschen sich kein Kind
barkeit von Beruf und Familie, Partner- und Elternbildung, unerfüllter Kinder-
                                                                                                  16,2 %       wünschen sich ein Kind
wunsch und noch vieles mehr.
                                                                                                  57,0 %       wünschen sich zwei Kinder
   Diese Veranstaltung ist auch für die Steiermark sozusagen der Rückblick auf
                                                                                                  15,0 %       wünschen sich drei Kinder
10 Jahre nach dem internationalen Jahr der Familie. Sie wissen, dass es heu-
                                                                                                   4,0 %       können sich vier und
er dazu eine Bilanz sowie einen Ausblick geben wird, was passiert Österreich
                                                                                                               mehr Kinder vorstellen
weit in den nächsten 10 Jahren.

  Das war eine kurze Einbegleitung für den heutigen Vormittag und ich darf             Die durchschnittliche steirische Familie hat nur 1,3 Kinder.
nun unsere Frau Landeshauptfrau um ihre Grußworte bitten.
                                                                                                                                                      9
Aktuelle Geburtenentwicklung – Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa • Landeshauptmann Waltraud Klasnic

     WALTRAUD KLASNIC
     Landeshauptmann der Steiermark
         erzlich willkommen im Weißen Saal der Grazer Burg. Es ist dies ein Treff-     habe ich vorzusorgen? Welche Maßnahmen sind zu setzen? Welche Entwick-
     H   punkt wenn es darum geht ein Symposium, eine Vortragsreihe, einen Vor-
     mittag sich eines Themas anzunehmen, das uns alle betrifft.
                                                                                       lung kann kommen?
                                                                                          Und dann gab es das Ergebnis, welches wir gesehen haben, dass – wenn
                                                                                       sich in der Steiermark nichts ändert – es in ungefähr 30 Jahren eine Bevölke-
        Ich möchte mich bei Dir Ridi Steibl recht herzlich dafür bedanken, dass Du     rung geben wird, die bis zu 40 % weniger ist als heute. Das heißt jetzt nicht,
     in der Einleitung schon darüber berichtet hast, dass es in der Steiermark das     dass wir zu viele alte Menschen haben. Wir sind froh, dass wir ältere Men-
     Programm KINDerLEBEN gibt. Wir dürfen alle darauf stolz sein, weil das nicht      schen haben. Wir freuen uns, wenn sie lange gesund sein können und sich
     das Programm einer Partei ist, sondern weil es das Programm der Steiermär-        wohl fühlen und wir haben auch vorzusorgen, dass sie gut begleitet und ge-
     kischen Landesregierung ist.                                                      schützt sind, und dass sie alles das erleben dürfen und dass sie daran teilha-
        Ich habe mir sehr viel dabei gedacht, als wir vor einigen Jahren, ich glaub’   ben können, wofür sie sich auch selbst sehr viel erarbeitet haben. Aber so, wie
     es war im Jahr 1997, versucht haben, gemeinsam mit jenen Menschen, die sich       wir sagen, dass wir viele ältere Menschen haben, müssen wir auch sehr deut-
     um das Älterwerden, um das länger leben Dürfen, aber auch um den Inhalt in        lich erkennen, dass wir zu wenig Kinder haben und das ist nicht ein Thema,
     diesen längeren Lebensjahren viel Gedanken gemacht haben, etwas zu be-            das sich nur in der Steiermark bewegt, sondern es ist dies überhaupt in jenen
     wegen. Wenn ich hier nach vorne schaue sehe ich viele Menschen, die das           Räumen zu Hause, wo sich eine neue Entwicklung ergeben hat und wir dort,
     auch aufgearbeitet haben und wir haben uns gefragt, wie wird sich diese           wo wir Verantwortung tragen, Maßnahmen setzen müssen, damit es eine Be-
     Steiermark in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln.                     gleitmöglichkeit gibt und der Mut zum Kind, die Möglichkeit Familie und Kind,
        Gesamtergebnis war dann, dass wir auch Statistiken zur Hand genommen           Mutter und Kind, Vater und Kind, gestärkt wird und damit auch der Genera-
     haben. Es ist oft so schwierig wenn man sagt, dass man Statistiken und Köp-       tionenverantwortung Rechnung getragen werden kann.
     fe zählt, denn eigentlich ist der Mensch angesprochen und gemeint. Es gibt           Bei der Begrüßung habe ich mir gedacht, es sind heute viele Menschen in
     aber auch so etwas wie eine Verantwortlichkeit in der Größenordnung: Wo           diesem Raum, die selbst einen großen Beitrag leisten und auch viel an Vorar-

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Aktuelle Geburtenentwicklung – Trends und Grenzen der Familienpolitik in Europa • Landeshauptmann Waltraud Klasnic

beit geleistet haben. Was man aus der Sicht der Politik machen kann, ist auf    zu gehen, allein das Ergebnis, dass es eine anonyme Geburt in Österreich und
der einen Seite nicht nur ein Referat zu halten, sondern auch innerhalb des     dass es die Babyklappe gibt, so hat es sich schon ausgezahlt, diese Aufgabe
Referates die Antworten zu geben, wenn Fragen kommen, d.h. Hilfestellung        anzunehmen und sich voll und ganz hineinzuarbeiten und mitzuhelfen. Ich
und Bereitschaft zur Information. Das heißt aber auch Signale zu setzen und     spüre auch, dass es nicht nur Verantwortungsträger auf der Bundes- und auf
die politische Verantwortung wahrzunehmen, auch in einer glaubwürdigen          der Landesebene sind, nicht nur auf der Beamtenebene, sondern aus den Be-
Form. Ich sage dies sehr bewusst, dass ich mir dabei schon etwas gedacht ha-    zirken, aus den Orten; es sind Menschen da die sagen, diese Steiermark kann
be, als ich einer jungen Frau und Mutter angeboten habe in die Regierung zu     es. Wir haben mit dem KINDerLEBEN ein Programm, wo wir gut weiterkom-
kommen und aus ihrem Erfahrungsschatz etwas einzubringen, weil wir eben         men. Ich würde Sie um diese Unterstützung bitten.
diese Generationenverantwortung leben wollen. Wir sind in der Regierung ein
Team, 7 Herren, 2 Frauen. Kristina hat die Verantwortung für all das, was den      Ich freue mich auf unsere heutigen ReferentInnen und möchte Sie auch in
Bildungsbereich betrifft, aber auch für Familie und Frauen. Ich glaube man      meinem Namen sehr herzlich willkommen heißen. Vielen Dank, dass Sie uns
sollte das auch in diesen Tagen sehr deutlich dazusagen und dieser heutige      Ihre Erfahrung überbringen. Ich wünsche mir, dass es zu einem Schneeball-
Vormittag ist eine Möglichkeit, ein wenig über unser eigenes Bundesland         system kommt: Erst eine Flocke, dann kommen viele Flocken, dann kommt ein
nachzudenken, aber gleichzeitig auch über den Zaun hinauszuschauen.             Schneeball, hoffentlich keine Lawine, aber eine große Kugel möchten wir ha-
   Darum bin ich so dankbar, dass Sie alle gekommen sind. Ich möchte Sie ein-   ben. Eine Kugel mit viel Kraft, die sagt in diesem Land kann vieles wachsen
laden mitzuhelfen, dass wir in diesen kommenden Jahren noch mehr an Mög-        und gedeihen.
lichkeiten, an Türen öffnen für Frauen, Mütter, für junge Familien, für Men-
schen, die sich Kinder wünschen. Die anonyme Geburt ist angesprochen. Ich         Alles Gute!
sag’ manchmal wenn es nichts war, für das es sich gelohnt hat in die Politik

                                                                                                                                                               11
Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester? • Dr. Norbert Wagner

     DR. NORBERT WAGNER
     Konrad-Adenauer-Stiftung, Paris
     Dr. Norbert Wagner hat nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre seine For-                                     ehr geehrte Frau Landeshauptmann, Frau Landesrätin, Frau Steibl, meine
     schungskarriere als wissenschaftlicher Leiter an der Universität Heidelberg im
     Bereich „Internationale Wirtschaftsbeziehungen“ begonnen. Nach zahlreichen
                                                                                                                  S   Damen und Herren. Ich darf mich sehr herzlich bedanken für die Einladung
                                                                                                                  heute hier bei Ihnen zu sein und gleich vorab Ihnen ganz besonders herzlich
     Zwischenstationen im Ausland – USA, Singapur, Moskau sowie Japan – ist er seit                               gratulieren für diese Initiative, diese Veranstaltung heute hier durchzuführen.
     1996 Leiter des Büros Paris der Konrad-Adenauer-Stiftung und in dieser Funk-                                 Das Thema ist in der Tat sehr aktuell, sehr wichtig und ich hoffe, dass ich auch
     tion für Frankreich und Italien zuständig. Im Mai 2003 wurden seine Leistungen                               als Mann hier etwas beitragen kann und eine Schneeflocke bin, die – wie Sie
     mit der Ernennung zum „Chevalier dans l’Ordre national du Mérite“ gewürdigt.                                 sagten – vielleicht zu einem Schneeball wird.

                                                                                                                                      Ich bin gebeten worden etwas zu sagen über die Erfah-
                                             Abb. 1: Gesamtfruchtbarkeitsraten 2001                                                rungen, die Frankreich mit der Kinderbetreuung macht. In
                                                                                                                                   der Tat, Frankreich wird immer zitiert als das Land mit einem
                                                                                                                                   intensiven Kinderbetreuungssystem und daraus folgend an-
                                                                                                         1,85 1,90 1,95 1,98       geblich oder tatsächlich einer hohen Geburtenrate. Dazu
                                                                                             1,73 1,74
                                                                              1,65 1,69 1,70                                       will ich Ihnen ganz kurz ein wenig über die Demographie in
                                                                    1,57 1,63
                                                   1,41 1,42 1,47                                                                  Frankreich und einen Vergleich wie in Österreich erläutern,
                        1,24 1,25 1,29 1,29 1,29
                                                                                                                                   das aber nur ganz knapp. Dann ein wenig über die Politik der
      Kinder pro Frau

                                                                                                                                   Regierung, insbesondere der neuen Regierung, Ihnen erläu-
                                                                                                                                   tern welche Formen der Betreuung mittlerweile dort entwi-
                                                                                                                                   ckelt wurden, welche finanziellen Förderungsprogramme es
                                                                                                                                   gibt und natürlich auch was das kostet, denn das ist alles
                                                                                                                                   nicht umsonst, wie Sie, die in der Politik sind, ganz genau
                                                                                                                                   wissen. Zum Dritten möchte ich zum Schluss dann auch die
                                                                                             N
                                                                         K

                                                                              B
                                                             15

                                                                                                                         L
                                                                                    L

                                                                                                  K

                                                                                                                   IS
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                                                                                                         O
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                                                                                                              F
                                                        P

                                                                                                                        IR
                                                                                   N

                                                                                             FI
                                                                        U

                                                                                                  D
                                                   C

                                                                                                         N
                                                            EU

                                                                                                                                   Frage stellen: Ist Frankreich wirklich ein Vorbild? Zumindest
12
Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester? • Dr. Norbert Wagner

habe ich bei meinen Unterlagen ein Fragezeichen angebracht und ich glaube                                          Abb. 2
das Fragezeichen wird am Ende der Veranstaltung noch etwas größer sein als
es am Anfang war. Frau Steibl hatte ja schon eine Grafik mit den Geburten-
raten aufgezeigt. Hier noch einmal in der Reihenfolge die Geburtenraten in
Europa im Jahr 2001. Sie sehen, Österreich liegt ziemlich abgeschlagen im
übrigen neben Deutschland. (Abb. 1)
   Abb. 2: Sie sehen, insbesondere in Nordeuropa sind die Farben etwas kräfti-
ger und Frankreich bildet in West- bzw. Südwesteuropa eher eine Ausnahme. Wa-
rum, werden wir vielleicht nachher noch sehen.
   Abb. 3 (Seite 14): In der historischen Entwicklung seit 1960 sehen Sie ei-
nen parallelen Verlauf geradezu innerhalb Europas. Auch Österreich, Deutsch-
land, Frankreich von einem hohen Niveau von 2,5 absteigend bis in das Jahr
1995 hinein. Von da an nimmt Frankreich einen etwas anderen Verlauf und
steigt sogar geringfügig wieder an, während der EU-Durchschnitt und Öster-
reich/Deutschland auf ein noch niedrigeres Niveau sinken.
   In Frankreich gibt es ein sehr entwickeltes und ausgefeiltes System der Kin-
derbetreuung. Viele Formen von Kinderbetreuungsarten haben sich in den
letzten Jahren entwickelt und sind noch dabei sich weiter zu entwickeln. Vie-
les von dem dürfte Ihnen allen bekannt sein und dürfte in der einen oder an-
deren Form sicher auch bei Ihnen so existieren, aber in Frankreich sind davon
ganz besonders viele Kombinationen möglich.
   Zunächst einmal die crèche collective, eine Art Hort oder Krippe öffentlich
organisiert, Crèche parentale, eine ähnliche Einrichtung aber von Elternverei-    tens bzw. fünftens die Kombination von verschiedenen Einrichtungen dieser
nen, privaten Trägern organisiert. Dann mehr und mehr – allerdings noch weit-     Art Krippen und solchen halte-garderies. Die in Frankreich ganz besonders
aus weniger als beispielsweise in Deutschland oder in Österreich Unterneh-        wichtige Form sind aber Tagesmütter in verschiedenen Organisationsformen.
menskrippen. Eine besondere Form in Frankreich ist die sogenannte halte-gar-      Einmal Tagesmütter, die Sie zu sich nach Hause kommen lassen, also Kinder-
derie. Das sind solche Betreuungsformen, wo man das Kind für eine oder zwei       frauen oder auch Tagesmütter, die Kinderbetreuungseinrichtungen selbst or-
Stunden, unregelmäßig, bei Bedarf fast schon wie in die Autogarage mal für        ganisieren und bei sich zu Hause bis maximal 3 Kinder betreuen. Als dritter
eine Stunde abgeben kann. Es ist also teilweise schon interessant. Und vier-      großer Block die sogenannte école maternelle bzw. in unserem Sprachge-
                                                                                                                                                                13
Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester? • Dr. Norbert Wagner

                                                     Abb. 3: Gesamtfruchtbarkeitsrate 1960 – 2001

                                       3,00

                                       2,50
                     Kinder pro Frau

                                       2,00

                                       1,50

                                       1,00

                                       0,50

                                       0,00
                                              1960   1965    1970       1975          1980     1985       1990       1995      2000       2001

     brauch würde man das Kindergarten nennen, für die Kinder zwischen 3 und            günstigungen, die es in manchen Ländern – so wie mir gesagt wurde auch in
     6 Jahren. Es gibt sogar noch Einrichtungen zur Vorbereitung auf den Kinder-        Österreich – in dieser Form nicht gibt. Deswegen könnte das für Sie mögli-
     garten für die 2 – 3 Jährigen.                                                     cherweise ganz interessant sein.
        Wenn man grob versucht, die Förderung der Familien, Kleinkinderbetreu-             Wenn man das im europäischen Rahmen zu platzieren versucht, so stellen
     ung und Kinderbetreuung in Frankreich zu unterteilen, so kann man 3 Schwer-        Sie fest, wenn Sie ganz im Norden Europas anfangen, überwiegen die Kinder-
     punkte oder 3 Hauptbereiche feststellen.                                           betreuungseinrichtungen, es wird der Schwerpunkt der Familienförderung auf
        Einmal ein Programm, das die Regierung seit 2004, also seit 1. Januar d. J.     die Kinderbetreuung gelegt, um die Möglichkeit zu öffnen, dass beide Eltern-
     aufgelegt hat zur Förderung der Betreuung von Kleinkindern von 0 bis unter         teile arbeiten. Im Mitteleuropa ist es eher eine Kombination von beiden, wobei
     3 Jahren. Dann gibt es eine ganze Palette von sonstigen Maßnahmen, die es          es in Deutschland eher darauf hinausläuft, dass die Mütter häufig teilzeitbe-
     in vielen Ländern ähnlich auch gibt und zum dritten Einkommenssteuerver-           schäftigt sind und das Kind eben nur Teilzeit betreut ist. In Frankreich wiegen
14
Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester? • Dr. Norbert Wagner

andere Schwerpunkte; da geht die Mutter überwiegend arbeiten und gibt das         Eltern von Kindern zwischen 0 – 6 Jahren ermöglicht werden, ihre Kinder auch
Kind in die Betreuung. Es gibt auch zusätzlich finanzielle Förderungen. In Süd-   von Tagesmüttern betreuen zu lassen, sowohl wenn sie zu ihnen ins Haus kom-
europa überwiegt die finanzielle Förderung, auch wenn sie dort nicht besondert    men, als auch in solchen Einrichtungen, in denen eine Tagesmutter 1, 2 oder
ausgeprägt ist.                                                                   3 Kinder betreut. Dazu bekommen sie in dem einen Fall bis zu € 600,-- bei
                                                                                  einem SMIC, also bei etwa € 1.200,-- Einkommen im Monat bzw. bis zu €
   Ganz kurz zu dem Programm der Kleinkindbetreuung in Frankreich. Die Re-        400,-- bei etwa € 6.000 ,-- im Monat an Zuschuss zur Bezahlung dieser Kin-
gierung hat versucht aus einer Vielzahl von Fördermaßnahmen, die sich in          derfrau, die Sie ungefähr im Monat € 750,-- kosten wird. Dafür erhalten Sie
Frankreich über die Jahre entwickelt haben, einige grobe Linien zu zeichnen       also € 600,-- zusätzlich.
und Schwerpunkte zu bilden und die Förderungen der Familie auf neue Füße             Die 2. Form ist die Tagesmutter, die zu Ihnen nach Hause kommt und die
zu stellen. Die Instrumente, die sie dafür einsetzt, sollen übersichtlicher und   mindestens € 1.600,-- pro Monat kosten wird, hier erhalten Sie einen Zu-
einfacher gemacht werden. Es soll das Wirtschaftswachstum, Beschäftigung          schuss von max. € 525,-- bis € 725,--.
und daneben natürlich auch die Geburtenrate gefördert werden und insbe-              Es ist dies ein relativ aufwändiges und wie Sie später auch sehen werden
sondere die 3 wichtigsten Schwerpunkte: Vereinbarkeit von Familie und Be-         teures Programm, welches es Frauen aber erstmals ermöglicht, auch aus nie-
ruf, und es soll eine echte Wahlfreiheit für oder gegen den Beruf möglich sein,   drigen Einkommensgruppen diese Kinderbetreuungsformen zu wählen.
ebenso eine Wahlfreiheit für ärmere oder niedrigere Einkommensbezieher, was          Das 3. Element betrifft die freie Wahl der Entscheidung über Beruf Ja oder
die Art der Kinderbetreuung betrifft. Man stellt fest, in Frankreich war es zu-   Nein, Beruf oder Kinderbetreuung zu Hause. Einmal möchte die französische
mindest in der Vergangenheit so, dass die Kinderbetreuungsformen sehr stark       Regierung es insbesondere den niedrigen Einkommensbeziehern ermöglichen
vom Einkommensniveau abhingen. Die Krippen sind eher für die niedrigen Ein-       oder sie dazu anregen, ihre Kinder selbst zu betreuen. Das macht nicht sehr viel
kommensbezieher gedacht bzw. genützt worden, während Tagesmütter und              Sinn – laut Auffassung der französischen Regierung wohlgemerkt – wenn man
andere häufiger für die höheren Einkommensbezieher galten.                        € 1.000,-- oder € 1.200,-- verdient, dann eine Kinderfrau, die genauso viel
3 Grundelemente in diesem neuen Programm für die Kleinkinder:                     kostet, einzustellen. Deswegen gibt sie schon ab dem ersten Kind, aber dabei
   Einmal eine sogenannte Geburtsprämie, die im 7. Schwangerschaftsmonat          nur für 6 Monate, einen Zuschuss von € 340,-- im Monat, wenn man nicht
ausgezahlt wird, die auch so heißt und dann über 3 Jahre bis zu einer be-         arbeitet, d. h. Sie bekommen € 160,-- wie anfangs dargestellt + noch mal
stimmten Einkommenshöhe. SMIC ist in Frankreich ein bestimmter Minimum-           € 340,--, das sind dann schon zusammen € 500,-- im Monat, wenn Sie sich
lohnsatz, der etwa € 1.200.-- beträgt. Bis zu € 5.500,-- erhält man diesen        dafür entscheiden die Berufstätigkeit für eine gewisse Zeit zu unterbrechen.
Betrag von € 160,-- zusätzlich. Das betrifft in Frankreich 90 % der Familien.        Die Zahlungen steigen sogar noch bzw. die Dauer erhöht sich auf 3 Jahre
Darüber hinaus gibt es zwei Elemente in diesem Programm, die noch hinzu-          beim 2. und beim 3. Kind. Es ist ein solcher Zuschuss sogar möglich bei Teil-
kommen. Einmal die Förderung der freien Wahl der Kinderbetreuung und als          zeitarbeit, aber wenn Sie das interessiert, können wir das vielleicht später noch
zweites die Förderung der freien Wahl Berufstätigkeit Ja oder Nein. Es soll den   kurz ansprechen.
                                                                                                                                                                      15
Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester? • Dr. Norbert Wagner

        Der 4. Punkt dieses neuen Programms ist, das Angebot an Kinderbetreuung      gibt es Geld für die Kinder usw. Es gibt sogar Kindergeld in Frankreich, aber
     zu verbessern. Die Kinderbetreuungseinrichtungen in Frankreich sind – im        das ist nicht sehr bedeutend, das gibt es erst ab dem 2. Kind und ist kein sehr
     Gegensatz zu dem, was man vielleicht allgemein meint – nicht besonders aus-     hoher Betrag.
     gebaut. Es gibt zu wenig Krippenplätze und diese sind regional konzentriert.        Für Sie möglicherweise etwas interessanter wird sein, was sich im Bereich
     Die Hälfte der Krippenplätze befindet sich in Paris. In den mittleren Städten   der Einkommenssteuer in Frankreich tut. Das ist eine besondere Form des fran-
     und auf dem Lande ist die Versorgung quasi nicht existent und da möchte die     zösischen Familiensplittings. Sie haben, wenn Sie verheiratet sind, einen so-
     Regierung jetzt mehr tun und auch den privaten Sektor einbeziehen. Das heißt    genannten part. Ein Alleinstehender hat ein part, ein Verheirateter hat zwei
     insbesondere private Unternehmen, die bisher noch etwas zögerlich sind,         part, bitten Sie mich nicht zu erklären, worum es da geht.
     aber auch die Kirchen oder private Trägervereine. Um beispielsweise Betreu-         Entscheidend ist dann eigentlich nur, dass bis zu einem bestimmten Ein-
     ungseinrichtungen bei Unternehmen zu fördern, gibt es eine steuerliche Ab-      kommensbetrag die Einkommenssteuer gleich Null ist. Das bedeutet, wenn
     zugsfähigkeit von 60 % der damit verbundenen Kosten und zwar Abzugsfä-          Sie 4 Kinder haben und in Frankreich leben, dann zahlen Sie bis zur Höhe von
     higkeit von der Steuerschuld und nicht von dem zu versteuernden Einkom-         € 25.000,-- überhaupt keine Einkommenssteuer, ganz abgesehen von allem
     men, also eine relativ hohe Förderungsmaßnahme.                                 anderen, was möglicherweise sonst noch einkommensvermindernd wirksam
        Als letzten und ganz wichtigen Punkt, der vor etwa 3 – 4 Wochen dann         ist.
     auch in Gesetzesform gegossen wurde: Eine Verbesserung des Status der so-           Sie wissen, dass es in anderen Ländern – auch in Deutschland beispiels-
     genannten assistante maternelle, also das, was bei uns Tagesmutter oder Kin-    weise – jetzt Steuermodelle gibt, die vorgeschlagen werden, wo pro Kind oder
     derfrau heißt, die bestimmte Kriterien erfüllen muss, die ein Diplom machen     pro Familiemitglied € 8.000,-- einkommensmindernd angesetzt werden sollen,
     kann, die einen Arbeitsvertrag und Urlaub bekommen soll, bei der auch gere-     also beispielsweise nach dem neuen Modell, das im Moment in Deutschland in
     gelt werden soll was passiert, wenn das Kind krank ist und nicht betreut wer-   der CDU diskutiert wird, wäre das so, dass Sie bei 4 Kindern 6 x 8, also € 48.000,-
     den muss oder wenn sie selbst krank ist und das Kind nicht betreuen kann. All   verdienen könnten und müssten nicht mal € 1,-- Steuer bezahlen. Das ent-
     das wird in einem Standardarbeitsvertrag und in gesetzlicher Form jetzt neu     spricht dem in etwa – allerdings auch nicht ganz in der Höhe.
     geregelt und soll den Status dieser Frauen aufwerten und ihn damit attrakti-        Ein weiterer, für die Einkommenssteuer wichtiger Aspekt, ist die Abzugsfä-
     ver machen, denn es gibt oft Probleme, solche Frauen zu finden.                 higkeit der Kinderbetreuungskosten von der Einkommenssteuer. Auch hier
        Ganz kurz zu den sonstigen Maßnahmen, die Sie hier vielleicht nicht wei-     wieder von der Einkommenssteuer und nicht vom zu versteuernden Einkom-
     ter interessieren, weil sie wahrscheinlich überall und ähnlich gelten.          men. Da können Sie, wenn Sie eine Tagesmutter haben, die Ihr Kind bei sich,
        Es gibt dann noch eine ganze Reihe andere finanzielle Förderungsmaß-         also außer Haus betreut, alle Betreuungskosten, die nicht durch die Zuschüs-
     nahmen für Familien mit Kindern, beispielsweise wenn Sie aus der Wohnung        se von staatlicher Seite abgedeckt werden, bis zu € 2.300,-- pro Kind abset-
     ausziehen müssen, weil sie für 3 Kinder nicht mehr groß genug ist, dann be-     zen und wenn Sie die Tagesmutter in Ihrem eigenen Hause beschäftigen, dann
     kommen Sie eine Umzugsprämie. Ab Schuljahresbeginn eines jeden Jahres           sogar bis zu € 6.900,-- pro Monat. Dann natürlich nicht mehr pro Kind, denn
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Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester? • Dr. Norbert Wagner

so eine Frau könnte ja unter Umständen 2 oder 3 Kinder betreuen und dann          wichtigste Betreuungsform für Kinder von 0 - 3 Jahren immer noch die Eltern.
bleibt es trotzdem noch bei den € 6.900,--.                                       Sie sehen also, 64 % werden von den Eltern betreuut, was nicht heißt, dass
   Nachdem ich Sie jetzt mit all diesen Zahlen wahrscheinlich etwas verwirrt      die Kinder nicht auch während der Woche mal in die Krippe oder in den Hort
habe, noch ein paar Tabellen und Grafiken.                                        gehen oder in die halte-garderie. Die zweitwichtigste Betreuungsform sind die
                                                                                  Tagesmütter. Sie erinnern sich, einmal die Tagesmutter, die zu Ihnen ins Haus
   Abb. 4: Sie werden sich wahrscheinlich fragen, wo sind nun die Kinder in       kommt oder wo Sie ihr Kind hingeben und die dann bis zu 3 Kinder betreuen
Frankreich, wenn sie zwischen 0 – 3 und 3 – 6 Jahre alt sind. Sie werden sehr     darf. Dann eben nur Krippe, Hort mit 8 % usw. Die Großeltern spielen in Frank-
überrascht sein zu sehen, dass sie von 0 – 3 überwiegend bei ihren Eltern sind.   reich wie überall in der Welt in der Kinderbetreuung natürlich auch eine gro-
Trotz allem, was man sonst von Frankreich hört und liest, sind zu fast 2/3 die    ße Rolle.

                     Abb. 4: Wichtigste Art der Betreuung                                   Abb. 5: Betreuung nach Art der staatlichen Förderung
                       Kinder von 0 bis unter 3 Jahren                                                 Kinder von 0 bis unter 3 Jahren

                                                                                                                              sonstige
                                                                                                   Ecole maternelle             1,3%
        Untersch. individuelle                                                                          11,1%
             Betreuung                   sonstige
                2%                         4%
                                                                                        Krippe/Hort
               Großeltern                                                                  8,8%
                  4%

                                                                                       Hausangestellte
       Krippe/Hort                                                                         1,4%
           8%
                                                                                                                                                    Eltern
                                                                                                                                                    49,1%

                                                                  Eltern
                                                                   64%
                                                                                             Tagesmütter
                                                                                                19,8 %

         Tagesmütter
            18 %
                                                                                                               unbestimmt
                                                                                                                  8,5%

                                                                                                                                                                   17
Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester? • Dr. Norbert Wagner

        Abb. 5 (Seite 17): Das Ganze sieht dann ein wenig anders aus, wenn man          so entwickelt, dass die Eltern danach drängen ihre Kinder in den Kindergar-
     es nach dem Förderbetrag betrachtet, um den es hier geht, damit will ich Sie       ten zu schicken. Der ganz simple und einfache Grund dafür ist, es kostet
     aber jetzt nicht behelligen.                                                       nichts. Es gibt sogar mehr und mehr die Tendenz, dass auch die 2-jährigen
        Noch eindeutiger ist das Bild, wenn man die Kinder zwischen 3 und 6 Jah-        schon in den Kindergarten geschickt werden. Überall dort, wo Kindergar-
     ren betrachtet. Dort gehen die meisten Kinder in den Kindergarten. Der Kin-        tenplätze noch frei sind und der Direktor oder die/der LeiterIn das akzep-
     dergarten heißt in Frankreich Ecole maternelle, ist an eine Schule angeglie-       tiert, gehen auch schon 2-jährige Kinder in den Kindergarten. Das sind in
     dert und folgt auch dem Rhythmus der Schule und hat in Frankreich den gro-         Frankreich bis zu 250.000 Kinder zwischen 2 und 3 Jahren, die schon in den
     ßen Vorteil, dass er nichts kostet, weil er Schule ist. In Frankreich müssen die   Kindergarten gehen. Man kann grob sagen, dass ein Drittel der 2 – 3-Jähri-
     Kinder wie auch bei uns nicht vor 6 Jahren in die Schule gehen. Es gibt keine      gen in den Kindergarten geht. Natürlich dann auch die 3 – 6-Jährigen zum
     Schulpflicht für die 3 – 6 Jährigen, aber es hat sich in den letzten 20 Jahren     größten Teil.

                 Abb. 6: Wichtigste Art der Betreuung am Mittwoch                            Abb. 7: Staatliche Förderung nach Art der Betreuung in Mio. €
                             Kinder von 3 bis 6 Jahren                                         (gesamt: 11,876 Mrd. €), Kinder von 0 bis unter 3 Jahren

                                 sonstige                                                                        1.510 Ecole maternelle
                                   4%

                                             Ecole maternelle
                 Gemeinschaftsbetr.                1%
                       6%

            Großeltern                                                                       1.724 Krippe/Hort
               7%

            Tagesmütter                                                                                                                              5.896 Eltern
                7%                                                                        161 Hausangestellte

                                                                      Eltern
                                                                       75%

                                                                                                        2.186 Tagesmütter

                                                                                                                              373 unbestimmt

18
Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester? • Dr. Norbert Wagner

   Abb. 6 (S. 18): Ein besonderes Problem haben französische Eltern mit der
                                                                                            Abb 9: Monatliche Kosten der Betreuung von Kindern
Kinderbetreuung am Mittwoch, weil am Mittwoch – mindestens am Nach-                                unter 3 Jahren für die öffentliche Hand
mittag, wenn nicht sogar am ganzen Tag, keine Schule ist und deswegen auch
alle anderen Betreuungseinrichtungen eher geschlossen sind. Der bereitet für       Art der
jede Mutter bzw. für alle Eltern ein organisatorisches Kopfzerbrechen. Entspre-    Betreuungs-
chend sehen Sie, am Mittwoch werden die Kinder von 3 – 6 Jahren zu 75 % von        einrichtung              1 Smic    2 Smic      3 Smic    4 Smic     5 Smic
ihren Eltern betreut und dann von anderen Einrichtungen die sonst noch zur         Crèche collective         1.068        995        920        821       729
Verfügung stehen.                                                                  Crèche familiale            915        858        799        717       640
                                                                                   Crèche parentale            703        646        587       505        428
  Abb. 7 (S. 18): Hier sehen Sie, dass etwa zur Hälfte des verwendeten Gel-
                                                                                   Tagesmutter                 447        430        426       426        426
des die Betreuung durch die Eltern gefördert wird (Einkommenssteuer, Kin-
                                                                                   Tagesmutter im Hause        n.m.       n.m.       644       787        626
dergeld, Betreuungsgeld usw.). Die Tagesmutter spielt den zweitwichtigsten
Punkt, Krippe, Hort usw. entsprechend.

                                                                                     Abb. 8: Wenn Sie noch sehen wollen, wie das anhand einer Tabelle aus-
    Abb 8: Gesamtkosten der Betreuung von Kindern unter 3 Jahren
                                                                                  sieht, dann sehen Sie hier, bei welcher Anzahl von Kindern jeweils welche
                                                                                  Geldbeträge zur Betreuung investiert werden. Hier nur für die 0 – 3-Jährigen,
   Art der
   Betreuungs-              Gesamtkosten                Anzahl
                                                                                  die wichtigsten Betreuungsformen in Geld, in Zuwendungsbeträgen gemes-
   einrichtung                    Mio. €            der Kinder           %        sen. In der zweiten Zeile sehen Sie die 256.000 Kinder, die schon im Alter von
                                                                                  2 Jahren in den Kindergarten gehen.
   Krippe                             1.724            203.000           8,9         Abb. 9: Interessant ist auch, was dies die öffentliche Hand kostet, die je-
   Kindergarten                       1.510            256.000          11,3      weils diese Betreuungsform trägt, die Kosten der Betreuungseinrichtung für
   Tagesmutter                        2.186            457.200         20,1       die öffentlichen Hände sprich den Staat insgesamt bzw. diejenigen Institu-
   Tagesmutter im Hause                 161             32.000           1,4      tionen auf staatlicher Ebene, die mit der Organisation der Kinderbetreuung be-
   Eltern                             5.896          1.130.000         49,8       fasst sind. Das sind in Frankreich die Departemets, etwa was man Kreis nen-
   versch.                             373             196.800           8,6      nen würde und dann gibt es eine besondere Familienkasse und da sehen Sie, dass
   ungeklärt                                            30.000           1,3      die öffentliche Krippe für jemanden, der ein Kind dort abgibt und selbst bis zu
   Gesamt                           11.876          2.273.000           100       € 1.200,-- verdient, dies € 1.000,-- im Monat kostet. Ich weiß nicht, wie viel
                                                                                  es in Österreich kostet, es ist aber relativ viel Geld.
                                                                                                                                                                    19
Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester? • Dr. Norbert Wagner

              Abb 10: Monatliche Kosten der Betreuung von Kindern                          Lassen Sie mich zum Schluss jetzt noch ein paar Überlegungen anstellen
                          unter 3 Jahren für die Eltern                                zur Frage „Ist Frankreich nun für uns/Sie ein Vorbild?“ Danach kann man zu-
                                                                                       nächst einmal festhalten, dass es in Frankreich im Gegensatz zu manch an-
      Art der Betreuungs-                                                              derem Land eine relativ positive Grundstimmung gibt gegenüber Frau, Fami-
      einrichtung             1 Smic     2 Smic      3 Smic    4 Smic    5 Smic
                                                                                       lie, Kindern und Verbindungen der Rolle von Frau in Beruf und Familie. Es gibt
      Crèche collective           98         147        246       345        437       in den Unternehmen insbesondere eine andere Einstellung zu schwangeren
      in % des Einkommens        10,4         9,0        8,7       9,1        9,2      Frauen, es ist relativ normal. Ich sage das so, wie es empfunden wird. Weni-
      Crèche familiale             81        138        197       279        356       ger Druck in den Unternehmen, dann auszuscheiden oder die Wirklichkeit ist
      in % des Einkommens          8,6        7,3        6,9       7,4        7,5      leichter gegeben wieder zu kommen. Das hat sicher auch etwas damit zu tun,
      Crèche parentale             81        138        197       279        356       dass die Frauen in Frankreich wie fast in allen Ländern Westeuropas ihre Kin-
      in % des Einkommens          8,6        7,3        6,9       7,4        7,5      der immer etwas später bekommen. In Frankreich ist das durchschnittliche Le-
      Tagesmutter                260        277         281       281        281       bensalter der Erstgebärenden 29 Jahre, da haben sie schon einen relativ wei-
      in % des Einkommens        27,5       14,7         9,9       7,4        5,9      ten Schritt in ihrer beruflichen Karriere gemacht, sind deswegen auch sehr viel
      Tagesmutter im Hause        n.m.      n.m.       1.027      884      1.045       weniger bereit, aus der beruflichen Karriere wieder auszuscheiden bzw. die
      in % des Einkommens                               36,5      23,4      22,1       Unternehmen können auch einschätzen, was sie von den Mitarbeiterinnen ha-
                                                                                       ben.
        Der Beitrag der Familie selbst ist relativ bescheiden. Nach Einkommen ge-          Es gibt in Frankreich darüber hinaus einen ausgeprägten Wunsch Kinder zu
     staffelt kommen wir gleich noch dazu. Die Tagesmutter ist dazu eine relativ       haben und zwar mehr, als man hat: 1,9 % nach der Statistik. Die Umfragen
     günstige Betreuungsform, für die öffentlichen Hände wohlgemerkt.                  sagen, 2,5 % möchte man haben. Die Veränderung des Kinderwunsches läuft
                                                                                       parallel mit den tatsächlichen Kindern, die man dann hat, allerdings immer in
        Abb. 10: Ein kurzer Überblick über die Kosten, die verschiedene Betreu-        einem kleinen Abstand, ein halbes Kind hat man dann im Durchschnitt also
     ungseinrichtungen ausmachen, für die Eltern selbst. Hier sehen Sie, eine Krip-    weniger. Die Hälfte der Eltern – und das entspricht dem statistischen Bild,
     pe ist relativ günstig, € 98,-- für jemanden, der € 1.200,-- verdient und dar-    wünscht sich ein Kind zusätzlich. Man kann natürlich fragen, warum sie das
     unter ist der Betrag in Prozent des Einkommens angegeben. Die Tagesmutter im      nicht verwirklichen.
     Hause kann sich beispielsweise jemand, der nur € 1.200,-- verdient, nicht leis-       Eine Rolle dürfte in Frankreich sicher auch die hohe Scheidungsrate spie-
     ten. Entsprechend gestaffelt nach Einkommenshöhe, also bis zu € 6.000,--,         len, die noch höher ist als in Österreich. In Paris liegt die Scheidungsrate bei
     steigt dann der Beitrag bei der Créche collective. Das ist im Moment so gere-     50 % und in Frankreich insgesamt bei einem Drittel. Eine hohe Scheidungs-
     gelt bei einer Krippe, dass Sie mindestens € 35,-- am Tag für die Kinderbe-       rate ist immer eine gefährliche Sache, das heißt, man muss versuchen, sich
     treuung zahlen und maximal 12 % ihres Einkommens.                                 beruflich abzusichern und selbst wenn man Kinder hat, darauf achten, dass
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Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester? • Dr. Norbert Wagner

man finanziell und beruflich auf festen Füßen steht. Der 2. Aspekt, der dabei              Darüber hinaus haben Krippen relativ flexible Öffnungszeiten: in der Regel
eine Rolle spielt, sind die sogenannten Patchwork-Familien. Auch da spielt oft          zwischen 7 Uhr früh und abends um 8 oder 9 je nachdem, das kann man in-
hinein, dass die neuen Ehepartner gern noch ein Kind haben wollen und da-               dividuell vereinbaren. Wenn man entsprechenden Druck auf den Bürgermeis-
durch die Kinderzahl insgesamt möglicherweise zusätzlich steigt. In Frankreich–         ter macht, dann machen die auch eine Stunde früher auf oder zu.
anders als in anderen Ländern – gibt es einen relativ geringen Prozentsatz von             Ein ganz wichtiger Aspekt, der in Frankreich eine große Rolle spielt, sind
Frauen, die keine Kinder haben, nämlich nur 5 % . In Deutschland, so weiß ich,          die sogenannten Nounous, also die Tagesmütter, die in großer Zahl zu Verfü-
ist das anders, und bei uns sind es insbesondere die Frauen mit höherer Bildung,        gung stehen und die Kinderbetreuung relativ einfach machen.
die tendenziell weniger Kinder haben.                                                      Warum haben Frauen in Frankreich 3 Kinder oder zumindest relativ viele
    Ein Aspekt, der in Frankreich ein Tabu ist, den ich aber dennoch ansprechen         Kinder? Auch weil mit der Anzahl der Kinder die kinderpolitischen oder auch
möchte, ist die hohe Fertilität der eingewanderten Bevölkerung. In Frankreich           familienpolitische Leistungen ansteigen. Der Förderungsbetrag ist noch rela-
sind etwa 10 % der Bevölkerung Moslems, die, wenn sie in Frankreich geboren             tiv gering beim ersten Kind, er steigt dann beim zweiten und beim dritten noch
sind, alle die französische Staatsbürgerschaft haben, weswegen keine getrenn-           stärker. Für das erste und zweite Kind hat eine Frau 14 Wochen Schwanger-
te Statistik geführt wird. Nach eigenem Augenanschein und nach Befragung vie-           schaftsurlaub oder Mutterschaftsurlaub, für das dritte Kinde 28 Wochen, al-
ler Leute, die davon etwas wissen: Die Fertilität dieses Teils der Gesellschaft dürf-   so genau das Doppelte. Das heißt, wenn Sie zwei Kinder haben, dann ist der
te um mindestens 1, wenn nicht um 2 Kinder höher liegen als der einheimischen           Schritt zum dritten Kind relativ leicht, zumindest aus finanzieller und organi-
Bevölkerung. Wenn man versucht das mal runter zu rechnen, dann landen Sie               satorischer Sicht. In der Regel geht auch das älteste Kind, wenn das Dritte
für „die Französinnen“ bei 1,7 % Geburtenrate, also nicht mehr bei 1,9 %.               kommt, schon in die école maternelle, ist damit also weitgehend betreut und
    Ein letzter Punkt, weshalb Familie und Beruf in Frankreich so intensiv mit-         versorgt und dadurch erleichtert es Ihnen diese Entscheidung. Es ist für die
einander gehen, zumindest für den Großraum Paris: Sie können dort als Fa-               Mütter aber ein ziemlicher Stress und eine aufwendige Organisation, das al-
milie nicht überleben, wenn nicht beide arbeiten. Sie müssen beide arbeiten,            les miteinander zu kombinieren, Mittags die Betreuung zu organisieren, wenn
auf dem Land sieht es etwas anders aus, aber in Paris ist das unmöglich und             die Arbeitszeiten nicht ganz übereinstimmen mit den Krippenöffnungs- und
dort lebt immerhin ein 1/5 der französischen Bevölkerung.                               Schließungszeiten, dann muss noch eine Brücke gefunden werden usw. Es ist
    Ein weiterer Aspekt für die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf sind eini-          also eine ganze Menge an Organisation.
ge praktische oder organisatorische Vorteile. In Frankreich gilt weitgehend die            Dennoch, wenn Sie den europäischen Durchschnitt nehmen und sich eine
4/5 Woche. Sie wissen, dass die französische Regierung vor 3 – 4 Jahren schon           internationale Querschnittanalyse mal ansehen, dann können Sie sagen, dass die
die 35-Stunden-Woche eingeführt hat. Wenn Sie das gut organisieren und Ihr              Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur zu 25 % die Varianz der Geburtenraten
Arbeitgeber damit einverstanden ist, können Sie die an 4 Tagen abarbeiten.              erklärt. Es gibt noch andere Faktoren, die brauchen wir gar nicht weiter ausfüh-
Deswegen ist es für Sie am Mittwoch in der Regel kein Problem die Kinder zu             ren. Immerhin zu nur 25 % werden die Geburtenraten durch die Vereinbarkeit
betreuen, wenn die Einrichtungen geschlossen sind.                                      von Familie und Beruf erklärt. Wie gesagt, wenn man dieser Analyse glauben darf.
                                                                                                                                                                           21
Familienpolitische Maßnahmen in Europa – Ist Frankreich wirklich Klassenbester? • Dr. Norbert Wagner

        Noch einige Worte ganz am Schluss zu den problematischen Aspekten der          von Paris, da sagte uns die Leiterin in der Krippe, dass die Eltern ihre Kinder
     Kinderbetreuung in Frankreich, wie ich glaube. Einmal sind Krippen – auch Ta-     in der Krippe lassen, selbst wenn sie zu Hause sind und schon dienstfrei ha-
     gesmütter, aber insbesondere die Krippen – nach meinem Dafürhalten eine           ben oder Ferien. Die Frage stellt sich in der Tat, was tun wir den Kindern an?
     problematische Betreuungsform. In der Regel werden die Kinder schon ab der        Die BetreuerInnen sagten, sie werden seit einiger Zeit immer aggressiver. Man
     10. Woche nach der Geburt dorthin gebracht. Ab 2 Monaten können Sie Ihre          muss sich die Frage stellen, wo findet effektive Erziehung überhaupt noch
     Kinder dort abgeben. Die Verweildauer ist dort oft 10 – 11 Stunden und es gibt    statt, wenn man die Kinder so lang in der Krippe oder in irgendeiner anderen
     eine Leiterin einer Krippe im Pariser Raum, die ein Buch geschrieben hat und      Betreuungsform lässt? Das sind aber alles nur Fragen. Ich wollte die hier nur
     dort in einem Kapitel ihres Buches schreibt: Die Krippe wurde geschaffen nicht    kurz anreißen und hoffe, dass ich Sie jetzt nicht all zu sehr verwirrt habe mit
     im Interesse der Kinder sondern im Interesse der Eltern. Dennoch sind die fran-   diesen ganzen Zahlen.
     zösischen Eltern überzeugt, dass für die Kinder die Krippe am besten ist mit
     30 %, Großeltern 29 %, Kinderfrau 26 %. Wie Sie gesehen haben sind Krippen           Am Ende noch eine kleine Bemerkung eher persönlicher Natur, die Sie mir
     auch teurer für die Öffentlichkeit als Tagesmütter. Dennoch werden sie von El-    bitte nicht übel nehmen. Als ich mich ein wenig versuchte schlau zu machen
     tern bevorzugt. Dies auch manchmal mit dem Argument, da lernen sie eher so-       in der Bevölkerungsstatistik in Frankreich und in Österreich, da kam ich auch
     ziales Verhalten, werden besser integriert, haben soziale Kontakte usw.           auf die verschiedenen statistischen Reihen und habe mit Überraschung fest-
                                                                                       gestellt, dass es bei Ihnen keine Abtreibungsstatistik gibt. In Frankreich wird
        Man muss sich aber auch die Frage stellen – und die werden Sie sich sicher     diese Statistik überall veröffentlicht, gerade jetzt wieder vom nationalen In-
     noch besser stellen können als ich: Welche Auswirkungen auf Kinder, auf die       stitut für Demographie, aber in Österreich ist das offenbar nicht der Fall, ganz
     Eltern und auf die Gesellschaft hat das alles? Wie uns Eltern, aber auch Be-      abgesehen von der Tatsache selbst, ist auch die Nichtveröffentlichung dieser
     treuerInnen aus Frankreich sagen, führt dies alles dazu, dass sich die Eltern     Zahlen sehr bedauerlich.
     von der Erziehung ihrer Kinder verabschieden. Das geht sogar so weit, dass sie
     den KinderbetreuerInnen in der Krippe sagen, warum schneidet ihr den Kin-           Vielen Dank!
     dern nicht die Fingernägel, warum bringt ihr ihnen nicht schwimmen bei, wa-
     rum lest ihr mit ihnen nicht im Alter von 1, 2, 3 Jahren, also all das, was ei-
     gentlich die Eltern machen sollten. Andererseits haben Eltern dann auch
     wiederum Schuldgefühle, weil sie ihre Kinder nicht betreuen oder nicht so be-
     treuen, wie sie sich das selbst gerne wünschen.

        Was uns neulich sehr überrascht hat zu hören, wir haben mit einer deut-
     schen Bundestagsdelegation einen Besuch gemacht in einer Krippe außerhalb
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Wunsch und Wirklichkeit. Sozialer Wandel, individuelle Entwicklung und deren Auswirkung auf die Fertilitätsrate • Dr. Walter Bien

DR. WALTER BIEN
Deutsches Jugendinstitut, München
Dr. Walter Bien hat in Aachen Nachrichtentechnik, Psychologie, Pädagogik und        Zurzeit hat die Steiermark 1,2 Millionen Einwohner, soll diese Zahl erhalten
Soziologie studiert. Zu seinen Arbeitsgebieten zählt Social Monitoring zu Fami-     bleiben, soll sie wachsen, soll sie – wenn sie sinkt – langsamer sinken? Was
lie, Jugend sowie Kindheit durch gendersensitive Umfragen sowie die statistische    ist die gewünschte, ideale Einwohnerzahl bzw. Bevölkerungsdichte, die man ha-
Aufbereitung dieser Daten. Seine Erfahrungen hat er in zahlreichen Projekten ge-    ben will? Wie hoch ist die ideale Lebenserwartung? Welche Aufgaben sollen von
sammelt, die sich von „Quantitativer Soziometrie“ bis hin zur Entwicklung me-       welcher Generation übernommen werden? Solche Fragen sollte man vorher klä-
thodischer Instrumentarien zur Analyse sozialer Strukturen erstrecken. Einige ak-   ren, bevor man sich überlegt, wie man welche Initiativen startet. Was in Wirk-
tuelle Projekte von Dr. Bien sind zur Zeit eine Regionaldatenbank, ein EU-Info-     lichkeit passiert ist aber, dass von einem Blick auf das Pensionssystem ausge-
Portal und EUYOUPART.                                                               hend, die Finanzierung des Pensionssystem gerade schwierig ist und Ärger
                                                                                    macht. Die Diskussion um den Kinderwunsch und die Finanzierung des Pen-
     ielen Dank für die Einladung. Als ich diese bekommen habe, habe ich mich       sionssystems hängen aber nicht so direkt zusammen wie mancher glaubt.
V    im Internet über die Initiative KINDerLEBEN ein wenig kundig gemacht
und war sehr beeindruckt. Nachdem ich gesehen habe, was Sie in diesem Jahr
                                                                                        Ich kann mich an eine Tagung in Spanien erinnern, die ähnlich begann, bis
                                                                                    schließlich einer jungen Mutter der Geduldsfaden riss, sie aufstand und den
schon alles gemacht haben, wer auch heute hier alles vorträgt, ist es mir et-       Politikern gesagt hat: „Glaubt ihr ernsthaft, dass junge Mütter Kinder in die
was schwer gefallen, jetzt noch etwas Zusätzliches über das Ihnen Bekannte          Welt setzen, nur damit ihr euer Pensionssystem in Ordnung bekommt? Das ist
hinaus an Information bereit zu stellen. Ich habe mich deshalb entschlossen,        euer Problem, Kinder bekommen ist unser Problem!“ Das Älterwerden der Ge-
weniger den Status Quo zu berichten, als zu erklären versuchen, warum man-          sellschaft muss nicht unbedingt ein Problem sein und die Erfüllung des Kin-
che geplante Intervention Erfolgsaussichten hat und andere nicht. Dem Gan-          derwunsches ist ein Wert an sich, der nicht über Finanzprobleme begründbar
zen liegt eine Erkenntnis zu Grunde, die bei allen international arbeitenden        ist. Viel besser als das Nachdenken über aktuelle und antizipierte Finanzie-
Bevölkerungswissenschaftlern anerkannt ist, nämlich, dass alle bekannte Be-         rungsprobleme ist nach meiner Meinung ein Ansatz, der sich über eine Stei-
völkerungspolitik letztlich keinerlei Auswirkung auf die Hebung von Gebur-          gerung das Humankapitals begründet.
tenzahlen hat. Ich werde versuchen zu erklären, warum das so ist.                       Was wissen wir über Bevölkerungswachstum bzw. -rückgang: Sicher ist, dass
   Will man die Bevölkerungsentwicklung in der Steiermark beeinflussen,             Geburten und Partnerschaften voneinander abhängen; späterer Partnerschafts-
sollte man sich erst mal überlegen, was sind die Ziele, die angestrebt werden?      eintritt bedeutet späteres Alter der Erstgeburt, späteres Alter der Erstgeburt be-
                                                                                                                                                                         23
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