DIE PHILOSOPHIE DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE

 
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DIE PHILOSOPHIE DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE
DIE PHILOSOPHIE DER
CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE

 GLEICH DEM SANFTEN TAU DRINGT DIE WAHRHEIT IN UNSER BEWUSSTSEIN.
             WENN WIR JEDOCH IMMER TIEFER MEDITIEREN,
    VERÄNDERT SIE SICH UND WIRD ZU EINER GEWALTIGEN FLUTWELLE,
                    DIE ÜBER UNS HEREINBRICHT
UND DEN SCHLAMM UNSERES STERBLICHEN BEWUSSTSEINS HINWEGSCHWEMMT.
                      PARAMAHANSA YOGANANDA

                        DIPLOMARBEIT
                     CAROLINE EIGENMANN
                         MÄRZ 2013
DIE PHILOSOPHIE DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE
INHALT

EINEITUNG!!        !      !     !      !     !      !     !            !      !   !    3
!     !
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ROLLIN BECKER!

VORWORT! !         !      !     !      !     !      !     !            !      !        5
EINFÜHRUNG!!       !      !     !                                     ! !     !        6
STUDIUM UND PRAXIS DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE!                                     8
DEN MECHANISMUS VERSTEHEN !            !     !      !             !         ! !       13
DIE TIDE DES LIQUOR CEREBROSPINALIS!         !      !                                 17
DIE KUNST DER PALPATION!        !      !     !      !                                 26
DIAGNOSTISCHES BERÜHREN: PRINZIPIEN UND ANWENDUNG                     ! !     !       33
KLINISCHE ÜBRLEGUNGEN!!         !      !     !      !     !                           35
AUSGEWÄHLTE THEMEN! !           !      !     !      !     !                           38

PHILOSOPHISCHE BETRACHTUNGEN

SAMUEL HAHNEMANN ÜBER UNHEILKUNST ! !               !     !             !     !       46
STILL ÜBER ALLOPATHIE! !        !      !     !      !     !             !     !       46
RUDOLF STEINER ÜBER GESUNDHEIT         !     !      !     !             !     !   !   47
VERGLEICH MIT DER PHILOSOPHIE DER KLASSISCHEN HOMÖOPATHIE! !                      !   49
VERGLEICH MIT DER ESOTERISCHEN OSTEOPATHIE, HERBERT HOFFMANN!                     !   50
ZUM THEMA HEILEN!         !     !      !     !      !     !             !     !   !   52
VERGLEICH MIT DER PHILOSOPHIE VON EDWARD BACH                 !         !     !   !   53
STILLS VORBILDER! !       !     !      !     !      !     !             !     !   !   54
SUTHERLAND UND SWEDENBORG!             !     !      !     !             !     !   !   55
„DANKSAGUNG“!      !      !     !      !     !      !     !             !     !   !   55
NACHWORT! !        !      !     !      !     !      !     !             !     !   !   55
MEERUMUNS!!        !      !     !      !     !     !      !            !      !   !   56

BEMERKUNG: VIOLETTER KURSIVDRUCK DURCH DIE VERFASSERIN DIENT DER SUBJEKTIVEN HERVORHBUNG

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DIE PHILOSOPHIE DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE
EINLEITUNG

Wer sich schon mit Craniosacraler Osteopathie beschäftigt hat, weiss, dass Andrew Taylor Still
(1828 - 1917) 1874 mit seiner Osteopathie an die Öffentlichkeit getreten ist. William Garner
Sutherland (1873 - 1954), ein Schüler von ihm, hat sie bedeutend weiterentwickelt zur
Craniosacralen Osteopathie und Rollin Becker, ein Schüler von Sutherland, baute auf diesem
Werk auf indem er gründlich weitergrub - „dig on!“ , wie Still zu sagen pflegte.

Nun was genau ist diese Osteopathie, die Still nach jahrzehntelangem Forschen entdeckte ?
Hier ein paar zum Teil äusserst anschauliche Zitate von Andrew Taylor Still:

„Es ist die wissenschaftliche Kenntnis der Anatomie und Physiologie in den Händen einer
intelligenten Person mit Kunstfertigkeit, die dieses Wissen anwenden kann, und zwar zum Nutzen
von Menschen, die durch Belastungen, Schocks, Stürze oder mechanische Verschiebungen und
anderer Verletzungen des Körpers krank oder beeinträchtigt sind. Ein Osteopath auf der Höhe der
Zeit benötigt ein meisterhaftes Wissen in Anatomie und Physiologie. Er muss Wissen besitzen in
osteopathischer Chirurgie, osteopathischer Geburtshilfe und osteopathischer Praxis. Er muss
Krankheiten durch das kunstfertige Anpassen von Körperteilen heilen können, welche durch
Belastungen, Stürze oder irgendwelche anderen Gründe veschoben wurden und dadurch einen
Nerv, wenn auch nur einen Hundertstel Millimeter, aus seiner normalen Position gelenkt haben.“ 1

„Die Gesundheit zu finden sollte das Anliegen eines Arztes sein. Jeder kann die Krankheit finden.
Er sollte die grosse Runde unter den Wachen machen und übeprüfen, ob sie schlafen, tot sind
oder ihre Posten verlassen haben und dem Feind erlauben, in ihren Bereich einzudringen. Er sollte
alle Posten besuchen. Bevor er seine Runde macht, sollte er wissen, wo alle Posten stehen und
den Wert des Angebots kennen, für den er zuständig ist, ob Munition, Granaten, Essen, Kleidung,
Waffen oder etwas anderes für die Kompanie oder Stellung von Wert ist.“2

„Entweder ist Gott Gott, oder er ist es nicht. Osteopathie ist das Gesetz Gottes, wer immer Gottes
Gesetz verbessern kann, ist Gott selbst überlegen. Osteopathie öffnet deine Augen und lässt dich
klar sehen; ihre Praxis begleitet alle Phasen der Krankheit und ist das Gesetz, welches das Leben
in Bewegung hält.
Wie ein Elektriker den Strom kontrolliert, kontrolliert der Osteopath den Lebensfluss und erneuert
abgeschnittene Kräfte.“3

„Ich habe eine jungen Hund zu Hause, dem ich zur Erinnerung bei seinen Ungehorsamkeiten
einen Klaps gebe. So gibt die Natur Euch einen Klaps in Form von Schmerz, wenn ihre Vorgaben
missachtet werden. Wenn Ihr den Schmerz des Klapses spürt, pumpt keine Medikamente in Eure
Mägen, sondern lasst einen kunstfertigen Ingenieur Eure menschliche Maschine anpassen,
sodass jeder Teil in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der Natur arbeitet.
Stellt Euch selbst als elektrische Batterie vor. Elektrizität hat die Kraft zu explodieren oder
Sauerstoff zu verbreiten, von dem wir die vitalisierenden Kräfte erhalten. Wenn sie frei durch Euer
ganzes System fliesst, fühlt Ihr Euch wohl. Stellt sie an einer Stelle ab, dann bekommt Ihr eine
Stauung. In diesem Falle verstärkt ein Dr. med. durch die Gabe von Medikamenten die Stauung,
bis sie in einem Zusammenbruch endet. Er ist wie der Franzose, der seine Ente vergammeln lässt,
damit sie schneller kocht. Nicht so ein Osteopath. Er behebt das Hindernis, lässt die Leben
spendenden Flüsse wieder fliessen und stellt die Gesundheit wieder her.
Die eine Weise ist des Menschen unsicherer Weg, die andere ist die unfehlbare Methode Gottes.
Entscheidet Euch heute, wem Ihr dienen wollt.

1   Das grosse Still-Kompendium, JOLANDOS 2005. Teil III, p.14

2   ebenda Teil II, p. 16

3   ebenda Teil I, p. 105
                                                                                                 3
DIE PHILOSOPHIE DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE
Lasst uns unten beginnen und eine Weile aufwärts schliessen. Wie oft hat ein Beobachter eine
kranke Gans auf dem Wasser gesehen, obwohl das Wasser schmutzig war? Wenn eine Gans das
nötige Futter zum Lebenserhalt findet, werden ihr [innerer]*4 Arzt, das Wasser, und die Elemente
ihrer Art es ihr immer wohl ergehen lassen. Eine tote Gans, ein Schwan, ein Pelikan, ein
Haubentaucher oder ein Wasservogel wird selten, wenn überhaupt, tot auf der Wasseroberfläche
gefunden - es sei denn der Tod trat gewaltsam ein.
Unsere ältesten Pioniere werden Euch sagen, dass während der Besiedelungszeit Krankheit unter
Schweinen unbekannt war. Die Schweine wurden frei in der Natur gelassen, um zu fressen, zu
trinken, zu wachsen und glücklich zu sein. Wenn sie sich überfressen hatten oder unter etwas
anderem litten, nahm man an, dass sie genug Verstand besassen, um einen Flusslauf
aufzusuchen, bis das Fieber verschwunden war und es ihnen wieder besser ging.
Keines Jägers Messer hat je die Haut eines kranken Bocks, Bären, Wolfs oder Panthers gehäutet,
es sei denn, er hat zuvor im Fell Zeichen einer vorherigen körperlichen Verletzung gefunden.
Wir glauben, dass die Ursache für das Fehlen von Krankheiten unter Tieren und [?] Vögeln aller
Art eine strenge Befolgung der Gesetze ist, unter denen sie in der Natur entlassen wurden. Wenn
sie müde sind, ruhen sie, wenn sie Hunger haben, fressen sie, sie leben in strengem Gehorsam
gegenüber allen Forderungen ihrer Bedürfnisse. Wir glauben, dass der Mensch davon keine
Ausnahme macht. Unserer Meinung [nach] ist eine der häufigsten Ursachen für menschliche
Krankheiten die Missachtung dieser grossen Tatsachen. In diesem Sinne zeigt der Mensch nicht
einmal so viel Verstand wie eine Gans.“ 5

Verschiedene Bilder von Andrew Taylor Still aus dem grossen Still Kompendium, s.u.

Während meiner Ausbildung in Craniosacral-Therapie wurden immer wieder Aussagen von Rollin
Becker erwähnt. Mich begann seine Philosophie der craniosacralen Osteopathie aufbauend auf
Stills und Sutherlands Prinzipien zu interessieren. In seinem Werk „Leben in Bewegung & Stille
des Lebens“ fand ich sehr viele Aussagen, Erläuterungen, Vergleiche, Patientenbeispiele,
Geschichten, sowie Briefe, die im ersten Teil meiner Arbeit zusammengefasst wiedergegeben
werden. Im zweiten Teil stelle ich die Philosophie der Osteopathie mittels Zitaten der klassischen
Medizin gegenüber und vergleiche sie mit der anderer naturnaher Therpierichtungen wie der
klassischen Homöopathie, der Bach Blüten Therapie und der „Esoterischen Osteopathie“ nach
Herbert Hoffmann.

4   *Einschübe in eckiger Klammer sind jeweils von der Verfasserin ergänzte Bemerkungen

5   Das grosse Still-Kompendium, JOLANDOS 2005. Teil I, p.109/110
                                                                                                4
DIE PHILOSOPHIE DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE
ROLLIN BECKER

                 Wir brauchen zu Anfang alle etwas, woran wir uns festhalten können.
                                     Es gibt eine Struktur für die Behandlung.
                Am Ende gibt es aber nichts, woran wir uns wirklich festhalten können.
                   Es gibt ein Ziel, aber es ist ein Ziel, bei dem es nicht wichtig ist,
                                                                            6
                                          ob es erreicht wird oder nicht.

VORWORT
Dank Rachel Brooks M.D. gibt es dieses umfassende Werk über Rollin Becker: „Leben in
Bewegung & Stille des Lebens“, herausgegeben von Christian Hartmann im Jolandos-Verlag
2007. Ich kann es allen Osteopathie-Praktizierenden von Herzen empfehlen. Ihre Hauptmotivation
war, sicherzustellen, dass das Wissen dieses engagierten Osteopathen nach seinem Tode nicht
verloren geht. Es ist ihr hervorragend gelungen, seine Konzepte, Theorien, Anschauungsweisen,
Erkenntnisse, Erfahrungen, und sein Wesen in übersichtliche spannende Buchform zu fassen.
Das Publizieren des Werks von Rollin Becker, D.O. begann 1991; damals fing sie an, das
verfügbare Quellenmaterial zu sammeln. Sie erwartete, dass die Quantität begrenzt sein würde,
denn Dr. Becker galt im Gespräch als relativ wortkarger Mann, obgleich er dafür bekannt war, dass
er die gleichen Punkte wieder und wieder betonte. Ihre Suche wurde jedoch mit reichhaltigem und
vielfältigem Material belohnt. Leben in Bewegung, der erste Teil der Sammlung seiner Schriften
und Aufzeichnungen, besteht hauptsächlich aus Vortragstexten und Artikeln, während Teil zwei,
Stille des Lebens, schwerpunktmässig Gespräche und Korrespondenzen aus Beckers privatem
Umfeld enthält. In den ersten sieben Kapiteln meiner Arbeit fasse ich den ersten Buchteil grob
zusammen mit wenigen Ergänzungen aus dem zweiten Buchteil. Im Kapitel acht zitiere ich ihn zu
ausgewählten Themen vorwiegend aus dem zweiten Buchteil.
Rollin Becker hat sein Werk übrigens seiner Frau Ardath Becker gewidmet.

UNTERTEILUNG

1.   Einführung
2.   Sudium und Praxis der Osteopathie
3.   Den Mechanismus verstehen
4.   Die Tide des Liquor Cerebrospinalis
5.   Die Kunst der Palpation
6.   Diagnostisches Berühren : Prinzipien und Anwendung
7.   Klinische Überlegungen
8.   Ausgewählte Themen

6 Rollin Becker, Mai 1979, Ann Arbor Seminar

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DIE PHILOSOPHIE DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE
1. EINFÜHRUNG
___________________

Rollin Becker lebte von 1910 bis 1996 in Amerika. Theoretisch hätte er Andrew Taylor Still noch
kennen können. Dies war aber nicht der Fall; sein Vater jedoch, Arthur D. Becker , ein prominenter
und angesehener Osteopath, war noch unter Still in Kirksville als Lehrer tätig und fungierte später
an zwei osteopathischen Colleges als Dekan. Offenbar war Rollin Becker vom Beruf seines Vaters
angetan. 1934 - mit 24 Jahren - graduiert er in der American School of Osteopathy, dem späteren
Kirksville College of Osteopathic Medicine. Nach ein paar Jahren in Oklahoma zog er nach
Michigan, wo er dreizehn Jahre lang praktizierte.
1944 traf er dort Wiliam Garner Sutherland, D.O. und vier Jahre später unterrichtete er zum ersten
Mal als Teil der Lehrfakultät in einem von Dr. Sutherlands Kursen. 1949 liess er sich in Texas
nieder, wo er während 40 Jahren praktizierte. Während dieser ganzen Zeit blieb er Dr. Sutherland
und desen Werk verpflichtet. Von 1962 bis 1979 war Dr. Becker Präsident der Sutherland Cranial
Teaching Foundation, einer Organisation, die der Fortbildung im Sinne von W.G. Sutherland dient.
In Grossbritannien unterstützte er während vieler Jahre die Entwicklung der British School of
Osteopathie (BSO) massgeblich. Bis ein Jahr vor seinem Tode reiste er immer wieder nach
London um Sutherlands Konzept der Osteopathie dort zu lehren.

Becker baut seine Betrachtungsweise über Gesundheit und Krankheit auf den Prinzipen von Still
auf. Er zitiert neben Still auch Sutherland immer wieder. Für beide hat er eine grosse Achtung
empfunden, wie aus seinen Texten immer wieder klar hervorgeht.
Becker geht es in erster Linie um eine lebendige Behandlung und darum eine zusätzliche
Verantwortung zu übernehmen, mit einem lebendigen Mechanismus zu arbeiten - nicht darum, mit
dem Körper etwas zu machen, sondern mit ihm zu kooperieren, ihn zu einer aktiven
Zusammenarbeit zu ermuntern. „Wir lassen ihn die Arbeit für uns tun, denn er arbeitet bereits für
uns.“
Im Vordergrund stehen nicht Diagnose und Behandlung von Krankheiten und Traumen sondern
die Erfahrung, wie der lebendige Körper ununterbrochen Gesundheit aus dem Innerern zum
Vorschein bringt. Er spricht vom ,innerern Arzt‘, der diese Gesundheit ohne Unterlass manifestiert.
„Der craniosacrale Mechansimus ist Bestandteil dieses primären, inneren Arztes, alles ist eine
Einheit“. Unsere Aufgabe sei das Gesundheitsmuster, das wie von einer Wolke bedeckt sei, aus
dem traumatisierten oder kranken Zustand herauszuentwickeln.

Rollin Becker hat William Garner Sutherland 1944 - als er 34 und Sutherland 71 Jahre alt war -
zum ersten mal getroffen: „William Garner Sutherland war ein ruhiger Mann, der schönste Mann,
dem ich je begegnete. Jeder von euch würde ihn lieben. Wenn ihr ein Bild von ihm sehen würdet,
wäre es, als würdet ihr euch in euren spirituellen Lehrer oder in jemanden ganz Besonderen
verlieben. Er hatte einfach diese Art von Präsenz.“7 Sie begleiteten einander in den folgenden -
Sutherlands letzten - zehn Jahren. Während dieser Zeit hatten sie regen Austausch über ihre
Arbeit mit der Craniosacralen Osteopathie. Und sie waren einander in Freundschaft verbunden.
Einmal - im Jahre 1935 - schreibt ihm Becker einen langen, sehr interessanten Brief, woraus
hervorgeht, dass er trotz intensiven Forschens, vieler Erkenntnisse und Erfolgen auch an Grenzen
des Verstehens gestossen ist, die in ihm zuweilen auch Zweifel auslösten. Umso wichtiger war es
für ihn, sich mit jemandem, der ihn wirklich verstehen konnte , austauschen zu können:
„... Die Routinemethoden der Diagnostik, die unsere modernen osteopathischen Freunde und die
moderne Wissenschaft verschreiben, sind alle so grob und voller peripherer Information, die wenig
Bedeutung für das wahre Muster im Patienten hat. Das gleiche trifft auf die gründliche
osteopathische strukturelle Untersuchung zu, einschliesslich der besten craniosacralen Befunde,
die ich finde. Wenn ich zwei Methoden kombiniere, erzeugt das noch mehr Durcheinander und
Information. Das Interessante für mich daran ist, dass ich „Fulkren“ finde - Fokuspunkte der
Aktivität, um die ein Mensch funktioniert - und eine vielfältige Veränderung von Gewebemustern,

7   Rollin Becker: „Leben in Bewegung&Stille des Lebens“ JOLANDOS 2007 Teil II p. 18
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DIE PHILOSOPHIE DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE
Flüssigkeitsfluktuationen usw., die den Fokuspunkt oder das Fulkrum begleiten, es muss aber ein
Zeitelement in diesen Mustern geben, das ich nicht verstehe. Ein Beispiel: Ein Patient braucht eine
Behandlung und ich spüre oder bin mir eines „Fulkrums“ bewusst, das rechts ist. Ich gehe durch
das Fulkrum in die Stille und nach einer Zeit bewegt sich das ganze Muster, als würde es an einer
geölten Stange hinabrutschen, hin zu einem zentralisierten Mechanismus ohne Muster und die
ganze Sache löst sich für einige Zeit auf. Dann, innerhalb von ein paar Tagen oder Wochen, muss
der Prozess wiederholt werden. Warum? Warum? Warum?
Wenn ich versuche, mich an die modernen diagnostischen Massnahmen zu halten, verstehe ich
meine Patienten genauso wenig wie meine Kollegen. Wenn ich versuche, in die Stille zu gehen
und zuzuhören, tauchen Fulkren und Muster auf, aber sie tun das in einer Terminologie, die nicht
in Büchern zu finden ist, und offensichtlich auf eine Art, die ich nicht mit meinem Tastsinn oder
meinen physikalischen Gedanken, die wir Denken nennen, verstehen oder begreifen kann. Weder
reichen sie aus, um solche Fragen zu klären: Warum ist dieser Patient so, wie er ist? Wie werden
sie auf den Versuch reagieren, das Muster zu lösen, das wir gefunden haben? noch gibt es eine
prognostische Indikation für das, was in den nächsten Tagen auf die Patienten zukommt. Warum?
Warum? Warum?
Ich habe heute eine Patientin gesehen, die ein gemeines Muster hat, das eine Ischialgie im linken
Bein verursacht, möglicherweise ein Diskusprolaps. Ich habe sie in den letzten zwei Jahren 16 mal
diagnostiziert und behandelt. Sie ist in den letzten sechs Monaten symptomfrei gewesen, aber sie
hat noch immer das Stressmuster im linken Sakralbereich und ein Aktivitätsfulkrum, wenn wir zu
den Räumen kommen und aus dem Weg gehen. Sie ist trotzdem symptomfrei. Warum löst sich
das Muster nicht auf? Mache ich Fehler bei meiner lokalen Diagnose? Sollte ich lokal behandeln?
Wenn ich das tue, erzeugt das schlechte Ergebnisse, behandle ich sie jedoch durch den Atem des
Lebens, geht es ihr von den Symptomen her gut, aber das offensichtliche Muster bleibt. Warum?
Eine andere Frau hat eine ernste Vorgeschichte mit einer frontalen Gehirnerschütterung vor sieben
Jahren und im letzten Jahr hatte sie einen Nervenzusammenbruch. Ihr Arzt sagt, sie hätte ein
hysterisches Problem, Probleme mit ihrem zweiten Ehemann usw. - die übliche Fehlinformation,
die wir durch die herkömmlichen Herangehensweisen bekommen. Sie hat ziemlich bemerkenswert
auf den Atem des Lebens reagiert, ABER, jedes Mal, wenn sie behandelt wird, bleibt es ein
sprunghaftes, verschobenes, sich verschiebendes Fulkrum, das nicht zum Boss nach Hause
kommen möchte. Welches Zeitelement ist in diesem Problem vorhanden? Warum kommt es nicht
nach Hause und bleibt zu Hause? Es blieb drei Wochen zu Hause, ging dann aus dem Fokus und
bleibt dort. Warum? Warum? Warum?
So geht es mit jeglicher Arbeit, die ich mache. Ich fühle mich wie der Prediger in der Bibel: „Alles
Eitelkeit und viel Trachten nach dem Wind.“ Die Patienten sind glücklich, mein Geschäft wächst
und meine Kollgegen denken, ich bin verrückt - rufen mich aber an, damit ich ihre schwierigen
Fälle diagnostiziere, und ich gehe durch die Hölle, bei dem Versuch, meine Befunde in für sie
verständliche Worte zu fassen. Terminologie erklärt nicht das, was ich finde. Meine „kranialen“
Kollegen finden mich wunderbar. Wenn sie wüssten, in was für einer Verwirrung ich stecke,
würden sie ihre Meinung ändern.
Ich sehe so viel, was es zu lernen gilt. Ich sehe so viel in den modernen diagnostischen Methoden
und Befunden, das ich verlernen muss. ... Trotz unserer Schwierigkeiten lieben wir [er und seine
Frau Ardath] euch, Adah und Wullie (einer von Dr. Sutherlands Spitznamen) [siehe Bild] und
wünschen euch weiterhin alles Gute. Wie ich sagte: Entfache Dein Licht!8

8   Rollin Becker: „Leben in Bewegung&Stille des Lebens“ JOLANDOS 2007 Teil II p. 201-204
                                                                                                  7
DIE PHILOSOPHIE DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE
Becker bekam von Seiten seiner Mutter bei seinem Schaffen wichtige mentale Unterstützung, wie
aus dem folgenden Brief hervorgeht. „Lieber Rollin“, schreibt sie ihm im November 1954, „ Ich bin
zur Post gefahren, um einige Briefe abzuschicken, und habe deine Luftpost-Nachricht gefunden
von Dr. Sutherlands Ableben. Mein erster Gedanke war, wie wunderbar es war, dass er dich bei
sich hatte, so kurz vorm Ende. Ich weiss, dass es ihm viel bedeutet hat, und auch jetzt noch kann
die Verbindung (zwischen euch beiden) dir noch von Nutzen sein. Du hast die spirituelle Einsicht,
um zu empfngen, und während du empfängst, gibst du es in physischer Demonstraton weiter. Du
fragest: „Warum?“ Das kann ich nicht beantworten. Aber ich habe den Vorteil, den das Alter bringt,
und kann klarer sehen als in meiner Jugend. Ich kann akzeptieren, was es an Gutem oder Einsicht
in jeder Person gibt, mit der ich in Kontakt trete, und weiss, dass jeder enzelne von uns sich
irgendwo auf dem göttlichen Pfad befindet und dass diejenigen, die gegenüber diesen Wahrheiten,
die mir klar sind, blind zu sein scheinen, einfach nicht so viel Glück gehabt haben wie ich. Es gibt
bestimmt viel fortgeschrittenere Seelen die meine Anstrengungen als die eines Kindergartenkindes
ansehen, aber je weiter man fortschreitet, desto toleranter werden sie, also mach dir nichts draus.
Ich weiss genau, was du meinst - die alte Geschichte, „wissenschaftlich“ zu sein hinsichtlich einer
spirituellen Wahrheit. Ich wünschte, ich würde Worte ausser ,spirituell‘ kennen - die Assoziationen,
die man damit hat, schränken es ein. Der innewohnende Geist - das Wort - oder wie du sagst : der
Atem des Lebens - also, mein Lieber, es gibt solche, denen du das nicht erklären kannst - du
kannst keinen Kontaktpunkt finden - alles was du also tun kannst, ist, es zu leben und der
innewohnenden Anwesenheit erlauben, dich bei deiner Arbeit zu führen. Ich weiss, du tust das,
und sagen die Leute über dich: „Ich weiss nicht, was an ihm ist, aber da ist etwas.“ Das einzige,
was zählt, ist, dass die Patienten davon profitieren. Ab und zu wird einer verstehen, worum es
geht.“9

2. STUDIUM UND PRAXIS DER OSTEOPATHIE                                          10

_________________________________________________

„Folgende vier osteopathischen Grundprinzipien, werden am College gelernt:

1. Der Körper ist eine Einheit.
2. Der Körper besitzt selbstregulierende Mechanismen.
3. Struktur und Funktion stehen in reziproker Beziehung zueinander.
4. Eine vernünftige Behandlung basiert auf dem Verstehen der selbstregulierenden Körpermecha-
   nismen und der wechselseitigen Beziehung von Struktur und Funktion im Körper.

9   Rollin Becker: „Leben in Bewegung&Stille des Lebens“ JOLANDOS 2007 Teil II, p. 216/217

10   Rollin Becker: „Leben in Bewegung&Stille des Lebens“ JOLANDOS 2007 Teil I, ab p. 15
                                                                                                  8
DIE PHILOSOPHIE DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE
Diese Prinzipien verhalten sich nur bei einem toten, auf dem Seziertisch [siehe sinnbildliche
Abbildungen Seite zuvor mit A.T. Still aus dem Grossen Still-Kompendium] liegenden Körper so,
und können zu dem Gefühl verleiten, mit einem menschlichen Körper machen zu können, was wir
wollen. Nun geht es aber darum, über einen lebendigen Körper als einer Einheit mit lebendigen
selbstregulierenden Mechanismen, einer lebendigen Struktur und Funktion, die in reziproker
Beziehung zueinander stehen, sowie über eine auf diesem Verstehen basierende lebendige
Behandlung zu sprechen. Diese Mechanismen sind bereits belebt, bereits gesund. Auch geht es
darum, eine zusätzliche Verantwortung zu übernehmen, mit einem lebendigen Mechanismus zu
arbeiten. Und wir lassen ihn die Arbeit für uns tun, anstatt etwas mit ihm zu machen. Es gibt Wege
diesen Mechanismus zu ermuntern, in eine aktive Zusammenarbeit zu gehen - mit der wir dann
wiederum kooperieren, Wir machen nicht etwas mit ihm, wir kooperieren, denn er arbeitet bereits
für uns. Das erfordert von uns, zu begreifen, dass wir alle einen primären inneren Arzt in uns
haben, zu dem der Craniosacrale Mechansimus dazugehört - man kann sie nicht trennen - Es ist
alles eine Einheit. Dieser lebendige innere Arzt in unserem Inneren manifestiert ständig
Gesundheit. Von der Empfängnis bis zum Tod manifestiert er ohne Unterlass Gesundheit.
Patienten kommen zu uns, weil ihr Gesundheitsmuster wie von einer Wolke bedeckt worden ist,
und es sozusagen auf sie regnet; aber das ändert nichts an der Tatsache, dass über der Wolke
immer noch die Sonne scheint und Gesundheit vorhanden ist. Es ist unsere Aufgabe, das
Gesundheitsmuster aus dem krankhaften Zustand herauszuentwickeln, bis die Gesundheit als
einziges Muster bleibt. In diesem Sinne ist unsere Rolle als Behandler sekundär. Um auf diese Art
und Weise zu arbeiten, müssen wir tief in ein anderes Meer des Verstehens eintauchen und es der
physiologischen Funktion im Patienten erlauben, uns im wahrsten Sinne des Wortes auszubilden.
Wir wollen Folgendes lernen: Wo ist in diesem Patienten Gesundheit? Wie bringe ich sie zum
Vorschein? Die Körperphysiologie des Patienten unterweist uns buchstäblich. Der Arzt der in
meinen Patienten lebt, hat mich in den letzten 48 Jahren ausgebildet, und immer noch bin ich ein
Student. Dies ist ein Teil des Übergangs, den wir vollbringen müssen.
Wir wollen lernen, diese Mechanismen, die sowohl in uns als auch in unseren Patienten arbeiten,
zu spüren und uns ihrer bewusst zu werden. Der Boss ist innen. Er ist sowohl in dir als auch in
deinem Patienten.

Die Rolle eines Behandlers ist es, der Menschheit zu dienen. Die Wissenschaft der Osteopathie
hat ihren Ursprung in der sich offenbarenden Struktur und Funktion des Individuums. Diese kommt
zum Ausdruck als ein der Körperphysiologie innewohnender Mechansismus, der MOBILITÄT,
MOTILITÄT und einen FLUID DRIVE besitzt. Sie stellt sich dar als eine Erfahrung aus dem
Inneren des Patienten und als eine selbst erlernte, geschulte, palpatorische Kunstfertigkeit im
Behandler. Das Werk von Andrew Taylor Still schenkte uns die Wissenschaft der Osteopathie. Das
Werk von William Garner Sutherland schenkte uns den primären Atemmechanismus mit seiner
detaillierten Anatomie und Physiologie, und zwar nicht als eine von Dr. Stills Schaffen abgetrennte
Einheit, sondern als einen in die Wissenschaft der Osteopathie integrierten Anteil.

Bedenken wir, dass Still und Sutherland vom Zeitpunkt ihrer jeweiligen Entdeckungen an die
Wissenschaft der Osteopathie als ein grundlegendes Gesetz der Körperphysiologie akzeptierten,
ebenso die Notwendigkeit, ein Leben lang Studenten der Autorität zu sein, die der lebendigen
Körperphysiologie innewohnt. Sie hörten auf, Ärzte zu sein und wurden für den Rest ihres Lebens
zu Studenten dieser Wissenschaft.

Die Herausforderung beim Ausüben der osteopathischen Wissenschaft besteht darin, die
Körperphysiologie als ein Ganzes - ihre Struktur und Funktion als eine Einheit - zu sehen, diesen
willkürlich-unwillkürlichen motilen, mobilen Fluid-Drive-Mechanismus als eine manifestierende
Transmutation der Autorität zu verstehen, die in der Körperphysiologie angelegt ist. Als Behandler
und Ärzte müssen wir Palpationskünste entwickeln, die es uns erlauben, von der Physiologie des
Patienten benutzt zu werden.

Wenn ihr es lernt, der Körperphysiologie des Patienten zu lauschen, mag es scheinen als tätet ihr
nichts - aber ihr arbeitet hart; längere Zeit zuzuhören ist schwere Arbeit. Ihr könnt das jedoch
erlernen. Die Körperphysiologie ist der Lehrer, der Behandler ist der Student. Der Mediziner muss
                                                                                                 9
DIE PHILOSOPHIE DER CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE
seine gesamte Auffassung von seiner Rolle als Behandler grundlegend ändern: Das ist für ihn der
Schlüssel, um die dargelegten Prinzipien zu verstehen. Wenn eine Patientin in eure Praxis kommt,
bringt sie eine Körperphysiologie mit, die eure Hilfe sucht. Eure Aufgabe ist es, einfach entspannt
zu bleiben. Einfach nur anwesend zu sein in so einer Atmosphäre ist heilsam. Eigentlich ist es
diese zugewandte, zuhörende Resonanz, die eine Osteopathische Behandlung funktionierern
lässt. Anstatt die Situation mit dem Patienten verbal zu erörtern hören wir den Geweben zu. Die
Patientin braucht kein Wort zu sagen, ich muss nicht sprechen. Der Hilfe, die der Patient sucht,
kann entsprochen werden durch die lauschende Resonanz, die der Behandler mit seinen
palpatorischen Fähigkeiten entwickelt. Es ist sehr schwierig zu beschreiben, was wir tun, aber es
ist nicht so wichtig, was wir sagen, sondern was wir tun. Während der Behandlung sage ich
normalerweise nichts zum Patienten. Ich erfahre meine Patienten, höre ihnen zu und arbeite mit
ihnen - nicht mit Techniken, sondern aus einem Verstehen der Körperphysiologie heraus. Nehmt
es an, was die Körperphysiologie des Patienten euch lehrt. Aktives Zuhören von Seiten des
Behandlers weckt die Körperphysiologie auf und sie beginnt zu arbeiten. Sie wird anfangen, dem
Patienten zu helfen, und ihr müsst nicht darüber nachdenken oder darüber sprechen.“

LEBENDIGKEIT NUTZEN11

„In allem, was lebt, findet ein grundlegender primärer rhythmischer Austausch statt; ein
alternierender, wunderschöner, Primärer Atemmechanismus in Aktion, und ich akzeptiere die
Lebendigkeit dieser rhythmischen Bewegung. Ebenfalls akzeptiere ich, dass der Menschheit zu
dienen der einzige Grund ist, weshalb wir alle Mediziner sind. In meiner eigenen Praxis habe ich
gelernt, dass ich, um mich für meinen Dienst an der Menschheit vorzubereiten, zuerst still in mir
zur Ruhe kommen muss. Das ist ein Teil meiner Vorbereitung bevor ich Patienten empfange.
Wenn ich dann innerlich ganz ruhig und still bin, ist der nächste Schritt der, dass ich ruhig die Stille
innerhalb des Patienten, der jetzt zu mir kommt, wahrnehme. Das kann man innerhalb von etwa 25
Sekunden machen, sogar in einem Atemzug. All dies kann auch geschehen, während der Patient
noch wartet, sogar bevor er zu mir in den Behandlungsraum kommt. Diese kleine, aus meinem
Inneren herauskommende Begrüssung, mit der ich im Patienten meine eigene Stille erkenne, ist
ein schweigendes Anerkennen, dass sie lebendig ist. Dieses Stillewerden wird euch leiten in
Bezug auf das, was an diesem bestimmten Tag zu tun ist. Es dient nicht dazu, um zu
diagnostizieren - es bereitet nur den Raum vor.
Ich behandle niemals einen Patienten wenn er nicht selbst darum bittet. Ich weigere mich ,eine
Frau die Erstkonsultation für ihren Mann ausmachen zu lassen. Der Patient muss muss mich
selbst anrufen, um eine Verabredung zu treffen. Denn wenn er das nicht tut, kommt er oft, ohne es
wirklich zu wollen. Ab und zu kommt jemand so von aussen getrieben zu mir in die Behandlung.
Dann mache ich eine sehr kurze Untersuchung: „Ja, ich finde ein paar Probleme hier und da,
gehen sie nach Hause, vergessen sie es, und wenn sie jemals etwas in diese Richtung tun wollen,
rufen Sie mich an.“ Wenn sie dann nach sechs Monaten oder zwei Jahren anrufen, haben sie
akzeptiert, das sie womöglich etwas Hilfe brauchen; dann haben sie schon angefangen, an ihren
eigenen Problemen zu arbeiten.“

ENTSPANNE DICH, ES EILT NICHT

„Wir müssen die Tatsache annehmen, dass, das Leben sowohl im Behandler wie im Patienten
schon am Wirken ist und wir uns also ebenso gut entspannen können, es geniessen und
versuchen, ausgehend von dem, was vor mir liegt, zu arbeiten. Wir gehen nirgendwo hin; der
Patient muss die Verantwortung übernehmen und bei euch erscheinen.

11   Rollin Becker: „Leben in Bewegung&Stille des Lebens“ JOLANDOS 2007 Teil I, ab p. 28
                                                                                                     10
Die Mechanismen innerhalb der Körperphysiologie haben keine Probleme - gar keine. Im wahrsten
Sinne des Wortes arbeiten sie in jedem von uns, so gut sie können. Sie arbeiten, um uns lebendig
zu erhalten; sogar wenn sie sich ein Problem zugezogen haben - durch einen Unfall, ein
Geburtstrauma oder ein umweltbedingtes Muster - und ihr Mechnismus nicht ganz im Einklang ist
mit dem, wie er wirklich sein sollte, liefern sie die Lösung für dieses Problem. Einige Probleme
benötigen Hilfe von aussen : eine Operation, komplizierte Medizin oder andere zusätzliche Hilfe ist
erforderlich. Aber der Mechansimus selbst ist sich dessen nicht bewusst. Wenn er irgend ein
Dysfunktionsmuster in sich hat, so hat er auf sehr ruhige Weise auch die Werkzeuge, mit denen er
es zulässt, wieder korrigiert zu werden. So sollten wir, die Behandler, willige Diener sein, die
diesen Mechanismus im Patienten anschauen und ihn bei seinem Bemühen, sich selbst zu helfen,
unterstützen. Der Mechanismus selber wird uns unterrichten.
Ja klar, Patienten haben Probleme - sonst kämen sie nicht in unsere Praxis. Aber wir müssen uns
nicht beeilen oder uns abhetzen, um herauszufinden, was los ist und was nicht, wohin es geht, und
was es tut. Wir müssen still die Tatsache akzeptieren, dass sowohl der Behandler als auch der
Patient lebendig sind und funktionieren; und die Spielregeln für dieses Spiel sind in den
Mechansimus des Patienten eingebaut. Patienten denken nicht auf die Weise. Sie denken an
Symptome, sie denken an Leiden, sie denken dies und das und was auch immer - aber der
Mechanismus leidet nicht, er tut still und leise seine Arbeit.
Wenn es ein Dysfunktionsmuster gibt - zum Beispiel ein Problem des okzipitomastoidalen
Bereiches in der Schädelbasis - Mensch, das ist tatsächlich ein Problem. Aber diese Dyfunktion
zwischen Os occipitale und Pars mastoideus realisiert nicht, dass sie ein Problem ist. Sie ist zu
beschäftigt damit, eine occipitomastoidale Dysfunktion zu sein. Also müssen wir zu dieser
Dysfunktion gehen und sie ruhig bitten: „Schau, es kann sein, dass du das Leben geniesst, aber
der Körper in dem du lebst, geniesst es nicht so sehr. Nun, willst du nicht erwägen, mir zu
erlauben, dich mit meinen Händen so zu berühren, dass du deinen Zustand änderst und aufhörst,
ein sogenannter Dysfunktionskomplex zu sein?“
Wir besitzen das Recht, das Privileg, und in uns selbst den Mechanismus, diese occipitomastoi-
dale Dysfunktion im Patienten zu vestehen. Wir haben einen occipitomastoidalen Mechanismus in
unserem eigenen Kopf, der vielleicht keine Dysfunktion aufweist; aber wir können diesen
Mechanismus, den wir studieren, von uns heraus begreifen. Und wir werden ihn sicherlich noch
besser verstehen, wenn wir unsere Hände auf die Person, die zu uns kommt, legen.“

                                                                             12

SEID STILL UND ERKENNET

„Wenn wir, als Studierende der Wissenschaft der Osteopathie, Osteopathie wirklich verstehen
wollen, werden wir es notwendig finden, unser Wissen um die Gottheit, die uns auf das Zentrum
ausrichtet, wieder zu erwecken, sie zu unserem spirituellen Fulkrum zu machen, das uns führt, und
zu lernen, in unserer täglichen Arbeit den Schöpfer im Sinn zu haben, zu fühlen und zu nutzen.
Dank seiner Kenntnis und seiner Anwendung der Wissenschaft der Osteopathie gab uns Dr.
Sutherland Wegmarkierungen, denen wir folgen können. Dr. Sutherland sagte: „ Die craniale Arbeit
ist kein spezieller, von der Wissenschaft der Osteopathie getrennter Bereich. Die Wahrheit ist
vielmehr, dass dieses Konzept zu der Vision von Dr. Andrew Taylor Still gehört.“

12   Pfeifhase in Wolke, in der Nähe von Paradise. Mt. Rainier National Park, USA, Foto: Jamie Wild
                                                                                                      11
Wie häufig hören wir heutzutage noch, dass jemand vom Meisterrmechaniker des menschlichen
Körpers, vom Grossen Architekten, vom Meisterlichen Architekten, Gott, dem Göttlichen Prinzip
oder dem Schöpfer spricht oder ähnliche Begriffe verwendet, die Ehrfurcht vor dem Erschaffer des
menschlichen Tempels, in dem wir leben, zum Ausdruck bringen ? Das ist die Ausdrucksweise der
Wissenschaft der Osteopathie, wie Dr Andrew Still sie verstand. Dr Sutherland sagte zu uns: „ Ich
habe schon oft erwähnt, dass wir etwas in der Osteopathie verloren haben, das Dr. Still zu
vermitteln versuchte. Dabei handelt es sich um jenes Spirituelle, das er in die Wissenschaft der
Osteopathie einbettete.“ Dr. Still war beim Entwickeln der Wissenschaft der Osteopathie seinem
Schöpfer näher als rein stoffliches Atmen; er wurde von einem Spirituellen beziehungsweise
Geistigen Fulkrum geführt, genauso wie Dr. Stuherland.

Wenn wir unsere Hände an einen Patienten legen, der bei guter Gesundheit ist, spüren wir ein
allgemeines Gefühl von Wohlbefinden, Wir spüren den respiratorischen Zyklus seiner Atmung. Wir
spüren die Flexion und Extension seiner in der Mittellinie verlaufenden Strukturen in ihrer Funktion.
Wir fühlen die abwechselnde externe und interne Rotation seiner bilateralen Strukturen in ihrer
Funktion. Wir spüren eventuelle willkürliche Bewegungen dieser Person und viele unwillkürliche
Bewegungen von verschiedenen Organsystemen innerhalb des Körpers. Wenn unsere Hände an
seinem Kopf liegen, können wir die Bewegungen des cranialen Gelenkmechanismus, die
wiegenden Bewegungen dieser reziproken Spannungsmembran und die Fluktuation des Liquor
cerebrospinalis als einen integrierten Funktionsmechansimus spüren. Im gesamten Körper ist
etwas fühlbar, das in den heutigen Anatomie- und Physiologietexten normalerweise nicht erwähnt
wird: eine generelle Tidenbewegung des gesamten Körpers, ein Hereinfluten und ein
Herausebben. Es ist, als ob der gesamte, als eine Einheit wirkende Körper auf eine Kraft reagiert,
ähnlich der, die die Tiden des Ozeans bewegt. Es ist eine rhythmische Bewegung innerhalb der
Körperflüssigkeiten. Sie ist auf ihre ruhige Art und Weise kräftiger als jede andere physiologische
Funktion innerhalb des körperlichen Mechanismus, wichtiger und kraftvoller als der Atemzyklus,
die willkürlichen oder unwillkürlichen Bewegungen oder jede der anderen Bewegungen, die wir
normalerweise in Betracht ziehen. Unser kundiger Tastsinn lernt, alle diese Faktoren zu erkennen,
die als integrierte Funktion in jedem von uns untersuchten Körperteil zusammen arbeiten. Dies ist
eine rhythmische Tide im physiologischen Zusammenspiel mit ihrem höchsten bekannten Element
und ihrer inhärenten Potency.
Aufgrund seiner Studien an sich selbst und detaillierter Untersuchungen aller Anteile des primären
Atemmechanismus konnte Dr. Sutherland behaupten: „..., dass der arterielle Blutstrom
übergeordnet ist; aber die Cerebrospinale Flüssigeit hat das Kommando. ... Der Atem des Lebens
in der Tide des Liquor cerebrospinalis ist das zugrundeliegende Prinzip des Primären
Atemmechanismus.“ 13
Weiter gab er uns detaillierte Anleitungen wie wir denkende, fühlende, sehende, wissende Finger
entwickeln, um die Tide herunterzubringen zu ihrem Stillpunkt. Das ist die Stille der Tide - nicht das
Auf-und-ab-Fluktuieren ihrer Wellen, sondern die Stille, die man am Fulkrum-Punkt innerhalb der
Tide findet. Es gibt eine Potency innerhalb dieser Stille. Wie ist es möglich, dass es eine Potency
oder Kraft in der Stille gibt? Dr. Sutherland beschrieb das bildhaft: Wenn man auf ein Glas Wasser
eine Vibration überträgt, kann man beobachten, wie sich im Zentrum der Wasseroberfläche ein
Stillpunkt bildet. Er wies darauf hin, dass dies ein Fulkrum-Punkt innerhalb des Wasserglases sei,
und verglich ihn mit dem Fulkrum-Punkt, den wir erreichen, wenn wir die Fluktuation des Liquor
cerebrospinalis bei der Kompression des vierten Ventrikels beispielsweise zu ihrem Stillpunkt
herunterbringen. „ Es ist die Stille der Tide, die wir suchen“, pflegte er zu sagen, denn in dieser
Stille liegt die Potency der Tide. „Wir wissen, es gibt eine Potency. Wir müssen nicht unbedingt
wissen, woher sie kommt oder wohin sie geht.“

Die Natur gibt uns viele Beispiele für die Potency und die Kraft in der Stille ihres Funktionierens.
Das Auge eines Hurrikans ist ein unglaubliches Zentrum von Stille, und zwar einer sehr potenten
Stille. Ebenso ist es ein frei schwebender, automatisch sich verändernder Fulkrum-Bereich, der
sich über den Ozean bewegt. Wir müssen den Mechanismus diesser Stille begreifen und beim

13   Sutherland-Kompendium. Jolandos 2008, Teil I, p. 125
                                                                                                   12
Behandeln unserer Patienen nutzen. Zum Verstehen und Nutzen eines Spirituellen Fulkrums in
unserer täglichen Praxisarbeit brauchen wir Werkzeuge. Der Behandler sollte über ein objektives
und ein subjektives Bewusstsein, sowie über einen denkenden, sehenden, fühlenden, wissenden
Berührungssinn verfügen. Zusammengefasst von Sutherland: „wenn sie den Mechansimus
verstehen, ist die Technik einfach.“

Wenn der Osteopath bei jeder Behandlung mit dem Meistermechaniker arbeitet, wird es ihm
möglich, den besten, effizientisten und fachkundigsten Dienst zu leisten, der dem Patienten auf
dem Gebiet der heilenden Künste zur Verfügung steht. Neben Sinn für Humor ist es immer wichtig,
eine gute Beziehung zum Patienten herzustellen und zuzulassen, dass die innere physiologische
Funktion ihre eigene sich nie irrende Potency als bewegende Kraft für die Korrektur einbringt, statt
blinde Kraft von aussen anzuwenden.“
„Es ist nicht wichtig, wie man interpretiert, solange man mental Kontakt zur Oberleitung hat wie
eine Strassenbahn.““ 14

3. DEN MECHANSIMUS VERSTEHEN
_______________________________________

 DER UNWILLKÜRLICHE MECHANSIMUS15

„Der Primäre Respiratorische Mechanismus ist eine Manifestation des Lebens im Patienten und
der Behandler kann bei seinem Dienst, Gesundheit im Patienten wiederherzustellen, seine Hilfe in
Anspruch nehmen. Er ist und bleibt eine Funktionseinheit.
Wir haben viele unwillkürliche Systeme in unserem Körper - Kreislauf, Verdauung usw. Aber die
Schlüsselrolle im menschlichen Körper hat ein ganz spezieller unwillkürlicher Mechanismus: Jede
einzelne Körperzelle, jede einzelne individuelle Zelle, die innerhalb der Flüssigkeit lebt, in denen
sie entsteht, wird 10 bis 12 Mal pro Minute in Flexion und Extension, in Aussen- und Innenrotation
bewegt.
Wenn wir also einen gesunden Patienten haben - egal ob er ruhig sitzt, umhergeht, tief schläft,
läuft, ganz aktiv ist oder sich in völliger Ruhe befindet - vollzieht sich überall in ihm diese
unwillkürliche physiologische Funktionsbewegung. Wir konzentrieren uns auf den neurokranialen
und den sakralen Mechanismus, als die Teile, die diesen Mechanismus, diese unwillkürliche
Bewegung offenbaren. Aber die neurokaniale und sakrale Aktivitätachse, ihre physiologische
Funktion, ist, wenn man so sagen will, mehr oder weniger die Antriebswelle des Systems, mit
deren Hilfe alle Räder und Flaschenzüge sowie alles, was da so direkt aus der Fabrik kommt, zum
Verrichten ihrer Arbeit gebracht werden. - Flexion/Aussenrotation und Extension/Innenrotation.
Also kann man den neurokranialen und sakralen Mechansimus auf keinen Fall als eine von der
gesamten Körperphysiologie abgetrennte Einheit verstehen. Jedes Mal, wenn wir diesen Patienten
berühren, ganz egal ob wir uns dabei auf ein winziges Fingergelek oder ein ganzes Bein beziehen,
müssen wir uns auf diesen unwillkürlichen, physiologischen Mechanismus einstimmen. Wenn der
Patient [also] mit einem Stress-oder Dysfunktionsmuster kommt - egal auf welcher Ebene - ich
dann ganz still dasitze und mit dem Problem arbeite, wenn meine Hände sich ruhig hinein- und
heraus- und durch die zellulären Strukturen bewegend die Faszien, die Flüssigkeiten und die
Mechanik dieses menschlichen Körpers suchen, erkenne ich, dass dieser Mechanismus sogar
schon bevor ich mit ihm in Kontakt kam, automatisch versucht hat, dieses Problem mit Hilfe des
unwillkürlichen Mechanismus hinauszuspülen.

14   Sutherland-Kompendium. Jolandos 2008, Teil II, p. 190

15   Rollin Becker: „Leben in Bewegung&Stille des Lebens“ JOLANDOS 2007 Teil I, ab p. 53
                                                                                                 13
Wenn ich dann still in Kontakt mit ihm komme, stimme ich mich ein auf diesen unwillkürlichen
Mechanismus, die unwillkürliche physiologische Bewegung unter diesem Trauma. Ich versuche
hindurchzufühlen in den unwillkürlichen Mechanismus, innerhalb dessen dieses Trauma
geschehen ist. Dann versuche ich, mit meiner Arbeit eine Balance auf der Mikroebene zu finden,
die notwendig ist, um an den Punkt zu heranzukommen, wo dieser unwillkürliche Mechanismus
sich aus den Fesseln, die ihn hemmen, lösen kann. An diesem Punkt kann ich fühlen, wie diese
kleine Veränderung im Patienten stattfindet, die gleichsam sagt: „Jetzt kann ich etwas für dieses
Problem tun“. In diesem gesamten Prozess, betrachte ich niemals die Dysfunktion selbst, bis ich
nicht den unwillkürlichen Mechanismus aufgeweckt habe. Nicht nach Pathologien zu suchen,
sondern nach den Grundlagen, die diesen Mechansimus funktionieren lassen, erweitert unseren
Horizont um einiges.
Wenn du dich mit deinen Händen auf diesen Patienten einstimmst mit dem Ziel, Probleme
ausfindig zu machen, dann findest du auch Probleme, hervorgerufen durch willkürlich
geschaffenen Stress, Stress oder Traumen - also durch etwas, was der Patient von aussen nach
innen getragen hat. Wenn du aber in der Lage bist, durch das, was dieser Sache aufgebürdet
worden ist, hindurchzuarbeiten und deinen Fokus auf die Gesamtheit des unwillkürlichen Musters
zu richten, rufst du die stärksten Energien der Welt - die DNS und ihr Muster oder ihre Blauphase -
herbei, die sagen: „ Das ist es, was ich sein will.“ Dieses Muster ist individuell entworfen für diese
Seele, dieses eine Individuum.
Wenn ich also diesen kranialen Mechansimus, oder was auch immer ich zu behandeln versuche,
berühre, während ich den Focus meines Bewusstseins auf den Mechanismus dieses Patienten
richte, bemühe ich mich, darunter zu lesen mit der Frage: Was möchte dieser unwillkürliche
Mechanismus tun? Wo ist er, und wie kann ich ihn an die Oberfläche hochholen, damit er
arbeitet? Da ich weiss, dass er diese Energie besitzt, deren Kraft noch vom Zeitpunkt der Geburt
oder früher herrührt, dass diese Energie also zur Verfügung steht, kann, wenn ich meine
Aufmerksamkeit darauf lenke, diese Energie hervorkommen und sich auf dem Gebiet, das ich
behandle, ausdrücken. Wenn ich fühle, dass sie ihren Kopf herausstreckt und sagt: „Okay, Boss,
ich habe diesen neutralen Punkt gefunden und jetzt kann ich anfangen zu arbeiten“, weiss ich,
dass etwas auf der unwillkürlichen Ebene geschenen ist. Und ich kann zurückgehen und auf der
Ebene des willkürlichen Mechansimus die Dysfunktion überprüfen, die ich dort ursprünglich
vorgefunden hatte. Allein durch dieses Lenken korrigieren sich viele Dysfunktionen von selbst.“

BEWEGUNG

„Bewegung ist nicht Leben. Bewegung ist eine Manifestation des Lebens. Das Wunder des Lebens
drückt sich in Bewegung aus, vom Fluss der Elektronen um einen Nucleus herum bis hin zu den
lebendigen Wesen, die wir Viren, Bakterien, Pilze, Pflanzen oder Tiere und die Menschheit
nennen. Wir finden es im Meer, auf dem Land, in der Luft. ...
Als Ärzte und Behandler befassen wir uns auf einer persönlichen Basis mit Bewegung im
Patienten. Wenn der Patient gesund ist, braucht er unsere Dienste nicht. Sein Leben und seine
Bewegung, die er in seiner inneren und äusseren Umgebug und seinen anatomsich-
physiologischen Mechansimen manifestiert, sind in einem frei funktionierenden Zustand. Alle seine
innerlichen Systeme, sowohl die willkürlichen als auch die unwillkürlichen, arbeiten, um seine
homöstatische Funktionsbalance von innen haraus aufrechtzuerhalten. Und er beantwortet und
reflektiert eine natürliche Wechselbeziehung mit der spezifischen Umgebung seiner externen Welt
der Bewegung und innerhalb seiner selbst.
Während unserer medizinischen Ausbildung haben wir diesen Körper, in dem wir sowohl
anatomisch als auch physiologisch leben, seziert. Wir haben allen Teilen eines komplexen
Systems, bestehend aus Zellen, Flüssigkeiten, Mechanismen von Körperteilen und deren
Bewegung und Antriebsmechanismen, Namen und Funktionsbeschreibungen gegeben. In
Wirklichkeit jedoch hat sich unser anatomisch-physiologischer Körper nicht in die vielen Teile, die
wir als Mediziner kennen, aufgespalten. Dieser physische und funktionierende Körper hat seine
vielen Teile und Aktivitäten nicht definiert. Er hat eigentlich keinen Namen, nicht einmal den, der
                                                                                                   14
uns von unseren Eltern gegeben wurde. Dieser namenlose Körper, den wir während unserer Zeit
auf der Erde nutzen, funktioniert auf einer einfachen Eins-zu-Eins-Beziehung, sowohl innerhalb
seiner selbst als auch mit seiner Umbebung.
Dies ist ein wichtiger Punkt. Als Mediiziner brauchen wir das detaillierte Wissen der Anatomie und
Physiologie, das wir uns angeeignet haben, um ein analytisches Bewusstsein für die Bedürfnisse
unserer Patienten zu bekommen. Der Körper unseres Patienten dagegen findet dieses detaillierte
Wissen nicht notwendig. Das Leben im Körper und seine Bewegung arbeiten vereint als ein
Gesundheitsmechanismus, um Gesundheit zu offenbaren, Krankheit zu widerstehen und zu
bekämpfen sowie den Effekt von Traumen entweder zu korrigieren oder sich ihm anzupassen.
 Wir sprechen über ganzheitliche Medizin und Ganzheitlichkeit, aber in Wirklichkeit sind dies meist
nur schöne Worte, die nicht in die Praxis umgesetz werden. Mein namenloser Körper und der
meiner Patienten geben mir als Behandler die Gelegenheit, bei Diagnose und Behandlung
medizinisch angewandte ganzheitliche Grundprinzipien in der Praxis einzusetzen. Die Ressourcen
meines namenlosen Körpers und des meines Patienten mit ihren offensichtlichen Bewegungen,
die egal ob grob oder fein, ihre Kraft von einer Potncy beziehen, ermöglichen es mir als Behandler,
zuzulassen, dass die innere physiologische Funktion ihre eigene, sich niemals irrende Potency
offenbart, statt bei der Behandlung meiner Patienten blinde Kraft von aussen anzuwenden.
Dies sind keine Ursache-Wirkung-Zusammenhänge. Hier geht es, egal, ob es sich um den Arzt
oder den Patienten handelt, um ein ungeteiltes Individuum in einer nach aussen und innen
bestehenden Wechselbeziehung mit seiner individuellen Umgebung.

Die nun folgenden Kriterien für Behandler und Patient lassen sich aus den Funktionsabläufen der
Körperphysiologie herauslesen. Die Physiologie unseres namenlosen Körpers hat vier
Hauptbewegungsmuster, fünf Sinne, die der Behandler zusätzlich zu seiner bewussten
Wahrnehmung für die Diagnsoe nutzen kann und fünf Grundprinzipien der potenziellen
Behandlung.

Die vier Hauptbewegungsmuster :
1. Die neuromuskulären Bewegungen des Bewegungsapparates; man könnte es auch als den
   willkürlichen Mechanismus der physiologischen Funktionsabläufe im Körper bezeichnen.
2. Die sekundären Rippen- und Atemmechanismen, die alle Körpergewebe während der
   Atemzyklen bewegen.
3. Das inhärente, rhythmisch motile und mobile, unwillkürliche craniosacrale Fluktuieren des
   Liqour cerebrospinalis und des gesamten lymphatischen Systems mit einer Zyklusgeschwindig-
   keit von 10 bis 14 mal pro Minute im gesunden Zustand. Dies ist ein mächtiges Werkzeug für
   Diagnose und Therapie.
4. Eine grosse, tidenartige Bewegung, die in einem Zeitraum von neun Minuten ungefähr sechs
   mal stattfindet, ein flukuierender Mechanismus, der für jeden rhythmischen Zyklus ungefähr
   eineinhalb Minuten braucht. Es ist eine Tide, die sich massiver anfühlt, mit einer allmählich
   anschwellenden Expansion der gesamten Körperphysiologie und einer allmählich rückläufigen
   Bewegung. Ich habe keine Ahnung, was ihr Ursprung oder ihre grundlegende Natur ist. Auch
   das ist ein kraftvolles therapeutisches Werkzeug.

Um die verschiedenen Formen von Bewegungen zu evaluieren, stehen dem Behandler ausser
seiner bewussten Wahrnehmung folgende fünf Sinne zur Verfügung:
1. Sein Geruchssinn.
2. Sein Geschmackssinn, insbesondere für Chemikalien in fester Nahrung oder Flüssigkeiten.
3. Sein Hörsinn, um den vielfältigen Bewegungen in den Funktionsabläufen innerhalb der Gewebe
   zu lauschen.
4. Sein Sehsinn, um Bewegungen zu beobachten.
5. Sein Tastsinn und die Fähigkeit zur Palpation, um die Bewegungsvielfalt in der Physiologie des
   namenlosen Körpers zu spüren. Zur Palpationskunst später mehr.

Je sensibler wir als Beteiligte bei der Palpation werden, desto mehr Bewusstsein entwickeln wir für
den wahren Wert des Leistungsvermögens und der Ressourcen, die den willkürlichen und
unwillkürlichen Mechanismen unseres Patienten innewohnen. Sie sind es, die uns diagnostische
                                                                                                15
Einschätzung erlauben und uns die therapeutischen Mechanismen zur Verfügung stellen, mit
deren Hilfe sich die vielen Probleme, die uns in unserer Praxis begegnen, behandeln lassen. Die
Möglichkeiten sind grenzenlos.

Folgende fünf therapeutischen Prinzipien, die angewendet werden, wenn wir Bewegung nutzen:
1. Verstärkung
2. Auseinanderführen
3. Direkte Aktion
4. Entgegengesetzte Physiologische Bewegung und
5. Kompression

Die Kunstfertigkeit und Wissenschaft der Palpation für einen diagnostischen Befund lässt sich,
wenn man bewusst als Beteiligter dient, nicht von den therapeutischen Prinzipien trennen, da es
sich um einen synchronen Prozess in den physiologischen Funktionsabläufen des namenlosen
Körpers handelt, wenn der Behandler mit dem Problem im Patienten arbeitet. Der Grund dafür ist
einfach: der namenlose Körper des Patienten hat ein Problem entwickelt, das den Patienten zu
uns bringt. Unser sorgfältiges Einschätzen mit Hilfe unserer teilnehmenden Palpation und unserer
motorischen Fähigkeiten lässt uns das Bewegungsmuster in diesem Patienten erfahren. Wir
werden von der Bewegungsvilefalt geführt und verwenden die eben genannten fünf Prinzipien,
nicht die Techniken, von Verstärkung, Auseinanderführen, Direkter Aktion, Entgegengesetzter
physiologischer Bewegung, Kompression oder einer Kombination aus diesen fünfen, um die für die
Beschwerden des Patienten spezifische Qualität der Bewegung zu lokalisieren und zu fokussieren.
Dies sind auch die Anfangsschritte beim Behandeln des Problems. Der Behandlungsprozess geht
dann einen Schritt weiter, indem wir den Balancepunkt oder die Balancepunkte für diese
Bewegungseinschränkung suchen, und dann den inhärenten physiologischen Ressourcen und
den Potencys des namenlosen Körpers erlauben, die an diesem Tag möglichen Korrekturen zu
bewirken.

Eine Behandlung könnte vielleicht folgendermassen beschrieben werden: Unsere Hände, unsere
sensible palpatorische Fähigkeit, als ein Beteiligter in der Quantenmechanik verschiedene
Qualitäten von Bewegung zu spüren, liefern Referenzpunkte, Fulkren, damit die Physiologie des
namenlosen Patientenkörpers aufwachen kann und ihre Bewegungsvielfalt sowie ihre inneren
Ressourcen nutzt, um ihre Probleme zu korigieren und ihren Mechanismus in Richtung
Gesundheit zu steuern. Mit Hilfe bewusster Wahrnehmung, Palpationsfähigkeit und sensiblen
motorischen Fähigkeiten suchen wir den Balancepunkt des Bewegungsmusters für diese
bestimmte Dysfunktion oder die Dysfunktionen, unterstützen die Gewebe an diesen
Balancepunkten und fühlen, wie die Gewebe und Flüssigkeiten durch eine Spannungsphase
gehen, um das Problem zu lösen. Wir werden uns einer Ruhephase bewusst, eines Stillpunktes,
einer Veränderung in der reziproken Spannungsbalance oder in den Fulkren, die spezifisch für
diese Problem sind. Und wir spüren in den Geweben jene sanfte Auflösung, die nach der Korrektur
die Wiederherstellung in Richtung Gesundheit anzeigt. Die namenlose Körperphysiologie hat die
Arbeit getan, die an diesem bestimmten Tag möglich war. Abhängig von dem, was der Patient
braucht, können in einer Behandlungseinheit auch mehrere Bereiche behandelt werden.

Die fünf Prinzipien der Behandlung sind Prinzipien und keine Techniken, weil jedes Prinzip für sich
allein oder in Kombination mit einem anderen die namenlose Körperphysiologie zum Handeln
bringt.

Was für Ressourcen werden hier angesprochen ? Jede Einschränkung wird die vier Hauptmuster
der Bewegung modifizieren: die neuromuskuläre willkürliche Bewegung, die sekundären Rippen-
und Atemmechansimen, die inhärente unwillkürliche craniosacrale Fluktuation des Liqor
cerebrospinalis und des gesamtem lymphatischen Systems und die grosse tidenartige
Bewegung, ... Diese Ressourcen, und wahrscheinlich noch viele andere, liefern uns die
Werkzeuge, die wir für eine mit Hilfe der fünf Behandlungsprinzipien vorgenommenen Diagnose
und Behnadlung brauchen.

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