AKTUELLEU STAATS-SCHULDEN(KRISE) - SEPT. | 2012 - RALF KRONBERGER
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aktuelle U N TE R L A G E W i r b r i n g e n d i e W i r t s c h a f t i n s K l a s s e n z i m m e r STAATS- SCHULDEN(KRISE) Ideelle und materielle Unterstützung erhalten wir von unseren Projektpartnern: 71 Sept. | 2012
aktuelle U N TE R L AG E Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Dr. Ralf Kronberger 1 EINLEITUNG 3 2 STAATSVERSCHULDUNG – NOTWENDIGKEIt ODER ÜBEL? 3 2.1 Warum soll sich ein Staat nicht verschulden? 6 2.2 Warum soll sich ein Staat verschulden? 7 3 FINANZMARKTKRISE UND ÖFFENTLICHE VERSCHULDUNG 9 3.1 Staatsschulden, Kreditrisiko und Zinsentwicklung 12 3.2 Ratingagenturen und Entwicklung der Staatsschuld 13 4 IST EIN STAAT ZAHLUNGSUNFÄHIG, WAS DANN? 15 5 DIE STAATSSCHULDENKRISE IM EURORAUM 15 5.1 Entwicklung der Staatsverschuldungen im Euroraum 16 5.2 Ursachen für die Staatsschuldenkrise im Euroraum 18 5.3 Die Programmländer Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Zypern 19 5.4 Die österreichische Staatsschuld im Umfeld der Euro-Staatsschuldenkrise 22 5.4.1 Entwicklung der expliziten österreichischen Staatsschuld 22 5.4.2 Schätzungen für die implizite österreichische Staatsschuld 24 5.4.3 Wieviel kosteten Maßnahmen zur Bankenrettung den österreichischen Staat? 25 6 VERMEIDUNG VON STAATSSCHULDENKRISEN 27 6.1 Regeln zur Begrenzung der Staatsschulden 27 6.1.1 Nationale Regeln zur Schuldenbegrenzung 28 6.1.2 Europäische Regeln zur Schuldenbegrenzung 32 6.2 Finanzielle Unterstützung zur Vorbeugung von Zahlungsunfähigkeit 36 6.2.1 Der Euro-Rettungsschirm (EFSF und ESM) 36 7 SCHULDENABBAU UND WIRTSCHAFTSWACHSTUM 39 8 LITERATURVERZEICHNIS 41 DIDAKTIK Mag.(FH) Petra Stöhr, Mag. Josef Wallner, Gudrun Dietrich Übungsblätter 43 Lösungsvorschläge 46 Kopiervorlagen 49 ISBN 978-3-9502430-8-6 Zum Autor: Mag. Dr. Ralf Kronberger ist Leiter der Abteilung für Finanz- und Handelspolitik in der Wirtschaftskammer Österreich, Lektor an der FH Wiener Neustadt und der FH des bfi und Mitglied des Staatsschuldenausschusses. Hinweis: Im Sinne einer leichten Lesbarkeit werden geschlechtsspezifische Bezeichnungen nur in ihrer männlichen Form angeführt. 2
1 EINLEITUNG/2 STAATSVERSCHULDUNG – NOTWENDIGKEIT ODER ÜBEL? 71 | Sept. | 2012 1 EINLEITUNG Seit beinahe fünf Jahren sind die Finanzmarkt-, Wirt- stellten Spanien und Zypern Anträge auf europäische schafts- und Staatsschuldenkrise allgegenwärtig in Finanzierungshilfen. den Medien und in der öffentlichen Diskussion. In dieser aktuellen Unterlage wird auf die grundsätz- Die globale Finanzmarktkrise, welche ihren Ausgang im lichen Fragen eingegangen, ob Staatsschulden dem Jahr 2007 in den USA nahm, schwappte im Jahr 2008 Staat nutzen oder schaden und wie Finanzmarkt- auf Europa über. Die darauf folgende Wirtschaftskrise krisen mit Staatsschuldenkrisen zusammenhängen belastete die öffentlichen Haushalte eigentlich weni- können. Es wird aufgezeigt, was passiert, wenn ein ger über die Kosten von Konjunkturpaketen, sondern Staat zahlungsunfähig wird. Die Staatsschuldenkri- vielmehr über den konjunkturbedingten Einbruch bei se in der Eurozone wird beleuchtet, mit besonderem den Staatseinnahmen. Länder mit bereits etwas ange- Augenmerk auf Griechenland, Irland, Portugal , Spa- schlagenen öffentlichen Finanzen gerieten nun in eine nien und Zypern. Diese fünf Länder wurden unter den noch stärkere Schieflage. Euro-Rettungsschirm gestellt bzw. hatten sie Anträge auf Finanzierungshelfen gestellt. Diese fünf Länder Einzelne Länder wurden an den Rand der Zahlungsun- werden auch als Programmländer bezeichnet. Großes fähigkeit gedrängt. In der Europäischen Union wurde Augenmerk wird auf die österreichische Situation ge- 2010 ein Rettungspaket für Griechenland geschnürt legt. Abschließend wird erläutert, was getan wurde, und ein Rettungsschirm aufgespannt, der im selben um der aktuellen Staatsschuldenkrise zu begegnen Jahr von Irland und im darauffolgenden Jahr von Por- und um allfällige zukünftige Staatsschuldenkrisen zu tugal in Anspruch genommen wurde. Ende Juni 2012 vermeiden. 2 STAATSVERSCHULDUNG – NOTWENDIGKEIT ODER ÜBEL? In der Diskussion über die (hohe) Staatsverschuldung mindest laufend die Zinsen für die Staatsschuld be- wird oft der Vergleich des Staates als Schuldner mit zahlt werden müssen. Die Finanzierung dafür muss einem privaten Schuldner bemüht, ein Vergleich der jedenfalls aus dem Wirtschaftswachstum kommen. hinkt. Man kann sich schwerlich vorstellen, dass ein Die Frage ist aber, ob die Gläubiger oder auch der fremder Dritter für einen privaten Schuldner ein- Staat selbst genau diese Grenzen kennen und wenn springt, wenn dieser all sein Geld ohne Perspektiven der Staat an diese Grenzen geht, er noch gegen wirt- auf neue Einnahmen ausgegeben hat. Demgegen- schaftliche Schocks (z.B. Finanzkrisen, Kriege, Katas- über ist ein wesentliches Merkmal der Staatsein- trophen) ausreichend abgesichert ist. Genau dieser nahmen, dass der größte Teil der Staatseinnahmen Spielraum scheint insbesondere den Programmlän- Zwangscharakter besitzt, wodurch auch zukünftige dern Griechenland und Portugal gefehlt zu haben. Einnahmen sehr gut abgesichert sind. Zukünftige Ge- nerationen müssen für die Schulden der Vorgänger- Generationen einspringen. Daher kann der Staat um einiges großzügiger als ein Arbeitnehmer oder ein Unternehmen wirtschaften. Er verfügt zwar, wie die jüngere europäische Vergangenheit zeigt, auch über Finanzierungsrisiken, aber in der Regel über geringe- re als private Akteure. Grenzen ergeben sich, da zu- 3
aktuelle U N TE R L AG E 2 STAATSVERSCHULDUNG – NOTWENDIGKEIT ODER ÜBEL? Ein einfaches Modell der Neuverschuldung beiden Gleichungen sollen zeigen, dass der staatliche Um die Wirkungen der staatlichen Neuverschuldung und der private Sektor über den Kapitalmarkt eng zu beschreiben kann man auf einfache Gleichungen verwoben sind und jeweils auf den anderen wirken. für den Kapitalmarkt – dort wird langfristiges Kapital Für den öffentlichen Haushalt kann man nun folgen- wie Aktien und Anleihen gehandelt – und den Staats- de Beziehung aufstellen: haushalt zurückgreifen: Die Neuverschuldung ergibt sich grob gesagt aus der Der Kapitalmarkt definiert sich über die private und Differenz zwischen den Staatseinnahmen und den staatliche Ersparnis, die den privaten und staatlichen Staatsausgaben. Investitionen gegenübersteht und noch den Kapital- ■ Die Staatsausgaben setzen sich aus dem Staats- flüssen ins oder vom Ausland. Die Ersparnisse finan- konsum – z.B. Ausgaben für Staatsbedienstete zieren die Investitionen. bzw. allgemein Geld- und/oder Sachleistungen an Private und Unternehmen – den staatlichen 1. Private und staatliche Ersparnis = Investitionen – z.B. Straßen- oder Schienenbau – private und staatliche Investitionen und den Zinsausgaben zusammen. + Nettokapitalexporte ■ Die Staatseinnahmen setzen sich aus den Steuer- einnahmen und den sonstigen Einnahmen – Anhand dieser Gleichung wird auch gezeigt, dass z.B. Gewinnausschüttungen aus staatlichen staatliche und private Ersparnis im Zusammenhang Unternehmen – zusammen. stehen. Verändert sich etwas auf staatlicher Seite, dann hat dies Veränderungen auf der privaten Seite 3. N ettokreditaufnahme = zur Folge. Auch wird deutlich, dass wenn Staat und (Staatskonsum Private stärker sparen als sie investieren, das „über- + staatliche Investitionen + Zinsausgaben) schüssige Geld“ ins Ausland fließt und sich dort die – Steuereinnahmen Investitionen „sucht“. Dieses „überschüssige“ Geld, – Sonstige Einnahmen das Investitionen im Ausland sucht, wird als Nettoka- pitalexport bezeichnet. Lässt man aus der obigen Gleichung die Zinsausga- ben weg, erhält man den sogenannten Primärsaldo. Ein Zusammenhang mit der staatlichen Neuverschul- Das ist genau jener Saldo, den der Staat nun tatsäch- dung (Nettokreditaufnahme) kann ebenfalls darge- lich beeinflussen kann, beispielsweise über die Ände- stellt werden. Die private Ersparnis finanziert private rungen von Steuern oder die Änderung von Ausgaben Investitionen, deckt die staatliche Nettokreditauf- für Staatsbedienstete. Die Ausgaben für die Zinsen nahme ab und ein weiterer Teil kann ins Ausland oder kann der Staat nicht unmittelbar beeinflussen, da sie vom Ausland fließen. marktbestimmt sind. Er kann sie nur mittelbar bei- spielsweise über die Veränderung der Staatsschuld 2. Private Ersparnis = – eine geringe Staatsschuld bedingt üblicherweise private Investitionen niedrige Zinsen – beeinflussen. + staatliche Nettokreditaufnahmen + Nettokapitalexporte1 Strukturelle und konjunkturelle Neuverschuldung Verschuldet sich bei der obigen Beziehung nun der Wichtig bei der Betrachtung der Neuverschuldung ist Staat stärker – die staatliche Nettokreditaufnahme die Unterscheidung in eine langfristige, strukturelle steigt – geht dies entweder zu Lasten der privaten Verschuldung – der Staat beschließt eine Maßnah- Investitionen oder der Nettokapitalexporte. Diese me, die dauerhaft über Schulden finanzierte Mehr- 1 Gleichung (2.) wurde aus der Gleichung abgeleitet, indem die staatliche Ersparnis den staatlichen Investitionen abzüglich der staatlichen Nettokreditaufnahme gleichgestellt wurde: Staatliche Ersparnis = staatliche Investitionen – staatliche Nettokreditaufnahme -> staatliche Nettokreditaufnahme = staatliche Investitionen – staatliche Ersparnis 4
2 STAATSVERSCHULDUNG – NOTWENDIGKEIT ODER ÜBEL? 71 | Sept. | 2012 ausgaben mit sich bringt – und in eine konjunkturell Auszahlung von mehr Arbeitslosenunterstützung für bedingte vorübergehende Neuverschuldung. Die eine höhere Anzahl an Arbeitslosen den Konsum glät- vorübergehende konjunkturell verursachte Verschul- tet. Analog werden in der Phase des Konjunkturhochs dung ist de facto für die Mehrheit der Ökonomen ak- vermehrt Steuern eingehoben werden, um eine Über- zeptabel. Darunter ist das Wirken der automatischen hitzung der Wirtschaft zu verhindern. Während der Stabilisatoren zu verstehen: „Ohne dass die Politik Konjunkturschwäche werden so automatisch eine Er- aktiv in das Wirtschaftsgeschehen eingreift, sorgen die höhung der Ausgaben und ein entsprechend schlech- automatischen Stabilisatoren dafür, dass in der Phase terer Budgetsaldo hingenommen. Während des Kon- der Konjunkturschwäche höhere (Konsum)Ausgaben junkturhochs fährt der Staat höhere Einnahmen zu aus öffentlichen Geldern getätigt werden, in dem die Gunsten eines besseren Budgetsaldos ein.“2 Implizite und explizite Staatsschuld Staatsschuld Explizite Staatsschuld Implizite Staatsschuld (stichtagbezogen) (über Generationenbilanz) Abbildung 1: Implizite und explizite Staatsschuld In den bisherigen Ausführungen wurde die explizite, sondere für die Pensions-, Gesundheits-, Pflege- oder gegenwärtige Staatsverschuldung behandelt. Das ist Bildungspolitik und den damit verknüpften staatli- jene Staatsschuld, die zu einem Stichtag ausgewiesen chen Ausgaben bestehen. Man kann etwa eine grobe wird. Demgegenüber dient implizite Staatsverschul- Antwort darauf bekommen, ob ein Pensionssystem dung der langfristigen Analyse der Finanz- und Sozi- mit den heutigen Regeln dauerhaft finanziert werden alpolitiken. Sie ist vorausschauend, indem sie zukünf- kann oder ob beispielsweise ein höheres Pensionsan- tige Ausgaben und Einnahmen über die sogenannte trittsalter für eine nachhaltige Finanzierung notwen- Generationenbilanzierung berücksichtigt. Unter Zu- dig wäre. Man kann nur deswegen grobe Antworten hilfenahme von altersspezifischen Profilen der jewei- bekommen, da man bei der Generationenbilanzierung ligen Jahrgänge und deren Verknüpfung mit erwar- mit sehr langfristigen Projektionen arbeitet. Nur kleine teten Veränderungen der Bevölkerungsstruktur auf Änderungen von zu Grunde gelegten Annahmen brin- Basis von langfristigen Prognosen werden die einzel- gen große Ergebnisänderungen. Weiters wird bei der nen Budgetposten für zukünftige Jahre fortgeschrie- Generationenbilanzierung unterstellt, dass „die Welt ben. Ergeben sich in den zukünftigen Jahren weitere sich in einem stationären (Gleichgewichts-)Zustand be- Defizite, dann werden diese Defizite abgezinst und findet, die Politik der Gegenwart also bis in alle Zukunft auf die aktuelle Staatsschuld aufaddiert. Dies hat den fortgeführt wird.“3 Bei der Generationenbilanz kann Vorteil, dass man an Hand solcher Rechnungen er- die finanzielle Besserstellung einer Generation nur auf kennen kann, ob Änderungsnotwendigkeiten insbe- Kosten einer anderen erfolgen. 2 Das setzt allerdings voraus, dass die Staatsregierungen der Versuchung wiederstehen, kurzfristig höhere Steuereinnahmen sofort wieder für zusätzliche Ausgaben zu verplanen, die womöglich noch das Budget dauerhaft belasten und somit wieder für eine höhere strukturelle Verschuldung sorgen würden. 3 Raffelhüschen, Schoder, 2007 5
aktuelle U N TE R L AG E 1.1 Warum soll sich ein Staat nicht verschulden? Der Staat kann sich zwar relativ hoch verschulden, doch sollte dabei die Überlegung der ökonomischen Sinnhaftigkeit nicht vernachlässigt werden. Aus neoklassischer Sichtweise führen Staatsschulden zu einem Rückgang der Wertschöpfung mit negativen Konsequenzen für die individuelle Wohlfahrt, die pri- vaten Investitionen sinken. Wenn der Staat zu hohe kreditfinanzierte öffentliche Investitionen tätigt, kann es zu einer Verdrängung der privaten Investiti- onen kommen, die oftmals eine höhere Rentabilität besitzen als öffentliche Investitionen (Crowding Out von Privat-Investitionen)4. Staatsschulden bringen zudem vorwiegend nachteilige inter- und intragene- rative Verteilungswirkungen. Verfügbare Einkommen und Konsumniveaus der gegenwärtigen Generation sind in Relation zu zukünftigen Generationen höher, da zukünftige Generationen die Schulden für den gegenwärtigen Konsum tilgen müssen. Bei der per- sonellen Einkommensverteilung wird davon ausge- gangen, dass Haushalte mit einer hohen Sparquote agieren, die zu einem Rückgang der Wertschöpfung von einer Kreditfinanzierung gegenüber einer Steu- führt, da sie entsprechende Reserven für zukünftige erfinanzierung profitieren. Reiche Haushalte erspa- Steuerzahlungen anlegen werden. Dies wird auch als ren sich auch dadurch, weil sie höher besteuert sind, Ricardianisches Äquivalenz-Theorem bezeichnet. Die mehr Mittel, die sie beispielsweise in produktivere wesentlichste Erkenntnis aus dem Theorem ist, dass Investitionen lenken können. Höhere Zinsbelastun- neu aufgenommene Schulden letztlich nur aufgescho- gen der öffentlichen Haushalte bedingen reduzierte bene zusätzliche Steuereinnahmen bedeuten, alle wirt- staatlich bereit gestellte Ressourcen für Produktion schaftlichen Akteure das wissen und sich auch danach und Konsum. Bei einem tendenziell hohen Anteil an verhalten. Die Ricardianische Äquivalenz beruht auf ausländischen Gläubigern stellen die Zinszahlungen strengen Annahmen, die in der Realität oft nicht vorzu- einen Transfer von inländischen Steuermitteln ans finden sind. Die stark einengenden Annahmen dieses Ausland dar.5 Theorems werden durch folgende Punkte verletzt: ■ die fundamentale Unsicherheit über Verschuldung bedeutet letztendlich nur eine verzö- zukünftige Ereignisse gerte Rückzahlung der Mittel, die jetzt benötigt wer- ■ unterschiedliche Zeithorizonte zwischen den den. Die Steuerzahler der aktuellen Generation bzw. Individuen und dem Staat zukünftiger Generationen müssen diese Schulden in ■ unvollkommene Kreditmärkte zukünftigen Perioden tilgen. Es besteht die Gefahr, ■ ein positiver Wachstumsbeitrag von auf Kredit dass in der aktuellen Periode mehr ausgegeben wird, finanzierten Infrastrukturinvestitionen als Steuerzahler bereit sind in zukünftigen Perioden zu ■ intertemporale Aspekte der Besteuerung zahlen (Überschreitung der Steuerschranken). Wenn (Steuerglättung: in Kauf nehmen von die Steuerzahler in der Lage sind, vorherzusehen, dass (konjunkturellen) Defiziten bei Konjunkturab- sie in Zukunft mehr Steuern zahlen müssen, kann un- schwüngen und Erwirtschaften von Überschüssen terstellt werden, dass sie mit Konsumrückhaltung re- in konjunkturellen Boomzeiten). 4 Siehe dazu Gleichungen im vorigen Abschnitt. 5 Im Jahr 2010 befanden sich 78 % der staatlichen Bundesschuld in ausländischem Besitz (Staatsschuldenausschuss, 2011). 6
2 STAATSVERSCHULDUNG – NOTWENDIGKEIT ODER ÜBEL? 71 | Sept. | 2012 In einer Währungsunion, die keine politische Union 1.2 Warum soll sich ein Staat darstellt, spielt die Verschuldung der einzelnen Mit- verschulden? gliedstaaten eine besondere Rolle: Verschuldet sich nur ein Staat übermäßig, geht dies zu Lasten der wei- Bei einer Neuverschuldung „in Maßen“ bietet die öko- teren Mitgliedstaaten, da bei einer Gemeinschaft von nomische Theorie auch Pro-Argumente: So erweisen mehreren Staaten, die einheitliche Geldpolitik auf die sich Investitionen beispielsweise in die Infrastruktur Summe aller Schulden reagiert. als geeignetes Instrument, wenn die Infrastruktur von mehreren Generationen genützt werden soll. Mit- Die Zinsen in der Währungsunion steigen gering für tels der Schulden können so die Kosten im Sinne der alle Mitgliedstaaten an, obwohl sich nur ein Staat „Intergeneration Equity“ auf mehrere Generationen verschuldet (genau das ist ein wichtiges Argument aufgeteilt werden. Die Steuersätze können dadurch für den Europäischen Stabilitätspakt). Dieses Auf- bei großen Investitionen stabilisiert werden. Zudem Kosten-anderer-leben wird in der Ökonomie auch als sprechen die Erkenntnisse der neuen Wachstumsthe- Beggar-thy-neighbor-policy bezeichnet. Ebenso kann orie für schuldenfinanzierte Infrastrukturinvestitio- für Staaten mit hoher Verschuldung der Anreiz beste- nen. Diesen Erkenntnissen zu Folge liefern öffentliche hen, dass Sie ihren Schuldenstand manipulieren (z.B. Infrastrukturinvestitionen einen positiven Wachs- statistische Falschmeldungen etc.), um so ihre Boni- tumsbeitrag. Eine Verschuldung in der Höhe dieses tät zu verbessern. Wachstumsbeitrags ist damit gerechtfertigt. Darüber hinaus hat der Staat die Möglichkeit sich günstiger – Weiters können aus einer hohen Staatsschuld noch im Sinne niedrigerer Kreditzinsen – zu verschulden, da Anreize für eine Inflation entstehen – mit der Absicht er über relativ sichere Einnahmen verfügt. Zum einen die Staatsschuld zu entwerten. Eine solche Inflation kann der Staat Investitionen günstiger finanzieren, würde die öffentlichen Haushalte zwar kurzfristig ent- zum anderen haben die Gläubiger die Möglichkeit, lasten, aber langfristig eine Reihe von ungewünschten „mündelsichere“ Veranlagungen zu tätigen. Ebenso Nebeneffekten bringen, die der Wirtschaft schaden wie die Möglichkeit der billigeren Kreditaufnahme des (z.B. schlecht funktionierender Preismechanismus, er- Staates und die Erkenntnisse der neuen Wachstums- schwerte Investitionsplanung für Unternehmen).6 theorie führt der keynesianische Multiplikator zu der Ricardianischen Äquivalenz widersprechenden Ergeb- Letztendlich müsste die Zentralbank auf hohe In- nissen. Der keynesianische Multiplikator besagt, dass flation mit einer restriktiven Geldpolitik reagieren öffentliche Investitionen zu einer vorübergehenden (Zinserhöhung), welche in Folge dämpfend auf die Ausweitung der Nachfrage und somit zu einem tem- Konjunktur wirkt. porären Wachstumsimpuls führen. 6 In der Aktuellen Unterlage Nr. 65 „Wird hohe Inflation wieder zum Thema?“ findet sich eine genaue Beschreibung der unerwünschten Effekte hoher Inflation. 7
aktuelle U N TE R L AG E 2 STAATSVERSCHULDUNG – NOTWENDIGKEIT ODER ÜBEL? SOLL SICH EIN STAAT VERSCHULDEN? pro contra Öffenliche Investitionen geben Überschreiten dauerhaften Wachstumsbeitrag der Steuerschranken Inflation wegen des Bestrebens, Keynesianischer Multiplikator die Staatsschuld zu entwerten Crowding Out von Intergeneration Equity Privat-Investitionen Stabilisierung der Steuersätze bei nachteilige Verteilungswirkungen großen Investitionen Anlagemöglichkeiten bei Auslandsschulden Transfer von „mündelsicher” inländischer Kaufkraft ans Ausland günstige Kreditaufnahme Erwartung höherer Steuerzahlung in der Zukunft > Konsumzurückhaltung Anreiz zur Manipultaion des Schuldenstandes „Auf Kosten anderer leben” in einer Währungsunion Abbildung 2: Soll sich ein Staat verschulden? Die Argumente für und gegen die Verschuldung soll, oder eine leichte fortlaufende Neuverschuldung, sind zahlreich. Die Ökonomen sind sich weitestge- die unter dem Wirtschaftswachstum liegt, günstig hend einig darüber, dass übermäßiges Konsolidieren ist, konnte unter den Ökonomen noch nicht geklärt und dem entgegen gesetzt andauernde hohe Neu- werden. Interessant erscheint an dieser Stelle jeden- verschuldung gesamtwirtschaftlich negative Aus- falls, dass sich John Meynard Keynes, der oft mit dem wirkungen haben. Fachleute zeigen, dass Staaten Deficit-Spending in Verbindung gebracht wird, für mit Schuldenständen jenseits der 90 % des BIP mit höhere Ausgaben und damit Defizite in konjunk- schuldenbedingten Wachstumseinbußen rechnen turell angespannten Perioden und für stärkeres müssen. Ein interessanter Wert – insbesondere wenn Sparen (Haushaltsüberschüsse) in konjunkturell die Europäische Kommission für die Euro-17 für 2012 günstigen Perioden ausgesprochen hat und damit einen Schuldenstand rund 91,8 % des BIP gemäß ihrer stabilitätspolitisch restriktiver argumentiert als es Frühjahrsprognose 2012/2013 erwartet.7 Ob nun der der österreichischen Budgetpolitik der letzten Jahr- öffentliche Haushalt langfristig ausgeglichen sein zehnte entspräche. 7 Im Jahr 2013 soll dieser Wert noch auf 92,6 % des BIP steigen. 8
3 FINANZMARKTKRISE UND ÖFFENTLICHE VERSCHULDUNG 71 | Sept. | 2012 3 FINANZMARKTKRISE UND ÖFFENTLICHE VERSCHULDUNG Bei Finanzmarktkrisen springt in der Regel die Zen- dische Staatshaushalt war aber dann nicht mehr tralbank als sogenannter Lender of Last Resort (Kre- in der Lage, seine eigenen Banken mit ausreichend ditgeber letzter Instanz) ein, wenn Finanzinstitute in finanziellen Mitteln auszustatten. Kredite des In- Zahlungsschwierigkeiten gelangen – wie etwa in der ternationalen Währungsfonds wurden an Island Finanzmarktkrise 2007/2008. Dies verschafft den in vergeben, um letztlich eine Staatsinsolvenz zu ver- Zahlungsschwierigkeiten geratenen Finanzinstituten hindern. zumeist die Möglichkeit zumindest zwischenzeitlich Außenstände zu bedienen. Wenn auch Liquiditätshil- Ähnlich drastische Konsequenzen hatte das Plat- fen der Zentralbanken und staatliche Garantiepro- zen der Immobilienblase in Irland gegen Ende gramme nicht reichen, bleibt, dass entweder private Jahres 2006. Mit der Immobilienblase war gleich- Finanzinstitute die in Zahlungsschwierigkeiten gera- zeitig eine Kreditblase entstanden. Banken hatten tenen Institute übernehmen oder diese Institute ver- zu diesem Zeitpunkt Kredite in der Höhe von rund staatlicht werden – mit entsprechenden negativen zwei Drittel des irischen Bruttonationalproduktes Konsequenzen für die öffentlichen Haushalte, wenn an Immobilienentwickler und für Landkäufe ohne es letztendlich zu realisierten Zahlungsausfällen bei Sicherheiten vergeben. Massiv fallende Immobi- den übernommenen Bankinstituten kommt. Finanz- lienpreise sorgten für eine drastische Schieflage marktkrisen können dazu führen, dass der Finanz- des irischen Bankensystems mit der Konsequenz, sektor nicht nur zu einer Erhöhung der Staatsschuld dass der irische Steuerzahler mit 70 Milliarden „beiträgt“, sondern auch die öffentlichen Haushalte Euro – rund der Hälfte des irischen Bruttonational an den Rand der Zahlungsunfähigkeit drängt. Im produktes – einspringen musste. Die irische Staats- schlimmsten Fall bedingt eine Finanzmarktkrise eine schuld explodierte. Innerhalb von nur drei Jahren Staatsschuldenkrise, welche wieder negativ auf den verfünffachte sich die irische Staatsschuld, ausge- Finanzmarkt „zurückstrahlt“, wenn die Finanzinstitu- hend von einer Schuldenquote von rund 20 % des te hohe Anteile an heimischen Anleihen halten. BIP im Jahr 2007, auf 96 % des BIP im Jahr 2010. Auch Irland wurde an den Rand der Zahlungsunfä- higkeit gedrängt und musste mit Mitteln der Eu- rozonenländern und des IWF aufgefangen werden und wurde so zum Programmland. Warum werden Banken vom Staat gerettet? Dass Banken eher gerettet werden als beispielsweise Industrieunternehmen, hängt mit der Gefahr eines Ein Beispiel: Finanzmarktkrise und Bank runs zusammen. Insbesondere bei sehr großen Staatsschuldenkrise in Island Banken – den Systembanken – erwartet man sich, und Irland dass eine Bankenrettung die Wirtschaft weniger schädigt als eine Bankeninsolvenz. In einem verein- 2008 wurden Islands Banken verstaatlicht, nach- fachten Modell, das man in einer Gruppe durchspie- dem sie nach dem Platzen einer Spekulationsblase len kann, kann man die Konsequenzen eines Bank in finanzielle Schieflage geraten waren. Der islän- runs deutlich machen: 9
aktuelle U N TE R L AG E 3 FINANZMARKTKRISE UND ÖFFENTLICHE VERSCHULDUNG Der Erste in der Gruppe erbringt eine Leistung im Finanzmarktkrisen wirken unmittelbar – wie ein- Gegenwert von 100 Euro, welche er von der Zen- drucksvoll an Hand der Beispiele Island und Irland er- tralbank bekommt. Diese 100 Euro sind Zentral- kennbar ist – auf die öffentlichen Haushalte und über bankgeld (M0). Er nimmt die 100 Euro als Bank- die gebremste Konjunktur. noten entgegen und zahlt sie in der Bank eines weiteren Gruppenmitglieds ein. Wenn diese Bank Die durch die Finanzmarktkrise ausgelösten Unsi- 10 % Reserve halten muss, legt sie wieder 10 Euro cherheiten bewegen die Marktteilnehmer zu Zurück- bei der Zentralbank ein und kann für die restlichen haltung, Aufträge für Güter und Dienstleistungen 90 Euro einen Kredit an einen weiteres Gruppen- werden merklich reduziert. Die Finanzierung für Un- mitglied begeben. Dieses nimmt die 90 Euro und ternehmen wird schwieriger, Unternehmensinvestiti- beschließt, sie in die Bank eines anderen Grup- onen werden zurückgestellt, auch die die Nachfrage penmitgliedes einzuzahlen. Wenn diese Bank auf nach langlebigen Konsumgütern kann einbrechen. Basis des eingezahlten Geldes wieder einen Kredit vergeben will, muss sie 9 Euro der Zentralbank ge- Als Folge des gesamten Nachfrageeinbruchs steigt ben und kann mit den restlichen 81 Euro wieder die Arbeitslosigkeit. Dies hat wiederum Folgen für einen Kredit vergeben. Diese Kette geht so weiter, die Staatshaushalte in Form von geringeren Steu- bis sich die Geldmenge M1, das ist üblicherweise ereinnahmen auf Grund weniger Beschäftigter mit jene Geldmenge, die das Zentralbankgeld und die lohnsteuerpflichtigem Einkommen und auf Grund Bankeinlagen umfasst, ein Vielfaches des Zent- einbrechender steuerpflichtiger Gewinne. Auf der ralbankgeldes beträgt. Dieser Vervielfacher wird Ausgabenseite steigen die Ausgaben für Soziales zum auch Geldmultiplikator genannt.8 Beispiel in Form von Arbeitslosenzahlungen. Ein Spe- zifikum von Finanzmarkt-/Bankenkrisen ist, dass Sie Das erste Gruppenmitglied verlangt nun wieder eine lange Periode von Wachstumseinbrüchen brin- seine 100 Euro zurück. Wenn die erste Bank nur gen. Beim Vergleich großer Finanzmarktkrisen haben diese 100 Euro hatte und davon letztlich nur den Wissenschafter folgende typische Effekte gefunden: Zugriff auf die 10 Euro Reserve hat, weil die restli- chen 90 Euro ja als Kredit vergeben waren, muss ■ Immobilienpreise fallen um 35 % innerhalb einer sie nun wieder die Rückzahlung des Kredites ver- längeren Periode von sechs Jahren langen. In der Kette verlaufen die Reaktionen ■ Aktienpreise fallen in einem Zeitraum von nun in die entgegengesetzte Richtung, was sehr 3,5 Jahren um 55 % anschaulich die Konsequenzen eines Bank runs ■ die Arbeitslosenrate steigt in der Abwärtsphase aufzeigt. Wenn nur eine der Banken in der Kette des folgenden Konjunkturzyklus um 7 Prozent- nicht ausreichend vorbereitet darauf ist, dass Geld punkte während vier Jahren an abgezogen wird, hat dies dramatische Konsequen- ■ das Wirtschaftswachstum geht um zen zumindest für Teile der dargestellten Kette. 9 Prozentpunkte zurück ■ die Staatsschulden legten um 85 % zu 8 In der Eurozone beträgt der Geldmultiplikator zwischen dem Zentralbankgeld und der Geldmenge M3 – das sind grob vereinfacht kurz- und langfristige Geldeinlagen bei Geldinstituten – zwischen 8 und 10 ( (Fichtner, 2012). 10
3 FINANZMARKTKRISE UND ÖFFENTLICHE VERSCHULDUNG 71 | Sept. | 2012 ZUSAMMENHANG FINANZMARKTKRISE, STAATSSCHULDEN, WIRTSCHAFTSWACHSTUM Finanzmarktkrise Negative Rückkoppelungen Staatsschulden Wirtschaftswachstum Abbildung 3: Zusammenhang Finanzmarktkrise, Staatsschulden, Wirtschaftswachstum; Quelle: eigene Darstellung Der Internationale Währungsfonds (IWF) analysierte Obzwar die jüngste Schuldendynamik zu einem Gut- die Auswirkungen der Krise auf die Staatsschulden- teil auf die unmittelbaren und mittelbaren Folgen der entwicklung der G20-Staaten9. Finanzmarktkrise zurückzuführen ist, war diese mehr Auslöser der Staatsschuldenkrise als die grundlegen- Zwischen 2008 und 2015 berechnete IWF eine Stei- de Ursache. Die betroffenen Staaten hatten schon vor gerung der Staatsschulden um knapp 39 %-Punkte der Krise verhältnismäßig hohe Schuldenstände, die des BIP. Die zusätzliche Verschuldung resultiert zum eben den Spielraum nahmen, ausreichend Mittel für größten Teil aus die Krisenbekämpfung bereitzustellen. Große Volks- wirtschaften haben auch in Perioden guter Konjunk- ■ wachstumsbedingten Rückgängen der tur nichts gegen das strukturelle und vielfach stei- Staatseinnahmen (18,4 %), und gende Budgetdefizit unternommen. ■ einem relativ zum Wirtschaftswachstum gestiegenen Zinsendienst (6,8 %). ■ Unterstützungen für den Finanzsektor betragen 3,3 %. ■ Schuldenwirksame Abschreibungen belaufen sich auf 3,7 %, welche ebenfalls zum größten Teil mit dem Finanzsektor zusammenhängen dürften. ■ Konjunkturpakete belasten die Staatsschuld mit 6,4 %. ■ Der größte Teil der zusätzlichen Staatsschuld resultiert aus der Konjunkturentwicklung, die wiederum wesentlich durch die Finanzmarktkrise beeinflusst ist. ■ Die negative Zins-Wachstumsdynamik hat einen in etwa gleich hohen Anteil wie die unmittelbaren Kosten der staatlichen Stützung der Finanzinstitute. 9 Die G20-Staaten sind Deutschland, Kanada, Indien, Russland, Saudi Arabien, China, Indonesien, Japan, Argentinien, die Republik Korea, Italien, Südafrika, Australien, USA, Mexiko, Türkei, Brasilien, Frankreich, Großbritannien und die EU. 11
aktuelle U N TE R L AG E 3 FINANZMARKTKRISE UND ÖFFENTLICHE VERSCHULDUNG ANSTIEG DER STAATSSCHULD DER G20-STAATEN IN %-PUNKTEN DES BIP VON 2008 BIS 2015 Erhöhte Zinslast aus verschlechtertem Zins- Wachstumsverhältnis 6,8 % Stock-Flow- Adjustments Konjunkturbedingter 3,7 % Rückgang Staatseinnahmen 18,4 % Bankenpakete 3,3 % Konjunkturpakete 6,4 % Abbildung 4: Anstieg der Staatsschuld der G20-Staaten In %-Punkten des Bip von 2008 bis 2015; Quelle: eigene Darstellung auf Basis (International Monetary Fund, 2011) 3.1 Staatsschulden, Kreditrisiko und Zinsentwicklung ZUSAMMENSETZUNG DER REALEN ZINSSÄTZE Natürlicher Zinssatz Realer Zinssatz Kreditrisikoprämie Liquiditätsprämie Fristigkeitsprämie Abbildung 5: Zusammensetzung der realen Zinssätze Die für die Staatsanleihen insbesondere in den Krisenländern zu bezahlenden Staatsschuldenzinsen stehen oft im Zentrum der öffentlichen Diskussion. Irische und portugiesische Anleihen mussten auf dem Sekundärmarkt Renditen deutlich über 10% zahlen. Für griechische Anleihen wurden bis über 40% Zinsen verlangt. Von der Politik und auch vereinzelten von Ökonomen wurde kritisiert, dass die verlangten Zinsen zu hoch seien. Wie kommen diese Zinsen nun zustande? 12
3 FINANZMARKTKRISE UND ÖFFENTLICHE VERSCHULDUNG 71 | Sept. | 2012 Die realen Zinssätze, die für eine Staatsanleihe be- der Zinssatz eine kritische Marke – die über der Wirt- zahlt werden, beinhalten eine Reihe von Informatio- schaftswachstumsrate liegt – übersteigt, kann eine nen. Reale Zinssätze sind jene um die Inflation berei- Abwärtsspirale in Gang gesetzt werden. nigten Zinssätze. Die im realen Zinssatz beinhalteten Informationen sind: Verunsicherte Investoren verlangen höhere Zinszah- ■ der natürliche Zinssatz lungen. Auch eine spekulative Attacke kann Zinserhö- ■ die Kreditrisikoprämie hungen auslösen. Erhöhte Zinsen bringen wiederum ■ die Liquiditätsprämie höhere Finanzierungskosten für den Staat und treiben ■ die Fristigkeitsprämie dessen Schuldenstand potenziell noch weiter in die Höhe. Hohen Zinsen für Staatsschulden wird die Fähig- Unter natürlichem Zinssatz wird der marktbestimm- keit zugeschrieben, dass sie Staaten mit lockerer Ausga- te Zinssatz für eine risikolose Staatsanleihe verstan- benpolitik zu höherer Sparsamkeit bringen können. Die den. Die Kreditrisikoprämie ist die Differenz zwischen hohen Zinsen sorgen dafür, dass die Zinskosten für die- der geforderten Kredit-Rendite und der erwarteten sen Staat immer höher werden. Das hat nicht nur einen Rendite einer (theoretisch) risikolosen Staatsanleihe Effekt auf die Zinskosten selbst, sondern gibt auch ein – einfach ausgedrückt: der Aufschlag für ein zusätzli- Signal „nur“ über den hohen Zinssatz an die Gläubiger, che Risiko, z.B. wenn ein Staat längerfristig mehr Geld dass eben ein Zahlungsausfall bei diesem Staat wahr- ausgibt als er einnimmt und seine Zahlungsunfähig- scheinlicher ist. Dieser Mechanismus wird auch als Hy- keit dadurch wahrscheinlicher wird. Eine Liquiditäts- pothese der Marktdisziplinierung bezeichnet. prämie fällt an, wenn der Gläubiger für die Aufgabe von in Liquidität gehaltenem Geld entschädigt wer- Bei Betrachtung von Abbildung 6 wird deutlich, dass den muss. Der Nachteil für weniger Liquidität wird die dargestellten Mitgliedstaaten der Eurozone zwi- ihm dadurch abgegolten. Wenn ein kleiner Staat An- schen 2001 und 2008 mit annähernd gleichem Zinsri- leihen begibt, dann ist der Markt für seine Anleihen siko eingestuft wurden, obwohl sich diese Staaten al- kleiner. Seine Anleihen werden weniger gehandelt leine schon auf Grund ihrer Schuldenstände deutlich und der Kauf und Verkauf dieser Anleihen ist „schwie- unterschieden haben. Der Markt hat offensichtlich riger“. Die Fristigkeitsprämie bringt eine Abgeltung in dieser Periode diese strukturellen Informationen für den Nachteil, wenn man über eine längere Frist unzureichend in die Zinsbildung mit einfließen las- auf die Verwendung der eigenen Mittel verzichtet. sen. Beginnend mit 2008 erfolgte eine starke Sprei- So bringt eine 10-Jahres-Anleihe höhere Renditen als zung bei den Anleiherenditen. Ob die Märkte dabei beispielsweise eine vierjährige Anleihe. in der späteren Phase überreagiert haben, wird man nur schwierig festmachen können. Die dargestellten Abbildung 6 zeigt die nominellen – nicht inflati- Zinsdifferentiale geben jedenfalls den Hinweis auf onsbereinigten – Renditen langfristiger Schuldver- diejenigen Staaten, die nahe der Zahlungsunfähigkeit schreibungen unter anderem von Deutschland und standen. Die Schuldverschreibungen der Programm- den Programmländern Griechenland, Portugal und länder mit respektive den höchsten Staatsschulden- Irland. Der Unterschied zwischen den Zinssätzen ist ständen zeigen die höchsten Renditen. wesentlich auf die Kreditrisikoprämie zurückzufüh- ren. Wirtschaftstheoretische Modelle und Schät- 3.2 Ratingagenturen und Entwicklung zungen statistischer Zusammenhänge zeigen, dass der Staatsschuld ein Zusammenhang zwischen dem Zinsdifferential von Staatsschuldpapieren und dem Staatsschulden- In der öffentlichen und in der politischen Diskussion stand (Neuverschuldung) besteht. Bei einer niedrigen wurden die drei großen Ratingagenturen Standard Staatsverschulung steigt der Zinssatz proportional and Poors, Moody’s und Fitch insofern mit der euro- mit der Neuverschuldung. Ab einen kritischen Wert päischen Staatsschuldenkrise in Zusammenhang der Staatsschuldenquote nimmt der Zins auf die gebracht, als dass sie durch (zu späte) Bonitätsherab- Staatsschuldenpapiere überproportional zu. Sobald stufungen die Anleihezinsen noch weiter hinaufge- 13
aktuelle U N TE R L AG E 3 FINANZMARKTKRISE UND ÖFFENTLICHE VERSCHULDUNG RENDITEN LANGFRISTIGER STAATLICHER SCHULDVERSCHREIBUNGEN Abbildung 6: Renditen langfristiger staatlicher Schuldverschreibungen; Quelle: eigene Darstellung auf Basis von OeNB-Daten trieben hätten und zur Destabilisierung beigetragen Zusammenhang zwischen Ratingveränderungen und hätten.Sie hätten ein negatives Marktsentiment noch der Entwicklung der Zinsen von Griechenland, Irland, weiter verstärkt und damit die Finanzierungskosten Spanien und Portugal. Dabei wird ersichtlich, dass die der Problemstaaten weiter erhöht. drei Ratingagenturen ihre Ratings in Orientierung an den jeweiligen anderen Ratingagenturen verändern. Ratingagenturen kamen auch deshalb so stark in den Ein „Herdentrieb“ kann also unterstellt werden. Da- Fokus der öffentlichen Diskussion, da Ratings für die rüber hinaus sind die Zinsänderungen vor einer Ra- Bewertung einer Vielzahl von Finanzinstrumenten tingherabstufung deutlich größer als danach.10 Bei herangezogen werden. Dies ist in der Finanzmarkt- den vier Ländern kann während der letzten Jahre regulierung vorgesehen, z.B. in den Baseler Akkorden. demgemäß nicht davon ausgegangen werden, dass Ebenso werden Sicherheiten für Refinanzierungen die Ratingherabstufung zu überschießenden Zins- durch die Europäische Zentralbank mit Ratings von veränderungen geführt hätten, die destabilisierend den großen Agenturen bewertet. Die falsche Be- wirkten. wertung von in Wertpapieren gebündelten Krediten (Asset Backed Securities) durch die Ratingagentu- Die Zinsen hatten schon vorher auf die Verschlechte- ren war mit ein Auslöser der Weltfinanzmarktkrise rung der Fundamentaldaten der betroffenen Länder 2007/2008. Ein großer Kritikpunkt an den Rating- reagiert. Die Ratingagenturen zogen mit ihren Ra- agenturen ist zudem, dass die zu ratenden Unterneh- tingveränderungen den Zinsänderungen nach. Auch men oder Staaten die Gebühren für ein Rating selbst ist der Schluss zulässig, dass Ratingagenturen eher bezahlen und dadurch im Raum steht, sie würden sich dem Markt folgen und eher später als früher Abwer- damit „Gefälligkeitsgutachen“ kaufen. Grundsätzlich tungen vornehmen würden. Sie hätten auch die Ten- beinhalten Ratings politische und ökonomische Pro- denz optimistischere Ratingurteile zu vergeben. Erst gnosen über die Zukunft, in die sowohl Kennzahlen als die Ratingagenturen sich bewusst wurden, dass als auch persönliche Einschätzung mit einfließen. sie beispielsweise lange für Griechenland zu optimis- Dadurch sind Fehleinschätzungen noch wahrschein- tische Bewertungen vergeben hatten, reagierten sie licher als dies bei reinen Wirtschaftsprognosen der mit rascheren Herabstufungen sowohl für Griechen- Fall ist. Wifo-Fachleute ermitteln einen statistischen land als auch für andere europäische Problemländer. 10 Ratingherabstufungen haben eine Ausweitung des Zinsabstandes in den ein bis drei Monaten nach einer Ratingänderung um ca. 0,3 %-Punkte zur Folge. 14
4 IST EIN STAAT ZAHLUNGSUNFÄHIG, WAS DANN? 71 | Sept. | 2012 4 IST EIN STAAT ZAHLUNGSUNFÄHIG, WAS DANN? In den letzten 200 Jahren gab es rund 90 Fälle von Die Gemeinsamkeiten mit einem zivilrechtlichen, erklärten Insolvenzen souveräner Staaten. Vor dem nationalen Insolvenzverfahren sind: Hintergrund dieser stattlichen Zahl an staatlichen In- 1. Eine einseitige Anspruchsdurchsetzung solvenzen gibt es Rätsel auf, dass sich im internatio- muss wirksam unterbunden werden. nalen Wirtschaftsrecht kein allgemeines Völkerrecht 2. Der Schuldnerstaat darf nicht an nicht der Staatsinsolvenz herausgebildet hat. bevorrechtete Schuldner zahlen. 3. Eine Rangordnung von Forderungen muss Zunächst sollte (rechtlich) zwischen Zahlungsun- erstellt werden. fähigkeit und Insolvenz unterschieden werden. Im 4. Der Schuldnerstaat muss dazu verpflichtet wer- Völkerrecht kann ein Staat lediglich zahlungsunfähig den, einen Umschuldungsplan auszuhandeln. werden. Er kann aber nicht wie ein Unternehmen in- 5. Eine qualifizierte Mehrheit der Gläubiger – solvent werden und in Konkurs „geschickt“ werden. zumindest 75 % – muss erreicht werden, dass Kennzeichen von Insolvenzverfahren sind Fremdver- ein Umschuldungsergebnis verbindlich wird, waltung, Exekution und gegebenenfalls Liquidation. um zu verhindern, dass eine Minderheit von Gläubigern die Umschuldung blockieren können Der Staat ist ein spezieller Schuldner. Unter anderem (Hummer, 2011). dadurch, dass er Bestandsschutz genießt und über das Steuermonopol verfügt, wird ihm grundsätzlich Der (ökonomische) Unterschied eine höhere Bonität eingeräumt. Er hat aber auch ein zwischen Staatsschuldenkrise Leistungsverweigerungsrecht. Wenn ein Staat zah- (Insolvenz) und Liquiditätskrise lungsunfähig ist, liegt die Entscheidung alleine bei Ein Staat ist insolvent, wenn der Barwert11 der Pri- ihm, ob und wie er seine Schulden bedienen will. Dass märsalden (Staatseinnahmen abzüglich der Staats- ein Staat grundsätzlich und dauerhaft die Bedienung ausgaben ohne Abzug der Zinslast) kleiner ist als seiner Schulden verweigert, kommt de facto nicht vor. die gegenwärtigen Staatsschulden. Allerdings ist Dies hätte nämlich zur Folge, dass er sich letztendlich es schwierig vorherzusagen, wie die zukünftigen selbst den Zugang zu den Finanzmärkten nimmt. Primärsalden aussehen. Von einer Liquiditätskrise spricht man, wenn die gegenwärtig ausstehenden Im Jahr 2002 hat der Internationale Währungsfonds Zahlungen für Schuldentilgung nicht mit den ge- einen ersten Entwurf für ein geordnetes Staatsin- genwärtigen Staatseinnahmen abgedeckt werden solvenzverfahren vorgelegt, der allerdings schon ein können, wohl aber in der nächsten Perioden wie- Jahr später keine politische Zustimmung mehr fand. der ausreichend Staatseinnahmen lukriert werden könnten. Die Unterscheidung scheint einfach, in Die Besonderheiten dieses Vorschlags sind: der Realität herrscht aber immer große Unsicher- 1. Nur der Schuldnerstaat hat das Recht (nicht aber heit, ob nun tatsächlich eine Insolvenz vorliegt Dritte), einen Insolvenzantrag zu stellen. oder „lediglich“ eine Liquiditätskrise. 2. Der Schuldnerstaat muss seine Verfügungsbefug- nisse behalten. Er soll nicht von einem Massever- walter „regiert“ werden. 3. Auch der Schuldnerstaat selbst muss einem (ver- handelten) Umschuldungsergebnis zustimmen. 4. Ein Umschuldungsverfahren darf weder eine Exekution noch eine Liquidation als Konsequenz haben. 11 Barwert heißt, dass zukünftige erzielte Primärsalden aufaddiert werden, dabei aber entsprechend abgezinst werden. Im Jahr n+1 wird um den Jahreszins i abgezinst (Primärsaldo erstes Jahr/(1+i)). Im Jahr n+2 wird um das Produkt der zweier Jahreszinse abgezinst (z.B. Primärsaldo des ersten und zweiten Jahres/((1+i)*(1+i))) usw. 15
aktuelle U N TE R L AG E 4 IST EIN STAAT ZAHLUNGSUNFÄHIG, WAS DANN? Während der letzen Jahre wurde im Zusammenhang Allerdings erfolgte Anfang 2012 die Umschuldung mit der Griechenlandkrise erneut die Forderung für Griechenlands ohne eine internationale Insolvenz- ein geordnetes Verfahren zur Schuldenrestrukturie- ordnung in einigermaßen geordneten Verhältnissen. rung beispielsweise durch den Wissenschaftlichen Auch eine Reihe von anderen Schwellenländern haben Beirat des deutschen Wirtschaftsministeriums for- in der jüngeren Vergangenheit ihre Umschuldungen muliert. zumeist rasch ohne eine internationale Insolvenzord- nung abgewickelt. So scheint es, dass ein geordneter Es wurde offensichtlich, dass die No-Bail-Out-Klausel Rechtsrahmen zwar hilfreich ist, aber offenbar noch im EU-Vertrag – kein Mitgliedstaat darf für die Schul- nicht ausreichend für eine erfolgreiche – im Sinne den des anderen einspringen – im Unionsvertrag von geordnet und rasch – Umschuldung ist. nicht glaubwürdig war. Dadurch herrschte Unsicher- heit, in wie weit finanzielle Unterstützung durch an- Aktuell ist vorgesehen, dass im Rahmen des Europä- dere Mitglieder des Euro-Währungsgebietes, der Euro- ischen Stabilisierungsmechanismus (der 2. Genera- päischen Union als Ganzes bzw. durch die Europäische tion des EU-Rettungsschirms), sogenannte Collecti- Zentralbank erfolgen würde. ve Action Clauses (CAC) für Staatsschuldentitel der Mitgliedstaaten ab 2013 formuliert und angewandt Anfänglich standen zudem keine Instrumente wie der werden sollen. CAC sorgen dafür, dass eine Gläubi- EFSF (EU-Rettungsschirm) zur Verfügung. Eine glaub- germehrheit reicht, um das Verhandlungsergebnis würdige No-Bail-Out-Klausel – so die Autoren – hätte für eine Umschuldung zu bestätigen. Damit wird als Ergänzung entsprechend einer Insolvenzordnung voraussichtlich ein (kleiner) Teil einer europäischen bedurft. Insolvenzordnung umgesetzt werden. 5 DIE STAATSSCHULDENKRISE IM EURORAUM 5.1 Entwicklung der Staats Währungsgebiets (Euro-17) vor Beginn der Finanzkrise verschuldungen im Euroraum im Jahr 2007 und dem Jahr 2013 gemäß der Frühjahr- sprognose der EU-Kommission aus dem Jahr 2012. So Zwischen 2007 und 2013 wird sich der Staatsschulden- steigt der durchschnittliche Schuldenstand des Euro- stand in Irland mehr als vervierfacht haben, in Spanien Währungsgebietes von 66,3 % im Jahr 2007 auf 92,6 verzweieinhalbfacht, in Portugal beinahe verdoppelt, % im Jahr 2013. Die Staaten mit den höchsten 2013 in Griechenland und in Zypern um mehr als die Hälfte erwarteten Schuldenständen sind Griechenland erhöht haben. Diese fünf Länder mussten unter den (168,8 %), Italien (121,8 %), Irland (117,1 %), Portugal Euro-Rettungsschirm schlüpfen, da sie am Rande der (107,4 %) und Belgien (100,8 %). Zahlungsunfähigkeit standen. Es drohte, dass sich diese Nach einem durchschnittlichen Haushaltsdefizit Länder nicht mehr auf den internationalen Finanzmärk- des Euro-Währungsgebietes im Jahr 2007 von 0,7 % ten finanzieren konnten. Sie sind jetzt unter einem be- des BIP, schnellte dieses in den beiden Folgejahren sonderen Regime als sogenannte Programmländer.12 auf jeweils 6,3 % hoch. Für 2013 wird ein Absinken Ähnlich dramatisch entwickelte sich die Staatsschuld in auf durchschnittlich 2,9 % erwartet. Die höchste Spanien, die sich mehr als verdoppelte. Neuverschuldung im Jahr 2013 im Euro-Währungs- Die nachfolgende Tabelle zeigt die Entwicklung des gebiet wird in Irland (7,5 %), Griechenland (8,4 %), öffentlichen Schuldenstands und der Neuverschul- Spanien (6,3 %), Niederlande und Slowakei (4,6 %) dung (in % des BIP) aller Mitgliedstaaten des Euro- erwartet.13 12 Programmländer müssen sich als Bedingung für den Erhalt von Hilfsgeldern aus dem EU-Rettungsschirm zu strengen Budgetkonsolidierungsmaßnahmen verpflichten. 13 Am Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise betrug das durchschnittliche Haushaltsdefizit im Eurowährungsgebiet im Jahr 2009 6,3 % und im Jahr 2010 6 %. Im Jahr 2009 betrugen die respektiven Defizite in Griechenland (15,4 %), Irland (14,3 %), Spanien (11,1 %) und Portugal (10,1 %). Die stark ausgeweiteten Defizite waren gemäß EU-Kommission etwa zur Hälfte konjunkturbedingt, der Rest war das Resultat diskretionärer fiskalpolitischer Maßnahmen. Weiters ergab sich ein entsprechender Druck auf die öffentliche Haushalte durch den Rückgang des BIP und damit einhergehenden stark rückgängigen Steuereinnahmen. 16
5 DIE STAATSSCHULDENKRISE IM EURORAUM 71 | Sept. | 2012 HAUSHALTSSALDO UND ÖFFENTLICHER SCHULDENSTAND IM EURO-WÄHRUNGSGEBIET Tabelle 1: Haushaltssaldo und öffentlicher Schuldenstand im Euro-Währungsgebiet; Quelle: EU-Kommission Frühjahrsprognose 2012/2013, *Prognosewerte, #Programmländer 17
aktuelle U N TE R L AG E 5 DIE STAATSSCHULDENKRISE IM EURORAUM 5.2 Ursachen für die Staatsschuldenkrise im Euroraum Ursachen für die Schuldenkrise Auswirkungen der globalen Konstruktionsfehlern Finanzmarktkrise der Währungsunion Hohe Kosten für den Staat durch: Vernachlässigung der Bedeutung - Konjunkturstabilisierung der strukturellen Unterschiede - steigende Zinsen durch Politik und Finanzmärkte für die Staatsschuld - Rettung von Finanzinstituten Nichtbeachtung der Fiskalregeln und Kosten der Transparenzvorschriften Stabilisierungsmaßnahmen steigende fiskale/ steigende fiskale makroökonomische Ungleichgewichte Ungleichgewichte sinkende Glaubwürdigkeit Abbildung 7: Ursachen für die Schuldenkrise Die Ursachen für die Staatsschuldenkrise stellen eine ■ Die niedrigen (realen) Zinssätze trugen ebenfalls Mischung dar aus Konstruktionsfehlern der Wäh- zu einer übermäßigen Verschuldung des privaten rungsunion, der Vernachlässigung der Bedeutung Sektors insbesondere in Mitgliedstaaten, welche struktureller Unterschiede innerhalb der Währungs- vor Beitritt zur Währungsunion über wesentlich union, der Nichtbeachtung von Fiskalregeln und höhere Zinsniveaus verfügten. Transparenzvorschriften und zu einem guten Teil die ■ Bei der Überwachung im Rahmen des Stabilitäts- Auswirkungen der Finanzmarktkrise 2007/2008: und Wachstumspaktes wurde der Fokus zu stark auf die öffentlichen Finanzen gelegt. Makroökono- ■ Wie bereits zuvor erwähnt trug die massive globa- mische Ungleichgewichte in anderen Sektoren der le Finanzmarktkrise über mehrere Kanäle – hohe Wirtschaft wurden zu wenig beachtet, obwohl in Kosten der automatischen Stabilisatoren, hohe einigen Staaten der reale Sektor den Grundstein für Zinskosten, direkte Kosten der Stabilisierungs- die öffentlichen Haushaltsungleichgewichte legte. maßnahmen im Finanzsektor – beträchtlich zu ■ Die europäische Statistikbehörde Eurostat hatte den steigenden fiskalen Ungleichgewichten bei. nicht ausreichend Zugriff auf die statistischen Da- ■ Die Mitgliedstaaten der Währungsunion haben ten der Mitgliedstaaten, was dazu führte, dass sich nur zum Teil die durch die Währungsunion an sich Eurostat bei der Berechnung und Überprüfung der notwendigen politischen Beschränkungen ak- Haushaltsdaten auf unzureichende Grundlagen in zeptiert. So wurde die Regeln des Stabilitäts- und der Vergangenheit stützen musste. Die Akzeptanz Wachstumspaktes in der Vergangenheit mehrfach von statistischen Falschmeldungen war die Folge. nicht eingehalten. Mit der Konsequenz, dass da- ■ Die No-Bail-Out-Klausel in der Währungsunion war durch die fiskalischen Ungleichgewichte verstärkt nicht glaubwürdig. Die Märkte rechneten damit, wurden. dass die Mitgliedstaaten für einen anderen Mit- gliedstaat in einer finanziellen Schieflage einsprin- 18
5 DIE STAATSSCHULDENKRISE IM EURORAUM 71 | Sept. | 2012 gen würden. Die Finanzmärkte testeten die Euro- die Altkunden ihren Einsatz zurückverlangen päische Union solange, bis mit der Etablierung des bricht das System zusammen. Euro-Rettungsschirmes (EFSF mit der Nachfolgere- ■ Wenn die Staatsgläubiger, wie im Fall von gelung ESM) eine Finanzierungsfazilität mit einer Charles Ponzi, die Gläubiger das Ponzi-Spiel er- hohen finanziellen Kapazität zur Verfügung stand. kennen, stellen sie jede weitere Kreditvergabe unabhängig von Zinshöhe ein. Typisierter Verlauf ■ Das Erreichen der Steuerschranken und der Aus- einer Staatsschuldenkrise schluss von den internationalen Finanzmärkten führen zur staatlichen Zahlungsunfähigkeit Die Entstehung einer Staatsschuldenkrise folgt oft und damit zur Staatsschuldenkrise. einem bestimmten Muster: ■ Regierungen setzen Projekte um, die aus laufen- 5.3 Die Programmländer Griechen- den Steuereinnahmen nicht finanzierbar sind. land, Portugal, Irland , Spanien und Beispielsweise wenn der öffentliche Dienst Zypern dauerhaft ausgeweitet wird, ohne dass dafür ausreichend Steuereinnahmen vorliegen. ■ Griechenland ■ Zur Projektumsetzung aufgenommene Schul- Am 20. Oktober 2009 musste die griechische Re- den werden nicht getilgt, weitere Schulden gierung die Korrektur falscher Schuldendaten be- werden aufgenommen. kanntgeben. Beginnend mit der Hilfszusage der EU ■ Primärüberschüsse drehen in Primärdefizite. Ende März 2010 konnte ein starkes Ansteigen der Zur Bedienung der Zinsen für die Staatsschuld Risikoprämien auf griechische Anleihen beobachtet wird eine zusätzliche Neuverschuldung einge- werden (Abbildung 8).14 Der IWF, die Europäische gangen. Kommission und die Europäische Zentralbank be- ■ Hohe fremdfinanzierte Zinsen für die Neuver- schlossen gemeinsam das erste Finanzpaket für Grie- schuldung werden versprochen. In der nächs- chenland in der Höhe von 110 Mrd. Euro. Unter einer ten Periode verschuldet sich der Staat, um strengen Konditionalität stellte der IWF Paket in der nicht nur denselben Primärüberschuss wie Höhe von 30 Mrd. und die Mitgliedstaaten des Euro- in der Vorperiode zu finanzieren, sondern auch Währungsgebietes 80 Mrd. Euro zur Verfügung. Grie- noch die Zinsen auf die in der Vorperiode auf- chenland musste sich verpflichten, das Budgetdefizit genommene Schuld. Die neu aufgenommenen von 13,6 % des BIP im Jahr 2009 auf 3 % bis zum Jahr Schulden decken also in jeder Periode den Pri- 2014 zurückzuführen. märüberschuss und die Zinsausgaben auf den Schuldenstand ab. Ein solches Verhalten wird Insbesondere angesichts der negativen Wachstumsper- in der Literatur als Ponzi-Spiel bezeichnet, be- spektiven der griechischen Wirtschaft – damit einher- zugnehmend auf die Geschäftsgebaren von gehend der große Druck auf die Staatsausgabenseite Charles Ponzi, der in den 1920er Jahren in den und drastisch fallende Steuereinnahmen – kam es seit USA ein Schneeballsystem aufbaute, mit wel- Ausbruch der Schuldenkrise zu einem weiteren massi- chem er am Ende 4,3 Millionen Dollar Verluste ven Anstieg der Schuldenstandsrate ausgehend bereits anhäufte. Neukunden wurde eine ungewöhn- von einem sehr hohen Schuldenstandsniveau. Zwischen lich hohe Rendite angeboten, wodurch neue 2009 und 2011 sank das reale Wirtschaftswachstum von Kunden angelockt wurden. Mit den Einzahlun- -3,2 auf -6,9 %. Innerhalb von nur zwei Jahren stieg die gen der Neukunden wurden die Altkunden aus- Schuldenstandsrate von 129,3 % des BIP (2009) auf 165,3 bezahlt. Wenn die Neukunden ausbleiben und % des BIP (2011). Die Primärdefizite sanken im gleichen Zeitraum von -10,6 % auf -2,4 % des BIP.15 14 Das Ansteigen der Risikoprämien dürfte im Zusammenhang mit Zweifeln an der Bereitstellung ausreichender Mittel für Griechenland und Zweifeln an der Erfüllung der Haushaltsauflagen zu sehen sein. 15 Wie schon weiter oben erwähnt sind Primärdefizite ein Hinweis auf eine instabile Verschuldungssituation, insbesondere dann wenn sie so ausgeprägt sind, wie im Falle Griechenlands. 19
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