Alte Wiehler Plakate 1978 - Zeitschrift von Senioren für alt und jung
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Dezember | Januar | Februar Zeitschrift von Senioren für alt und jung 24. Jahrgang – Ausgabe 4 | 2021 Alte Wiehler Plakate 1978
2 | Inhalt & Impressum Zum Titelbild | 3 Das Wiehler Heimatfest Inhalt Seite Impressum An das Plakat auf der Titelseite dieses Heftes aus Das Fest selber dauerte immer drei Tage. Abends Herausgeber: Das Wiehler Heimatfest 3 dem Jahre 1978 kann ich mich persönlich nicht traf man sich am Bismarckturm, wo die Vereine Stadt Wiehl OASe (Offene Arbeit für Senioren) erinnern, weil wir nämlich erst Ende desselben in Buden und Theken aufgebaut hatten und für das Wiehl eingezogen sind. Aber bereits zwei Jahre leibliche Wohl sorgten. Kulturell trugen Gesang- Meine Halbkammgarn Handspinnerei 4 Redaktion: später haben wir den Umzug durch die Stadt und vereine, wie der Wiehler Männerchor, zur Unter- Brigitte Brandl, Brigitte Kempkes, zur Engelhardt hinauf mitgemacht. Das Motto haltung bei. Manfred Merck, Ingrid Pott, hieß damals „Wiehl im Wandel der Zeiten“. Unsere Gerhard Schulze, Jutta Weins Steckbrief Jutta Weins 5 Dorfgemeinschaft von Hübender hat nach meinem Für einen üblen Nachgeschmack sorgten marodie- Redaktionsleitung: Entwurf einen Wagen mit der Tropfsteinhöhle ge- rende Banden, die zu später Stunde auftauchten Elke Bergmann baut und auf einem Transparent stand „Die Urein- und alle Biergläser zertrümmerten. Ab da gab es Alles digital – Die techn. Entwicklung der letzten 70 Jahre 6 wohner von Wiehl“. Die Fußgruppe trug Kostüme nur noch Plastikbecher. Redaktionsanschrift: aus Sackleinen und Knochen um den Hals. -OASe- Stadt Wiehl Homburger Straße 7 Aber im Großen und Ganzen war es eine schöne Schönheitsideale verschiedener Kulturen 7 Die Umzüge fanden alle zwei Jahre statt. Beim Zeit und wir haben bei den Wiehler Heimatfesten 51674 Wiehl Tel. 02262 / 6928876 nächsten Umzug haben wir die Geschichte von viel Spaß gehabt. Brauchen wir eine Pandemie, um Fax 02262 /6918918 Max und Moritz demonstriert. Dirk Idel saß an der achtsam miteinander umzugehen? 13 www.wiehl.de Orgel von Lehrer Lempe und auch das Haus mit oase@wiehl.de dem Schornstein fuhr mit. Wochenlange Vorberei- Redaktionsschluss: 10.01.2022 tungen und Kostümschneidereien gingen voraus. Gerhard Schulze Neues von Familie Feidemer 14 Layout & Druck: Welpdruck GmbH Gedanken über mein Lieblingsbuch 14 Tel. 0 22 62 / 72 22 - 0 www.welpdruck.de Nächste Ausgabe: 21.02.2022 In der Winternacht Es wächst viel Brot in der Winternacht, Weil unter dem Schnee frisch grünet die Saat; Erst wenn im Lenze die Sonne lacht, Spürst du, was Gutes der Winter tat. – Auflage: 800 Stück – erscheint vierteljährlich – kostenlos. Liegt aus: im Rathaus, Sparkassen u. Volksban- Und deucht die Welt dir öd’ und leer, ken, im Johanniter-Haus Wiehl, bei verschiede- nen Ärzten u. Apotheken, im Haus Nr7 (OASe- Und sind die Tage dir rau und schwer: u. BieNe-Treff Bielstein), in den evangelischen Gemeindehäusern Marienhagen, Oberwiehl, Sei still und habe des Wandels acht; Drabenderhöhe u. Weiershagen, der Ev. Kirche Oberbantenberg u. Bäcker Kraus Oberbantenberg. Es wächst viel Brot in der Winternacht. Die Redaktion behält sich das Recht vor, Beiträge zu kürzen. Diese geben die Meinung des jeweili- gen Verfassers wieder, nicht die der Redaktion. Friedrich Wilhelm Weber Die Redaktion dankt allen, die durch Beiträge, Anregungen und mit guten Ratschlägen zum Gelingen der „Info-OASe “ beigetragen haben. Jedes zweite Jahr veranstaltete der Wiehler Heimatverein anlässlich des Heimatfestes einen farbenprächtigen Festumzug, der Tausende Menschen von nah und fern anzog (hier 1981).
4 | Handwerk Ich mag... | 5 Meine Halbkammgarn Handspinnerei von Manfred Merck erstellung, Dehnbarkeit, Reißfestigkeit, Drehung H und Verzwirnung des Fadens. Manche Garne müs- sen auch filzfrei, licht- und waschecht sein. Alle An- Liebe Leserinnen und Leser, Nun folgen das Mischen und Egalisieren der einzel- forderungen an ein Garn werden in der Industrie in der letzten Ausgabe dieses Heftes haben wir nen Waschpartien. Hierzu nehme ich nacheinander im Labor durch mikroskopische, mechanisch-tech- über die Sortierung der Schmutzwolle sowie über vier Vliese aus verschiedenen Körben und zertei- nologische und textilchemische Untersuchungen das Waschen und Trocknen der Wollfasern gespro- le sie in je vier Strähnen und bilde so vier Häuf- geprüft und festgelegt. Das Labor begleitet die chen. Aber nun stehen sie da, die Körbe mit der chen zu je vier Strähnen. Jedes Häufchen wird nun Einhaltung der Werte während der Produktion. bauschigen weißen Wolle. Worauf sollen wir noch wieder zu einem Vlies zusammengefügt, indem Und was können wir Handspinner tun? Wir sollten warten? Also fangen wir mit der weiteren Bearbei- jede Strähne auf die Arbeitsbreite der Karde aus- uns zumindest einen Überblick über die Faserlänge tung an. einandergezogen wird. Aus diesem dünnen Woll- und die Faserfeinheit verschaffen. schleier lassen sich nun mühelos Faserverklebun- Kardieren der gewaschenen Wolle nach meiner gen, Noppen, Pflanzenteile usw. mit der Pinzette Herausfinden der Stapellänge nach meiner Me- Methode entfernen. Die Ablage des Vlieses erfolgt wieder thode Manche Handspinner kardieren die Wolle unmit- im Korb. In der Regel ist es für die Vergleichmäßi- Bei der Zusammenstellung einer Spinnpartie muss telbar bevor sie gesponnen wird auf einer beson- gung des Wollvlieses ausreichend, wenn der Vor- auch auf die Ausgewogenheit des Faserstapels ge- ders geformten Handkarde und erhalten damit ein gang ca. zwei bis dreimal wiederholt wird. Beim achtet werden. Gradmesser für den technischen aufgelockertes wattiges Ergebnis. Das geht nur, letzten Durchgang wiege ich die vier Strähnen und Spinnwert ist die Durchschnittslänge sämtlicher wenn wenig Wolle zur Verarbeitung gelangt. Au- bringe sie auf ein einheitliches Gewicht von 24 bis Fasern, der sogenannte Mittelstapel als Träger der ßerdem ist die Arbeit mit der Handkarde nicht nur 25 Gramm. Nach dem Kardieren wird das Vlies in Garnfestigkeit. Der genaue Mittelstapel wird in recht anstrengend, sondern die Fasern werden bei der Länge gefaltet und mit Kopfbildung abgelegt. der Industrie im Labor durch verschiedene Meßme- falscher Handhabung auch erheblich gekürzt. Bei Wenn die gesamte Partie durchgelaufen ist, wer- thoden ermittelt. Aus der Häufigkeit bestimmter Ich bin Jutta Weins und seit vielen größeren Mengen empfiehlt sich daher eine Trom- den die einzelnen Vliese in Tüten verpackt und mit Faserlängen lässt sich rechnerisch der Mittelstapel melkarde, die es in mehreren Ausführungen gibt. der Waschpartienummer und dem Gewicht verse- ermitteln. Eine angenäherte Bestimmung des Mit- Jahren ehrenamtlich in verschiedenen Die Erfahrung mit meiner Karde (Streichkarde mit hen dem Lagerbestand zugeführt. telstapels erhält man in der Praxis auch durch Zie- Bereichen in der OASe tätig. feinerem Kratzenbelag) hat gezeigt, dass das Woll- hen eines Handstapels und einfache Schätzung. Bei vlies umso schöner und gleichmäßiger wird, wenn jeder neu kardierten Partie ziehe ich aus dem Vlies Alles mache ich mit großem nicht zu viel Material in den Nadeln der Trommel- eine Stapellänge Fasern auf ein schwarzes Brett. karde liegt. Von der getrockneten und gezupften Hierbei kann man erkennen, dass die längsten Fa- Vergnügen. Wolle wiege ich deshalb nur ca. 20 bis 25 Gramm sern zahlenmäßig nicht so häufig sind und die Fa- auf einer Waage ab. Diese Menge wird nun Stück sermenge zunimmt, je kürzer die Fasern werden. für Stück der Faserlänge nach und hintereinander Gleichzeitig werden auch die Kräuselungen und Hier mein Kurzportrait: in die Karde eingezogen, wobei die gesamte Ar- die Faserfeinheit, insbesondere der Unterhaare, beitsbreite ausgenutzt wird. Wenn so verfahren sichtbar, die für die Qualitätsbestimmung (Weich- Liebings… wird, lässt sich das Wollmaterial schonend kardie- geit, Geschmeidigkeit, Füllkraft und Griff) des Gar- ren. Nach dem Durchlauf der abgewogenen Men- nes wichtig sind, Vermischungen nicht passender Essen: alle Gemüsesorten ge wird das erhaltene Vlies in der Längsrichtung in Stapellängen (Häufung von zu vielen Fasern an ei- drei bis vier Strähnen zerteilt und nochmals, indem ner Stelle) führen zu keinem guten Garnergebnis. Süßes: Käsekuchen jede Strähne auf die Arbeitsbreite auseinanderge- Nach der letzten Passage wird das kardierte und gereinigte Das Wissen um diese zusammenhänge erleichtert zogen wird, auf kardiert. Danach erfolgt die Abla- Vlies mit Kopfbildung versehen und anschließend in den das Handspinnen erheblich. (Fortzetzung folgt) Getränke: Tee, Säfte, Vin Santo ge des Vlieses in einem Korb. Die Bearbeitung bis Lagerbestand übernommen hierhin nenne ich: ,,Öffnen der Wolle.“ Blumen: Gerbera, Sonnenblume Das die Wolle nur im Lager liegt, ist nicht sinnvoll. Ich muss mir schon vorher Gedanken über die wei- Farben: Pastellfarben tere Verwendung machen. Einen Faden herzustel- len ist jedenfalls das Ziel, aber für welche Zwecke? Reiseziele: Vinci, Florenz, Rom, diverse wei- Die Materialien für Garne werden grundsätzlich tere Städte Italiens, Insel Rügen immer für spezielle Erfordernisse zusammenge- stellt, zum Stricken, Wirken, Häkeln, Weben, Gar- Hobby: Musik (Klassik von A bis Z) ne für Kette und Schuss, Deka- und Möbelstoffe, Stoffe für Mode, Dienstkleidung, Polizei, Militär Bücher: Biografien aus Kunst-, Musik- und und vieles mehr. Der innere Anspruch an ein Garn Zeitgeschichte bezieht sich auf die Auswahl der Fasern, aus dem Abgewogene Wollmenge, die Stück für Stück auf die ganze tierischen, pflanzlichen und chemischen Bereich Sport: recken und strecken auf dem Sofa Breite der Karde verteilt wird. und deren Mischungen, sowie auf die Art der
6 | Neue Zeit Geschichte | 7 Alles digital – Die Ohne Smartphone zu leben ist in der heutigen Zeit kaum denkbar. Bankgeschäfte, tägliche Einkäufe, Schönheitsideale verschiedener Kulturen technische Entwicklung Transaktionen und dergleichen wären gar nicht mehr möglich. Es gibt viele Möglichkeiten alles in Nicht immer, ist das, was dem Menschen gefällt Griechische und Römische Antike der letzten 70 Jahre kürzester Zeit zu erledigen. Die Nutzer sind sowohl von Dauer. Vielmehr ändert sich das Empfinden für In der griechischen Klassik hatte der ideale Körper ganz junge Teilnehmer, aber auch viele Senioren, Schönheit im Laufe der Geschichte. harmonische Proportionen und sollte weder zu für die es allerdings oft nicht leicht ist. Trotzdem ist dick noch zu dünn sein. Darstellungen der griechi- das Handy eine große Erleichterung. schen Göttin der Schönheit und Liebe Aphrodite Altes Ägypten können als Verkörperung eines klassischen Ideals Aber auch andere Geräte wurden kleiner und all- Gepflegte Schönheit war eine der Arten, wie sich gelten. An Statuen wie der Venus tagstauglicher, wie z. B. der Computer. Mit einem die Elite von der Unscheinbarkeit der unteren Be- von Milo wird ersichtlich, dass dieser kleinen Geräte kann man heute die Arbeit völkerungsschichten absetzte. ideale Frauenfiguren eher eines gesamten Büros bestreiten. Über diese Ma- kleine, aber feste Brüste, schine läuft die komplette Korrespondenz, beruf- Beide Geschlechter wurden in der Regel schlank dazu ein wohl geformtes lich und privat. Ich denke zwar manchmal, dass und jugendlich dargestellt, mit schwarzem lan- Becken hatten. An männ- dadurch vieles unpersönlicher geworden ist, aber gem Haar, schmalen Augenbrauen und schwarzem lichen Idealfiguren gab es naja... Immerhin sind dadurch auch neue Berufe Lidstrich. Männer, die in Gemälden häufig eine verschiedene Typen: einer- und Arbeitsplätze entstanden. rötlich braune Hautfarbe haben, wurden oft mit seits den jugendlichen Ath- Lendenschurz, muskulösem nacktem Oberkörper leten, wie er im Extrem von Jeder kennt es noch: Das Telefon in den 70er Jahren. und deutlich sichtbarem Bizeps gezeigt. Frauen da- Herkules verkörpert wird; (Foto: Bran in Wikipedia) gegen haben hellere, gelbliche Haut. Ihre Körper- aber auch etwas ätherische, formen mit zarten Schultern, schmaler nach oben feine Typen, wie man sie in verlagerter Taille und langgezogener Hüftpartie Bildnissen des Apollon dar- Nach dem schrecklichen zweiten Weltkrieg wurde werden unter ihrer eng anliegenden durchschei- stellte. Fettleibigkeit hatte Deutschland in West und Ost geteilt. Schwere Jah- nenden Kleidung stark betont. Alte, kranke und keinen negativen Beiklang, re, mit vielen Entbehrungen machten das Leben als hässlich geltende Menschen wurden nur selten sie galt im Gegenteil als manchmal fast unerträglich. Vor allem war die so- dargestellt. Untersuchungen an Mumien belegen Zeichen von Wohlstand. genannte „schlechte Zeit“ geprägt von Unsicher- jedoch, dass die Realität mit dem Ideal nicht immer heit und schwerer Arbeit. Doch schon bald kamen übereinstimmte. Sowohl in Griechenland als Dinge auf den Markt, die das Leben leichter und auch in der römischen An- auch schöner machten. Und sie machten unser Le- tike war gewelltes und ge- ben interessanter. Niemand hätte das einige Jahre locktes Haar beliebt. vorher gedacht. Eine Neuerung der letzten Jahrzehnte will ich nicht vergessen, nämlich den Fernseher. Es gab ihn zwar Wir alle wunderten uns, was kluge Leute so alles schon seit den 1920er Jahren, galt aber lange als Mittelalter erfanden und vor allem die Hausfrauen merkten Luxusgut. Erst ab den 1970 Jahren hatte fast jeder Das Früh- und Hochmittelalter war stark von den schnell, dass sie es nun bequemer hatte: Sie muss- Haushalt einen und heute ist er nicht mehr weg- geistigen Idealen des Christentums geprägt, und te nur noch Schlüssel drehen, Hebel bedienen zudenken. Anfangs hatten wir zwei Programme Darstellungen nackter Menschen kommen kaum und Knöpfe drücken. Durch die Erfindung dieser und um 22 Uhr war Schluss. Aber die technische vor. Die Mode bestand jahrhundertelang für bei- „Wunderdinge“ wurden außerdem viele Arbeits- Entwicklung ging weiter und heute ist es normal, de Geschlechter in langen Gewändern, die relativ plätze geschaffen. Waschmaschinen, Geschirrspü- wenn man 24 Stunden Programm mit hunderten bequem und weit geschnitten waren, und die Kör- ler, Radio, kleine Küchenmaschinen…, unser Leben von Sendern hat. performen weitgehend verdeckten. Doch soweit begann in vielen Dingen ganz neu zu entstehen. es sich erkennen lässt, war das mittelalterliche Großes Staunen rief hervor, dass man Türen, Tore Aber nicht nur im Haushalt war die technische Ent- Schönheitsideal für beide Geschlechter eine natür- und Autos wie von Geisterhand öffnen konnte. wicklung rasant. Eine moderne Medizin wäre ohne liche Schlankheit. Schwups, schon saß man im warmen Auto. die technischen Diagnose- und Operationsgeräte nicht denkbar. Wo wären wir ohne all diese Tech- Die Erfindung von Knöpfen ermöglichte engan- Das tragbare Telefon, dieser unförmige, große nik? Wir sind im digitalen Zeitalter angekommen: liegende Kleidung. Die ideale weibliche Schönheit Kasten, gewann an Bedeutung (hatte da jemand Alles läuft automatisch, per Internet und Smart- des späten Mittelalters war mädchenhaft schlank die Schnur vergessen?). Es dauerte nicht lange, da phone. Wo ist die Zeit geblieben? Mittlerweile mit leicht gerundeten Schultern und kleinen, fes- wurde der große Kasten klein und handlich: Man waren die Menschen auf dem Mond und auch das ten Brüsten. Wenn man den Madonnen und ande- konnte spazieren gehen und gleichzeitig mit sei- wird nur ein Zwischenschritt sein. ren Figuren der gotischen Kunst Glauben schenken nen Liebsten per Handy, so hieß es dann ja, telefo- darf, scheint bei Frauen vor allem im 14. und 15. nieren, unsere Eltern glaubten wahrscheinlich, das Jahrhundert, eine S-Linie modern gewesen zu sein: sei Hexerei. Brigitte Kempkes Trotz einer sehr schmalen, hochsitzenden Taille
8 | Geschichte Geschichte | 9 und schmalen Hüften sollte der Bauch auffällig Mund weder zu klein noch zu groß und kirschrot. Bauch haben, aber schöne Beine und besonders nach vorne gerundet sein, der Rücken durchgebo- Die Augen hat man am liebsten dunkelbraun. Der Waden waren aufgrund der Kniehosen mit anlie- gen. Dies wird von heutigen Betrachtern zuweilen Mann der Hochrenaissance (erste Hälfte 16. Jahr- genden Seidenstrümpfen nach wie vor ein Trumpf, als Zeichen einer Schwangerschaft gedeutet, hat- hundert) ist kräftig und muskulös – breite Schulter- und wurden mithilfe von zierlichen Schuhen mit te aber nichts damit zu tun. Vielmehr war ein ge- polster und Puffärmel unterstützen optisch diese Schnallen oder Schleife und hohen Absätzen auch wölbter Bauch teilweise noch bis in das frühe 17. Tendenz. Er trägt auch (Voll-)Bart und im Allge- besonders vorteilhaft zur Geltung gebracht. Jahrhundert ein Zentrum der erotischen Aufmerk- meinen kurzes Haar (mit Ausnahmen vor allem bei samkeit. Die mittelalterliche weibliche Schönheit jungen Männern). Die männliche Renaissance-Mo- Wie schon in den Jahrhunderten (bzw. Jahrtau- hatte eine weiße Haut – allein deshalb, weil Frau- de mit enganliegenden Beinkleidern stellt auch senden) zuvor, war im gesamten 17. und 18. Jahr- en normalerweise zuhause waren, und die Farbe gewisse Anforderungen an schöne Beine. hundert weiße Haut modern, dunkles Haar galt Weiß Reinheit, Keuschheit und Jungfräulichkeit bei Frauen als schön. Männer trugen im Frühba- symbolisiert – dabei rosa Wangen und einen eher rock oft gezwirbelte Schnurrbärte und Spitzbärte, kleinen, roten Mund. Junge unverheiratete Frauen Barock und Rokoko die jedoch nach und nach kleiner wurden, bis um trugen ihr Haar gewellt, geflochten oder hochge- Nach allgemeiner Ansicht standen im Frühbarock 1650/1660 nur noch ein kleiner dünner Schnurrbart steckt. Auch bei Männern war zum Teil kinn- oder üppige Formen bei Frauen hoch im Kurs, die Mode stehenblieb, der um 1680 auch noch verschwand. schulterlanges Haar modern. zur Zeit des dreißigjährigen Krieges (1618–1648) Von da an war das glattrasierte Gesicht für den kam jedenfalls bei beiden Geschlechtern einem fül- Mann über 100 Jahre lang Pflicht. Im 15. Jahrhundert wurde das Ideal bei Frauen und ligeren Körperbau sehr entgegen, da nun große, Männern ausgesprochen schlank und elegant, was weich drapierte Stoffmengen und hoch angesetzte Im Barock liebte man langes lockiges Haar, sowohl von der Mode auch betont wurde durch schmale Taillen modern wurden (selbst bei Rüstungen!), die bei Frauen, als auch bei Männern. Da diese Mode Taillen, enggeknüpfte Gewänder und bei den Her- einen Hang zur Korpulenz kaschieren oder sogar bei Männern immer extremer wurde und durchaus ren durch lange enge Beinkleider, die vor allem vortäuschen konnten. nicht ganz unproblematisch war (wegen der Ten- vom jungen Mann wohlgeformte Beine erforder- denz zur Glatzenbildung), kam unter Ludwig XIV. ten. Eines der auffälligsten weiblichen Schönheits- Doch spricht vieles dafür, dass derart ausladende um 1670 die Allongeperücke auf, die eine überbor- ideale sowohl in der burgundischen Mode als auch und kräftige weibliche Figuren eher ein individu- dende und lange Lockenpracht vortäuschte. in Italien war die hohe Stirn: Man rasierte oder elles – oder vor allem für Flandern und die Nieder- zupfte sich die Haare am Haaransatz aus. Der ele- lande geltendes – Ideal waren, und keineswegs als gante burgundische (oder französische) Mann trug allgemein geltendes Schönheitsideal gelten kön- 19. Jahrhundert das Haar in einer Art „Topfschnitt“ sehr kurz, an nen. Nach 1790, also ab der französischen Revolution, den Seiten über den Ohren und teilweise auch im kamen Perücken und selbst das Korsett aus der Nacken ausrasiert. Ab mindestens 1660 begann man in der elegan- Mode, die Taille rutschte nach oben, die Kleider ten französischen Mode unter Ludwig XIV., sehr wurden schmal. Doch war das Schönheitsideal ge- Später war auch gelocktes, langes Haar ein Attri- schmale Taillen zu bevorzugen, die mit allzu gro- rade wegen der Natürlichkeit (!) nach wie vor ein but des schönen, jungen Mannes, genauso wie ßer Leibesfülle in der Realität nicht zu vereinbaren schlanker und wohlgeformter Leib, der jedoch nicht helle Haut – aber weniger als Zeichen einer edlen, waren; die Silhouette war nun sogar insgesamt mager sein sollte, mit „wohlgeformten“ Schultern müßigen Lebensart als vielmehr in Anlehnung an ziemlich schlank und hoch, auch der Rock zwar in und Busen, und nach wie vor weiße Haut. die Engels-Gestalten in der religiösen Kunst. Die den Hüften etwas gebauscht, aber insgesamt nicht (z. T. mit Ochsenblut) als auch exzessiven Sport be- ideale männliche Figur hatte breite, sehr aufrechte besonders weit. Allerdings sollte gleichzeitig der Zur Zeit von Restauration und Biedermeier um inhaltete, der besonders für eine Frau ihrer Zeit Schultern (die oft ausgestopft und optisch verbrei- Busen wohlgeformt (aber nicht zu groß) und die 1820 bis 1850 waren ausgesprochen komplizierte vollkommen ungewöhnlich war. tert wurden); eine nach vorne geschwellte Brust; Schultern und Arme rund und weich sein – sichtba- Frisuren mit seitlichen Locken und hochgestecktem eine sehr schmale Taille, die geschnürt (!) wurde re Schulterknochen wurden als ‚mager‘ eingestuft Haar modern und auch Korsett und Reifrock – also Im 19. Jahrhundert wurde der Unterschied der Ge- und die breiteren Schultern noch deutlicher zur und waren nicht erwünscht. Überhaupt wurde die übersteigert weibliche Sanduhr-Figur – kamen schlechter besonders stark betont, dadurch dass es Geltung brachte; schmale Hüften, lange schlanke sehr viel Wert auf die Schönheit von Hals, Dekol- in etwas anderer Form wieder in Mode. bei den Herren zunehmend als unmännlich galt, Beine und große Füße, die durch das Schuhwerk leté, Armen und Händen gelegt, da diese in der sich allzu sehr herauszuputzen. Im Gegensatz zu optisch verlängert wurden. Mode zwischen ca. 1630 und 1790 zum großen Teil Aus dem 19. Jahrhundert sind einige bedenkliche den Damen wurde die Herrenmode schon nach der unbedeckt und ständig zu sehen waren. Fälle von auf die Spitze getriebener Schlankheit be- Revolution praktischer, einfacher, die Farben dunk- kannt: So löste der Fall einer 23-jährigen Dame der ler – ein Einfluss des Bürgertums, das sich auch vor Renaissance Ab Mitte des 17. Jahrhunderts wird also für fast Pariser Gesellschaft Entsetzen aus, die man gera- der Revolution schon weniger farbenfreudig als Die ideale Frauenfigur der Hochrenaissance ist drei Jahrhunderte die „Sanduhrform“ zum Zeichen de noch wegen ihrer schmalen Taille bewunderte, der Adel präsentiert hatte. tendenziell etwas fülliger (aber nicht dick), hat der idealen Weiblichkeit, die in dieser Extremform als bekannt wurde, dass sie nur zwei Tage später aber nur einen kleinen bis moderaten, hochsit- nur mithilfe von stark geschnürten Korsetten mög- verstarb, weil durch das starke Schnüren des Kor- Im 19. Jahrhundert kam es zu einer Blüte des Mili- zenden Busen. Im Gesicht werden kleine Zeichen lich wurde. setts ihre Leber von drei Rippen durchbohrt war tärs, und Herren aus Adelskreisen trugen sehr oft der Wohlgenährtheit, wie etwa ein ganz leichtes (!). Auch die österreichische Kaiserin „Sissi“ betrieb Uniformen, die auch in der Taille leicht geschnürt Doppelkinn, durchaus geschätzt. Die Haut sollte Im Gegensatz zu den Frauen und zu anderen Epo- einen wahren Schönheitskult, der viele Stunden waren. Männer hatten vorwiegend kurzes Haar, schneeweiß sein, die Wangen leicht gerötet, der chen durfte der barocke Herr gerne ein wenig am Tag beanspruchte, und sowohl rigide Diäten dafür kamen ab den 1830er Jahren nach mehreren
10 | Damals... und heute | 11 Jahrhunderten Pause auch wieder Vollbärte auf – anlagung besitzen, sich auf ein Gewicht herunter- zum Teil in beachtlicher Größe und Länge. hungern, das weit unter ihrem gesunden Idealge- wicht liegt. Dies kann zu tragischen Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie führen. 20. Jahrhundert] Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzt eine aus Amerika importierte sportliche Bewegung ein, 21. Jahrhundert durch die nach und nach einen grundlegenden Seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts und Wandel in der Wahrnehmung des Körpers bewirk- noch mehr zu Beginn des 21. Jahrhunderts begann te. Hinzu kommen gesundheitliche Überlegungen sich das Schönheitsideal abwechslungsreicher zu und emanzipatorische sowie revolutionäre Bestre- gestalten, wie viele andere gesellschaftliche Ideale bungen, die das ganze 20. Jahrhundert bestimmen auch. Verantwortlich dafür ist auch eine kulturel- sollten. Dazu gehört auch eine gleichzeitig im- le Globalisierung. So bietet die Welt des Films und mer stärker werdende öffentliche Badekultur mit Fernsehens Einblick in verschiedene Kulturen und Urlaubsreisen an die See – und mit einer immer Menschentypen. So gab es zu Beginn des 21. Jahr- freizügiger werdenden Bademode, die in der Er- hunderts eine Welle der Begeisterung für indische findung und Verbreitung (nach 1950) des anfangs „Bollywood-Filme“, in der sich eine Begeisterung als schamlos geltenden Bikini und der Freikörper- für exotische Schönheit zeigt. Solche Entwicklun- kultur (FKK) gipfelt. Der menschliche Körper wird gen wurden und werden gleichzeitig durch die also im 20. Jahrhundert plötzlich in einem Maße modernen Reise-Möglichkeiten gefördert, die es öffentlich sichtbar, ja es entsteht eine Körperbe- relativ vielen Menschen ermöglichen, mit fremden tontheit, die zwangsläufig auch Auswirkungen auf Ländern und Kulturen und der Schönheit der dort die Welt der Schönheitsideale hat. lebenden Menschen noch direkter in Berührung zu Jugendbewegung das Ideal eines schlanken, ju- – die sich mit dem leicht vulgären Image der fast kommen. Hinzu kommt die Durchmischung auch Doch nach der Jahrhundertwende (im Grunde je- gendlichen, durch Sport geformten Körpers aus- ausschließlich auf Sexualität und Verführung von der europäischen Länder mit Emigranten verschie- doch erst nach 1910) kommt zunächst das Korsett zubreiten. Dies wurde – neben der „Blond und Männern ausgerichteten Sexbombe meist auch gar denster Herkunft. langsam außer Gebrauch, nachdem schon lange Blauäugig“-Ideologie – zwischen 1933 und 1945 nicht identifizieren konnte oder wollte. von Ärzten auf gesundheitliche Folgeschäden hin- auch von den Nationalsozialisten sehr propagiert Es hat sich schon seit dem 20. Jahrhundert eine Ten- gewiesen worden war. und sollte sich besonders in der zweiten Jahrhun- Neben diesen weiblichen Ikonen der Schönheit denz abgezeichnet, dass die Mode weniger enge derthälfte durchsetzen und zu einem bestimmen- spielte gerade im (Hollywood-)Film auch männli- Grenzen setzt, als dies in den Jahrhunderten zuvor Ebenfalls eine Revolution war das allmähliche He- den Ideal werden. Auch der Teint sollte jetzt einer che Schönheit und/oder Attraktivität eine wichtige der Fall war. Das eigene Aussehen ist gerade heute raufrutschen des Kleidersaums der Frauen, der in „gesunden“ und „natürlichen“ Sonnenbräune Rolle und prägte den Zeitgeschmack, der sich da- bis zu einem gewissen Grade eine Sache der Wahl. den „Goldenen Zwanziger Jahren“ nur noch bis entsprechen, was sich für Frauen allerdings erst bei insgesamt allerdings als wesentlich konstanter So ist z. B. die modische Farbpalette für Männer unters Knie reichte – zum ersten Mal zeigten Frau- ab ca. 1950 wirklich durchsetzen konnte – nicht oder einseitiger zeigte. Von dem Frauenschwarm seit ca. 1990 wieder wesentlich bunter geworden en damit ihre Knöchel und Waden. zuletzt wegen der ebenfalls für größere Bevölke- der 1920er Jahre Rudolph Valentino, über Männer als zwischen ca. 1850 und 1980. Die Haarfarbe ist rungsschichten ganz neuen Sitte, in den Urlaub zu wie Cary Grant, Gregory Peck, Laurence Olivier, heute eine Frage der Wahl, dazu gehören auch Tä- Zu wahren Idolen, die auch einen weltweit spür- fahren, und in der Sonne dem Müßiggang zu frö- Errol Flynn, Rock Hudson, Pierce Brosnan, Richard towierungen der Haut – die besonders nach 2000 baren Einfluss auf die Welt der Schönheitsideale nen. Die Sonnenbräune galt (und gilt) also nicht Chamberlain bis hin zu George Clooney dominier- modern wurden und ebenfalls eine Übernahme hatten, stiegen schon ab den 1910er Jahren und nur als schön, sondern sehr oft auch als sichtbarer te bei allen individuellen Unterschieden und trotz exotischer Schönheitsideale darstellen. Auch gibt noch mehr in den 1920ern und 1930ern die Stars Beweis, dass man sich einen Urlaub leisten kann. unterschiedlichster Herkunft der „klassische“ dun- es seit dem 20. Jahrhundert eine eigene Mode für des neuen Mediums Film auf. Weltweit als gera- kelhaarige Elegant. „Übergewichtige“. dezu mythische Schönheit gefeiert und als Vor- Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte zunächst eine bild entsprechend einflussreich war vor allem die gewisse Renaissance der üppigen weiblichen For- Die modischen Entwicklungen der 1960er Jah- Ausgelöst durch Filmschauspielerinnen wie Joan „göttliche“ Greta Garbo. Diese war zu Beginn ihrer men ein, die durch enge, die Taille einschnüren- re (Damenhose, Minirock) forderten beinahe Collins oder Jane Fonda entstand in der westlichen Karriere in Schweden noch eher rundlich und et- de Korsette noch mehr betont wurden – also der zwangsläufig eine schlanke Figur. Durch Ausnah- Welt seit den 1980er Jahren auch eine Tendenz, was übergewichtig, wurde aber vor ihrem ersten althergebrachte Typus ‚Sanduhr‘. Dabei wurde mefrauen wie Twiggy wurde nach und nach eine dass Frauen, die über 40 oder 50 sind, nicht mehr amerikanischen Film (1926) vom Hollywoodstudio auch ausdrücklich ein großer Busen zum Ideal, und Entwicklung eingeleitet, die bis heute andauert: Es unbedingt als alt eingestuft werden (wie zuvor), gezwungen abzunehmen, und verwandelte sich in durch entsprechende BHs noch betont. Dies wurde entstand das Ideal des überschlanken Mannequins. sondern immer noch attraktiv und schön sein kön- einen neuen und als modern empfundenen Typus idealtypisch von berühmten Filmstars wie Rita Hay- Da in der Mode-Branche auch mit Körpermaßen nen. Dass dies teilweise eine gewisse Disziplin (Diä- einer schlanken, ätherisch eleganten Frau. Sie war worth, Marilyn Monroe, Gina Lollobrigida, Sophia für Brust-, Taillen- und Hüftumfang in Zentimeter ten, Sport), und Tricks (Haarefärben, Make-up) er- stilbildend für Schauspielerinnen wie Joan Craw- Loren und Brigitte Bardot verkörpert – die man um- gearbeitet wird, kam für Frauen ein „Ideal“ auf, fordert, und dass es natürliche Grenzen gibt, liegt ford, Marlene Dietrich und Katharine Hepburn. gangssprachlich auch als „Sexbomben“ bezeichne- das manchmal mit der Formel 90-60-90 umschrie- auf der Hand. te. Das Ideal der extremen Kurven bei gleichzeiti- ben wird. Eine bedauerliche Folge davon ist leider, Schon seit dem Beginn des Jahrhunderts begann ger „Superschlankheit“ dieser Männer-Idole war dass auch heute noch viele Frauen, die von Natur sich – zunächst noch fast unterschwellig – mit der allerdings für die normale Frau nicht erreichbar aus gar keine derart ungewöhnlich schlanke Ver- Quelle: Wikipedia
12 | Weihnachten Gesellschaft | 13 Weihnachtlieder tönten aus den Lautsprechern, so „Es hat auf der Welt genauso viele Pestepidemien füreinander da sind. Haben wir durch die Pande- laut, dass man es kaum ertragen konnte. In den gegeben wie Kriege. Und doch treffen Pest und mie unsere Hilfsbereitschaft entdeckt? Der Enkel, Geschäften drängelten sich die Leute an den Kas- Krieg die Menschen immer unvorbereitet.“ die Studentin erzählen vom schlechten Gewissen, sen und schimpften, wenn es nicht schnell genug man habe immer zu wenig Zeit für die Großeltern. weiterging. Der Weihnachtsmann hat wirklich (Albert Camus – Die Pest) Die ganze Welt stand still und man hatte mehr nicht übertrieben, dachte das Christkind traurig. Zeit. Die Älteren sind die in der Pandemie am ge- Wo sind die leuchtenden Augen der Kinder, wenn fährdetsten, sie sind von der häuslichen Isolation sie an den Heiligen Abend denken, wo ist die Fröh- Brauchen wir eine Pandemie, besonders hart betroffen und nun man konnte ih- lichkeit der Menschen, wenn sie ein Weihnachts- nen von der sonst so wenigen Zeit etwas zukom- lied anstimmen? um achtsam miteinander men lassen. Dem Christkind war klar, es musste etwas getan umzugehen? Der Staat kümmerte sich um Regeln und Verbo- © Ursula Michel werden, bevor es zu spät war. Rasch griff das Christ- te und wir Menschen haben einfach die Verant- kind in die Tasche seines Umhanges holte eine Der Lockdown kam und wir alle waren angehalten, wortung für das Alltagsleben übernommen. Es Kerze hervor, die sogleich mit ihrem hellen Schein zu Hause zu bleiben. Die Pandemie stellte unser sind genug Alte für alle da und man kann Briefe Straßen, Häuser und die Gesichter der Menschen bisheriges Leben auf den Kopf. Man erklärte uns, ins Seniorenheim schicken, man kann ältere Men- erhellte. Langsam schritt das Christkind durch die es geht um die in die Enge gedrängte Natur und schen digital fit machen, man kann Kindern vorle- Stadt und trug den warmen, sanften Schein der das Virus brachte uns bei, dass die Menschheit vom sen, man kann mit Migranten Deutsch üben, man Kerzenschein… Kerze in die Herzen der Menschen. Rest der Natur nicht zu trennen ist und es sorgt da- für, dass unser Alltagsleben radikal umgekrempelt kann die Theorie in die Praxis umsetzen. Wir sind zur Isolation verdammt, aber nicht zur Untätigkeit. Und plötzlich geschah etwas Unglaubliches. wird. Das Virus scheint grenzenlos zu sein, die digi- Um das Ansteckungsrisiko zu vermindern, boten Es war vor vielen, vielen Jahren an einem Abend tale Kommunikation ist grenzenlos und die Pande- junge Menschen den Älteren an, für sie einkaufen im Advent. Das Christkind hatte beschlossen mal Die Menschen blieben stehen, sahen sich lächelnd mie hat uns kaserniert. Doch unser tägliches Leben zu gehen. Für Wochen klebten überall Zettel mit wieder einen Abend auf der Erde zu verbringen, an, gaben sich die Hand und wünschten sich „Fro- geht weiter. Wir müssen neue Wege für das Arbei- Hilfsangeboten und man hatte das Gefühl, dass es da es schon lange nicht mehr dort war. he Weihnachten“. Die Kinder sangen „Oh, du fröh- ten und das Verbringen unserer Freizeit finden. gut und sehr wünschenswert ist, füreinander da zu liche…“ und tanzten um den Tannenbaum herum. sein. Die Krise weckt Ängste und ruft Gutes in uns Der Weg vom Himmel auf die Erde war beschwer- In ihren Herzen entstand ein Gefühl, dass sie gar Wie gut sind wir bisher durch die Corona-Krise ge- hervor. lich, und nur der Weihnachtsmann nahm Jahr für nicht mehr kannten. Die Augen der alten Leute kommen? Wir sprechen darüber, wie schlimm al- Jahr die Mühe auf sich und brachte den Kindern leuchteten. Ja, so war es früher… Es war schon sehr les gerade ist, doch um auch zu erzählen, was wir Doch dann passierte anderes: die Wirtschaft brach ihre Weihnachtsgeschenke. Doch in letzter Zeit be- lange her. an der aktuellen Situation ganz toll finden. Näm- ein, Kurzarbeit kam, es gab Streit zwischen den richtete der Weihnachtsmann dem Christkind, dass lich, dass man mehr Zeit füreinander hat, dass man Virologen und man kann sich kaum noch an das es immer weniger Menschen gab, die an ihn glaub- Weihnachten hatte seinen Zauber wieder gefun- Freundschaften mit einem Schluck Alkohol über „Gute an Corona“ erinnern. Es ist die Leere, die ten. Und das machte ihn sehr traurig. den, der vor langer Zeit verloren gegangen war. Video-Calls recht erfolgreich pflegen kann, dass sich aufgetan hat und auch die Situation, die sich Das Christkind hatte den Menschen auf Erde das man wieder mehr kocht, dass man Haus und Keller von Tag zu Tag ändern kann. Die Sorge vor viel- So kam es, dass das Christkind sich am Morgen schönste aller Geschenke gemacht: Es hatte ihnen aufräumt oder dass die Home-Arbeit in den eige- leicht erneutem Ausbruch erweckt Ängste und des ersten Weihnachtstages auf den Weg zur die Freude zurückgegeben. Und, immer wenn wir nen vier Wänden schon ganz erfreulich sein kann, kann Auslöser drastischer Maßnahmen sein bis hin Erde machte, um nach dem Rechten zu schauen. jetzt in der Weihnachtszeit eine kleine Kerze an- wenn man entsprechend eingerichtet ist. zu Grenzschließungen. Erschrocken musste es allerdings feststellen, dass zünden, horchen wir ein wenig in uns hinein und der Weihnachtsmann nicht übertrieben hatte. Die freuen uns auf das Weihnachtsfest. Viele erleben die Zeit als erzwungene Entschleuni- Großeltern erzählen vom Krieg. Sie sprechen von Menschen hetzten die Straße entlang. In ihren Ge- gung. Doch vielleicht lernen wir auch, dass wir die Hunger, Kälte, Heimatlosigkeit. Sie sagen oft: „Ihr sichtern war von Vorfreude auf das Weihnachtsfest meisten Dinge, die wir brauchen, bereits besitzen wisst gar nicht, wie gut ihr es habt.“ Jetzt sagen nichts zu sehen. Helga Licher und dass wir die meisten Dinge, die wir nicht besit- wir selbst: „Wir wussten nicht, wie gut wir es hat- zen, im Grunde auch nicht brauchen und dass das ten“. Niemand von uns weiß, was kommt und nie- Pflegen von Freundschaften und nachbarschaftli- mand von uns war zuvor in dieser Situation und die Kindermund chen Beziehungen eine Bereicherung ist. Hat uns die globale Krankheit Lebensbedingungen aufge- Situation ändert sich von Tag zu Tag. Da war eine Welt vor Corona, da ist eine Welt mit Corona und zwungen, die günstiger für uns sind als die, die wir es wird eine Welt nach Corona geben. Einige, die Im Mittelalter wurden die Menschen nicht so alt wie heute. Sie hatten auch nicht so starken Verkehr. uns selbst geschaffen haben? sich in die Vor-Corona-Epoche zurücksehnen, be- Wenn ein Mann und eine Frau sich verlieben, lügen sie sich zuerst ein bisschen an, damit sie sich auch fürchten, es werde leider nie wieder so sein, wie es So ähnlich hört es sich an und es ist doch toll, dass davor gewesen war. Das ist falsch! Zukunft gibt es füreinander interessieren. es endlich mehr Gemeinschaftssinn gibt. Man immer und sie wird immer anders sein, als wir den- Mama schimpft immer, dass der Haushalt eine Syphilisarbeit ist. kann ein ganzes Land herunterfahren, aber nicht ken. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. die Fürsorge für andere Menschen. Wurden wir Ich bin zwar nicht getauft, dafür aber geimpft. plötzlich von der Erkenntnis überrascht, dass es doch gut und wünschenswert ist, wenn Menschen Brigitte Brandl
14 | Kurzgeschichte Literatur | 15 Neues von Familie Feidemer: legt. Auswendiglernen gehörte zum Stundenplan, Literatur ist auf der ganzen Welt „zu Hause“, u.a. und manch schöner Vers ist mir bis heute in Erin- sogar in Japan und den USA. Seine Weltoffenheit, Für Diebe gibt’s selten ein Happy-End nerung geblieben. Für mich ein Fundus, aus dem seine Toleranz, sein Einsatz für ein menschenwür- ich immer wieder neu schöpfe. Daher die Liebe zu diges Miteinander bringt ihm insbesondere bei der diesem Gedichtband. Zu besonderen Anlässen darf Jugend große Sympathie ein. Themen, die aktuel- Der Alltag hat Familie Feidemer wieder. Der Weih- Ski-Anorak tun, denn auf so eine teure Jacke muss mein Buch nicht fehlen. Passende Verse, seien sie ler nicht sein können und auch in Zukunft bleiben. nachtsbaum trauert an der Straße der Müllabfuhr man erst sparen. Dazu nörgelt Gretchen noch, ernster, seien sie humorvoller Art, geben manchen entgegen, die Lichterketten sind abmontiert, die dass Rolf besser auf seine Sachen aufpassen soll. Fest eine besondere „Anstrich“. Oder einfach mal Ingrid Pott Strohsterne und alles Erzgebirgische wieder fein Um den ersten Advent herum sitzt der Rolf wie- wieder hineinschauen, um mich zu erfreuen an verstaut, die Glückwunschkarten noch einmal ge- der mit seinem Freund im Bistro in der Stadt. Mit dem Wohlklang meiner Sprache und an dem, was Hier eine kleine Kostprobe: lesen und die Weihnachtsgeschenke auf Brauch- einem Mal macht er runde Augen: Am Nebentisch sie im Innersten mit mir macht. barkeit getestet. hockt so ein schmächtiges Kerlchen – und hat doch Selbstkritik von Wilhelm Busch wahrhaftig die Lederjacke von Rolf an! (Er sieht es Zu meinem Lieblingsbuch gehört auch eine klei- Der Januar zeigt sich nasskalt, stürmisch und grau. genau: Es ist sein, denn er ließ die Ärmel ändern.) ne Entstehungsgeschichte: Im Jahre 2000 startete Die Selbstkritik hat viel für sich. „Man sollte in den Winterschlaf gehen“, denkt Rolf Jetzt kommt dem Rolf aber die Wut hoch! Dem der Patmos-Verlag und der WDR Köln eine groß- Gesetzt den Fall, ich tadle mich, Feidemer. Aber mit seinen 40 Jahren hat er noch wird er die Jacke wieder abnehmen! Der Rolf be- angelegte Umfrage an Hörer und Leser, welches So hab ich erstens den Gewinn, ein paar Jährchen zu schaffen. Und so schwingt er spricht sich leise mit seinem Freund und dem Wirt deutsche Gedicht ihnen am besten gefällt. 3000 Dass ich so hübsch bescheiden bin; sich in seine nagelneue Lammfelljacke und fährt und beobachtet den Dieb. Der sitzt seit zwei Stun- Antworten gingen ein, sogar aus den Niederlan- Zum zweiten denken sich die Leut, mit dem Rad zur Arbeit. Die Jacke war nicht gera- den bei einem Glas Tee. Endlich zahlt er, und die den, aus Irland , China und USA kamen sie. Nach Der Mann ist lauter Redlichkeit; de billig und eine große Weihnachtsüberraschung. beiden Freunde verfolgen ihn unauffällig. Der Ja- sorgfältiger Auswahl einigte man sich auf das, was Auch schnapp ich drittens diesen Bissen Das Budget der jungen Feidemers gab eigentlich ckendieb verschwindet im Parkhaus. Die Freunde mein Lieblingsbuch mit seinen 100 Lieblingsge- vorweg den andren Kritiküssen; so eine pelzige Umhüllung für Rolf gar nicht her, lassen ihn nicht aus den Augen. Immer tiefer geht dichten der Deutschen beinhaltet. Dabei nehmen Und viertens hoff ich außerdem aber Feidemers Senior spendierte einen ansehnli- es in die öden Hallen hinein. Auf einmal ist der die „Stufen“ von Hermann Hesse den Spitzenplatz Auf Widerspruch, der mir genehm. chen Batzen dazu, denn… Verfolgte verschwunden. „Gleich fährt er ab. Dann ein – und das zu Recht. Hermann Hesse ist inzwi- So kommt es denn zuletzt heraus, merken wir uns sein Kennzeichen und werden ihn schen der meistgelesene europäische Autor. Seine Dass ich ein ganz famoses Haus. Und hier ist die wahre Nach-Weihnachtsgeschich- anzeigen!“ beschließt Rolf. Doch kein Motor heult te dazu: Der Rolf geht dann und wann mal in ein auf. Kein Auto kommt. Vorsichtig lugen die Freun- Bistro und schwatzt mit seinen Freunden in Män- de um die hinterste Ecke des Parkgeschosses. Da nergesellschaft. So auch an einem kalten Abend im November. Und als er gegen elf Uhr heimgehen will, ist seine lammfellgefütterte Lederjacke fort. ist der Dieb! Doch er hat kein Auto! Er hat sich auf den nackten Beton zum Schlafen gelegt, in Rolfs Jacke. An der Stelle, wo die warme Abluft aus dem Ambulanter Sowas! Der Rolf blättert den ganzen Kleiderstän- Boden kommt. Betroffen schauen die Freunde sich der im Lokal durch. Weg ist das gute Stück, ge- in die Augen. Und ohne ein Wort zu sagen sind sie klaut, und war erst ein Jahr in seinem Besitz. Na, ganz leise fortgegangen. ganz schön wütend schwingt er sich auf`s Rad und fährt heim, nur im Pullover. Nun muss es halt der Lydia Grabenkamp Wir bieten Ihnen Sandra Zeiske Gedanken über mein Lieblingsbuch ein umfangreiches Betreuungsangebot und professionelle Pflege, durch unser freundliches, qualifiziertes Fachpersonal, Bestseller in Form von Riesenwälzern, Thriller, die Und warum? Weil ich die Vielfalt und Schönheit in der eigenen häuslichen Umgebung. mich unangenehm berühren und nicht loslassen, unserer Sprache darin wiederfinde. Angefangen Krimis, die nur unter der Bettdecke zu verdauen von Walter von der Vogelweide, über Goethe und sind, finden keinen Platz in meinem Bücherregal. Schiller bis hin zu Erich Kästner, Eugen Roth oder Ambulanter Pflegedienst Sandra Zeiske Stattdessen fesseln mich interessante Biographi- Ingeborg Bachmann. Autoren aus 1000 Jahren Ly- Bechstraße 1 · 51674 Wiehl en, Reiseberichte oder sozialkritische Themen mit rikgeschichte sind in meinem Lieblingsbuch ver- ernstem Hintergrund. Und was ich natürlich nicht ewigt. Tel. 02262/999 999 6 vergessen darf, ist das Lesen der Oberbergischen info@pflegedienst-s-zeiske.de Volkszeitung, aktuell mit Berichten aus aller Welt Niemand hat unsere deutsche Sprache so geprägt – und das jeden Morgen, am liebsten ganz gründ- und bildhaft dargestellt wie unsere Denker, Dich- www.pflegedienst-s-zeiske.de lich. Etwas bescheidener kommt mein Lieblings- ter und Dichterinnen. In meiner Schulzeit während buch daher mit seinen „100 Lieblingsgedichten der und nach dem 2. Weltkrieg wurde auf die deut- Deutschen“. Für mich ein ganz besonderer Schatz. sche Sprache und ihre Schrift noch viel Wert ge-
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