Arbeit darf nicht krank machen - Psychische Belastungen haben massiv zugenommen. Beschäftigte müssen vor Gesundheitsgefahren geschützt werden ...
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report Bildung, Wissenschaft und Forschung Arbeit darf nicht krank machen Psychische Belastungen haben massiv zugenommen. Beschäftigte müssen vor Gesundheitsgefahren geschützt werden. 0 1 / 2 02 0
Editorial biwifo report 1/ 2020 Liebe Kolleginnen und Kollegen, Inhalt Schwerpunkt: Arbeits- und als die Redaktion des biwifo-Reports den Gesundheitsschutz Schwerpunkt dieser Ausgabe festgelegte, lebten wir noch in der Vor-Corona-Zeit. Wohl niemand Alte und neue Herausforderungen konnte sich vorstellen, wie sich unser Leben und für die Gesundheit der Beschäftigten 3 unsere Arbeit durch die Pandemie verändern In eigener Sache: Eine neue Dimension 3 würde. Viele Studierende leiden unter Stress, Die auferlegten Maßnahmen akzeptieren wir. Angst und Depressionen 4 Wir wissen, dass viele Menschenleben nur dann Bummelei beim Gesundheitsschutz 5 zu retten sind, wenn das Gesundheitswesens Viele Hochschulbeschäftigte unter nicht überlastet wird. Es gilt, sich vor einer extremem Druck 5 Infektion zu schützen aber auch vor seelischen Beeinträchtigungen, die durch die Minimierung Hilfen in seelischen Krisen 5 sozialer Kontakte entstehen. Mental Health Überlastung anzeigen, Gefahren Europe gibt Tipps für die psychische Gesundheit. reduzieren 6 Dazu gehört auch: „Beschaffen Sie sich Informa- Rückenschonende Maschinen – report tionen aus vertrauenswürdigen Quellen.“ Fakten Sylvia Bühler aber zu wenig Personal 7 sind gefragt, nicht Panikmache oder Verharm- Mitglied des ver.di- Kein Loch auf dem Konto durch losung. Es geht um wissenschaftliche Erkennt- Bundesvorstandes Kurzarbeit 7 nisse und eine Politik, die ihre Entscheidungen und Leiterin Homeoffice in Zeiten der Pandemie 8 darauf baut. des Fachbereichs Arbeitsschutz im Neuland 8 Die hohe Bedeutung der Wissenschaft wird Bildung, Wissen- Interview mit Wolfgang Hien: uns in diesen Tagen vor Augen geführt. Wir schaft und Forschung „Das System ist krank“ 9 hoffen auf einen Impfstoff und Erkenntnisse, wie an Covid-19 Erkrankte erfolgreich zu behandeln ver.di kämpft für Solo-Selbstständige 10 sind. Gut, wenn Wissenschaftler*innen in aller Weiterbildung im digitalen Nirwana 11 Welt vernetzt forschen. Nicht akzeptabel ist, wenn eine PR-Firma bei der Industrie Geld Schluss mit der Reise nach Jerusalem! 12 sammelt, um die öffentliche Darstellung einer Mit Kunst und Spiel zum Tarifvertrag 13 Studie zu beeinflussen, wie es wohl bei der ver.di hilft in der Krise 14 „Heinsberg-Studie“ passiert ist. Solche Praktiken Willkommen an Bord! 14 kritisiert ver.di schon seit langem. „Ich mag gar nicht weiter gucken“ 15 Zu guter Letzt 16 Viele unserer Kolleginnen und Kollegen aus Bildung, Wissenschaft und Forschung sind durch die Krise existenziell betroffen. In den Weiter- bildungseinrichtungen wurden die meisten Maßnahmen und Kurse abgesagt – viele Betriebe Impressum haben Kurzarbeitergeld beantragt. Das Sommer- Der ver.di Report biwifo Nr. 01/2020 · Mai 2020 semester muss komplett digital stattfinden – eine Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) große Herausforderung. Die Einrichtungen der Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung Paula-Thiede-Ufer 10 · 10179 Berlin Fotos v.o.n.u.: Werner Bachmeier (3), Kay Herschelmann Studierendenwerke sind geschlossen. V.i.S.d.P.: Sylvia Bühler ver.di bringt sich auf allen Ebenen ein für die Redaktion: Klaus Böhme, Kei Common, Birthe Haak, Alexandra Interessen unserer Mitglieder. In unserem Sofort- Heiter, Frank Hennig, Michael Niedworok, Mirjam Sorge programm „Studium, Hochschule und Forschung Verantwortliche Redakteurin: Annette Jensen Internet: www.verdi.de sichern“ steht ganz oben ein Befristungsmorato- Layout: einsatz, Wolfgang Wohlers rium, denn Menschen mit prekärer Beschäfti- Druck: Mohn Media Mohndruck GmbH, Gütersloh gung haben es besonders schwer. Auch ohne Titelbild: Werner Bachmeier W-1728-64-0520 Pandemie. Die Artikel stellen die Meinungsvielfalt unseres Fachbereiches dar und spiegeln nicht in jedem Fall die Durch diese Krise kommen wir am besten Meinung des Bundesfachbereichsvorstandes wider. 2 gemeinsam und solidarisch. Bleibt gesund! Herzliche Grüße Service Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung Internet: www.biwifo.verdi.de Ansprechpartnerin: Alexandra.Heiter@verdi.de
Schwerpunkt: Arbeits- und Gesundheitsschutz IN EIGENER SACHE W Eine neue Dimension Alte und neue Als die Redaktion das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz als Schwerpunkt dieser Ausgabe Herausforderungen festlegte, war Corona noch weit weg von unserem Alltag. Jetzt ist Europa zu einem Zentrum der für die Gesundheit Pandemie geworden – Gesund- heitsschutz in einer neuen Dimension. der Beschäftigten Für uns als Redaktion ein Dilemma. Das Thema war plötz- lich aktueller denn je, schnell Arbeits- und Gesundheitsschutz gehört messen am Umfang von Projekten und Publika- zeichneten sich gravierende biwifo wohl zu den ältesten Themen der Arbeiter- tionen. So kommen bisweilen Menschen in Auswirkungen auf die Branchen *innenbewegung. Die erste gesetzliche Leitungsfunktionen, die Leistungsdruck verinner- unseres Fachbereichs ab. Die Regelung wurde 1839 in Preußen einge- licht haben. Überhöhte Anforderungen und Einstellung von Weiterbildungs- führt, um Kinderarbeit zu reduzieren. Das Konkurrenzdruck sind die ungesunden Folgen. maßnahmen stürzt die dort sollte bleibende körperliche Schäden ver- Um gegenzusteuern sind die Sozialpartner Beschäftigten in Existenzangst, hindern und zugleich allen Kindern den gefordert, dem Gesundheitsschutz durch innovati- geschlossene Mensen und Kitas Schulbesuch ermöglichen. Heute umfasst ve Tarifregelungen mehr Bedeutung zuzumessen. in den Studierendenwerken Arbeits- und Gesundheitsschutz viele Auf der betrieblichen Ebene können Betriebs- und führen zu Kurzarbeit. An den Themen: Unfallvermeidung, gesundheits- Dienstvereinbarungen helfen. Allerdings gibt es Hochschulen wird hektisch ver- fördernde Raumgestaltung, ergonomische Ambivalenzen. Beispiel Arbeitszeit: Manche sucht, möglichst viel Lehre auf Ausstattung der Arbeitsplätze, Arbeitszeit- Beschäftigte fühlen sich durch Instrumente wie Online-Angebote umzustellen. begrenzung und vieles mehr. Schon lange Zeiterfassung gegängelt oder kontrolliert. Viele Zu Redaktionsschluss ist noch vor Corona gab es in vielen Sanitärräumen Forschende argumentieren, gute Ideen kämen nun nicht klar, wie viel Betrieb im Desinfektionsmittel und Anleitungen zum mal nicht nur von Montag bis Freitag zwischen 8 Sommersemester überhaupt richtigen Händewaschen als Schutz vor und 17 Uhr. Auch für andere Beschäftigtengrup- stattfinden kann – und welche Infektionskrankheiten. pen sind flexible Arbeitszeiten attraktiv, wenn sie Auswirkungen das für Studieren- Kinder haben, für Angehörige sorgen, sich ehren- de, Beschäftigte und Lehrbeauf- VON BIRTHE HAAK UND KLAUS BÖHME amtlich engagieren oder sich zeitlich mit Partner tragte hat. Das bringt die Gefahr oder Partnerin abstimmen wollen. Dass Arbeit mit sich, dass Informationen zwi- D abei hat sich der Fokus in den vergangenen Jahren verschoben. Körperlich schwere oder gefährliche Arbeit gibt es immer noch – man grenzenlos werden kann, möglicherweise am Abend oder Wochenende nicht freiwillig bleibt, sondern auch eingefordert wird, gerät oft aus dem schen Drucklegung und Ausliefe- rung des Heftes veralten. Die ursprünglich geplanten Themen denke nur an Mensen oder Chemielabore. Sie Blickfeld. aber bleiben relevant. Daher betrifft aber nicht mehr die Mehrheit der Be- Ähnliches gilt für Flexibilität des Arbeitsortes. wurde entschieden, die Heft- schäftigten. Berufsübergreifend ein zunehmendes Die Möglichkeit, auch von zuhause arbeiten zu planung weitgehend beizubehal- Problem sind psychische Belastungen und Stress. können, spart Fahrtzeiten und kann die Vereinbar- ten. Aktuelle Bezüge gibt es dort, Krankheiten wie chronische Erschöpfung und keit von Familie und Beruf erleichtern. Doch auch wo es passt. Depressionen mit langen Ausfallzeiten können die hier lauert die Gefahr ungesunder Entgrenzung. Folge sein. Hier müssen Gefährdungen systema- Eine Überprüfung des Heim-Arbeitsplatzes auf er- Darüber hinaus sind elektro- tisch ermittelt werden. Eine große deutsche gonomische Anforderungen durch den Betriebsrat nische Medien besser geeignet, Krankenkasse hat kürzlich Zahlen veröffentlicht: wird oft nicht als Schutz, sondern als Eingriff in die schnell über aktuelle Entwick- 19 Prozent der Fehltage gehen auf psychische Privatsphäre empfunden. Dass der regelmäßige lungen zu informieren. Eine Erkrankungen zurück – das sind mehr, als Rücken- Erholungs- und Regenerationsaspekt von Urlaub Übersicht über entsprechende beschwerden und Erkältungen verursachen. zunehmend weniger gesehen und die möglichst Informationsangebote findet ihr Die Gründe sind vielfältig: Überlastung durch lange Übertragbarkeit ins nächste Jahr ausgiebig auf Seite 14. ver.di arbeitet auf Arbeitsverdichtung, Projektarbeit unter hohem genutzt wird, ist ein weiterer Aspekt, wie manche allen Ebenen intensiv daran, die Zeitdruck, Über- oder Unterforderung, Unkolle- Beschäftigte fahrlässig mit ihrer Gesundheit umge- Auswirkungen der Krise auf die gialität bis hin zu Mobbing. Aber auch Ketten- hen. Beschäftigten abzufedern – befristungen, die die Lebensplanung unmöglich Die Belange aller Beteiligten angemessen zu starke Gewerkschaften sind 3 machen, können krank machen. In der Wissen- berücksichtigen und Gesundheitsschutz so zu eta- gerade jetzt nötig! b schaft kommt hinzu, dass die meisten Führungs- blieren, dass Arbeit nicht krank macht, ist Aufgabe kräfte kaum oder gar nicht ausgebildet sind in von Gewerkschaften, Arbeitgebern, Betriebs- und Birthe Haak und Führungsaufgaben. Primäres Auswahlkriterium für Personalräten, Unfallversicherungen und Berufs- Klaus Böhme Professuren ist die wissenschaftliche Leistung, ge- genossenschaften – und von uns allen. b
Schwerpunkt: Arbeits- und Gesundheitsschutz Viele Studierende leiden unter Stress, Angst und Depressionen Wie sich die Corona-Krise VON MICHAEL NIEDWOROK Foto: Werner Bachmeier mit der radikalen Beschränkung sozialer Kontakte und das Lernen in Onlineseminaren auf die D ie Aufnahme eines Studiums bedeutet zumeist den Beginn eines neuen Lebens- abschnitts. Häufig ziehen Studienanfänger*innen seelische Gesundheit von in eine neue Stadt und begeben sich in ein unge- Studierenden auswirken wohntes soziales Umfeld. Freiheiten gehen einher wird, ist noch völlig mit Leistungsdruck, der zu erheblichen psychi- unklar. Erschwerend hinzu schen Belastungen führen kann. Um Studieren- kommt, dass auch die den dabei zu helfen, ihr Leben zu meistern, bieten Hilfseinrichtungen der die Studierendenwerke psychosoziale Beratung Studierendenwerke wegen an. der Pandemie vorüber- gehend nicht mehr auf- Während die Pflichten in der Schulzeit klar gesucht werden können. umrissen sind und unmittelbar kontrolliert wer- Dabei waren sie schon den, genießen Studierende erhebliche Freiheiten, in den vergangenen müssen gleichzeitig aber Verantwortung für die Jahren immer wichtiger eigene Bildungsbiographie übernehmen. Prüfun- geworden – denn die gen und Hausarbeiten sind dabei nur ein Aspekt. psychischen Belastungen Das Umfeld der Hochschule erfordert auch eini- für Studierende sind ges an sozialer Orientierungsleistung. Zudem gestiegen. arbeiten rund 60 Prozent der Studierenden neben dem Studium. Studentenwerke Wie sich diese Anforderungen auf die psy- beraten auch chische Gesundheit der Studierenden auswirken, wurde bereits mehrfach untersucht – mit durch- in Corona-Zeiten aus alarmierenden Ergebnissen. Die Studie Aufgrund der Corona-Pandemie „Gesundheit Studierender in Deutschland 2017“ Die Nachfrage für diese Angebote nahm deut- haben die Studierendenwerke wurde gemeinsam vom Deutschen Zentrum für lich zu, und das nicht nur wegen gestiegener Stu- ihre Beratung in den eigenen Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), dierendenzahlen. 2017 registrierte das Deutsche Räumen eingestellt. Stattdessen der FU Berlin und der Techniker Krankenkasse ver- Studentenwerk 110.000 Beratungskontakte – 60 gibt es Telefonsprechstunden. öffentlicht. Sie zeigte, dass ein Viertel der Studie- Prozent mehr als 2006. Zum Vergleich: Im selben Zeiten und Nummern sind in der renden an Stressbelastungen leiden. Ein Fünftel Zeitraum nahm die Zahl der Studierenden um 47 Regel direkt auf der Homepage zeigt Symptome einer generalisierten Angst- Prozent zu. Im Unterschied zu früheren Studie- des jeweiligen Studierenden- störung, litt also unter einem ständigen Gefühl rendengenerationen, die Beratungsstellen häufig werks zu finden. Darüber hinaus von Anspannung und Besorgtheit in Bezug auf erst während Zwischen- und Abschlussprüfungs- existiert vielfach auch die Mög- alltägliche Probleme und Ereignisse. Ein Sechstel phasen anliefen, suchen heute bereits Studien- lichkeit, über Videoverbindung ist sogar depressiv. Viele Studierende haben somit anfänger*innen vermehrt deren Hilfe. mit Psycholog*innen und Probleme, die Lehrkräfte durch Hilfestellung und Berater*innen zu sprechen. Die Gespräch nicht mehr lösen können. Eine frühzeitig in Anspruch genommene Be- Angebote richten sich sowohl an ratung trägt dazu bei, spätere Krisen und chroni- diejenigen, die sich erstmals an Das psychosoziale Beratungsspektrum der sche Erkrankungen zu vermeiden. Studierende, die Beratungsstelle wenden als Studierendenwerke umfasst die meisten Lebens- die eine psychosoziale Beratung in Anspruch neh- auch Studierende, die schon fragen und -probleme, mit denen Studierende men wollen, können sich einfach an das örtliche 4 vor Corona in einem Beratungs- konfrontiert sein können. Das reicht von Prü- Studierendenwerk wenden. Kontaktdaten finden prozess waren. fungsangst über Vermeidungsstrategien und eine sich in der Regel auch auf den Websites der Hoch- Gruppensitzungen wurden von schiefe Work-Life-Balance bis hin zu Beziehungs- schulen. b vielen Studierendenwerken zu- problemen, familiären Konflikten und Schwan- nächst abgesagt. gerschaften sowie akuten Krisensituationen wie Depressionen und Trauerfällen.
Schwerpunkt: Arbeits- und Gesundheitsschutz Bummelei beim Gesundheitsschutz „D as Gesundheitsmanagement ist eine feste Aufgabe des Arbeit- gebers Hochschule und darauf ausgerich- räten. Die Hoffnung hat getrogen. Längst nicht an allen 30 Hochschulen des Landes gibt es die laut Vertrag anzustrebende tet, die Gesundheit der Beschäftigten zu Dienstvereinbarung. Gemeinsame Ar- erhalten und zu stärken. Oberstes Ziel des beits- oder Steuerungskreise zur Bünde- ,Betrieblichen Gesundheitsmanagements’ lung aller gesundheitsbezogenen Aktivi- ist es, gesundheitsfördernde Lebens- und täten sind sogar nur ganz vereinzelt zu Arbeitsbedingungen zu initiieren und zu finden. unterstützen. Es zielt auf die Führung, die Vermeiden wollen die Hochschullei- Hochschulkultur, das Betriebsklima, die tungen auch eine Diskussion über die Be- soziale Kompetenz, auf die Arbeits- griffe „Verhältnisprävention“ und „Ver- bedingungen und das Gesundheitsverhal- haltensprävention“. Schließlich würde ten.“ Diese Sätze stammen aus dem Jahr das ja voraussetzen, sich krankmachende 2016. Sie verpflichten die Hochschulen in Arbeitsbedingungen und Verhaltenswei- Nordrhein-Westfalen, ein effektives Ge- sen genauer anzuschauen. Gesicherte sundheitsmanagement zu etablieren und Erkenntnisse aus diesen Bereichen wären dabei Personalräte, Gleichstellungsbe- eine gute Basis für sinnvolle Verände- auftragte und Schwerbehindertenvertre- rungen. Insbesondere für das Thema tungen einzubinden. „psychische Belastung“ bräuchte es Standards im Rahmen von Gefährdungs- Vier Jahre ist es her, dass Hochschul- beurteilungen – doch auch die sucht man leitungen, das NRW-Wissenschaftsmini- vergeblich. sterium und die Landespersonalräte den Natürlich soll sich eine Hochschule auf „Vertrag über gute Beschäftigungsbedin- Forschung und Lehre als ihre Kern- Hilfen in seelischen Krisen gungen für das Hochschulpersonal“ be- aufgaben konzentrieren. Dass darüber siegelten. Endlich gab es eine solide jedoch Gesundheitsförderung vernachläs- Kontaktbeschränkungen, häusliche Enge und Angst Grundlage für ein abgestimmtes und aus- sigt oder gar vergessen wird, ist nicht hin- vor Ansteckung stürzen viele Menschen in seelische gewogenes Gesundheitsmanagement an nehmbar. Es wird Zeit, in den Hoch- Krisen. Extrem gefährlich kann die Situation für allen NRW-Hochschulen, so die Erwar- schulen endlich die Hausaufgaben zu Menschen mit Depressionen und anderen psychische tung von Gewerkschaften und Personal- machen! b Klaus Böhme Erkrankungen werden, weil die äußeren Bedingun- gen ihre Tendenz zum sozialen Rückzug verstärken. Ohne die gewohnte Tagesstruktur und den alltägli- chen Kontakt am Arbeitsplatz droht die Lage für sie Viele Hochschulbeschäftigte zu eskalieren. Kommen sie morgens nicht mehr aus dem Bett, steigert das ihre Selbstverachtung über unter extremem Druck ihre mangelnde Leistungsfähigkeit und sie rutschen noch tiefer ins schwarze Loch. Viele Beratungsstellen, Kliniken und Psycholo- V iele Beschäftigte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ste- hen aufgrund der Corona-Krise massiv leicht die Decke auf den Kopf. Die sozia- len Begleiterscheinungen der Corona- Krise treibt viele Menschen an ihre psy- gische Dienste haben ihre Hotline-Sprechstunden unter Druck: Im Homeoffice müssen die chische Belastungsgrenze. ausgeweitet und bieten außerdem Online-Foren an. Lehrenden ihren Unterricht auf Fernlehre Corona-Hotline des Berufsverbands umstellen, der Zugang zu Bibliotheken An vielen Hochschulen und For- Deutscher Psycholog*innen: 0800-777 22 44 und vielen Arbeitsräumen ist versperrt. schungseinrichtungen gibt es Beratungs- (erreichbar zwischen 8 und 20 Uhr). Der Kontakt zu Kolleg*innen und stellen des betriebsärztlichen Dienstes für Deutsche Depressionshilfe: 0800-34 45 33 Arbeitsgruppen läuft über Telefon- und Mitarbeiter*innen. Sie sind auch jetzt (erreichbar Mo, Di, Do 13 bis 17 Uhr, Mi und Fr 8:30 Videokonferenzen, parallel gilt es, die erreichbar und haben selbstverständlich bis 12:30). eigenen Kinder zu beschulen. Kein Be- Schweigepflicht auch gegenüber dem 5 Rund um die Uhr ist die Telefonseelsorge such bei Freunden, kein Kino, kein Ge- Arbeitgeber. In manchen Einrichtungen unter 0800-1110111 erreichbar. meinschaftssport, kein Kneipenbesuch. wie zum Beispiel an der Universität Mainz 8 Tipps für die seelische Gesundheit in Corona- Spannungen in der Familie oder Wohn- existiert ein betriebsärztlicher Dienst, der Zeiten: https://t1p.de/8-Tipps gemeinschaft können jetzt gefährlich explizit auf die Prävention von psy- zunehmen. Wer allein lebt, dem fällt chischen Krankheiten ausgerichtet ist. b
Schwerpunkt: Arbeits- und Gesundheitsschutz Überlastung anzeigen, Gefahren reduzieren Magst du Deine Arbeit? VON KEI COMMON Betriebs- oder Personalrat informieren! Wunderbar! Die Bewältigung deiner Aufgaben macht dir Spaß A ndauernde Mehrarbeit oder schlechtes Per- sonalmanagement kann Beschäftigte an Leistungs- und Belastbarkeitsgrenzen bringen, so Personalrätin Britta Rochier von der Eberhard- Karls-Universität Tübingen berichtet aus ihrer Praxis: Dass Beschäftigte überlastet sind, wird und du trägst dazu bei, dass dass sie Fehler machen. In schlimmen Fällen ent- ihnen selbst oft erst in der Beratung bewusst. In „der Laden“ läuft. Bitte? stehen daraus Sach- oder sogar Personenschä- diesen Fällen rät sie dringend, eine Anzeige zu Du machst kaum Pausen? den. Wenn es um arbeits-, straf- oder zivilrechtli- machen. Das entsprechende Schreiben sollte auch Späte Feierabende sind che Konsequenzen geht, kann eine zuvor gestell- an die Personalabteilung und den Personal- oder schon länger die Regel, te Überlastungsanzeige helfen. Schließlich hat der Betriebsrat weitergeleitet werden. Sind die Be- oder die Beschäftigte die Verantwortlichen im troffenen einverstanden, kann die Mitarbeiter- meistens im „home office“, Betrieb im Vorfeld des Unfalls oder folgenreichen vertretung Kontakt mit dem oder der Vorgesetzten denn dein Überstundenkonto Fehlers deutlich auf die Gefahrenquellen hinge- aufnehmen. Passiert nach wiederholter Ansprache ist schon lange voll. wiesen. Es ist Aufgabe von Vorgesetzten, darauf und über mehrere Wochen hinweg nichts Wesent- Naja, es wird auch wieder mit angemessenen Maßnahmen zu reagieren. liches, können Personal- oder Betriebsräte die ruhigere Zeiten geben. Somit liegt eine rechtzeitige Anzeige von Über- Dienststellenleitung informieren und eine Lösung Ach! Nicht? lastungen oder Gefahren sowohl im Interesse von verlangen. Verschlechtert sich die Situation nach Arbeitnehmer*innen als auch im betrieblichen einer Weile wieder, sollte die Anzeige wiederholt Du machst Arbeit für Drei, Interesse. werden, gegebenenfalls sogar regelmäßig. seitdem mehrere Kolleg*innen in Rente Es gibt kein festgelegtes Verfahren, wie eine Letztlich beschweren sich zwar viele Kolleg- gegangen sind und deren Überlastungsanzeige zu stellen ist. In jedem Fall *innen über Überlastungen, doch eine Anzeige Stellen nicht neu besetzt wur- aber muss sie schriftlich erfolgen und bei der oder stellten nur wenige, so Rochier. Als Hauptgrund den. Aber irgendjemand dem Vorgesetzten bzw. Arbeitgeber*in landen. dafür sieht sie die oft schwerfälligen und teils Welche Überschrift drübersteht, ist irrelevant: unzureichenden Reaktionen von Vorgesetzten und muss ja die Aufgaben Überlastungsanzeige, Gefahrenanzeige oder Arbeitgebenden. „Das Gefühl für Zuständigkeit erledigen, denkst du – etwas Vergleichbares. Wesentlich ist allerdings, und Verantwortlichkeit vermissen wir sehr oft.“ und fühlst dich überlastet. dass die kritische Situation am Arbeitsplatz aus- führlich beschrieben wird. Die Beschreibungen Keine Angst vor Repressionen! sollten konkret und sachlich formuliert sein. Aus dem Text muss hervorgehen, dass die Arbeits- Überlastungsanzeigen sind nicht gesetzlich und leistung unter den gegebenen Umständen ge- tarifvertraglich definiert. Sie leiten sich aus dem fährdet ist und Schäden entstehen könnten. Da Arbeitsschutzgesetz, dem Bürgerlichen Gesetz- es keine Vorlagen und einheitliche Arbeitsabläufe buch und dem Arbeitsvertrag ab. Demnach gibt, kann die Darstellung der Sachverhalte haben Beschäftigte eine Meldepflicht gegenüber durchaus eine Herausforderung sein. Arbeitgeber*innen: Drohende Gefahren müssen angezeigt werden. Die Erfüllung gesetzlicher Pflichten darf nicht mit Repressionen beantwor- Foto: Werner Bachmeier tet werden. Eine Abmahnung ist laut eines Urteils des Göttinger Arbeitsgerichts (Az.: 2 Ca 155/17) eine unzulässige Reaktion auf eine Überlastungs- anzeige. Benötigen ver.di-Mitglieder in solchen oder anderen Fällen rechtlichen Beistand, stehen ihnen gewerkschaftliche Arbeitsrechtsexpert*in- nen zur Seite. b 6 • https://verdi-bub.de/wissen/praxistipps/ueberlastungsanzeige • https://t1p.de/verdi-rechtsschutz • Mitgliederhotline: 0800/837 34 33 (Mo–Fr.: 7–20 Uhr; Sa.: 9–16 Uhr)
Schwerpunkt: Arbeits- und Gesundheitsschutz Rückenschonende Maschinen – aber zu wenig Personal W Foto: © Studierendenwerk Hamburg er jeden Tag schwere Reis- und Nudelsäcke schleppt, Berge von Salat mischt und Bundesanstalt Geschirr für mehrere hundert Mahlzeiten in die erforscht Spülmaschine räumt, leidet häufig unter Gelenk-, Schulter- und Rückenschmerzen. „Skeletterkran- Arbeitsschutz kungen sind bei den Kolleginnen und Kollegen in Die Bundesanstalt für Arbeits- den Mensen weit verbreitet“, berichtet Personal- schutz und Arbeitsmedizin rätin Ulrike Spreen aus dem Hamburger Studie- (BAuA) untersteht dem Bundes- rendenwerk. arbeitsministerium und forscht zu vielfältigen gesundheitlichen „Wir wollen die Leute halten und haben das Belastungen. Sie stellt Hand- Ziel, dass sie es bis zur Rente schaffen – und zwar lungshilfen für die betriebliche gesund“, sagt Heinrich Tode, Koordinator für Praxis bereit. Die Chancen und Arbeitssicherheit. Schonarbeitsplätze aber gehö- Risiken durch die Digitalisierung ren der Vergangenheit an: Wenn jüngere die älte- und psychische Belastungen sind Auch in der Mensa Hamburg-Bergedorf ren Kolleg*innen entlasten, geht das auf ihre in den vergangenen Jahren zu steht grad alles still Kosten. Deshalb hat die Geschäftsführung den einem Schwerpunkt der BauA Vorschlag des Personalrats aufgegriffen und kauft geworden, aber sie beschäftigt seit längerem keine 20-Kilo-Packungen mehr ein, der Raum umgebaut und die körperlichen Be- sich auch weiter mit guter Be- sondern kleinere Gebinde. Vor sieben Jahren hat lastungen für die Beschäftigten reduziert werden leuchtung, den Folgen von Lärm Tode außerdem angefangen, nach ergonomisch könnten. Ihre Wege sind jetzt kürzer, Luftfeuch- und Chemikalien und vielem vorteilhaften Gerätschaften für die Küchen zu tigkeit, Lärm und Hitze geringer geworden und die mehr. Auf ihrer Homepage lassen suchen. Bei deutschen Herstellern fand er keine Handhabung der Maschine ist einfach. Auch die sich Fachaufsätze zu vielfältigen passenden Angebote. „Da ging es immer nur um Anschaffung von Salatmischmaschinen entlastet Themen einfach recherchieren. den Energie- und Wasserverbrauch und die Ge- die Beschäftigten, die früher täglich bis zu 80 Kilo- https://www.baua.de schwindigkeit der Maschinen“, erinnert er sich. gramm geschnippelte Zutaten in großen Wannen Die meisten Innovationen in puncto Gesundheits- per Hand vermengt haben – und das in gebückter schutz in Großküchen kommen bis heute aus Haltung. In einer anderen Mensa gibt es heute Skandinavien. Zieh- und Schiebehilfen für Lebensmittel-Rollis und Müllcontainer, so dass sich die tonnenschwere Last Bevor das Hamburger Studierendenwerk 2017 fast ohne Kraftaufwand transportieren lässt. einen neuen Bandspülautomaten in der Campus- „Diese technischen Neuerungen sind schon Mensa einbauen ließ, beobachteten Spezialisten super, aber sie sind teuer und es gibt sie nur an die Arbeitsabläufe und machten Vorschläge, wie einzelnen Standorten“ so Personalrätin Spreen. Im Stadtgebiet existieren 13 Mensen und etwa 20 Lesenswertes Cafeterien. Buch Kein Loch auf dem Konto Immerhin haben alle Belegschaften die Mög- Gute Arbeit ist seit über zehn durch Kurzarbeit lichkeit, eine Anleiterin anzufordern, die ihnen Jahren das gewerkschaftliche Die meisten Mensen an den Hochschulen machten Bewegungs- und Entspannungsübungen bei- Zukunftsprojekt – vor kurzem ist Mitte März erst einmal vollständig dicht – nur man- bringt; seit 2019 stehen allen Teams pro Woche ein lesenswerter Reader zu cherorts gab es noch „to go“-Angebote. Für einen 20 Minuten aktive Pausen zu. „Ich sehe vielfältige vielfältigen Aspekten rund um Großteil der Beschäftigten in den Küchen und Cafe- Bemühungen“, fasst Spreen zusammen – und Arbeits- und Gesundheitsschutz terien der Studentenwerken bedeutet das Kurzarbeit weist zugleich darauf hin, dass die Belastungen erschienen. null. ver.di hat mitgeholfen, dass viele Landesregie- durch Arbeitsverdichtung stark zugenommen rungen den Lohnausfall vollständig ausgleichen. haben. Ließ die Personaldecke früher zu, auch in Lothar Schröder (Hrsg.) 7 Zuerst in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz gelang der heißen Mittagsphase mal fünf Minuten Pause Arbeitsschutz und der Abschluss entsprechender Dienstvereinbarungen zu machen, so ist dies heute fast unmöglich. „Der Digitalisierung – Gute Arbeit mit den Studentenwerken, Kiel und München folg- Krankenstand in den Mensen ist hoch,“ fasst die Reader 2020, ten, dann NRW – und weitere zogen nach. Personalrätin zusammen. b BUND-Verlag, 220 Seiten Annette Jensen
Schwerpunkt: Arbeits- und Gesundheitsschutz Homeoffice in Zeiten der Pandemie C orona hat viele Beschäftigte ins vermeintliche „Homeoffice“ versetzt. Manche frohlocken, die Krise ermögliche, was sich viele seit langem wünschen. Vor Corona arbeiteten 12 Prozent der stättenverordnung orientiert (siehe auch www.verdi-gefaehr- dungsbeurteilung.de). Das ist in der gegenwärtigen, unfreiwilli- gen Ausnahmesituation natürlich nicht zu gewährleisten. Klar ist Beschäftigten ab und zu von zu Hause aus – doch deutlich mehr auch, dass die von gewerkschaftlicher Seite empfohlenen Betriebs- wollen das. Aber Vorsicht: Die durch die Pandemie verursachte und Dienstvereinbarungen fehlen. Arbeit ist kein „Homeoffice“ im klassischen Sinne. Hintergrundinformationen zu Homeoffice in „normalen Zeiten“ Beim echten „Home Office“ haben Arbeitgeber*innen eine Für- finden sich in der ver.di-Handlungshilfe „Praxis gestalten – Mobile sorgepflicht, wenn sie einen solchen Arbeitsplatz einrichten. Sie Arbeit“ (https://t1p.de/MobileArbeit). Zielsetzung, Zielgruppe, müssen nicht nur die notwendige technische Infrastruktur finanzie- Antragsverfahren, zeitlicher Rahmen, Fragen der Erreichbarkeit und ren und für deren Sicherheit zu sorgen. Ihnen obliegt auch die vieles mehr sollten sowohl für Beschäftigte als auch Leitungskräfte Kontrolle des Arbeitsschutzes, der sich vor allem an der Arbeits- klar geregelt sein. Wird Homeoffice eingeführt, ändert das die Un- ternehmens- und Führungskultur tiefgreifend, weil es neue Formen der Kommunikation und Kooperation voraussetzt. Fragen der Foto: W. Wohlers Kontrolle, der Leistungssteuerung und des Vertrauens sind zentral. Die Einführung solcher Lösungen kostet Zeit und erfordert eine enge Abstimmung, das macht sie im Moment schwerlich umsetz- bar. Und während Beschäftigte in „normalen“ Zeiten von einer funktionsfähigen Infrastruktur an Kindertagesstätten und Schulen ausgehen können, stehen diese gesellschaftlich notwendigen Dienstleistungen in der Corona-Krise nicht zur Verfügung. Ent- sprechend kann die derzeitige Arbeitssituation am heimischen Schreibtisch nicht annähernd ihr Potenzial für effektives Arbeiten und eine verbesserte „Work-Life-Balance“ unter Beweis stellen. b Matthias Lindner Arbeitsschutz im Neuland D ie Betriebs- und Personalräte der außeruniversitären Forschung AGBR haben einen Ausschuss zu Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz – kurz ARGUS. Durch die Vielfalt ihrer Einrichtungen schen Gefahren auftreten, müssen die Ursache-Wirkungs-Bezie- hungen von allen Beteiligten verstanden werden. erhält das Gremium einen guten Überblick, welche neuen Tech- Typisch für den Forschungsbetrieb ist außerdem ein reger inter- niken sich entwickeln, aber auch über anstehende Gesetze, den nationaler Austausch sowie die Zusammenarbeit mehrerer Institute Wandel der Arbeitswelt und Umweltprobleme. Ein zentrales Ziel und Hochschulen ohne klare Verantwortlichkeiten in puncto des ARGUS sind gute Rahmenbedingungen für die physische und Arbeitsschutz. Die Fluktuation der wissenschaftlichen Mitarbeiter- psychische Gesundheit von Beschäftigten. Bei neuen Technologien *innen ist groß, sie alle müssen sicherheitstechnisch eingewiesen wie Gentechnik und Nanotechnologie war ARGUS politikberatend und begleitet werden. Erschwerend hinzu kommt der hohe tätig, was sich in allgemeinen Arbeitsschutzvorschriften und Maß- Leistungs- und Publikationsdruck. Der verursacht nicht nur oft nahmen zur Prävention niedergeschlagen hat. Überforderungen, sondern führt auch zu Abwehrreaktionen gegen Arbeitsschutzvorschriften, weil Forscher*innen sie als lästig und Um die Sicherheit in den Instituten selbst zu gewährleisten, zeitaufwändig empfinden. Entscheidend ist, dass das Management 8 braucht es insbesondere in den naturwissenschaftlichen Einrich- hier seine führende Rolle ernst nimmt. Wenn außerdem Leitungs- tungen hohe Kompetenz und interdisziplinäres Wissen – nicht nur und Sicherheitsfachkräfte, Betriebsrat, Betriebsärzt*innen und bei den Forschenden, sondern auch bei Techniker*innen und Fach- andere Akteur*innen gut kommunizieren und Hand in Hand arbei- kräften für Arbeitsschutz. Standardlösungen reichen nicht, wenn es ten, kann ein hohes Arbeitsschutzniveau erreicht werden. Tatsäch- um komplexe, neue und sich permanent fortentwickelnde Prozesse lich sind die Unfallzahlen in den außeruniversitären Forschungs- geht. Bei Versuchen, bei denen vielfältige chemische und physikali- einrichtungen erfreulich niedrig. b Frank Heymach
Schwerpunkt: Arbeits- und Gesundheitsschutz Foto: privat Wolfgang Hien (Jahrgang 1949) ist Arbeits- und Gesundheits- wissenschaftler aus Bremen. Er arbeitet seit über 30 Jahren in „Das System ist krank“ Forschung und Lehre, leitete das Referat Gesundheitsschutz beim DGB und betreibt heute ein Forschungsbüro. biwifo: Psychische Erkrankungen haben in den vergangenen Reihe von Instituten eine angstmachende Atmosphäre beobach- Jahren zugenommen. Worin siehst du die Ursachen? tet. Das System ist krank – und macht krank. Wolfgang Hien: Psychische Belastungen am Arbeitsplatz gab Was müsste sich grundlegend ändern? es schon immer, nur hat man das so nicht benannt. Was sich ver- ändert hat: Früher kamen die Belastungen von außen durch autori- Konkurrenzdenken ist vollkommen schädlich für eine gute täre Kommandostrukturen. Viele haben darauf mit Magen- und Wissenschaft. Die braucht engste Kooperation und eine wert- Kopfschmerzen reagiert. Das Psychische daran aber war stigmati- schätzende Zusammenarbeit, den Austausch von Erkenntnissen, siert und die Ärzte haben nur die somatischen Symptome behan- der frei ist von Blockaden. In der Krebsforschung habe ich zum delt. Die heutige Betriebsorganisation verlegt den Druck nach Beispiel erlebt, dass Wissenschaftler*innen zwar ihre Ergebnisse innen. Die Beschäftigten treiben sich selbst ständig an, viele haben veröffentlichen, aber Teile ihrer Methodik für sich behalten, Angst, nicht mehr mitzukommen. Studien gehen davon aus, damit andere sie nicht nachmachen können. So etwas ist für dass mindestens ein Drittel der psychischen Erkrankungen arbeits- die Wissenschaft völlig kontraproduktiv. bedingt sind. Wie könnte die Wissenschaft wieder auf eine gute Bahn Wissenschaftler*innen sind meist hochmotiviert und brennen kommen? für ihr Forschungsfeld. Ist das gefährlich für sie? Echte Forschung braucht Zeit. Wünschenswert ist eine Wissen- Das nennen wir in der Soziologie die doppelte Subjektivierung schaft, in der ein tiefes Durchdringen der Fragen möglich ist durch der Arbeit. Da ist zum einen der vom Arbeitgeber kommende intensive Beobachtungen, Analysen und Phasen des Nachden- Anspruch, selbstverantwortlich Unglaubliches zu leisten. Zum kens. Die Realität heute: Ein leitender Professor an der Humboldt- anderen ist unternehmerische Denken tief eingedrungen in die Uni hat mir kürzlich frustriert erzählt, dass er seit 20 Jahren nicht Menschen. Viele glauben dann an sowas wie Selbstverwirklichung. mehr dazu gekommen ist, ein einziges Buch richtig zu lesen. Auch die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind So hatte er sich sein Wissenschaftlerdasein nicht vorgestellt. heute überzeugt, dass Karriere nur machen kann, wer durch- setzungsfähig und sprachgewandt ist, sich gut darstellen kann Du berätst oft Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte. und über einen gewissen Habitus verfügt. Was rätst du ihnen? Aber ist das nicht so? Sie müssten sich zusammentun und sich mutig für einen grundsätzlichen Umbau des Wissenschaftssystems einsetzen. Zum Ja. Aber nur einige schaffen es, die meisten nicht. In der einen ist das permanente Hinterherrennen hinter oft kleinen Wissenschaft gibt es einen unglaublichen Konkurrenzkampf mit Projekten tödlich für eine gute Wissenschaft und schlimm für die Hackordnung. Wem es gelingt, auch mit den blassesten wissen- beteiligten Menschen; die bräuchten mindestens 5-Jahresverträge. schaftlichen Ergebnissen möglichst viel zu veröffentlichen, macht Und zum zweiten finde ich die starke Abhängigkeit von Industrie- Karriere. Nicht selten stehen Leute an erster Stelle der Autorenliste, geldern zum Beispiel von der VW- oder Bosch-Stiftung hoch die kein einziges Wort geschrieben haben. So etwas fördert problematisch. Das zu thematisieren ist aber schwierig, weil Rücksichtslosigkeit und Siegermentalität – und kann zu tiefen heute Projekte und damit die Existenz der Beschäftigten davon Verletzungen führen. Wer da aussteigen will, zahlt oft einen hohen abhängen. sozialen und ökonomischen Preis. Erwartest du, dass sich durch die Coronakrise etwas Grund- Du meinst, nicht die wissenschaftliche Qualität ist ausschlag- sätzliches ändert beim Gesundheitsschutz in den Betrieben? gebend dafür, wer in der Forschung was wird? Das ist momentan schwer zu sagen. Zu hoffen wäre, dass der Jeder ist inzwischen sein eigener Arbeitskraftunternehmer und Schock in seiner Konsequenz ein heilsamer Schock ist, das heißt 9 muss dauernd gucken, wie er immer wieder Projekte akquiriert, die Zeit für ein Innehalten genutzt wird und sich in den Köpfen weil sonst sein Arbeitsplatz gefährdet ist. In vielen Leitungs- der Beteiligten ein Bewusstsein für achtsameres Arbeiten ent- positionen sitzen keineswegs Personen, die Menschen motivieren wickelt. b und gut führen können – im Gegenteil. Ich habe in einer ganzen Interview: Annette Jensen
Schwere Lage für Weiterbildner*innen S T U D I E R E N D E W Finanzielle Hilfen für Studierende Corona wirft für viele Studie- rende finanzielle und organisato- ver.di kämpft rische Fragen auf. Das Deutsche Studentenwerk hat eine FAQ- Seite eingerichtet, die laufend für Solo-Selbstständige aktualisiert wird und sich mit Foto: Werner Bachmeier BAföG-Fragen, Jobverlust, Auf- individuelle Anfragen und überlegen dabei, wel- tragsverlusten bei selbstständi- che Bedeutung die Probleme auch für größere ger Tätigkeit und vielem mehr Gruppen haben. Diese Erkenntnisse arbeiten wir beschäftigt. Auch Links zu den in den ständig wachsenden internetbasierten entsprechenden Formularen sind „Ratgeber Selbstständige“ ein. Der war jetzt eine dort abgelegt. Der DGB hat gute Grundlage für die aus dem Boden gestampf- ebenfalls eine Seite für Studie- te Plattform zur Corona-Krise. Sie ist inzwischen rende zu den aktuell brennenden zu einer der umfangreichsten Informationsplatt- Themen erstellt. Auch hier gibt In der Krise braucht es neue Wege, formen für Selbstständige angewachsen. es Informationen zum BAföG, um zu Entscheidungen zu kommen zu Notfalldarlehen und Sozial- Sowohl der Ratgeber als auch die Corona- leistungen, aber auch Wissens- Infoseite leben von der Vernetzung des Referats wertes zu den Themen Kündi- Die Videokonferenz läuft, rund 50 Kolleg- mit Kolleg*innen aus den verschiedenen Bran- gung, Homeoffice, Kurzarbeit, *innen aus der Weiterbildung aus der chen – auch aus der Weiterbildung. Die bringen Werksstudierendenstatus und ganzen Republik haben sich zugeschaltet. sich ein über Diskussionsforen im Mitgliedernetz, Weiteres. Für umfassende Das gemeinsame, brennende Thema: der ihren Fachbereich, regionale ehrenamtliche Informationen: Umgang mit der Corona-Krise. Welche Strukturen oder eine Mail an selbststaendige https://t1p.de/Studentenwerk- rechtlichen Rahmenbedingungen sind @verdi.de. Ihre Informationen, Ideen und ihr Corona zu beachten? Wie sind unsere Verträge Wissen in „den ver.di-Apparat“ einzuspeisen ist https://t1p.de/DGB-Corona- gestrickt? Wie einigen wir uns mit den ein wichtiger Teil unserer Arbeit. So konnten die Studierende Bildungsträgern? Und schließlich: Wie Vorschläge von Solo-Selbstständigen zum Um- können wir unsere Interessen kollektiv gang mit der Krise zeitnah über den ver.di- vorbringen? Gunter Haake vom Referat Vorsitzenden Frank Werneke in die Gespräche im B I B L I O T H E K E N Selbstständige in ver.di ist auch dabei. Er Bundeskanzleramt und in den Ministerien einflie- beteiligt sich an der Diskussion und bringt ßen. Ein solches Vorgehen setzt sich nun perma- Antrag prüfen – sein Erfahrungswissen ein, das er in 20 nent eine Hutkrempe tiefer auf Arbeitsebene fort. Jahren kollegialer Beratung beim ver.di- Dass wir dank jahrelanger Facharbeit gut Be- JETZT! Selbstständigen-Netzwerk gesammelt hat. scheid wissen, wer zuständig ist und wo Unter- Für die Eingruppierung von stützung zu erwarten ist, erweist sich als überaus Bibliotheksbeschäftigten der VON VERONIKA MIRSCHEL hilfreich. Länder gelten seit dem 1. Januar All das passiert auch sonst im Alltag des 2020 die allgemeinen Merkmale für den Verwaltungsdienst. Wichtig: Für eine Höher- D as hier ist neu – und bietet auch Chancen für „die Zeit danach“. Mit einer breit angelegten Videoschalte sichern wir in Corona-Zeiten die Referats, das für die 30.000 selbstständig arbei- tenden Mitglieder da ist. Allerdings ist der Modus fürs Team normalerweise deutlich ruhiger und ge- gruppierung müssen Beschäftig- Vernetzung und den Informationsaustausch. So ordneter. Es gibt kollegiale Beratung und ehren- ten selbst bis zum 31. Dezember kommen wir rasch zu Einschätzungen und amtliche Gremien, in denen sich Solo-Selbst- 2020 einen schriftlichen, form- Vorschlägen. Denn ebenso neu ist auch die Ge- ständige aller Branchen austauschen und politi- losen Antrag bei ihrer Personal- schwindigkeit, mit der existenzielle Themen auf sche Forderungen entwickeln. In Normalzeiten abteilung stellen! Der wirkt freiberufliche Dozent*innen und andere Solo- treffen sich Solo-Selbstständige auch vor Ort und dann auf den 1. Januar 2020 Selbstständige einprasseln: Null Aufträge, Ge- überlegen gemeinsam, wie sie ihre – nicht immer zurück. Auch wenn die neue EGO setzespakete mit Soforthilfen, Kreditangebote, homogenen, aber in jedem Fall solidarischen Ziele Chancen zur Höhergruppierung vorübergehend erleichterte und verbesserte Zu- – sichtbar machen. b bietet, folgt daraus nicht zwin- gänge zur Grundsicherung. Vor allem in der gend ein höheres Einkommen. Weiterbildungsbranche sind Fragen zur Schein- Wegen des komplizierten Verfah- selbstständigkeit jetzt akut. Die Corona-Seite informiert Solo- 10 rens sollten sich alle Betroffenen Selbstständige über staatliche Hilfen und die vorher von ver.di und ihrem Auch sonst gehört es für das Team im ver.di- Rechtslage und fasst die Forderungen an die Politik Personalrat beraten lassen. Referat Selbstständige zum Alltag, rechtliche, zusammen. https://biwifo.verdi.de/bran- gesellschaftliche und gewerkschaftliche Themen https://selbststaendige.verdi.de/beratung/coro chen/archive danach zu scannen, welche Relevanz sie für Solo- na-infopool Selbstständige haben. Wir beantworten laufend
Handlungsbedarf M E L D U N G E N W Personalratswahlen Weiterbildung im können verschoben werden Das Bundeskabinett hat auf- digitalen Nirwana grund der Corona-Pandemie das Bundespersonalvertretungs- gesetz (BPersVG) geändert. Der DGB und seine Mitgliedsgewerk- Die Digitalisierung verändert große Teile Grundvoraussetzung. Für die Digitalisierung der schaften hatten dies eingefor- der Berufswelt: Viele Beschäftigte benöti- Schulen stellt die Bundesregierung fünf Milliarden dert. Eigentlich sollten die Per- gen neue Qualifikationen. Seit 2019 finan- Euro bereit – für den Weiterbildungsbereich gibt sonalratswahlen auf Bundes- ziert deshalb die Bundesagentur für Arbeit es nichts dergleichen. Erwartet wird offenbar, ebene vom 1. März bis zum 31. nicht nur Maßnahmen für Arbeitslose, dass die Bildungsträger selbst für das teure Equip- Mai 2020 stattfinden. Wo dies sondern auch für Beschäftigte, die vom ment sorgen. Doch wie sollten sie dazu in der aufgrund der aktuellen Lage Strukturwandel betroffen sind. Arbeits- Lage sein angesichts des Dumpingwettbewerbs unmöglich ist, bleiben die beste- minister Hubertus Heil hat sogar einen der vergangenen Jahre? henden Personalvertretungen Rechtsanspruch auf Weiterbildung ins geschäftsführend im Amt, bis Gespräch gebracht. Was jedoch so gut wie Nur wer selbst über Medienkompetenz ver- die Wahl erfolgreich nachgeholt gar nicht thematisiert wird, sind die nöti- fügt kann sie auch vermitteln. Bei der „erweiter- werden konnte. Dafür ist nun gen Voraussetzungen bei den Bildungs- ten Realität“ (Augmented Reality) kommen digi- Zeit bis zum 31. März 2021. trägern und Dozent*innen in der öffentlich tale Brillen oder Handschuhe zum Einsatz. Da- finanzierten Weiterbildung. Und während rüber zu unterrichten setzt voraus, selbst Bescheid W Digitale Ausstellung es für den durch Corona erzwungenen zu wissen und mit Gerätschaften sowie mit „Out of Office“ digitalen Aufbruch an Schulen und Hoch- Datenschutzrichtlinien umgehen zu können. Jetzt Die Ausstellung „Out of schulen staatliche Hilfe gibt, sind die in Corona-Zeiten werden Skype oder Zoom häu- Office – Wenn Roboter und KI meisten Weiterbildungseinrichtungen auf fig fürs Onlinelernen eingesetzt. Zu den Ge- für uns arbeiten“ des Hamburger sich allein gestellt. Doch weder technische schäftsbedingungen solcher Anbieter gehört, fast Museums für Arbeit beschäftigt Ausstattung, die dafür notwendige Fort- unbegrenzt Nutzer*innendaten abzugreifen. Das sich mit der Digitalisierung von bildung oder pädagogische Konzepte ist mit der Datenschutzgrundverordnung in keiner Arbeit – und kann nun online fallen nicht einfach vom Himmel. Weise zu vereinbaren; weigern sich Teilnehmende angeschaut werden. Zu sehen damit zu arbeiten, ist das ihr gutes Recht. sind Interviews, umfangreiche VON ARNFRIED GLÄSER Filmausschnitte, Bilder und Für Datenschutzfragen, Medienreflexion und Hintergrundtexte zu den Aus- U m Beschäftigte und Arbeitssuchende zu befähigen, mit den neuen Techniken umzu- gehen und digitale Lernmedien pädagogisch ein- -kritik brauchen Dozent*innen ebenso Unter- stützung und Lernzeit wie für die Erarbeitung didaktischer Konzepte. Schließlich geht es auch wirkungen des technischen Wandels. https://outofoffice.hamburg zusetzen, bedarf es einer entsprechenden Aus- darum, digitale Medien zielgruppengerecht und stattung der Bildungseinrichtung. Auch sollten medienpädagogisch sinnvoll einzusetzen. W Mütter bei nicht nur Weiterbildungs- sondern auch Er- Bewerbungsverfahren wachsenenbildungsträger über digitale Infrastruk- Aktuell klafft eine riesige Lücke zwischen dem benachteiligt tur verfügen. Hierzu gehören ausreichende offiziellen Anspruch, einen Großteil der Beschäf- Mütter werden in Bewer- Internetanschlüsse, WLAN-Verbildungen sowie tigten durch Weiterbildung fit fürs digitale Zeit- bungsverfahren benachteiligt Computer, Beamer, und Tablets. Zusätzlich ist eine alter zu machen und den Voraussetzungen. Statt und seltener zu Vorstellungs- geeignete Software für die jeweiligen Zielgruppen die zentrale Rolle der Weiterbildner*innen anzu- gesprächen eingeladen als erkennen und sie organisatorisch und finanziell Frauen ohne Kinder. Väter wer- mit schulischem Lehrpersonal gleichzustellen, den hingegen ebenso häufig ein- Foto: Werner Bachmeier wird die Profession des pädagogischen Personals geladen wie Männer ohne oft lapidar auf die von „Lernbegleiter*innen“ Kinder. Das belegt eine vor kur- reduziert. Dahinter steht das Bild, dass Weiter- zem veröffentlichte Studie des bildung vorwiegend allein am Computer mit digi- Wissenschaftszentrums Berlin für talen Programmen stattfindet. Sozialforschung (WZB). Für die Studie wurden über 800 fiktive So aber funktioniert das nicht. Auch in der Bewerbungen auf reale Stellen- Weiterbildung gibt es das Primat der Pädagogik. angebote versandt. 11 https://t1p.de/Muetter- Wenn der Staat nicht rasch die finanziellen Diskriminierung Ein Mann lernt die „erweiterte und organisatorischen Voraussetzungen schafft, Realität“ kennen. findet die Fahrt ins digitale Zeitalter in Deutsch- land im Bummelzug statt. b
Das Prekariat organisiert sich S T U D I E R E N D E W Erfolgreich in den TV-L geklagt Noch immer laufen in Berlin Prozesse zur Eingruppierung von Schluss mit der Reise studentischen Beschäftigten. Im Jahr 2018 hatte sich eine von ihnen an der Humboldt-Uni- nach Jerusalem! versität erfolgreich in den Tarif- vertrag der Länder (TV-L) einge- stärken“ verpflichtet, gemeinsam mit den Län- Foto: Kay Herschelmann klagt. Laut Rechtsprechung des dern künftig jährlich gut 3,8 Milliarden Euro für LAG Berlin können Beschäftigte die Hochschulen bereit zu stellen. Ab 2024 wird an Hochschulen mit überwie- der Betrag dann noch einmal erhöht. Klar ist, dass gend nichtwissenschaftlichen es – anders als beim davor geltenden Hoch- Tätigkeiten weder nach dem schulpakt 2020 – dauerhaft Geld geben soll. Das Berliner Tarifvertrag für studen- Bündnis „Frist ist Frust“ aus ver.di, dem Netzwerk tische Hilfskräfte (TVStud III) ver- für gute Arbeit in der Wissenschaft sowie der GEW gütet werden, noch dürfen ihre fordert deshalb, dass auch alle daraus bezahlten Verträge auf Grundlage des Wis- Stellen auf Dauer eingerichtet werden müssen. senschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) befristet werden. „Ich bin dann mal weg . . .“ – Gegenwärtig sind über 80 Prozent aller wis- Darauf folgten weitere Klagen Aktion vorm Brandenburger Landtag senschaftlichen Arbeitsverträge an Hochschulen von studierenden Beschäftigten befristet. Somit gelten viele Mittvierziger*innen an Hochschulen. an Hochschulen und staatlichen Forschungs- Die Berliner Hochschulen Bilder aus der Zeit, als Versammlungen einrichtungen immer noch als „wissenschaftlicher haben auf den Druck von Perso- noch problemlos möglich waren: Vor dem Nachwuchs“. Ein Großteil hangelt sich seit mehr nalräten und Gewerkschaften Landtag in Potsdam bauen Wissenschaft- als einem Jahrzehnt von Vertrag zu Vertrag. reagiert und mehrere Verwal- ler*innen eine Mauer aus Kartons, auf Manche gelten nur für wenige Monate. Das tungsstellen von sich aus in denen sie das Enddatum ihrer Arbeits- zwingt die Forscher*innen, viel Zeit damit zu ver- den TV-L überführt. Der Berliner verträge notiert haben. An der FU Berlin bringen, den nächsten Vertrag zu organisieren, Senat hat außerdem jährlich 4 dreht sich ein Glücksrad mit einem unbe- statt sich kontinuierlich Forschung und Lehre zu Millionen Euro zusätzlich für die fristeten Arbeitsvertrag als Hauptgewinn, widmen. Dass unter solchen Bedingungen nicht rechtskonforme Umwandlung an der Goethe-Universität in Frankfurt nur die Menschen, sondern auch die wissen- der Beschäftigungsverhältnisse am Main gibt es einen Sekt- oder Selters- schaftliche Qualität leidet, ist unabweisbar. bereitgestellt. Empfang. Auf den Klos der Kasseler Uni haben Kolleg*innen Abschiedsbriefe auf- Möglicherweise deshalb wollte das Bundes- Doch manche Verwaltungs- gehängt, deren Stellen ausgelaufen sind. ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellen halten sich weiter nicht Mit phantasievollen Aktionen begleitete die Länder im Zukunftsvertrag zu einer Quote für an die gesetzlichen Regelungen. das Bündnis „Frist ist Frust“ den 16. Januar. Dauerstellen verpflichten. Doch mehrere Landes- So werden immer mal wieder An diesem Tag mussten die Länder ihre regierungen stellten sich quer: Sie wollen die neue Verträge mit den umgrup- Selbstverpflichtungen abgeben, wie sie Frage der Stellengestaltung nach unten an die pierten Beschäftigten geschlos- das Geld des Bundes für die Hochschulen Hochschulen weiterreichen. sen statt anzuerkennen, dass ab 2021 einsetzen wollen. das Beschäftigungsverhältnis Nun kommt es zum einen darauf an, ob die von Beginn an in den TV-L hätte VON MATTHIAS NEIS Vertreter*innen der Bundesregierung völlig eingruppiert werden müssen. unkonkrete Formulierungen der Länder durchge- Dadurch gehen den Beschäftig- ten bei der Entlohnung Entgelt- stufen verloren. Außerdem sollen N ach wie vor ist unklar, was die Landes- regierungen in den Dokumenten angekün- digt haben. Anfragen über die Plattform „Frag hen lassen. Zum zweiten muss der Widerstand gegen das „Weiter so“ bei Befristungen direkt an die Hochschulen getragen werden. „Frist ist einige Studierende noch immer den Staat“ blieben unbeantwortet. Wo trotzdem Frust“ wird sowohl Vorreiter als auch Bumme- im TVStud III angestellt werden etwas durchgesickert ist, wird deutlich: Die Länder lanten ins Scheinwerferlicht rücken. In die richtige und andere nichtwissenschaft- formulieren ihre Pläne sehr vage und wollen sich Richtung weisen Dienstvereinbarungen, z.B. in liche Tätigkeiten ausüben als in alle Optionen offen halten, wie sie die Mittel ver- Bremen und Dresden oder an der Viadrina in Ausschreibung und Arbeits- wenden. Für den 28. Juni ist eine Sitzung der Frankfurt (Oder), wo wissenschaftliche Arbeits- 12 vertrag vereinbart wurden. Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) verträge mindestens drei Jahre laufen. von Bund und Ländern angesetzt, wo die Rege- ver.di bleibt dran. b lungen abschließend vereinbart werden sollen. Dass es aber auch ganz anders geht, zeigen Länder wie Großbritannien oder Frankreich, wo Josefin Falkenhayn Im vergangenen Sommer hatte sich der Bund Befristungen eher die Ausnahme an Hochschulen mit dem „Zukunftsvertrag Studium und Lehre sind und nicht – wie hier zu Lande – die Regel. b
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