Mehr als ungemütlich-Arbeitsbedingungen und Politik in der Wohnungswirtschaft - Ver.di

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Mehr als ungemütlich-Arbeitsbedingungen und Politik in der Wohnungswirtschaft - Ver.di
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beratung und forschung · bewachungs- und sicherheitsgewerbe · branchenunabhängige callcenter · parteien und verbände · touristi

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sonstige dienstleistungen · wohnungs- und immobilienwirtschaft · zeitarbeitsunternehmen · beratung und forschung · bewachungs- und
sicherheitsgewerbe · branchenunabhängige callcenter · parteien und verbände · touristik · sonstige dienstleistungen · wohnungs- und
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                   Mehr als
                   ungemütlich –
                                                                                                       die

                    Arbeitsbedingungen und Politik
                    in der Wohnungswirtschaft                                                                        0 3 / 2 0 18
Mehr als ungemütlich-Arbeitsbedingungen und Politik in der Wohnungswirtschaft - Ver.di
EDITORIAL                                                                  THEMEN

                                   Foto: ver.di
                                                                                                       S C H W E R P U N K T:
                                                  Ute Kittel                                           WOHNUNGSPOLITIK
                                                  Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes
                                                  und Leiterin des Fachbereichs                        Für eine menschenfreundliche
                                                  Besondere Dienstleistungen                           Wohnungspolitik                                                         3
                                                                                                       Häuserkampf um Tarife                                                   4
                                                                                                       Schlechter werdende Arbeitsbedingungen                                  5
              Wohnen ist eine soziale Frage!                                                           Interview: Knut Unger                                                   6

              Wohnen ist ein Grundrecht. Die Wohnungsfrage ist
                                                                                                       REISEBRANCHE
              zurück! Und das, nachdem sie in den frühen 2000ern als                                   Digitalisierung verändert die
              gelöst galt. Obwohl mehr als 50 Prozent, in Ballungs-                                    Reiseveranstaltung                                                      7

              räumen 85 Prozent, der Menschen in Deutschland auf                                       Erstmals Gehaltsvereinbarung bei
                                                                                                       Berge & Meer                                                            8
              Mietwohnungen/-häuser angewiesen sind, gibt es kaum
              noch bezahlbaren Wohnraum. Jahrelang wurde zu wenig                                      CALLCENTER
              in (sozialen) Wohnungsbau investiert, kommunale                                          Teilabschluss bei walter services                                       9

              Wohnungsbestände wurden privatisiert. Für Wohnraum                                       Betriebsrätetagung                                                 10

              müssen die meisten zwischenzeitlich mehr als 40 Prozent
                                                                                                       SICHERHEITSBRANCHE
              ihres Netto-Einkommens einsetzen. Wohnlage, Woh-                                         Erschreckende Arbeitsbedingungen                                   11
              nungsqualität und Mietpreis unterscheiden sich sehr                                      Neues von den Tarifverhandlungen                                   12
              stark. Die soziale Lage lässt sich häufig an der Wohn-
                                                                                                       DAS GUTE BEISPIEL
              adresse ablesen, nicht selten werden Menschen aufgrund
                                                                                                       Erst organisieren, dann verhandeln                                 13
              ihrer Adresse stigmatisiert. Steigende Immobilienpreise
              sind jedoch ein großes Risiko für die Volkswirtschaft. Der                               VER.DI INTERN
                                                                                                       Die geplante Organisationsstruktur                                 14
              Wohnungsbausektor ist hochprofitabel, so fließen die
              Gelder der Investoren – verbunden mit Steuererleichte-                                   O-TON
              rungen – gerne dahin und nicht mehr in Fabriken. Kredite                                 Susanne Schweikert                                                 15

              werden an Hauskäufer*innen vergeben, nicht an kleine
                                                                                                       ZU GUTER LETZT
              und mittelständige Unternehmen. Bezahlbarer Wohn-                                        Karikatur Reinhard Alff                                            16
              raum wird dies jedoch nicht. Erstkäufer*innen bezahlen
              horrende Preise, verschulden sich mit gigantischen Dar-
                                                                                          besonderen

              lehen und werden zum Risiko des Landes. Wenn es nicht                                    IMPRESSUM
              gelingt, umzusteuern und es beim Thema Immobilien                                        Der ver.di Report die besonderen Nr. 03/2018 · Dez. 2018
                                                                                                       Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
              weiterhin nur um Preis- und Wertsteigerung geht, anstatt                                 Fachbereich Besondere Dienstleistungen
                                                                                                       Paula-Thiede-Ufer 10 · 10179 Berlin
              um Entwicklung, werden sich noch mehr Menschen ab-                                       Internet: www.verdi.de
                                                                                                       V.i.S.d.P.: Ute Kittel
              gehängt fühlen. Überteuerter Wohnraum ist nicht nur                                      FB-Redaktionsteam: Anette Berger, Enrico Bloch, Annemarie Dinse,
                                                                                                       Hans-Peter Kilian, Bernd Lohrum, Anton Müller, Marius Rothe,
              unsozial, sondern brandgefährlich. Wie wir leben, ist                                    Holger Schmidt und Christian Szepan
                                                                                                                                                                          Fotos v.o.n.u.: W. Wohlers (2), Werner Bachmeier (2)

                                                                                                       Redaktionelle Bearbeitung: Uta von Schrenk
              mehr als ein „Dach über dem Kopf“. ver.di setzt sich für                                 Layout: einsatz · Wolfgang Wohlers
              eine Kehrtwende der Wohnungspolitik ein. Miete muss                                      Druck: apm AG Darmstadt, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt
                                                                                                       Titelbild: W. Wohlers (Montage)
              bezahlbar sein, für alle. Das ist das Ziel… sonst wird es                                Die Artikel stellen die Meinungsvielfalt unseres Fachbereiches
                                                                                                       dar und spiegeln nicht in jedem Fall die Meinung des
 besonderen

              ungemütlich! W                                                                           Bundesfachbereichsvorstandes wider.
                                                                                                       Nachdruck nur nach vorheriger Genehmigung durch die Redaktion.
                                                                                         die

                                                                                                       SERVICE
                                                                                                       Fachbereich Besondere Dienstleistungen
die

                                                                                                       Internet: http://besondere-dienste.verdi.de
                                                                                                       Ansprechpartnerin „die besonderen-Report“:
     2                                                                                                 redaktion-besondere@verdi.de · Fax: 030/69 56-35 00
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S C H W E R P U N K T: W O H N U N G S P O L I T I K

                        Öffentliches Interesse
                           statt Marktexzesse
                                                  Mieten explodieren, Immobilien werden unerschwinglich –
                                                  Zeit für eine menschenfreundliche Wende in der Wohnungspolitik

                                                  VON PATRICK SCHREINER                                  Wohnraum ist öffentliche Aufgabe

                                                     L   ange galt Wohnungspolitik als langweilig
                                                         und nebensächlich. Heute explodieren vie-
                                                      lerorts die Mieten, werden Menschen aus
                                                                                                         Der zunehmende Mangel an bezahlbarem Wohn-
                                                                                                         raum ist die Quittung für Fehlentscheidungen der
                                                                                                         zurückliegenden Jahrzehnte: Bund, Länder und
                                                       ihren Nachbarschaften verdrängt, finden           Kommunen haben beträchtliche Wohnungsbe-
                                                        Großdemonstrationen statt, geben Medien          stände privatisiert. Der Gesetzgeber hat Regelun-
                                                        dem Thema breiten Raum. Wohnen ist wie-          gen zum Schutz der Mieterinnen und Mieter vor
                                                        der zurück auf der politischen Agenda.           Kündigung und steigenden Mieten geschwächt.
                                                                                                         Die Kommunen haben Personal in ihren Bauver-
                                                                                                         waltungen reduziert. Bund und Länder wiederum
                                                        Ein spekulativer Teufelskreis                    haben die Mittel für den sozialen Wohnungsbau
                                                                                                         gekürzt. Und die Gemeinnützigkeit im Wohnungs-
                                                         Wohnraum ist vor allem in Groß- und Univer-     bau hat man 1990 gleich ganz gestrichen. „Markt
                                                        sitätsstädten zur Profitmaschine geworden.       vor Staat“ war das Motto.
                                                        Neu gebaut wird vorwiegend hochpreisig; der          Die Lösung der Wohnungsmisere kann vor
                                                       Kauf und teurere Verkauf von Immobilien ist       diesem Hintergrund nur darin bestehen, die öffent-
                                                      ein Geschäftsmodell geworden, ebenso das           liche Kontrolle des Wohnungsmarktes wiederher-
                                                     Modernisieren von Bestandswohnungen auf             zustellen: durch mehr öffentlichen Wohnungsbau,
                                                    Kosten der Mieter*innen. Der Teufelskreis aus        durch eine striktere Mietpreis-Regulierung, durch
                                                  Spekulation und steigenden Immobilienpreisen           mehr Mittel für den sozialen Wohnungsbau. Um
                                                  dreht sich immer schneller, und sein Resultat ist      Spekulation einzuschränken, sollten sich Kommu-
                                                  stets gleich: Auf der einen Seite wird Wohnen für      nen Grundstücke frühzeitig und preisgünstig si-
                                                  die Mehrheit teurer, Menschen werden aus ihren         chern, Baugenehmigungen mit sozialen Vorgaben
                                                  Nachbarschaften verdrängt. Zwischen 2010 und           verknüpfen und Vorkaufsrechte nutzen. Um bezahl-
                                                  2017 sind die Nettokaltmieten in Deutschland um        bare Wohnungen dauerhaft zu sichern, braucht es
                                                  29 Prozent angestiegen, in Großstädten um 42           ferner eine neue Gemeinnützigkeit. Die Idee dahin-
                                                  Prozent, in München um 46 Prozent, in Berlin um        ter: Wohnungsunternehmen erfüllen Vorgaben ins-
                                                  68 Prozent. Auf der anderen Seite reibt sich eine      besondere beim Mietpreis, sie akzeptieren eine
                                                  gutsituierte Minderheit die Hände. Das reichste        Begrenzung ihrer Gewinne und investieren Erträge
                                                  Fünftel der Bevölkerung besitzt 75 Prozent aller Im-   wieder in den Wohnraum. Im Gegenzug erhalten
                                                  mobilienvermögen. Der deutsche Wohnungsmarkt           sie Förderungen und steuerliche Vorteile.
                                                  verschärft so die ohnehin wachsende soziale Un-
                                                  gleichheit.
                                                                                                         Es geht auch anders
                                                      Immobilienwirtschaft und Politik fordern nun:
                                                  „Bauen, bauen, bauen!“ Durch ein größeres An-          Dass eine andere Wohnungspolitik und ein ande-
                                                  gebot an Wohnraum sollen die Mieten sinken. Tat-       res Bauen möglich sind, zeigt Wien. Die Woh-
                                                  sächlich ist Wohnraummangel ein Problem, und           nungsgemeinnützigkeit hat man in Österreich nie
                                                  der Neubau bleibt seit Jahren hinter dem Bedarf        abgeschafft. Fast zwei Drittel der Menschen in
                                                                                                                                                               besonderen

                                                  weit zurück. Und doch ist „Bauen!“ nicht einmal        Wien leben in preisgebundenen kommunalen
                                                  die Hälfte der Lösung. Denn solange sich mit Spe-      oder geförderten Wohnungen. Und anders als im
                                                  kulation und Mieterhöhungen im Bestand Profite         deutschen sozialen Wohnungsbau besteht die So-
Fotos: W. Wohlers (3)

                                                  machen lassen, wird Neubau durch Private allen-        zialbindung dauerhaft. Dieses System drückt die
                                                  falls im gehobenen Preissegment stattfinden.           Mieten am gesamten Markt. Im Ergebnis hat Wien
                                                                                                                                                              die

                                                  Durch Spekulation steigende Grundstückspreise          die niedrigsten Wohnkosten, vergleicht man sie
                                                  tun dabei ein Übriges.                                 mit denen anderer europäischer Metropolen. W    3
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                                        Häuserkampf
                                        Die Wohnungswirtschaft ist eine gewerkschaftliche Herausforderung:
                                        Viele Unternehmen haben keine Tarifverträge oder wenden sie nicht an

                                        VON JÖRG SCHLEDORN                                    schlossen, die sowohl Mieter*innenrechte, als
                                                                                              auch Rechte der Belegschaft absicherte. Diese

                                            A   usbildung in Wohnungswirtschaft war
                                                vor kurzem das Thema eines Arbeitskrei-
                                               ses von Betriebsräten in der Wohnungs-
                                                                                              Charta ist im vergangenen August ausgelaufen.
                                                                                              Die LEG hat einen Haustarifvertrag und eine res-
                                                                                              pektable Gruppe ver.di-Aktiver. Die erste Gesell-
                                                 wirtschaft des Ruhrgebietes bei Vonovia      schaft ohne Tarifvertrag ist gegründet und die
                                                   in Bochum. Die Ausbildungsleiterin         Zukunft wird zeigen, ob die LEG das Auslaufen
                                                     des Branchenprimus mit annähernd         nutzen wird, um den Haustarifvertrag zu attackie-
                                                      400.000 Wohnungen stellte die           ren.
                                                       Ausbildung bei Vonovia vor. Es sei
                                                        schwer, an gute Bewerber*innen           Der Arbeitgeberverband der Wohnungswirt-
                                                         heranzukommen. Zudem ver-            schaft spricht gerne davon, dass die überwiegende
                                                          schärfe der Bauboom die Kon-        Mehrheit der Mitgliedsunternehmen tarifgebun-
                                                          kurrenz um Handwerker*innen,        den sei. Das wird so stimmen, jedoch sind die
                                                          Techniker*innen und Ingenieur-      Mitglieder im Verband unterschiedlich groß. Im
                                                          *innen. Vonovia möchte die          Schnitt besitzen Mitgliedsunternehmen um die
                                                          Qualität der Ausbildung verbes-     tausend Wohnungen, so heißt es gern. Selbst
                                                         sern, so die Ausbildungsleiterin.    wenn die Zahl ungenau oder nicht mehr gültig ist,
                                                        Auf die Frage, warum denn dann        zeigt sie jedoch deutlich: Die Wohnungsunterneh-
                                                       nicht nach Tarif bezahlt würde,        men sind mehrheitlich kleine Unternehmen mit ei-
                                                      ging sie nicht ein. Sei es nicht        nigen wenigen Beschäftigten.
                                                    erfolgsversprechender, den neuen
                                                   Mitarbeiter*innen Bezahlung nach               So wie es sehr wahrscheinlich ist, dass die
                                                 dem Tarifvertrag der Wohnungswirt-           2.000 Genossenschaften mit überwiegender
                                              schaft zuzusagen, anstatt auf dem Ausbil-       Mehrheit den Tarifvertrag anwenden, so unwahr-
                                            dungsmarkt mit anderen tariflosen Unter-          scheinlich ist es, dass die Mitarbeiter*innen der
                                         nehmen zu konkurrieren?                              kleinen Unternehmen in der Lage sind, die Tarif-
                                                                                              auseinandersetzungen ohne die Mitarbeiter*innen
                                            Vonovia, entstanden aus dem Zusammen-             der großen kommunalen oder landesgebundenen
                                        schluss und dem Verkauf vieler ehemaliger Ge-         Unternehmen oder der privaten Unternehmen zu
                                        meinnütziger Wohnungsunternehmen, arbeitet            führen.
                                        strategisch daran, tariffrei zu werden. Vielleicht
                                        noch fünf Prozent der Beschäftigten sind tarifge-        Eine weitere Erkenntnis des erwähnten Arbeits-
                                        bunden. Die Mehrzahl arbeitet in Tochtergesell-       kreises war, dass andere größere Wohnungsunter-
                                        schaften ohne Tarifvertrag. Betriebsräte gibt es,     nehmen mit ihren Betriebsräten Lohnverhand-
                                        auch Tarifverhandlungen nach § 3 BetrVG zur           lungen führen wollen. Der Gesetzgeber unter-
                                        Struktur der Betriebsräte werden geführt. Dage-       sagt dies Betriebsräten ausdrücklich, weil
                                        gen verweigert Vonovia der Mehrheit der Beschäf-      Betriebsräte im Gegensatz zu Gewerk-
                                        tigten Tarife. Noch dramatischer ist es bei der       schaften nicht streiken dürfen.
                                        Deutsche Wohnen, mit rund 163.000 Wohnungen
                                        die Nummer zwei in Deutschland. Die Deutsche              Mitarbeiter*innen in kleinen
                                        Wohnen hat weder Gewerkschaften noch Tarifver-        und in großen Unternehmen
                                        träge im Haus, auch Betriebsräte gehören nicht        ohne Tarifverträge werden in
                                        zum Geschäftsmodell.                                  den „Häuserkampf“ gehen
 besonderen

                                                                                              müssen. Was das bedeutet?
                                           Anders sieht es bei der LEG Immobilien AG, mit     ver.di wird Tarifkämpfe in jedem
                                        126.000 Wohnung, aus. Die LEG wurde vor zehn          der vielen Tausend Unterneh-
                                        Jahren von der schwarz-gelben Landesregierung         men führen müssen oder die
                                        Nordrhein-Westfalens privatisiert. Damit der Ar-      Kolleg*innen müssen für Lohn-
die

                                        beitnehmerflügel der CDU zustimmt, wurde eine         erhöhungen bei ihren Geschäfts-
     4                                  Sozialcharta mit einer Laufzeit von zehn Jahren ge-   führungen betteln gehen. W
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Spanplatte als Büro
Die Arbeitsbedingungen in der Wohnungs-
wirtschaft verschlechtern sich

VON JÖRG SCHLEDORN                                     wesentlichen Aufgaben die Ver-
                                                       sorgung der Bevölkerung mit

D    ie Wohnungsnot hat zu Recht den Weg zu-
     rück in den Mittelpunkt politischer Auseinan-
dersetzungen in Deutschland gefunden. Wenig
                                                       preiswertem Wohnraum gehörte.
                                                       Aber auch der Umgang mit den
                                                       Beschäftigten war stärker von
beachtet wird jedoch die Situation der Beschäftig-     sozialpartnerschaftlichen Ge-
ten in der Wohnungswirtschaft. Dies ist nicht          danken geprägt, ohne jene Ära
angemessen. Gerne werden bei der Aufzählung            romantisieren zu wollen. Diese
die Beschäftigten der Bauindustrie und der Woh-        Einstellung prägt bis heute viele
nungsämter genannt. Dass auch in den Woh-              der Kolleg*innen.
nungsunternehmen Mitarbeiter*innen arbeiten,
wird ausgeblendet.                                         Doch diese erleben in den
                                                       großen privatisierten Unterneh-
   Die Not der Mieter*innen und die Not vieler         men nun eine andere „Kultur“. Die
Beschäftigten in den privatisierten ehemals ge-        ist geprägt von den Traditionen der
meinnützigen Wohnungsunternehmen gehören               Finanzindustrie, weniger von denen
zusammen auf die Tagesordnung. Es sind zwei Sei-       der Wohnungswirtschaft. Es gibt An-
ten einer Medaille.                                    griffe auf den Tarifvertrag. Bei einigen sind
                                                       Betriebsräte oder Gewerkschaften nicht er-
    Wer arbeitet in der Wohnungswirtschaft? Zum        wünscht. Die Arbeitsbedingungen verschlechtern
einen Angehörige technischer und handwerklicher        sich – Arbeitsdruck, kleinteilige Überwachungen
Berufe sowie Ingenieure, die traditionell stolz auf    der Arbeitsleistungen sind zu nennen. Aber dies

                                                                                                                                    Fotos: W. Wohlers (3)
ihre Arbeitsleistungen sind. Zum anderen Angehö-       gilt für viele Branchen. Deshalb ein, zwei Beispiele
rige kaufmännischer Berufe, wie Immobilienkauf-        aus der Praxis: Hausmeister- und Siedlungs-
leute; und auch denen ist klar, dass sie gute und      verwalter*innen sind in der alten Form die An-
qualifizierte Arbeit leisten. Es sind Fachleute für    sprechpartner*innen und das Gesicht für die
Mietrecht und Immobilienverwaltung, für Neben-         Mieter*innen in den Siedlungen. Handwerklich
kosten und Hausordnungen, für Buchhaltungen            versiert und kommunikativ begnadet sind die
und Mahnungen.                                         Schlüsselanforderungen.

   Das spiegelt sich bei den Befragungen des DGB           Die Wirklichkeit vieler Hausmeister*innen sieht
Index Gute Arbeit wider. Die Mitarbeiter*innen         anders aus: Auf digitalem Wege erhalten sie über
wissen, dass sie „nützliche“ Arbeit leisten. Und be-   ihr Tablet den ganzen Tag Arbeitsaufträge, Tickets
zahlbare und menschenwürdige Wohnungen an              genannt. Die Vorgesetzten überprüfen digital und
Menschen mit geringen oder mittleren Einkom-           per GPS, ob und wann die Tickets abgearbeitet
         men zu vermieten, ist wahrhaftig sinnvoll     wurden. Die Tickets betreffen dann eher Fragen
               und nützlich.                           der Verkehrssicherungspflicht. Mit anderen Wor-
                                                       ten: Es geht weniger um die Probleme der
                        Ein Blick auf den Arbeit-      Mieter*innen, sondern die Absicherung der Ver-
                       geberverband, den Gesamt-       antwortlichen der Unternehmen gegen Klagen
                         verband der Deutschen         wegen Brandschutzgefährdungen und anderes.
                          Woh nungs wirtschaft,
                           zeigt, dass dieser Ver-        Gerne wird unter Betriebsräten die Anekdote
                            band aus der alten Ge-     erzählt, dass mancher Hausmeister außerhalb der
                                                                                                                                besonderen

                            meinnützigkeit stammt.     Siedlungen parkt, die Dienstjacke auszieht, um
                            Diese 1990 abgeschaff-     unerkannt die Schuhschränke in den Hausfluren
                           te Wohnungsgemein-          aufzunehmen. Ja, es gibt gar ein Unternehmen,
                           nützigkeit war von dem      das seinen Hausmeistern eine Spanplatte zur Ver-
                          Gedanken geprägt, dass       fügung gestellt hat – auf die Armatur des Dienst-
                                                                                                                               die

                        zur Daseinsvorsorge des        autos gelegt, spart sie den Büroarbeitsplatz ein.
                      Staates und zu einer seiner      W                                                                       5
Mehr als ungemütlich-Arbeitsbedingungen und Politik in der Wohnungswirtschaft - Ver.di
S C H W E R P U N K T: W O H N U N G S P O L I T I K

                                                                                    „Wir brauchen
               Knut Unger, MieterInnenverein
               Witten, über privatisierte
               Wohnungsunternehmen,
                                                                                     so etwas wie
               Gemeinnützigkeit und ver.di
               als Bündnispartner
                                                Foto: Privat
                                                                                     eine Mieter*in-
                                                                                    nengewerkschaft“
               die besonderen: Welche Bedeutung haben die großen privati-           entwürfe vorgelegt, die aber von den anderen Parteien abge-
               sierten Wohnungsunternehmen für Eure Arbeit in Witten im             lehnt wurden. Der Kerngedanke ist: Private oder öffentliche
               südlichen Ruhrgebiet?                                                Träger der sozialen Wohnraumversorgung, die sich mit ihrem ge-
                                                                                    samten Vermögen auf Dauer und verbindlich auf eine bezahlbare
               Knut Unger: Vonovia & Co. bringen mit miserablem Service,            Wohnraumversorgung für den sozialen Bedarf und ohne Profit-
               überzogenen Nebenkostenabrechnungen und schlechter Er-               interessen verpflichten, erhalten vom Staat steuerliche und an-
               reichbarkeit viele Mieter und Mieterinnen zur Verzweiflung. Zu-      dere Vergünstigungen.
               gleich sind sie bei uns die Haupt-Mietpreistreiber. Vor kurzem
               waren ihre Wohnungen, zumeist ehemalige Werkswohnungen,              Linke und Grüne haben sich für eine neue Gemeinnützigkeit aus-
               noch preiswert. Nun werden die Mieten mit verschiedenen              gesprochen, es gibt auch positive Signale aus der SPD. Siehst Du
               Tricks und sogenannten Modernisierungen auf ein Niveau               weitere Bündnispartner?
               gehoben, das sich viele nicht leisten können. Fast ein Viertel der
               Haushalte in Witten verfügt nur über Einkommen unter der             Bei den Wohlfahrtsverbänden. Der Paritätische ist auch für eine
               Armutsrisikogrenze. Sozialen Wohnungsneubau gibt es in               Neue Wohnungsgemeinnützigkeit. Die Kolleg*innen in der
               Witten kaum. Aber so viele bezahlbare Wohnungen, wie durch           Sozialarbeit kriegen den Mangel an bezahlbaren Wohnungen ja
               die Geschäftspraktiken der Wohnungskonzerne wegfallen,               besonders extrem mit. Weitere Bündnispartner sind selbst
               könnte man ohnehin niemals neu bauen.                                organisierte Wohnprojekte, Miethäusersyndikate und neue Woh-
                                                                                    nungsgenossenschaften. Leider gibt es bei den Kommunen,
               Der DGB fordert jährlich 100.000 neue Sozialwohnungen. Der           vielen kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunter-
               Mieterbund und andere fordern zudem die Wiedereinführung             nehmen nur wenig Zuspruch. Eine ganz wichtiger Bündnispart-
               einer Wohnungsgemeinnützigkeit. Wie kommt es zu dieser For-          ner sind aber natürlich auch die Gewerkschaften, allen voran
               derung?                                                              ver.di.

               Innerhalb des Deutschen Mieterbundes in NRW war der Aus-             Du bist selbst ver.di-Mitglied, was wünschst Du in dieser Frage
               löser, dass wir ein Gegenmodell zu dem suchten, was wir tag-         von Deiner Gewerkschaft?
               täglich bei den finanzmarktorientierten Vermietern erlebten.
               Fast alle ihre Wohnungen stammen ja ursprünglich aus der             Die steigenden Wohnkosten machen alle Lohnzuwächse zu-
               gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, die 1990 zerschlagen              nichte. Die Beschäftigen im öffentlichen Dienst finden in immer
               wurde. Die jetzigen Probleme sind die Folge des Renditedrucks        mehr Städten keine bezahlbaren Wohnungen mehr. Auch ver.di-
               der Finanzanleger und ihrer undurchsichtigen Geschäftsmodelle.       Mitglieder werden aus ihren Wohnungen gedrängt. Es geht aber
               Wenn man ein Gegenmodell dazu entwickelt, wird deutlich,             auch um die Beschäftigten der finanzialisierten Wohnungsindu-
               dass diese Vermieter nicht vom Himmel gefallen sind. Sie sind        strie selbst. ver.di ist für sie ja als Gewerkschaft zuständig. Von-
               das Produkt verantwortungsloser politischer Entscheidungen.          ovia unterläuft die tariflichen Bedingungen und bekämpft die
               Die Diskussion, die wir damit angefacht haben, dreht sich nun        gewerkschaftliche Organisierung. Wir brauchen ver.di als aktiven
               allerdings um die Frage, wer die vielen fehlenden bezahlbaren        Bündnispartner, um den politischen Druck zu erhöhen. ver.di
               Wohnungen in Deutschland bauen soll. Wir brauchen eine ge-           sollte aber auch mit interessierten Mietervereinen und Mieterin-
               meinnützige Unternehmensbindung auch deshalb, damit die              itiativen an der Basis zusammenarbeiten. Im Grunde brauchen
               mit viel öffentlichem Geld geförderten Wohnungen auf Dauer           wir so etwas wie eine Mieter*innengewerkschaft. Unser gemein-
               sozial gebunden bleiben und nicht nach Rückzahlung der               sames Ziel sollte es sein, gute und sichere Wohnungen mit guten
               Kredite zur Spekulationsmasse der Finanzmärkte werden.               und sicheren Arbeitsplätzen zu verbinden. Das geht auf Dauer
 besonderen

                                                                                    nur mit gemeinnützigen Trägern. Nach Artikel 15 Grundgesetz l-
               Habt Ihr Vorstellungen, wie die neue Gemeinnützigkeit aus-           ießen sich die jetzigen Konzernwohnungen vergesellschaften und
               sehen könnte?                                                        in diese Form der Gemeinwirtschaft überführen. W

               Dazu gab es im Mieterbund und in unseren Bündnissen viele            Fragen: Jörg Schledorn
die

               Diskussionen. Linke und Grüne im Bundestag haben Gesetz-
     6
REISEBRANCHE

Vom Katalog zum Online-Portal
Die Digitalisierung verändert die Arbeit in der Reiseveranstaltung –
eine Herausforderung für Beschäftigte

VON MARION SCHNEIDER UND

                                                                                                                                                  Foto: W. Wohlers (Bildmontage)
HOLGER SCHMIDT

I n der Vergangenheit gaben Reiseveranstal-
  ter zweimal im Jahr Kataloge mit vorkalku-
lierten Angeboten heraus – gerne pauschal
mit Flügen, Hotel und Transfer. Die klassische
Produktionskette begann mit dem Einkauf
der Leistungen, der Kalkulation und Aus-
schreibung selbiger in Katalogen sowie der
Buchbarmachung. Der Vertrieb erfolgte zu-
meist über Reisebüros an den Endkunden.
Wenn sich diese im Voraus zusammen-
gestellten Leistungen nicht wie gewünscht
verkauften, wurden mit so genannten Last-
Minute-Angeboten Restkapazitäten ver-
marktet. Untersaisonale Angebotsanpassun-
gen kamen entweder zu kurz oder waren
nicht vorgesehen.
                                                 Deutschen Reiseverband (DRV) zufolge wird       und ihnen begleitend dazu eine größtmög-
    Noch ist die Veranstalterlandschaft in       fast jede zweite Buchung heute schon dyna-      liche Vielfalt von Informationen zu liefern.
Deutschland bunt und vielfältig. Laut Torsten    misch produziert. Und zwar nicht mehr nur
Kirstges, Professor für Tourismuswirtschaft      durch die Reiseveranstalter sondern häufig          Diese Entwicklung hat auch Folgen für
an der Jade-Hochschule Wilhelmshaven,            auch durch die Leistungsträger selbst. Der      die Beschäftigten. Immer mehr Aufgaben
buhlen rund 1.650 Reiseveranstalter um die       Vertrieb erfolgt zunehmend über global          werden automatisiert. Das führt zu Restruk-
Gunst der Urlauber.                              agierende Onlineportale wie Expedia, Boo-       turierungen in immer kürzer werdenden
                                                 king oder Check 24. Diese agieren auch          Abständen. Auch Personalabbau ist nicht
    Doch durch die Digitalisierung haben         immer mehr als virtuelle Reiseveranstalter.     auszuschließen. Laufend entstehen neue
Verbraucher*innen immer mehr Möglichkei-         Sie zeichnen sich durch schlanke Organisati-    fachliche Anforderungen, die nichts mehr
ten, ihre Reisen selbst zu organisieren. Und     onsstrukturen aus und verlangen von den         mit den Kenntnissen und Fähigkeiten einer
die neue Konkurrenz, etwa global agierende       klassischen Reiseveranstaltern überdurch-       Reiseverkehrskauffrau oder eines Touristik-
sogenannte Online-Reisebüros, und die zu-        schnittlich hohe Provisionen für den Vertrieb   kaufmanns zu tun haben. Gefordert werden
nehmende internationale digitale Vernet-         ihrer Reiseprodukte.                            Mitarbeiter*innen mit Marketingkenntnis-
zung setzen klassische Reiseveranstalter wie                                                     sen oder IT-Ausbildung sowie E-Commerce-
TUI, Thomas Cook und DER Touristik zuneh-            Die Digitalisierung führt aber auch zu      Kaufleute. Damit wird es für Beschäftigte mit
mend unter Druck. Einer Studie der Fachzeit-     Veränderungen in den Produktionsprozessen       einer touristischen Ausbildung bei den Reise-
schrift FVW zufolge verlieren die klassischen    der klassischen Reiseveranstalter. Als „Revo-   veranstaltern eng. Qualifizierungsprogramme
Reiseveranstalter seit 2011 kontinuierlich       lution der Veranstaltersysteme“ bezeichnet      werden entweder gar nicht angeboten oder
Marktanteile (ausgenommen Kreuzfahrten).         Michael Faber vom Beratungsunternehmen          stecken noch in den Kinderschuhen. Hinzu
Jedes Jahr verschwinden 80 Reiseveranstal-       Tourismuszukunft, was sich derzeit auf dem      kommt, dass es aufgrund der Anforderungen
ter vom Markt. Der Touristikexperte Roland       Markt der Softwarelösungen abspielt: Jahre-     immer weniger Stellen auf Sachbearbeiter-
Conrady von der Fachhochschule Worms             lang gewachsene Systeme seien längst            ebene gibt. Damit verschließen sich die klas-
fand auf der Reisemesse ITB klare Worte zu       überholt, nun drängen neue Anbieter mit         sischen Pfade in der unternehmensinternen
Tempo und Folgen der Digitalisierung in der      digitalen Lösungen auf den immer unüber-        beruflichen Entwicklung. War es früher üb-
                                                                                                                                                            besonderen

Reisebranche: „Wenn Reiseveranstalter nicht      sichtlicheren Markt. Die Reiseveranstalter      lich, über Jahre oder sogar Jahrzehnte hin-
aufpassen, sind sie schnell abgehängt.“          müssen ihre Produktionsprozesse reorgani-       weg im selben Bereich oder auf derselben
                                                 sieren. Sie müssen in der Lage sein, aus der    Stelle seine Arbeit zu tun, so müssen sich die
   Über globale Vertriebssysteme können          Vielzahl der selbst oder fremd eingekauften     Beschäftigten auf häufigere, regelmäßige
nun sowohl Hotelzimmer als auch Flugplätze       Leistungen den Kund*innen ein auf ihre per-     Stellenwechsel und stetige Qualifizierung ein-
                                                                                                                                                           die

jederzeit automatisiert in Echtzeit zu tages-    sönlichen Bedürfnisse zusammengestelltes,       richten. W
aktuellen Preisen gebündelt werden. Dem          preisattraktives Reiseangebot zu erstellen                                                                       7
REISEBRANCHE
              T     A      R      I     F       E

              W TUI DEUTSCHLAND
              Geld oder Freizeit
                   ver.di und TUI Deutschland
              haben sich auf eine Erhöhung der
              Entgelte für das kommende Jahr
                                                    Ein besseres Image
              verständigt. Ab Januar 2019 wer-
              den die Gehälter tabellenwirksam
              um zwei Prozent erhöht. Alterna-
                                                    ist möglich
              tiv besteht die Wahlmöglichkeit       Die erste Gehaltsvereinbarung bei Berge & Meer Touristik lässt hoffen.
              zwischen einer Gehaltserhöhung
                                                    Doch andere TUI-Töchter sind immer noch ohne Tarifvertrag
              um ein Prozent und drei zusätzli-
              chen Urlaubstagen. Vorab hatten
              in einer Befragung fast 40 Pro-       VON JÜRGEN RINKE-OSTER

                                                                                                                                                                Foto: ver.di
              zent der ver.di-Mitglieder erklärt,
              dass sie sich vorstellen könnten,
              statt mehr Geld zusätzlichen Ur-
              laub in Anspruch nehmen zu wol-
                                                    D    er Großteil der von den Kolleg-
                                                         *innen in Tochterunternehmen der
                                                    TUI erwirtschafteten Gewinne geht an
              len.                                  den Mutterkonzern. Dennoch kümmert
                                                    sich die TUI im Gegenzug aber keinesfalls
                  Eine Verrechnung mit eventu-      um Tarifbindung und faire Gehälter.
              ellen übertariflichen Vergütungs-     Dabei wäre es ein doppelter Imagege-
              bestandteilen findet nicht statt.     winn, wenn alle Beschäftigten unter dem
              Und es gibt eine Entgeltabsiche-      Dach der TUI die zwischen ver.di und
              rung bei arbeitgeberveranlassten      dem Konzern regelmäßig ausgehandel-
              Versetzungen auf niedriger ver-       ten Tariferhöhungen erhalten würden.
              gütete Stellen.
                                                       Bei der TUI-Tochter Berge & Meer
                  Zudem wird das Weihnachts-        wurden nun zum ersten Mal Gehalts-
              geld im Jahre 2019 auf 95 Pro-        erhöhungen mit ver.di schriftlich verein-
              zent und im Jahre 2020 auf            bart. Bis dahin erhielten unter den rund
              hundert Prozent eines Monatsge-       300 Beschäftigten trotz einer Betriebszugehörig-       Mitarbeiterinformation der Berge & Meer:
              halts (für diejenigen, die „erst“     keit von über zehn Jahren einige Kolleg*innen
              ab dem 1. Oktober 1998 – fast         noch immer nur 2000 Euro brutto oder knapp da-         Liebe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen,
              2000 Beschäftigte – im Unterneh-      rüber. Die Rentenkampagne von ver.di machte
              men beschäftigt sind), erhöht.        wach: Um eine Rente oberhalb der Grundsiche-               wir freuen uns Ihnen mitzuteilen, dass in meh-
              Somit erhalten alle Beschäftigten     rung zu bekommen, muss man mindestens 2500             reren Verhandlungsrunden die Geschäftsführung
              ab dem Jahre 2020 ein volles 13.      Euro verdienen.                                        und die ver.di-Tarifkommission sowie der Betriebs-
              Monatsgehalt.                                                                                rat im Konsens eine Vereinbarung über Gehaltser-
                                                        Bereits 2016 konnte ver.di eine Arbeitgeberzu-     höhungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
                  Die Auszubildenden bekom-         sage mit einem Mindesteinstiegsgehalt von 2000         mit bestimmten Grundgehaltshöhen abgeschlos-
              men ab Januar 2019 monatlich          Euro erreichen. Und durch die nun getroffene Ver-      sen haben.
              60 Euro brutto mehr. Kolleg*in-       einbarung erhalten die Kolleg*innen seit dem
              nen, die ihre Ausbildung im Ja-       1. Juli je nach Unternehmenszugehörigkeit min-            Die Vereinbarung gilt rückwirkend zum 1. Juli
              nuar oder Februar 2019                destens 2500 Euro. Dies ist ein toller Erfolg der      2018 und trägt sowohl dem finanziell möglichen
              abschließen, erhalten eine Ein-       Berge & Meer-Tarifkommission (siehe Foto). Beide       Rahmen als auch der Angleichung an branchen-
              malzahlung von hundert Euro           Mindestregelungen bedeuteten für einige Kolleg-        übliche Gehaltsstrukturen für bestimmte Mitarbei-
              brutto.                               *innen bis zu 500 Euro monatlich mehr Gehalt.          tergruppen Rechnung.

                  Die ver.di-Tarifkommission hat        Nachdem nun erstmals eine Vereinbarung un-             Ein zentrales Anliegen auf beiden Seiten war
              dem Verhandlungsergebnis –            terschrieben werden konnte, ist das Ziel eines ge-     die Anpassung der Gehälter langjähriger Mitarbei-
              nicht jubelnd, aber auch nicht        samten Tarifwerkes nicht mehr allzu fern. Im           terinnen und Mitarbeiter der Berge & Meer sowie
              zähneknirschend – mehrheitlich        Spätsommer 2019 werden weitere Gespräche               der FOX-TOURS, die noch auf einem niedrigen Ge-
              zugestimmt. Der Spielraum am          bzw. Verhandlungen stattfinden.                        haltsniveau liegen, auf ein bestimmtes monatliches
 besonderen

              Verhandlungstisch war ausge-                                                                 Grundgehalt. Daneben lag der Fokus auf der pro-
              reizt. Dabei waren zahlreiche             ver.di weiß um die Situation der anderen Töch-     zentualen Anhebung von Grundgehältern unter
              Aktionen sehr hilfreich. W            ter der TUI, die keinem Tarifvertrag unterliegen.      Berücksichtigung von monatlichen Bezugsgren-
                                                    Deshalb ist zu hoffen, dass auch hier die Kolleg*in-   zen.

                     TUI                            nen mit ver.di gemeinsam endlich aktiv werden.             Einzelfragen dazu beantworten die Mitglieder
die

                                                    Dass es geht, haben Berge & Meer eindrucksvoll         der ver.di-Tarifkommission und das Personalteam
     8                                              gezeigt.                                               gerne! W
CALLCENTER
                                                                                                                                      V E R B Ä N D E

                                                                                                                                      W SOVD
                                                                                                                                      Zwischenlösung beim

                     Auf und Ab                                                                                                       Sozialverband Deutsch-
                                                                                                                                      land
                                                                                                                                           Die ver.di-Tarifkommission
                         ver.di und walter services haben sich auf einen                                                              beim Sozialverband Deutschland
                                                                                                                                      (SoVD) ist zufrieden damit, dass
                         Teilabschluss zum Rahmentarifvertrag geeinigt
                                                                                                                                      der Arbeitgeber auf ihr letztes
                                                                                                                                      Verhandlungsangebot, zunächst
                         VON MARKUS NÖTHEN                                         Dies hat dem Arbeitgeber deutlich gemacht,         eine einheitliche lineare Lohner-
                                                                                dass er an den ver.di-Mitgliedern im Unterneh-        höhung für alle Beschäftigte tarif-

                         W      alter services und die ver.di-Tarifkommission
                                haben sich in zähen Verhandlungen auf
                         einen neuen „Rahmentarifvertrag 2018 Teil 1“ ge-
                                                                                men nicht vorbeikommt. Die Gespräche wurden
                                                                                fortgesetzt. Nun gibt es einen Teilerfolg: den
                                                                                neuen „Rahmentarifvertrag 2018 Teil 1“. Dieser
                                                                                                                                      vertraglich zu vereinbaren, mit
                                                                                                                                      dem Beschluss seines Bundes-
                                                                                                                                      vorstandes eingegangen ist.
                         einigt. Trotz konstruktiver Gespräche waren die        regelt das Jahresarbeitszeitkonto neu und schafft          ver.di zeigt sich erleichtert
                         Verhandlungen über eine Modernisierung des             die sogenannte 51-Prozent-Regelung zum 1. Ok-         über den Verhandlungsverlauf.
                         Rahmentarifvertrages (RTV) sowie des Entgelttarif-     tober 2018 ab. Darüber hinaus ist vereinbart          „Dies wurde nur möglich, weil
                         vertrages (ETV) ab September 2017 ein stetiges         worden, dass alle sich in der Nachwirkung befin-      Tarifkommission und Beschäftigte
                         Auf und Ab – beim Arbeitgeber war kein roter           denden Regelungen weiter nachwirken und die           an einem Strang gezogen
                         Faden zu erkennen.                                     Verhandlungen zu den offenen Themen fort-             haben“, sagt der zuständige
                                                                                gesetzt werden. Diesem RTV Teil 1 hat die Tarif-      ver.di-Bundesfachgruppenleiter
                             Hier ein kurzer Abriss, was 2018 war: Januar –     kommission am 24. September 2018 einstimmig           Markus Nöthen. ver.di konnte im
                         nach guten Verhandlungen und einem neuen Vor-          zugestimmt.                                           Vorfeld der Verhandlungen beim
                         schlag zum Grundlohn hat die Tarifkommission                                                                 SoVD viele neue Mitglieder ge-
                         sich auf der Zielgeraden gesehen. März/April – der                                                           winnen und so ihre Verhand-
                         Arbeitgeber bat um eine Verhandlungspause,             Was bedeutet das im Einzelnen?                        lungsstärke ausbauen.
                         kehrte nach Aufforderung jedoch zügig an den                                                                      Die Gehälter werden dem-
                         Verhandlungstisch zurück. Der aufgenommene             W Die bedingungslose Stundengutschrift auf dem        nach im Bundesverband und in
                         Schwung blieb jedoch auf der Strecke. Mai/Juni –         Jahresarbeitszeitkonto bei Krankheit, Urlaub        den unselbständigen Landesver-
                         der Arbeitgeber beriet sich mit seinen Betriebsrä-       und an gesetzlichen Feiertagen mindestens auf       bänden zunächst freiwillig rück-
                         ten. Im Anschluss folgten gute Gespräche und             Basis der individuellen Sollarbeitszeit pro Ar-     wirkend zum 1. Januar 2018 um
                         eine Annäherung in vielen strittigen Punkten bei         beitstag. Damit gibt es keine Minus-Stunden         2,5 Prozent erhöht. Den selbstän-
                         ETV und RTV. Juli – der Arbeitgeber fuhr zweiglei-       mehr bei Krankheit.                                 digen Landesverbänden empfiehlt
                         sig: Die Tarifverhandlungen kamen kaum weiter.         W Die Lohnfortzahlung erfolgt inklusive variabler     der Bundesvorstand, diese Er-
                         Der Arbeitgeber setzte dafür alles daran, die we-        Vergütung auf gesetzlicher Basis bei Krankheit,     höhung ebenfalls zum 1. Januar
                         sentlichen Aspekte (Urlaub, Arbeitszeit und Ent-         Urlaub und an gesetzlichen Feiertagen. Un-          2018 zu beschließen.
                         gelt) in Konzernbetriebsvereinbarungen und einer         durchsichtiger „DS 12“ wird durch transparen-            Diese Erhöhung und auch die
                         Betriebsvereinbarung „Mitarbeiterkonditionen“ zu         ten „DS 3“ ersetzt.                                 vorherigen freiwilligen Erhöhun-
                         verankern. Die Beschäftigten und die Betriebsräte      W Die Kontrolle des Jahresarbeitszeitkontos er-       gen sollen kurzfristig in eine tarif-
                         erteilten einer solchen Regelung eine klare Ab-          folgt mit einem leicht verständlichen Ampelsys-     vertragliche Regelung überführt
                         sage.                                                    tem. Halbierung der bisher üblichen Über- und       werden, heißt es in dem Be-
                                                                                  Unterplanung auf maximal die doppelte indivi-       schluss weiter. Die entsprechende
                                                                                  duelle Soll-Wochenarbeitszeit. Dann steht das       tarifvertragliche Regelung, die die
Foto: Werner Bachmeier

                                                                                  Konto im roten Bereich und es müssen Maß-           Tarifkommission einstimmig be-
                                                                                  nahmen getroffen werden, wieder in den grü-         schlossen hat, ist von ver.di an
                                                                                  nen Bereich zu kommen.                              den SoVD zur Unterschrift über-
                                                                                W Bei einer Erhöhung des Grundlohns bleiben           sandt worden.
                                                                                  mindestens 50 Prozent der Plusstunden im Zeit-           Diese tarifvertragliche Rege-
                                                                                  wert erhalten. Für den anderen Teil gibt es die     lung ist auch für die Tarifkommis-
                                                                                  Möglichkeit, sie gestaffelt über drei Monate        sion nur eine Zwischenlösung, um
                                                                                  ausgezahlt zu bekommen.                             zumindest die Preissteigerung für
                                                                                                                                      dieses Jahr verbindlich auszuglei-
                                                                                    Zwar ist die Erhöhung des Grundstundenlohns       chen. „Die sehr komplexen Ände-
                                                                                                                                                                               besonderen

                                                                                noch nicht gelungen, dennoch ist mit dem Ab-          rungswünsche des Arbeitgebers
                                                                                schluss des „Rahmentarifvertrags 2018 Teil 1“         bezüglich des Gehalts- und Man-
                                                                                eine der Kernforderungen aller Beschäftigten in Er-   teltarifvertrages müssen weiter
                                                                                füllung gegangen. Darüber hinaus haben sich           ausgehandelt werden. Dies benö-
                                                                                beide Tarifparteien darauf verständigt, einen ganz-   tigt Zeit“, heißt es aus der Tarif-
                                                                                                                                                                              die

                                                                                heitlichen Rahmen- und einen neuen Entgelttarif-      kommission. W
                                                                                vertrag zu verhandeln. W                                                                      9
CALLCENTER
              A B S I C H E R U N G

              W KERNTECHNISCHE
              ANLAGEN
              Soziale Absicherung
              im Fokus
                   Im August hatte ein Treffen
                                                                            Mehr Produzentenstolz
              der ver.di-Mitglieder der Arbeits-                            Zufriedene Kunden und Kolleg*innen müssen kein Widerspruch sein,
              gruppe Kerntechnische Anlagen
                                                                            stellt die diesjährige Betriebsrätetagung der Callcenterbranche fest
              (AG KTA) mit Vertreter*innen der
              Bundesgesellschaft Zwischen-
              lagerung (BGZ), des Bundes-                                   VON FLORIAN FEICHTMEIER UND                             zugrenzen, doch eine Betriebsrätin gab zu beden-
              umweltministeriums und Abge-                                  CHRISTIAN SZEPAN                                        ken: „Wenn die Verhaltens- und Leistungskon-
              ordnet*innen des Bundestags                                                                                           trolle zur Bewertung der Bonuszahlung genutzt
              stattgefunden. Die AG KTA des
              Fachbereichs 13 in ver.di setzt
              sich für die Gewährleistung sozia-
                                                                            D     ie Callcenter könnten die Arbeit der Beschäf-
                                                                                  tigten deutlich entlasten, wenn sie auch die
                                                                            Wünsche der Kund*innen mehr in den Mittel-
                                                                                                                                    wird, entscheiden sich viele Beschäftigte leider viel
                                                                                                                                    zu häufig für die Überwachung.“ Eine Umfrage
                                                                                                                                    während der Fachtagung unter den rund siebzig
              ler Absicherung beim anstehen-                                punkt stellten. Dies betonte ver.di-Bundesvor-          teilnehmenden Betriebsrät*innen aus Call- und
              den Rückbau der Kerntechnischen                               standsmitglied Lothar Schröder auf der Callcenter-      Servicecentern ergab: Digitale Arbeitsmittel erhö-
              Anlagen in allen Bundesländern                                tagung des TBS-Netzwerkes. Kollege Schröder             hen den Leistungsdruck und belasteten die Psyche.
              ein.                                                          stellte die Frage, wie Kunden zufrieden gestellt        Strittig ist, in welchem Umfang Künstliche Intelli-
                                                                            werden sollten, wenn die Telefongespräche mög-          genz im Callcenter künftig eingesetzt wird. Die Ex-
                  Bei dem Treffen wurde inten-                              lichst kurz gehalten werden. Die Kund*innen             perten sind sich einig, dass die neuen technischen
              siv über die Situation der Sicher-                            ärgerten sich, weil ihre Anliegen nicht fallabschlie-   Systeme das Berufsfeld weiter verändern werden.
              heitsbeschäftigten diskutiert.                                ßend gelöst würden, und die Beschäftigten wür-          Mario Daum von Input Consulting erklärte, durch
              Mitgeteilt wurde den ver.di-                                  den damit unter Stress gesetzt. So könne kein           das Workforce-Management und eine veränderte
              Vertreter*innen, dass sich an den                             Produzentenstolz entstehen. Dass dieser aber be-        Arbeitsorganisation nähmen Arbeitsverdichtung,
              bestehenden Regularien nichts                                 flügle, wisse man aus der Automobilindustrie, in        kurzfristige Arbeitseinsätze und häufige Aufga-
              ändern solle.                                                 der die Bandarbeiter*innen das fertige Fahrzeug         benwechsel zu.
                                                                            vor Augen hätten. Schröder forderte entspre-
                  Doch die Signale, die in der                              chend, die Callcenterkolleg*innen individuell und           Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht und
              Zwischenzeit aus einigen Bundes-                              umfangreich zu schulen, damit sie alle Kundenan-        Recht der Informationsgesellschaft an der Frank-
              ländern kommen, lassen aufhor-                                liegen erfüllen könnten.                                furt University of Applied Sciences, kritisierte, die
              chen und anderes befürchten. So                                                                                       Einführung der europäischen Datenschutzgrund-
              fordern behördliche Bewachungs-                                                                                       verordnung senke das deutsche Schutzniveau ab.
                                                   Foto: Werner Bachmeier

              auflagen, die Teil der Genehmi-                                                                                       Er erklärte, das neue Datenschutzrecht sei aber
              gung der Standortzwischenlager                                                                                        keineswegs ein Mittel, um die Informationsmög-
              (SZL) sind, in einigen Standorten                                                                                     lichkeiten der Betriebsräte einzuschränken – auch
              in Niedersachsen eine Besetzung                                                                                       wenn viele Arbeitgeber hiermit begründeten,
              durch 6 Positionen rund um die                                                                                        warum sie unliebsame Anfragen ihrer Betriebsräte
              Uhr. Erste Rückmeldungen zeigen                                                                                       unbeantwortet ließen. Dadurch sollten sich Be-
              aber, dass in mindestens einem                                                                                        triebsräte nicht einschüchtern lassen.
              SZL nur 4 Positionen geplant sind.
                                                                                                                                        Markus Nöthen, zuständiger ver.di-Bundes-
                  Insofern werden die Mitglie-                                                                                      fachgruppenleiter, erläuterte, wie wichtig die Ein-
              der der AG KTA auch in den                                                                                            führung von Tarifverträgen sei. Hierfür müsse
              nächsten Wochen noch einiges                                                                                          allerdings der Organisationsgrad in den Betrieben
              anschieben müssen, um sowohl                                      Die hohen psychischen Belastungen in den            höher sein. Damit ver.di mit den Betriebsräten ge-
              die Sicherheit der Anlagen, wie                               Callcentern hob Professor Jochen Prümper von der        meinsam Verbesserungen erreichen könne, brau-
              auch die der Einkommen und                                    Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft          che es starke Belegschaftsvertreter*innen. „Nur
              Arbeitsplätze zu gewährleisten.                               hervor: „Es gibt keine Branche, die mehr psy-           gemeinsam können wir etwas erreichen“.
              Dabei ist nicht nur die Bundes-                               chische Störungen bei den Beschäftigten produ-
              ebene gefordert. Deshalb suchen                               ziert. Es gibt auch keine Branche mit mehr                  Hansjörg Christoph von der Verwaltungsbe-
              die ver.di-Kolleg*innen nun auch                              Burnout-bedingten Ausfällen pro hundert Be-             rufsgenossenschaft hob die DGUV-Branchenregeln
              den Kontakt zu den jeweiligen                                 schäftigten.“ Ursächlich seien unter anderem der        für gute Callcentereinrichtungen und Arbeitsbe-
 besonderen

              Landesregierungen.                                            Umgang mit Emotionen, die Arbeit im Großraum-           dingungen hervor, an deren Entwicklung auch der
                                                                            büro, Zeitdruck sowie der hohe fremdbestimmte           Fachbereich 13 beteiligt war. „Der Arbeitgeber
                  Erstes Resümee: Viele schöne                              Arbeitsanteil.                                          muss nur eine Broschüre in die Hand nehmen,
              Worte, die nun auf ihren Reali-                                                                                       dann kann er loslegen.“ Auch Betriebsräte profi-
              tätsbestand geprüft werden müs-                                  Darüber hinaus werde in keiner Branche die           tieren hiervon. Anna Gabler von der TBS Rhein-
die

              sen. W                                                        Arbeitsleistung so ausgiebig vermessen wie hier.        land-Pfalz bestätigt: „Wir nutzen die Branchen-
  10                                                                        Betriebsräte haben zwar die Möglichkeit, dies ein-      regeln häufig zur Beratung.“ W
SICHERHEITSBRANCHE

Unsäglich
Die ver.di-Befragung zur Guten Arbeit in der Sicherheits-
branche hat erschreckende Ergebnisse

VON ARNO PEUKES
                                                   Die zehn am schlechtesten bezahlten Berufe (ohne Sicherheit)

I m Frühjahr des Jahres wurde durch den
  Bundesfachgruppenvorstand ISF in Zu-
sammenarbeit mit der ver.di-Abteilung Gute
                                                   Beruf                                             Durchschnittlicher Jahreslohn
                                                                                                     mit 20 Jahren Berufserfahrung
                                                   Rezeptionist/in                                                28.524 Euro
Arbeit die erste bundesweite Befragung zur
                                                   Koch/Köchin                                                    29.639 Euro
Arbeitssituation in der Sicherheitsbranche
durchgeführt. Fast 3000 Kolleg*innen ha-           Berufskraftfahrer/in                                           30.694 Euro
ben teilgenommen.                                  Verkauf Einzelhandel                                           30.907 Euro

                                                                                                                                                   Quelle: Merkur.de (Stand: 2017)
                                                   Altenpfleger/in                                                31.823 Euro
    Das besondere Kennzeichen der Befra-           Disponent/in                                                   36.985 Euro
gung nach dem Index Gute Arbeit ist, dass          Debitoren Buchhaltung                                          39.507 Euro
jede Kollegin und jeder Kollege die Möglich-       Schlosser/in                                                   40.727 Euro
keit hat, Aussagen zu den eigenen Belastun-        Krankenpfleger/in                                              42.098 Euro
gen zu treffen. Aus den persönlichen Ant-          Erzieher/in                                                    42.208 Euro
worten ergibt sich dann ein Punktwert zwi-
schen 1 bis 100. Werte zwischen 100 bis 80
Punkte kennzeichnen gute und gesunde Ar-        bereits überall gestarteten Tarifrunden jetzt        beitsstunden kommen einige auf höhere
beit, Punkte unter 50 weisen auf Arbeitsbe-     ein deutlicher Schritt zur Einkommensver-            Einkommen. Wie lange das aber durchzuhal-
dingungen hin, die in hohem bis sehr hohem      besserung gesetzt werden muss. Ein ausrei-           ten ist, ist klar. Deswegen steht für uns die
Maße gesundheitsgefährdend sind. Alle in-       chendes Einkommen und eine gute Rente                Frage der Arbeitszeit bei allen Tarifrunden
dividuellen Antworten wurden nun zusam-         sind wichtige Voraussetzungen, um gesund             auch deutlich im Mittelpunkt.
mengetragen und für die Gesamtbranche           zu bleiben. Davon sind heute die meisten
Sicherheit sowie für die einzelnen Teilbran-    Beschäftigten der Sicherheitsbranche noch                Viel zu tun ist aber auch bei allen ande-
chen ausgewertet.                               meilenweit entfernt.                                 ren Themen. Denn egal, ob es um emotio-
                                                                                                     nale oder körperliche Anforderungen geht;
    Das Ergebnis ist alarmierend. Schon            Solange aber niedrige Löhne und Gehäl-            ob um Arbeitszeitlage oder eigene Ent-
lange werden in vielen Branchen Befragun-       ter von Seiten der Unternehmen als ein               wicklungsmöglichkeiten: durch die Bank
gen mit dem Instrument der Guten Arbeit         Vorteil im Wettbewerb um Marktanteile ver-           kommen die Beschäftigten zu einem ge-
durchgeführt, aber noch nie waren die Rück-     standen werden, kann die Branche nicht an            sundheitsbelastenden Ergebnis. So muss
meldungen der Beschäftigten so negativ. So      Attraktivität gewinnen, und es wird immer            heute festgestellt werden, dass Arbeiten in
liegt der Gesamtwert für die Sicherheit ge-     schwieriger, qualifizierte und motivierte Be-        der Sicherheitsbranche rundum wenig at-
samt bei nur 34 Punkten. Oder um es zu          schäftigte zu werben oder zu halten. Dies            traktiv ist. Und das, obwohl fast alle Beschäf-
übersetzen: Die tägliche Arbeit wird von den    verdeutlicht der Blick auf die am schlechtes-        tigte sehen, dass ihre Arbeit für die Ge-
Beschäftigten in einem sehr hohen Maße als      ten bezahlten Berufe.                                sellschaft von hohem Wert ist. Deshalb sind
gesundheitsbelastend bewertet. Dabei las-                                                            nicht nur die Arbeitgeberverbände und Un-
sen sich auch kaum Unterschiede feststellen,       Hier wurde die Sicherheitsbranche über-           ternehmen hier gefordert, sondern auch die
in welchem Bereich der Sicherheit jemand        sehen. Rechnen wir also die Durchschnitts-           Politik. ver.di ist klar, dass die Sicherheitstä-
beschäftigt ist. Denn auch bei Geld und         verdienste unserer Kolleginnen und Kollegen          tigkeit für die allgemeine Sicherheit unserer
Wert (33 Punkte), Luftsicherheit (31 Punkte)    hier rein, zeigt sich schnell, dass alle Teilbran-   Gesellschaft von hohem Wert ist. Auch des-
oder der Allgemeinen Wach und Sicherheit        chen hier auftauchen müssten. Denn bei               wegen müssen sich alle Beteiligten jetzt um
(35 Punkte) lautet das Gesamturteil, dass       Jahreseinkommen um etwa 34.000 Euro                  konkrete Schritte kümmern, damit sich hier
hier die tägliche Arbeit krankmacht.            (Beispiel Geld und Wert Nordrhein-Westfa-            etwas für die Beschäftigten verbessert.
                                                len) läge die Sicherheitsbranche auf dieser
                                                                                                                                                                                      besonderen

    Besonders schlecht schneidet der Blick      negativen Top-Ten-Liste auf Platz 6.                    Weitere Informationen: Eine genauere
auf das eigene Einkommen ab. Hier liegt der                                                          Übersicht über die Befragung gibt es in der
Punktwert für das Sicherheitsgewerbe insge-         Um heute ein besseres Einkommen und              Arbeitsberichterstattung aus Sicht der Be-
samt bei nur 17 Punkten, bei Geld und Wert      damit eine (schmale) Rente (siehe report             schäftigten. Diese kann über die jeweilige
bei 13, bei der Luftsicherheit bei 22 und bei   02/18) zu bekommen, müssen viele Beschäf-            Landesfachbereichsleitung bezogen werden.
                                                                                                                                                                                     die

der allgemeinen Wach und Sicherheit bei 14      tigte heute zwölf Stunden täglich oder mehr          W
Punkten. Dies macht deutlich, dass mit den      arbeiten. Nur mit 228 oder mehr Monatsar-                                                                                            11
SICHERHEITSBRANCHE

                                  Aktiv für den Tarif
                                  Die Tarifverhandlungen in den verschiedenen Sparten der
                                  Sicherheitsbranche sind angelaufen

                                  VON ARNO PEUKES                                Januar 2019 ist. Jetzt muss die Bundesverei-    in der ersten Verhandlungsrunde wurde hier
                                                                                 nigung Deutscher Geld- und Wertdienste          eine Tarifeinigung erzielt. Kernpunkte des
                                  Bundesentgelttarifvertrag                      (BDGW) zeigen, ob sie das Zeichen versteht      Abschlusses: Laufzeit: 24 Monate; Erhöhung
                                  Geld und Wert                                  oder wieder in alte Rituale der Verweigerung    der Lohngruppen um jeweils 42 Cent pro
                                                                                 und Verzögerung verfällt. Der Verhandlungs-     Jahr, mindestens drei Prozent; eine Erhöhung
                                  Auch, wenn die Arbeitgeber wieder jam-         auftakt am 25. Oktober 2018 hat aber ge-        der Gehälter um drei Prozent und die der
                                  mern: Die wirtschaftlichen Kennzahlen für      zeigt, dass hier noch Lernbedarf besteht.       Azubivergütung um 4,1 Prozent im ersten
                                  die Sicherheitsbranche weisen wieder einmal    Wer ernsthaft glaubt, dass Tariferhöhungen      Jahr und um vier Prozent im zweiten Jahr.
                                  stark nach oben. Ganz im Gegensatz zu den      von 17 bis 30 Cent ausreichen, setzt ein fa-    Darüber hinaus wurde für die Beschäftigten
                                  Ergebnissen der ver.di-Befragung zur Ar-       tales Signal. Wenn das ab dem 17. Novem-        der Kerntechnischen Anlagen eine Erhöhung
                                  beitssituation im Bereich Geld und Wert. Die   ber nicht besser wird, steht ein heißer Start   um jeweils vier Prozent und eine Integration
                                  zeigen, wie gesundheitsbelastend die tägli-    in 2019 bevor.                                  der Zulage von 40 Cent in den Lohn für das
                                  che Arbeit ist. Auch das monatliche Einkom-                                                    erste Jahr vereinbart. Im zweiten Jahr gibt es
                                  men in Zeiten steigender Preise und Mieten                                                     dann weitere vier Prozent mehr inklusive der
                                  bereitet vielen Beschäftigten mehr als nur     Tarifabschlüsse                                 integrierten Zulage. Für die Beschäftigten
                                  Kopfschmerzen. Deswegen ist für die Mit-       Allgemeine Sicherheit                           der militärischen Bewachung gibt es fünf
                                  glieder der Bundestarifkommission klar, dass                                                   Prozent pro Jahr, für Kaufhausdetektive 6,98
                                  mit den jetzt beginnenden Tarifverhandlun-     In zwei Bundesländern können die Beschäf-       Prozent im ersten und drei Prozent mehr im
                                  gen zum neuen Bundeslohntarif eine deutli-     tigten der allgemeinen Wach und Sicherheit      zweiten Schritt. Darüber hinaus runden noch
                                  che Einkommenssteigerung erzielt werden        bereits rundum gelungene Tarifabschlüsse        viele weitere Vereinbarungen das „Wunder
                                  muss. Die Kommission fordert 1,50 Euro pro     feiern: Im September wurde in Thüringen ein     von NRW“ ab.
                                  Arbeitsstunde mehr Lohn sowie eine Steige-     Tarifabschluss zwischen ver.di und dem
                                  rung der Gehälter von 250 Euro pro Monat.      Bundesverband der Sicherheitswirtschaft
                                  Darüber hinaus will der Fachbereich die        (BDSW) ausgehandelt. Nicht nur, dass hier       Bundesentgelttarifvertrag
                                  heute noch bestehenden Unterschiede zwi-       damit endlich wieder ver.di der Tarifpartner    Aviation
                                  schen Ost und West sowie zwischen den          ist, auch die ab dem 1. Januar 2019 erreich-
                                  mobilen und stationären Tätigkeiten schritt-   ten Erhöhungen sprechen für sich. So gibt es    Am 16. Oktober haben die Tarifverhandlun-
                                  weise aufheben.                                für die Beschäftigten in den nächsten zwei      gen um den ersten Bundeslohntarifvertrag
                                                                                 Jahren Tariferhöhungen zwischen 16 und          für die Beschäftigten der Luftsicherheit be-
                                      Bereits im August hat ver.di mit dem Ar-   18,5 Prozent. Damit steigt der Lohn in der      gonnen. Bereits Anfang September hatten
                                  beitgeberverband vier Verhandlungstermine      untersten Gruppe von noch 9,10 Euro auf         Mitglieder aus allen Bundesländern ein um-
                                  noch während des laufenden Tarifvertrages      künftig 10,60 Euro.                             fangreiches Forderungspaket für den künfti-
                                  vereinbart und so das Signal gesetzt, dass                                                     gen Tarifvertrag aufgestellt: eine Laufzeit von
                                  ver.di bereit für einen schnellen Abschluss       Fast noch überraschender ist der Tarifab-    zwölf Monaten, sowie eine Vereinheitli-
                                  und einen Anschlusstarifvertrag ab dem 1.      schluss in Nordrhein-Westfalen. Denn bereits    chung der Tätigkeiten nach den §§ 5, 8 und
                                                                                                                                 9. Zudem fordert die ver.di-Bundestarifkom-
                                                                                                                                 mission eine Erhöhung der Stundensätze auf
         Foto: Werner Bachmeier

                                                                                                                                 20 Euro. Heute liegen diese je nach Bundes-
                                                                                                                                 land zwischen 14,70 und 17,16 Euro. Es
                                                                                                                                 bleibt abzuwarten, ob der Bundesverband
                                                                                                                                 der Luftsicherheitsunternehmen (BDLS) ab
                                                                                                                                 dem 7. November 2018 endlich zu wirk-
                                                                                                                                 lichen Tarifverhandlungen bereit ist. Die
                                                                                                                                 Medien berichten über ständig steigende
 besonderen

                                                                                                                                 Passagierzahlen, denen jedoch keine ent-
                                                                                                                                 sprechenden Personalsteigerungen gegen-
                                                                                                                                 überstehen. Deswegen ist für die Bundes-
                                                                                                                                 tarifkommission Aviation klar, dass neben
                                                                                                                                 guten Löhnen auch manteltarifliche Rege-
die

                                                                                                                                 lungen nötig sind, um gesunde Arbeitsbe-
  12                                                                                                                             dingungen tarifvertraglich zu gestalten. W
DAS GUTE BEISPIEL

Wenn die Belegschaft will
Seit Jahren bleibt die Gehaltsentwicklung beim Arbeitsmedizinischen Dienst des TÜV Rheinland
regelmäßig hinter der Teuerungsrate zurück. Gesamtbetriebsrat, ver.di und Ehrenamtliche haben
es möglich gemacht: Tarifverhandlungen können nun angegangen werden

                                                                                                                                                 Foto: Werner Bachmeier
VON CHRISTIAN SZEPAN

D    ie Verärgerung über die Ungleich-
     behandlung der Belegschaft innerhalb
des TÜV Rheinland sitzt besonders tief bei
den Kolleg*innen des bundesweit tätigen
Arbeitsmedizinischen Dienstes (AMD). Im
Unterschied zu vielen anderen Konzernen
gibt es beim TÜV Rheinland Gesellschaften,
die nicht tarifgebunden sind. Entsprechend
schlechter entwickelten sich bislang die Ent-
gelte beim AMD.

    Im vergangenen Jahr machte die Unter-
nehmensleitung bessere Gehaltsentwicklun-
gen von weiteren Verschlechterungen bei
Urlaubs- und Arbeitszeitregelungen abhän-
gig. Da waren sich alle Betriebsräte einig: Ein
Haustarifvertrag muss endlich her! „Eigent-
lich müssten wir der Unternehmensleitung
einen Blumenstrauß überreichen, da sie
durch ihr Verhalten so viel Werbung für uns
gemacht hat“, sagt Ilona Sollich, die Sicher-
heitsingenieurin ist Gesamtbetriebsratsvor-
sitzende beim AMD.

    Die Konzernbetreuerin von ver.di, Andrea
Becker, machte dem Betriebsrat deutlich,
dass für Tarifverhandlungen eine entspre-         männische Angestellte und Gesundheits-          Organisationsgrad lag da bei 35 Prozent. „Es
chende Mitgliederstärke notwendig sei. Zu-        berater*innen.                                  war wichtig, dass wir den Kolleg*innen
sammen mit den Ehrenamtlichen und ihren                                                           immer Mut machen konnten“, sagt Andrea
ver.di-Kollegen Kai Winkler aus Bayern und           GBR-Vorsitzende Sollich sagt, es sei ein     Becker. Die Belegschaft wurde über jeden
Benjamin Roscher aus Berlin-Brandenburg           Erfolg, dass die Kolleg*innen des AMD wie       einzelnen Schritt informiert – auch über die
entwickelte sie ein Konzept, wie innerhalb        im Team auftreten. Ursprünglich seien die Er-   Entwicklung der Mitgliederzahlen. Dies for-
weniger Monate die notwendige Stärke er-          wartungen unterschiedlich hoch, aber man        derten die Ehrenamtlichen ein und deswe-
zielt werden könne. Die Mitgliederzahl galt       werde sich auf einheitliche Forderungen ver-    gen wurden regelmäßig Flyer veröffentlicht.
es zu vervierfachen.                              ständigen.                                      Dies wird auch während der Verhandlungen,
                                                                                                  die derzeit vorbereitet werden, so beibehal-
   Auf Betriebsversammlungen wurde die               Rückschläge blieben nicht aus: Das selbst    ten.
Idee vorgestellt. In einer Beschäftigtenum-       gesteckte Ziel von 30 Prozent Organisations-
frage erklärten fast neunzig Prozent, dass sie    grad schien im Mai nicht erreichbar. Der            Andrea Becker hatte nie verstanden,
einen Tarifvertrag wünschen. Viele wollten        Arbeitgeber machte Druck. Das Wort vom          warum es beim TÜV Rheinland diese Sonder-
mitarbeiten.                                      „Arbeitszeitbetrug“ machte die Runde, weil      situation gibt. „Dort, wo Belegschaften
                                                                                                                                                           besonderen

                                                  die Gewerkschaft im Betrieb unterstützt         einen Tarifvertrag fordern und sich zur
   Das Team entwickelte ein Ansprachekon-         werde. Die GBR-Vorsitzende mahnte zur           Durchsetzung in ver.di organisieren, werden
zept, wie die Ehrenamtlichen auf ihre Kol-        Vorsicht.                                       wir weitere Konzerngesellschaften in die
leg*innen zugehen können. Dies ist wichtig,                                                       Tarifbindung bringen. Es gibt aus meiner
denn die Belegschaft ist sehr heterogen:             Doch inzwischen ist der AMD verhand-         Sicht keinen Grund, warum der TÜV Rhein-
                                                                                                                                                          die

Beim AMD arbeiten Ärzt*innen, Sicherheits-        lungsfähig: Eine neunköpfige Tarifkommis-       land Konzern nicht komplett tarifgebunden
ingenieur*innen, Psycholog*innen, kauf-           sion wurde Anfang November gebildet, der        sein sollte.“ W                             13
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