SEXUALITÄT & BRUSTKREBS - MEIN RATGEBER - DR. GABRIELE TRAUN-VOGT PETER F. HERDINA

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SEXUALITÄT & BRUSTKREBS - MEIN RATGEBER - DR. GABRIELE TRAUN-VOGT PETER F. HERDINA
SEXUALITÄT &
BRUSTKREBS
MEIN RATGEBER

         DR. GABRIELE TRAUN-VOGT
         PETER F. HERDINA
         Medizinische Beratung:
         Univ.-Prof. Dr. Christian Singer, MPH
SEXUALITÄT & BRUSTKREBS - MEIN RATGEBER - DR. GABRIELE TRAUN-VOGT PETER F. HERDINA
Credits: Stefan Huger

DR. GABRIELE TRAUN-VOGT                       PETER F. HERDINA
Klinische- und Gesundheitspsychologin,        Systemischer Coach und Supervisor mit
systemische Psychotherapeutin (SF),           Schwerpunkt Gesundheitswesen sowie
­Psychoonkologin, langjährige Leitung des     systemischer Psychotherapeut für ­Paare
 psychoonkologischen Dienstes an der Uni-     und Einzelpersonen in privater Praxis,
 versitätsklinik für Frauenheilkunde/Brust-   Lehrtätigkeit in der Ausbildung von
 gesundheit der Medizinischen Universität     ­systemischen Berater*innen
 Wien, Psychoonkologin und Psychothera-
 peutin in freier Praxis                      „Immer wieder kommt es zu Verständi-
 Kontakt: www.dr-traun-vogt.at                gungsschwierigkeiten zwischen Lebens-
                                              partner*innen in Bezug auf die Sexualität,
„Seit vielen Jahren begleite ich Brust-       auch wenn gar keine außergewöhnlich
krebspatient*innen und ihre Partner*in-       gravierenden Randbedingungen vorlie-
nen durch alle Stadien der Erkrankung.        gen. Umso schwieriger wird die Kommu-
Die meisten Paare erleben gravierende         nikation in Ausnahmesituationen. Hier
Veränderungen in ihrer Sexualität im Lau-     einen Leitfaden und Unterstützung an-
fe ihrer Behandlung – allerdings werden       zubieten ist mir ein ­besonderes Anliegen.“
diese tabuisiert und die Auseinanderset-
zung damit angesichts einer bedrohlichen
Lebenssituation als nicht angemessen
­erlebt. Es gibt wenig Information und
 Unterstützung, oft nicht einmal über die
 körperlichen Auswirkungen von Behand-
 lungen, die die Sexualität massiv beein-
 trächtigen können. Konkrete Informatio-
 nen und entlastende Perspektiven sind für
 mich ­wichtige Themen dieser Broschüre.“                   Wien, im Februar 2021, 3. Auflage

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SEXUALITÄT & BRUSTKREBS - MEIN RATGEBER - DR. GABRIELE TRAUN-VOGT PETER F. HERDINA
Einleitung

Mit Brustkrebs ist ein massiver Einschnitt     In dieser Broschüre versuchen wir, einen
in Ihr Sexualleben passiert. Die Brust als     häufigen Ablauf dieser Dynamik zu be-
Sexualorgan ist Ausgangspunkt einer            schreiben, weibliche und männliche Sicht-
­Erkrankung und bleibt trotzdem ein Ort,       weisen und Erlebniswelten in ihrer Über-
 an dem Lust empfunden werden kann und         einstimmung und ihren Unterschieden
 über den Sexualität gelebt wird. Angst vor    aufzuzeigen; eine ähnliche Dynamik kann
 Erkrankung, Operation, Behandlung, un-        auch in Beziehungen zwischen Frauen
 erwünschten Nebenwirkungen, Siechtum          auftreten. Dabei gehen wir auf Verände-
 und Tod treten krisenhaft in den Vorder-      rungen durch die Krankheit Brustkrebs in
 grund des Erlebens, Sexualität tritt in den   der Sexualität ein und widmen uns auch
 Hintergrund. Alles konzentriert sich auf      der Zeit während weiterführender Thera-
 das Bewältigen der belastenden Situa-         pien nach Brustkrebs und Sexualität bei
 tion („Ich will gesund werden“), die Aus-     ­metastasiertem Brustkrebs.
 einandersetzung mit Sexualität wird oft
 als unangemessen erlebt und auf später        Dies soll Ihnen helfen, wahrzunehmen, wo
 verschoben („Das wird dann schon wieder,      und wie Konflikte entstehen und wie Sie
 wenn ich gesund bin“).                        sie bewältigen können.

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Inhalt

Einleitung                                                                3

Übersicht: Häufige Entwicklung partnerschaftlicher Sexualität
im Verlauf einer Brustkrebserkrankung                                     6

1. „Normale“ Veränderungen in der Sexualität im Lauf des Lebens 12

2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs 13
     » Warum ich? Warum Brustkrebs? Wer ist „schuld“?                     13

     » Jetzt an Sex denken?                                               14

     » W
        as sind mögliche unerwünschte Folgen, Veränderungen und Arznei-
       mittelwirkungen der onkologischen Behandlung für die Sexualität?   14

     » W
        orauf muss ich mich einstellen, wie lange wird es dauern,
       was kann ich erwarten?                                             18

     » Männer und Frauen – wer darf wann was wollen?                      19

     » Wieder zur Sexualität zurückfinden                                 22

     » Wieder Sex zu zweit                                                25

     » Kann und soll ich nach Brustkrebs (wieder) schwanger werden?       28

     » Welche Arten von Empfängnisverhütung sind möglich und sinnvoll?    31

     » Sexualität bei Männern mit Brustkrebs                              33

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3. Sexualität bei weiterführender Therapie nach Brustkrebs              34
     » Gespräche über schwierige medizinische Entscheidungen            36

     » W
        as hilft gegen Nebenwirkungen der weiterführenden Brustkrebs-
       behandlung, die meine Sexualität beeinflussen können?            38

     » Unsere Ressourcen aus der Vergangenheit                          40

4. Sexualität bei metastasiertem Brustkrebs                             42
     » Sexualität und Metastasierung                                    42

     » „ Bis dass der Tod uns scheidet“ –
        Sexualität, Partnerschaft, Krankheit und Tod                    43

5. Information, Rat und Hilfe                                           48

Anhang: Ottawa-Leitfaden zur persönlichen Entscheidungsfindung          52

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SEXUALITÄT & BRUSTKREBS - MEIN RATGEBER - DR. GABRIELE TRAUN-VOGT PETER F. HERDINA
Übersicht: Häufige Entwicklung partnerschaftlicher Sexualität im Verlauf einer Brustkrebserkrankung
Frauen mit Brustkrebs und ihre Partner*innen, die grundsätzlich in gut funktionieren-               die Anliegen der betroffenen Patient*innen als auch diejenigen ihrer Partner*innen
den Beziehungen leben, berichten nach der Diagnose über unterschiedliche Sicht-                     von großer Wichtigkeit sind! Vielleicht finden Sie sich hier wieder; dieser Überblick soll
weisen, Bedürfnisse und Gefühle in der gemeinsamen Sexualität. Und das ist unter                    Ihnen die Sicherheit geben, dass Sie nicht alleine mit schwierigen Themen in der
den besonderen Umständen einer Brustkrebserkrankung ganz normal.Die nachfol-                        Sexualität sind, sondern dass viele Frauen mit Brustkrebs und ihre Partner*innen mit
gende Tabelle möchte in groben Zügen darstellen, wo es zu Unterschieden und                         denselben Problemen kämpfen.
möglicherweise zu Konflikten kommen kann. Wir möchten betonen, dass sowohl

    Krankheits-/Behandlungsverlauf                      Patient*innen-Sichtweise                 Partner*innen-Sichtweise                                            Paardynamik

    Verdacht                                      Wird die Diagnose Brustkrebs wahr?         Zwischen mich und meine Partnerin                       Unsicherheit und Angst – parallele
                                                  Treten meine schlimmsten                   treten bedrohende Aspekte von außen                     erhöhte Alarmbereitschaft ð wir sind
    Tastbefund,
                                                  Erwartungen ein?                                                                                   beide alarmiert und beunruhigt
    bildgebende Diagnostik,
    Biopsie

    Diagnose                                      Werde ich sterben?                         Die Gesundheit meiner Partnerin steht                   Schock, Angst, Verzweiflung, Krise –
                                                  Verliere ich meine Brust?                  an erster Stelle. Orientierung gewinnen                 parallele Konzentration auf Krisenbe-
    Befundmitteilung
                                                  Wie kann ich damit umgehen?                und Überblick behalten                                  wältigung ð wir versuchen beide, die
                                                                                                                                                     Krise zu bewältigen

    Chemotherapie vor/nach Operation              Vorwiegend mit meinen körperlichen         Ich unterstütze sie in der Behandlung,                  Parallele Strategien zur Bewältigung des
                                                  Veränderungen beschäftigt –                entlaste im Alltag, Sexualität ist zurück-              Behandlungsalltags. Wir sind uns einig in
    Wirkungen und Nebenwirkungen:
                                                  gute Wirkung der Chemotherapie?            gestellt                                                der Vorgangsweise, mit der Herausforde-
    Veränderung des Tumors;
                                                  Sexualität hat wenig Stellenwert                                                                   rung der Behandlung umzugehen
    Übelkeit, Haarausfall, Müdigkeit,
    Ausbleiben der Regel

    Operation                                     Angst vor Narkose und Belastungen durch    Gesundheit vor Attraktivität, Bewäl-                    Bewältigung der aktuellen Krise der OP.
                                                  OP. Werde ich mit dem weiblichen Selbst-   tigung der OP als Ereignis im Vorder-                   Details (wie komme ich mit dem OP-
    OP-Planung
                                                  bild nach der OP klarkommen?               grund. Heimliche Angst, wie es mir                      Ergebnis zurecht) auf später verschoben
    (Brusterhaltung ja/nein, Sentinel/Axilla,
                                                  Kann er*sie mich nach OP akzeptieren?      nachher mit veränderter Brust gehen
    Aufbau jetzt/später, Narben)
                                                  Zukünftige sexuelle Attraktivität,         wird
                                                  „vorauseilender Gehorsam“ – für ihn*sie

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SEXUALITÄT & BRUSTKREBS - MEIN RATGEBER - DR. GABRIELE TRAUN-VOGT PETER F. HERDINA
Krankheits-/Behandlungsverlauf               Patient*innen-Sichtweise                    Partner*innen-Sichtweise                                            Paardynamik

    Antihormonelle Therapie/                Mögliches plötzliches Ende meiner            Das Schlimmste ist vorbei – jetzt nimmt                 Unterschiedliche Erwartungshaltungen
    zielgerichtete Therapie/Immuntherapie   Fruchtbarkeit, mögliche Wechselbe-           sie nur noch Tabletten – bald wird alles                werden spürbar
                                            schwerden (Wallungen, Schlafstörungen,       wieder normal
    Übergang zu ambulanter Tabletten­
                                            mein körperliches sexuelles Verlangen
    einnahme – medikamentöse Einleitung
                                            kann ausbleiben), oft Irritation und
    der Menopause
                                            Rückzug

    Strahlentherapie                        Mein intimes Organ Brust ist noch immer      Es tut ihr nicht mehr weh, ihr ist nicht                Unterschiedliche Erwartungshaltungen
                                            öffentlich – ich muss mich schützen (dem     mehr so schlecht – es ist fast geschafft –              werden spürbar
    Ambulante tägliche Behandlung
                                            Anblick von Schwerkranken ausgesetzt)        ich will wieder vorkommen dürfen
    im Spital über mehrere Wochen
                                            und die Behandlung ertragen, Abschluss
                                            des eigenen Krankheitserlebens noch
                                            nicht möglich, aber schon ersehnt, oft
                                            große Erschöpfung, sexuelle Öffnung und
                                            Lust sind kaum möglich

    Erholung                                Ich bin erschöpft, muss mich in meiner       Es ist geschafft – sie zeigt aber keine                 Stiller Konflikt: Erholung und Selbstfin-
                                            neuen Realität orientieren (Kraft, Körper,   Hinwendung in meine Richtung – ich                      dung ð gemeinsamer, lustvoller Neustart
    Abstand vom Spital,
                                            Wichtigkeiten, Beziehungen)                  werde ungeduldig, will aber keinen
    Verbindung bleibt erhalten
                                                                                         Druck machen
    Onkologische Rehabilitation

    Rückkehr in die „Welt der Gesunden“     Arbeitsalltag tritt in den Vordergrund –     Was ist los – jetzt ist doch alles wieder               Offener Konflikt ð Handlungsbedarf
                                            Druck: Ich soll wieder funktionieren,        normal! Ich war doch so geduldig – wo
    Regelmäßige ambulante Kontrollen
                                            kann aber noch nicht, und wer weiß,          ist meine Belohnung (Sexualität)?
                                            will ich überhaupt?
                                                                                         Unsicherheit bleibt
                                            Angst bleibt das zentrale Thema
                                            der Nachsorge

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SEXUALITÄT & BRUSTKREBS - MEIN RATGEBER - DR. GABRIELE TRAUN-VOGT PETER F. HERDINA
Krankheits-/Behandlungsverlauf               Patient*innen-Sichtweise                     Partner*innen-Sichtweise                                           Paardynamik

     In der neuen Normalität 1               Ich spüre meinen Körper anders als vor        Es ist nicht automatisch wieder „alles                 Chance auf gemeinsamen Suchprozess,
                                             Krebs; ich habe möglicherweise durch          gut“; damit Sex für uns beide gut wird,                Phase der Neufindung, parallele
     Regelmäßige Kontrollen in abnehmender
                                             antihormonelle Therapien/Wechsel weni-        ist es notwendig, Veränderungen zu                     Bemühungen
     Frequenz
                                             ger Lust auf Sex; damit ich Sex leben und     akzeptieren und nach neuen, passen-
                                             genießen kann, ist es notwendig, Einstel-     den Möglichkeiten für uns als Paar zu
                                             lungen zu und Verhalten in der Sexualität     suchen
                                             zu ändern

     In der neuen Normalität 2                Ich spüre meinen Körper fast nur noch        Meine Partnerin hat mir deutlich ge-                   Konflikt – wie gehen wir mit unserer Part-
                                             ­ egativ – ich habe Angst, ich bin lustlos,
                                             n                                             zeigt, dass sie kein Interesse mehr an                 nerschaft um, wenn Sex als wesentliches
                                             ich habe Schmerzen – ich möchte mich          Sex mit mir hat. Ich muss mir überlegen,               Element wegfällt?
                                             nicht mehr auf Sex einlassen und die          wie ich damit umgehen will
                                             ­Sexualität beenden

     Auftreten von Metastasen                Werde ich sterben? Wie viel Zeit habe ich     Muss sie sterben? Wie lange haben wir                  Paralleler Prozess – Schock, Angst, Ver-
                                             noch? Angst vor Schmerzen, Krankheits-        noch Zeit als Paar? Angst vor der Zu-                  zweiflung, Krise, Zukunftsangst; parallele
                                             verlauf, Hilflosigkeit, neuer Behandlung      kunft.                                                 Konzentration auf Krisenbewältigung
                                             und Verlust der mühsam neu gewonne-           Sex wird unwichtiger, Zärtlichkeit und
                                             nen Normalität. Jahrelange Behandlung         Nähe werden wichtiger
                                             mit langsamem Verlust von Lebensquali-
                                             tät. Sexualität tritt in den Hintergrund

     Schwere Krankheit und                   Ich weiß, dass ich sterben werde; Müh-        Verzweiflung, Resignation, Angst vor                   Miteinander gut reden können, Halten
     bevorstehender Tod                      sal der schweren Krankheit und Angst          der Zukunft alleine. Sich verabschieden,               und Gehaltenwerden stehen im Vorder-
                                             vor möglicher Hilflosigkeit stehen im         aber gleichzeitig Halten und Begleiten.                grund. Angst, Trauer und Abschied als
                                             Vordergrund. Angst und Hoffnung, aber         Sex ist als Spüren inniger Nähe oft eine               zentrale Themen für beide
                                             auch Abschließen und Trauern. Wunsch          ­Überforderung
                                             nach Nähe und Zärtlichkeit, aber immer
                                             wieder auch nach Sexualität, um innige
                                             Nähe noch spüren zu können

10                                                                                               Übersicht: Häufige Entwicklung partnerschaftlicher Sexualität im Verlauf einer Brustkrebserkrankung   11
SEXUALITÄT & BRUSTKREBS - MEIN RATGEBER - DR. GABRIELE TRAUN-VOGT PETER F. HERDINA
1. „Normale“ Veränderungen
   in der Sexualität im Lauf des Lebens

Wenn Sie zurückschauen, so werden Sie            Erinnern Sie sich:
feststellen, dass Sie schon eine Reihe von
                                                 Wie haben Sie die damaligen
Veränderungen Ihrer weiblichen Körper-
                                                 Situationen bewältigt?
lichkeit durchlaufen haben, die mit Sexuali-
tät in engem Zusammenhang gestanden                • H
                                                      aben Sie sich eine Auszeit
sind (z. B. erste Regel, erste sexuelle Begeg-       gegönnt,
nung, Partner*innenwechsel, Infektionen
im Geschlechtsbereich, unangenehme                 • Informationen eingeholt,
Sexualerlebnisse, Kinder gebären, stillen,         • m
                                                      it Freund*innen oder Fachleuten
Schwangerschaftsabbruch, Fehlgeburt,                 geredet,
hormonelle Veränderungen, beruflicher
                                                   • m
                                                      it dem Partner*der Partnerin
Stress, Belastungsspitzen, Hinwendung zu
                                                     Lösungen gesucht,
anderen Lebensschwerpunkten, zeitlich be-
schränkte sexuelle Abstinenz, Wechsel …).          • etwas beendet oder neu begonnen?

                                                     Was hat funktioniert und
                                                     geholfen?
                                                     Sie haben jede Menge
                                                     Erfahrungen, auf die Sie jetzt
                                                     zurückgreifen können.

12                                  1. „Normale“ Veränderungen in der Sexualität im Lauf des Lebens
SEXUALITÄT & BRUSTKREBS - MEIN RATGEBER - DR. GABRIELE TRAUN-VOGT PETER F. HERDINA
2. Veränderungen in der Sexualität durch
   die Krankheit Brustkrebs

Warum ich? Warum Brustkrebs?                        Aber eines steht fest: Brustkrebs ist kein
Wer ist „schuld“?                                   schuldhaftes Geschehen, sondern eine
                                                    Krankheit, ein Schicksalsschlag, mit dem
Diese Frage würde sich nicht stellen, wäre
                                                    sich Menschen konfrontiert sehen.
Sexualität nicht mit den unterschiedlichs-
ten Werten verbunden: Tatsache in unse-
rer Gesellschaft ist, dass Sexualität als gut
oder böse, falsch oder richtig, erlaubt oder
verboten bewertet wird. Viele Frauen und
ihre Partner*innen stellen sich daher die
Frage, ob in ihrer sexuellen Geschichte Bö-
ses, Falsches oder Verbotenes vorgekom-
men ist, für das sie jetzt mit der Krankheit
Brustkrebs bestraft werden könnten.

Falls Sie geneigt sein sollten, diese Frage
positiv zu beantworten, müssen wir Ihnen
massiv widersprechen:
                                                        Niemand ist also schuld – weder
Keinesfalls sind Ereignisse wie vor- und                Sie selbst noch Ihr Partner*Ihre
außereheliche Sexualität, Fehlgeburt,                   Partnerin noch sonst irgend-
Schwangerschaftsabbruch, sexueller                      jemand.
­Missbrauch, Vergewaltigung, psychische
 oder physische Gewalt Ursachen von
 Brustkrebs.

Bei 5 bis 10 % aller Frauen ist Brustkrebs
genetisch bedingt, bei allen anderen Frau-
en ist die Ursache ein noch weitgehend
unerforschtes, komplexes Zusammenspiel
vieler verschiedener Faktoren.

2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs                           13
Jetzt an Sex denken?                           wichtig erscheint, weil meist auch mit
                                               anderen Brustkrebspatient*innen das The-
Erleben viele Frauen ihre Brüste im Alltag
                                               ma ­Sexualität ausgespart bleibt. Deshalb
als Teil ihrer Weiblichkeit, als wichtigen
                                               haben viele Frauen das Gefühl, sie wä-
Ort der Sexualität, ändert sich die Wahr-
                                               ren die Einzigen, die von Veränderungen
nehmung, wenn eine Frau an Brustkrebs
                                               in der Sexualität betroffen wären, und
erkrankt. Plötzlich ist die Brust nur noch
                                               ­schweigen, weil sie sich dafür schämen.
Ort der Krankheit, ihre sexuelle Bedeutung
wird zurückgenommen, Behandlung und
Heilung stehen im Vordergrund. Dennoch             Sexualität ist eine treibende Kraft
bleibt Sexualität im Hintergrund stets             des Lebens und leistet einen posi-
wichtig – sei es, dass der Wunsch nach ge-         tiven Beitrag zum Gesundungs-
lebter Sexualität wieder auftritt, der mög-        prozess – Tempo, Inhalt und
liche Verlust bewusst wird oder der Druck          Stimmigkeit sind jedoch ganz
erlebt wird, wieder sexuell ­ansprechbar           Ihren Bedürfnissen und Ihrem
zu werden.                                         ­Gestaltungswillen überlassen.

                                               Was sind mögliche unerwünschte
                                               Folgen, Veränderungen und
                                               Arzneimittelwirkungen der onko-
                                               logischen Behandlung für die
                                               Sexualität?
                                               Es ist normal, dass als Folge der Diagnose
                                               Brustkrebs Sexualität meist für längere
                                               Zeit eingestellt wird – die Bewältigung
                                               der Krise, die Durchführung einer Krebs-
                                               behandlung, das Wiedererlangen des
Selten findet sich im Behandlungsteam          seelischen Gleichgewichtes sind wichti-
des Spitals und im sozialen Umfeld je-         ger. Dass Sexualität während oder nach
mand, der Sie ermuntert, die Sexualität        Ende der Behandlung nicht automatisch
wieder aus dem Hintergrund hervorzuho-         wieder zurückkehrt, ist oft eine direkte
len. Ganz im Gegenteil haben Sie vielleicht    Folge der (operativen oder strahlenthe-
das Gefühl, unangemessene Gedanken             rapeutischen) Krebsbehandlung und mög-
zu hegen, wenn Ihnen Sexualität ange-          licher belastender Arzneimittelwirkungen
sichts der Bedrohung durch Brustkrebs          (bei Chemotherapie und vor allem bei

14                              2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs
­ ntihormoneller Therapie). Nebenwir-
a                                                   Nach der Operation:
kungen der Behandlung verändern die                 Schmerzen im Brustbereich, Hautsensi-
körperliche Selbstwahrnehmung und                   bilitätsstörungen am Oberarm, im Brust-
können daher das sexuelle Wohlbefinden              bereich, in der operierten Achselhöhle,
erschweren. Patient*innen empfinden Be-             Bewegungseinschränkungen, Narben-
handlungsfolgen und Nebenwirkungen                  schmerzen, Spannungsgefühle, nach einer
unterschiedlich stark, einige als massiv be-        Entfernung von Lymphknoten aus der Ach-
einträchtigend, viele erleben sie aber als          selhöhle Schwellung des betroffenen Ar-
moderat, milde oder auch wenig spürbar.             mes, die besonders nach ­Anstrengungen
                                                    auftreten kann.

Sie sollten wissen, dass Krebs
nicht ansteckend ist.

Krebszellen können nicht durch Körperkon-
takte übertragen werden, weder durch Küs-
sen noch durch Genital-, Oral- oder Analsex.
Tritt Brustkrebs während der Schwanger-
schaft auf, überträgt er sich auch nicht
auf das Baby. Sex während einer Chemo-
therapie schadet dem Partner*der Part-
nerin nicht: Die Substanzen, die während
der Chemotherapie verabreicht werden,
werden nach einiger Zeit mit den Kör-
perflüssigkeiten wieder ausgeschieden.
Im Scheidensekret sind nur verschwin- Nach einem Brustaufbau mit Eigen-
dend geringe Mengen dieser Substanzen­ gewebe (z. B. aus Bauch-, Rücken- oder
enthalten.                                   Oberschenkelmuskulatur) können auch
                                             an diesen Körperstellen für einige Zeit
Je nach Behandlungsform berichten Pa- Schmerzen und Einschränkungen ­bestehen.
tient*innen über die folgenden mehr oder
weniger stark ausgeprägten unangeneh-
men Wahrnehmungen:

2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs                        15
Während der Chemotherapie:                   derungen der Haut, eine Schwellung der
Müdigkeit und allgemeine Schwäche,           bestrahlten Brust, die sich in den nach-
Unwohlsein und Übelkeit/manchmal             folgenden Monaten in eine Verdickung
Erbrechen (besonders in den ersten Ta-       der Haut umwandeln kann.
gen nach der Chemotherapie), Haaraus-        An der Brust bestrahlte Patient*innen
fall (Kopfhaare, aber auch alle anderen      „strahlen“ selber nicht, es ist enger, direk-
Körperhaare können je nach der Art der       ter Hautkontakt ohne Gefahr für andere
verabreichten Chemotherapie mehr oder        möglich. Bei der Bestrahlung der Brust von
weniger stark ausfallen, im Extremfall       innen (Brachytherapie) besteht nach der
kann es zu einem vorübergehenden völ-        Entfernung der Strahlenquelle für die Um-
ligen Verlust der Kopfhaare kommen),         gebung keine Strahlenbelastung mehr,
Verstopfung, Durchfall, Geschmacksverän-     auch nicht bei sexuellen Kontakten.
derungen, Überempfindlichkeit im Mund-
raum, Empfindlichkeitsstörungen an den       Während der antihormonellen
Händen und Füßen, Knochenschmerzen           Therapie:
nach Spritzen gegen Absinken der weißen
Blutkörperchen, Veränderungen an oder
Ablösen der Finger- und Fußnägel.                Durch den Entzug der Hormone
                                                 Östrogen und Gestagen kommt
                                                 es zum (verfrühten) Eintritt des
                                                 Wechsels und damit zum Auftre-
                                                 ten von Wechselbeschwerden; die
                                                 Intensität der Wechselbeschwer-
                                                 den ist nicht bei allen Frauen
                                                 gleich.

                                             Insbesondere Abnahme des sexuellen In-
                                             teresses, erschwerte sexuelle Erregbarkeit,
                                             Stimmungsabfall, trockene Haut und tro-
                                             ckene Schleimhäute (insbesondere auch
                                             der Scheide), dadurch Schmerzen beim
Während der Strahlentherapie:                Sex, Hitzewallungen, Schlafstörungen,
Müdigkeit, Hautrötungen im bestrahlten       ­vorübergehendes Aussetzen, aber oft
Bereich, erhöhte Empfindlichkeit der be-      auch vorzeitiges Ende der Regelblutung
strahlten Stelle, bräunliche Farbverän-       und der Fruchtbarkeit, dünnere Haare,
                                              diffuser, für Nichtbetroffene meist kaum

16                            2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs
merklicher Haarausfall, Gelenkschmerzen,            Bei Frauen im metastasierten Erkran-
Muskelschmerzen, Herzklopfen/Herzrasen,             kungsstadium können neue zielgerichtete
Gewichtszunahme können auftreten.                   Therapien gemeinsam mit antihormonel-
                                                    ler Therapie verschrieben werden, dabei
All diese Beschwerden beschreiben auch              stehen in der Folge häufig die oben er-
Frauen, die auf natürlichem Weg in den              wähnten Nebenwirkungen der antihor-
Wechsel gelangen; allerdings tritt der na-          monellen Therapie im Vordergrund. Bitte
türliche Wechsel langsam ein, da Östrogen           fragen Sie Ihren behandelnden Arzt*Ihre
und Gestagen über Jahre weniger werden.             behandelnde Ärztin, wenn Sie Beschwer-
Besonders junge Brustkrebspatientinnen,             den haben, die Sie irritieren.
die Jahre vor der Zeit unerwartet und un-
gewollt, dafür aber plötzlich in den Wech-          Während zielgerichteter biologi-
sel kommen, empfinden den Verlust der               scher Therapien:
jugendlichen Vitalität und Fruchtbarkeit            Da diese Substanzen unterschiedliche
als belastend und hadern oft damit, von             Wirkmechanismen aufweisen, sind auch
den vielen möglichen Wechselbeschwer-               die Profile der Nebenwirkungen sehr un-
den viel früher betroffen zu sein als ihre          terschiedlich. Meist stehen jedoch Neben-
Alterskolleginnen.                                  wirkungen der gleichzeitig verabreichten
                                                    antihormonellen Therapie im Vorder-
                                                    grund. Wenden Sie sich in jedem Fall an
Für die langfristige, derzeit oft-                  Ihren behandelnden Arzt*Ihre behandeln-
mals mehrjährige Einnahmedauer                      de Ärztin und fragen Sie um Rat.
ist es deshalb wichtig, mit be-
treuenden Ärzt*innen auch über
Probleme durch Nebenwirkun-
gen reden zu können und dabei
ernst genommen zu werden.

Passiert dies nicht, ist das Risiko eines
­vorzeitigen Therapieabbruchs deutlich
 höher und der gesundheitliche Nutzen der
 antihormonellen Therapie für Brustkrebs­
 patientinnen geringer.

2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs                          17
Worauf muss ich mich einstellen,                 Brustkrebs wie ein Feind ‚gegen mich‘ pro-
wie lange wird es dauern, was                    duziert hat, wieder trauen, kann ich mit
kann ich erwarten?                               diesem ‚verletzten‘ Körper wieder Lust und
                                                 Nähe erleben?“ ist vielen F
                                                                           ­ rauen ­vertraut.
Sie können damit rechnen, dass die
­beschriebenen Beeinträchtigungen in
 der Sexualität bei den meisten Frauen
 zumindest vorübergehend eintreten. Die              Gute Sexualität hat immer etwas
 onkologische Behandlung kann unange-                mit Schenken zu tun – und ver-
 nehm sein. Sie dient jedoch der Heilung             schenken können Sie nur etwas,
 bzw. Verlangsamung des Krankheitsfort-              das Sie haben und hergeben
 schritts. Sie hinterlässt Spuren, prägt part-       können, ohne sich selbst zu schä-
 nerschaftliche Sexualität über längere              digen. Also ist zunächst alles,
 Phasen, stellt Belastungen dar, die erst            was Sie stärkt, nährt und ­wieder
 bewältigt und integriert werden müssen.             ins Gleichgewicht bringt, die
 Viele Frauen brauchen eine längere Zeit             Voraussetzung für die eigene und
                                                     die neue gemeinsame Sexualität.

Einen Feind bekämpft man, aber
einen Verletzten pflegt man –
                                                 Es braucht eine Phase der Selbstfindung,
und Ihre Brust, Ihr ganzer Körper
                                                 des Sich-neu-Spürens und Sich-positiv-Er-
braucht während einer Krebsthe-
                                                 lebens, um Erotik und Lust wieder möglich
rapie ganz besonders Ihre liebe-
                                                 zu machen. Egal, ob man in einer Partner-
volle Zuwendung und Pflege!
                                                 schaft lebt oder nicht, die ersten Schritte
                                                 sollte man dabei alleine machen. Sich
                                                 selbst liebevoll berühren, lustvolle Gefühle
der Abstinenz, ehe sie sich wieder den
                                                 wieder versuchen zuzulassen, Selbstbefrie-
eigenen sexuellen Bedürfnissen und
                                                 digung mit oder ohne Sexspielzeug ge-
denen des Partners*der Partnerin stellen
                                                 ben Sicherheit für die weiteren sexuellen
können. Sie haben gerade erst das Ge-
                                                 Schritte. Wie lange diese Phase dauert,
fühl überstanden, sich der medizinischen
                                                 hängt völlig von Ihnen, Ihren Befindlich-
­Behandlung ausliefern zu müssen.
                                                 keiten und Bedürfnissen ab.
                                                 Ziel könnte sein, die Phase des Überwäl-
Eben noch war die körperliche Wahrneh-
                                                 tigtwerdens durch die onkologischen
mung auf das Aufspüren von Schlechtem,
                                                 Behandlungen hinter sich zu lassen, um
Krankmachendem gerichtet. Die Frage
                                                 wieder in die Phase der Zuwendung zu
„Darf ich dem Körper, der diese Krankheit
                                                 sich selbst und zum Partner*zur Partne-

18                                2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs
rin eintreten zu können. Das heißt, es              ihre erkrankten Partner*innen mit ihren
braucht Zeit, Abstand sowie bewusste                sexuellen Wünschen zu behelligen. Es ist
Auseinander­setzung, um mit demselben               aber völlig in Ordnung, diese Spannungs-
Körper wieder Öffnung, Nähe, Intimität              situation durch Ansprechen zu entlasten,
zulassen zu können.                                 wenn damit nicht gleichzeitig die Erwar-
                                                    tung einhergeht, dass Wünsche umge-
                                                    hend ­befriedigt werden müssen.
Männer und Frauen –                                 Auf diesen Wunsch, gehört und wahrge-
wer darf wann was wollen?                           nommen zu werden, sollten Sie sich einlas-
                                                    sen. Wenn daraus Druck entsteht, sollten
Viele Partner*innen von Brustkrebspatien-
                                                    Sie sich abgrenzen und sich Zeit nehmen,
t*­innen leiden mit der Dauer der Behand-
                                                    bis es für Sie passt.
lung zunehmend unter dem Gefühl, ihre
sexuellen Bedürfnisse (noch) nicht äu-
ßern zu dürfen. Sie scheuen sich daher,

Dieser Wunsch nach Sex ist
einerseits eine Information über
die Befindlichkeit Ihres Part-
ners*Ihrer Partnerin und ander-
seits der Ausdruck seines*ihres
Interesses an Sexualität mit und
Nähe zu Ihnen als Frau, auch
wenn Sie sich Ihrer Attraktivität
als Frau unter diesen erschwe-
renden Bedingungen möglicher-
weise gar nicht ­bewusst sind. (Ihr
Partner*Ihre Partnerin hat ein „in-
neres Bild“ von Ihnen – mit allem,
was Sie ausmacht, was er*sie an
Ihnen liebt, was Sie seit Jahren                    Für viele Frauen führt der Weg zur Sexuali-
sind. Narben oder Einschränkun-                     tät über Nähe, Zärtlichkeit und Geborgen-
gen haben für dieses innere Bild                    heit – Männer hingegen beginnen ihren
oft keine große Bedeutung und                       Weg zu Nähe und Geborgenheit oft über
­werden meist überschätzt.)                         Sexualität. Daraus ergeben sich meist
                                                    Pro­bleme: Frauen mit Brustkrebs vermei-
                                                    den Situationen, die zu Sexualität führen

2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs                            19
könnten, um sich nicht zu überfordern,          Das Angebot der Männer zur gemeinsa-
Männer wissen häufig nicht, wie Nähe            men Sexualität wird von Frauen in dieser
und Zärtlichkeit ohne Sexualität herstell-      Situation oft grundsätzlich negativ als
bar sind. Die Folge sind oft Traurigkeit und    Forderung und zu erfüllende Erwartungs-
Einsamkeit – beide fühlen sich unverstan-       haltung erfahren.
den und ziehen sich im Extremfall zurück.
                                                Die mitgelieferten positiven Aspekte der
Es kommt immer wieder vor, dass Paare           Hinwendung und des Interesses können
nach einer Brustkrebserkrankung längere         daher gar nicht wahrgenommen werden.
Zeit keinen Sex haben und abstinent leben.
Grund ist, dass viele Frauen vom Trauma         Ein Beispiel
Brustkrebs und der darauffolgenden Be-
handlung so überwältigt worden sind, dass       Bei Frau X wurde die Brust entfernt; es
sie alle ihre psychischen Ressourcen für        war für sie sehr schwierig, ihrem Mann
sich benötigen und nichts zu verschenken        den veränderten Körper zu zeigen. Der
haben.                                          Mann legte seine Hand vorsichtig auf die
                                                amputierte Stelle – und Frau X schreckte
                                                empört zurück. Im Gespräch war sie zornig
                                                auf ihren Mann, dass „er in so einem Mo-
Öffnen Sie sich der legitimen                   ment an Sex denken kann“. Im weiteren
Botschaft „Ich bin und bleibe an                Gesprächsverlauf konnte geklärt werden,
dir interessiert“ und weisen Sie                dass der Mann keineswegs unmittelbar
die illegitime Forderung „­Stehe                Sex wollte, sondern mit dieser Geste de-
zu meiner Befriedigung zur                      monstrieren wollte: „Ich akzeptiere dich
­Verfügung“ zurück!                             so, wie du bist, ich schrecke nicht davor
                                                zurück, dich zu berühren.“ Da die Geste
                                                aber vor der Operation als sexuelle Hand-
                                                lung existierte, hat Frau X sie im neuen
                                                Kontext ebenfalls sexuell interpretiert und
                                                sich falsch verstanden gefühlt.

                                                In Ihrer Geschichte als Paar haben Sie Ihre
                                                ganz individuellen Lösungsansätze entwi-
                                                ckelt, die lange funktioniert haben. Nun ist
                                                durch die Krankheit Brustkrebs und ihre
                                                Folgen eine Unterbrechung des Gewohn-
                                                ten, Vertrauten eingetreten, das nicht an

20                               2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs
derselben Stelle wieder aufnehmbar ist.             meine verheilende Wunde. Sieh das als
Es ist notwendig und auch möglich, neue             großen Vertrauensbeweis, ich fühle mich
Lösungsansätze zu entwickeln, die die               total verunsichert und habe Angst vor
­erlebten Veränderungen berücksichtigen.            deiner Reaktion in zweierlei Hinsicht: Du
                                                    könntest dich entweder geschockt ab-
Anhand unseres Beispieles könnte Frau X             wenden oder mir zu nahe kommen. Bitte
z. B. sinngemäß sagen: „Ich zeige dir jetzt         geh auf mich zu, aber geh in der Situation
                                                    sofort einen halben Schritt zurück, wenn
                                                    ich dir signalisiere, dass es mir zu viel ist.“

Nur für Männer

Erfolgreiche Eroberungsstrategien                         Nur für Frauen
setzen die Fähigkeit voraus, Ableh-
nung nicht als Zurückweisung meiner                       Ich brauche als Frau die Sicherheit,
Person zu interpretieren, sondern als                     das Angebot auch ablehnen zu
Ablehnung meines Angebotes. Es ist                        dürfen, ohne meinen Partner zu be-
nicht der richtige Ort, die richtige Zeit,                leidigen und zu verletzen, sonst ist
zu spät oder zu früh – aber ich bin der                   ­Rückzug die sicherere Lösung.
richtige Mann. Früher nannte man
das „einen Korb erhalten und den                          Wenn ich ein Angebot nicht ablehnen
Korb gut wegstecken können“. Frauen                       kann, wird daraus sofort eine (Über-)
haben oft ganz andere Vorstellungen                       Forderung.
davon, wie für sie Sex in einer neuen,
herausfordernden Lebenssituation                          Wenn ich ein Angebot ablehnen darf,
aussehen könnte; häufig können wir                        bleibt es eine in die Zukunft fortwir-
Männer die Randbedingungen, die                           kende, liebevolle Geste der Zuwen-
für Frauen wichtig sind, zunächst gar                     dung und des Interesses an mir.
nicht erfassen. Daher sind wir darauf
angewiesen, den Frauen Angebote                           Bekomme ich Angebote statt Forde-
zu machen und ihnen die Wahl zu                           rungen, kann ich zu dem Zeitpunkt
überlassen, ob und wann sie unser                         darauf reagieren, zu dem ich wieder
Angebot annehmen können (weil                             in der Lage bin, mich dem anderen
die Randbedingungen JETZT passen).                        liebevoll und erotisch zuzuwenden.
Oder, nochmals altmodisch: Es geht
um Werbung, nicht um Forderung.

2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs                                21
Wieder zur Sexualität                          ner*die Partnerin, dabei ein Stück mitzu-
zurückfinden                                   gehen, aber auch einen Teil nur ganz für
                                               sich zu behalten.
Viele Brustkrebspatient*innen und ihre
                                               Das kann für den Anfang heißen: eroge-
Partner*innen wünschen sich, so schnell
                                               ne Zonen wiederzufinden und eventuell
wie möglich wieder in der Sexualität (und
                                               neu zu entdecken, wieder zu lernen, die
auch in ihrem übrigen Leben) zu dem
                                               verletzten und nicht verletzten Körperstel-
Punkt zurückzukehren, bevor Brustkrebs
                                               len liebevoll zu berühren und sich ihnen
über sie hereingebrochen ist. Das ist sehr
                                               bewusst zuzuwenden, sie im Alltag nicht
verständlich, aber so nicht verwirklichbar.
                                               rüde auszublenden, sondern sie besonders
Denn Erfahrungen, besonders so heftige,
                                               behutsam anzusehen, zu berühren und
intensive und mitunter traumatische,
                                               zu pflegen.
wie Sie sie im Zusammenhang mit Ihrer
Brustkrebserkrankung und -behandlung
gemacht haben, lassen sich nicht einfach
ungeschehen machen.

Genauso wie eine Geburt, eine
Trennung von einem Partner*
einer Partnerin, ein Schwanger-
schaftsabbruch oder ein beson-
ders intensives sexuelles Erlebnis
Spuren in Ihrem Leben hinter-
                                               Ich für mich
lassen und Sexualität dadurch in
einem anderen Licht erscheint,                 Oft macht es Sinn, den weiteren Schritt in
wird auch Brustkrebs zu Verän-                 die Erotik zunächst alleine zu gehen, Lust
derungen führen.                               und Erotik an Ihnen und für Sie selbst neu
                                               zu entdecken und wieder „in Betrieb zu
                                               nehmen“. Folgende Themen spielen häu-
Erweiterungen, Beschränkungen, verän-          fig zusammen und sind für die Wiederauf-
derte Sensitivitäten, andere Erwartungs-       nahme der Sexualität wichtig:
haltungen, aber auch der Ausbruch aus
eingefahrenen Verhaltensweisen werden          Der liebevolle Blick auf mich selbst
möglich: die Erlaubnis, die man sich selbst    Wie selbstverständlich das klingt und wie
geben kann, in neue erotische Fantasien        schwer das vielen Frauen nach ­einer Brust-
einzusteigen, die Einladung an den Part-       krebsoperation fällt! Vielleicht ­haben Sie

22                              2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs
große Angst davor, sich nach einer Brust-           dass Lustgefühle nicht mehr möglich
operation das erste Mal anzuschauen oder            sind. ­Erregung zu erreichen ist schwerer,
im Spiegel zu sehen. Denn viele Frauen              es braucht eine längere Zeit, bewusste
sehen auf den ersten Blick nur die Defizi-          ­Reize und stärkere Stimulation als früher.
te, die Narben, die Erschöpfung, die un-             Beckenbodentraining hilft, zu erfahren,
freiwillig veränderte Form der Brust oder            dass Anregung und Wahrnehmung sexu­
der Brüste, nicht aber den Mut, den es               eller Gefühle wieder möglich werden. Be-
gebraucht hat, schwere Entscheidungen                ckenbodentraining kann man sich von der
zu treffen, Behandlungen durchzustehen,              Krankenkasse verordnen lassen.
und die Entschlossenheit, „ich“ zu bleiben
und mir nichts vom Brustkrebs wegneh-               Chronische Müdigkeit (Fatigue)
                                                    tritt nach anstrengenden Krebsbehand-
                                                    lungen häufig eine Zeit lang auf, wird
Schauen Sie genau hin – es gibt                     vielleicht auch von Ihnen als äußerst ein-
sehr gute Gründe, stolz auf sich                    schränkend und fast unüberwindbar er-
zu sein!                                            lebt und verschwindet auch nicht nach
                                                    ausreichend Schlaf. Das sexuelle Verlan-
                                                    gen wird dadurch deutlich herabgesetzt.
men zu lassen.                                      Bitte sprechen Sie mit Ihren behandeln-
Sie haben Anstrengendes hinter sich,                den Ä ­ rzt*innen darüber – oft kann eine
auch noch Schwieriges vor sich, aber es             Ursache dafür gefunden und die Müdig-
ist möglich, sich zu akzeptieren, zu mögen          keit verbessert werden. Lassen Sie sich von
und liebevoll zu behandeln. Sie sind wahr-
scheinlich am Schwierigen gewachsen.
Und für Ihre Lieben bleiben Sie die, die
Sie immer schon waren, unabhängig von                   So undenkbar es vielleicht schei-
Narben, Asymmetrien und Belastungen.                    nen mag: Bewegung in der Na-
                                                        tur verbessert die Müdigkeit und
Beckenbodentraining                                     hebt die Stimmung, obwohl die
                                                        anfängliche Überwindung groß
ist nach einer Chemotherapie und vor al-
                                                        sein kann.
lem während einer antihormonellen The-
rapie sehr sinnvoll; das bewusste Anspan-
nen und Entspannen kann Ihnen helfen,
den Scheidenbereich und vor ­allem die              Menschen begleiten, die Ihnen Unterstüt-
Klitoris (den Kitzler) wieder lustvoller wahr-      zung angeboten haben – und machen Sie
zunehmen. Wenn „Lust aus dem Stand                  sich Termine für Spaziergänge aus, auch
zu jeder Zeit“ wegfällt, heißt das nicht,           wenn es nicht immer leicht ist.

2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs                           23
Bewegung und Sport                               Stöbern Sie im Angebot, holen Sie sich
sind sowohl auf der körperlichen als auch        Anregungen und informieren Sie sich, was
auf der psychischen Ebene wichtig: Licht         es alles gibt, das Ihnen gefallen könnte.
ist ein natürliches Antidepressivum, regel-      Ein angenehmes Gleitgel und ein guter
mäßige, mehrmals wöchentliche mittel­            Vibrator, der einerseits in der Scheide
anstrengende Bewegung (Sie sollen sich           vibriert und anderseits gleichzeitig die
mit einer zweiten Person während der Be-         Klitoris (den Kitzler) stimuliert, kann Ih-
wegung noch unterhalten können) wirkt            nen sehr helfen, Ihre Sexualität wieder
sich nicht nur günstig auf den Verlauf e­ iner   lustvoll zu entdecken. Auflegevibratoren,
Krebserkrankung aus, sondern verbessert          die nur im äußeren Scheidenbereich auf-
auch die Durchblutung im gesamten                gelegt werden und dort durch Vibration
Körper, stärkt die Blutgefäße im Becken          Lust machen können, sind oft ein guter
und in den Schwellkörpern des weibli-            erster Schritt, wenn das Eindringen in
chen Genitalbereichs. Onkologische Re-           die Scheide noch Probleme macht. Auch
habilitation ermöglicht es vielleicht auch       Hilfsmittel, die am Kitzler (der Klitoris)
Ihnen, in ein Leben mit mehr Bewegung            einen leichten Unterdruck erzeugen,
einzusteigen.                                    unterstützen Sie dabei, wieder lustvolle
                                                 Gefühle zu spüren und zum Orgasmus zu
Selbstbefriedigung ist gut und                   kommen. Probieren Sie sie zuerst alleine
wichtig                                          aus und nehmen Sie sie gegebenenfalls
                                                 auch in die sexuellen Begegnungen mit
                                                 Ihrem Partner*Ihrer Partnerin mit.
Gerade nach einer Brustkrebser-
krankung, wenn möglicherweise                    Apotheken bieten Gleitgele an, die
noch große Scheu besteht, Sexu-                  gleichzeitig lindernde und pflegende
alität mit einer anderen Person zu               Wirkungen in der Vagina (Scheide) ent-
erleben, kann es sehr ermutigend                 falten können; erkundigen Sie sich tele-
sein, die eigene Lust mit einem                  fonisch, wenn Sie kein Beratungsgespräch
Orgasmus zu erleben, den man                     vor anderen Menschen führen wollen,
sich selbst organisiert hat.                     oder ersuchen Sie um Beratung abseits
SEIEN SIE MUTIG!                                 des Verkaufsraumes.

Suchen Sie im Internet nach Sexshops
für Frauen, die auf weibliche sexuelle Be-
dürfnisse und Ästhetik ausgerichtet sind.

24                                2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs
Wieder Sex zu zweit                                 men.“ Fallen Zärtlichkeiten und Sex weg,
                                                    fehlt vielen Menschen diese Bestätigung.
Wenn Sie bereit sind, sich wieder auf Se-
                                                    Unsicherheit, Angst, Sprachlosigkeit und
xualität mit Ihrem Partner*Ihrer Partnerin
                                                    Einsamkeit können dadurch aufkommen.
einzulassen, macht es Sinn, ihn*sie sanft,
aber bestimmt darauf hinzuweisen, dass
                                                    Wie fühlen Sie sich am wohlsten?
für Sie möglicherweise andere Vorgangs-
weisen, andere Körperregionen oder ande-            Für viele Menschen ist das Reden über Sex
re ­Zeitabläufe angenehmer wären.                   nicht einfach. Wenn es Ihnen ein Anlie-
                                                    gen ist, das Thema anzusprechen, dann
                                                    schaffen Sie sich Bedingungen, in denen
Kurzum: Es geht um das Einlas-                      es für Sie und Ihren Partner*Ihre Partnerin
sen auf den Prozess, Sexualität                     leichter möglich ist – hier ein paar Ideen:
miteinander neu zu entwickeln,
den Sie schon mehrfach ge-
meinsam gemeistert haben –
Sie können auf Ihre Erfahrungen
­zurückgreifen.

Sexualität wieder gut zu leben bedeutet
in Partnerschaften nicht nur, Lust und
Zärtlichkeit zu teilen, sondern sich immer
wieder ohne Worte zu bestätigen: „Du bist
die*der eine für mich, wir gehören zusam-

                                                      • O
                                                         rganisieren Sie sich eine geschütz-
                                                        te Atmosphäre, eine Umgebung, in
                                                        der andere Menschen nicht mithören
                                                        können, in der auch Gefühle gezeigt
                                                        werden können und Tränen nicht
                                                        ­verborgen werden müssen.
                                                      • R
                                                         eden Sie in Bewegung: Nebenein-
                                                        anderher gehen, gemeinsam im Auto
                                                        fahren kann helfen, freier und leichter
                                                        miteinander zu sprechen.

2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs                           25
• N
    ehmen Sie sich genügend Zeit und           man aneinander den Anspruch stellt, dass
   genügend Aufmerksamkeit: Schnei-             der*die andere erahnen, erfühlen oder ein-
   den Sie wichtige Themen nicht „zwi-          fach wissen muss, was man selbst braucht.
   schen Tür und Angel“ an und schalten         In seltenen, ganz besonderen Situationen
   Sie Fernseher, Computer, Tablet und          kann das auch gelingen. Im Alltag über
   Handys aus.                                  Jahre ist dies jedoch nicht möglich. Schon
                                                gar nicht, wenn Ihnen eine Krise wie eine
                                                Krebserkrankung widerfahren ist, nach der
Wünschen statt beschuldigen,                    Ihre Bedürfnisse, Erwartungen, Möglich-
zuhören statt niederreden                       keiten und Gefühle verändert sind und
                                                neu geordnet werden müssen.

Sprechen Sie von sich und Ihren Gefühlen        Möglicherweise geht es auch Ihrem Part-
und Wünschen und hören Sie Ihrem Part-          ner*Ihrer Partnerin so: Die Position des*der
ner*Ihrer Partnerin zu, statt vorher schon      Begleitenden, Mitbetroffenen, Unter-
besser zu wissen, was der*die andere tun        stützenden und Mitfühlenden hinterlässt
sollte.                                         ebenfalls das Bedürfnis nach Veränderung
                                                oder Neuorientierung. Sie fühlen vielleicht
 • „ Ich wünsche mir …“ statt „Du hast
                                                Neues, Erschreckendes, Beängstigendes,
    schon wieder nicht …“
                                                Hoffnungsvolles, Belastendes, Aufbauen-
 • „ Ich erzähle dir, wie es für mich ist“     des – aber nicht immer zur selben Zeit und
    statt „Du musst wissen, wie es für          in derselben Situation.
    mich gut wäre“
 • „ Ich habe die Verantwortung für mich
    und mein Handeln“ statt „Du musst
    mich glücklich machen“
 • „ Ich erzähle dir, was ich von dir erwar-
    te“ statt „Lies mir meine Bedürfnisse
    von der Stirn ab“

Viele Menschen, die in Beziehungen leben,
haben die Idee, dass es ihre Aufgabe wäre,
den anderen*die andere glücklich zu ma-
chen – oder umgekehrt die Erwartung, von
der anderen Person glücklich gemacht zu
werden. Besonders schwierig ist das, wenn

26                               2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs
Darum raten wir Ihnen sowohl als Pati-
ent*in als auch als Angehörigem*Ange-                   Versuchen Sie zu spüren, was Sie
höriger, Ihre Aufmerksamkeit nicht in das               selbst glücklich machen würde –
Erahnen der Wünsche des Partners*der                    hier und jetzt, auch unter er-
Partnerin zu stecken, sondern alle Ihre                 schwerten Bedingungen. Und
Anliegen, Sehnsüchte, Bedürfnisse, Ab-                  erzählen Sie Ihrem Partner oder
neigungen, Vorlieben und Erwartungen                    Ihrer Partnerin davon. Versu-
jeweils „auf den Tisch“ zu legen, sie ge-               chen Sie nicht, zu erraten, was
meinsam anzuschauen, dem*der jeweils                    die andere Person glücklich ma-
anderen zu erklären und miteinander in                  chen könnte – laden Sie lieber
einen Verhandlungsprozess einzutreten.                  den oder die andere ein, Ihnen
Wie könnte das ausschauen?                              von seinen*ihren Wünschen zu
  • „ Ich wünsche mir so sehr Zärtlichkeit             erzählen. Seien Sie mutig und
     und dass du mich ganz fest hältst. Für             signalisieren Sie gleichzeitig
     Sex bin ich aber noch nicht bereit.                Ihrem Partner*Ihrer Partnerin,
     Wäre das trotzdem für dich okay?“                  dass Sie achtsam und respekt-
                                                        voll mit Sorgen, Ängsten und
  • „Seit meine Brust entfernt wurde,                  Wünschen umgehen werden.
     geniere ich mich so vor dir. Ich habe              Wir möchten Sie gerne dazu
     Angst, dass du den Anblick nicht er-               ermutigen!
     trägst, mich nicht mehr begehrst. An-
     derseits wäre ich dir so gerne nahe,
     bin aber total unsicher. Wie könnte
     das für dich gehen?“
  • „ Für eindringenden Sex (Penis in der
     Scheide oder im After) ist es mir noch
     zu früh und zu bedrängend – aber ich
     mag es, wenn du mich mit der Hand/
     dem Mund … befriedigst. Könntest
     du dir das vorstellen?“
  • „ Ich kann mir noch nicht vorstellen,
     mit dir zu schlafen, ich bin noch nicht
     bereit – aber ich würde dir gerne mit
     der Hand/dem Mund … Lust bereiten.
     Wäre das für eine Zeit lang für dich
     eine gute Möglichkeit?“

2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs                     27
Kann und soll ich nach Brustkrebs               pie ein Kind zu empfangen. Manche On-
(wieder) schwanger werden?                      kolog*innen empfehlen zur Sicherheit die
                                                Entnahme von Eizellen aus dem Eierstock,
                                                um diese in flüssigem Stickstoff einzufrie-
Brustkrebs kann in einem Alter auftreten,
                                                ren (Kryokonservierung, Lagerung maxi-
in dem Ihr Kinderwunsch noch nicht um-
                                                mal zehn Jahre) und vor der Chemothe-
gesetzt bzw. noch nicht abgeschlossen ist.
                                                rapie zu schützen; diese können zu einem
Gerade in der Phase, in der Brustkrebs dia-
                                                späteren Zeitpunkt wieder in den Körper
gnostiziert wird, kann Ihnen sehr schmerz-
                                                eingesetzt werden. Auch eine künstliche
lich bewusst werden, dass da ein wichtiger
                                                Befruchtung wäre nach einer abgeschlos-
zukünftiger Teil Ihres Lebens ist, der durch
                                                senen Chemotherapie möglich.
die Erkrankung an Brustkrebs gefährdet
erscheint.
                                                Schwangerschaft während einer
                                                Chemotherapie
                                                Während der Chemotherapie kann (muss
                                                aber nicht immer) die Regelblutung aus-
                                                bleiben, mit großer Wahrscheinlichkeit
                                                können Sie während einer Chemotherapie
                                                nicht schwanger werden. Da es aber ganz
                                                besonders wichtig ist, dass Sie während
                                                einer Chemotherapie auf gar keinen Fall
                                                schwanger werden, sollten Sie trotzdem
                                                verhüten. Gerade im ersten Drittel einer
                                                Schwangerschaft kann es unter dem Ein-
                                                fluss einer Chemotherapie zu Missbildun-
Folgende Informationen können in die-           gen und Fehlgeburten kommen, da sich
sem Zusammenhang für Sie wichtig sein:          bis zur 12. Woche die Organentwicklung
                                                vollzieht. Sie ersparen sich die zusätzliche
Chemotherapie oder/und eine antihormo-          Auseinandersetzung mit einem Schwan-
nelle Therapie bedeuten nicht automa-           gerschaftsabbruch durch die notwendige
tisch das Ende Ihrer Fruchtbarkeit. Gerade      Empfängnisverhütung während des ge-
jüngere Frauen können durchaus danach           samten Behandlungsprozesses (siehe
ganz normal schwanger werden, auch              Kapitel „Welche Arten von Empfäng-
wenn es mit zunehmendem Alter schwie-           nisverhütung sind möglich und sinn-
riger wird, nach einer abgeschlossenen          voll?“).
Chemotherapie/antihormonellen Thera-

28                               2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs
In späteren Stadien einer Schwanger-                re Situation und Ihr Alter eingehen. Wich-
schaft, wenn die Organbildung abgeschlos-           tig ist auch, dass die Wahrscheinlichkeit
sen ist, kann, wenn unbedingt notwendig,            des Wiederauftretens in den ersten zwei
eine Chemotherapie mit bestimmten Subs-             bis drei Jahren nach der Behandlung am
tanzen durchgeführt werden. In jedem                höchsten ist.
Fall wird Ihr betreuender Onkologe*Ihre
betreuende Onkologin das Für und Wider
einer solchen Behandlung und die Risiken
für Sie und Ihr Kind genau mit Ihnen und
gegebenenfalls mit Ihrem Partner*Ihrer
Partnerin gemeinsam besprechen.

Schwangerschaft nach Brustkrebs
Das Risiko des Wiederauftretens von
Brustkrebs hängt vor allem von den bio-
logischen Eigenschaften des Tumors ab.
Eine Schwangerschaft nach Brustkrebs
erhöht dieses Risiko nicht.

Besprechen Sie dies am besten mit einem
erfahrenen (gynäkologischen) Onkolo-
gen*einer erfahrenen (gynäkologischen)              Es gibt auch keine generellen Empfeh-
Onkologin und Ihrem Partner*Ihrer Part-             lungen, wann eine Schwangerschaft an-
nerin.                                              gestrebt werden kann; viele Expert*innen
                                                    halten es jedoch für sinnvoll, zumindest
                                                    ein bis zwei Jahre nach Abschluss einer
Es ist jedoch in diesem Zusammen-                   Chemotherapie abzuwarten, bevor eine
hang wichtig für Sie, zu klären,                    Schwangerschaft geplant wird. Körper
wie hoch Ihr persönliches Risiko                    und Psyche haben so die Möglichkeit, sich
tatsächlich ist, dass Brustkrebs                    von den Folgen onkologischer Behandlun-
bei Ihnen wieder auftreten könnte.                  gen ausreichend zu erholen, und sind bes-
                                                    ser bereit für die Freuden, aber auch die
                                                    Herausforderungen von Schwangerschaft
Allgemeine Empfehlungen sind hier kaum              und Elternschaft.
möglich. Ein Beratungsgespräch muss auf
die Eigenschaften des Tumors, die familiä-

2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs                          29
Wenn eine Frau eine antihormonelle The-           • W
                                                     ie hoch ist mein Risiko, dass
rapie (statt einer Chemotherapie oder an-           Brustkrebs bei mir in Form von Meta­
schließend an eine solche) erhält, so ist           stasen wieder auftritt (ausführliches
es ebenfalls sinnvoll, die Umsetzung des            Beratungsgespräch mit erfahrenem
Kinderwunsches mit dem behandelnden                 [gynäkologischem] Onkologen*er-
Onkologen*der behandelnden Onkologin                fahrener [gynäkologischer] Onkologin
zu besprechen; gynäkologische Onko­                 empfohlen)?
log*innen, die eine solche Schwanger-
                                                  • W
                                                     enn wir uns für ein Kind entschei-
schaft in der Folge auch begleiten können,
                                                    den und der Fall eintreten sollte, dass
sind dabei besonders erfahren.
                                                    meine Krankheit weitergeht und mir
                                                    schlimmstenfalls der Tod bevorsteht,
                                                     wer wäre dann für mein Kind ver-
                                                     antwortlich?
                                                  • H
                                                     abe ich Menschen in meiner Familie
                                                    und in meinem Freundeskreis, denen
                                                    ich mein Kind im schlimmsten Fall
                                                    ­ nvertrauen könnte?
                                                    a

                                                Das sind sehr schwierige, schmerzliche
                                                Fragen für Brustkrebspatientinnen und
                                                ihre Partner*innen; dennoch ist es ein
Empfehlungen sind auch hier wieder nur          Zeichen verantwortungsvoller Eltern-
in Abwägung Ihres persönlichen Risikos,         schaft, diese Themen nicht auszublen-
abhängig von den biologischen Eigen-            den, sondern bewusst darüber zu reden
schaften Ihres Primärtumors, Ihres Alters       und Lösungen anzudenken. Besonders
und Ihrer Familiensituation möglich.            die Einschätzung Ihres persönlichen Risi­
                                                kos sollten Sie mit dem behandelnden
Als Frau oder Paar ein Kind zu planen ist im-   Onkologen*der behandelnden Onkologin
mer eine zutiefst persönliche Entscheidung;     diskutieren und unter Umständen einen
niemand außer Ihnen und Ihrem*Ihrer             erfahrenen Psycho­  onkologen*eine er-
Partner*in ist berechtigt, diese Entschei-      fahrene Psycho­onkologin beiziehen; von
dung zu treffen. Es macht aber Sinn, sich       Informationen aus dem Internet als allei-
nach einer Brustkrebserkrankung mit fol-        niger Informationsquelle raten wir wegen
genden Fragen auseinanderzusetzen und           der ­Komplexität des Themas ab.
sich aktiv kompetente medizinische und
­psychoonkologische Beratung zu holen:

30                               2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs
Welche Arten von Empfängnis-                        fallen leider beliebte Verhütungsmittel wie
verhütung sind möglich und                          die Pille, Minipille, Dreimonatsspritze, Hor-
sinnvoll?                                           monpflaster und implantierbare Hormon-
                                                    stäbchen gänzlich aus.
Wie schon im vorherigen Kapitel erwähnt,
ist Empfängnisverhütung während des ge-
                                                    Die Ungefährlichkeit von hormonhaltigen,
samten onkologischen Behandlungspro-
                                                    aber nur lokal wirkenden Verhütungsmit-
zesses empfehlenswert, um Ihnen zusätz-
                                                    teln wie Spiralen mit Hormondepot und
liche psychische Belastungen zu ersparen.
                                                    Scheidenringen, die Hormon abgeben,
                                                    wird von Onkolog*innen immer wieder
Grundsätzlich dürfen Sie nicht                      ­diskutiert. Manche halten sie für vertret-
mehr mit empfängnisverhüten-                         bar, andere wieder raten ausdrücklich
den Mitteln verhüten, die Hor-                       davon ab.
mone (Östrogen und Gestagen)
enthalten.                                          Am sinnvollsten sind diese
                                                    Methoden:

                                                      • Kondome
                                                      • K
                                                         upferhaltige Spiralen, Kettchen oder
                                                        Bälle aus Kupfer oder Gold
                                                      • U
                                                         nterbindung des Samenleiters des
                                                        Mannes oder der Eileiter der Frau
                                                    
                                                    Wenn die Wahl zwischen Samen- oder
                                                    Eileiterunterbindung besteht, also Mann
                                                    und Frau sich diese endgültige Lösung vor-
                                                    stellen können, so ist zu sagen, dass der
                                                    Eingriff beim Mann wesentlich einfacher
                                                    durchzuführen und mit weniger Risiko
                                                    (keine Vollnarkose, kein Eingehen in die
                                                    Bauchhöhle) verbunden ist.

                                                     uch die Entfernung der Eierstöcke kann
                                                    A
Grund ist, dass viele Tumorzellarten bei            bei Brustkrebspatientinnen, die noch vor
Brustkrebs durch diese Hormone „gefüt-              dem Wechsel stehen, eine sinnvolle Mög-
tert“ werden können und Hormone da-                 lichkeit in zweierlei Hinsicht sein: Durch
durch Ihr Brustkrebsrisiko erhöhen. Damit           die Entfernung beider Eierstöcke wird

2. Veränderungen in der Sexualität durch die Krankheit Brustkrebs                              31
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