STREITKULTUR AUSGABE 2021 - DEMOKRATIE UNTER DRUCK Praxisbuch Politik: Europa-Impulse
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AU SGABE 2 02 1 STREITKULTUR EI TE N LO H N T W O FÜ R ES SI C H ZU ST R Praxisbuch Politik: ANSTÖSSE DEMOKRATIE UNTER DRUCK www.streitkultur-magazin.de
STREITKULTUR Wofür es sich zu streiten lohnt Inhalt Liebe Freund*innen Vorwort der Willi-Eichler-Akademie, // Sebastian Scharte S. 02 Parteiendemokratie in Zeiten von „Fridays for Future“ // Luca Samlidis S. 03 die repräsentative Demokratie, wie wir sie gegenüber neuen Bewegungen wie „Fridays kennen, steht unter Druck – und mit ihr die For Future“ ist ein oft genanntes Beispiel. Demokratie unter Druck sie tragenden politischen Parteien. Einerseits Drei Fragen an Jörg Sommer fordern seit einigen Jahren neue Parteien die „Der Staat ist kein Pizzalieferdienst“, hat // Dr. Sebastian Scharte S. 06 etablierten heraus: am prägnantesten die Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig rechtspopulistische bis -extreme AfD, aber einmal gesagt und sich auf eine nicht unge- Frauen nehmen Anlauf ebenso eine dezidiert pro-europäische – und fährliche Denkweise in Teilen der Bevölke- Herausforderungen für Frauen in der transnationale – Bewegung wie Volt, die rung bezogen: der*die Bürger*in bestellt, die Kommunalpolitik und Verwaltung neben einem Sitz im Europaparlament mitt- Politik setzt 1:1 um. So allerdings funktio- // Dörte Schall S. 09 lerweile auch kommunalpolitische Erfolge in niert Demokratie nicht, hat Demokratie noch Bundesländern wie Bayern, Nordrhein-West- nie funktioniert. „Demokratie muss nicht ‚lie- Gemeinsame Herausforderungen falen, Hessen und Niedersachsen verzeich- fern‘, Demokratie ist schon die Lieferung. Sie brauchen gemeinsame Lösungen net. Andererseits schwindet das generelle ist weniger das Instrument zur Wohlstands- Ein Plädoyer für ein vereintes, Vertrauen in die Parteien(-demokratie) und verwahrung als vielmehr ein Verfahren zur föderales Europa der Zukunft die handelnden Politiker*innen, so dass die Herstellung von Würde“, so auch Hedwig // Rebekka Müller und Tobias Berger S. 12 Rufe nach anderen, neuen Wegen von Par- Richter und Bernd Ulrich kürzlich in der ZEIT. tizipation lauter werden. Unterschiedliche Vom Erstwähler zum Erstwahlhelfer Formen von Bürgerbeteiligung, auch Instru- Wir hoffen, mit dieser Ausgabe der Streitkul- // Achim Wölfel S. 16 mente direkter Demokratie, werden auf euro- tur einige Denkanstöße zu liefern, Diskussio päischer, Bundes-, Landes- und lokaler Ebene nen anzuregen – und wünschen viel Freude Die Demokratiewerkstatt des diskutiert, gegebenenfalls getestet, für gut bei der Lektüre! Willi-Eichler-Bildungswerks in Köln-Kalk befunden, wieder verworfen. Und mittendrin Ein Projekt in Kooperation mit der in all den Debatten: die eigentlich per Wahl Für die Redaktion Landeszentrale für politische Bildung legitimierten Vertreter*innen in den jeweili- Nordrhein-Westfalen gen Parlamenten, denen häufig eine Veran- // Ahmad Zaza S. 18 kerung höchstens noch in ihrer Partei, nicht aber mehr in der Gesellschaft unterstellt // Dr. Sebastian Scharte Permanenter Bürgerdialog in Ostbelgien wird. Die Sprachlosigkeit von Politiker*innen Eine Initiative des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens // Anna Stuers S. 20 Impressum Die STREITKULTUR wurde gegründet vom Verein für politische Bildung und Information Bonn e. V. (VPI Bonn) und ist heute eine Publikation der Willi-Eichler-Akademie e. V. Herausgeber: Willi-Eichler-Akademie e. V., Fotonachweise: Alexander Hauk/pixelio.de (S. 03-05, S. 12/13), Tanea Venloer Wall 15, 50672 Köln, Tel.: 0221-168 898 70, Sommer (S. 06 oben), Dr. Klaus-Uwe Gerhardt/pixelio.de (S. 06/07 E-Mail: kontakt@web-koeln.de unten), Esthe Stosch/pixelio.de (S. 08), Cornelia Menichelli/pixelio.de Redaktion: Martin Schilling (verantwortl.), (S. 11), Stefan Erdmann/pixelio.de (S.14), Gabi Eder/pixelio.de (S. 16 Dr. Sebastian Scharte, Luisa Schmitt, Ahmad Zaza oben), Michael Lucan/pixelio.de (S. 16 unten), Achim Wölfel (S. 17) E-Mail: redaktion@streitkultur-magazin.de Layout, Satz: Regina Fischer SEITE 02
Parteiendemokratie in Zeiten von „Fridays for Future“ In der Anfangszeit der „Fridays for Future“-Bewegung fragte mich eine ältere Dame sorgenvoll, ob ich den deutschen Parteien die Bewältigung der Klimakrise überhaupt zutraue. Reflexhaft wollte ich mit „ja“ antwor- ten, doch irgendetwas hielt mich davon ab. Dieser Moment hat mich zum Nachdenken gebracht. Jetzt bin ich selbst Parteimitglied. Doch trotzdem ist mir klarer als je zuvor: Wenn Parteien – gerade die altgedienten – sich nicht rasch verändern, steht im Parteiensystem der Bundesrepublik ein Umbruch bevor. Parteien lassen sich treiben Die neue Klimabewegung hat im Land eine nutzen. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt für Politik nicht nur über Sachfragen entscheidet, starke Politisierungswelle ausgelöst – doch eine Partei, sich zu verändern, als jetzt. Doch sondern diese durch gesellschaftliche Veran- die meisten Parteien erscheinen neben den es hindert sie das, was sie immer hindert: Die kerung erst identifiziert und zum Politikum motivierten Aktivist*innen sprichwörtlich eigene Trägheit. Dabei war das nicht immer macht. Im Gegensatz dazu treiben soziale Be- blass. Eine solche Energie, wie sie Bewe- so. Nach dem Krieg haben sich die Parteien wegungen die gewählten Volksvertreter*innen gungen in die politische Debatte einbringen, und ihr Personal in besonderer Art und Wei- heute immer öfter vor sich her und bestimmen kennen viele Parteien wohl kaum noch. Und se verdient gemacht. Die Menschen im Land die Agenda selbst. Sie warten nicht mehr, bis gerade das ist das große Problem. Denn auch fühlten sich vertreten, der Wiederaufbau und Politiker*innen ihre Themen bearbeiten, son- die etablierten Parteien wären gut beraten, die Wiedereingliederung in das internationale dern werden selbst aktiv. Es herrscht der Ein- den nahezu überschwänglichen Veränderungs- Staatensystem gelang. Die Bonner Republik ist druck: „Die etablierte Politik erkennt unsere drang für sich und die Menschen im Land zu ein Beispiel für lebendige Demokratie, in der Probleme nicht.“ SEITE 03
STREITKULTUR Wofür es sich zu streiten lohnt Parteienverdrossenheit vs. for Future“-Demonstration in Deutschland Parteistrukturen werden – mal mehr und mal Politikverdrossenheit Parteisymbole oder -fahnen erlaubt sind. weniger ironisch – auf die Schüppe genom- men. Und gerade Wahlkampfmanöver der eta- Es gibt zwei Wege, mit dem Gefühl umzuge- Anstatt einer Abnahme des politischen Interes- blierten Kräfte werden schneller durchschaut hen, dass die herrschenden Parteien den Blick ses gab es eine Verschiebung dessen in andere als noch vor einigen Jahren. Kurz: Die junge für die Herausforderungen des 21. Jahrhun- Kanäle. Doch wenn die Parteien nicht zumin- Generation ist aktiver Teil des Diskurses und derts weitgehend verloren haben. Der eine ist dest einen Teil der engagierten Jugend für sich produziert ihre eigenen Formate. Das hat es Resignation und Destruktivität. Der andere ist gewinnen können, kann das auf lange Sicht vorher nur in begrenztem Rahmen, beispiels- Organisation und öffentlicher Druck. Die Akti- zu einer Vergiftung des politischen Diskurses weise über Jugendzeitschriften, gegeben. Das vist*innen der Klimabewegung haben sich für führen. Es findet eine Entfremdung von Jugend Ergebnis: Die junge Generation ist über weite den zweiten Weg entschieden – und sind damit und herrschender Politik statt, aber niemand Teile besser mit sozialen Medien vertraut als überaus erfolgreich, wie auch die defensiven sieht sich dafür in der Verantwortung. die ältere Amtsinhaber*innen und Institutio- Reaktionen aus Politik und Wirtschaft zeigen. nen – die kommunikative Wellenlänge driftet Der Erfolg lädt förmlich ein, sich in der Klima- Die gemeinsame auseinander. bewegung zu engagieren – denn dort erreicht Wellenlänge finden man ohnehin mehr als in einer politischen Arbeitsstrukturen klaffen Partei. Und sowieso sind die älteren Männer Die oben skizzierte Entwicklung ist nicht leicht auseinander und Frauen in Parlamenten und Regierungen zu erklären, doch einer der Ankerpunkte wird die Gegner*innen. So zumindest der Eindruck. das veränderte Kommunikations- und Informa- „Eine Generation meldet sich zu Wort“, lautete tionsangebot sein. Während zur „besten Zeit“ die Überschrift der Shell-Jugendstudie 2019. An dieser Stelle entzündet sich ein Konflikt, der Parteien Zeitungen und Radio, später auch Ein Titel mit gewissem Zynismus. Immerhin der über das Klischee der „politikverdrosse- das Fernsehen, die größte Rolle in der öffent- meldeten sich zu diesem Zeitpunkt zumindest nen Jugend“ hinausgeht. Die Klimabewegung, lichen Diskussion spielten, laufen ihnen heute freitags in den Schulen deutlich weniger Schü- aber auch andere soziale Bewegungen wie diverse Kanäle in den sozialen Netzwerken ler*innen zu Wort als sonst. Die Shell-Studie beispielsweise „Black Lives Matter“ zeigen an- den Rang ab. Soziale Medien haben eine Stär- zeichnet ein deutliches Bild: Jugendliche sind schaulich auf, dass gerade unter jungen Leuten ke: Hier kann jede*r Inhalte so aufbereiten, wie interessiert an politischen Themen und ge- das politische Interesse und das Bewusstsein er*sie es für richtig hält. Junge Menschen, die willt, sich einzubringen. Doch ein Ergebnis für Ungerechtigkeiten groß sind. Auch die sich in der Regel besonders gut mit den neuen lässt aufhorchen: Ein erheblicher Teil, immer- Bereitschaft, dieses Interesse in Aktivität technischen Möglichkeiten auskennen, werden hin 71 % der Befragten, glaubt nicht, dass „Po- umzusetzen, ist unbestreitbar da – wie sonst so von Konsument*innen zu den sogenannten litiker*innen sich darum kümmern, was Leute hätte sich die „Fridays for Future“-Bewegung „creators“ – also denen, die selbst Inhalte pro- wie ich denken“. Auch hier zeigt sich die Par- in dieser ungekannten Größenordnung entwi- duzieren. Und Inhalte von jungen Menschen für teienverdrossenheit – obwohl das Bewusstsein ckeln können? Der Mythos der Politikverdros- junge Menschen haben einen anderen Reiz als für Demokratie unverändert groß bleibt. Eine senheit unter Jugendlichen in Deutschland ist beispielsweise das ARD-Morgenmagazin. Die Bestätigung der hier skizzierten Erkenntnisse. widerlegt. Und doch drängt sich förmlich die zunehmende Zahl neuartiger Informationsan- Frage auf, aus welchem Grund die politischen gebote ermutigt junge Menschen, ihre Ansich- Unterschiedliche Kommunikationsformen Parteien, auf denen das politische System der ten offensiver kundzutun. Ein Gewinn für die wurden bereits als ein Grund für die starke Bundesrepublik laut Grundgesetz basiert, ge- Demokratie. Entfremdung von Jugendlichen und Parteien rade unter jungen, interessierten Menschen identifiziert. Doch auch die innere Struktur häufig nur noch einen geringen Stellenwert Dass soziale Netzwerke eine immer größere spielt eine zentrale Rolle. Auf einer „Fridays innehaben. Ich spreche in diesem Kontext Rolle spielen, ist keine Neuheit. Politische for Future“-Veranstaltung rief mir eine Organi- von „Parteienverdrossenheit“ anstatt von Parteien jedoch taten sich bis vor kurzem – satorin inmitten von 15.000 Demonstrierenden „Politikverdrossenheit“. Die Bedeutung par- und tun es teils noch immer – schwer mit scherzhaft, aber nicht gänzlich ironisch zu: „Ich teipolitischer Gremien und Institutionen kann dieser Entwicklung. Gut organisierte und ta- bin so froh, dass wir das hier geschafft haben. an ihrer Wirksamkeit gemessen werden. Und lentierte Jugendliche und junge Erwachsene Das ist mehr, als Merkel und so in zehn Jahren auch wenn alle Entscheidungen schlussend- sprangen auf den Zug hingegen schnell auf. hinkriegen.“ Natürlich war das nicht ganz ernst lich – aus guten Gründen – von den gewähl- Das Ergebnis: Jede kleinste Entscheidung oder gemeint, doch es benennt zentrale Probleme, ten Volksvertreter*innen getroffen werden, Äußerung einer Politikerin oder eines Politi- die Jugendliche mit Parteien haben: Oft lang- scheint bei Jugendlichen ebendiese Wirksam- kers wird online von allen Seiten begutachtet. atmige Prozesse, unnötige Bürokratie und das keit nicht mehr besonders groß eingeschätzt Und zwar von Menschen der jungen Generati- Gefühl, dass die Notwendigkeiten – gerade in zu werden. Das könnte auch eine Erklärung on, die mittlerweile auch „politische Influen- Bezug auf die Klimakrise – hinter Papiertigern dafür sein, weshalb auf nahezu keiner „Fridays cer“ genannt werden. Die oft eher veralteten und meterdicken Aktenordnern in Vergessen- SEITE 04
Worauf es neben strukturellen Reformen parteiintern und im politischen Prozess also auch an- kommt, ist, Parteiarbeit zu erklären. Selbstkritisch, aufgeschlossen und veränderungsbereit. Eine Ebene finden Streng genommen folgt aus dieser Argumen- tation eines: Entweder etablierte Parteien ändern ihr Image und ihre Arbeitsweise, oder motivierte Jugendliche suchen sich andere For- men des Engagements. Doch ganz so einfach ist die Situation dann doch nicht. Erstens werden außerparteiliche Bewegungen auch bei besten und modernsten Parteistrukturen nicht obso- heit geraten. Die Klimabewegung macht ein days for Future“ agieren. Diese Erwartung wer- let. Eine „Fridays for Future“-Massendemonst- anderes Angebot: Jede*r kann sich so einbrin- den SPD, CDU und Co. nur enttäuschen können. ration lässt sich nicht mit einer zehnstündigen gen, wie er*sie möchte, jederzeit pausieren, je- Worauf es neben strukturellen Reformen par- Plenartagung in Berlin vergleichen, weder in derzeit wiederkommen. Automatisch dazu gibt teiintern und im politischen Prozess also auch Ziel noch Ausdruck. Das liegt nicht zuletzt am es achtsame Aktivist*innen, die für das glei- ankommt, ist, Parteiarbeit zu erklären. Selbst- ganzheitlichen und repräsentativen Anspruch, che Anliegen kämpfen – und dann auch noch kritisch, aufgeschlossen und veränderungsbe- den Politik an erster Stelle erfüllen muss, die messbaren Erfolg. Ohne die Klimabewegung reit. Denn wenn Aktivist*innen eins nicht mehr Klimabewegung jedoch nicht. Zweitens wird wäre heute nicht einmal ein Bruchteil dessen hören können, dann den Satz: „Es ist doch die Modernisierung des Parteiensystems nur in Bewegung gekommen, worüber jeden Tag schon so viel passiert.“ Gerade mit Blick auf dann gelingen, wenn beide Seiten sich auf- diskutiert wird. Und das ist den Aktivist*innen die Erderwärmung, die das existenzielle Prob- einander zubewegen. Nicht zwangsläufig in- meistens auch bewusst. lem dieser Zeit darstellt, ist diese Aussage fast haltlich – denn die Klimabewegung hat die schon provozierend. Und sie ist Inbegriff des geballte Kraft der Wissenschaft auf ihrer Seite. Die Parteien können da nicht mithalten. Ent- Problems. Parteien punkten bei Jugendlichen Jedoch was die politische Streitkultur angeht. scheidungen dauern zu lange und greifen zu und jungen Erwachsenen nicht mit Ausreden, Denn am Ende brauchen Bewegung und Partei- kurz, Personalkämpfe überschatten Inhalte sondern mit Plänen, überprüfbaren Erfolgen en sich gegenseitig, um echte Veränderung zu und es häufen sich Korruptionsskandale auf und Kommunikation auf Augenhöhe. Beleh- schaffen. Diese gemeinsame Ebene bei allen höchster Ebene. Außerdem ist in der Regel eine rende Hinweise auf Erfolge der letzten fünf inhaltlichen Streitpunkten aufrecht zu erhal- Mitgliedschaft nötig, um sich in einer Partei zu Jahre, die von der führenden Wissenschaft ten, wird die große Herausforderung sein und engagieren. Und diese Bindung einzugehen – als unzureichend bezeichnet werden, beein- bleiben. Meine Mitgliedschaft in der sozialde- gerade dann, wenn man nicht mit allem ein- drucken niemanden mehr. Was die Parteien mokratischen Partei dient auch diesem Zweck. verstanden ist, was die Partei tut – braucht jetzt noch retten kann, ist ein Bekenntnis zu Parteien brauchen Veränderung von unten und Überwindung. Viele Engagierte entscheiden gemeinschaftlich gestalteter Veränderung. einen anderen Kommunikationsstil – doch der sich an diesem Punkt gegen die Veränderung Hinter diesem abstrakten Bekenntnis verbirgt fällt nicht vom Himmel. Irgendwo braucht es von „innen“ und bleiben beim Aktivismus. Man sich etwas ganz Konkretes: Es braucht eine einen Anfang. Dann kann das Projekt „Klimak- kann es ihnen nicht verübeln. „Bewegung“ von Jung und Alt, die Parteistruk- rise stoppen“ noch gelingen. turen und politische Entscheidungsfindung Parteien können von der Klimabewegung neu denkt. Eine Reform von unten, nicht nur // Von Luca Samlidis lernen. Allerdings ist das politische System aus den etablierten Parteizentralen heraus. So, Samlidis ist Journalist und Moderator und Deutschlands nicht darauf ausgerichtet, dass wie „echte“ Bewegungen entstehen – nur eben engagiert sich für soziale Gerechtigkeit und Parteien als „Bewegungen“ im Sinne von „Fri- mit einer anderen Ausrichtung. Klimaschutz. SEITE 05
STREITKULTUR Wofür es sich zu streiten lohnt Wie muss sich unsere repräsentative Demo- kratie, müssen sich die politischen Parteien verändern, gar neu erfinden, um zukunftsfä- hig zu sein? Die Institutionen unserer repräsentativen Demokratie haben an Gestaltungskraft verlo- ren. Das ist eine Diagnose, keine Katastrophe. Denn Gesellschaften verändern sich. Ob de- mokratische Gemeinwesen oder autokratische Diktaturen, nur selten hatten sie unverändert über viele Generationen Bestand. Im Gegen- teil: Stillstand bedeutete nur allzu häufig den Anfang vom Ende. Immer wieder wurden Ge- sellschaften, die über einen langen Zeitraum keine Veränderungen zuließen, instabil, von Gegenbewegungen delegitimiert und von Umwälzungen mit revolutionärem Charakter hinweggefegt. Unser aktuelles deutsches gesellschaftliches Demokratie Modell, die repräsentative Demokratie, ist historisch eher jung. Obwohl global die re- präsentative Demokratie in den vergangenen unter Druck zwei Generationen das Modell mit der größten Attraktivität in zahlreichen unterschiedlichen Nuancen und Ausprägungen war, ist es auch ein Modell, das erkennbar an Grenzen stößt. Drei Fragen an Jörg Sommer Der Befund in den meisten demokratischen Ländern ist ähnlich: Überall wird es schwie- riger, zu einem stabilen Konsens zu kommen. Das destabilisiert wichtige gesellschaftliche Grundprinzipien wie Diskurs sowie Kompro- SEITE 06
missfähigkeit und -bereitschaft. Sie aber sind Jede Säule dieser zukunftsfähigen, vielfältigen Reine Repräsentation unverzichtbar für eine lebendige Demokratie. Demokratie hat dabei ihre eigenen Prozesse: wird unsere Demokratie Die repräsentative Säule wird durch Wahlen Diese „Lebendigkeit“ müssen wir in Zukunft geprägt, die direktdemokratische durch unmit- nicht dauerhaft über rein repräsentative Strukturen hinaus- telbare Abstimmungen der Bürger*innen. In der stabilisieren können. denken. Reine Repräsentation wird unsere De- mokratie nicht dauerhaft stabilisieren können. Beteiligung geht es um Deliberation: Also den gemeinsamen Diskurs mit Wirkungsanspruch. Unsere Institutionen Unsere Institutionen und ihre Akteure haben Genau das ist besonders wichtig, um die social und ihre Akteure haben bereits erheblich an Akzeptanz verloren. Dazu bubbles zu überwinden und gesellschaftliche bereits erheblich an kommt: Die sozial-ökologische Transformation, Konsense neu auszuhandeln – hier stehen wir die uns angesichts des Klimawandels bevor- vor großen Herausforderungen. Akzeptanz verloren. steht, wird unsere Gesellschaft in ihren Grund- festen erschüttern. Welche Arten von Beteiligung, Partizipation der Zivilgesellschaft sind dabei wünschens- Wichtig ist nur, dass diese Diskurse stattfin- Ein solcher Prozess kann nur dann den gesell- wert, welche nicht? den – und zwar massenhaft. Es geht dabei um schaftlichen Zusammenhalt bewahren, wenn demokratische Selbstwirksamkeitserfahrun- er in der Gesellschaft breit verhandelt und Prägend für Partizipation ist der Diskurs. Es gen. Die kann man eben nur selbst erleben. letztlich getragen wird. Allein in den Parla- sind also alle Formen und Formate sinnvoll, in Durch diese Erlebnisse entwickeln sich Men- menten und Parteien kann dies nicht gelingen. denen unmittelbarer Diskurs von Bürger*innen schen zu Demokraten – denn das ist uns nicht untereinander, aber auch mit politischen Ent- in die Wiege gelegt. Demokratie ist eine Kul- Wir müssen unsere Demokratie also breiter scheidern ermöglicht wird. turkompetenz, die man entwickeln muss. Und aufstellen, nicht mehr nur auf eine Säule (re- eine starke Demokratie braucht eben vor allem präsentative Strukturen), sondern auf alle drei Das muss nicht immer ein ausgeklügeltes, eins: Demokraten. Säulen der „Vielfältigen Demokratie“. Ergänzt hippes Format mit schönem Titel sein, wie ein also durch mehr direktdemokratische Entschei- „Town Hall Meeting“, eine „Planungszelle“ oder Das aber wird man nicht vom Zuschauen. In- dungen und vor allem durch mehr Beteiligung. ein „Bürgerrat“. Das kann auch mal ein schlich- sofern ist der aktuelle Hype um zufällig aus- ter Stuhlkreis sein. geloste „Bürgerräte“ zwar förderlich für die Entwickelt wurde dieses Modell von der „Al- Wahrnehmung von Bürger*innenbeteiligung. lianz Vielfältige Demokratie“, für die ich als Aber alleine durch Bürgerräte werden wir die Koordinator tätig bin. Darin arbeiten über Demokratie kein bisschen stabilisieren. Pro 220 Expert*innen aus Wissenschaft, Politik, Bürgerrat organisieren wir im Optimalfall de- zivilgesellschaftlichen Organisationen, aus mokratische Selbstwirksamkeitserlebnisse bei Wirtschaft, Verwaltungen, auch aus fast allen 0,00015 % der Bevölkerung. Da brauchen wir Bundesministerien und allen Landesregierun- gen intensiv zusammen. Deren Empfehlungen haben also durchaus Gewicht und praktischen Politikbezug. SEITE 07
STREITKULTUR Wofür es sich zu streiten lohnt Institutionen. Das erleben wir schon heute. Die Gefahr ist real, dass Autoritäre, Populisten, Rechtsradikale und Demokratieverächter dies Entscheidend ist dabei der Prozess. Langfris- ausnutzen, um die Demokratie zu beerdigen. tig geht es um breite Demokratieerfahrungen, nicht um Akzeptanz oder Legitimation für po- Da hilft es nicht, den Vertrauensverlust zu litische Entscheidungen, oder um Vertrauens- beklagen. Im Gegenteil. Das „Verlangen nach bildung. Vertrauen“ ist in einer Demokratie kontrapro- duktiv. Eine Erwartung im Sinne von: „Ihr lehnt Denken wir immer daran: Herrscher brauchen euch vertrauensvoll zurück, wir machen das Vertrauen. Demokraten brauchen Diskurs. schon ...“ ist das Konzept von Herrschaft, nicht mehr Angebote, insbesondere auf kommunaler von Demokratie. Die Fragen stellte Dr. Sebastian Scharte, Ebene – und vor allem Beteiligung von Betrof- Pädagogischer Mitarbeiter des Willi-Eichler- fenen, nicht von irgendwelchen zufällig aus- Demokratie konnte erst entstehen, als die Un- Bildungswerks. gelosten Gruppen. Wir müssen Schüler*innen tertanen ihren Herrschern eben kein Vertrauen und Eltern zur Schulentwicklung beteiligen, mehr zubilligten. Das Wesen der Demokratie Senior*innen und andere Betroffene zu Barri- ist es, den Regierenden zu misstrauen, sich erefreiheit, Anwohner*innen zur Verkehrspo- deshalb selbst am Willensbildungsprozess zu litik, Migrant*innen und Alteingesessene zur beteiligen, ihre Entscheidungen zu hinterfra- Integration usw. gen, Argumente zu verlangen und darauf zu Jörg Sommer bestehen, überzeugt zu werden. Seneca spricht Vor allem müssen wir sicherstellen, dass wir vom „Vertrauen auf die Wahrheit und Vertrau- ist Politikwissenschaftler und Sozio- gezielt jenen Gruppen Angebote machen, die en auf sich selbst.“ loge, er beschäftigt sich seit über 30 in den anderen Säulen unterrepräsentiert Jahren mit Fragen des gesellschaftli- sind. Männliche Akademiker über 50 mit gu- Eine der größten Gefahren in der demokrati- chen Engagements und Zusammen- tem Einkommen sind tatsächlich auch in vie- schen Gesellschaft ist die Überwertung von haltes. So gibt er unter anderem das len Beteiligungsprozessen dominant, weil sie Vertrauen. Wenn Vertrauen regiert, entsteht in zweijährigem Rhythmus erschei- über die nötigen Ressourcen und Kompetenzen Raum für Missbrauch, erodiert demokratische nenden „KURSBUCH BÜRGERBE- verfügen. Hier bedarf es gezielter Ansprache Kontrolle. TEILIGUNG“ heraus. Er ist Direktor so genannter „beteiligungsferner“ Gruppen. des Berlin Institut für Partizipation Da gibt es in der Praxis bereits umfangreiche Um Vertrauen zu ringen, ist nicht verwerflich. (bipar) und in dieser Eigenschaft Erfahrungen. Es geht. Man muss es nur wollen. Misstrauen zu akzeptieren, ist dagegen klug. auch als Gutachter und Berater für Eine starke Demokratie lebt vom gesunden Parlamente, Ministerien, Stiftungen Wie erreichen wir einen (neuen) Konsens über Misstrauen der Bürger in ihre Regierenden und und Verbände tätig. Außerdem wirkt die demokratische Legitimation politischer deren ausführenden Organe. Genau das moti- er als Koordinator der Allianz Viel- Entscheidungen und politischen Handelns? viert zu Beteiligungsbereitschaft. Gibt es dann fältige Demokratie, in der über 220 auch entsprechende Angebote, können Diskur- Expert*innen aus Bundesministerien, Legitimation in der modernen Demokratie se stattfinden, die Gemeinwohl generieren, Zu- allen Landesregierungen, internatio- entsteht nicht mehr nur durch Wahlen und sammenhalt fördern und so auch Akzeptanz für nalen Organisationen, Wissenschaft, Grundvertrauen in demokratische Institutio- die anstehenden tiefgreifenden Umwälzungen Wirtschaft und Zivilgesellschaft an nen – sondern durch aktive Mitgestaltung der schaffen. Dazu müssen diese Diskurse dann der Entwicklung und Erprobung neu- Vielen. Eine zukunftsfähige Demokratie, die aber auch einen Wirksamkeitsanspruch haben. er Formen zivilgesellschaftlichen En- die Herausforderungen von Digitalisierung, Wirkungslose Beteiligung ist wertlose Betei- gagements und Bürgerbeteiligung ar- Globalisierung und Klimawandel bewältigt, ligung. Schön inszenierte „Kanzler*innendia- beiten. Seit 2020 publiziert er einen kann diese Bewältigung nicht mehr allein an loge“ werden unsere Demokratie nicht in die kostenlosen wöchentlichen Newslet- die Politik delegieren. Zukunft tragen. Da braucht es mehr. Sehr viel ter demokratie.plus zu Fragen der De- mehr. In den vergangenen Jahren hat sich da mokratie und des gesellschaftlichen In Zeiten tiefgreifenden Wandels – und wir bereits viel getan, die Beteiligung in unserem Zusammenhalts. befinden uns noch am Anfang eines solchen Land ist auf dem Vormarsch, aber wir stehen Wandels – schwindet das Urvertrauen in die erst am Beginn dieses Weges. SEITE 08
Frauen nehmen Anlauf Herausforderungen für Frauen in der Kommunalpolitik und Verwaltung Im Jahr 2020 waren 9 % der Stadtoberhäupter im Durchschnitt mehr Frauen als Männer. Der Faktoren zusammen, die sich in allen Branchen weiblich. In den letzten 5 Jahren ist die Zahl Großteil der Beschäftigten arbeitet nach wie gleich darstellen. Die Mütter machen im All- der Bürgermeisterinnen in Deutschland sogar vor in den klassischen Feldern. So sind Erzieher gemeinen länger Elternzeit als die Väter, und zurückgegangen. Zum Zeitpunkt der ersten oder Feuerwehrfrauen auch heute noch Aus- wenn es danach keine ausreichende Betreuung Wahl im Jahr 1919, zu der Frauen das Wahl- nahmen. Im Öffentlichen Dienst gibt es aller- gibt, geht die Mutter in Teilzeit. Auch bei der recht hatten, saßen bereits 8,7 % Frauen in der dings auch einige Bereiche, in denen Frauen im Entscheidung, ein Kind länger zu Hause zu Weimarer Nationalversammlung. Frauen sind stärker vertreten sind als in entsprechenden betreuen, ist es in der Regel die Mutter, die in allen Teilen der Gesellschaft aktiv und en- Berufen anderer Branchen. diese Aufgabe übernimmt. Häufig unabhängig gagiert. Ihr Anteil an den kommunalen Ämtern von der Qualifikation. Im Alter von 20 bis 40 entspricht aber nicht der gesellschaftlichen Bei näherer Betrachtung entspricht auch dies Jahren werden jedoch viele berufliche Weichen Verantwortung und Teilhabe. jedoch oftmals einem Rollenbild, wonach die gestellt, die sich auf die Zukunft auswirken. Frau neben der Arbeit häufig zusätzlich zu Im Öffentlichen Dienst sind die Möglichkeiten Woran liegt das? Es gibt durchaus Kommu- Hause die Care-Arbeit stemmen soll. Der Öf- von Teilzeit und auch die Optionen, nach einer nen, in denen Frauen auch bei den wichtigen fentliche Dienst bietet Sicherheit und feste gewissen Zeit wieder in Vollzeit zu kommen, politischen Ämtern die Mehrheit stemmen, Arbeitszeiten - oder zumindest gute Planbar- einfacher als in anderen Branchen. Trotzdem zum Beispiel im Fraktionsvorsitz, in der Ver- keit. Die Arbeitsplätze und die Einkommen erfordert dies einen besonderen Einsatz der waltungsspitze oder bei den repräsentativen sind sicher und darüber hinaus gibt die Ver- Beschäftigten und die Unterstützung durch Ehrenämtern. Häufiger kommen aber die Kom- antwortung, für die Daseinsfürsorge und den Vorgesetzte. munen vor, in denen der Frauenanteil im ein- Zusammenhalt in der Gesellschaft zu sorgen, stelligen Prozentbereich oder gar bei null liegt. den Mitarbeitenden festen Halt. Dafür gibt es Hinzu kommt eine höhere Anerkennung von Die Ungleichheit in den Spitzenpositionen nach oben klare Grenzen durch Tarife. Männern, wenn sie Sorgearbeit leisten, wäh- zeigt sich auch in den Verwaltungen. Ähnlich rend die Wahrnehmung bei Frauen gleichgültig wie in der Wirtschaft gibt es die gläserne De- Dennoch ist auffällig, dass auch hier, je höher ist oder auch in die negative Richtung schlägt. cke, die Frauen in der mittleren Ebene der Füh- es in der Hierarchie geht, der Frauenanteil ge- So ist es – zumindest im Bereich des Öffent- rungen festhält. In den Verwaltungen arbeiten ringer wird. Das hängt vielfach mit äußeren lichen Dienstes – durchaus üblich, dass der SEITE 09
STREITKULTUR Wofür es sich zu streiten lohnt In Verwaltungen wie auch gewertet? Die meisten Arbeitsausfälle aus Die Kommunalpolitik ist ein vielfach unter- in der Wirtschaft macht Sportverletzungen entstehen beim Fußball, auch viele langfristig auftretenden Erkrankun- schätztes Politikfeld. Oft scheint die große Politik in Brüssel und Straßburg, in Berlin oder eine gezielte Förderung gen sind Folgeschäden von Sport. zumindest in Düsseldorf wichtiger und interes- den Unterschied. Das kann santer zu sein. Aber die wichtigsten Entschei- eine Quote sein, als ebenso Die sichere Möglichkeit, die insbesondere von Frauen wahrgenommen wird, Sorgearbeit zu dungen werden vor Ort getroffen. Wo fährt der Bus, was kostet die Kita, ist das Mittagessen effizient erweist sich aber leisten und dabei im Beruf in Teilzeit zu arbei- in der Schule gut und gesund, wo entsteht ein häufig eine tatsächliche ten, hat zwei Seiten. Zum einen ist es häufig anzutreffen, dass sich die in Teilzeit arbeiten- neues Quartier? Gibt es Jugendzentren, ein Schwimmbad, Theater, Konzerte, Bürgerzent- Entscheidung, in der den Beschäftigten ganz besonders auf die Sa- ren, Begegnungsstätten für Ältere? Gibt es ein Verwaltung nach einem che konzentrieren. In der Dienstzeit steht die kommunales Krankenhaus? Wer betreibt Was- modernen Leitbild zu fördern. Tätigkeit im Fokus, oft auch die Freude an der Arbeit, die nicht durch Gleichförmigkeit über ser- und Energieversorgung, Straßen und die Müllabfuhr? Welche Wohnungen und Häuser den Tag getrübt wird. Diese Effizienz kann werden gebaut? Gibt es barrierefreie Wege? die reduzierten Stunden ausgleichen. Auch Wie steht es um die Erreichbarkeit von Stadt- junge Familienvater für zwei Monate Eltern- über den zunehmenden Einsatz von mobilen teilzentren oder öffentlichen Einrichtungen? zeit gelobt wird und ihm die Erfahrung auch Arbeitsmöglichkeiten kann ein doppelter Le- in der künftigen Laufbahn als soziale Kompe- bensentwurf, also die gleichzeitige Orientie- Da die konkrete Daseinsvorsorge sich so direkt tenz angerechnet wird. Bei der Mutter wird es rung auf Beruf und Familie, vereinfacht wer- entscheidet, ist die Kommunalpolitik um eini- hingegen als selbstverständlich erachtet, dass den. ges greifbarer, und dadurch machen sich die sie sich einige Zeit um die Kinder kümmert, Menschen, die dort aktiv sind, auch angreifba- wobei dies weniger als besondere gesell- In den Leitungsfunktionen der Verwaltungen rer. Je nach Größe der Kommune sind die Men- schaftliche Erfahrung anerkannt wird. Häufig macht jedoch nicht der Familienstand den Un- schen, die in Räten und Verwaltungen arbeiten, wird ein junger Familienvater eher befördert, terschied. Auch in den Bereichen der vermeint- bekannt und sichtbar. Bürgermeister*innen da die angelernte Rollenverteilung ihn als lichen Frauenberufe dominieren männliche werden im Allgemeinen in ihren Orten erkannt Hauptverdiener sieht. Dementsprechend wer- Führungskräfte. In Verwaltungen wie auch in und sind jederzeit ansprechbar. Kommunalpo- den Männern häufig Stellen angeboten, die der Wirtschaft macht eine gezielte Förderung litik ist ehrenamtliche Politik. Sie erfordert viel Unterstützung bieten, während Frauen gezielt den Unterschied. Das kann zum Beispiel eine Zeit und ein großes Engagement. Nicht immer weniger Verantwortung angeboten wird, da die Quote sein; als ebenso effizient erweist sich wird das wertgeschätzt. Sorgearbeit einberechnet wird. Dieses Förder- aber häufig eine tatsächliche Entscheidung, verhalten von Vorgesetzten geschieht häufig in der Verwaltung ein moderneres Leitbild zu Frauen kandieren anders als Männer. Frauen unbewusst entsprechend der eigenen Biografie fördern. geben bei der Nachfrage, was sie für eine Kan- und Erfahrungen. didatur bewogen hat oft an, dass sie gefragt Die gezielte Förderung von Nachwuchskräften, wurden. Manchmal auch häufiger, bis der rich- Wie oft werden Frauen noch gefragt, wie sie Netzwerken und informellen Angeboten im tige Zeitpunkt da war. Auch dies hat mit der es mit der Kinderbetreuung hinbekommen, und Freizeitbereich, die bewusst bestimmte junge Lebenssituation und der Rollenaufteilung im wie oft die Männer? Keine Frage, eine Frau in oder auch alle Beschäftigten ansprechen, bie- Privatleben zu tun. Hinzu kommt, dass Frauen Mutterschutz fehlt bei der Arbeit, insbeson- ten die Chance, langfristig divers und attraktiv auch andere Netzwerke haben als Männer. Sie dere wenn die Elternzeit lange andauert oder aufgestellt zu sein. Bei manchen Strukturen sind eher vielfältig engagiert, und das häufig in mehrere ineinander übergehen. Aber wer hat besteht die Gefahr, dass sie sich gewollt oder vielen verschiedenen Verbänden und Vereinen. schon mal eine*n Bewerber*in im Auswahlge- ungewollt selbst reproduzieren. Hier gilt es, Da Frauen weniger Vorbilder in den höheren spräch gefragt, ob er oder sie Fußball spielt? die Ziele und den Weg dahin zu hinterfragen Positionen haben, ergibt es sich nicht allzu Und wenn ja, haben Sie das positiv für Sport und zu überprüfen. Systeme müssen sich den häufig, dass sich eine Kandidatur automatisch und Teamarbeit, oder als potenziellen Ausfall Menschen anpassen, nicht umgekehrt. in die Lebensplanung einfügt. Es werden Men- SEITE 10
schen gefördert, in denen man sich selbst als jüngerer Mensch sieht. Das ist ganz natürlich bei dem Mann eher der jüngere Mann. Der jun- ge Mann sieht sich automatisch in der Rolle ei- nes Vorbildes und dessen Weg fügt sich natür- lich in seine Planung ein. Deshalb vereinfacht ein diverseres Rollenvorbild in den Kommunen auch einen diverseren Nachwuchs, da der Weg für die Betroffenen bereits geebnet ist. So ergibt es sich, dass Frauen öfter konkret ge- fragt werden, bevor sie bereit sind, eine höhere selben Umfrage nennen Frauen die Themen genen Fähigkeiten sind hier sehr wichtig. Qua- Aufgabe anzunehmen. Währenddessen werden Respektlosigkeit und Anfeindungen als eine lifikationsangebote und gezielte Förderung Männer im Laufe ihres Lebens anders nach der größten Herausforderungen im Amt als wirken motivierend, und das Hinterfragen von den nächsten Schritten gefragt, so dass sich Bürgermeisterin. Diese Aspekte werden als Rollenbildern bei den Menschen, die entspre- die Herausforderungen scheinbar natürlich Hürden dabei fast doppelt so hoch gewertet chende Stellen besetzen, kann Türen öffnen. entwickeln. Dies kann bereits beginnen, wenn als die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Vorbilder oder Persönlichkeiten in wichtigen Frauen erleben insbesondere in den digitalen Im Ehrenamt ist es außerdem wichtig, die eige- Positionen jemanden positiv wahrnehmen Medien sexualisierte Angriffe bis zu entspre- nen Ansprüche zu hinterfragen. Quoten helfen und anerkennen. So wird durch eine frühe chenden Gewaltandrohungen. Frauen werden auf dem Weg der Öffnung - sie machen es not- Förderung bereits der Samen gepflanzt, sich häufiger als Männer auf ihr Aussehen oder ihr wendig, sich mit der Frage der Förderung aus- später für weiterführende Posten zu interes- Erscheinungsbild angesprochen oder gar redu- einanderzusetzen. Sie sind aber nicht allein die sieren. Die Selbstwahrnehmung, dass Männer ziert. Die Bandbreite reicht dabei von unpas- Lösung, wenn es nur ein Spitzenamt zu beset- sich von selbst auf Posten bewerben, während senden Ratschlägen und Bemerkungen bis hin zen gibt. Hier gilt es, das Engagement attraktiv Frauen gefragt werden wollen, ist daher nicht zu Beleidigungen, Berührungen und unange- zu gestalten, sich gegenseitig zu unterstützen immer richtig, sondern entspricht auch dem brachten Einladungen. Inzwischen gehen viele und zu fördern. Das Ziel von Kommunalpolitik anerzogenen Rollenklischee. Auch die Rollen- Betroffene offen damit um, so dass sich auch und Kommunalverwaltung ist es, das Leben verteilung innerhalb der Partnerschaft ist nach andere nicht mehr mit entsprechenden Über- in der Kommune zu gestalten, und zwar für wie vor ein Problem, was sich aber zunehmend griffen ganz allein fühlen. Diese Art und Weise alle Menschen, die dort leben. Nur wenn in überlebt. Der gesellschaftliche Druck auf Fa- von An- und Übergriffen führt auch dazu, dass den Gremien viele Interessen vertreten sind, milien wandelt sich und lässt den Freiraum, Frauen sich nicht öffentlich engagieren wollen. können Entscheidungen aus verschiedenen selbst über die Gestaltung zu entscheiden. So Hier gilt es, mit entsprechenden Zwischenfäl- Blickwinkeln betrachtet werden. Die Verant- sind gestillte Kinder in Gremien zunehmend len an die Öffentlichkeit zu gehen, die Schuld wortung für unsere Kommunen sollen Frauen Normalität. Umgekehrt dürfen auch Väter eine nicht bei den Opfern zu suchen und diese in und Männer gemeinsam tragen, um den Blick wichtige Rolle in der Betreuung und Erziehung jeglicher Form zu unterstützen. für alle Probleme offenzuhalten und das Leben einnehmen, die Müttern den Freiraum für Eh- vor Ort so zu gestalten, dass es für alle gut ist. renamt oder verantwortungsvolle Berufsaus- Die Kommune, die Verwaltung, als auch die Po- übung lässt. litik, sind zentrale Orte unserer Gesellschaft. Es gibt für Frauen besondere Hürden, aber mit Hier kann man, wie an wenigen anderen Stel- Anlauf und Kraft können sie genommen wer- In Wahlkämpfen haben Frauen mehr auszu- len, das Leben – auch das eigene – gestalten den. halten als Männer. Eine aktuelle Umfrage der und verbessern. In der Verwaltung gibt es vie- Zeitschrift Kommunal bestätigt, dass 27 % le Stellschrauben, an welchen für eine bessere // Von Dörte Schall der Frauen im kommunalpolitischen Wahl- Förderung von Frauen in Führungspositionen Schall ist Beigeordnete der Stadt Mönchen- kampf persönliche, verbale Angriffe erleben. gedreht werden kann. Unterstützung, Netz- gladbach und leitet das Dezernat für Recht, So- Bei Männern liegt der Anteil bei 17 %. In der- werke, aber auch Mut und Vertrauen in die ei- ziales, Jugend, Gesundheit, Verbraucherschutz. SEITE 11
STREITKULTUR Wofür es sich zu streiten lohnt SEITE 12
Gemeinsame Herausforderungen brauchen gemeinsame ösungen L Ein Plädoyer für ein vereintes, föderales Europa der Zukunft Denkt man an die Europäische Union, denkt man an Impfstoffmangel, Krumme-Gurken-Verbote und Uploadfilter. Ausschließlich? Hoffentlich nicht! Unsere Vision ist ein vereintes, föderales Eu- titutionen geschoben. Die Nebenwirkung: Die ropa, in dem alle die gleichen Chancen haben, Politiker*innen auf nationaler Ebene schaden ihr Potenzial zu entfalten. Und dennoch müs- der Demokratie. Denn es setzt sich das Gefühl sen auch eingefleischte Europa-Fans wie wir durch, dass über der eigenen Regierung noch zugeben, dass es häufig negative Aspekte sind, eine weitere Institution existiert. Eine, die man die den Leuten beim Thema EU im Gedächtnis nicht kontrollieren kann, oftmals nicht einmal bleiben. Kommt aus Brüssel überdurchschnitt- versteht und die das eigene Leben dennoch lich viel Unsinn? Nein, vielmehr hat die EU stark beeinflusst. So wird Frustration und Po- ein Problem mit den politischen Akteur*innen litikverdrossenheit gezüchtet – Nährboden, ihrer Mitgliedstaaten. Zu häufig werden un- den Populist*innen aller Länder nur zu gerne liebsame Entscheidungen auf europäische Ins- nutzen. EU? Exit! SEITE 13
STREITKULTUR Wofür es sich zu streiten lohnt Wir möchten nicht allen vorwerfen, dass sie der EU oder gar der Demokratie bewusst schaden wollen. Aber es geschieht, weil es einfacher ist, sich hinter Schuldzuweisungen zu verstecken, als die häufig komplexen Lösungen für kom- plexe Probleme erklären zu müssen. So kam es, dass schnell auf die EU geschimpft wurde, als man uns düstere Energiesparbirnen aufzwang. Und redet nicht mehr darüber, seit helle und energieeffiziente LED-Lampen gemütliches Licht in unsere Wohnzimmer bringen. Bei Volt möchten wir Lösungen anbieten, die uns aus diesem Dilemma befreien. Um damit nicht nur Europa zu stärken, sondern gerade auch un- sere Demokratie. Dies muss auf allen Ebenen geschehen und nicht zuletzt auch in Köln. Hier möchten wir drei unserer Aspekte beleuchten, die folgende Fragen beantworten: • Wie wirken wir Populismus und aufkom- mender Politikverdrossenheit entgegen? • Was müssen wir in der EU ändern, um sie Einklang gebracht werden können. Doch evi- zeigen, dass den meisten die Ernsthaftigkeit als Demokratie weiter zu stärken und ein denzbasierte Entscheidungen sind informierte der gegenwärtigen Lage (Mai 2021) bewusst Staatenbündnis zu schaffen, von dem alle Entscheidungen, die auf dem besten Wissen ist. Doch ohne klare Strategie, stattdessen profitieren? und Gewissen ihrer Zeit getroffen werden. Und konfrontiert mit sich ständig ändernden An- • Wie können wir als Bewegung dazu beitra- darum muss es gehen. forderungen, fühlen sich viele Menschen nicht gen, dass wir uns alle stärker als Europä- ernst genommen. Wir brauchen eine klare er*innen fühlen? Dazu gehört, dass man mal daneben liegt, viel- Stimme anstelle eines polyphonen Meinungs- leicht sogar komplett. Bezeichnend ist, dass chaos. Meinungsvielfalt gehört zum demokra- Fehlereingeständnisse von Politiker*innen tischen Zusammenleben dazu, insbesondere Neue Politik nach wie vor die Seltenheit sind. Es geht hier in den Parlamenten. Wenn eine Entscheidung nicht um Fehler im Sinne von Korruption und allerdings getroffen wurde, sollten wir uns Als allererstes wollen wir einige grundlegen- Vorteilsnahme. Straftaten oder das Wegsehen hinter den demokratischen Prozess stellen. Das de Dinge in der Politik ändern, die das Staa- bei selbigen müssen unbedingt mit personellen gelingt nur, wenn wir zwischen den demokrati- tenbündnis und Europa nicht ausschließlich Konsequenzen einhergehen. Es geht vielmehr schen Kräften Brücken bauen und uns nicht in betreffen: Wir brauchen eine neue Art, unsere um Entscheidungen, die sich im Rückblick als Lagerdenken flüchten. Zukunft zu gestalten. nicht optimal oder falsch erweisen. Wir benö- tigen in der Politik eine gesunde Fehlerkultur. EU-Reform Die gemeinsamen Herausforderungen, die Wann immer Veränderungen angetrieben wer- wir angehen müssen, wie der Klimawandel, den, werden auch Fehler gemacht. Auch wir Wie gesagt: Wir sind Europa-Fans. Das bedeu- die Digitalisierung der Gesellschaft oder die werden Fehler machen. Aber wir stehen für eine tet jedoch nicht, dass wir die Probleme der EU Aufnahme von Geflüchteten, werfen schwie- zukunftsorientiertes Lernen aus Fehlern und übersehen. “We love the EU. Let’s fix it!” lau- rige politische und gesellschaftliche Fragen entsprechend angepasstes Handeln. Ein Fest- tet ein frühes, aber aktuelles Motto von Volt. auf. Die richtigen Lösungen sind nicht immer halten an Fehlern, um diese nicht eingestehen Denn die europäische Demokratie ist gehemmt und für alle angenehm. Sich populistischen zu müssen, können wir uns nicht mehr leisten. von einem zu großen Einfluss der Interessen Forderungen mit sachlichen Argumenten ent- einzelner Mitgliedsstaaten, einem zu schwach gegenzustellen, ist alles andere als leicht. Wir Wir möchten eine Kommunikation etablieren, konzipierten Parlament, das keine eigenen fühlen uns diesem Vorgehen jedoch verpflich- die mitnimmt und erklärt. In der Pandemie Entwürfe einbringen darf, und Parteien, die tet. Dabei hilft ein solides Fundament: das zeigt sich deutlich, dass es nicht reicht, Ver- in der Regel nur in losen Parteibündnissen auf der Wissenschaft. Natürlich gibt es auch dort ordnungen und Gesetze zu erlassen. Diese sind europäischer Ebene zusammenarbeiten. Diese mehrere Richtungen. Es ist Aufgabe der Politik nur so gut, wie die Menschen sie auch verste- Aspekte müssen reformiert werden, wenn wir herauszuarbeiten, wie diese miteinander in hen und bereit sind, sie mitzutragen. Umfragen die EU verbessern wollen. SEITE 14
Europa leben Wir sind nicht nur Partei, sondern auch Be- wegung. Als solche wollen wir zeigen, was es bedeutet, sich als Europäer*innen zu fühlen, und dabei andere mitnehmen. Letztendlich hat das für uns auch politische Auswirkungen: Denn wenn wir uns heute überlegen würden, in ein anderes Land in Europa zu ziehen, dann wüssten wir schon, was wir wählten: Volt. Denn mit einheitlichen europäischen Grund- satz- und Wahlprogrammen ist auch auf un- teren Ebenen das gleiche drin. Mit anderen Voraussetzungen und nicht im Detail. Aber die Ideen, Ziele und Werte stimmen überein. Über dieses gemeinsame Verständnis sind wir hier in Köln den Volter*innen in Sofia genauso nah wie den Volter*innen in Amsterdam. Grundsätzlich schauen wir gerne über den eigenen Tellerrand hinaus. Gute Ideen gibt es überall: Wir wollen davon lernen und selber besser werden. In Wie kann es sein, dass ein einzelner Staat die lament stärken und ihm ein Initiativrecht für Köln bedeutet das, dass wir uns vielleicht et- ganze EU in Atem hält, weil er doch mehr Impf- Gesetzesvorschläge geben. Der Europäische was aus Wien, Kopenhagen oder Bottrop ab- stoffe möchte als ausgemacht wurde? Oder Rat soll bestehen bleiben, jedoch gegenüber schauen wollen. dass ein Haushalt nicht verabschiedet wird, dem Parlament, als direkt von der Bevölkerung weil einzelne Länder rechtsstaatliche Prin- gewählte Institution, seine Vorteilsposition Als europäische Partei und Bewegung leben zipien nicht anerkennen wollen? Es ist kaum abgeben. Ein so gestärktes Parlament, das die wir den Austausch: Wir nutzen eine gemein- erklärbar, dass von zwei im Wahlkampf ver- Werte der europäischen Idee umsetzt, könnte same Plattform, um uns zu vernetzen, ver- kündeten, aussichtsreichen Kandidat*innen für endlich ein Gegengewicht zu den Interessen anstalten digitale Konferenzen, um Wissen die Position der Präsident*in der Europäischen der Nationalstaaten bilden und das Sterben auszutauschen, oder treffen uns (in normalen Kommission es keine von beiden – und statt- auf dem Mittelmeer und die unmenschliche Zeiten sehr gerne) für europäische Parteitage. dessen eine dritte aus dem Hut gezaubert wird. Situation in Lagern an den EU-Außengrenzen Wir fiebern mit, wenn die niederländischen Wieso, und hier wird es zugegebenermaßen beenden. Volter*innen dabei sind, ins Parlament zu zie- etwas persönlich, darf Volt keine europäische hen und unterstützen auch direkt: digital oder Partei sein, obwohl wir es längst sind? Da es Wir streben eine europäische Föderation an, gar im Straßenwahlkampf. Und wir lernen ge- uns auch in Staaten außerhalb der EU gibt, wird die sich aber dem Prinzip der Subsidiarität ver- meinsam aus diesen Erfahrungen. es aller Voraussicht nach noch lange dauern, pflichtet: Die politischen Themen müssen dort bis wir auch formal wirklich eine Partei sind. behandelt werden, wo dies am besten möglich Viel davon liegt sicher daran, dass wir eine Und bis dahin zeigen wir sehr gerne, warum ist. Wir wollen keinen zentralistischen Staat. junge Partei sind. Viele unserer Mitglieder sind das so relevant ist. Parteien sind eine der wich- Wir handeln auf allen Ebenen: europäisch, mit offenen Grenzen groß geworden und oft tigsten Institutionen in unserem politischen national und lokal. Denn europäische Politik im Ausland unterwegs gewesen. Uns vereint System. Sie prägen unsere Entscheidungen muss immer auch lokal umgesetzt werden. die tiefe Überzeugung, dass wir gemeinsam und Gesetze und schlagen den Wähler*innen stärker sind und zusammen mehr bewegen Personen vor, die Verantwortung übernehmen Uns ist völlig bewusst, dass wir uns hier keine können. Darum lautet unser Ansatz: Wir be- sollen. Wenn in der DNA von Parteien Europa einfache Aufgabe ausgesucht haben. Die EU stärken Menschen, Politik zu verändern und nicht drinsteckt, wie soll dann erfolgreiche eu- zu reformieren, geschieht nicht von heute auf das Potenzial Europas gemeinsam zu entfalten. ropäische Politik umgesetzt werden? morgen. Aber getrieben von der Gewissheit, dass wir alle anderen Themen nur im Verbund Konkret möchten wir die Notwendigkeit von lösen werden, bleiben wir motiviert. Denn der // Von Rebekka Müller und Tobias Berger Einstimmigkeit in der EU abschaffen, sodass Ansatz der EU ist der richtige: Er beinhaltet den Müller ist und Berger war City Lead von eine Blockade durch einzelne Staaten verhin- Abbau von Grenzen, eine stärkere Zusammen- Volt Köln. dert wird. Wir möchten das Europäische Par- arbeit und demokratisch-freiheitliche Werte. SEITE 15
STREITKULTUR Wofür es sich zu streiten lohnt Vom Erstwähler zum Erstwahlhelfer Ob Bundestagswahl, Landtagswahl oder Europawahl – keine Wahl kommt ohne sie aus: Die Rede ist von Wahlhelfer*innen. Am Wahltag betreuen sie die zahlreichen Wahllokale, sorgen für einen reibungslosen Ablauf und zählen am Ende des Tages die abgegebenen Stimmen aus. Bei der Bundestagswahl 2017 waren deutschlandweit über eine halbe Mil- lion Menschen im Einsatz. Wahlhelfer*innen machen das ehrenamtlich und häufig auch schon seit vielen Jahren. Einmal Wahlhelfer*in, immer Wahlhelfer*in – so scheint es oft. Die Suche nach Wahlhelfer*innen beginnt in der Regel schon einige Mo- nate, bevor eine Wahl stattfindet, und gestaltet sich nicht immer ein- fach. Manche Kommunen haben überhaupt keine Probleme, ausreichend Freiwillige für das Wahllokal zu finden. Andernorts müssen hingegen ein paar Tage vor der Wahl Verwaltungsmitarbeitende freundlich gebeten werden, sich doch einen Ruck zu geben. Ohne Wahlhelfer*innen lässt sich schließlich keine Wahl durchführen. SEITE 16
Dieser Umstand hat vor einigen Jahren den Ver- Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen durch- gen Seminaren bereiten die Kooperationspart- ein Mehr Demokratie dazu bewogen, die Aktion zuführen. Zahlreiche weitere Wahlen folgten ner der Initiative junge Menschen zwischen Wahlhelfer ins Leben zu rufen. Mit der Aktion bis heute und unterm Strich konnten so meh- 18 und 27 umfassend auf ihren Einsatz als Wahlhelfer unterstützt der Verein Kommunen rere Tausend Freiwillige für den Einsatz im Wahlhelfer*in bei der Bundestagswahl vor. bei der Suche nach Wahlhelfer*innen. Was als Wahllokal vermittelt werden. Denn klar, die nötigen Informationen für eine einmalige Aktion begann, ist inzwischen zum Wahlhelfer*innentätigkeit erhält man im Ideal- festen Bestandteil des Aktivitäten-Portfolios Besonders erfreulich ist, dass sich in den fall auch vorab in den Kommunen. Das klappt des Vereins geworden, der sich in erster Linie letzten Jahren auch immer mehr jüngere Men- aber nicht immer optimal und stellt gerade für mit den Themen direkte Demokratie und Bür- schen bei Mehr Demokratie als Wahlhelfer*in junge Menschen, die vielleicht zum ersten Mal gerbeteiligung befasst. meldeten. Immerhin kann eine Tätigkeit als überhaupt wählen dürfen, häufig eine zu hohe Wahlhelfer*in schon früh ein positives Demo- Hürde dar, um sich auch als Wahlhelfer*in zu Erstmalig durchgeführt wurde die Aktion kratieerlebnis und eine engere Verbindung zu melden. Das wollen wir ändern! Wahlhelfer im Jahr 2009 – einem Jahr, das unserem demokratischen System schaffen. man heute als Superwahljahr bezeichnen wür- Und die Erfahrung zeigt, wer einmal anfängt In sieben Bundesländern ist die Initiative Erst- de. Gleich drei Wahlen fanden in diesem Jahr zu wählen, sich zu beteiligen, sich ehrenamt- wahlhelfer in diesem Jahr vertreten. Zu den statt: die nordrhein-westfälische Kommunal- lich zu engagieren, macht das mit hoher Wahr- Kooperationspartnern in Nordrhein-Westfalen wahl, die Bundestagswahl und die Europawahl. scheinlichkeit auch in Zukunft. gehören neben Mehr Demokratie das Willi- Mehr Demokratie warb per Pressemitteilung Eichler-Bildungswerk, das Heinz-Kühn-Bil- und auf seiner Internetseite für eine Wahlhel- Wie in so vielen Bereichen unseres Lebens, dungswerk, die Akademie Biggesee, die Aus- fer*innentätigkeit. Interessierte konnten sich hat Corona übrigens auch in Sachen Wahlhel- landsgesellschaft sowie das aktuelle forum. an den Verein wenden, und dieser übermittel- fer*innen neue Herausforderungen geschaffen Diese boten Ende August, Anfang September te die Anfragen dann an die entsprechenden bzw. offengelegt. Viele der ehrenamtlichen zweitägige Ausbildungsseminare für junge Wahlämter. Dort freute man sich über die un- Helfer*innen im Wahllokal sind schon etwas Wahlhelfer*innen an. erwartete Hilfe! lebenserfahrener. Bei der nordrhein-westfä- lischen Kommunalwahl 2020 führte dieser Für die Wahlhelfer*innen entstehen für die Funfact: Wahlhelfer*in kann grundsätzlich Umstand dazu, dass zahlreiche potenzielle Ausbildungsseminare natürlich keine Kosten. jede*r werden. Es braucht dafür keine be- Wahlhelfer*innen zu Risikogruppen gehörten Im Gegenteil, für den Einsatz im Wahllokal sonderen Qualifikationen oder Vorkenntnis- und deshalb verständlicherweise auf einen gibt es von den Kommunen als kleines Dan- se. Die nötigen Informationen erhalten die Einsatz als Wahlhelfer*in verzichteten. Gut, keschön ein sogenanntes Erfrischungsgeld Freiwilligen vorab. Lediglich wahlberechtigt dass es dann auch junge Menschen gab, die in Höhe von 50-100 Euro. Viel wichtiger bei zur entsprechenden Wahl muss man sein. Da frühzeitig angesprochen wurden und einsprin- der Initiative Erstwahlhelfer ist jedoch, dass aber im Jahr 2009 auf drei unterschiedlichen gen konnten. die Teilnehmenden gut auf ihr Engagement Ebenen gewählt wurde, galten auch drei Mal als Wahlhelfer*in vorbereitet werden, sich als unterschiedliche Regelungen mit Blick auf die Darauf aufbauend findet in diesem Jahr eine wichtigen Teil unserer Demokratie begreifen Wahlberechtigung. Weiterentwicklung unserer Aktion Wahlhel- und einen spannenden Blick hinter die Kulissen fer statt. Ging es uns anfangs und über lange einer Wahl bekommen. Und im Idealfall sind Bei der Europawahl waren alle Deutschen so- Jahre darum, möglichst viele Menschen als sie dann bei der nächsten Wahl auch wieder wie EU-Bürger*innen wahlberechtigt, die das Wahlhelfer*innen an Kommunen in Nord- dabei – denn die kommt schon 2022. 18. Lebensjahr vollendet hatten. Das Gleiche rhein-Westfalen zu vermitteln, wollen wir galt für die nordrhein-westfälische Kommu- nun unseren Fokus neu setzen. Großen Bedarf nalwahl, nur, dass bei dieser bereits am dem sehen wir nämlich bei jungen Erwachsenen 16. Lebensjahr gewählt werden durfte. Bei und hier insbesondere bei jenen aus eher po- der Bundestagswahl schließlich sind lediglich litikfernen Haushalten. Entscheiden sich diese deutsche Staatsbürger ab dem 18. Lebensjahr doch wesentlich seltener für einen Einsatz als wahlberechtigt. Hätte ja nur noch eine Land- Wahlhelfer*in. Deshalb schlossen wir uns zur tagswahl gefehlt. Bundestagswahl 2021 der Initiative Erstwahl- helfer des Hamburger Vereins Haus Rissen an. Und mit der ging es dann im Jahr 2010 wei- ter. Der Auftakt der Aktion Wahlhelfer stieß Die Initiative Erstwahlhelfer hat es sich zum auf so positive Resonanz bei Bürger*innen wie Ziel gesetzt, Wahlhelfer*innen nicht nur zu // Von Achim Wölfel Wahlämtern, dass sich Mehr Demokratie dazu vermitteln, sondern gleich auch noch entspre- Wölfel leitet das Landesbüro Nordrhein- entschied, die Aktion auch bei der folgenden chend auszubilden. Im Rahmen von zweitägi- Westfalen von Mehr Demokratie e. V. SEITE 17
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