Europa? Europa! Von unten wächst seit Jahren vieles, was die EU lebendig macht - Ver.di

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Europa? Europa! Von unten wächst seit Jahren vieles, was die EU lebendig macht - Ver.di
report
                          Bildung, Wissenschaft und Forschung

Europa? Europa!
Von unten wächst seit Jahren vieles,
was die EU lebendig macht

                                                                0 1 / 2 018
Europa? Europa! Von unten wächst seit Jahren vieles, was die EU lebendig macht - Ver.di
Editorial                                                                   b i w i f o r e p o r t 1 / 2 0 18

    Liebe Kolleginnen                                                           Inhalt
    und Kollegen,                                                               Schwerpunkt: Europa wächst
                                                                                von unten zusammen

                                                                                Internationale Solidarität der
       Europa und ver.di haben viel gemeinsam.                                  Beschäftigten                                                   3
    Jetzt meint ihr vielleicht, dass das zu großspurig                          Schon drei Millionen Erasmus-
    ist? Nun, die Europäische Union ist eine Gemein-                            Studierende                                                     4
    schaft aus Staaten, das Wort „union“ ist jedoch                             Die Viadrina verbindet Ost- und
                                                                                Westeuropa                                                      5
    auch das englische Wort für Gewerkschaften –
                                                                                Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
    und ver.di als größte Dienstleistungsgewerk-                                von Bibliotheken                                                6
    schaft vereint tausend Berufe und Branchen.                                 Gewerkschaften kooperieren auf
                                                                                EU-Ebene                                                        6
    Wer an Europa denkt, fühlt sich nicht immer
                                                                                Wissenschaft im riesigen
    emotional angesprochen. Oft assoziieren wir                                 Forschungsraum                                                  7
    damit Verträge,, Broschüren, die Kommission,                                Brexit droht viele Netzwerke zu

                                                                                                                                                    report
    das Parlament und andere Institutionen. Man-         Ute Kittel             zerschlagen                                                     8
                                                         Mitglied des ver.di-   Interview mit Marcus Baumann über
    chen Mitgliedern geht das auch mit ver.di so.
                                                         Bundesvorstandes       den Hochschulalltag im Dreiländereck                            9
                                                         und Leiterin
       Aber gibt es eine europäische Identität oder      des Fachbereichs       Wieder GroKo: Wenig Neues                                     10
    zumindest europäische Werte? Ja, die gibt es:        Bildung,               Rollback an den NRW-Hochschulen
    Frieden, Freiheit und Solidarität! Das sind auch
                                                         Wissenschaft und       erwartet                                                      11
                                                         Forschung              ver.di auf dem Bibliothekartag                                11
    Werte der Gewerkschaften. Jean Monnet, der
                                                                                Berliner Studierende streiken                                 12
    Erfinder der Montanunion, mit der der europäi-
                                                                                Hochschulsekretärin klagt gegen
    sche Einigungsprozess begann, sagte einst:                                  schlechte Bezahlung                                           13
    „Wir vereinigen keine Staaten, wir vereinigen                               Marathon bis zum ver.di-Bundes-
    Menschen.“ Deshalb ist der Charme von Europa                                kongress                                                      14
                                                                                Erfahrungen mit Geflüchteten in
    auch, dass es ein bunter Haufen wie in einer
                                                                                einem Uni-Projekt                                             15
    Keksdose bleibt, mit all den Sprachbarrieren,                               Porträt Annette Jensen                                        15
    Sollbruchstellen und verschiedenen Volks-                                   Zu guter Letzt                                                16
    gruppen. Das wird auch in ver.di so bleiben –                               Mitglied werden                                               16
    trotz Umbau und Fachbereichsfusionen.

       Gefährlich ist, dass die Zustimmung zu
                                                                                Impressum
                                                                                Der ver.di Report biwifo Nr. 01/2018 · April 2018
    Europa und zu Gewerkschaften zurückgeht.                                    Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
    Wir sollten uns alle dafür einsetzten, nicht in                             Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung
                                                                                Paula-Thiede-Ufer 10 · 10179 Berlin
                                                                                                                                                       Fotos v.o.n.u.: Felix Kindermann, Werner Bachmeier (2), Berliner Studierende

    Grenzen zu denken, für ein soziales Miteinander                             V.i.S.d.P.: Ute Kittel
    zu kämpfen, Armut zu vermeiden, die Freiheit                                Redaktion: Carsten Bauer, Klaus Böhme, Katharina Common,
                                                                                Bernward Friedrich, Birthe Haak, Frank Hennig, Michael Niedworok,
    zu genießen, den Frieden in Europa als großes                               Harry Rettenmaier, Harald Giesecke
                                                                                Verantwortliche Redakteurin: Annette Jensen
    Glück zu empfinden und gemeinsam Unge-                                      Internet: www.verdi.de
    rechtigkeiten und Ausbeutung entgegenzu-                                    Layout: einsatz, Wolfgang Wohlers
                                                                                Druck: apm AG Darmstadt, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt
    treten. Eben Menschen näher zusammen zu                                     Titelbild: Annette Jensen
                                                                                W-1728-59-0418
    bringen und sie stark zu machen. In ver.di und
                                                                                Die Artikel stellen die Meinungsvielfalt unseres
    in Europa! b                                                                Fachbereiches dar und spiegeln nicht in jedem Fall die
                                                                                Meinung des Bundesfachbereichsvorstandes wider.
2
                                                                                Service
                                                                                Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung
                                                                                Internet: www.biwifo.verdi.de
                                                                                Ansprechpartnerin biwifo-Report: Annette.Jensen@t-online.de
Europa? Europa! Von unten wächst seit Jahren vieles, was die EU lebendig macht - Ver.di
Schwerpunkt: Europa wächst von unten zusammen

                                                                                                                       K O M M E N T A R

                                                                                                                       W Demokratie stärken

         Europa von                                                                                                         Über 70 Jahre Frieden zwi-
                                                                                                                       schen früheren „Erbfeinden“,
                                                                                                                       weitgehend offene Grenzen von

         unten aufbauen                                                                                                Portugal bis Polen – die EU ist
                                                                                                                       ohne Zweifel eine herausragende
                                                                                                                       zivilisatorische Leistung. Und so
                                                                                                                       lange der Weltfrieden noch als
         Als ich im vergangenen Dezember zusam-                  ritätspolitik hat ver.di-Mitglieder genauso getrof-   Utopie betrachtet werden muss,
         men mit tausenden spanischen Beschäftig-                fen wie portugiesische, irische und finnische         ist sie zumindest ein guter
         ten aus dem öffentlichen Dienst für höhere              Kolleg*innen. Es war unsere Regierung und insbe-      Anfang.
         Löhne und gegen eine strenge Sparpolitik                sondere Finanzminister Wolfgang Schäuble, die              Die Entwicklung der vergan-
         demonstrierte, wurde mir wieder bewusst,                diese Sparpolitik vorangetrieben haben. In der        genen Jahre macht deutlich, was
         wie ähnlich die Interessen der arbeitenden              Folge stand nicht nur das Streikrecht unter Be-       immer richtig war, aber von vie-
         Menschen in ganz Europa sind. Ich war                   schuss, sondern Reformen führten auch zu Ver-         len nicht ernst genug genommen
biwifo

         dort mit einer Delegation der EPSU, dem                 längerung von Arbeitszeiten, Rentenkürzungen,         wurde: Die Errungenschaften
         EU-Dachverband der Dienstleistungs-                     erzwungener Flexibilisierung und einer Dezen-         sind keine Selbstverständlichkeit,
         gewerkschaften, dem auch ver.di angehört.               tralisierung des Tarifsystems. Die europäischen       sondern müssen im Streit der
         Wir alle wollen Respekt für unsere Arbeit,              Gewerkschaften stemmen sich dagegen, dass der         Interessen ständig ausgehandelt
         angemessene Löhne und gute Arbeits-                     Bau und Betrieb von Infrastruktur, Forschung und      und verteidigt werden. Wenig
         bedingungen. Egal ob deutsche, französi-                Innovation immer stärker auf Public Private           hilfreich ist, dass sich manche
         sche, ungarische, slowenische oder                      Partnership basiert – denn das lenkt öffentliche      Politiker*innen populäre Ergeb-
         griechische Beschäftigte im öffentlichen                Ressourcen in private Taschen. Wir wehren uns         nisse als eigenen Erfolg zuschrei-
         Dienst – alle teilen die selben Werte.                  gegen die Vision von Konzerneliten und rechten        ben, unpopuläre Dinge hingegen
                                                                 Regierungen, die Geschäft und Profit zum zentra-      abstrakt „der EU“ in die Schuhe
         VON ISOLDE KUNKEL-WEBER                                 len europäischen Anliegen erklären. Das ist ein       schieben – als hätten sie dort
                                                                 berechnendes Europa, das Demokratie begrenzt          keinen Einfluss. Gerade Deutsch-

         W      ir wissen, dass Kommerzialisierung, Out-
                sourcing und Privatisierung nicht zu besse-
         ren staatlichen Dienstleistungen führen. Deshalb
                                                                 und die Rolle der Sozialpartnerschaft untergräbt.
                                                                     Wir vom Europäische Gewerkschaftsbund
                                                                 öffentlicher Dienst EPSU und vom gewerkschaftli-
                                                                                                                       land hat große Macht innerhalb
                                                                                                                       der EU.
                                                                                                                            Damit die Menschen Ver-
         teilen wir unsere Erfahrungen, Erkenntnisse und         chen Dachverband ETUC halten dagegen – und            trauen in die EU und ihre Insti-
         Forschungsergebnisse – und unterstützen gegen-          können Erfolge verzeichnen. EPSU hat mit der          tutionen (zurück-)gewinnen,
         seitig unsere Kampagnen. Wir wollen, dass es            europäischen Bewegung für Steuergerechtigkeit         braucht es eine Stärkung von
         ausreichend Geld gibt für öffentliche Dienst-           das Problem Steueroasen hoch oben auf die poli-       Demokratie und Sozialer Dimen-
         leistungen. Nur dann können wir wirklich gut            tische Agenda gebracht. Wir kooperieren mit den       sion. Was die EU künftig sein
         unterrichten und Pflegebedürftige in hoher              sozialen Bewegungen, um Deregulierung im Bil-         soll, muss demokratisch er-
         Qualität versorgen. Investitionen in Bibliotheken,      dungs- und Gesundheitswesen zu verhindern             kämpft werden – vor allem im
         Universitäten und Krankenhäuser, in digitale            und setzen uns gemeinsam für faire Handels-           EU-Parlament, aber auch durch
         Infrastruktur, Strom- und Wassernetze kurbeln die       bedingungen ein. Sie sind die Grundlage für an-       eine stärkere Einbeziehung
         Wirtschaft an. Das ist die Chance für ein Europa,       ständige Sozial- und Umweltstandards und für          zivilgesellschaftlicher Gruppen
         das von unten her errichtet wird.                       eine gute Daseinsvorsorge für alle.                   gegenüber der finanzstarken
                                                                     Ein soziales Europa zu schaffen mit einem star-   Wirtschaftslobby.
             In ver.di können wir auf eine stolze Geschichte     ken öffentlichen Dienst bekommt gerade mehr                Kooperation muss das Primat
         eines solchen europäischen Projekts zurückbli-          Gewicht. Die EU-Kommission will die Transparenz       für den europäischen Forschungs-
         cken: Schon 1907 fand in Stuttgart der interna-         bei den Arbeitsbedingungen erhöhen und drängt         raum sein – im Lissabon-Vertrag
         tionale Kongress der städtischen Beschäftigten          Mitgliedsländer, die Lohnlücke zwischen den Ge-       wurde er mit Wettbewerbsvor-
         statt. Auch das aktuelle biwifo-Heft zeigt, dass        schlechtern zu schließen.                             teilen gegenüber anderen Welt-
         viele arbeitende Menschen Europa als ihr Projekt            Noch haben wir es nicht geschafft, den Tanker     regionen begründet. Der Fokus
         ansehen, das sie zusammen mit Kolleg*innen aus          in eine zukunftsfähige Richtung zu lenken. Doch       sollte auf einer Verbesserung der
         anderen Ländern auf- und ausbauen wollen.               wenn die europäischen Gewerkschaften zusam-           Lebensbedingungen in Europa
             Dieses Europa der Zusammenarbeit steht in           menarbeiten, kann das gelingen. Dazu gehören          und weltweit liegen. Das bedeu-
         starkem Kontrast zu rechten und nationalistischen       viel kleine Schritte ebenso wie Massendemon-          tet auch, Gesellschafts- und
         Bewegungen, die auf Abgrenzung und Konflikt             strationen und Lobbyarbeit im EU-Parlament. Un-       Geisteswissenschaften gegen-
         setzen. Deren Politikansatz bietet keine Vorteile für   ser Europa – ein Europa für und von Menschen –        über den Natur- und Technik-       3
         die arbeitenden Menschen, ihre Familien und die         ist möglich. b                                        wissenschaften zu stärken. b
         Kommunen. In einem solchen weißen, rassisti-
         schen Europa möchte ich nicht leben.                    Isolde Kunkel-Weber war ver.di-Bundesvorstand         Birthe Haak
             Das alles heißt nicht, dass die EU keine Ver-       und ist heute Präsidentin von EPSU (European
         änderungen braucht. Die systematische Auste-            Public Sevice Union)
Europa? Europa! Von unten wächst seit Jahren vieles, was die EU lebendig macht - Ver.di
Schwerpunkt: Europa wächst von unten zusammen

                                                   Mit Erasmus
                                                    nach Paris
                              Erasmus ist das        VON MIRJAM SORGE
                        EU-Programm für die
                Mobilität von Studierenden.
                     Seit der Einführung vor
                   mehr als 30 Jahren haben
                                                     S   chon als Zehnjährige hatte ich mir vorgenom-
                                                         men, in Paris zu leben. Zugleich spürte ich
                                                     aber auch den Druck, mal ins Ausland gehen zu
                   über drei Millionen daran         müssen, weil Sprachkenntnisse und Auslands-
                   teilgenommen – mit mei-           erfahrungen von vielen Arbeitgeber*innen ver-
                  nem Auslandssemester im            langt werden. Ich hatte mir fest vorgenommen,           sonengruppe kostenfrei sind – ein guter Ausgleich
                vergangenen Herbst an der            bloß keine Zeit mit Deutschen zu verbringen, flei-      zu den hohen Mieten und Lebensmittelpreisen.
                 Université Paris Nanterre X         ßig an den Sprachkursen teilzunehmen und Paris
                         zähle auch ich dazu.        fernab der touristischen Gegenden zu entdecken.              Auf der Homepage des Deutschen Akade-
                    Normalerweise studiere           Bis auf Letzteres habe ich meine Vorhaben nicht         mischen Austauschdienstes (DAAD) steht, dass
                 ich Soziokulturelle Studien         eingehalten.                                            man als Erasmus+-Stipendiat*in keine Studien-
                  an der Europa-Universität                                                                  gebühren im Ausland zahlt, erworbene Leis-
                        Viadrina in Frankfurt            Die Französischkurse habe ich nach dem ersten       tungen anerkannt werden und man eine monatli-
                                      (Oder).        Monat abgebrochen, weil sie überfüllt und von           che Förderung von bis zu 500 Euro je nach Land
                                                     mäßiger Qualität waren. Schön war, dass die Uni-        erhält. Frankreich gehört zu der Ländergruppe mit
                                                     versität in Paris ein Buddy-Programm etabliert hat,     einem Zuschuss von derzeit durchschnittlich
Fotos: Privat

                                                     wo französische Studierende ausländischen Kom-          250 –350 Euro im Monat. Die tatsächliche För-
                                                     militon*innen zur Seite stehen. Ich hatte wirklich      derung ist allerdings nicht nur vom Land ab-
                                                     Glück mit meiner Partnerin: Sie hat mir die Ein-        hängig, sondern auch von der Anzahl der Stu-
                                                     richtungen der Universität gezeigt, und wir waren       dierenden, der Hochschule und der Dauer. Somit
                                                     öfters mit ihren Freund*innen in der Stadt unter-       ist zum Zeitpunkt der Bewerbung nicht genau klar,
                                                     wegs. Mein wichtigster Kontakt aber wurde eine          wie viel Förderung man tatsächlich erhält. Am
                                                     deutsche Studentin, mit der ich nun eng befreun-        Anfang muss man eine Ankunftsbestätigung und
                                                     det bin. Manchmal kommt es eben doch anders,            einen Lernplan an die Heimathochschule schicken,
                                                     als man es sich vorgenommen hat.                        um 2/3 des Geldes überwiesen zu bekommen. Das
                                                                                                             letzte Drittel erhält man nur, wenn man eine
                                                        Für EU-Bürger*innen unter 26 Jahren ist Paris        Abreisebestätigung, einen Notenspiegel, einen Er-
                                                     eine tolle Stadt zum Entdecken, weil die meisten        fahrungsbericht, zwei Sprachtests sowie das finale
                                                     Sehenswürdigkeiten und Museen für diese Per-            Learning Agreement vorlegen kann. Viel Büro-
                                                                                                             kratie!

                                                                                                                 Eine weitere Hürde ist die Anerkennung der
                 Erasmus-Stipendien zum Studieren im Ausland:                                                erbrachten Leistungen. Bologna sollte ja eigentlich
                                                                                                             auch zur Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse
                 • Bewerbung an der eigenen Universität ca. 9 bis 12 Monate vor dem Aufenthalt mit Lebens-   führen. Allerdings funktionieren die Punkte- und
                   lauf, Motivationsschreiben, Bewerbungsbogen, Sprachnachweis, ggf. Empfehlungsschreiben    Notensysteme in Frankreich und Deutschland total
                 • Finanzierung:                                                                             unterschiedlich. Ich bin sehr gespannt, ob meine
                   – Das Erasmus-Stipendium ist kein „Vollstipendium“, sondern lediglich ein Zuschuss, der   Leistungen aus Paris problemlos anerkannt wer-
                     bei erfolgreicher Durchführung nicht zurückgezahlt werden muss                          den. Hierbei kommt es auch darauf an, ob ein
                   – Die Höhe hängt ab von der Ländergruppe, der Hochschule, den zur Verfügung stehenden     Auslandssemester im Studium vorgesehen ist oder
                     Mitteln und der Anzahl der Erasmusstudierenden                                          freiwillig absolviert wird. Manche Kommiliton*in-
                   – ▪ Ländergruppe 1: Frankreich, Großbritannien, Finnland: 250–500 Euro/Monat              nen haben viel Stress, die nach Regelstudienzeit
                   – ▪ Ländergruppe 2: Griechenland, Spanien, Belgien: 200–450 Euro/Monat                    vorgeschriebenen 30 Leistungspunkte zu absolvie-
4                  – ▪ Ländergruppe 3: Bulgarien, Litauen, Ungarn: 150–400 Euro/Monat                        ren. Weil ich ein Urlaubssemester eingelegt habe,
                                                                                                             konnte ich mein Pensum selbst bestimmen und
                 https://eu.daad.de/infos-fuer-einzelpersonen/foerderung-fuer-studie-                        hatte auch noch Zeit, um Paris zu erleben. Vor
                 rende-und-graduierte/praktische-informationen/de/47990-praktische-                          zwei Wochen bin ich zurückgekommen und kann
                 informationen-zum-erasmus-auslandsaufenthalt/                                               gar nicht glauben, wie schnell fünf Monate verge-
                                                                                                             hen können. b
Europa? Europa! Von unten wächst seit Jahren vieles, was die EU lebendig macht - Ver.di
Schwerpunkt: Europa wächst von unten zusammen

Eine Hochschule als
europäische Wegbereiterin
Kleine Hochschulen stehen nur selten im

                                                                                                                                        Foto: Sebastian Pape/AStA
Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung –
und mit knapp 7.000 Studierenden und
500 Mitarbeiter*innen erscheint auch die
Europa-Universität Viadrina in Frankfurt
(Oder) auf den ersten Blick nicht auffällig.
Doch ihre internationale Ausrichtung und
zahlreiche bewährte Kontakte insbesonde-
re nach Osteuropa lassen sie aus der Masse
hervorstechen: Häufig hat sie die Rolle
einer Vermittlerin zwischen Ost und West.
Die guten Studienbedingungen bescherten
ihr zudem erst kürzlich den Titel „Belieb-
teste Universität 2018“ des Online-Portals
„studycheck“. Zugleich leidet ihr Hochschul-
standort aber auch unter dem Bevölke-
rungsrückgang im Osten der Republik.

VON MICHAEL NIEDWOROK
                                                     Sicht der PiS eine Angleichung an europäische          Die Personalräte der

D     ie Europa-Universität Viadrina wurde kurz
      nach der Wende 1991 gegründet. Offiziell
steht sie im Erbe der 1811 geschlossenen Bran-
                                                     Verhältnisse. „Ein nicht systematischer Vergleich
                                                     ist wie homöopathische Medizin,“ hält Lech
                                                     Jamróz von der Universität Białystok dagegen.
                                                                                                            Europa-Universität Viadrina
                                                                                                            haben für die Beschäftigten
                                                                                                            familien- und pendler-
denburgischen Universität Frankfurt, der Alma        Und so leistet die Tagung der Europa-Universität       freundliche Bedingungen
Mater Viadrina. Von Anfang an hatte die Neu-         erneut Pionierarbeit: Die Veröffentlichung eines       geschaffen. Wo es möglich
gründung den Austausch mit den Staaten des           ersten wissenschaftlichen Vergleichs der Richter-      ist, verzichtet die Universi-
ehemaligen Ostblocks zum Ziel. Trotz anfängli-       wahl in Europa in polnischer Sprache, der eine         tät auf Kernarbeitszeiten
cher Skepsis wurde die Viadrina die erste erfolg-    informierte öffentlichen Debatte erst ermöglicht.      und lässt die Mitarbei-
reiche Europa-Universität in Deutschland – nach                                                             ter*innen ihre Arbeit wäh-
vier bereits in der Planungsphase versandeten            Sebastian Pape und Mateusz Weis-Banaszczyk         rend der Woche zwischen
Versuchen in Konstanz, Passau, Trier und Saar-       vom AStA sind von der Internationalität der            6 und 21 Uhr und an Sams-
brücken. 1998 stieß sie das „Fenster nach            Viadrina sichtlich begeistert. Die kleine Uni in der   tagen zwischen 6 und
Europa“ weit auf: Die Eröffnung des Collegium        brandenburgischen Provinz übertrifft durch ihre        13 Uhr frei gestalten. Die
Polonicum zusammen mit der Adam-Mickiewicz-          Kontakte manche Massenuniversität: 250 Koope-          Dienstvereinbarung für das
Universität in Poznań schuf das erste gemeinsame     rationsvereinbarungen mit Hochschulen in der           wissenschaftliche Personal
Institut mit einer polnischen Hochschule – und       gesamten Welt sorgen für einen steten Aus-             erhielt 2015 sogar den
das 6 Jahre vor dem EU-Beitritt Polens.              tausch. Neben 12 Prozent polnischen Studieren-         Goldenen Preis der Zeit-
                                                     den kommen weitere 12 Prozent der Kommi-               schrift „Der Personalrat“.
    Maciej Małolepszy, Professor für polnisches      liton*innen aus anderen europäischen Staaten           Sie stellt sicher, dass Erst-
Strafrecht an der Viadrina, verkörpert diese         oder inzwischen verstärkt aus China und Latein-        verträge in der Promotions-
Tradition. Mitte März hat er Rechtswissenschaft-     amerika. Durch die gute Betreuung und die vor-         phase für mindestens
ler*innen aus beiden Ländern in den mit dezen-       bildliche Sprachförderung ist die Viadrina für viele   drei und Folgeverträge für
tem Stuck dekorierten Senatssaal geladen. Das        ein zweites Zuhause. Dennoch wohnt rund die            mindestens vier Jahre
Thema: die Richterwahl in Europa. Die Stimmung       Hälfte der Studierenden in Berlin, worunter das        geschlossen werden. Auch
ist von vertrauensvoller Kollegialität geprägt und   studentische Leben insbesondere in den Se-             bei der Einschränkung
ernst – schließlich geht es um politisch hochbri-    mesterferien leidet. Für den AStA war das Anlass       von Befristungen ist die      5
sante Fragen. Die polnische PiS-Regierung steht in   zur Kampagne „Zieh nach Frankfurt!“. Sebastian         Viadrina damit Weg-
der Kritik der Europäischen Kommission, weil sie     und Mateusz sind sich sicher, dass günstiges           bereiterin. b
das in Polen bewährte Verfahren der Richterwahl      Wohnen und das wachsende kulturelle Angebot
durch die Judikative aufgeben und die Ämter-         der Stadt in den nächsten Jahren viele Kommi-
besetzung stärker politisch beeinflussen will; aus   liton*innen zum Umzug bewegen werden.
Europa? Europa! Von unten wächst seit Jahren vieles, was die EU lebendig macht - Ver.di
Schwerpunkt: Europa wächst von unten zusammen

                               Austausch in Bibliotheken
                                        und beim Borrel
         Die Ems Dollart Region
       (EDR) liegt im nördlichen
         Teil der deutsch-nieder-
                                      D    en deutsch-niederländischen Bibliothekentag
                                           gibt es seit 13 Jahren: Immer abwechselnd
                                      findet er in einer deutschen oder niederländi-
                                                                                                                   politik und keine deutschen Alleingänge gefor-
                                                                                                                   dert.

              ländischen Grenze.      schen EDR-Bibliothek statt. In herausragender                                    So politisch war es auf den EDR-Bibliotheken-
            Rund 100 öffentliche      Erinnerung bleibt das Treffen vor zwei Jahren im                             tagen vorher nie zugegangen. Dass die Veranstal-
     Institutionen gehören zum        niederländischen Winschoten unter dem Motto:                                 tung trotzdem sehr versöhnlich endete, lag wohl
             Netzwerk. Seit 1977      „Gemeinsam Grenzen überwinden/Samen gren-                                    vor allem an der niederländischen Tradition des
     arbeiten sie zusammen bei        zen verleggen.“ Schnell wurde den deutschen                                  „Borrel“. Egal wie kontrovers eine Debatte gewe-
      Fragen der Raumordnung,         Kolleg*innen klar, mit welch bewundernswerter                                sen ist – anschließend trifft man sich in der Bar,
        Infrastruktur, regionaler     Organisation die Bibliotheken jenseits der Grenze                            trinkt zusammen und redet auf keinen Fall über
      Wirtschaftsförderung und        Flüchtlinge begleiten. Entsprechend des staatli-                             Politik. Die deutsch-niederländische Nettikette
      Kultur. Vor allem aber will     chen Integrationsauftrags kauft jede Provinz nicht                           spart außerdem Gespräche über Fußball aus …
      die EDR Kontakte fördern        nur Literatur in den wichtigsten Sprachen, son-                              Das Thema Bücher aber geht immer.
    zwischen der holländischen        dern veröffentlicht auch entsprechende Broschü-
     Bevölkerung in Groningen,        ren und Landkarten, organisiert Stadtführungen                                  2017 fand der deutsch-niederländische Biblio-
       Drenthe und Frieslân und       sowie Spiele-und Kennenlernabende. Gegen                                     thekentag in der KÖB Papenburg statt. Der
      den Bewohner*innen von          Ende der Veranstaltung wurde dann sehr kontro-                               Schwerpunkt lag auf der Digitalisierung. Dieses
          Ostfriesland, Emsland,      vers diskutiert: Der niederländische Sozialdemo-                             Jahr sind wieder die Niederländer dran. b
    Oldenburg und angrenzen-          krat Paul Scheffer hatte in seinem Vortrag eine
                     der Gebiete.     nachhaltige EU-Flüchtlings- und Einwanderungs-                               Carsten Bauer

     ver.di in Brüssel und Straßburg
     A    ls größte Dienstleistungsgewerkschaft Europas spielt ver.di
                                                                         Foto: Felix Kindermann

          auch in Brüssel eine bedeutende Rolle – und betreibt Lobby-
     arbeit mit und in den europäischen Gewerkschaftsverbänden.
     Dafür gibt es in der ver.di-Bundeszentrale in Berlin eine europa-
     politische Abteilung. Sie bündelt nicht nur die „Europakompe-
     tenzen“, sondern nimmt auch die Aufgaben eines Verbindungs-
     büros in Richtung EU wahr. Regelmäßig fahren die dort beschäf-
     tigten Kolleg*innen nach Brüssel und Straßburg, um sich mit den
     Partnergewerkschaften abzustimmen und Einfluss auf den politi-
     schen Prozess zu nehmen.

        Da geht es um Berufsanerkennung, Vergaberegelungen, Ener-
     gienetze, Urheberrecht, Arbeits- und Gesundheitsschutz – um
                                                                                                   Eine von 50.000 – Gewerkschaftsdemo
     nur einige Felder zu nennen. Insbesondere Finanzpolitik und
                                                                                                   in Brüssel
     Liberalisierung haben Auswirkungen für Arbeitnehmer*innen.
     Damit deren Interessen Gehör finden, braucht es eine starke
     gewerkschaftliche Stimme.                                                                    Brüssels auf die Rahmenbedingungen in der Bildungs-, Hoch-
                                                                                                  schul- und insbesondere Forschungspolitik in den vergangenen
6        Die branchenspezifische Betroffenheit durch europäische                                  Jahren deutlich zugenommen hat ist klar: Unser Fachbereich will
     Regelungen ist vielfältig und unterschiedlich intensiv – und ent-                            und wird sich der europäischen Dimension dieser Themen künftig
     sprechend differenziert gestaltet sich die Europaarbeit der                                  stärker widmen. b
     Fachbereiche. Auch in diese Richtung übernimmt die europapoli-
     tische Abteilung eine „Scharnierfunktion“. Weil der Einfluss                                 Harald Giesecke / Klaus Böhme
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Schwerpunkt: Europa wächst von unten zusammen

Umbruch im
Europäischen Forschungsraum
Der Europäische Forschungsraum ist längst

                                                                                                                                             Foto: CERN Copyright
Wirklichkeit. Zum gemeinsamen Nutzen
wurde die internationale Zusammenarbeit
nach dem 2. Weltkrieg systematisch entwik-
kelt. Für die Wissenschaft waren Diktaturen
immer dunkle Zeiten – internationale Ko-
operation dagegen lassen sie aufblühen, so
brachte der Präsident der Max-Planck-
Gesellschaft Martin Stratman die dahinter-
stehende Erkenntnis kürzlich in einer
Fernsehdiskussion auf den Punkt.

VON ANDREAS SCHLOSSAREK

G     roße Maschinen und Anlagen vor allem in
      der physikalischen Grundlagenforschung
gibt es bereits seit den 1950er Jahren auf europäi-
scher Ebene. Dazu zählen das CERN in Genf, aber
auch viele Geräte vor allem in der Luft- und
Raumfahrt und der Astrophysik – Tendenz stei-
                                                                                                           Blick in die Europäische Groß-
gend. Die jüngsten Milliardenprojekte ESS
                                                                                                           forschungsanlage CERN bei Genf
(Schweden) ITER (Frankreich) sowie XFEL und FAIR
(Deutschland) werden ebenfalls international –
und nicht nur europäisch – organisiert und finan-     Finanzierung seit einigen Jahren immer stärker
ziert. Es geht um Neutronenstrahlung, Kern-           auf Clusterbildung der verschiedenen For-            ver.di auf den
fusion, Röntgenlaser und ähnliches.                   schungsdisziplinen aus. Kooperationen von Hoch-      Spuren des Neuen
                                                      schulen mit dem außeruniversitären und privaten
   Seit 1984 gibt es EU-Forschungsrahmenpro-          Forschungssektor nehmen zu, die konkrete Zu-         Müssen wir als Gewerkschaf-
gramme. Sie fördern den wissenschaftlichen Aus-       sammenarbeit intensiviert sich. Institutionelle      ter*innen uns mit einem
tausch und gemeinsames Experimentieren von            Netzwerke entstehen, die organisatorischen           Wissenschafts- und Forschungs-
Forschungsgruppen. Die Programme Erasmus und          Grenzen verschwimmen.                                system neuen Typs beschäfti-
Marie Curie unterstützen den Nachwuchs. Am                                                                 gen? „Besser is das,“ würde
Anfang lag der 4-Jahres-Etat bei bescheidenen 4           Manche Arbeitnehmer*innen sind unsicher,         Werner sagen. Ansonsten
Milliarden Euro, das auf sechs Jahre angelegte        wer jetzt zuständig ist für Arbeitsverträge und -    tappen wir im Dunkeln und
Förderpaket „Horizon 2020“ ist bereits 80             verhältnisse auf dem Campus. Wer kann und darf       verstehen nicht, was passiert.
Millarden Euro schwer. Für die nächste Förder-        helfen oder vertreten? Es gibt Mischfinanzierung     Umgekehrt gilt aber auch: Wer
periode, über die gerade verhandelt wird, soll das    – national und europäisch. Betroffen sind das wis-   als Organisation Orientierung
Budget noch einmal verdoppelt werden.                 senschaftliche und technische Personal, aber auch    geben und sich kompetent
                                                      die Beschäftigten in den Verwaltungen. Projekt-      einmischen kann, ist auch für
    Die Veränderungsprozesse in Wissenschaft          finanzierung ist der Haupt-Sachgrund für die Be-     neue Mitglieder interessant.
und Forschung lassen sich mit tektonischen Ver-       fristung von Arbeitsverträgen nicht nur bei den
schiebungen der Erdkruste vergleichen: Insulaner-     gewerkschaftlich schwach organisierten Wissen-       Am 22. Februar hat sich der
*innen nehmen nicht unbedingt wahr, dass ihr          schaftler*innen. Derzeit werden neue Lenkungs-       Bundesvorstand des ver.di-
Archipel auf einen neuen Kontinent zudriftet –        und Leitungsgrundsätze entwickelt, doch bisher       Fachbereichs Bildung, Wissen-
trotzdem passieren solch grundlegende Verschie-       findet das ohne erkennbare Beteiligung von           schaft, Forschung intensiv mit
bungen; Italien war auch mal ein Stück von            Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften          der Analyse dieser Entwicklung          7
Afrika. Zugleich sind Erschütterungen spürbar         statt. Stipendium statt Arbeitsvertrag ist oft das   beschäftigt. Die Bundesarbeits-
und es entstehen neue Gebirge.                        einzige Angebot an Wissenschaftler*innen aus         gruppen Forschung und Hoch-
                                                      anderen Staaten des Europäischen Forschungs-         schule werden das fortsetzen. b
   Nach sorgfältiger Vorbereitung durch die           raums (ERA). Lohn- und Sozialdumping lassen
Forschungsallianz richtet sich auch die nationale     grüßen. b
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Schwerpunkt: Europa wächst von unten zusammen

                                               Brexit – Desaster
                                               für die Wissenschaft
                                                                                                         nigen, die sich bis zum offiziellen Austrittsdatum
 Foto: Werner Bachmeier

                                                                                                         im Frühjahr 2019 neu einschreiben, soll das bis
                                                                                                         zum Examen so bleiben. Was aber in späteren
                                                                                                         Jahren passiert, ist unklar.

                                                                                                            Bereits 2017 ist die Zahl der Studienbewerber-
                                                                                                         *innen aus der EU deutlich gesunken. Das scha-
                                                                                                         det auch der britischen Volkswirtschaft: Einer
                                                                                                         Studie zufolge haben ausländische Studierende
                                                                                                         das Bruttoinlandsprodukt bisher um etwa 30
                                                                                                         Milliarden Euro im Jahr gesteigert und direkt oder
                                                                                                         indirekt 200.000 Arbeitsstellen gesichert.

                                                                                                             Bei Ausschreibungen für Forschungsstellen
                                                                                                         registrieren die Institute ebenfalls deutliche Rück-
                                                                                                         gänge von Bewerbungen aus EU-Ländern. Dazu
                                                Bye-bye!                                                 trägt wohl auch die zunehmende Fremdenfeind-
               An den britischen                                                                         lichkeit im Land bei, vermuten Beobachter*innen.
           Hochschulen herrscht                VON ANNETTE JENSEN                                        Umgekehrt gab es auch schon erste Fälle, bei
      Unruhe. Die Unsicherheit,                                                                          denen britische Wissenschaftler*innen im Aus-
           was der Brexit für die
             Zukunft der Wissen-
   schaftslandschaft bedeutet,
                                               V   iele Hochschulbeschäftigte waren schockiert,
                                                   als das Ergebnis des Brexit-Referendums fest-
                                               stand. Sie selbst hatten zu etwa 85 Prozent für den
                                                                                                         land hinauskomplementiert wurden.

                                                                                                             Mehrere britische Hochschulen erwägen,
    ist groß. Dabei geht es kei-               Verbleib ihres Landes in der EU votiert. Wie kaum         Zweigniederlassungen in anderen Ländern aufzu-
    neswegs nur um Milliarden                  ein anderer Bereich ist die Wissenschaft auf inter-       bauen. Die Universität Oxford hat mit den Ber-
     Euro Forschungsförderung                  nationalen Austausch angewiesen.                          liner Universitäten bereits eine weitreichende
      aus Brüssel, die in Gefahr                                                                         Partnerschaft vereinbart, in die auch die Biblio-
  sind. Vor allem die Frage, ob                    Die Forschungsqualität in Großbritannien ist          theken einbezogen sind.
         britische Wissenschaft-               auch deshalb sehr hoch, weil das Land mit weltbe-
     ler*innen gleichberechtigt                rühmten Universitäten wie Oxford und Cambridge                Bisher ist das Renommee der britischen Wis-
    an EU-Forschungsprojekten                  wie ein Magnet auf Wissenschaftler*innen aus              senschaft extrem hoch. Hier publizierte For-
       beteiligt bleiben und EU-               aller Welt wirkt. Allein aus Deutschland stammen          schungsergebnisse werden überdurchschnittlich
    Kolleg*innen wie bisher in                 über 5500 Forscher*innen und Dozent*innen auf             oft zitiert. Kein anderes EU-Land bekommt so viel
        großer Zahl auf die Insel              der Insel. Zwar verkündete die britische Regierung        Forschungsförderung aus dem EU-Programm
    kommen können, treibt die                  Ende vergangenen Jahres, dass sie auch längerfris-        Horizon 2020 wie Großbritannien – viel mehr, als
     Community um. Zusätzlich                  tig bleiben dürfen. Doch wer zwischendurch mehr           das Land dafür nach Brüssel überweist. Zwar ist
         startete im Februar der               als fünf Jahre in ein anderes Land zieht, verliert die-   inzwischen klar, dass britische Wissenschaft-
     größte Streik, den es je an               ses Privileg.                                             ler*innen auch nach dem Brexit Geld aus den EU-
    Universitäten und Colleges                                                                           Forschungstöpfen erhalten können; schließlich
     im Vereinigten Königreich                    Hochschulinstitute fürchten vor allem, dass sie        wird das auch Kolleg*innen aus Tunesien, Israel
               gegeben hat. Der                in Zukunft viel weniger internationalen Nach-             oder Norwegen gewährt.
     Arbeitgeberverband plant                  wuchs anlocken können. Premierministerin There-
    eine Rentenreform, bei der                 sa May hatte angekündigt, dass die Zuwande-                   Doch dass Großbritannien beim Nachfolge-
           die Dozent*innen mit                rungszahlen von über 250.000 auf unter 100.000            programm von Horizon 2020 über Forschungs-
   Einbußen von umgerechnet                    jährlich sinken sollen. Auch Studierende sollen           schwerpunkte und -inhalte mitbestimmen darf,
8 11.000 Euro jährlich rechnen                 dabei eingerechnet werden.                                ist unwahrscheinlich. Der kürzlich verstorbene
            müssen. Das will die                                                                         Physiker Stephen Hawking brachte die Folgen des
      Gewerkschaft UCU, in der                    Bisher waren die Studiengebühren für Leute             Brexit für die internationale Forschung auf den
     190.000 Lehrkräfte organi-                mit EU-Pass in Großbritannien auf umgerechnet             Punkt: Ein Desaster. b
      siert sind, auf keinen Fall,             10.500 Euro im Jahr gedeckelt und entsprachen
                        zulassen.              dem, was Landeskinder zahlen müssen. Für dieje-
Schwerpunkt: Europa wächst von unten zusammen

                                                                   Erfahrungen
                                                                   fürs Leben
     Marcus Baumann leitet die
 FH Aachen und ist Sprecher der
      Landesrektorenkonferenz
                                    Foto: FH Aachen
                                                                   beim Roboter-
                                                                   Workshop
   biwifo: Ihre Fachhochschule liegt im Dreiländereck Belgien-     Studierende ins Ausland gehen. Und umgekehrt pflegen wir
Niederlande-Deutschland. Wie sieht da europäische Zusammen-        eine große Offenheit. Von den fast 14.500 Studierenden sind
arbeit konkret aus?                                                20 Prozent aus dem Ausland, am Standort Jülich sind es sogar
                                                                   30 Prozent. Das sind vor allem Menschen aus dem Maghreb,
   Marcus Baumann: Ganz besonders intensiv sind unsere             aus Afrika und vor allem aus Asien, aber eben auch aus den
Beziehungen zum deutschsprachigen Teil von Belgien, wo es          Niederlanden und Belgien Mit anderen Europäern ist es manch-
keine technische Hochschule gibt. Als Fachhochschule wollen        mal nicht so einfach, weil wir nur deutschsprachige Bachelor
wir die regionale Wirtschaftskraft stärken und richten die         anbieten. Master gibt es auch auf Englisch.
Studiengänge am Bedarf der Unternehmen aus. Wir haben
einen Kooperationsvertrag mit der ostbelgischen Regierung             Was ist Ihre Vision bezüglich Hochschulen und Europa?
geschlossen. Wie in Deutschland veranstalten wir nun u.a. sehr
erfolgreich Unternehmerfrühstücke und bringen sowohl unsere           Hochschulen haben eine ganz wichtige Funktion. Sie fokussie-
Absolventinnen und Absolventen als auch Forscherinnen              ren auf Wissenschaft und Lehre – und das völlig ungeachtet
und Forscher mit den Unternehmen zusammen.                         nationaler Grenzen und Herkünfte. In unseren Summer Schools
                                                                   kommen Leute zusammen aus Ländern, deren Regierungen sich
   Und da, wo es unterschiedliche Sprachen gibt?                   gar nicht grün sind. Wir haben zum Beispiel einen internationalen
                                                                   Roboter-Workshop, wo 40 Menschen aus aller Welt zusammen
    Wir haben gemeinsame Studiengänge sowohl mit dem               programmieren. Sie machen hier Erfahrungen miteinander, wo
flämischen als auch wallonischen Teil von Belgien und sogar        nationale Grenzen keine Rolle spielen sollten und für die Wissen-
einen Studiengang, da wird Vielsprachigkeit trainiert – Deutsch,   schaft auch gar nicht spielen. Diese Emotionen nehmen sie mit.
Englisch, Flämisch und Französisch. So können wir die Möglich-
keit von Arbeitsplätzen in der Drei-Länder-Region mit Leben           Spielen internationale Spannungen und Nationalismen tat-
füllen. Die Unternehmen hier suchen Leute, die mehrsprachig        sächlich keine Rolle in der Wissenschaft?
unterwegs sind. Als forschungsstarke Hochschule müssen wir
für unsere Doktoranden Universitäten finden, mit denen wir             Natürlich leidet wissenschaftliche Zusammenarbeit z. B. unter
kooperieren können. Dafür haben wir feste Verträge mit den         den Entwicklungen in der Türkei. Das liegt auch daran, dass
belgischen Universitäten Gent, Hasselt und Löwen. Ein Kollege      unsere bisherigen Ansprechpartner*innen an mehreren Universi-
kooperiert mit Luxemburg.                                          täten einfach ausgetauscht wurden. Und türkische Wissenschaft-
                                                                   ler*innen, die gegenwärtig in Deutschland arbeiten, haben
                                                                   Angst zurückzugehen. Auch die Arbeit mit Studierenden aus der
   Ist Ihre Hochschule eine Ausnahme in NRW?                       Türkei, die hier ein Auslandssemester machen wollten, ist zum
                                                                   Erliegen gekommen.
   Eine solche Grenznähe, wie wir sie haben, ist natürlich nicht
typisch. Ich wohne selber in Belgien und brauche zwölf Minuten        Haben Sie irgendwelche Vorstellungen gehabt, die Sie im
von meinem Büro bis nach Hause. Aber auch Düsseldorf, Köln,        Laufe der Zeit korrigieren mussten, was Hochschule und Europa
Krefeld und selbst Bochum und Münster realisieren Projekte mit     angeht?
Partnern in den Niederlanden und Belgien.
                                                                       Was ich früher nicht gedacht hätte: Deutsche Studierende
   Wie steht es mit der Zusammenarbeit jenseits der direkten       verlassen leichter ihr Land, als andere Europäer zu uns kommen
Nachbarn?                                                          wollen. Woran das liegt, weiß ich auch nicht so genau. Die
                                                                   Sprache spielt bestimmt eine Rolle, obwohl der Master bei uns ja    9
   Wir halten es für wichtig, dass Studierende sowohl von          auch in Englisch unterrichtet wird. Aber man muss ja im Alltag
Bachelor- als auch Masterstudiengängen kulturelle Erfahrungen      auch seine Eier und sein Bier kaufen können. b
im Ausland sammeln und Arbeitgeber im Ausland kennenlernen.
Wir begünstigen deshalb durch ein Fenster im Studium, dass         Interview: Annette Jensen
Noch einmal GroKo

     H O C H S C H U L E N

     W Bologna-Follow-Up-
     Konferenz in Paris
         Ende Mai findet im Rahmen
     des Bologna-Prozesses in Paris
                                                           Trüber Leuchtturm
     die nächste Ministerkonferenz
     des Europäischen Hochschul-                                   Am 14. März 2018 wurde Angela Merkel                 dieser oder der nächsten Legislatur verwirklicht
     raums statt. Aktuell sind 48                                  nach einem nur scheinbaren Interregnum               werden sollen.
     Länder beteiligt. Ein Themen-                                 von sechs Monaten als Bundeskanzlerin
     schwerpunkt des diesjährigen                                  wiedergewählt. Damit wird die nicht ge-                 Auch die geplante „Trendumkehr“ beim
     Kommuniqués soll die Imple-                                   rade innig herbeigesehnte Große Koalition            BAföG mit einer deutlichen Erhöhung der Ge-
     mentierung grundlegender Werte                                fortgesetzt. Für Bildung, Wissenschaft und           fördertenzahlen bis 2021 klingt gut – blendet
     sein, insbesondere der Demo-                                  Forschung sieht die neue-alte Regierung              aber den entscheidenden Aspekt aus: Das Aus-
     kratie, da hochschulische                                     elf Milliarden Euro zusätzlich vor.                  gangsniveau ist inzwischen extrem niedrig gewor-
     Bildung auch Ideale von Freiheit                                                                                   den. Erhielten 2012 noch 440.000 Studierende
     und Frieden vermitteln soll.                                  VON MICHAEL NIEDWOROK                                die gesetzliche Ausbildungsförderung, so waren
                                                                                                                        es vier Jahre später nur noch 377.000. Gerade
     W Neue Musterrechts-
     verordnung für die
     Akkreditierung von
                                                                   B    ereits am Wort „zusätzlich“ scheiden sich
                                                                        jedoch die Geister. Von dem angeblich aufge-
                                                                   stockten Etat sind nämlich bereits fünf Milliarden
                                                                                                                        einmal 13,9 Prozent der angehenden Akademi-
                                                                                                                        ker*innen bekommen heute BAföG.

     Studiengängen                                                 Euro für den „Digitalpakt“ vorgesehen, der schon         Erst 2025 soll die Förderung der Ganztags-
          Die Kultusministerkonferenz                              in der vergangenen Legislaturperiode geplant         schulen in einem Rechtsanspruch der Eltern auf
     hat am 7. Dezember die neue                                   wurde. Bund und Länder hatten es allerdings          Betreuung münden. Selbst das aber erscheint
     Musterrechtsverordnung für die                                nicht mehr geschafft, ihn bis zur Bundestagswahl     beim gegenwärtigen Stand der Bildungsinfra-
     Akkreditierung von Studien-                                   fertig auszuhandeln.                                 struktur der Bundesländer recht ambitioniert.
     gängen verabschiedet. Sie ist die
     gemeinsame Grundlage für die                                      Die vorgesehene Erhöhung der Forschungs-            Für die Unterstützung von Ganztagsschulen
     länderspezifischen Ordnungen.                                 ausgaben auf 3,5 Prozent des Brutto-Inlands-         und die Verstetigung der Hochschulfinanzierung
     Gegenüber den früheren Rege-                                  produktes bis 2025 soll in einer gemeinsamen         durch den Bund wird die Große Koalition zudem
     lungen gibt es wenig substan-                                 Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Wirt-         eine hohe bildungspolitische Hürde nehmen müs-
     tielle Änderungen. Wesentlich                                 schaft gestemmt werden. Den Bund wird das bis        sen. Derzeit steht diesen Maßnahmen noch das
     ist, dass die Entscheidungen                                  2021 etwa zwei Milliarden Euro kosten. Weiterhin     sogenannte „Kooperationsverbot“ im Weg. Das
     über die Akkreditierung künftig                               soll der 600 Millionen Euro schwere Hochschul-       hatten Union und SPD 2006 zusammen mit den
     direkt vom Akkreditierungsrat                                 pakt verstetigt und die Förderung von Ganztags-      Ländern im Rahmen einer Föderalismusreform
     getroffen werden und nicht                                    schulen im Umfang von zwei Milliarden Euro           beschlossen und im Grundgesetz festgeschrie-
     mehr bei den Agenturen liegen.                                finanziert werden. Außerdem ist eine BAföG-          ben. Im Artikel 104 b heißt es, dass der Bund die
     Der DGB kritisiert die verpasste                              Erhöhung geplant, die insgesamt etwa 1,35            Länder nur befristet und mit fallenden Jahres-
     Chance, mehr Transparenz bei                                  Milliarden Euro kosten wird.                         beträgen bei der Bildungsfinanzierung unterstüt-
     der Auswahl der Vertreter*innen                                                                                    zen darf.
     der Berufspraxis zu schaffen.                                     Damit besteht das von Bildungspolitiker*innen
     Bisher werden diese Stühle häu-                               der Großen Koalition als „Leuchtturmprojekt“ ge-        Schon in der damaligen Großen Koalition
     figer mit Wirtschaftsvertreter*in-                            lobte Bildungspaket zu einem erheblichen Anteil      hatte die SPD allerdings Ausnahmen verhandelt:
     nen besetzt als mit Beschäftig-                               aus Fortschreibungen der Politik der vergangenen     Wenn alle Bundesländer zustimmten, war eine
     ten.                                                          Wahlperiode. Die Opposition im Bundestag kriti-      Zusammenarbeit bei Wissenschaft und Forschung
                                                                   siert zudem, dass viele Maßnahmen erst am Ende       möglich. Weitere Öffnungen folgten 2009 und
     W Hochschulen als Vor-                                                                                                                 2017. Das Kooperations-
     bilder für Nachhaltigkeit                                                                                                              verbot erwies sich zuneh-
                                          Foto: Werner Bachmeier

         Mehrere Initiativen von                                                                                                            mend als ein vor allem von
     unten wollen den Alltag an                                                                                                             den Unionsparteien getrage-
     Hochschulen nachhaltig und                                                                                                             ner Klotz am Bein. Im Bun-
     sozial verantwortlicher gestalten                                                                                                      destagswahlkampf forderte
     durch Ressourcenmanagement,                                                                                                            der     SPD-Kanzlerkandidat
     neue Lehrmethoden und mehr                                                                                                             Martin Schulz seine Strei-
     Bürgerdialog bei Forschungs-                                                                                                           chung. Trotzdem sieht der
10   fragen.                                                                                                                                Koalitionsvertrag von Union
         Wer die Petition unterzeich-                                                                                                       und SPD nur eine erneute
     nen will: http://www.nachhal-                                                                                                          Lockerung vor, die allerdings
                                                                    Schülergruppe im Bundestag – jahrelang
     tige-hochschulen.de/unter-                                                                                                             unbestritten einen Fortschritt
                                                                    wurde wegen des Kooperationsverbots
     zeichnen/                                                                                                                              darstellt. b
                                                                    an ihrer Bildung gespart
Aus Hochschulen und Bibliotheken

                                                                                                                    B I B L I O T H E K E N

                                                                                                                    W Berlin auf der

Rolle rückwärts                                                                                                     schiefen Bahn
                                                                                                                        Anfang März fand eine Fach-
                                                                                                                    tagung zur Zukunft der Öffent-
                                                                                                                    lichen Bibliotheken in Berlin

D    as Ministerium für Kultur und Wissenschaft
     NRW (MKW) hat angekündigt, das Hoch-
schulgesetz des Landes (re)novellieren zu wollen.
                                                                schulen von zentraler Steuerung durch das Land
                                                                und von unnötigem bürokratischen Aufwand
                                                                befreien. Entfallen soll der Landeshochschulent-
                                                                                                                    statt. Dort sollte die Entschei-
                                                                                                                    dung diskutiert werden, den
                                                                                                                    Medieneinkauf der Zentral- und
Dafür hat es bereits Eckpunkte veröffentlicht. Im               wicklungsplan – ein gemeinsamer Orientierungs-      Landesbibliothek Berlin (ZLB) an
Vorfeld hatte das MKW Gespräche mit den                         rahmen und keineswegs ein Instrument zur „Be-       Hugendubel zu vergeben. ZLB-
Hochschulen geführt – allerdings nur mit deren                  vormundung“. Auch die paritätische Besetzung        Direktor Volker Heller hatte dem
Leitungen. Die Meinung von Beschäftigten und                    des Senats will die Regierung schleifen; sie ist    Großbuchhändler im vergange-
Studierenden interessiert die neue schwarz-gelbe                Ausdruck angemessener Entscheidungs- und            nen September den Zuschlag
Landesregierung offenkundig wenig. Dass die                     Verantwortungsteilhabe aller Gruppen in der         erteilt. Gleichzeitig wurde die
Hochschulführungen die Pläne ausdrücklich be-                   Hochschule. Die Anwesenheitspflicht bei Lehr-       Zahl der Bibliothekar*innen
grüßen, wundert nicht. Schließlich geht es darum,               veranstaltungen soll auferstehen, während die       reduziert und die Kompetenzen
die alten Organisationsstrukturen aus dem Jahr                  Verpflichtung zur Zivilklausel beerdigt werden      der übrigen beschnitten.
2007 wieder zu beleben. Damals hatte die Re-                    soll. Auch den Rahmenkodex für gute Beschäf-
gierung Rüttgers mit dem Hochschulfreiheits-                    tigungsbedingungen, der in der gesamten Repu-           Doch die Auswahl der sieben
gesetz die Eigenverantwortung der Hochschulen                   blik als Schritt in die richtige Richtung große     Redner*innen ließ kaum Wider-
eingeführt – was die Macht der Leitungen und                    Beachtung gefunden hatte, will Schwarz-Gelb         spruch aufkommen. Die zustän-
den Einfluss der Wirtschaft stärkte. 2014 sorgte                kippen. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist das ver-   dige ver.di-Gewerkschafts-
die damalige rot-grüne Landesregierung dann mit                 antwortungslos. Noch fehlt ein Gesetzentwurf,       sekretärin Jana Seppelt bekam
einem neuen Hochschulzukunftsgesetz wieder                      noch stehen parlamentarische Beratung und           kein Rederecht, der Personalrats-
für mehr Transparenz, Mitbestimmung und Ein-                    Anhörungsverfahren aus. Aber sowohl die An-         vorsitzende Lothar Brendel durf-
fluss des Parlaments, so wie es Beschäftigte, ihre              kündigungen als auch Erfahrungen der Ver-           te lediglich zehn Minuten lang
Vertretungen und Gewerkschaften gefordert hat-                  gangenheit lassen wenig Raum für Hoffnung. b        die kritische Position der Beleg-
ten.                                                                                                                schaft darstellen. Dieses Vor-
    Nun also der Rollback. Nach Aussage des                     Klaus Böhme                                         gehen der Berliner Kulturverwal-
Ministeriums soll das geänderte Gesetz die Hoch-                                                                    tung ist ein kulturpolitischer
                                                                                                                    Offenbarungseid, eine schwere
                                                                                                                    Schädigung der vielen Fachbuch-
                                                                                                                    händler in der Stadt und ein
                                                                                                                    Schlag gegen die Buchkultur in
 Rote Stunde bei ver.di                                                                                             Berlin.

  D    er 107. Deutsche Bibliothekartag steht
       unter dem Motto „Offen und vernetzt“. Er
  findet vom 12. bis 15. Juni in Berlin statt. Zu
                                                                siert. Der Titel unseres Treffens: „DBT-Nach-
                                                                lese(n) mit ver.di.“ Willkommen sind alle
                                                                Interessierten mit müden Füßen und einem
                                                                                                                    W Kreuz machen bei
                                                                                                                    ver.di-Kollegin!
                                                                                                                        Der Berufsverband Beruf und
  den Fachvorträgen, Diskussionsrunden und                      gehörigen Hunger nicht nur auf Grillwürstchen,      Information (BIB) wählt am 12.
  Ausstellungen werden 4000 bis 5000 Teilneh-                   sondern auch auf Austausch, Informationen,          Juni 2018 einen neuen Vorstand
  mende erwartet. Auch die ver.di-Bundesarbeits-                Diskussionen und nettes Beisammensein. Ort          auf seiner Mitgliederveramm-
  gruppe Archive, Bibliotheken und Dokumen-                     der Sause: Das Gartenlokal „Butter & Bacon“         lung, die während des Bibliothe-
  tation (ABD) ist wieder aktiv. Diesmal planen wir             direkt gegenüber des Tagungsortes. Stoff für        kartags in Berlin stattfindet. Wer
  eine „Rote Stunde“ im Nachgang zur „Blauen                    Gedanken-und Erfahrungsaustausch über unser         dort nicht dabei sein kann, kann
  Stunde“, die der Berufsverband am 13. Juni als                Berufsfeld gibt es reichlich.                       auch per Briefwahl mitstimmen.
  große Meet-and-Greet-Veranstaltung organi-                                                                        Renate Gundel ist Mitglied der
                                                                    Vor allem die Veränderungen durch den           ver.di-BAG Archive, Bibliotheken,
                                            Quelle: Wikipedia

                                                                zunehmenden Einfluss digitaler Arbeitsmetho-        Dokumentation (ABD) und kan-
                                                                den werden auf dem Bibliothekartag ein großes       didiert. Sie ist bekannt als enga-
                                                                Thema sein. Neben den zu erwartenden Ar-            gierte Streiterin für den arbeits-
                                                                beitserleichterungen gibt es auch Risiken und       freien Sonntag in öffentlichen
                                                                Gefahren. Für eine fundierte Diskussion bringen     Bibliotheken und möchte in der
                                                                wir die Umfrageergebnisse der 2017 veröffent-       Vorstandsarbeit gewerkschaft-        11
                                                                lichten Hans-Böckler-Studie zum „Wandel der         liche Positionen verankern –
                                                                Arbeit in wissenschaftsunterstützenden Berei-       deshalb: Wählt Renate Gundel!
                                                                chen“ mit. b
                                                                                              Kerstin Thorwirth
Ta r i f k a m p f i n B e r l i n

     W E I T E R B I L D U N G

     W Volkshochschulen in
     Niedersachsen-Bremen
     gut vernetzt
         Ein Schwerpunkt des ver.di-
                                          Streik der
     Landesfachbereichs Nieder-
     sachsen-Bremen ist die Vernet-
     zung der Belegschaften von
                                          Studierenden
     Volkshochschulen und Weiterbil-
     dungseinrichtungen, die politik-

                                                                                                                                                  Fotos: Berliner Studierende
     nahe Bildung vermitteln. In
     enger Kooperation mit dem
     Bildungswerk ver.di und dem
     Arbeitsrechtler Martin Bretzler
     gibt es regelmäßig Schulungen
     für die Betriebs- und Personal-
     rät*innen. Dabei geht es um
     Themen wie Befristungsrecht,
     psychische Gefährdungsbeurtei-
     lungen oder Mitbestimmung
     bei Honorarkräften, Mehrarbeit       Seit 17 Jahren hat es keine Lohnerhöhung            sche Beschäftigte in einem Hörsaal zur zentralen
     und Überstunden.                     mehr für die rund 8000 studentischen                Streikversammlung, um über den weiteren Ver-
                                          Beschäftigten an den Berliner Hochschulen           lauf der Kampagne zu beraten. Zunächst wurden
         Vernetzung und Solidarisie-      gegeben. Um das zu ändern, haben sie sich           mögliche Szenarien vorgestellt, anschließend in
     rung sind inzwischen so trag-        organisiert – und Anfang des Jahres ge-             Kleingruppen darüber diskutiert und daraus fol-
     fähig, dass ein gewerkschafts-       streikt. Vorausgegangen waren einige zähe           gend eine Resolution an die Arbeitgeber*innen
     politisches Agieren zur Verbesse-    Verhandlungsrunden, bei denen die Arbeit-           und die Landespolitik verabschiedet. Auch über
     rung der Arbeitsbedingungen          geber*innenseite sich kaum bewegt hatte.            die Art, wie der Streik fortgeführt wird, gab es
     möglich ist. So lassen sich die      Daraufhin hatten ver.di und die GEW ver-            einen Beschluss. Klar war: Ohne ein neues An-
     Herausforderungen der Branche        gangenes Jahr den Berliner Tarifvertrag             gebot wird es kein Zurück an den Verhandlungs-
     durch Kostendruck und Arbeits-       TVStud II gekündigt. Mitte Januar dann der          tisch geben. Der Streik wird sonst im Sommer-
     verdichtung besser gestalten und     historische Moment: Nach 32 Jahren der              semester fortgesetzt.
     Angriffe auf die erkämpften          erste Streik von studentischen
     Standards z.B. bei den Tarif- und    Beschäftigten.                                          Die Arbeitgeber*innen reagierten zunächst
     Entlohnungsbedingungen leich-                                                            kaum. Einige Hochschulen setzten auf Einschüch-
     ter abwehren.                        VON CHRISTIAN KEIL                                  terung und streuten Falschinformationen zu
                                                                                              arbeitsrechtlichen Konsequenzen oder Nacharbeit
         Kontakt über Ulrike Schilling:
     ulrike.schilling@verdi.de            A    m Vormittag des ersten Tages trafen sie sich
                                               an ihren jeweiligen Unis, gingen durch die
                                          Büros und veranstalteten Campus-Demos. An-
                                                                                              bei Streikteilnahme. Der gemeinsamen Tarif-
                                                                                              kommission von ver.di und GEW schlugen sie
                                                                                              einen Sondierungstermin vor. Bei den Streikenden
     W ver.di bildet                      schließend sammelten sich 1300 zur gemeinsa-        stieß das auf wenig Gegenliebe: „Dies ist ein
         Das ver.di-Weiterbildungs-       men Kundgebung am Bebelplatz vor der Hum-           dreister Versuch der Hochschulen, die studenti-
     angebot ist groß – nicht nur für     boldt-Universität und protestierten gegen die       schen Beschäftigten ohne neues Angebot wieder
     neue und alte Betriebs- und          Blockadehaltung der Hochschulleitungen.             an den Verhandlungstisch zurück zu locken“,
     Personalrät*innen, sondern auch                                                          kommentierte ver.di-Tarifkommissions-Mitglied
     für alle Mitglieder. Die Spann-          Insgesamt gab es im Januar und Februar acht     Celia Bouali. Der Vorschlag erwecke den Ein-
     breite reicht von juristischen       Warnstreiktage. Die Aktionen waren kreativ und      druck, dass die Hochschulen die studentischen
     Fachseminaren über das Erlernen      vielfältig: Besuche bei den Verantwortlichen in     Beschäftigten immer noch nicht richtig ernst näh-
     öffentlichkeitswirksamer Aktio-      den Hochschulgremien, Teach- und Sit-Ins,           men. „Dann werden wir unsere Forderungen mit
     nen bis hin zur politischen Ent-     Bücherblockaden und Streikgassen vor den Biblio-    weiteren Streiks durchsetzen“, so Celia weiter.
     wicklung in Polen oder Konflikt-     theken, um deren Nutzung zu stören. Die Studie-
     training. Und: Die meisten           renden besetzten Räume, schrieben mit Sprüh-            Mittlerweile haben die Hochschulen ein neues
     Seminare sind kostenlos und fin-     kreide Slogans auf den Boden, veranstalteten eine   Angebot unterbreitet, vielleicht kommt es bald zu
     den häufig in attraktiver Um-        Schnitzeljagd und machten bei Campus- und           erneuten Tarifverhandlungen. Trotzdem bereiten
12   gebung statt. Für Spontane gibt      Bürorundgängen lautstark auf ihr Anliegen auf-      sich die studentischen Beschäftigten auf weitere
     es Last-Minute-Angebote.             merksam.                                            Streiks im Sommersemester vor: „Ohne eine
                                                                                              ordentliche Lohnsteigerung und eine dynamische
        Wer stöbern möchte:                   Dabei ging es ihnen auch darum, den Arbeits-    Lohnentwicklung werden wir nichts unterschrei-
     https://bildungsportal.verdi.de/     kampf weiter zu demokratisieren. Am fünften         ben!“ verdeutlicht Celia. b
                                          Streiktag versammelten sich über 400 studenti-
Das gute Beispiel

                                                                                                                                   M E L D U N G E N

                                                                                                                                   W Tarifrunde im öffent-

                     Hochschulsekretärin                                                                                           lichen Dienst
                                                                                                                                       Der dritte Verhandlungs-
                                                                                                                                   termin in der Tarifrunde für die

                     zieht vor Gericht                                                                                             Beschäftigten von Bund und
                                                                                                                                   Kommunen war für den 15. und
                                                                                                                                   16. April angesetzt – und lag
                                                                                                                                   somit nach unserem Redaktions-
                         Die Anforderungen an Hochschulsekre-                rung ist bisher nicht möglich, eine Änderung des      schluss. Was rausgekommen ist,
                         tär*innen sind in den vergangenen Jahren            Berufsbildes nicht vorgesehen – so fassen die         lesen Sie auf der ver.di-home-
                         extrem gestiegen – ihre Bezahlung nicht.            Forscher*innen der Studie zusammen. Damit ist         page: http://www.verdi.de/
                         Hinzu kommt, dass sie im Alltag in der              nun auch wissenschaftlich belegt, was viele
                         Klemme stecken: Ihre unmittelbaren Vor-             Personalräte seit Jahren wissen und zu ändern         W ver.di unterstützt
                         gesetzten übertragen ihnen komplexe                 versuchen.                                            March for Science
                         Aufgaben, was die Hochschulleitungen                                                                          Der March for Science ist
                         nicht zulassen wollen. Nun zieht eine                   Hinzu kommt ein struktureller Dauerkonflikt.      eine internationale Bewegung,
                         Kollegin vor Gericht.                               Joachim Stieglitz, selbst Hochschulsekretär und       die die Freiheit der Wissenschaft
                                                                             nun freigestellter Personalratsvorsitzender der       verteidigen will. Auch ver.di ist
                         VON ANGELIKA GERICKE                                Technischen Universität Hamburg-Harburg, be-          hier engagiert. In diesem Jahr
                                                                             schrieb die Situation auf einer Betriebsver-          lag der Hauptaktionstag am

                         E   ine Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat den
                             „Wandel der Arbeit in wissenschaftsunterstüt-
                         zenden Bereichen an Hochschulen“ untersucht.
                                                                             sammlung folgendermaßen: Die Sekretär*innen
                                                                             bekommen von der Institutsleitung bestimmte
                                                                             Tätigkeiten übertragen – was die Hochschul-
                                                                                                                                   14. April. Grund auf die Straße
                                                                                                                                   zu gehen gibt es genug: Jeder
                                                                                                                                   Versuch, Wissenschaft zu beein-
                         Ganz klar: Die Aufgaben der Beschäftigten in Ver-   leitung jedoch ablehnt. „Die Sekretär*innen           flussen, zu bagatellisieren oder
                         waltung, Technik, Bibliotheken und Wissen-          befinden sich dadurch in einem andauernden            für eigene Zwecke zu vereinnah-
                         schaftsmanagement sind komplexer und an-            Konflikt. Wer ist ihnen gegenüber weisungsbe-         men, ist ein Angriff auf die
                         spruchsvoller geworden. Besonders stark zuge-       fugt: ihr täglicher Chef oder die Hochschul-          Demokratie.
                         nommen haben die Ansprüche an Hochschul-            leitung?“ fragt Stieglitz. Die Hochschulleitungen
                         sekretär*innen. So konstatieren Ulf Banscherus      verschlössen die Augen vor den realen An-             W Parlament der Arbeit
                         und seine Mitautor*innen, dass „die Tätigkeiten     forderungen der Institute, weil sie Geld sparen           Unter dem Motto „Solidari-
                         in den Hochschulsekretariaten … insgesamt           wollten. Was aber passiert, wenn eine Sekretärin      tät-Vielfalt-Gerechtigkeit“ tagt
                         Merkmale der Allzuständigkeit auf(weisen), wie      die ihr übertragenen Arbeiten nicht erledigt mit      vom 13. bis 17. Mai in Berlin
                         sie insbesondere in Konzepten des New Public        dem Hinweis auf die Stellenbeschreibung – sofern      das 21. Parlament der Arbeit –
                         Managements für die Dezentralisierung der Kom-      es eine gibt? Stellt sich die Hochschulleitung dann   der ordentliche Bundeskongress
                         munalverwaltungen angelegt ist. Dies gilt in ers-   schützend vor sie – oder unterstützt sie die          des Deutschen Gewerkschafts-
                         ter Linie für die Beschäftigten in Instituts- und   Institutsleitung? So oder so sei das Arbeits-         bundes, an dem auch 129
                         Fachbereichssekretariaten, in wachsendem Maße       verhältnis anschließend nachhaltig gestört, fasste    ver.dianer*innen teilnehmen. Sie
                         aber auch für die Sekretariate von Professuren      Stieglitz die Konsequenzen zusammen.                  beschäftigen sich mit knapp 80
                         und wissenschaftlichen Arbeitsbereichen.“                                                                 Anträgen und stellen die inhalt-
                                                                                Gelegentlich ist es zwar gelungen, aufgrund        lichen Weichen für die gemein-
                            Es sind ganz überwiegend Frauen, die in den      sachlich unabweisbarer Arbeitsinhalte und an-         same Arbeit in den kommenden
                         Hochschulsekretariaten arbeiten. Trotz ihrer        hand der Entgeltordnung eine Höhergruppierung         vier Jahren.
                         anspruchsvollen Tätigkeiten stecken sie in einer    durch die Hochschulverantwortlichen zu errei-
                         beruflichen Sackgasse. Eine höhere Eingruppie-      chen. Solche Ausnahmen aber sind Ergebnis ge-         W Integration durch
                                                                             schickter Argumentationen in Einzelfällen und         gemeinsames Kochen
                                                                             keineswegs eine grundlegende Anerkennung der              Potpourri holt in München
Foto: Werner Bachmeier

                                                                             Arbeitsleistung.                                      einmal monatlich unterschied-
                                                                                                                                   liche Kulturen an einen Tisch
                                                                                 Aus all diesen Gründen haben sich Betroffene      zum gemeinsamen interkulturel-
                                                                             schon vor Jahren in ver.di organisiert. Es ist ein    len Kochen. Ob Geflüchtete,
                                                                             Weg der kleinen Schritte: Langsam, aber stetig        Leute mit und ohne deutschen
                                                                             vorangehen. Nun hat eine Kollegin aus der Tech-       Pass – sie alle kommen hier ins
                                                                             nischen Universität Hamburg-Harburg Klage beim        Gespräch und schaffen eine
                                                                             Arbeitsgericht eingereicht. Sie setzt darauf, dass    gemeinsame Kultur.                  13
                                                                             die Richter*innen nicht die wirtschaftlichen Rah-         https://www.citychurch-
                                                                             menbedingungen, sondern die real von ihr ver-         muenchen.de/veranstaltung/p
                                                                             richteten Tätigkeiten zum Maßstab nehmen wer-         otpourri/alle/
                                                                             den. Über den Fortgang des Verfahrens werden
                                                                             wir berichten. b
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