Arbeitsgemeinschaft ländliche Sozialforschung

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Arbeitsgemeinschaft ländliche Sozialforschung
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Tel.: +431.71100-637520, Fax.: +431.71100-637539
georg.wiesinger@bab.bmnt.gv.at
www.berggebiete.at

                        Arbeitsgemeinschaft ländliche Sozialforschung
          (ÖGS Österreichische Gesellschaft für Soziologie – Sektion Ländliche Sozialforschung)

                                        Protokoll der Sitzung vom 24. März 2021
An der 90. Sitzung der Arbeitsgemeinschaft fand als On-Line-Konferenz unter maßgeblicher fachlicher
und technischer Unterstützung durch Karin Schroll, Theresia Oedl-Wieser, Sigrid Egartner, Richard Maria
sowie Michaela Hager (alle Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen) statt. Insgesamt
hatten sich 281 Personen angemeldet.
Der langjährige Vorsitzende Georg Wieser der Arbeitsgemeinschaft begrüßt alle Anwesenden recht
herzlich und eröffnet die Sitzung. Werner Pevetz, der die Arbeitsgemeinschaft 1974 initiierte und bis 2000
koordinierte, gibt einen kurzen Bericht über die Geschichte dieser Vortragsreihe.
Im ersten Teil der Sitzung berichtet Janna Luisa Pieper über erste Ergebnisse der laufenden bundesweiten
qualitativen Forschung zu „Landwirtschaftlichen Betriebsleiterinnen in Deutschland“. Pieper studierte
Agrarwissenschaften in Göttingen und Wageningen/NL. Sie schloss ihr Masterstudium mit einer Arbeit
zum Thema „Der Prozess der Repeasantization in Deutschland – eine qualitative Studie“ ab. Seit 2019 ist
sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Soziologie Ländlicher Räume der
Georg-August-Universität Göttingen. Dort ist sie leitend im Göttinger Forscherinnenteam des vom
deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten Projekts zur
Lebenssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland tätig. In ihrer Forschung
beschäftigt sie sich mit Geschlechterverhältnissen in der Landwirtschaft, Existenzgründer*innen in der
Landwirtschaft, nachhaltigen Landwirtschaftssystemen, Peasant Farming sowie landwirtschaftlichen
Protestbewegungen und qualitativen Methoden in den Agrarwissenschaften.

     I)   Einleitung
Geschlechtergerechtigkeit, Gender Mainstreaming, Gleichstellung – das Ziel, Chancengleichheit für alle
Geschlechter zu schaffen, wurde lange Zeit vom politischen Mainstream als „Gedöns“ abgetan. Nun
findet es sich in den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen wieder und ist auch in
der europäischen (und deutschen) Politik zur Querschnittsaufgabe geworden. Über ein Drittel des
Gesamthaushalts der EU besteht aus Mitteln für die Gemeinsame Agrarpolitik, die zu großen Teilen der
Subventionierung der Landwirt*innen in der EU dienen (Europäisches Parlament 2021). Dabei werden die
Direktzahlungen vor allem Männern ausgezahlt, denn das Gros der landwirtschaftlichen Betriebe in der
EU wird von Männern geführt (s. Abb. 1). Mit 10 % Frauen, die alleinige Betriebsleiterinnen sind, rangiert
Deutschland im europäischen Vergleich auf den letzten Plätzen (Europäische Kommission 2019). In Hinblick
auf Geschlechtergerechtigkeit in der Landwirtschaft drängt sich dementsprechend die Frage auf, warum
so wenige Frauen in Deutschland landwirtschaftliche Betriebe leiten und wie deren Anzahl erhöht
werden könnte.
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Abbildung 1: Betriebsleiterinnen in Deutschland

Über Betriebsleiterinnen in Deutschland ist bislang wenig bekannt. Aktuelle Forschung gibt es kaum.
Neue, auch internationale, Daten zu Betriebsleiterinnen belegen, dass immer mehr Frauen in der Führung
von landwirtschaftlichen Betrieben involviert sind. Aus Zensusdaten (USDA 2019) geht hervor, dass in
den USA 36% der landwirtschaftlichen Betriebe von Frauen geführt werden. Im Gegensatz zu Angaben
aus der deutschen Agrarstatistik, werden in den USA auch Frauen erfasst, die gemeinschaftlich einen
landwirtschaftlichen Betrieb führen. Daher sind die Daten nur eingeschränkt vergleichbar. Die aktuellste
deutsche Befragung zum Thema Frauen in der Landwirtschaft, die bayerische Bäuerinnenstudie aus dem
Jahr 2020, hat allerdings auch die gemeinsame Betriebsleitung abgefragt. Dort gaben 50% der befragten
Frauen an, zusammen mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin einen landwirtschaftlichen Betrieb zu leiten,
lediglich 8% bezeichneten sich als alleinige Betriebsleiterin (Dehoff & Roosen 2020, S. 7). Unklar ist an
dieser Stelle indes, inwieweit die Selbstbezeichnung auch auf die tatsächliche juristische
Eigentumssituation bezogen ist.
Aus internationalen Studien und Daten der letzten zehn Jahre wird ein weiterer Trend ersichtlich. In den
USA sind Frauen häufig landwirtschaftliche Existenzgründerinnen (USDA 2020). Zudem zeigen Studien
aus Großbritannien (Burton et al. 2003), Portugal und Italien (Dinis et al. 2015), Irland (Läpple 2012) sowie
den USA (Sachs et al. 2006), dass weibliche Betriebsleiterinnen ihre Höfe häufig ökologisch bewirtschaften.
Lässt sich daher eine feministisch-ökologische Transformation der Landwirtschaft konstatieren, wie sie
beispielsweise die amerikanischen Agrarsoziologinnen um Carolyn E. Sachs in ihrer „Feminist-Agrifood
Systems Theory (FAST)“ für das Agrarsystem in Pennsylvania beschreiben (Sachs et al. 2016)?
Anhand erster Erkenntnisse aus dem Projekt „Die Lebenssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen
Betrieben in ländlichen Regionen Deutschlands – eine sozioökonomische Analyse“ soll diese Theorie von
Sachs et al. (2016) überprüft werden. Das auf drei Jahre (Februar 2019 – August 2022) angelegte
Forschungsprojekt wird vom Lehrstuhl Soziologie Ländlicher Räume der Georg August Universität Göttingen,
gemeinsam mit dem Thünen Institut für Betriebswirtschaft in Braunschweig in Kooperation mit dem
Deutschen Landfrauenverband e.V. durchgeführt. Es wird vom deutschen Bundesministerium für Ernährung
und Landwirtschaft (BMEL) finanziert.
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    II) Forschungsdesign
Das Projekt arbeitet mit einem Mixed-Methods-Forschungsdesign, bestehend aus Regionalen Workshops
(Winter 2019/20) (11, n=128) mit offenen Gruppendiskussionen (mit erzählgenerierender Einstiegsfrage,
Dauer ca. 3,5 Stunden), qualitativen Einzelinterviews (50 - 60 narrative, biografische Interviews) und einer
bundesweiten Online-Befragung (November 2020 – April 2021). Im Winter 2021/22 finden anschließend
Ergebnis-Workshops statt. Dieser Beitrag konzentriert sich hauptsächlich auf die ersten Ergebnisse der
qualitativen Interviews. Es werden erste Eindrücke und Analyseschritte aus dem laufenden
Forschungsprozess präsentiert.
Da bisher nur wenig über die Lebens- und Arbeitssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben
in Deutschland bekannt ist und die letzte deutschlandweite Studie noch in der Vorwendezeit
durchgeführt wurde, bot es sich nicht an, die Forschung mit einem vorgefertigten Hypothesensatz zu
beginnen. Es galt zunächst, zur Felderkundung eine explorative Studie durchzuführen, um nähere
Informationen über die Situation der Frauen in der Landwirtschaft in Deutschland zu gewinnen. Deshalb
fiel die Wahl auf den Forschungsansatz der Grounded Theory nach Strauss und Corbin (1996). Hierzu
wurden qualitative leitfadengestützte Interviews nach der Vorgehensweise von Rosenthal & Loch (2002)
entworfen, die aus folgenden Phasen bestehen:
Zunächst wird den Frauen eine (i) narrative Einstiegsfrage gestellt. Anschließend folgt der (ii) interne
Nachfrageteil zu den von den Frauen angesprochenen Themen. Abschließend werden (iii) externe
Nachfragen u.a. zu Selbstbezeichnung, Bewirtschaftungsstil (bei Landwirtinnen), Schwangerschaft und
Stillzeit,  Krankheiten,     soziale   Absicherung,    Hofnachfolge,   Ausblick   in    fünf     Jahren,
positivstes/schwierigstes Erlebnis einer Lebensphase gestellt.
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Abbildung 2: Sample Betriebsleiterinnen

             © Pieper 2021

Für die Studie konnten bisher 21 Interviews in acht Bundesländern durchgeführt werden. Unter diesen
Frauen befanden sich neun de facto Betriebsleiterinnen und zwei angehende Hofnachfolgerinnen im Alter
zwischen 29 und 56 Jahren. Die Betriebe der Frauen decken ein breites Spektrum ab: Von Ackerbau,
Saatgutvermehrung im kleinen Stil, bis hin zum klassischen Milchviehbetrieb und zur
Legehennenhaltung. Insgesamt sind sieben ökologisch wirtschaftende Betriebe im Sample enthalten.
Die Analyse der erhobenen Interviews erfolgte entsprechend den Maximen der Grounded Theory und den
von Strauss und Corbin (1996, 43ff.) entwickelten Kodierverfahren. Dabei wurden die anonymisierten und
transkribierten Interviewtexte im Sinne eines „offenen Kodierens“ (Strauss & Corbin 1996, 44) zunächst
„line-by-line“ gelesen, um einzelne Phänomene herauszuarbeiten und zu benennen. Die so gewonnenen
„Konzepte“ (Strauss & Corbin 1996, 45) konnten durch beständiges Vergleichen zu – abstrakteren -
„Kategorien“ (ebd.) gruppiert und zusammengefasst werden. (u. a. „Sozialisation“, „Ausbildung“,
„Wirtschaftsphilosophie“). Diese dienten als relevante Vergleichsdimensionen, nach denen sich dann die
jeweiligen Interviews einordnen ließen. Im weiteren Kontrastieren der Aussagen zu diesen Kategorien,
ließen sich unterschiedliche Betriebsleiterinnen-Typen herauskristallisieren, die im folgenden Kapitel
vorgestellt werden.

    III) Betriebsleiterinnentypen
Im Jahr 2010 wurden österreichische Betriebsleiterinnen von Theresia Oedl-Wieser und Georg Wiesinger
untersucht (Oedl-Wieser & Wiesinger 2010). Die von ihnen entwickelte Kategorisierung (Abb. 3) basiert auf
de jure Betriebsleiterinnen. Nur die letzten beiden Kategorien beziehen sich auch auf de facto
Betriebsleiterinnen; also Betriebsleiterinnen, die gemeinsam mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin den
Betrieb leiten und weiterentwickeln sowie den Betriebsleiterinnen, die den Betrieb selbständig führen, ihn
weiterentwickeln und neue Akzente und Innovationen setzen.
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Abbildung 3: Sample Betriebsleiterinnen-Kategorien nach Oedl-Wieser & Wiesinger (2010)

             © Pieper 2021

Die beiden letzten Kategorien stellen den Ansatzpunkt für eine weiterführende Typologisierung dar.
Anders als bei der österreichischen Studie, ist in der vorliegenden deutschen Untersuchung die de jure
Situation der Betriebsleiterinnen im Vorfeld unbekannt. Mit Ausnahme der Interviewpartnerinnen, die
den elterlichen Betrieb noch nicht übernommen haben, handelt es sich um de facto Betriebsleiterinnen.
Die folgenden drei Betriebsleiterinnentypen weisen jeweils gemeinsame Orientierungsmuster auf, die sich
von denen der anderen Typen unterscheiden. Diese Typologie erhebt keinen Anspruch auf
Vollständigkeit. Es wird ein Ausschnitt des derzeitigen Analysestandes vorgestellt, die Forschung ist noch
nicht abgeschlossen.

            a. Die systematisch sozialisierte Hofnachfolgerin
Die systematisch sozialisierte Hofnachfolgerin stammt aus einem großbäuerlichen, fast schon
aristokratischen Milieu. Sie hatte „das große Glück keinen Bruder zu haben“. Um die genealogische Linie zu
erhalten, wurde sie als älteste Tochter schon als Jugendliche zur Hofnachfolgerin bestimmt und
systematisch und planvoll vom Vater und anderen Familienmitgliedern darauf vorbreitet. Dazu gehörten
Stationen, wie die landwirtschaftliche Lehre auf gezielt auserwählten Betrieben, Praktika in der
Finanzwelt und ein Studium der Agrarwissenschaften. Es fällt auf, dass dieses Vorgehen stark den
Beobachtungen des Soziologen Roland Girtler über die Erziehung und Biografieplanung von
Jungaristokraten ähnelt (Girtler 1994, S. 348f). Auch in diesem Fall traut sich die auserkorene
Hofnachfolgerin nicht, gegen die familiären Erwartungen aufzubegehren. Sie beschreibt ihren
Bildungsweg folgendermaßen: „Also ausgesucht habe ich mir das so nicht. Sondern auch da stand [ich] unter der
Fuchtel der Familie, die meinten, man müsste mir ´n richtig schönen Lebenslauf schnitzen mit dem ich was werden
kann.“ Paradoxerweise ermöglicht ihr der Klimawandel einen Bruch mit den Familientraditionen. Die
Aussicht, dass nachfolgende Generationen aufgrund von Trockenheit ohnehin in naher Zukunft keine
traditionelle Landwirtschaft mehr gewinnbringend betreiben können, entlastet sie. So baut sie den Betrieb
nach der Hofübergabe, ihren Vorstellungen entsprechend, zu einem nicht zertifizierten Öko-Betrieb mit
Direktvermarktung um.

            b. Die autonomen Existenzgründerinnen
Die autonomen Existenzgründerinnen stehen im krassen Kontrast zu der systematisch sozialisierten
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Hofnachfolgerin. Sie „kommen nicht vom Hof“, sondern aus dem kleinbürgerlichen bis bürgerlichen
Milieu. Sie haben alle mindestens Abitur. Aufgrund von positiven Erfahrungen aus der Kindheit und
Jugend mit Land- oder Forstwirtschaft, entschließen sie sich, ein agrarwissenschaftliches Studium oder
eine landwirtschaftliche Ausbildung zu absolvieren. Einige sind auch Quereinsteigerinnen, die zuvor ein
anderes Studium abgeschlossen oder abgebrochen haben. Sie eint eine politische und ökologische
Motivation, sowie ein Streben nach Selbstverwirklichung und Lebensqualität. Die autonomen
Existenzgründerinnen nehmen ihre Betriebsgründungen unter prekären Bedingungen vor. Einige von
ihnen haben aus der Arbeitslosigkeit heraus ihre Höfe aufgebaut. Sie finden kreative Lösungen, um den
Mangel an Eigenkapital auszugleichen, z.B. durch Crowdfunding oder Privatdarlehen. Alle betreiben
ökologischen Landbau mit Direktvermarktung und leben in unkonventionellen Lebensformen, z.B.
Patchwork-Familien, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder sie sind alleinerziehend. Ein großer
Unterschied zur systematisch sozialisierten Hofnachfolgerin besteht auch in der Flexibilität dem Betrieb
gegenüber. Der Zeithorizont ihres Betriebes ist nicht auf Dauer angelegt. Eine Interviewpartnerin erklärte:
„[…] wenn wir in 20 Jahren beschließen, wir wollen jetzt keinen Hof mehr machen, dann verkaufen wir ihn, dann
machen wir ihn nicht, dann machen wir etwas anderes. Also es sagt uns niemand, was wir tun müssen.“
Autonomie spielt in vielen Lebensbereichen dieses Betriebsleiterinnentypus eine zentrale Rolle.

             c. Die ausgebremsten Hofnachfolgerinnen
Von den Frauen, die bereits de facto und de jure Betriebsleiterinnen sind, kommen wir nun zu jenen, die
es noch werden wollen. Diese ausgebremsten Hofnachfolgerinnen sind nicht als Hofnachfolgerinnen
sozialisiert, obwohl sie teilweise auch von Töchterbetrieben stammen. Dementsprechend haben sie
zunächst keine landwirtschaftliche Ausbildung absolviert. Erst als sich später ihr Wunsch festigte,
Betriebsleiterin zu werden, studierten sie Agrarwissenschaften und schlossen das Studium erfolgreich ab.
Es steht kein konkreter Zeitpunkt für die Hofübergabe fest und sie befinden sich diesbezüglich in einem
andauernden Verhandlungsprozess mit ihren Eltern. Bis dahin sind sie außerlandwirtschaftlich
beschäftigt, allerdings auch in landwirtschaftsnahen Bereichen. Dies stellt für sie eine Art Zwischenstation
dar. Nebenbei helfen sie auf dem elterlichen Betrieb mit. Der Übernahmewunsch wird von den Eltern
noch nicht erfüllt und die Hofübergabe an bestimmte Bedingungen geknüpft, wie z.B. das Vorhandensein
eines geeigneten Partners. Eine Interviewpartnerin erzählt: „Und dann merkte ich halt, dass sie da irgendwie
reserviert waren und habe da auch nachgefragt, ´Was ist jetzt so das Problem?´ ´Ja und mmh, wir sehen das so als
Problem, dass Du eben keinen Partner hast. Wie willst du das alles selber machen?´ Und dann habe ich gesagt, ´Ja
gut, man kann sich ja Hilfe holen. Oder man strukturiert es irgendwie so, dass es geht, oder zur Not muss man
jemanden anstellen, oder einen Lehrling haben, oder was auch immer.´ Ja, das müsste man alles bezahlen und so. Ist
mir auch klar, dass man die Leute bezahlen muss, dass die das nicht für Lau machen, aber für mich war das nie so ein
Hinderungsgrund eigentlich.“ Bei den Betrieben der ausgebremsten Hofnachfolgerinnen oder den
„zukünftigen Betrieben“ handelt es sich um konventionellen Landbau. Die potentiellen
Hofnachfolgerinnen haben bereits Businesspläne entwickelt und teilweise auch schon in die Betriebe der
Eltern investiert, ohne dass die Hofübergabe klar geregelt ist.

    IV) Barrieren auf dem Weg zur Betriebsleiterin
Ausgehend von den konkreten Betriebsleiterinnentypen, stellt sich auf einer abstrakteren Ebene die Frage,
warum verhältnismäßig wenige Frauen in Deutschland einen landwirtschaftlichen Betrieb (alleine)
führen. Daher steht hier der Weg von Frauen zur Betriebsleiterin im Fokus. Frei nach Simone de Beauvoir
(1949) „Man kommt nicht als Frau [in unserem Zusammenhang: als Betriebsleiterin] auf die Welt, man wird es“.
Daher lohnt ein Blick auf die Barrieren, denen sich Frauen auf diesem Weg gegenübersehen.
Im Rahmen der Studie konnten bisher folgende blockierende Aspekte identifiziert werden. Die Zitate
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stammen zum Teil auch aus Gruppendiskussionen und sind daher nicht nur auf Aussagen von
Betriebsleiterinnen zurückzuführen. Dabei wird chronologisch, entlang einer gedachten Lebenslinie,
vorgegangen.

            a. Verinnerlichte patrilineare Vererbungspraxis
Die erste Barriere stellt eine verinnerlichte patrilineare Vererbungspraxis dar. Die tradierte Vorstellung, dass
landwirtschaftliche Betriebe nur an männliche Nachkommen übergeben werden, ist auch bei den
befragten Frauen (ebenso wie bei ihren Familien) tief verankert. Dies geht sogar so weit, dass es für einige
Teilnehmerinnen an den Gruppendiskussionen als vollkommen selbstverständlich unterstellt wird, dass
die Hofnachfolge rechtlich so geregelt ist, dass der älteste Sohn erbt, obwohl diese gesetzliche Regelung
seit 1947 in Deutschland aufgehoben ist. „Das ist ja die Höfeordnung. Der älteste Sohn bekommt meistens den
Hof.“

            b. Geschlechterdifferenzierte Sozialisation
Die nächste Barriere für Frauen auf dem Weg zur Betriebsleiterin besteht in der geschlechterdifferenzierten
Sozialisation der Töchter und Söhne auf Höfen. Viele der befragten Frauen erzählen von
geschlechtsspezifischen Aufgaben für Kinder auf den Höfen, wie zum Beispiel eine Interviewpartnerin:
„Ich habe drei Brüder, selber, und eine Schwester. Und bei uns war das auch so auf dem Hof, dass die Brüder, die
gingen nach draußen, die konnten Trecker fahren und füttern. Und ich sollte dann irgendwie das Badezimmer
putzen, oder dann war meine Mutter mal weg, dann sollte ich kochen. Warum kann ich nicht Trecker fahren und
füttern?“
Landwirtschaftliches kulturelles Kapital wird oft nur den Söhnen weitergegeben und die Väter steuern
oder diktieren oft die Berufswahl der Kinder. Eine Interviewpartnerin erinnert sich folgendermaßen: „Also
mein Vater wollte unbedingt, dass ich eine hauswirtschaftliche Lehre mache und das war so sein Plan für mich. Und
da habe ich dann erst so zähneknirschend zugestimmt.“

            c. Zugang zu Ressourcen
Wer keine Hofnachfolgerin ist, kann durch außerfamiliäre Hofnachfolge, Pacht oder Kauf eines
landwirtschaftlichen Betriebes oder den Einstieg in eine Hofgemeinschaft trotzdem Betriebsleiterin
werden. Allerdings stellt sich der Zugang zu Land, Hofstellen und Kapital schwierig dar. Die Bodenpreise
in Deutschland befinden sich auf sehr hohem Niveau, der Kapitalbedarf für Neugründungen ist sehr hoch
und Förderprogramme für landwirtschaftliche Existenzgründer*innen sind sehr rar gesät.
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             d. Partnerschaft
Auch wenn Frauen in der glücklichen Lage sind, die auserkorene Hofnachfolgerin zu sein, können sie
trotzdem noch ausgebremst werden. Wenn sie z.B. im Rahmen eines Agrarstudiums an einer der
landwirtschaftlichen Kaderschmieden wie z.B. der Universität Göttingen auf dem dortigen Heiratsmarkt
fündig werden und ebenfalls einen Hofnachfolger oder Hofnachfolgerin kennenlernen, stehen sie vor
einem Dilemma: Schließt die geographische Distanz der beiden Betriebe eine Fusion aus, geraten die
Hofnachfolgerinnen oft wie selbstverständlich in die Rolle der Frau eines Landwirts. Somit befinden sie
sich zumeist in der Position der mithelfenden Familienangehörigen, statt selbst ihren Betrieb zu leiten.
Eine Interviewpartnerin erzählt von der Situation ihrer Tochter. „Sie möchte es natürlich liebend gerne hier
weitermachen. [Der Partner der Tochter] will im Leben nicht melken, das geht wirklich nicht, er ist ein Ackerbauer,
es ist so wie es ist. Da brauchen wir uns nichts vormachen, das ist so. Wenn, ist natürlich DA ihre Zukunft, da
warten wir jetzt einfach mal ab wie es wird. Also sie muss es auch nicht hier weitermachen, ganz bestimmt nicht.“
Andersherum ist das Fehlen eines Partners für manche Eltern ein Grund ihren Betrieb nicht an ihre
Tochter abzugeben, wie das Beispiel einer ausgebremsten Hofnachfolgerin zeigt. Heteronormative
Vorstellungen der Elterngeneration sowie überkommene Geschlechterbilder verhindern so die
Hofübernahme durch alleinstehende Frauen.

             e. Care-Arbeit
Eine weitere Hürde auf dem Weg zur Betriebsleiterin stellt die Care-Arbeit dar. Insbesondere bei der
gemeinsamen Betriebsführung mit einem Partner oder einer Partnerin stellt die Verantwortung für
Reproduktions- und Sorgearbeit eine Schwierigkeit dar. Eine junge eingeheiratete Agrarwissenschaftlerin
schildert ihre Lage folgendermaßen: „Also, ich als junge Frau, habe früher immer gedacht, das ist alles überholt,
die Frauen, die kochen und machen den Haushalt und so, heute machen wir das alles gleichberechtigt und so. Puh.
Aber jetzt stecke ich da so drinnen und ich weiß nicht, wie. (…) Aber das ist halt, wo ich so manchmal denke, wie
weit ist es eigentlich gekommen? Und komme ich da noch raus? “
Mit dem Eintritt in einen landwirtschaftlichen Haushalt, wird vielen der befragten Frauen automatisch
die Rolle der Hausfrau oder „Frau am Hof“ zugeschrieben. Trotz teils hochqualifizierter Ausbildung fallen
die zuvor emanzipierten Frauen in tradierte Rollen- und Familienmodelle zurück, die die Führung eines
Betriebes nicht vorsehen.
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             f.   Schwangerschaft und Stillzeit
Viele junge Betriebsleiterinnen beschäftigt die Frage, ob und wie sie Familienplanung und Betriebsleitung
miteinander vereinbaren können. In der meist körperlich beanspruchenden Landwirtschaft, stellt die
Schwangerschaft und Stillzeit eine kritische Phase für Frauen dar. Die Arbeitskraft einer Betriebsleitung
lässt sich nicht oder nur schwer durch einfache Betriebshilfe substituieren. Die finanzielle Lage des
Betriebs ist zudem ausschlaggebend dafür, ob überhaupt ein Wegfall der Arbeitskraft der Betriebsleiterin
und die Einstellung einer Vertretung möglich sind. Eine junge Betriebsleiterin beschreibt ihre Situation so:
„Aber ich möchte auch Kinder und ich möchte den Spagat schaffen und ich möchte weiter Landwirtschaft betreiben,
weil ich es halt einfach mache, nicht weil mir langweilig ist, sondern weil ich es halt einfach mache, weil ich etwas
erreichen möchte. Und ja, glaube ich, da ist so der größte Faktor, wo im Endeffekt nicht über das Scheitern
entscheidet, aber halt über das, wie es weitergeht.“
Die Entscheidung zwischen Kind oder Karriere, oder in diesem Kontext Baby oder Betrieb, stellt sich für viele
männliche Betriebsleiter nicht. Zwar konnten im Rahmen der Studie einige Frauen interviewt werden, die
sowohl Betriebsleiterin als auch Mutter sind, jedoch konnten diese Frauen beides nur durch Zuhilfenahme
externer Unterstützung ermöglichen. Im Rahmen der Forschung konnte bisher kein heterosexuelles Paar
gefunden werden, bei dem der Mann für die Pflege und Erziehung von Kindern hauptverantwortlich war
und die Frau die Betriebsführung übernahm. Dies trifft auch auf Fälle zu, in denen Männer
außerlandwirtschaftlich beschäftigt waren und theoretisch die Möglichkeit hätten, Elternzeit in Anspruch
zu nehmen.

    V) Ermöglichungsspielräume
Neben den Hemmnissen und Barrieren auf dem Weg zur Betriebsleiterin, existieren auch
Ermöglichungsspielräume. Im Folgenden werden erste Erkenntnisse in Bezug auf vorhandene
Spielräume, die Frauen ermöglichen Leiterin eines landwirtschaftlichen Betriebes zu werden, präsentiert.

             a. Sozialisation
Die bisherigen Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Sozialisation in diesem Zusammenhang eine
wichtige Rolle spielt. Eine Erziehung, die auf geschlechterdifferenzierte Aufgabenverteilung verzichtet,
und auch den Töchtern die landwirtschaftliche Praxis näherbringt, bildet einen entscheidenden
Grundstein für zukünftige Hofnachfolgerinnen.
             b. Existenzgründung
Die Gründung einer eigenen landwirtschaftlichen Existenz bietet Frauen, die über keinen Zugang zu einer
Hofstelle und Land verfügen, die Möglichkeit Betriebsleiterin zu werden. Dies trifft sowohl auf Frauen
zu, die nicht als Hofnachfolgerin auserkoren wurden, als auch auf diejenigen, die über keinen familiären
landwirtschaftlichen Hintergrund verfügen und als Quereinsteigerinnen zur Landwirtschaft kommen.
Die Klimabewegung wirkt in diesem Zusammenhang als Movens: Gerade junge Frauen, die nicht auf
einem Hof aufwuchsen, sich aber mit ökologischen und klimapolitischen Themen auseinandersetzen, sind
an einem Leben als Landwirtin auf einem eigenständig geführten Hof interessiert. Die bisher im Rahmen
der Studie untersuchten Existenzgründerinnen wirtschaften alle ökologisch. Da öffentliche
Förderprogramme für landwirtschaftliche Existenzgründungen sehr rar sind, greifen diese Frauen auf
teils kreative Finanzierungskonzepte zurück. Solidarische Netzwerke spielen hier eine wichtige Rolle, z.B.
bei der Finanzierung von Gründungsvorhaben durch Crowdfunding.
           c. Komplizenschaft
Zudem ermöglichen Formen der Komplizenschaft (Ziemer, 2013) gerade Existenzgründerinnen z.B. die
Finanzierung ihrer Vorhaben. Eine Gründerin erzählt davon folgendermaßen: „Nach zwei Jahren habe ich
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dann noch einen Gründungszuschuss vom Arbeitsamt beantragt. Den habe ich auch gekriegt, weil die Frau von
dieser Beratungsstelle so nett war, meine Zahlen so zu drehen, dass das klappt. Die wusste das, wie das aussehen
muss.“ Unter Komplizenschaft versteht Gesa Ziemer eine „neue Perspektive auf Kollektivität“ (Ziemer 2013).
Komplizenschaft stellt sich dann ein, wenn kreativ mit Strukturen umgegangen wird, wenn diese
verändert, adaptiert oder gar neu erfunden werden, um Möglichkeits- und Handlungsspielräume zu
schaffen.
            d. Verhandlungen
Auch in scheinbar festgefahrenen Situationen, wie etwa bei den ausgebremsten Hofnachfolgerinnen, ergeben
sich durch Verhandlungen Handlungsspielräume. Ihre kommunikativen und (land-)wirtschaftlichen
Kompetenzen, die die jungen Frauen im Rahmen ihrer Ausbildungen erwarben, nutzen sie, um ihre
Eltern von einer baldigen Übernahme des Betriebes zu überzeugen.
            e. Ausbildung und Studium
Ausbildung und Studium sind vor allem im Zusammenhang mit dem Erlernen von
Bewirtschaftungspraktiken, als Impulsgeber für nachhaltige Bewirtschaftung und beim Knüpfen von
Netzwerken von Bedeutung.
              f. Positive Modelle und Erfahrungen
Positive Modelle und Erfahrungen prägen gerade Frauen, die keinen landwirtschaftlichen Hintergrund
haben, in ihrer Berufswahl. Hier berichtet eine Interviewpartnerin von einem Betriebsleiter*innenpaar,
das sie nachhaltig beeindruckt hat: „Und dieses ganze Lebenskonzept und Modell. Und dieses so Feuer und
Flamme sein für die Sachen, die man tut, das ist mir da so ganz neu aufgegangen irgendwie. Und die
[Betriebsleiter*innen] waren für mich halt moralisch so überzeugend.“
            g. Organisation von Care-Arbeit
Die Organisation von Care-Arbeit in inner- und außerfamiliären Arrangements ist für die Frauen von
besonderer Bedeutung, um überhaupt ihre Funktion als Betriebsleiterin wahrnehmen zu können. Diese
unterschiedlichen Care-Arrangements sind teils sehr unkonventionell: Eine Befragte stellt ihre Mutter als
Kinderbetreuung auf dem Betrieb an. Eine weitere teilt sich die Kinderbetreuung mit anderen Frauen in
ihrer Hofgemeinschaft.

    VI) Eine feministisch-ökologische Transformation der Landwirtschaft?
Um nun den Bogen zur anfänglich gestellten These zu schließen: Lässt sich eine feministisch-ökologische
Transformation der Landwirtschaft konstatieren? Die zuvor präsentierten Ermöglichungsspielräume
belegen, dass Transformationen in der Landwirtschaft in Bezug auf Geschlechterverhältnisse stattfinden.
Bei den untersuchten (angehenden) Betriebsleiterinnen handelt es sich, wie bei den von Sachs et al.
Befragten Landwirtinnen in Pennsylvania, um eine Gruppe von Frauen, die auf unterschiedliche Art und
Weise etablierte landwirtschaftliche Strukturen durchbrechen und neue Formen der Bewirtschaftung für
sich entdecken. „They are crafting a model of agricultural production and food provision, which we describe as
feminist agrifood systems, that strives to be environmentally sound, socially just, and transformative for rural
gender relations.” (Sachs et al., 2016, S. 144)
Bei der Durchführung der Interviews stellte sich aber immer wieder heraus, dass sich Frauen als
Betriebsleiterin bezeichnen, diese Funktion auch de facto ausüben, jedoch de jure nicht am Betrieb beteiligt
sind – und in manchen Fällen sogar noch zusätzlich für hohe Kreditsumme haften. Die Diskrepanz
zwischen der Identifikation als Betriebsleiterin und der rechtlichen Situation stellt einen entscheidenden
Punkt bei der Bewertung der Geschlechtergerechtigkeit der Landwirtschaft dar.
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Die Forscherinnen um Carolyn E. Sachs argumentieren, dass die Identifikation als Landwirtin schon eine
feministische Tat darstellt: „Farm women are increasingly identifying as farmers. We argue that identifying as a
farmer is a feminist move within the traditional agricultural community and a challenge to longstanding patriarchal
relationships in farm households and communities in which women were typically viewed as farm wives.” (Sachs et
al., 2016, S. 143)
Dem gegenüber stehen            allerdings    die    -   noch     immer   vorwiegend   patriarchal   geprägten    -
Besitzverhältnisse.

Abbildung 4: Verteilung des landwirtschaftlichen Landbesitzes nach Geschlecht, globale und regionale
             Durchschnittswerte

             © FAO 2018, www.fao.org/3/I8796EN/i8796en.pdf

In dieser Abbildung werden die Grenzen der Transformation der Geschlechterverhältnisse in der
Landwirtschaft ersichtlich. Die Grafik zeigt allerdings Landbesitz und nicht landwirtschaftliche Betriebe,
daher sind diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Trotzdem geben sie einen Hinweis darauf, dass es
einen Gender Gap bezüglich der Landrechte gibt und damit gegebenenfalls auch einen Gender Gap beim
Betriebseigentum. Die Besitzverhältnisse haben sich somit nicht grundlegend geändert – auch wenn sich
mehr Frauen als Betriebsleiterin identifizieren. Die Identifikation als Landwirtin oder Betriebsleiterin
allein stellt daher keine grundlegende Transformation der Geschlechterverhältnisse in der Landwirtschaft
dar.
Die Transformationsprozesse scheinen sich in den von mir betrachteten Fällen bisher vor allem im Bereich
der Bewirtschaftungsphilosophie und -praxis zu ereignen. D.h. die Besitzverhältnisse sind noch immer
patriarchal geprägt. Die Transformation der Geschlechterverhältnisse kommt beim Aspekt der Care-Arbeit
an ihre Grenzen. Die Geschlechterverhältnisse wandeln sich auch dort nicht grundlegend, da noch immer
vorwiegend Frauen für die Care-Arbeit zuständig sind, obwohl sie Betriebsleiterinnen sind.

    VII)     Feministisch-ökologische Transformation der Landwirtschaft oder Repeasantization?
Da sich die Transformationen hauptsächlich auf der Ebene der Bewirtschaftungsphilosophie und -praxis
vollziehen und sich insbesondere bei den Besitzverhältnissen und Geschlechterverhältnissen kein
grundlegender Wandel ergibt, handelt es sich meiner Einschätzung nach eher um einen Teil des Prozesses
der Repeasantization.
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Mit Repeasantization ist eine Rückbesinnung auf bäuerliche Landwirtschaft gemeint, wie sie bereits in
vielen Ländern weltweit beobachtet wurde (z. B. in den USA: Nelson & Stock 2016), in den Niederlanden
und Latein Amerika (van der Ploeg 2008), in Italien (Carrosio 2014) sowie in Spanien (de Almeida et al. 2014).
Der niederländische Agrarsoziologe Jan Douve van der Ploeg hat in seinem Grundlagenwerk „The New
Peasantries“ die These aufgestellt, dass insbesondere in Europa ein fortschreitender Prozess der
Repeasantization zu verzeichnen sei (van der Ploeg 2008, S. 1 f.).
Die Agrarsoziologinnen um Carolyn Sachs würden vermutlich widersprechen und argumentieren, dass es
sich gerade um die Art und Weise handelt, wie Frauen Landwirtschaft betreiben und deshalb von einer
feministischen    Transformation    auszugehen    sei.  Die    Zuschreibung        von    nachhaltigen
Landwirtschaftspraktiken und Direktvermarktung als spezifisch weiblicher Beitrag ist jedoch kritisch zu
betrachten. Schon in den 1970er Jahren hat Karin Hausen gezeigt, dass die Polarisierung von
Geschlechtercharakteren in einem sozioökonomischen Zusammenhang mit der geschlechtsspezifischen
Arbeitsteilung steht (Hausen 1976).
Was bedeutet dies nun in Bezug auf Landwirtschaft? Ist davon auszugehen, dass nur Frauen die
Verantwortung für das Wohlergehen des Bodens, der Tiere und Pflanzen und des Ökosystems
übernehmen und Männer nicht? Nachhaltige Bewirtschaftungsphilosophien sind jedoch nicht
genderspezifisch.
Diejenigen Frauen, die auf van der Ploegs Definition der „Peasant Condition“ (van der Ploeg 2008, S. 18 ff.)
zutreffen, sind eher als Teil der Repeasantization, als „Female Peasants“ anzusehen. Sie streben nach
Autonomie - und das nicht nur in ihrer Bewirtschaftung, sondern auch in ihren Partnerschaften. Viele der
befragten Frauen, die in diese Peasant-Kategorie fallen, sind alleinerziehend oder leben in
gleichberechtigten Partnerschaften. Pluriaktivität stellt für fast alle Frauen eine Notwenigkeit dar, denn
gerade Existenzgründerinnen verfügen über wenig Land und müssen über die Weiterverarbeitung ihrer
Produkte und Direktvermarktung überhaupt erst Gewinn erzielen. (Female) Peasants „machen sich
verwandt“, wie Donna J. Haraway es nennt (Haraway 2018, S. 140). Sie entwickeln eine Care-Beziehung zu
den Mikroorganismen, Materialien und dem Ökosystem, in und mit denen sie wirtschaften.
Eine Interviewpartnerin beschreibt ihre Beziehung zu ihrem Hof folgendermaßen: „Also meine richtigen
Kinder sind meine ersten Kinder, der Betrieb kommt schon erst danach, aber es ist schon so, dass ich das empfinde
wie einen Organismus den ich behüten darf und muss.“ Im Sinne von Donna Haraway hat sie sich mit ihrem
Betrieb und dem Ökosystem ihres Betriebes verwandt gemacht: „[…] alle Erdlinge [sind] im tiefsten Sinn
verwandt. Und es ist höchste Zeit, besser für Arten-als-Gefüge Sorge zu tragen (nicht für Spezies, jede für sich).“
(ebd. S. 142).
Diese Beziehung des „sich verwandt machens“ findet sich so ähnlich auch bei van der Ploeg wieder, wenn er
über Koproduktion (mit allen beteiligten Entitäten) oder über die gemeinsame Ressourcenbasis spricht. Die
Autorinnen Andrea Heistinger, Elisabeth Kosnik und Gabriele Sorgo beschreiben diese
Bewirtschaftungspraxis als „Sorgsame Landwirtschaft“ (Heistinger und Kosnik 2020). Allerdings besteht der
Unterschied zwischen den (Female) Peasants und der „Sorgsamen Landwirtschaft“ darin, dass das „sich
verwand machen“ nicht nur auf ökologisch produzierende Landwirt*innen bezieht, wie es bei Heistinger et
al. der Fall ist. Auch Betriebsleiter*innen, die nicht (zertifizierten) ökologischen Landbau betreiben, fallen
in diese Kategorie. Ähnlich wie bei der Peasant Condition geht es vielmehr um die Philosophie und
tatsächliche Praxis des Wirtschaftens
Die Gretchenfrage bleibt aber auch bei den (Female) Peasants: Wie halten sie es mit der Aufteilung der
Care-Arbeit im Familienkontext? Aus der in diesem Rahmen vorgestellten Forschung kann bisher nur
berichtet werden, dass dort nur an wenigen Stellen eine egalitäre Aufteilung Praxis ist.
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Diskussion
Pevetz (ehem. Bundesanstalt für Agrarwirtschaft Wien): Ich habe einen ergänzenden Kommentar, einen
Aspekt, der in Ihrem Vortrag nicht angeklungen ist. Die Anzahl der Befragten ist ja sehr gering. In den
verschiedensten landsoziologischen Erhebungen hat sich immer wieder gezeigt, dass die sehr
unterschiedlichen Frauenbetriebe meistens kleinere Betriebe waren und Betriebe ohne Hofnachfolger bzw.
solche Betriebe, wo der Hofnachfolger aus der Landwirtschaft ausgeschieden ist und einen anderen Beruf
ergriffen hat, weil der Hof an sich für die Gründung einer Familie zu klein gewesen wäre. Dann ist halt
eine Tochter aus Verantwortungsgefühl bei den Eltern geblieben, ist mit den Eltern alt geworden, hat
schließlich die Eltern überlebt und den Hof irgendwie recht und schlecht ohne besondere Änderungen
weitergeführt. Das eine oder andere, was ihr zu mühsam war, hat sie aufgegeben und dann, wenn sie eine
eher dürftige Bauernpension bezogen hat, den Hof ausklingen lassen. Das war in verschiedenen Fällen
ungefähr die Situation von Frauenbetrieben in verschiedenen Gebieten z.B. im Waldviertel, in der
Steiermark oder in Tirol. Verantwortung für die Eltern, Verantwortung auch für den Betrieb, den man
nicht aufgeben darf usw. waren die Hauptmotive. Es zeigte sich stärkere Verantwortungsbereitschaft bei
Frauen, die schließlich sozusagen in der Landwirtschaft übriggeblieben sind.
Pieper: Keine Frage, diese Frauen gibt es sicherlich auch. Allerdings ist unsere Forschung ja noch gar
nicht abgeschlossen. Wegen Corona konnten wir bisher nur 21 Interviews durchführen. In den
Gruppendiskussionen klang das teilweise auch so an, dass es Frauen gibt, die aufgrund der Verhinderung
von Geschwistern, meistens Brüdern, um diesen Familienauftrag zu erfüllen, den Betrieb der nächsten
Generation weiterzugeben, das dann einfach übernehmen, auch wenn sie gar keinen landwirtschaftlichen
Hintergrund haben. Im Rahmen meines Vortrags wollte ich vor allem die innovativeren Typen
präsentieren, oder diejenigen die in der Literatur bisher noch keine so große Beachtung gefunden haben.
Gerade diese systematisch sozialisierten Hofnachfolgerinnen konnten bei Oedl-Wieser & Wiesinger (2011) nicht
gefunden werden. Daher wollte ich gerade diese präsentieren.
Raue (von Thünen-Institut, Institut für Ländliche Räume, Braunschweig): Mir ist aufgefallen, dass keine
Interviewpartnerinnen aus den norddeutschen Intensivregionen dabei waren. Gab es dort keine
Betriebsleiterinnen? Daran anschließend, könnte es sein, dass Frauen bei kleineren Betrieben eher
Chancen haben, Betriebsleiterin zu werden als bei großen?
Pieper: Wie gesagt, die Forschung ist noch nicht abgeschlossen. Wir haben noch bis August 2022 Zeit, die
restlichen Interviews durchzuführen. Insgesamt sind noch 40 weitere Interviews geplant. Dass wir in den
norddeutschen Gebieten noch nicht waren, ist einfach Zufall. Meine Beobachtung ist, dass es bei den
Existenzgründerinnen eher kleinere Betriebe sind, was natürlich auch daran liegt, dass der Zugang zu
größeren Flächen alleine durch den Kapitalbedarf begrenzt ist und auch durch das Angebot. Zudem ist es
für viele Frauen auch nicht möglich, große Betriebe mit mehreren Arbeitskräften direkt zu gründen, mit
denen sie auch dann größere Flächen bewirtschaften könnten. Bei kleineren Betrieben, die in den Familien
übergeben werden, ist es manchmal so, dass Frauen als Zweitnachfolgerinnen herangezogen bzw. auch
sozialisiert werden. Wenn sich dann im klassischen Fall der Bruder entschließt, diesen Betrieb nicht
weiterzuführen, weil es sich eben nicht lohnt, oder weil es ein Nebenerwerbsbetrieb ist, dann sind es dann
häufig die Frauen, die das übernehmen. Diese Beobachtung haben wir auch gemacht.
Larcher (Universität für Bodenkultur Wien, Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung): Eines
meiner Hauptforschungsthemen ist die Hofnachfolge. Aus österreichischer Sicht kann ich einige
Ergebnisse bestätigen. Auch ich habe gefunden, dass diese systematisch sozialisierten Hofnachfolgerinnen
eigentlich nur in Töchterbetrieben vorkommen. Auch wenn die Tochter die Erstgeborene ist, wird ihr
diese Rolle nicht zuteil. Der erste Sohn wird dann als Hofnachfolger festgelegt. Wie definieren Sie einen
kleinen Betrieb? Wir haben in Österreich die Situation, dass wir über 50% Nebenerwerbsbetriebe haben.
Gerade bei der Hofnachfolge haben wir die Beobachtung gemacht, dass Frauen vorwiegend
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Nebenerwerbsbetriebe übernehmen. Es wurde bereits angeführt, dass da die Frauen eine gewisse
Substitutionsfunktion haben, weil sie aus Verantwortungsgefühl, wie bereits Pevetz gesagt, die Söhne die
Höfe nicht übernehmen wollen. Sie übernehmen den Betrieb weniger aus wirtschaftlichen Motiven,
sondern aus familiären Motiven, um den Hof bzw. die Tradition zu erhalten. Wie groß sind die Höfe der
autonomen Existenzgründerinnen? Wir wissen aus der Studie von Oedl-Wieser & Wiesinger (2011), dass diese
sehr kleine Betriebe führen. Können diese Betriebe überhaupt für den Lebensunterhalt sorgen oder ist das
vielleicht nur ein ausgedehntes Hobby, welches querfinanziert werden muss? Weil dann stellt sich für
mich die Frage, ob man diese wirklich als Betriebsleiterinnen definieren sollte. Kennen Sie den Film
„80.000 Schnitzel“ von Hannah Schweier? Er ist berührend und erschütternd gleichermaßen, worin eine
junge Frau, eine studierte Meeresbiologin, den großelterlichen, völlig verschuldeten Betriebe alleine
übernimmt. Dieser Film passt wunderbar zu Ihrer Forschung.
Pieper: Die autonomen Existenzgründerinnen sind tatsächliche Betriebsleiterinnen. Das sind keine
ausgedehnten Hobbies. Von der Anzahl der Hektar her sind diese Betriebe nicht sonderlich groß, aber
diese Frauen haben sich Betriebe aufgebaut, die mit Direktvermarktung und Weiterverarbeitung auf dem
Hof funktionieren. Tatsächlich können sie teilweise sogar sehr gut davon leben, eine so gut, dass sie
aufgehört hat zu expandieren, den Betrieb zurückgebaut hat und trotzdem mehr Gewinn erwirtschaftet
als zu der Zeit als sie angefangen hat. D.h. es ist etwas irreführend diese Kategorie Hektar oder
Betriebsgröße zu betrachten. Man müsste an andere Kategorien denken, z.B. wieviel Gewinn sie
erwirtschaften oder welchen Lebensstandard sie mit der Art und Weise, wie sie produzieren, ermöglichen
können. Meistens sind das auch alleinstehende Frauen. Sie haben oft auch Kinder, aber nicht unbedingt
immer. D.h. auch, dass sie Einkommen vielleicht aus außerlandwirtschaftlichen Bereichen von einem
Ehepartner oder Ehepartnerin nicht heranziehen. Ich hatte tatsächlich eine Interviewpartnerin, die nicht
von einem Töchterbetrieb stammt und trotzdem als Hofnachfolgerin sozialisiert wurde. Das waren aber
auch keine kleinen Verhältnisse, ähnlich wie bei den systematisch sozialisierten Hofnachfolgerinnen fast schon
aristokratische Verhältnisse mit sehr viel Grundbesitz und sehr guter Bodenqualität. Da gab es viele
Möglichkeiten für die Kinder, sich zu entscheiden, welchen Berufsweg sie einschlagen wollen. Sie hatten
dann diese Tochter unterstützt, den Betrieb zu übernehmen und weiterzuführen. Die kleinen Betriebe,
von denen ich gesprochen habe, sind teilweise unter fünf Hektar groß. Auf einer anderen Ebene sind das
aber wieder keine kleinen Betriebe, es sind gewinnbringende Betriebe, von denen die Frauen sehr gut
leben können.
Untersberger (St. Peter in der Au): Ist mein Eindruck richtig, dass Ihre Studie darauf hinausläuft, dass
Frauen oft einen Platzhalter in diesem System abgeben sollen oder abgeben vor dem Hintergrund, dass
sie vielleicht auch als solche sozialisiert wurden? Ich denke dabei an den ganzen Bereich der Gesellschaft
ideologischer Projekte der Kultur und der Ökonomie. Ist meine Einschätzung in diesem Sinn richtig, oder
liege ich da völlig falsch? Vor kurzem wurde ich meinem einem Protokoll einer
Grundverkehrskommission in Österreich konfrontiert. Da wurde diskutiert, was ein leistungsfähiger
Betrieb und was ein lebensfähiger Betrieb ist. Es wurde dabei festgestellt, dass ein bloß lebensfähiger
Betrieb weder förderwürdig noch ein Zukunftsmodell wäre. Beinhaltet Ihr Projekt diese Fragestellung,
wie Frauen selber den Betrieb sehen? Ist es ein leistungsfähiger Betrieb und wie sie definieren und wenn
er nur lebensfähig ist, wie sie das definieren? Sie haben von Pluriaktivität gesprochen. Bezieht sich das auf
die betriebsinternen Abläufe oder bezieht sich das auf die Einordnung des Betriebs in das ökonomische
System, d.h. wie er nach außen hin finanziell oder arbeitsmäßig wirtschaftet, d.h. Nebenerwerb,
Zuerwerb, Haupterwerb? Wie ist das in Ihrer Studie abgedeckt?
Pieper: Es ist auf jeden Fall nicht so, dass unsere Studie darauf abzielt, Frauen als Platzhalterin auf
landwirtschaftlichen Betrieben einzuordnen. Es gibt, und darüber hatten wir auch schon diskutiert,
Tendenzen, dass Frauen, die kein landwirtschaftliches Studium oder landwirtschaftliche Ausbildung
absolviert haben, diese Platzhalterfunktion einnehmen im Sinne, dass sie die Familientradition als großes
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Ganzes sehen und sich nur als Stück oder Teil darin. Dieser Auftrag besteht, den Betrieb weiterzugeben
und nicht unbedingt selbst weiterzuentwickeln. Das schließt auch an die Studie von Oedl-Wieser &
Wiesinger (2011) an, die diese Betriebsleiterinnen charakterisiert haben als solche, die keine Innovation und
Weiterentwicklung hineinstecken. Diese Frauen habe ich erstmals in meinem Sample nicht darinnen
gehabt. In den Gruppendiskussionen waren sie teilweise dabei, besonders in Süddeutschland. Da müssen
wir noch einmal einen genaueren Blick darauf werfen. Wir sind ja noch in der laufenden Forschung und
es wird sicherlich spannend sein, da noch einmal genauer hinzuschauen. Zur Lebensfähigkeit der Betriebe
gibt es Fragen in unseren Interviews, wie die Frauen ihren Betrieb in fünf Jahren sehen. Wir fragen sie
auch zu ihrer Wirtschaftsweise und nach ihrer Wirtschaftsphilosophie. Wir haben jetzt noch keine
Definition entwickelt, was ist lebensfähig und wie die Frauen das selber einschätzen. Da sind wir noch
nicht angelangt. Das ist sicher ein interessanter Gedanke, den wir gerne aufnehmen. Pluriaktivität ist
sowohl innerlich als auch äußerlich auf den Betrieben vorhanden. Es gibt Betriebe, die
Nebenerwerbsbetriebe sind, wo die Frauen teilweise auch noch außerlandwirtschaftlich arbeiten, oder wo
eine Partnerin oder ein Partner zum Betriebseinkommen auch noch mitbeiträgt, indem eine
außerlandwirtschaftliche Beschäftigung da ist, oder dass ganz andere Betriebszweige in den
landwirtschaftlichen Betrieb integriert werden über Direktvermarktung, Weiterverarbeitung,
Bauernhofpädagogik oder sonstige Dinge.
Renhart (BMLRT Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, Abt. II/2
Koordination Ländliche Entwicklung und Fischereifonds): Aus Ihrer Sicht und zum jetzigen
Forschungsstand, welche Empfehlungen an staatliche Förderstellen würden Sie geben, um
Betriebsleiterinnen zu stärken bzw. systematische Barrieren abzubauen?
Pieper: Das ist natürlich auch für uns eine essentielle Frage, da wir im Auftrag des Bundesministeriums für
Ernährung und Landwirtschaft forschen und das sehr daran interessiert ist, politische
Handlungsempfehlungen daraus mitzunehmen. In Bezug auf Betriebsleiterinnen wäre die erste
Handlungsempfehlung, die wir herausgearbeitet haben, Existenzgründerinnen stärker zu fördern. Es gibt
kein bundesweites politisches Förderprogramm für Existenzgründung, also noch nicht einmal
geschlechterspezifisch, sondern ganz allgemein zur Existenzgründung in Deutschland. Es gibt keine
aktuellen Zahlen über Existenzgründung in Deutschland. Das wird nicht erfasst und schon gar nicht
geschlechterspezifisch erfasst. Das wäre ein erster Schritt, das überhaupt einmal zu erfassen, um zu sehen,
wie die Situation überhaupt aussieht und zweitens Fördermaßnahmen zu entwickeln. Denn es ist
eigentlich eine schwierige Situation, dass die meisten Gründerinnen in unserem Sample aus Hartz IV, d.h.
aus der Arbeitslosigkeit heraus, gegründet haben. Es gibt meines Wissens nach in Sachsen-Anhalt ein
Förderprogramm für Existenzgründung in der Landwirtschaft, aber ansonsten ist das ein ziemlich leeres
Feld. Darüber hinaus sollte man bei Ausbildung und Studium vielleicht auch noch einmal mehr
Gründungsfragen oder die Frage, wie wird man eigentlich Betriebsleiterin, und auch
geschlechterspezifische Sozialisation überhaupt in die Curricula integrieren, bzw. gerade in der
Meisterausbildung vielleicht auch nochmal auf geschlechterdifferenzierte Sozialisation oder den Umgang
mit Technik und andere Fragen weiter eingehen. Das sind sicherlich einige der Knackpunkte. Aber wir
sind noch nicht am Ende. Da folgt auch nochmal zu gegebener Zeit eine Zusammenfassung der
Handlungsempfehlungen, die wir gemeinsam im Projektteam abgeleitet haben.
Renhart: Werden diese Handlungsempfehlungen öffentlich zugänglich gemacht?
Pieper: Ja natürlich, da wird es von unserem Projektteam eine Veranstaltung geben, eine
Ergebniskonferenz, die eigentlich noch für dieses Jahr geplant ist, und es wird auch eine
Abschlusskonferenz nächstes Jahr geben. Davon werden Sie sicherlich erfahren.
Manzenreiter (Universität Wien, Institut für Ostasienwissenschaften, Abteilung für Japanologie): Meine
Frage richtet sich an die Bedeutung von lokalen und institutionellen Netzwerken. Spielen Akzeptanz und
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Unterstützung durch Nachbarbetriebe, Agrargenossenschaft bzw. Landwirtschaftskammer und auch
Peers aus der Alterskohorte eine Rolle für die Entscheidung, Betriebsleiterin zu werden und zu bleiben?
Pieper: Da haben Sie einen ganz entscheidenden Punkt angesprochen, denn gerade die Netzwerke spielen
bei den Betriebsleiterinnen nach meinen aktuellen Forschungsergebnissen eine große Rolle, z.B. gibt es,
wenn Sie Peers ansprechen ein emanzipatorisches Frauennetzwerk in Deutschland, das einen E-Mail-
Verteiler hat und auch Treffen durchführt. In diesem Rahmen bietet sich die Möglichkeit für Frauen, die
gegründet haben oder die angehenden Gründerinnen bzw. Hofübernehmerinnen sind, sich
auszutauschen und zwar in einem Frauenrahmen sich auszutauschen. Darüber hinaus sind lokale
Netzwerke wie z.B. Hofgemeinschaften oder Dorfgemeinschaften ziemlich entscheidend. Das hat sich z.B.
bei einer Gründerin gezeigt, die als Angestellte in diesem Netzwerk gestartet und schließlich als
Betriebsleiterin hervorgegangen ist, die dann Teil des Netzwerkes wurde und die sich auch Care-Arbeit
und andere Arbeiten und Maschinen mit Mitgliedern in der Dorfgemeinschaft und Hofgemeinschaft
geteilt hat. Landwirtschaftskammern kamen bei den bisherigen Interviews bisher nicht wirklich zur
Sprache. Teilweise war das bei anderen Frauen der Fall, wenn es um sozioökonomische Beratung ging
und in Konfliktsituationen, aber beim Thema Gründung war das bisher nicht der Fall. Es gibt auch
Gründungsseminare in Deutschland, z.B. von der AbL Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V.
organisiert, dann gibt es bestimmte Hochburgen des ökologischen Landbaus und Universitäten, wie z.B.
die Universität Kassel-Witzenhausen. Da gibt es einige Leute, die aus dem Studium dort heraus auch
gegründet haben. Da zeigt sich, dass diese Hochschulen und Universitäten Menschen anziehen, die
sowieso einen gewissen politischen und ökologischen Impetus haben. Andererseits ist es aber auch so,
dass dies Orte sind, an denen solche Werte weitervermittelt werden und wo auch Transformation
passieren kann. Das könnte natürlich auch dazu anregen, dass auch andere Universitäten mehr politische
und ökologische Gedanken hineinlassen.
Manzenreiter: Wir hatten ja bereits Gelegenheit uns im September 2019 im Rahmen der Österreichischen
Gesellschaft für Soziologie auf dem Dach der Universität Salzburg ein wenig über unsere
Forschungsinteressen auszutauschen. Damals hatte ich gehört, dass Sie mit Leuten kooperieren, die
spezifisch zu Japan und zu Betriebsgründerinnen und Betriebsleiterinnen in der Region am Arbeiten sind.
Aus diesem Kontext heraus kommen für mich automatisch diese Fragen. Die sind eingebettet in einem
lokalen Kontext, ob es nun die Familie, der Haushalt oder der Betrieb ist oder eben die Region, die es
leichter oder schwieriger machen, sich gegebenenfalls auch mit innovativen Konzepten wie, z.B. der
ökologischen Landwirtschaft, dann vor Ort durchzusetzen, wenn dann z.B. ein konservativer
Männerbund da andere Vorstellungen hat, wie man das richtig macht und immer schon gemacht hat.
Pieper: Wir sind immer noch mit Japan, mit der Universität Kyoto in Kontakt. Wir haben wahrscheinlich
dieses Jahr, sofern Corona es zulässt, auch Besuch von einer Doktorandin aus Kyoto, die mit mir
gemeinsam zu Betriebsleiterinnen forschen möchte, auch zu Peasants-Betriebsleiterinnen. Wir überlegen,
ob wir da nicht vielleicht gemeinsam eine Veröffentlichung machen sollen zum Thema Vergleich Japan
und Deutschland.
Van der Burg (Universität Wageningen, Social Sciences): Ich finde Ihre Studie sehr spannend und denke,
dass es nach Abschluss des Projekts viele Möglichkeiten geben wird, an diesem Thema weiterzuarbeiten,
am besten in einer gemeinsamen europaweiten Studie. Wir hatten bereits in den 1980er und 1990er viel
daran gearbeitet und dann ist es still geworden. Was ist da eigentlich passiert? Da kam ich auch auf die
Frage, dass die strukturelle Sache, wie die Forschung, die Institutionen, die landwirtschaftliche
Organisationen damals gefehlt haben. Man sollte das wie beim Green Deal machen, wo sich alle
zusammensetzen. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir im Oktober eine Konferenz machen, um auch
den globalen Vergleich weiter zu entwickeln. Viele Bauern finden keine Frauen mehr. Den
Existenzgründerinnen sollte daher von den Behörden eigentlich geholfen werden, damit sie leichter
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