ZEITUNG ZUM 25. JUBILÄUM DES LITERATURHAUSES KÖLN

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ZEITUNG ZUM 25. JUBILÄUM DES LITERATURHAUSES KÖLN
ZEITUNG ZUM 25. JUBILÄUM DES LITERATURHAUSES KÖLN

                                 25 Jahre Literaturvermittlung:
                                 Von der Gründungsversammlung
                                 bis ins Haus Bachem

                                 Wegbegleiter, Freunde und Förderer
                                 des Literaturhauses erinnern sich

                                 Ein Vierteljahrhundert Geschichten:
                                 Martini und Umberto Eco, Köln am
                                 Meer, Heinrich Böll in Quarantäne
                                 u.v.m.
ZEITUNG ZUM 25. JUBILÄUM DES LITERATURHAUSES KÖLN
2   25 JAHRE LITERATURHAUS KÖLN

    Grußwort                                         Editorial
    Schon lange ist das Literaturhaus Köln           D   as Literaturhaus Köln wird 25. Eine            Den Vorsitz des Vorstandes übergibt Ul-
    nicht mehr nur der Veranstaltungsort für         stolze Zahl – vor allem wenn wir sie über-         rich Wackerhagen am 7. Februar 2021
    qualitätsvolle Lesungen, als der es einmal       setzen: in die Anzahl der Gäste, die auf           in die Hände von Wolfgang Schmitz.
    gestartet ist. In den 25 Jahren, die seit sei-   die Literaturhaus-Bühnen getreten sind             Wir danken Ulrich Wackerhagen für ein
    ner Gründung vergangen sind, hat es ein          (3278), in die der Bücher, die wir vorstel-        Vierteljahrhundert Engagement für das
    unverwechselbares Profil entwickelt, das         len konnten (gut 4500), auf die Gesprä-            Kölner Literaturhaus! Und wir wünschen
    es zu den herausragenden Kultureinrich-          che, die wir geführt und angeregt haben            Wolfgang Schmitz alles Gute und freuen
    tungen des Landes macht. Heute ist es das        (unzählige). Und wenn wir das große                uns auf die Zusammenarbeit.
    Zentrum einer lebendigen literarischen           Engagement vieler Menschen betrachten,             Um sie geht es und ohne sie geht es nicht:
    Szene in Köln und der Region; es ist ein         die das Literaturhaus ermöglicht haben             Wir danken allen Autor*innen, Mo-
    Ort, an dem sich etablierte Autorinnen           und es begleiten, fördern, betreuen, besu-         derator*innen, Übersetzer*innen, Spre-
    und Autoren und solche am Beginn ihrer           chen und seine Arbeit beflügeln.                   cher*innen, Zeichner*innen und Gästen
    Karriere die Klinke in die Hand geben,           Dieses Magazin haben wir erdacht, weil             auf unserer Bühne.
    und es ist auch ein Treffpunkt für Men-          wir im Februar 2021 – 25 Jahre nachdem             Stellvertretend für jene, die im Litera-
    schen aus anderen Ländern und mit an-            der Literaturhaus Köln e.V. am 5. Febru-           turhaus über die Jahre gearbeitet haben,
    derer Muttersprache, die sich hier über          ar 1996 gegründet wurde – nicht feiern             möchten wir Anke Windel, Thomas
    ihr Schreiben austauschen können. Das            können. Die Gründe sind klar: Corona               Böhm und Dr. Insa Wilke nennen: Sie
    Literaturhaus wird getragen von einem            unterbindet die für uns übliche Form               haben ungezählte Ideen und Programme
    interessierten und begeisterten Publi-           der Literaturvermittlung in Live-Veran-            erdacht, sind für das Literaturhaus sicht-
    kum, einer großen Zahl treuer Freunde            staltungen. Vor allem aber bringt Corona           bar geworden und haben sich so manche
    und Förderer und einem engagierten und           vielen Menschen Sorge – gesundheitliche,           Nacht für die Literatur um die Ohren ge-
    hochmotivierten Team, das immer wie-             materielle oder die um andere Menschen.            schlagen.
    der neue Wege geht, um gute Texte zu             Kein guter Zeitpunkt zum Feiern also.              Dank gilt der Stadt Köln, die sich 2001
    vermitteln und schreibende und lesende           Dennoch der Zeitpunkt, großen Dank                 zu einer institutionellen Förderung des
    Menschen zusammenzubringen. Diese                auszusprechen.                                     Literaturhauses entschloss und seither
    gelungene Mischung unterschiedlicher             Was Sie auf den nächsten Seiten finden:            nicht davon abgewichen ist. Dank gilt
    Formate und Angebote zeichnet das Lite-          Wir haben uns Texte zu wichtigen Aspek-            dem Land Nordrhein-Westfalen, das das
    raturhaus aus und lässt auch für die Zu-         ten der Literaturhaus-Arbeit gewünscht,            Literaturhaus mit einem Personalkosten-
    kunft viel Gutes erwarten. Ich gratuliere        Gespräche geführt und Menschen über                zuschuss unterstützt.
    herzlich zum Geburtstag!                         ihr Verhältnis zum Lesen befragt. Vom              Danken möchten wir auch der REWE
                                                     Bilderrätsel fürs Junge Literaturhaus              Group, die dieses Magazin unterstützt.
    ISABEL PFEIFFER-POENSGEN                         übers Glückwunschtelegramm bis zum
    Ministerin für Kultur und Wissenschaft           Praktikumszeugnis spannt sich der Bo-              Wir freuen uns auf das nächste Viertel-
    des Landes Nordrhein-Westfalen                   gen. Wir haben in alten Unterlagen ge-             jahrhundert Literaturvermittlung!
                                                     wühlt und Fotos und Gästebucheinträge
                                                     zutage gefördert und hoffen, Sie haben             Ihre
                                                     Freude an dem, was – unter anderem –               Bettina Fischer, Ines Dettmann,
                                                     das Literaturhaus Köln ausmacht.                   Sonja Herrmann, Clementine Krell
                                                     25 Jahre Literaturhaus sind auch 25 Jahre          und Ulrike Schulte-Richtering
                                                     Freundschaft, Förderung und Koopera-
                                                     tion. Danken möchten wir unseren Mit-
                                                     gliedern, die uns begleiten und stützen.
                                                     Danken möchten wir denjenigen, die als
                                                     Vorsitzende des Vorstandes – gemein-
                                                     sam mit den Vorstandskolleg*innen –
                                                     den Rahmen für den Verein schaffen: In
                                                     den ersten Jahren war dies Dr. Reinhold
                                                     Neven DuMont, gefolgt von Prof. Dr.
                                                     Gottfried Honnefelder und seit 2008 Dr.
                                                     Ulrich Wackerhagen. Bei der Sichtung
                                                     des Materials aus 25 Jahren Literaturhaus
                                                     haben wir uns noch mal die riesengroße
                                                     Arbeit (zahllose Aktenordner!) vor Au-
                                                     gen geführt, die hier geleistet wurde. An-
                                                     fänglich von einem Programmbeirat, spä-
                                                     ter vom Kuratorium des Literaturhauses
    GÄSTEBUCH:                                       unterstützt.
    Carlos Fuentes
    17.05.2000
    Das Literaturhaus in Köln //
    Hat keine Steine: Buchstaben /
    Hat keinen Mörtel: Wörter /
    Hat keine Wände: Stimmen /
    Hat keine Dächer: Träume /
    Danke, dass Sie mich
    aufgenommen haben

     5.2.1996                                        1996
     Gründung Literaturhaus Köln e.V.                Erstmals: Atlas der neuen Poesie (Lyrikfestival)
ZEITUNG ZUM 25. JUBILÄUM DES LITERATURHAUSES KÖLN
25 JAHRE LITERATURHAUS KÖLN        3

                                                                                                           Lesen ist
                                                                                                                   ...
                                                                                                          für mich
Im Herzen von Köln
Das Wesen der Literatur ist nomadisch.                  die so manch andere Kultureinrichtung             ... die aktuell beste Möglichkeit, meine
Rolf Dieter Brinkmann wanderte nachts                   der Stadt in ihrer Arbeit lähmt. Und mit
durch die Straßen von Köln und sprach                   dem sich stetig beschleunigenden Puls             Gehirnfasern mit denen einer ande-
seinen Zorn über die bauliche und geis-                 unserer Gegenwart, unter dem Einfluss
tige Enge der Stadt in ein Tonbandgerät.                der Brüche und Verwerfungen der letz-             ren Person zu verbinden. Bis wir Tele-
Sein Werk spiegelt den Widerspruch zwi-
schen den Zwängen bürgerlicher Sess-
                                                        ten zwei Jahrzehnte, die vielleicht den
                                                        Beginn einer neuen kulturellen Epoche
                                                                                                          pathie erfinden, muss das reichen.
haftigkeit und deren Verweigerung, und
diese Dichotomie, die zur künstlerischen
                                                        markieren, werden auch die Amplituden
                                                        der Herz- und Schwingungsfrequenz des
                                                                                                          		               			                   Tilman Strasser
Produktivität beiträgt, mag exemplarisch                Kölner Literaturhauses immer steiler und
für die Entwicklung des Kölner Literatur-               dichter: 2020 – es zeichnet sich ein Acht-
hauses in den letzten 25 Jahren stehen.                 jahresrhythmus ab – musste es abermals                           Lesen stärkt
Seit seiner Gründung 1996 ist das Lite-                 umziehen – ins Internet. Eine Vielzahl
raturhaus Köln beständig in Bewegung;                   digitaler Projekte bewahrt das literarische                      die Seele
Literatur entsteht aus dem Übergang und                 Leben Kölns derzeit vor dem Herzstill-
der Veränderung, nicht willkürlich oder
zufällig, sondern indem sie beharrlich
                                                        stand im Zuge der allgemeinen Coronavi-
                                                        rus-Agonie. Wohin die Reise des Kölner
                                                                                                                         Lesen stärkt die Seele« – diese Erkennt-
                                                                                                                         nis verdanken wir Voltaire. Und heute,
einem übergeordneten Prinzip des Not-                   Literaturhauses geht, ist heute ungewisser                       zweihundertfünfzig Jahre später, die Fra-
wendigen folgt. Weder in den ursprüngli-                denn je. Doch im besten Fall formuliert                          ge: Warum lesen Sie? Ablenkung, Zer-
chen Räumlichkeiten im MediaPark noch                   die Literatur ihr Ziel als den Weg, den sie                      streuung, Neugier, Langeweile, Abenteu-
in seinem zweiten Domizil in der Schön-                 geht und gehen muss; Brinkmanns nächt-                           erlust, Bildungshunger, um die Welt und
hauser Straße konnte (oder wollte?) das                 liche Wanderungen endeten stets dort,                            sich selber besser kennenzulernen? Alles
Literaturhaus bleiben, und seitdem es                   wo sie begonnen hatten, im Haus En-                              ist richtig, wichtig und gut. Das haben
2014 das Haus Bachem im Zentrum der                     gelbertstraße Nr. 65, an dieser »kleinen,                        uns nicht zuletzt die vergangenen Monate
Stadt bezogen hat, öffnet es sich umso                  kalten, windigen Ecke (...), um schlafen                         gelehrt, in denen wir Kontakte zu für uns
konsequenter der literarischen Peripherie.              zu können.« Die Wirkkraft seiner Wor-                            wichtigen und geliebten Menschen auf
Während das im Jahr 2000, also ungefähr                 te aber hat die Enge der Stadt, unter der                        ein Minimum reduzieren mussten. Vie-
zeitgleich gegründete Literaturfestival                 er so litt, nachhaltig gesprengt. Hätte es                       le haben da für sich das Buch, das Lesen
lit.COLOGNE zum kommerziellen Groß-                     1973, als Brinkmann seine Tonbänder be-                          wiederentdeckt.
ereignis avancierte, zeigt das Literatur-               sprach, bereits das Literaturhaus Köln ge-                       Das Kölner Literaturhaus hat Sie dabei
haus eine erstaunliche Resilienz gegen die              geben, sein Zorn, der damals noch nicht                          mit zahlreichen literarischen Anregun-
Vereinnahmungskräfte des Mainstreams                    zur kanonisierten Literatur gehörte, hätte                       gen per Internet unterstützen können.
– ohne dabei das bürgerliche Publikum                   dort ein Beben verursacht – im Herzen                            Daran dürfen Sie sich gewöhnen – das
und dessen Bedürfnis nach »großen Na-                   von Köln.                                                        Literaturhaus wird seine digitale Präsenz
men« aus dem Blick zu verlieren. Bettina                                                                                 weiter ausbauen und will so zu Ihrem li-
Fischer und ihr engagiertes Team sorg-                  GUNTHER GELTINGER ist Autor. Zuletzt er-                         terarischen Alltagsbegleiter werden. Und
ten in den letzten Jahren dafür, dass die               schien von ihm Benzin, Suhrkamp 2019                             Sie gleichzeitig neugierig machen auf die
Kölner Literaturszene nicht nur lebendi-                                                                                 direkte Begegnung mit Autorinnen und
ger, sondern in der Kulturlandschaft der                                                                                 Autoren, auf den persönlichen Austausch
Stadt auch wieder sichtbarer wurde. Die                                                                                  mit Leserinnen und Lesern.
2019 vom Verein Literaturszene Köln ins                                                                                  In 25 Jahren haben viele Kölnerinnen
Leben gerufene Kölner Literaturnacht bil-                                                                                und Kölner »ihr« Literaturhaus schätzen
det den bisherigen Höhepunkt – wer sich                                                                                  gelernt – Sie auch? Wenn noch nicht, las-
bei diesem Festival ein Bild von der Viel-                                                                               sen Sie sich anstecken vom vielfältigen
fältigkeit des literarischen Lebens in Köln                                                                              Programm, aber auch vom Ambiente und
machen will, muss sich auf Wanderschaft                                                                                  der besonderen Atmosphäre, die dieses
begeben, zu Veranstaltungsorten vom                                                                                      wunderbare Gebäude quasi als Zugabe
Zentrum bis an die Stadtgrenzen.                                                                                         bietet. Übrigens auch, wenn Sie einen
Zeichnet man die Entwicklung des Litera-                                                                                 schönen Ort zum Feiern suchen, Hoch-
turhauses als Linie nach, gliche diese viel-                                                                             zeiten eingeschlossen.
leicht der Kurve eines EKGs oder einem                                                                                   Und wir wollen, dem Beispiel unseres
Seismogramm; wie die Literatur selbst                                                                                    Jungen Literaturhauses folgend, noch
reagiert auch das Kölner Literaturhaus                                                                                   häufiger als bisher Literatur in die Stadt
empfindlich und empfindsam auf die Er-                                                                                   tragen, an Orten des Alltags erlebbar ma-
fordernisse und Herausforderungen der                                                                                    chen. Denn, noch ein Zitat, diesmal vom
Zeit, in der wir leben (und schreiben);                                                                                  US-Autor James Daniel: »Bücher sind
anpassungsfähig, ohne angepasst zu sein,                                                                                 fliegende Teppiche ins Reich der Phanta-
und frei von der institutionellen Trägheit,                                                                              sie«. Fliegen Sie mit?!

                                                                                                                         WOLFGANG SCHMITZ
                                                               GÄSTEBUCH:
                                                               Rafik Schami
                                                               14.12.2015

Herbst 1996
Erstmals: Lange Nacht mit dem Gastland der Frankfurter Buchmesse in Kooperation mit dem Deutschlandfunk
ZEITUNG ZUM 25. JUBILÄUM DES LITERATURHAUSES KÖLN
4   25 JAHRE LITERATURHAUS KÖLN

    Gespräch mit Ulrich Wackerhagen übers Anfangen
    und über ehrenamtliches Engagement

                                                                                                                                                                                           © privat
Lieber Ulrich, du bist einer der Gründer             1999 die Eröffnungsrede hielt. Damals         sich für die neue Sa-                                             kann man aber ein
des Literaturhauses und engagierst dich              habe ich erst erfahren, dass er gelernter     che einzusetzen, das                                              Literaturhaus      nicht
seit mehr als 25 Jahren für den Verein.              Buchhändler war. Es hat ihm gefallen, das     Neue zu realisieren,                                              finanzieren. Die bil-
Kannst du die Geschichte des Anfangs für             Literaturhaus Köln im MediaPark zu er-        ist etwas Großartiges.                                           dende Kunst hat es da
uns bitte nochmals kurz umreißen?                    öffnen.                                       Irgendwann gehört die-                                          oft einfacher, weil sie als
Ulrich Wackerhagen: Ich kannte schon                 2006 sind wir in den Kölner Süden, in das     ses Neue dann wie selbst-                                     materielle Wertanlage be-
mehrere Literaturhäuser in Deutschland,              Forum für Fotografie in der Schönhau-         verständlich dazu. Das ist                                 griffen wird. Die Literatur
in Berlin, in Frankfurt, in Hamburg, und             ser Straße umgezogen. 2014 haben wir          auch gut so – aber man muss ver-                     ist flüchtiger. Deshalb ist der gro-
mir war eigentlich nie die Frage in den              das grandiose historische Gebäude Haus        suchen, sich die Kreativität und die Be-      ße Appell auch jetzt zum Jubiläum: Wir
Sinn gekommen, warum es in Köln kei-                 Bachem bezogen, das einzige historische       geisterung für das Neue zu bewahren.          brauchen Menschen, die das Literatur-
nes gibt. Diese Frage stellte mir die dama-          Gebäude im Griechenmarktviertel, das          Natürlich war es am Anfang einfacher,         haus nachhaltig unterstützen. Schön fän-
lige Kulturdezernentin Kathinka Dittrich             im Krieg nicht vollständig zerstört wor-      neue Mitglieder, Partner und Förderer zu      de ich es, wenn wir wieder ganz große
van Weringh, als wir gerade das Libera-              den war. Wir haben mit den Eigentümern        gewinnen. Begeisterung ist ansteckend.        Veranstaltungen machen würden, um
le Kulturforum im Kunsthaus Lempertz                 einen langen und günstigen Mietvertrag        Wenn die Arbeit – auch für die Ehren-         noch mehr Menschen für das Literatur-
vorbereiteten. Das war im März 1995.                 abschließen können. Dafür sind wir nach       amtlichen – Alltag und Routine geworden       haus zu gewinnen. Natürlich hat die Li-
Wir haben ihre Frage dann zum Anlass                 wie vor dankbar. Ich bin sehr froh, dass      ist, muss man sich aufraffen und erneut       teratur selbst nichts mit Geld zu tun, aber
für eine Podiumsdiskussion genommen,                 wir nach langer Reise endlich in der Köl-     engagieren. Und es ist uns immer wieder       dennoch hat das eine mit dem anderen
die von der Presse sehr positiv aufgegrif-           ner Innenstadt angekommen sind, wo das        gelungen, frische Ideen zu entwickeln         viel zu tun: Ohne die Mittel können wir
fen wurde.                                           Literaturhaus gegründet worden ist.           und Herausforderungen anzupacken.             keine Literaturvermittlung machen, un-
Und dann geschah wieder nichts. Da                   Das waren und sind die größten Heraus-        Damit meine ich nicht nur unsere Orts-        ser Team finanzieren und, und, und.
war mir klar: Wir müssen aktiv werden                forderungen: passende Gebäude für das         wechsel: den MediaPark 6, das Forum für       Was bedeutet dir ehrenamtliches Engage-
und zunächst eine passende Rechtsform                Literaturhaus zu finden und die notwen-       Fotografie und den Großen Griechen-           ment für die Kultur?
finden. Ich bin zu einem Notar gegan-                digen finanziellen Mittel aufzutreiben.       markt. Das hat auch Impulse gegeben           UW: Kultur ist nicht alles, aber ohne Kul-
gen und habe gesagt: Wir wollen einen                Was ist das Besondere an der Arbeit des       und nicht zuletzt neue Partnerschaften        tur ist alles nichts. Das hat mich mein
gemeinnützigen Verein gründen. Mit                   Literaturhauses?                              geschaffen – ich denke da beispielhaft an     ganzes Leben lang begleitet. Das ver-
Reinhold Neven DuMont und Klaus Bitt-                UW: Das Besondere ist natürlich nicht,        die Kunstmeile Süd, die ich auf den Weg       danke ich vor allem meiner Schulzeit in
ner haben wir dann sehr viele Verleger,              Immobilien zu finden, sondern in diesen       gebracht habe.                                der vor 100 Jahren gegründeten Schule
Schriftsteller und Kulturinteressierte ins           Immobilien Literatur zu vermitteln. Es        Wie blickst du auf 25 Jahre Litera-           Schloss Salem, der Erziehung zur Verant-
Römisch-Germanische Museum einge-                    gibt sehr viele Veranstaltungen, an die ich   turhaus-Vorstandsarbeit?                      wortung, dem Wunsch, Verantwortung
laden und eine Liste verteilt, in die man            mich sehr gerne erinnere. Zum Beispiel        UW: Ich bin sehr glücklich, dass ich so       zu übernehmen, um Dinge zu gestalten
sich eintragen konnte, wenn man zur Ver-             mit Herta Müller, mit Siri Hustvedt oder      lange für das Literaturhaus verantwort-       und zu verändern. Für mich ist das – auch
einsgründung eingeladen werden wollte.               mit ihrem Mann Paul Auster. Das war am        lich sein durfte. Dadurch hatte ich auch      wenn das viele anders sehen mögen – die
Ungefähr ein Jahr später, am 5. Februar,             6. Mai 2004 im Schauspiel Köln, noch am       immer die Gelegenheit, Schriftstellerin-      schönste politische Tätigkeit: Kulturpoli-
haben wir im Belgischen Haus den Lite-               Offenbachplatz. Wir mussten sogar Be-         nen und Schriftsteller kennenzulernen.        tiker zu sein. Und das auch schon seit
raturhaus Köln e.V. gegründet. Reinhold              sucher zurückweisen, und das bei mehr         Es ist etwas anderes, ein Buch zu lesen,      mehr als 25 Jahren. Da gehört natürlich
Neven DuMont, der zunächst meinte, ein               als 800 Plätzen. Ich hatte die Ehre, neben    als wenn man einen Schriftsteller, eine       die Literatur wie alle anderen Bereiche
Literaturhaus in Köln zu gründen, kön-               Siri Hustvedt zu sitzen und – was auch        Schriftstellerin auf der Bühne erlebt und     der Kultur dazu.
ne nicht funktionieren, wurde sein erster            hochspannend war – neben dem Künst-           mit ihnen sprechen kann. Man hat da-          Das Entscheidende ist, dass man etwas
Vorsitzender und ich sein Stellvertreter.            ler Gerhard Richter. Paul Auster hatte        durch eine ganz andere Beziehung und          findet, das einen begeistert. Ein Beruf ist
Was waren in den 25 Jahren aus deiner                sich gewünscht, Gerhard Richter kennen-       Verbindung zu den literarischen Werken.       das eine, das andere sind die Leidenschaf-
Sicht die größten Herausforderungen?                 zulernen. Die haben nach der Veranstal-       Das ist wirklich ein großes Geschenk.         ten, die man entwickelt. Das kann die
UW: Als wir das Literaturhaus gründeten,             tung noch sehr lange in der Bar des Hotel     Und das alles wegen eines Zufalls – dass      eigene Familie sein, das kann der Garten
gab es eine wirklich große Begeisterung.             Excelsior gesessen und sich ausgetauscht.     die Kulturdezernentin Kathinka Dittrich       sein oder was auch immer. Theater, Lite-
Das Belgische Haus war rappelvoll mit                Das war ein wirklich tolles Ereignis.         van Weringh mich auf das Fehlen eines         ratur, das ist für mich eine enorme Ver-
Menschen, die alle sagten: Endlich, end-             Nach 25 Jahren kann man sich Köln             Literaturhauses in Köln aufmerksam ge-        wandtschaft.
lich kommt ein Literaturhaus für Köln.               eigentlich ohne Literaturhaus gar nicht       macht hat.                                    Am 7. Februar 2021 endet deine Amtszeit
Aber wir hatten kein Haus und auch kei-              mehr vorstellen. Etwa wenn im Kultur-         Werfen wir einen Blick in die Zukunft.        und du übergibst den Vorsitz an Wolf-
ne öffentliche Förderung. Im Haushalt                ausschuss jedes Jahr die Aktivitäten der      Was wünschst du dem Literaturhaus?            gang Schmitz. Was wünschst du ihm für
der Stadt Köln war die Literaturförde-               freien Szene vorgestellt werden – dann        UW: Ich wünsche dem Literaturhaus wei-        sein neues Amt?
rung so gut wie gar nicht vorgesehen, mit            stehst für die Literatur auch immer du,       terhin viel Anerkennung von den Kölner        UW: Ich wünsche Wolfgang Schmitz,
Ausnahme etwa von Stipendien und dem                 liebe Bettina, Rede und Antwort. Das Li-      Bürgerinnen und Bürgern, auch durch           dass es ihm gemeinsam mit seinem Vor-
Heinrich-Böll-Preis. Heute werden wir                teraturhaus steht für die Literaturszene in   die Verlage, durch die Schriftstellerinnen    stand und dem Team des Literaturhauses
von Stadt und Land gefördert. Wir haben              Köln ein. Das zeigt, dass die Arbeit des      und Schriftsteller.                           gelingt, immer wieder neue Impulse zu
aber immer noch keine ausreichenden                  Hauses vielseitige Erscheinungsformen         Aber eines unserer großen Probleme ist        entwickeln. Ob es sich dabei um das Pro-
Mittel, und das ist nach wie vor eine Her-           hat. Und im Laufe der 25 Jahre sind bei       nach wie vor – und ich wünsche unse-          gramm handelt oder der Blick auf neue
ausforderung.                                        uns mehr als 2.500 Autorinnen und Au-         rem Haus wirklich –, dass wir noch mehr       Publikumsgruppen gerichtet wird: Neues
Wir haben mit Veranstaltungen in ver-                toren vorgestellt worden: Das ist schon       Förderer bekommen. Wir brauchen mehr          zu schaffen erleichtert das Vorhaben, dem
schiedenen Räumlichkeiten begonnen.                  etwas ganz Besonderes.                        Förderung, nicht nur aus der öffentli-        Literaturhaus für die Zukunft endlich
Und dann ist es 1999 dank der Sparkasse              Was hat sich deiner Wahrnehmung nach          chen Hand, wobei die auch noch wach-          eine noch bessere Finanzierung zu schaf-
KölnBonn gelungen, Räume im Media-                   in 25 Jahren Literaturhaus verändert?         sen könnte. Ich glaube, viele sehen unser     fen. Alte Freunde und Partner zu behalten
Park zu bekommen. Ich erinnere mich                  UW: Dem Anfang, der Gründungsphase            schönes Haus und denken, dem Literatur-       und neue zu finden, ist eine sehr wichtige
noch wie heute daran, dass Bundesprä-                wohnt natürlich immer etwas ganz Be-          haus geht es gut, es hat ja guten Zuspruch.   Aufgabe für jeden Vorstand. Diese För-
sident Johannes Rau dort im November                 sonderes inne: Die Begeisterung aller,        Mit den Einnahmen aus Kartenverkäufen         derung sollte, ebenso wie die Vernetzung

     Juni 1997
     Anke Windel wird Geschäftsführerin (bis 2000)
ZEITUNG ZUM 25. JUBILÄUM DES LITERATURHAUSES KÖLN
25 JAHRE LITERATURHAUS KÖLN           5

                                                                              Gespräch mit Insa Wilke
                                                                              übers Veranstalten und Köln
des Literaturhauses in alle Richtungen,                                       Liebe Insa, du hast zwei Jahre lang das        das ging, wie frei von Profilierungssucht
weiterwachsen. Ich bin sehr zuversicht-                                       Programm im Kölner Literaturhaus ver-          und Konkurrenz das passierte, ganz dar-
lich, dass das Literaturhaus auch in den                                      antwortet: Was hat diese Arbeit damals für     auf konzentriert, einem einzelnen Men-
nächsten 25 Jahren weiterhin ein ganz                                         dich bedeutet?                                 schen zu helfen und gegen Ungerechtig-
besonderer Ort der Ideen und Impulse                                          Insa Wilke: Einen großen Freiraum, ein         keit zu protestieren – das war prägend
der Literaturvermittlung sein wird.                                           gemeinsames Denken im Team, intensi-           und steht auch für das Bild, das ich vom
                                                                              ve Begegnungen mit den Mitgliedern des         Kölner Publikum gewonnen habe.
ULRICH WACKERHAGEN ist einer der Gründer                                      Vereins, unseren Gästen und dem Publi-         Eine Anekdote, die mir erzählt wurde
des Literaturhauses. Von 1996 bis 2008 war er stell-                          kum, eine enorme Kraftanstrengung. Es          und die dazu passt: Als Kardinal Meisner
vertretender Vorsitzender, von da an bis Februar                              waren in vielerlei Hinsicht auch Lehrjah-      im Dom einmal einen Gottesdienst hielt
2021 der Vorsitzende des Vorstandes                                           re für mich, weil wir damals eine enorm        und ein Chor sang und die Besucher*in-
                                                                              hohe Taktung an Veranstaltungen hatten,        nen nach dessen Auftritt klatschten, dreh-
                                                                              wie du ja weißt. Diese zwei Jahre besetzen     te sich der Kardinal zu seiner Gemeinde
DANK                                                                          einen deutlichen Teil meines Lebens, der       um, faltete die Hände und tadelte die
Lieber Ulrich, Du hast Dich mehr als 25                                       viel umfassender ist, als es mit der Zahl      Leute, dass sie geklatscht hatten. In einer
Jahre für das Kölner Literaturhaus einge-                                     der Monate benannt werden kann. Ich            Kirche würde man die Hände nur zum
setzt. 21 Jahre davon haben wir zusam-                                        schaue sehr dankbar, innig und froh auf        Beten aneinanderlegen. Einen Moment
mengearbeitet – im Bemühen, das Litera-                                       diese Zeit zurück.                             Stille und dann: tosender Applaus. Genau
turhaus voranzubringen und abzusichern.                                       Es ist wohl unbestritten, dass Literatur-      so widerständig und anständig habe ich
Dein Engagement war ehrenamtlich und                                          veranstaltungen für den Literaturbetrieb       die Kölner*innen kennen- und schätzen
ehrenamtliche Tätigkeit ist etwas sehr Be-                                    wichtige Funktionen erfüllen. Wie sieht für    gelernt.
sonderes: Sie macht Arbeit, kostet Zeit, ist                                  dich eine gelungene Veranstaltung aus bzw.     Es gibt aber auch eine andere Seite von
unentgeltlich. Ich habe erlebt, dass sie Dir                                  was sollten wir mit Veranstaltungen idea-      Köln, die ich sehr in Erinnerung habe und
eine innere Verpflichtung ist. Ich möchte                                     lerweise erreichen?                            die mich damals verblüffte, weil mir nicht
mich für Dein Engagement für das Kölner                                       IW: Etwas Magisches. Dass plötzlich eine       klar war, dass solche sozialen Hierarchien
Literaturhaus im Namen aller, die für das                                     Verbindung zwischen Publikum und               und patriarchalen Muster noch existie-
Literaturhaus arbeiten und gearbeitet ha-                                     Gästen auf der Bühne entsteht. Man hat         ren. Ein simples Beispiel: Als ich das erste
ben, aber auch persönlich sehr bedanken!                                      das nur bedingt in der Hand, kann aber         Mal zu Alfred Neven DuMont eingeladen
                                                                              durch die Rahmenbedingungen wie gutes          war, in sein Büro, und den langen Gang
BETTINA FISCHER                                                               Licht, guten Ton, atmosphärische Bühne         dorthin ging, huschten aus einer dunk-
                                                                              und natürlich gute Moderation und Gäste        len Ecke plötzlich zwei »Dienstmädchen«
                                                                              die Voraussetzungen schaffen. Die hand-        mit Häubchen und Schürzchen auf mich
                                                                              werkliche Seite der Veranstaltung wird         zu und boten auf dem silbernen Tablett
                                                                              leider immer unterschätzt. Und für die         Wasser an. Es wirkte, als würden sie da
                                                                              braucht es nun einmal auch das entspre-        Tag und Nacht stehen, und der Gestus
                                                                              chende Budget, also das Engagement der         der Besucherin gegenüber war klar. Man
                                                                              Stadt und möglichst vieler Förderer. Inso-     konnte in Köln damals viel über die Be-
                                                                              fern hängt eine gelungene Veranstaltung        deutung symbolischer Gesten für Herr-
                                                                              vom gemeinsamen Handeln ab, für das es         schaftsmechanismen lernen. Das ist die
                                                                              in Köln ja eine große Begeisterung gibt.       andere Seite der Karnevalshochburg, die
                                                                              Gibt es ein Ereignis aus deiner Kölner Zeit,   aber hoffentlich mit einem Generationen-
                                                                              das dir besonders in Erinnerung ist?           wechsel dann auch irgendwann genau das
                                                                              IW: Es gibt viele Situationen, an die ich      wird, was sie für mich heute ist: eine Ge-
                                                                              mich erinnere und von denen ich auch           schichte.
                                                                              immer wieder erzähle. Eine Erfahrung,
                                                                              die ich in Köln machen durfte, war die So-
                                                                              lidarität und die Handlungsbereitschaft,
                                                                              als Doğan Akhanli 2010 in Istanbul ver-
                                                                              haftet worden war. Das Literaturhaus hat
                                                                              damals mit anderen Institutionen und
                                                                              Privatpersonen gemeinsam eine große
                                                                              Veranstaltung organisiert. Wie schnell

                                                                                                        ... Vertiefung, Differenzierung.
                                                                                     Lesen ist          … ein Erkunden von Sehnsuchtsräumen.
                                                                                             ...
                                                                                    für mich
                                                                                                         … das Kennenlernen von anderen
                                                                                                        Perspektiven und Abtauchen in Schönheit.
                                                                                                        					Kerstin Gleba
                                                       Einladung zur
                                                       Gründungsversammlung

     Juni 1999
     Thomas Böhm wird Programmleiter (bis 2010)
6   25 JAHRE LITERATURHAUS KÖLN

Hinter den Kulissen – Thomas Böhm und Bettina Fischer erinnern sich
Am 05.01.2021 um 11:40                               Am 11.01.2021 um 23:37                          die Bühne verlässt, mit einem trockenen       fen, zu zeigen, dass man ihn, dass man
schrieb Thomas Böhm:                                 schrieb Thomas Böhm:                            Martini empfangen zu werden. Ich habe         sie wahrnimmt und schätzt. Wenn Au-
                                                                                                     dann während der Lesung in einer Bar          tor*innen die Bühne betreten, möchten
Liebe Bettina,                                       Da würde ich doch zu gern wissen, wel-          den Drink abgeholt. Er kam danach noch        wir eine besondere Wärme erzeugen, die
lass uns doch das Gespräch über die                  cher Autor Deinen Stift eingesteckt hat ...     zweimal zu Lesungen zu uns. Der Service       dann auch dazu verhelfen soll, dass Ge-
Arbeit im Literaturhaus wie einen Chat               An die Moby Dick-Lesung erinnere ich            scheint ihm gefallen zu haben ...             danken sich besser im Raum ausbreiten
führen, hin und her. Ich fang mal an: Ich            mich bestens. Wie wir auf dem Schiff wa-        Aber dieser »Service« war ja kein Selbst-     können.
habe Bilder in mir aufsteigen lassen, aus            ren, Christian Brückner die letzten Ka-         zweck, sondern unser Markenzeichen.           Gerne zitiere ich einen Deiner Aussprü-
der Zeit, in der ich im Literaturhaus gear-          pitel las und plötzlich – nachdem wir ja        Bei allem, was wir für die Gäste getan        che, dass wir immer rechtfertigen können
beitet habe. Und das erste Bild, das kam,            den ganzen Tag auf dem Schiff waren und         haben, ging es ja auch immer darum,           sollten, Menschen vom Lesen abzuhalten.
war das eines Raumes im Kölner Dom. Er               dessen »Seegang« kannten – das Schiff so        ihnen unsere Wertschätzung zu zeigen.         Dass wir immer ein Surplus schaffen wol-
befindet sich in einem der Türme. Circa              vom Wellengang hochgehoben wurde, als           Als Dank für das Vergnügen und die Er-        len. Heute stellt niemand mehr infrage,
auf halber Höhe. Es war ja immer unser               wäre wirklich ein Wal darunter. Lesungs-        kenntnisse, die uns die Lektüre ihrer Bü-     dass Lesungen einen Sinn erfüllen und
Anliegen, den AutorInnen, die nach Köln              magie ...                                       cher vermittelt hat.                          ihren eigenen Reiz haben, ein Gewinn
kamen, etwas Besonderes zu bieten. Als               Was Du »tiefe Begegnung« nennst, war            Und mir ging es auch immer darum, den         für die Zuhörenden sind – und nicht nur
Stewart O’Nan da war, sagte uns der Ver-             wirklich eine einzigartige Erfahrung. Die       internationalen Gästen etwas von unserer      den Zweck haben, Autor*innen zu einem
lag, er hätte am Tag der Lesung Geburts-             Lesung dauerte ja fast 40 Stunden. Und          Stadt zu zeigen. Kölner Geschichte, Köl-      Einkommen zu verhelfen. Und dennoch:
tag. Deshalb haben wir für ihn eine be-              dabei zweimal bis in die frühen Morgen-         ner Kultur. Zum einen, damit der Besuch       Man könnte sich ja immer fürs Lesen ent-
sondere Domführung organisiert. Ulrike               stunden. Ich weiß noch, die Momente, an         bei uns nicht einfach eine gesichtslose       scheiden ... Gerade in Zeiten von Corona
Brinkmann von der Dombauhütte hat                    denen ich fast einschlief, und in diesem        Station mehr auf der Lesereise war. Zum       spüren wir, dass die lebendige Begegnung
uns geführt, dorthin, wo BesucherInnen               halbberußten Zustand fühlte es sich an,         anderen aber auch aus der Überzeugung         mit Literatur unserem Publikum viel be-
sonst nicht hinkommen. Eben auch in                  als bestünde die ganze Realität nur noch        heraus, dass die Lesungen dadurch besser      deutet, etwas, das nur die gut vorbereite-
diesen Raum, der voll ist mit lebensgro-             aus dem Text. Als würde ich in dem Text         wurden. Denn so begann der Austausch          te Lesung auslösen kann, das Glück im
ßen Heiligenfiguren, die demnächst die               leben.                                          von Gedanken und Geschichten ja schon         Flüchtigen und in der Begegnung. Und
Figuren ersetzen, die durch die Umwelt-              Das hatte ich nur noch ein anderes Mal.         lange vor der eigentlichen Lesung. Es         das Großartige ist, dass sich diese Magie
einflüsse zerstört wurden. Ein Ersatzlager           Bei der Werkschau mit Peter Kurzeck, der        wurde Vertrauen gestiftet.                    in viele Richtungen ausbreiten kann – ob
für Heilige. Als wir in diesen Raum ka-              ja an vier aufeinanderfolgenden Abenden         Das allerbeste Beispiel, welche Früchte       bei einer Solidaritätsveranstaltung für
men, waren wir überwältigt. Wir standen              aus Oktober und wer wir sind gelesen hat.       das tragen kann, war ja die Lesung mit        Doğan Akhanli oder beim Auftritt von
lange da und haben nichts gesagt. Es war,            Da überkam mich auch eines Abends bei           Denis Johnson. Ich weiß noch, wie lange       Marcel Beyer und Manos Tsangaris bei
als hätten wir hinter die Kulissen einer             vollem Bewusstsein das Gefühl, dass sich        wir uns bemüht hatten, ihn einzuladen.        unserem letzten Satelliten-Festival.
Kultur geschaut, deren Manifestation der             Realität und Text vertauscht hätten. Dass       Jahre ... Als er dann kam, waren wir im       Das kennst Du gar nicht, aber es ist ein
Dom ja ist. Wollen wir hinter die Kulissen           der Text, das Leben im Buch von Peter           Dom und im Wallraf-Richartz-Museum.           Nachnachfolger des Lyrikfestivals »Atlas
von Lesungen schauen?                                Kurzeck ist. Und der Rest darum eine Er-        Im Museum stand er lange von einigen          der neuen Poesie«, das wir damals mit
                                                     findung.                                        Triptycha. Und sagte zu mir, dass ein         Klaus Bittner und Joachim Sartorius auf
Am 08.01.2021 um 17:42                               Wenn ich in meine Fotos von damals              Freund von ihm mal gesagt hätte, seine        die Beine stellen konnten. Eine der ersten
schrieb Bettina Fischer:                             schaue – vor allen die von Hans Günter          Romane seien wie mittelalterliche Tripty-     großen Veranstaltungen, die ich im Jahr
                                                     Contzen, der uns ja über all die Jahre be-      cha. Jetzt verstünde er, warum. Im Dom        2000 begleitet habe, war ein »Atlas« mit
Lieber Thomas,                                       gleitet hat, – dann kriege ich manchmal         stand er lange vorm Gerokreuz und sagte,      vielen Gästen aus der arabischen Welt.
Deine Erinnerung zeigt es: Wenn man                  einen Schreck: wie jung wir waren.              jetzt wisse er, was Vergebung heiße.          Am Ende standen alle zum gemeinsamen
sich für die Literatur einsetzt und Lesun-           Von ihm gibt es ja auch viele Fotos von         Die Lesung bestand dann nur aus zwei          Appell auf. Aber die Verhältnisse sind
gen organisiert, wird das Leben selbst               hinter den Kulissen. Aber nicht von mei-        Fragen: Was denn seine Bücher mit diesen      keinen Deut besser geworden, im Gegen-
reich an wunderbaren Geschichten. Da                 nem Lieblingsmoment backstage. Habe             dreiteiligen mittelalterlichen Bildern ge-    satz erleben wir vielerlei Eskalationen.
Du Stewart O’Nan erwähnst, muss ich                  ich ihn Dir eigentlich je erzählt ...? Es war   mein hätten und wieso ihm beim Anblick        Mir kam es damals aber so vor, als wür-
daran denken, wie ich mit ihm und Tessa              bei der Lesung von Umberto Eco am 17.           des Gerokreuzes der Gedanke an Verge-         den wir einen Zipfel der Geschichte zu
Martin, die ihn für den Rowohlt Verlag               September 2001. Die Lesungen in den Ta-         bung gekommen sei. Und seine Antwort          packen bekommen. Übrigens auch später
begleitete, in der Aachener Straße im Café           gen nach dem 11. September waren ja alle        auf beide Fragen füllte den Abend. Aber       immer wieder, etwa als Abbas Khider di-
saß. Er schenkte mir seinen Vierfarbku-              abgesagt worden. Aber Eco hatte gesagt:         das Großartige war: Es war eine perma-        rekt vom Tahrir-Platz in die Schönhauser
gelschreiber, als ich ihm erzählte, dass ich         Er komme. Rüdiger Safranski hat mo-             nente Verbindung dessen, was das Kölner       Straße kam ...
einen solchen als Kind besessen und ge-              deriert. Vorgestellt wurde Ecos Roman           Publikum aus eigener Betrachtung kann-        Aber da hattest Du Deine Zelte schon in
liebt habe. Jahrelang habe ich die Planung           Baudolino, in dem es unter anderem um           te mit dem, was Johnsons Schreiben aus-       Berlin aufgeschlagen und ich blicke bes-
fürs Literaturhaus vierfarbig mit diesem             die Assassinen geht, um politische Mör-         machte.                                       ser noch einmal in die Fotokiste. Und da
Stift skizziert (bis ein anderer Schriftstel-        der. Und ohne einmal direkt auf die Er-         Entschuldige, jetzt bin ich ein bisschen zu   ist auch eines aus dem letzten September:
ler ihn beim Signieren eingesteckt hat ...).         eignisse in New York zu sprechen zu kom-        sehr ins Plaudern gekommen. Ich nippe         Du stellst dem Kölner Publikum Dein
Im Zuge der Vorbereitung für dieses Ma-              men, sprachen sie eigentlich den ganzen         jetzt mal ausgiebig an einem trockenen        Buch über die Deutsche Sprache vor.
gazin habe ich übrigens in alten Fotos               Abend darüber. Ich weiß noch, wie un-           Martini und Du bist dran ...                  Nach wie vor bist Du vielfach als Mode-
gewühlt. Auf einem stehst Du mit einer               glaublich gespannt die Atmosphäre im                                                          rator, ob im Radio oder bei Veranstaltun-
Harpune in der Hand vor dem Rhein-                   Schauspielhaus von Anfang an war. Und           Am 12.01.2021 um 00:40                        gen, und als Organisator unterwegs. Aber
schiff Albatros in Rodenkirchen. Anlass              wie groß der Applaus am Schluss. Es war,        schrieb Bettina Fischer:                      Du gibst auch Bücher heraus. Ist das ein
war die Moby Dick-Gesamtlesung, die wir              als hätte Eco im Gespräch wieder Sicher-                                                      Seitenwechsel und erlebst Du nun etwas
2001 gemacht haben: der Koloss von ei-               heit gestiftet. Das Erlebte, den Schock der     Deine Erzählungen wecken in mir tat-          anderes hinter den Kulissen von Lesun-
nem Buch, an drei Tagen vorgelesen! Das              Gegenwart in einen historischen Zusam-          sächlich das Gefühl der frühen Jahre.         gen? (Im Übrigen tut’s mir leid, dass wir
war nicht nur eine tiefe Begegnung mit               menhang eingefügt.                              Und wenigstens zwei Gedanken springen         Dir hinterher keinen Martini gereicht
dem Text, eine Prüfung fürs Durchhalte-              Der Abend hatte für mich noch eine be-          mich an: Sollte man als Veranstalter*in       haben. Coronabedingt gab es Pizza vom
vermögen, wir erlebten auch eine beson-              sondere Pointe. Eco hatte bei der Bespre-       auch ein*e Erzähler*in sein? Und ja, beim     Pizzaservice.)
dere Verbindung zu jenen, die ebenfalls              chung vor der Lesung erzählt, er habe           Veranstalten geht es immer darum, dem
unermüdlich zuhörten!                                immer gehofft, in dem Moment, wo er             Gast eine besondere Situation zu schaf-

    19. November 1999                                                                                                                              März 2000
    Eröffnung des Literaturhauses Im MediaPark 6a durch Bundespräsident Johannes Rau                                                               Bettina Fischer wird Geschäftsführerin
25 JAHRE LITERATURHAUS KÖLN       7

                                                                       Ein Literaturhaus für Köln?
                                                                       Ein Erinnerungsfragment
Am 12.01.2021 um 00:54                                                 Mein Mitgliedsausweis des Literatur-                          uns, mich, der ich hier seit meinen ersten
schrieb Thomas Böhm:                                                   hauses Köln trägt die Nummer 12. Ich bin                      Publikationen ab Mitte der 70er-Jahre ak-
                                                                       also Gründungsmitglied. Wenn ich mich                         tiv war, eingeschlossen, auch ein klareres
Den Martini hätte ich nicht vertragen,                                 nun zu erinnern versuche, was ich nach                        institutionelles Bekenntnis der Stadt zur
so wie Umberto Eco ihn getrunken hat:                                  dem Vollzug der Vereinsgründung vor 25                        Literatur, einen zentralen Ort für die Ver-
»Industrielle Mengen Vodka und einen                                   Jahren empfand, so werde ich unsicher.                        mittlung von Literatur. Ich meine mich
Tropf Martini«.                                                        Zweifellos war es Freude, große Freude,                       zu erinnern, damals sogar mit der Skizze
Was den Seitenwechsel angeht: Am liebs-                                doch womöglich auch ein wenig Unmut.                          eines solchen Hauses beim Kulturamt der
ten bin ich Organisator. Ich organisiere ja                            Warum nur hatte es so lange gedauert, bis                     Stadt vorstellig geworden zu sein.
hier in Berlin für radioeins Lesungen im                               auch Köln ein deutliches, symbolstarkes                       Ob es je eine Antwort gab? Ich weiß es
Großen Sendesaal, die auch live im Radio                               Zeichen für eine Verbundenheit mit der                        nicht mehr, und falls ja, so war sie zwei-
übertragen werden. Und da habe ich vie-                                Literatur setzte? Natürlich hatte es im-                      fellos abschlägig.
le alte Kölner Bekannte wiedergetroffen:                               mer schon ein reges literarisches Leben in                    Bedingt durch meine berufliche Entwick-
TC Boyle, Paul Auster, Orhan Pamuk,                                    Köln gegeben; so waren literarische Ver-                      lung, verlor ich den Gedanken bald ein
der sich noch bestens an den Spaziergang                               einigungen und Buchhandlungen als Ver-                        wenig aus den Augen; ein wehmütiges
über den Melaten-Friedhof erinnert hat.                                anstalter aktiv, in der Zentralbibliothek                     Aufflackern gab es erst wieder 1982, als
Ich habe das, von dem Du schreibst, aus                                bestach die nimmermüde Uta Bieder-                            das vom VS in Köln veranstaltete inter-
der Ferne alles mitbekommen. Weil ich                                  mann mit einem auch international weit                        nationale Literaturfestival INTERLIT
natürlich das Programm immer genau                                     gefächerten Lesungsangebot, in ihr – und                      ’82 mit über 250 Schriftsteller*innen aus
anschaue. Und die Aktion für Doğan                                     ab Ende der 70er-Jahre in Dr. Winfried                        annähernd 50 Ländern die Vielfalt und
Akhanli; darüber wurde ja bundesweit                                   Gellner, der als Referent des Kulturam-                       Wirkmächtigkeit der Literatur unter Be-
berichtet.                                                             tes für Literatur zuständig war, – hatten                     weis stellte.
Ja, der Mantel der Geschichte. Vielleicht                              die Autor*innen Kölns stets verlässliche                      Dringlich wurde der Wunsch nach einem
sollte man dankbar sein, wenn der einen                                Partner, etwa für das Veranstaltungspro-                      solchen zentralen Ort wieder nur wenige
nicht allzu oft streift.                                               gramm, das damals die Bezirksgruppe                           Jahre später, als der Senat der Stadt Berlin
Was Du über das Vermissen von Lesun-                                   Köln des Verbands Deutscher Schrift-                          seine bis dahin stiefmütterliche Behand-
gen in Corona schreibst, bringt mich                                   steller dem Publikum regelmäßig in der                        lung der Literatur erkannte, ihr 1986 ein
auf einen anderen Aspekt, der vielleicht                               Hahnentorburg am Rudolfplatz anbot.                           Haus in der Fasanenstraße »schenkte«
durch diese Erfahrung noch mal anders                                  Dennoch wünschten sich manche unter                           und Deutschland das erste Literaturhaus
deutlich wird. Was Lesungen ja auch sind:                                                                                            überhaupt.
Zelebrierungen eines besonderen Augen-                                                                                               Zehn Jahre später nun war es auch in
blicks von Menschen, die durch ihre Lie-                                                                                             Köln soweit – wenn auch ein wenig an-
be zur Literatur verbunden sind. Ganz                                                                                                ders. Mit Kathinka Dittrich van Weringh,
unterschiedliche Menschen, mit ganz                                                                                                  der damaligen Kulturdezernentin der
unterschiedlichen        Lebensgeschichten,                                                                                          Stadt, hatte ich das ein oder andere Mal
die zusammenkommen. Das habe ich                                                                                                     über die Idee eines Literaturhauses ge-
am Literaturhaus immer sehr genossen,                                                                                                sprochen. So ging die Anregung nicht
überhaupt an Köln. Wie sehr sich das                                                                                                 zuletzt von der Stadt aus, denn sie war
Publikum interessieren, begeistern                                                                                                   es, wie in ihrem autobiografischen Buch
lässt. Und auch einen Augenblick                                                                                                     Wann vergeht Vergangenheit nachzulesen,
feiern kann.                                                                                                                         die Dr. Ulrich Wackerhagen auf das Feh-
                                                                                                                                     len eines Literaturhauses ansprach. Doch
Am 12.01.2021 um                                                                                                                     war es nicht die Stadt Köln selbst, die den
14:19 schrieb                                                                                                                        entscheidenden Schritt tat, es waren die
Bettina Fischer:                                                                                                                     Bürgerinnen und Bürger Kölns. Sie legten
                                                                                                                                     Zeugnis ab für den Wert der Literatur in
Feiern ist das Stichwort: Das                                                                                                        ihrer Stadt, als Mitglieder des Vereins Li-
Gespräch führen wir, weil wir                                                                                                        teraturhaus Köln, als Förderer und ehren-
uns leider am 6. Februar – aus                                                                                                       amtlich Tätige. Und auch wenn es mit der
Anlass von 25 Jahren Literatur-                                                                                                      Gründung zunächst noch keinen Ort gab,
haus – NICHT in Köln sehen                                                                                                           an dem Literatur und Öffentlichkeit zen-
werden und nicht, erinnerungs-                                                                                                       tral zusammengebracht werden konnten,
selig zu später Stunde, über die                                                                                                     so stand das Ziel doch klar vor Augen,
frühen Jahre des Literaturhauses                                                                                                     ein Ziel, das zu erreichen auch der Stadt
sprechen. Mir war’s ein Fest, mit Dir                                                                                                Köln von da an zu einem stetigen Anlie-
gemeinsam elf Jahre Literaturhaus-Arbeit                                                                                             gen wurde.
vors innere Auge zu rufen und dabei da-
rüber nachzudenken, was Lesungen be-                                                                                                 WOLFGANG SCHIFFER
sonders macht. Am Anfang steht immer
der Text – und dann sind es die Geschich-                Thomas Böhm mit Harpune, 2001
ten, das Detail, es sind die Begegnungen                 © Hans Günter Contzen
– und was wir daraus machen. Danke,
lieber Thomas.
Und nun muss dies hier rasch zu Thomas
Jarzina, der noch immer unsere Druck-
sachen gestaltet. Du erinnerst Dich be-
stimmt ... weißt Du noch, als ...

April 2003                                                              2003
Das schnellste Buch der Welt mit dem Verlag Landpresse                  Prof. Dr. Gottfried Honnefelder wird Vorstandsvorsitzender
8   25 JAHRE LITERATURHAUS KÖLN

Über das Ermöglichen von Literatur –
Gespräch mit Dagmar Fretter und Beate Möllers
Liebe Dagmar, liebe Beate, ihr kennt bei-      für die Literatur stehen und einen wich-       das für uns als Literaturförderer im Fo-           Für alle müssen wir immer wieder neue
de die Literaturlandschaft – weit über         tigen Beitrag dazu leisten, dass sie wahr-     kus ist, hat die Digitalisierung bisher nur        Unterstützungsformate entwickeln, die
Nordrhein-Westfalen hinaus. Was be-            genommen wird. Dazu gehören natürlich          wenig Einfluss. Ich gehe davon aus, dass           dazu beitragen, dass Literatur wahrge-
reitet euch an eurer Arbeit, Literatur in      die Literaturbüros und Literaturhäuser,        das auf Dauer nicht so bleiben wird, kann          nommen wird.
diesem an Kultur reichen Bundesland zu         aber auch so besondere Einrichtungen           mir aber nicht so recht vorstellen, wie            Welche Bedeutung hat eurer Ansicht nach
ermöglichen, Freude?                           wie das Europäische Übersetzerkolle-           diese Veränderungen aussehen werden.               eine Einrichtung wie ein Literaturhaus?
Dagmar Fretter: Als ich vor mittlerwei-        gium in Straelen. Überall arbeiten Men-        Wahrnehmbar sind sie auf jeden Fall                Dagmar Fretter: Damit sich literarisches
le mehr als elf Jahren nach NRW kam,           schen, die für die Literatur brennen und       schon in der Literaturkritik – Blogs ha-           Leben bilden kann, braucht es Orte der
um bei der Kunststiftung NRW die Lei-          mit denen zusammenzuarbeiten eine              ben hier ja schon etliches übernommen,             Begegnung und des Diskurses als Nähr-
tung des Fachbereichs Literatur zu über-       Freude ist. Und nicht zuletzt ist es natür-    das bisher nur im klassischen Feuilleton           boden für interessante Literatur. Für mich
nehmen, war ich zunächst erstaunt über         lich die eigene Freude an der Literatur, die   stattgefunden hat. Und vielleicht hat die          ist ein Literaturhaus – und das Kölner Li-
die literarischen Entdeckungen, die ich        mich motiviert und treibt.                     Möglichkeit, über die sozialen Netzwer-            teraturhaus erfüllt diese Aufgabe auf her-
hier machen konnte. Die reichten von           Könnt ihr beschreiben, wie sich die Lite-      ke viele Menschen zu erreichen, die das            vorragende Weise – eine Art literarisches
Autor*innen, die mir bis dahin unbe-           raturlandschaft in der Zeit, in der ihr sie    klassische Feuilleton eher nicht lesen,            Kraftzentrum, das für Qualität steht und
kannt waren, über eine große Zahl an           beobachtet und begleitet, verändert hat?       auch dazu beigetragen, dass z. B. die Lyrik        neue literarische Tendenzen aufspürt. Ein
Literatureinrichtungen und Institutionen       Dagmar Fretter: Das ist ein sehr kom-          mehr Aufmerksamkeit findet als noch vor            Ort, um den die Literaturszene kreist,
bis zu besonderen Literaturfestivals von       plexes Thema, das ich hier nur anreißen        einigen Jahren.                                    der das Gespräch über literarische, aber
außerordentlicher Qualität, dazu die           kann. Insgesamt hat sich die Literatur-        Wo seht ihr die größten Herausforderun-            auch kultur- und gesellschaftspolitische
vielen großen und kleinen Player, die          landschaft natürlich dahingehend ver-          gen (auch jenseits der Corona-Folgen)              Themen anstößt. Themen, die Menschen,
dieses dezentrale Bundesland literarisch       ändert, dass die Verkaufszahlen von an-        – als fördernde / ermöglichende Institu-           die literarisch arbeiten oder Literatur re-
bespielen. Es war eine große Freude für        spruchsvoller Literatur – und von der          tionen und in der Entwicklung der Lite-            zipieren – Autor*innen, Übersetzer*in-
mich, die Möglichkeiten auszuloten, wie        spreche ich hier – seit Jahren zurückge-       raturlandschaft?                                   nen, Vermittler*innen und natürlich die
die Kunststiftung NRW als unabhängige          hen. Der Wettbewerb und die Dichte auf         Dagmar Fretter: Die Literatur ist eine             Leser*innen – zusammenbringen, am
Fördereinrichtung durch gezielte Unter-        dem Buchmarkt nehmen beständig zu,             langsame Kunst, die nicht kurzfristig auf          besten physisch, aber nun, krisenbedingt,
stützung zur Weiterentwicklung dieser          gleichzeitig erwartet das Publikum im-         aktuelle Ereignisse reagiert – zum Glück,          auch im digitalen Raum. Ein lebendiger
Literaturlandschaft beitragen kann. Dann       mer mehr Eventkultur und Inszenierung.         könnte man sagen. Und in diesem Sinne              Ort also für gute Literatur und das Ge-
die Freude, zu beobachten, wie diese bun-      Für Autor*innen wird es also schwieriger,      sollten auch wir als Fördereinrichtungen           spräch darüber, zu dem sich das Litera-
te Vielfalt – auch durch die flexiblen För-    vom Verkauf ihrer Bücher zu leben. Au-         keine Schnellschüsse und abrupte Rich-             turhaus Köln in 25 Jahren entwickelt und
dermaßnahmen der Kunststiftung NRW             tor*innen waren immer schon und sind           tungswechsel vollführen. Es bleibt unsere          dabei kein bisschen Staub angesetzt hat.
– Profil gewinnt, wie Autor*innen auch         zunehmend auf Honorare aus Lesungen            Aufgabe, gezielt zu fördern, Qualität aus-         Beate Möllers: Ich knüpfe auch gern noch
weit über das Bundesland hinaus bekannt        und Veranstaltungen angewiesen. Auch           zumachen, Veränderungen zu beobach-                einmal an den Beitrag zum gesellschaftli-
wurden, wozu auch eine Initiative der          das führt sicherlich dazu, dass jedes Jahr     ten, zu analysieren – und im beständigen           chen Diskurs an, den die Literatur leisten
Stiftung, die Schriftenreihe Literatur, bei-   neue Literaturfestivals aus dem Boden          Austausch mit unseren Förderpartnern               kann und auch soll. Das Lesen selbst ist
tragen konnte. Besonders freue ich mich        schießen. Tatsächlich gibt es immer mehr       darauf zu reagieren. Die vielen digitalen          ja eine eher einsame Angelegenheit. Es
über die lebendige Lyrikszene in NRW           regionale literarische Großereignisse, die     Formate, die im vergangenen Jahr eine              braucht daher Orte, an denen dieser Dis-
und die Begegnungen mit einigen der be-        sich an dem bekannten Kölner Großer-           rasante technische Professionalisierung            kurs explizit stattfinden kann, an denen
deutendsten Dichter*innen, die wir im          eignis orientieren, sich aber auch produk-     in der Inszenierung von Literatur ge-              Menschen miteinander über Texte ins
deutschsprachigen Raum haben.                  tiv davon abgrenzen.                           bracht haben, müssen bewertet und auf              Gespräch kommen, an denen Bücher und
Und natürlich freue ich mich immer wie-        In NRW hat all das erfreulicherweise zu        Qualität hinsichtlich des künstlerischen           Autoren nicht wegen der Verkaufszahlen,
der über die enge Zusammenarbeit mit           einem engeren Austausch zwischen den           Mehrwerts geprüft werden. Außerdem                 sondern der literarischen Qualität und
dem Literaturhaus Köln, die sich im Lauf       Literaturschaffenden geführt. Die Lite-        müssen wir dafür sorgen, dass auch in              der inhaltlichen Relevanz wegen vorge-
der Jahre durch die Ermöglichung von           raturlandschaft NRW ist nach meiner            Zeiten einer Pandemie grenzüberschrei-             stellt und diskutiert werden. Und gerade
Veranstaltungsreihen und Schwerpunkt-          Wahrnehmung in den letzten Jahren              tende Begegnungen möglich sind. Denn               in Köln wird deutlich, dass ein Literatur-
setzungen intensiviert hat. Vor allem          deutlich stärker und sichtbarer geworden:      obwohl Schreiben ein einsames Geschäft             haus nicht nur ein Veranstaltungsort ist,
möchte ich den beständigen und anre-           Renommierte Institutionen wie z. B. das        ist, brauchen auch Autor*innen Bewe-               sondern auch eine zentrale Anlaufstelle
genden Austausch mit dir, liebe Bettina,       Übersetzer-Kollegium in Straelen konn-         gung und Begegnung.                                für das literarische Leben in der Stadt
zu literarischen oder literaturpolitischen     ten ihr Qualifizierungsangebot erweitern,      Beate Möllers: Eine große Herausforde-             sein kann, ein Ort, der für Leserinnen
Themen nicht missen.                           neue Festivals wie z. B. die Wuppertaler       rung sehe ich darin, die Vielfalt, die das         und Leser genauso wichtig ist wie für Au-
Je länger ich über diese Frage nachdenke,      Literatur Biennale haben sich stetig ent-      literarische Schaffen in Deutschland aus-          torinnen und Autoren, für Rezensenten,
desto mehr Freude empfinde ich an dieser       wickelt, in Westfalen ist mit dem Center       zeichnet, zu erhalten und zu stärken – ge-         Blogger, und, und, und. Veranstaltungen
Arbeit!                                        for Literature Burg Hülshoff ein neues         gen den Trend der Kommerzialisierung               wie der Mittagstisch für Autoren oder das
Beate Möllers: Freude daran bereitet           literarisches Zentrum mit neuen Schwer-        und der medialen Konzentration auf                 Café fremdwOrte mit geflüchteten Auto-
mir genau das: Literatur zu ermöglichen,       punkten aufgeblüht und wirft andere, di-       Bestseller. Gute Literatur ist nicht nur ein       rinnen und Autoren, die im Literaturhaus
denen, die schreiben, und denen, die           versere Schlaglichter auf die Gegenwarts-      ästhetisches Vergnügen, sondern leistet            stattfinden, sind für mich sehr prägnante
Literatur vermitteln, den dafür nötigen        literatur. Dazu bringt der noch junge          einen wichtigen Beitrag zum gesellschaft-          Beispiele für die Aufgaben, die ein Lite-
Spielraum zu verschaffen, gemeinsam mit        Schwerpunkt Literarisches Schreiben an         lichen Diskurs. Damit sie entsteht, brau-          raturhaus wahrnehmen, und damit auch
interessanten und engagierten Menschen         der Kunsthochschule für Medien inter-          chen wir gute Autorinnen und Autoren               für die Bedeutung, die es haben kann.
über neue Wege nachzudenken. Dabei             essante Stimmen zwischen Literatur und         und engagierte Verlage – und die müssen
entdecke auch ich immer wieder Neues           anderen Künsten hervor.                        von ihrer Arbeit leben können. Wir brau-           DAGMAR FRETTER ist Fachbereichsleiterin
in dieser breit aufgestellten, bunten und      Beate Möllers: Ich habe den Eindruck,          chen auch Orte und Veranstalter, die li-           der Kunststiftung NRW. BEATE MÖLLERS ist
vielfältigen Literaturszene in NRW. Als        dass eine wesentliche Veränderung noch         terarische Texte präsentieren, vermitteln          Literaturreferentin im Ministerium für Kultur
Landesregierung haben wir dabei immer          bevorsteht: Zumindest in dem Segment,          und die Diskussion darüber anstoßen.               und Wissenschaft NRW
auch die Infrastruktur im Blick – die Ins-
titutionen, die vor Ort und in der Region

      2004                                                                                                           2007
      1. Literarische Werkschau Ensuite                                                                              Eröffnung im Forum für Fotografie in der Schönhauser Straße
25 JAHRE LITERATURHAUS KÖLN               9

                                    Literatur und Verwaltung. Gespräch
                                    mit Nadine Müseler und Gerd Winkler
                                    Liebe Nadine, lieber Gerd, danke, dass            es so gut wie keine Förderstrukturen auf             gemeinsam – auch mit weiteren Ak-
                                    ihr euch auf einen Austausch über Lite-           Ebene des Landes oder der Kommunen                   teur*innen aus der Kölner Literaturszene
                                    ratur und Verwaltung einlasst! Ich denke,         für Literaturschaffende und -vermitteln-             – haben wir auch einige andere Projekte
                                    dass vielen die durchaus nahe Verbindung          de gibt, freute es mich sehr, die Früchte            auf den Weg gebracht. Wie seht ihr die
                                    nicht klar ist. Und wenn ich sage, »was           zu sehen, die eine solche Förderung im               Bedeutung des Literaturhauses für Köln?
                                    wären wir ohne hilfreiche Unterstützung           besten Fall hervorbringen kann.                      GW: Für mich hat die Bedeutung des Li-
                                    aus dem Kulturamt Köln«, dann sage ich            Wie soll sich ein Antragsteller verhalten?           teraturhauses mehrere Aspekte. Zum ei-
                                    das gewiss im Namen vieler Kulturschaf-           Macht das Literaturhaus viel Arbeit?                 nen ist es eine Institution, die das Kölner
                                    fender und -vermittler*innen!                     GW: Jeder Antragsteller/jede Antragstel-             Literaturleben und letztlich auch die Li-
                                    Um kurz die Voraussetzungen zu klären:            lerin sollte sich wahrhaft und realistisch           teraturszene von außen deutlich sichtbar
                                    Wann ist euch das Literaturhaus das ers-          verhalten und die Inhalte der Projekte               werden lässt. Es ist ein »Fixstern«, neben
                                    te Mal begegnet? Und verbindet ihr damit          sollten sich auch nachvollziehbar in den             dem eine Vielzahl anderer individueller
                                    vielleicht auch eine Geschichte?                  Projektbeschreibungen        wiederfinden.           Protagonisten und Orte die Vielfalt in
                                                                                      Eine Förderung von Luftschlössern ge-                Köln lebt. Es ist auch ein Motor, der im-
                                                                                      hört nicht zu den Förderzielen des Kul-              mer wieder neue Formate und Blicke auf
                                 Im Geiste Heinrich Bölls
                                                                                      turamts.                                             die Literatur durch eine kluge Programm-
                                 IOO JAHRE                                            NM: Ergänzend möchte ich hinzufügen,                 gestaltung kreiert. Nicht nur bekannte
                                                                                      dass ich unseren Job neben der Antrags-              Autorinnen und Autoren werden vorge-
                                                                                      bewertung auch darin sehe, Antrag-                   stellt, sondern auch noch unbekannten
                                                                                      steller*innen zu vernetzen, auf Wunsch               wird eine Plattform geboten. Diesen Mix
                                                                                      auch spartenübergreifend, »Scout« und                begrüße ich sehr.
                                                                                      »Ermöglicher« von Neuerungen zu sein.                NM: Gerd bringt es wunderbar auf den
                                                                                      Die positive Entwicklung der letzten Jah-            Punkt. Aus meiner Sicht hat das Literatur-
               Samstag, 25. November     Mit: Jürgen Becker (Böll-Preis 1995),
              WDR – Kleiner Sendesaal    Marcel Beyer (2001)                          re liegt auch an diesem Teil unserer Tä-             haus auch bei der Entwicklung der Kul-
                                         und Eva Menasse (2013)
             Funkhaus am Wallrafplatz    Eine Anmeldung ist erforderlich unter        tigkeit. Klar, insgesamt macht das viel              turentwicklungsplanung der Stadt Köln
                            12.00 Uhr    boell100@literaturhaus-koeln.de
                                         Die Kartenvergabe erfolgt nach Reihenfolge   Arbeit, aber das liegt nicht am Literatur-           eine entscheidende Rolle gespielt. Zu-
                                         der eingegangenen Zusagen
                                                                                      haus!                                                dem vertritt das Literaturhaus die Inter-
         Plakat 100 Jahre Böll                                                        GW: Die Zusammenarbeit mit dem Lite-                 essen von Autor*innen, ehrt sie zu ihren
                                    Gerd Winkler: Das Literaturhaus kenne             raturhaus ist immer sehr angenehm und                Jubiläen mit besonderen Veranstaltungen
                                    und begleite ich bereits seit seiner Grün-        inspirierend und verläuft wünschenswert              und regt den Austausch der Literatursze-
                                    dung und habe seine »Geburtswehen«,               problemlos. Dies ist sicher auch der Tat-            ne an – beispielsweise mit unserem jähr-
                                    wenn nicht direkt aus erster Hand, so             sache geschuldet, dass auf der »anderen              lichen gemeinsamen »Saisonauftakt«, der
                                    doch aber sehr nah miterlebt. Bevor das           Seite« Profis ihre Arbeit mit viel Herzblut          hoffentlich bald wieder stattfinden kann.
                                    Literaturhaus eine eigene Bleibe hatte,           machen.
                                    hat das Kulturamt der damaligen Leiterin          Welchen Anteil hat die Literaturförde-
                                    Anke Windel über mehrere Jahre »Asyl«             rung eigentlich an der Förderung der                 Kulturarbeit entsteht häufig im Zusam-
                                    in seinen Räumlichkeiten gewährt. Die             freien Szene?                                        menspiel der Kulturakteur*innen mit der
                                    Erstausstattung in seinem ersten Domizil          GW: Die Literaturförderung hat einen                 Verwaltung und Politik einer Stadt. An
                                    haben wir auch maßgeblich gefördert.              Anteil von 4 % an der Gesamtförderung                dieser Stelle möchten der Vorstand und
                                    Nadine Müseler: Tatsächlich ist mir die           durch das Kulturamt (s. Geschäftsbericht             das Team des Kölner Literaturhauses allen
                                    Arbeit des Literaturhauses erst voll be-          Kulturamt 2019, S. 27).                              sehr herzlich danken, die sich in der Ver-
                                    wusst geworden, als ich 2015 nach meiner          Das Kölner Literaturhaus wird seit 2001              waltung mit Rat und Tat um die Entwick-
                                    Tätigkeit in Marokko zurück nach Köln             regelmäßig von der Stadt Köln finanziell             lung und den Bestand des Literaturhauses
                                    gekommen bin. Mit dem Blick von außen             gefördert, mittlerweile mit einem soge-              kümmern.
 Lesen ist                          und aus einem Land kommend, in dem                nannten Betriebskostenzuschuss. Aber                 Ein besonderer Dank geht an Gerd
         ...
für mich                                                                                                                                   Winkler: Seit Bestehen des Literaturhauses
                                                                                                                                           ist er im Kulturamt als Sachbearbeiter des
                                                                                                                                           Literaturreferats tätig. An der Seite der Re-
                                                                                                                                           ferent*innen Dr. Winfried Gellner, Barba-
... eine Fertigkeit, die man für’s Leben braucht. Wer Bücher liest,                                                                        ra Foerster und Nadine Müseler hat Gerd
                                                                                                                                           Winkler dem Literaturhaus mit ruhiger
ist nicht zwingend, aber möglicherweise auch fähiger, politische                                                                           Gelassenheit und umfassender Sachkennt-
                                                                                                                                           nis beigestanden. Im Frühjahr 2021 geht er
und gesellschaftliche Vorgänge zu „lesen“ und ist ihnen im                                                                                 nach mehr als 32 Jahren Arbeit im Kultur-
                                                                                                                                           amt in den Ruhestand. Wir wünschen ihm
Idealfall weniger ausgeliefert, weniger manipulierbar. Literatur                                                                           nur das Beste!
lesen bedeutet für mich aber auch, ganz physisch, dem
Wesentlichen zu begegnen.
		 						 Insa Wilke

Januar 2007                                                                                          August 2007
Ines Dettmann wird Programmleiterin Junges Literaturhaus Köln                                        Eröffnung Junges Literaturhaus Köln
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