Kirchen info - Wir haben es in der Hand Zeit für Gleichbehandlung kirchlicher Beschäftigter - ver.di - Gesundheit & Soziales

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Kirchen info - Wir haben es in der Hand Zeit für Gleichbehandlung kirchlicher Beschäftigter - ver.di - Gesundheit & Soziales
Nr. 33 · April 2019

                      Kirchen info

      Wir haben es in der Hand
       Zeit für Gleichbehandlung kirchlicher Beschäftigter
Kirchen info - Wir haben es in der Hand Zeit für Gleichbehandlung kirchlicher Beschäftigter - ver.di - Gesundheit & Soziales
Inhalt
                              Widerständig solidarisch: Die Dienstherrschaft überwinden                   3
                              Einer für alle – alle für einen:
                              Auf dem Weg zu Mindestbedingungen in der Altenpflege                        4
                              Diakonie Baden: Beschäftigte stellen Arbeitgeber Ultimatum                  6
                              Caritas-Stiftung Liebenau in Baden-Württemberg
                              »Für Lohndumping stehen wir nicht zur Verfügung«                            7
                              Plötzlich Kirche: Arbeitgeber flüchtet in die Diakonie Hessen               9
                              Erleuchtung erwünscht: Protest zur EKD-Synode in Würzburg                  11
                              Das neue Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD: Nicht mehr als nötig        14
                              Bericht 17. Kasseler Fachtagung:
                              MVG-Novellierung, Private Equity, Digitalisierung                          15
                              Diakonie Deutschland: Hilflose Flickschusterei bei Arbeitsrechtssetzung    19
                              Ihr fragt, ver.di antwortet                                                20
                              Diakonie Niedersachsen: Haustarifvertrag für ambulanten Pflegedienst       21
                              Diakonie Niedersachsen: Protest gegen 40-Stunden-Woche                     21
                              Diakonie Mecklenburg-Vorpommern: Schlechter dran ohne Tarifvertrag         23
                              Diakonie Mecklenburg-Vorpommern: ver.di ist dialogbereit                   24
Fotos: Timm Schamberger

                              Unsere Ansprechpartner/innen in den ver.di-Landesbezirken                  24
                              Diakonie Würzburg: Es geht weiter auf dem Weg zum Tarifvertrag             25
                              Interview mit Grit Genster über die neuen Pflege-Gesetze:
                              »Unser Druck wirkt«                                                        26
                              Diakonie Mitteldeutschland:
                              Seit einem Jahr ohne Ergebnis – Entlastung »nicht verhandelbar«            28
                              Caritas Ost: Weg der Arbeitsrechtlichen Kommission in Frage gestellt       29
                              Diakonie Hessen: Arbeitsrechtsregelungsordnung wird zum Fallstrick         30
                              Sozial- und Erziehungsdienst: Zeit für ein wirklich gutes Kita-Gesetz      31
                              Ein Meilenstein:
                              Das neue Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht     32
                              Kirchengerichtshof der EKD: Urteil mit Folgen                              33
                              Diakonie Hessen: Nachlese zur Wahl des Gesamtausschusses 2018              34

                              Impressum:

                              ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
                              Bundesverwaltung
                              Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin
                              Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen
                              Verantwortlich: Sylvia Bühler

                              Briefe an die Redaktion:
                              ver.di Bundesverwaltung, Ressort 9, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin
                              Email: mario.gembus@verdi.de

                              Redaktionsteam: Uta von Schrenk, Herbert Deppisch, Daniel Behruzi, Mario
                              Gembus, Berno Schuckart-Witsch, Daniel Wenk

                              Fotos auf dem Umschlag und Seiten 12/13: Timm Schamberger

                              Redaktionsschluss nächste Ausgabe: 18. Oktober 2019

                              Layout: fgl-werketage, Andreas Hesse · Druck: Druckerei Bunter Hund

                          2   W-3521-05-0918
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Foto: ver.di

               Aktiv in der Mittagspause: Beschäftigte der Diakonie Niedersachsen in Rotenburg, Februar 2019

               Widerständig solidarisch:

               Die Dienstherrschaft überwinden
               Liebe Leserin, lieber Leser,                                bestimmung der Mitarbeitervertretung nach Guts-
               in diesem Jahr feiern wir den 70. Geburtstag des Tarif-     herrenart. Bei der Caritas in Württemberg geht es
               vertragsgesetzes und mehr als hundert Jahre gesetz-         ähnlich zu: Der Konzern Stiftung Liebenau wendet be-
               liche Mitbestimmung in Deutschland. Beides sind keine       reits seit langer Zeit für drei Altenhilfeeinrichtungen die
               Gefälligkeiten des Gesetzgebers gewesen, sondern Er-        Arbeitsvertragsrichtlinien nicht mehr an, sogar mit bi-
               gebnis harter Auseinandersetzungen, geführt von Ar-         schöflichem Segen. Die Folge sind abgesenkte Löhne
               beiterinnen und Arbeitern. Waren Tarifverträge und Be-      sowie der Wegfall der Altersversorgung auf Kosten der
               triebsräte einst auch für kirchliche Betriebe Normalität,   Beschäftigten – und das in einer Zeit, in der dringend
               so versuchen sich die Kirchen ihnen seit 1949 zu entzie-    die Arbeits- und Lohnbedingungen in der Altenhilfe
               hen und regeln ihre arbeitsrechtlichen Angelegenheiten      verbessert werden müssen. Genau darum ringt ver.di
               selbst. Die mit der Teilung Deutschlands politisch her-     mit den Wohlfahrtsverbänden über den Weg einer
               geleitete Begründung für diese Ausnahme ist seit            Flächentariflösung, doch ausgerechnet die kirchlichen
               knapp 30 Jahren hinfällig. Die Glaubwürdigkeit der          Arbeitgeber zieren sich nach wie vor.
               krampfhaft aufrecht erhaltenen theologischen Begrün-             Auch höchstrichterlich bröckelt die Daseinsberechti-
               dung für den rechtlichen Sonderstatus hat ebenfalls         gung der arbeitsrechtlichen Privilegien der Kirchen wei-
               eine rapide sinkende Halbwertszeit.                         ter. Das Bundesarbeitsgericht hat gerade entschieden,
                   Denn die kirchlichen Wohlfahrtsverbände entziehen       dass die Kündigung eines Chefarztes aufgrund seiner
               sich selbst jegliche Legitimation für Sonderrechte – und    Wiederheirat eine unzulässige Diskriminierung darstellt.
               das mit einem enormen Tempo: Sie nutzen landauf und         Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in
               landab die ganze weltliche und kirchliche arbeitsrecht-     2018 zur Benachteiligung einer konfessionslosen Be-
               liche Klaviatur, um sich Wettbewerbsvorteile zu ver-        werberin ist dies eine folgerichtige, zeitgemäße Ent-
               schaffen. In der Diakonie im Norden vereinbaren Ar-         scheidung und eine weitere Stärkung von Beschäf-
               beitgeber einzeln Arbeitsverträge und senken dabei          tigtenrechten in kirchlichen Einrichtungen.
               kräftig Löhne. In Mitteldeutschland lehnen die Arbeit-           Die Praxis der kirchlichen Arbeitgeber beweist:
               geber in der Arbeitsrechtlichen Kommission die Forde-       Betriebliche Mitbestimmung durch gewählte Interessen-
               rungen der Beschäftigten nach Entlastung mit den            vertretungen und eine starke Gewerkschaft sind nicht
               Worten ab, dass sie »nicht verhandelbar« seien. In Hes-     nur richtig, sondern so nötig wie eh und je. Die Interes-
               sen begeht ein weltlicher Arbeitgeber in der Altenhilfe     sen zwischen uns Beschäftigten und Arbeitgebern sind
               Tarifflucht, indem er in der Diakonie Mitglied wird und     gegensätzlich, auch in kirchlichen Betrieben. Dieser
               davon ausgeht, er könne sich so einer Tarifauseinander-     Gegensatz kann nur durch unser solidarisches und
               setzung mit ver.di entziehen. In Baden baut der diako-      gemeinsames Handeln in Ausgleich gebracht werden.
               nische Arbeitgeber einer großen Altenhilfeeinrichtung       Lasst uns gute Arbeitsbedingungen fordern, für sie
               rigoros Personal in der Küche ab, spricht Änderungs-        streiten und für sie kämpfen. Wir haben es selbst in der
               sowie Beendigungskündigungen aus – alles ohne Mit-          Hand.
                                                                                                    Eure Kirchen.info-Redaktion

               Kirchen.info Nr. 33 · März 2019                                                                                      3
Einer für alle – alle für einen:

Auf dem Weg zu Mindestbedingungen
in der Altenpflege
Die Zeiten, in denen der Bundesangestelltentarifvertrag       Westen und 10,55 Euro im Osten. Pflegefachkräfte
(BAT) unmittelbar galt und von den Wohlfahrtsverbän-          werden nicht selten mit 12 Euro pro Stunde abge-
den und Kirchen durch Tarifverträge bzw. über den so          speist. In Sachsen-Anhalt liegt zum Beispiel das mittle-
genannten »Dritten Weg« nahezu Eins-zu-eins über-             re Bruttoentgelt einer Pflegefachkraft bei 2.136 Euro.
nommen wurde, sind lange vorbei. Mit der Privatisie-          Das ist angesichts der wichtigen und verantwortungs-
rung und Öffnung der Altenpflege für kommerzielle             vollen Aufgaben, die die Kolleginnen und Kollegen
Betreiber und der gleichzeitigen Teilfinanzierung wurde       jeden Tag bewältigen, beschämend niedrig. Vor dem
ein wirtschaftlicher Wettbewerb in Gang gesetzt, der          Hintergrund der weit verbreiteten Teilzeit ist Altersar-
schamlos auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetra-           mut vorprogrammiert. Niemand muss sich wundern,
gen wird. Inzwischen haben sogar Finanzinvestoren             wenn es mit solchen Bedingungen nicht gelingt, Stel-
und milliardenschwere Private-Equity-Fonds die Alten-         len zu besetzen.
pflege als Betätigungsfeld entdeckt und ziehen hohe               In kommunalen Diensten und Einrichtungen und
Renditen heraus. Der Anteil großer kommerzieller Trä-         vielen Pflegeeinrichtungen der weltlichen Wohlfahrts-
ger im Bereich Altenpflege nimmt seit Jahren stetig zu.       verbände gibt es Tarifverträge. Die gewerkschaftlich
Tarifflucht, Ausgliederung, niedrige Löhne, zu wenig          organisierten Beschäftigten bestimmen also im Rah-
Personal, fehlende betriebliche Mitbestimmung und             men von Tarifauseinandersetzungen ihre konkreten
miese Arbeitsbedingungen sind das Ergebnis.                   Arbeitsbedingungen mit. Auch hier gilt es stärker zu
    In vielen stationären Einrichtungen und ambulanten        werden, um noch bessere Abschlüsse zu erzielen. Die
Pflegediensten bekommen Pflegehilfskräfte gerade ein-         Tariflandschaft ist jedoch völlig zersplittert. Es gibt bis-
mal den Pflegemindestlohn von derzeit 11,05 Euro im           her keinen Arbeitgeberverband, mit dem ver.di über

    Pressemitteilung

    AGMAV begrüßt Aktivitäten zum Flächentarifvertrag für die Altenpflege
    Das politische Klima für einen Flächentarifvertrag für       Kirchliche Tarife haben bislang ohnehin nur dann
    die Altenpflege ist so gut wie noch nie. Die Arbeits-    zu einer guten Bezahlung geführt, wenn sie sich am
    gemeinschaft der Mitarbeitervertretungen in der          Tarifrecht des Öffentlichen Dienstes orientiert haben.
    Württemberger Diakonie (AGMAV) begrüßt die Ak-           Im kircheneigenen Dritten Weg gibt es für die Ar-
    tivitäten der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft      beitnehmerseite keine Durchsetzungsmöglichkeiten,
    (ver.di), für die Altenpflege flächendeckend Tarifbe-    die Kirchen schließen das Streikrecht aus. Damit ist
    dingungen auf TVöD-Niveau durchzusetzen. Nur so          der Dritte Weg der Kirchen, so er nicht die Tarifab-
    lassen sich Konkurrenz durch Lohnkostenwettbe-           schlüsse des Öffentlichen Dienstes übernimmt, eher
    werb auf Kosten der Beschäftigten in dieser Branche      ein Weg zur Tarifabsenkung. Für den Großteil der
    beenden und dringend erforderliche tarifliche Ver-       Beschäftigten in der Württemberger Diakonie gilt
    besserungen erzielen.                                    weitestgehend der TVöD.
         Gleichzeitig bedauert die AGMAV, dass gerade            Damit auch morgen noch durch motivierte Be-
    die kirchlichen Wohlfahrtsverbände – Diakonie und        schäftigte Altenpflege mit hoher Qualität gemacht
    Caritas – den Weg zu besseren Arbeitsbedingungen         werden kann, fordert die AGMAV die Diakoniear-
    in der Altenpflege erschweren, indem diese weiter        beitgeber auf, sich gemeinsam mit ver.di für gute
    an ihrer kircheneigenen Tarifregelung, dem soge-         Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezah-
    nannten Dritten Weg, festhalten. Offensichtlich ist      lung einzusetzen. Die Politik muss dazu dringend die
    den kirchlichen Arbeitgebern ein Wettbewerbsvorteil      erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen, insbe-
    durch eigene Tarife wichtiger, als mit einem mög-        sondere eine auskömmliche Refinanzierung.
    lichen Flächentarifvertrag auf hohem Niveau dafür
    zu sorgen, dass sich ausreichend Beschäftigte für die                                  Stuttgart, 24.01.2019
    Altenpflege entscheiden.

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Branchenlösungen verhandeln könnte. Viele Arbeitge-        (§7a) flächendeckend erstreckt werden kann. Bei der
               ber, insbesondere die kommerziellen, weigern sich, mit     Frage, wie die kirchlichen Träger eingebunden werden
               ver.di überhaupt Tarifverhandlungen zu führen. Unsere      können, gibt es verbandsintern offensichtlich noch eini-
               Erfahrungen aus Haustarifverhandlungen zeigen: Wir         gen Diskussionsbedarf. Aber möglich ist es.
               müssten selbst in gut organisierten Häusern wochen-             ver.di appelliert an die Verantwortung aller Akteure
               lang streiken, nur um die Arbeitgeberseite an den Ver-     in der Altenpflege, sich der Tragweite bewusst zu wer-
               handlungstisch zu bewegen. Bei fast 29.000 statio-         den und schnell eine Lösung zu finden. Die Bundesre-
               nären Einrichtungen und ambulanten Pflegediensten          gierung hat in ihrem Koalitionsvertrag verankert, die
               kann das nicht zielführend sein.                           Voraussetzungen für flächendeckende Tarifverträge zu
                   Hinzu kommt die zusätzliche Hürde des kirchenei-       schaffen. ver.di hat ihre Hausaufgaben gemacht und im
               genen Weges zur Arbeitsrechtssetzung. Das Entgeltni-       September 2018 eine Bundestarifkommission aus Be-
               veau liegt im Bereich der kirchlichen Träger zwar häufig   schäftigten aller Trägerarten in der Altenpflege gebil-
               höher als bei den Kommerziellen. Das Beharren auf          det. Im Januar 2019 hat diese ihre Forderungen für
               ihrem Weg führt jedoch zu viel grundlegenderen Pro-        einen Tarifvertrag zu Mindestentgelten und Mindestar-
               blemen: eingeschränkte betriebliche und nicht gege-        beitsbedingungen beschlossen. Das Grundeinstiegsge-
               bene tarifvertragliche Mitbestimmung. Statt mit ver.di     halt soll auf dem Niveau des TVöD liegen. Das ent-
               Tarifverträge zu verhandeln, versuchen die kirchlichen     spricht aktuell 16 Euro pro Stunde für eine
               Träger in arbeitsrechtlichen Kommissionen, die Bedin-      Pflegefachkraft und 12,84 Euro pro Stunde für Pflege-
               gungen zu regeln. Das stellt auch für das Vorhaben         hilfskräfte ohne Ausbildung. Zwischen Ost und West
               eines flächendeckenden Tarifvertrages eine zusätzliche     soll nicht unterschieden werden. Weiterhin fordert die
               Hürde dar. Weltliche Wohlfahrtsverbände haben ange-        Tarifkommission unter anderem 30 Tage Mindesturlaub,
               kündigt, sich zusammenzuschließen und einen gemein-        ein Urlaubsgeld von 1.000 Euro und für die stationäre
               samen Arbeitgeberverband zu gründen. Das bildet die        Pflege »keine Schicht allein«.
               Voraussetzung für Verhandlungen über einen Tarifver-
               trag zu Mindestbedingungen, der dann vom Bundesar-         ver.di steht für Verhandlungen bereit. Nun liegt
               beitsminister über das Arbeitnehmerentsendegesetz          der Ball auf der Arbeitgeberseite.
Foto: ver.di

               ver.di-Tarifkommission Altenpflege

               Kirchen.info Nr. 33 · März 2019                                                                                   5
Foto: ver.di
Elisabethenheim Müllheim: Die Kolleg/innen der Hauswirtschaft setzen ihrem Arbeitgeber ein
Ultimatum für bessere Arbeitsbedingungen

Diakonie Baden:

Beschäftigte stellen Arbeitgeber Ultimatum
In der stationären Altenhilfeeinrichtung Elisabethen-
heim Müllheim wehren sich die Beschäftigten in der Es-      verbessern. Vergebens. Die Art und Weise, wie
sensversorgung gegen die drastische Verschlechterung        mit uns umgegangen wird, ist nicht wertschät-
ihrer Arbeitsbedingungen. Durch Kündigungen und             zend. Jetzt zwingen wir unseren Arbeitgeber
Auslaufen von Befristungen im Umfang von 6,3 Voll-          zum Handeln.
zeitstellen wurde ihre tägliche Arbeitszeit zum Jahres-        Wir verlangen das Einplanen einer fünften
wechsel fast halbiert. Sollte der Arbeitgeber ihre Forde-      Präsenzkraft im Früh- und im Spätdienst sowie
rung nach einer fünften Person in Früh- und Spätdienst         das dienstplanmäßige Einplanen der aktuell
bis Ostern nicht erfüllen, kündigen sie Konsequenzen           gearbeiteten Arbeitszeiten in der Hauswirt-
an. Mit diesem wohl ersten Ultimatum im kirchlichen            schaft.
und im hauswirtschaftlichen Bereich reagieren die Mit-         Wir fordern mindestens 40 Minuten Zeit je Be-
arbeiter/innen auf das rücksichtslose Vorgehen ihres           wohner und Tag für die Versorgung unserer
Arbeitgebers. Die Kolleg/innen fordern ihren Arbeitge-         Bewohner/innen mit Frühstück, Mittagessen
ber mit folgenden Worten zum Handeln auf:                      und Abendessen.
                                                               Wir fordern außerdem die Einhaltung der
    »Wir arbeiten im Elisabethenheim in Müllheim               Dienstvereinbarung zu Regelungen der Ar-
    (Evang. Sozialwerk Müllheim e.V.) und sind in              beitszeit, Urlaubsplanung bzw. -berechnung
    Sorge wegen der qualifizierten Essensversor-               und der Dienstplanung vom 12.12.2017
    gung unserer Bewohner/innen. Wir möchten                Wir geben dem Vorstand bis zum 22.04.2019
    die Bewohner/innen gut mit Essen versorgen.             Zeit, das Problem zu lösen. Sollte bis zu diesem
    Wir wollen unsere Kolleg/innen aus der Pflege           Datum keine Änderung erfolgt sein, dann wer-
    von pflegefremden Tätigkeiten entlasten, doch           den wir:
    wir sind erschöpft. Wir können nicht mehr. Seit            nicht mehr über die im Dienstplan festgelegte
    der Umstrukturierung Anfang 2019 und dem                   Arbeitszeit hinaus arbeiten
    Freisetzen von 6,3 Vollzeitstellen in der Essens-          nicht mehr aus dem Frei kommen
    versorgung fehlt es an Personal. Wir können                nicht mehr bereit sein, über 10 Stunden täg-
    und wollen die Belastungen nicht länger ertra-             lich zu arbeiten
    gen. Unsere Geduld ist am Ende. Seit Wochen                uns streng nach Recht und Gesetz richten und
    versuchen wir mit unserer MAV die Situation zu             nach Vorschrift arbeiten«

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Die Kolleg/innen der Hauswirtschaft geben mit diesem      Abschluss eines Sozialplanes führte aufgrund der
               Vorgehen die richtige Antwort auf die drastische Ver-     Schwäche des Mitarbeitervertretungsgesetzes nicht
               schlechterung ihrer Arbeitsbedingungen. Sie nehmen        zum Erfolg. In einer zweiten Welle sprach der Arbeitge-
               das Heft in die Hand und vertrauen nicht darauf, dass     ber zum Ende des Jahres 2018 weitere Kündigungen
               andere das Problem für sie lösen. Von der Änderung        aus – gänzlich ohne Beteiligung der Mitarbeitervertre-
               der Arbeitsbedingungen in der Hauswirtschaft sind         tung, ohne Beachtung von tariflicher Unkündbarkeit
               auch die Kolleg/innen in der Pflege massiv betroffen.     (nach AVR) und ohne Beachtung einer Sozialauswahl.
               Die dringend notwendige Entlastung und Aufwertung         Insgesamt wurden in der Essensversorgung 6,3 Vollzeit-
               der Altenpflege wird auf diese Weise nicht gelingen.      stellen abgebaut. Die tägliche Einsatzzeit wurde von 80
                                                                         Stunden auf durchschnittlich 42 Stunden reduziert,
               Hintergrund                                               ohne dass Tätigkeiten in wesentlichem Umfang wegge-
               Schon im Frühjahr 2017 wurde im Elisabethenheim an-       fallen sind. Die Versorgung der rund 90 Bewohner/
               gekündigt, die Zentralküche zu schließen und die Es-      innen der stationären Pflege zuzüglich der Gäste des
               sensversorgung auf dezentrale Küchen in den Wohnbe-       Betreuten Wohnens und diverser anderer Kunden, mus-
               reich zu verlagern. In einer ersten Welle wurden drei     ste ab dem neuen Jahr von den verbliebenen Beschäf-
               Kündigungen ohne die gesetzlich geforderte Zustim-        tigten sichergestellt werden. Eine dauerhafte Überla-
               mung der Mitarbeitervertretung ausgesprochen. Etliche     stungssituation war die Folge dieses Verhaltens. Über
               Arbeitnehmer/innen haben aufgrund der Ankündigung         hundert Gefährdungs- und Überlastungsanzeigen wur-
               der Küchenschließung »freiwillig« die Einrichtung ver-    den an den Arbeitgeber gerichtet – ohne nennens-
               lassen. Die Forderung der Mitarbeitervertretung zum       werte Reaktion des Arbeitgebers.
                                                                                                                 Daniel Wenk

               Caritas-Stiftung Liebenau in Baden-Württemberg

               »Für Lohndumping
               stehen wir nicht zur Verfügung«
                                                                         drei Tochtergesellschaften, von denen die Liebenau
                                                                         Leben im Alter gGmbH mit rund 700 Beschäftigten die
                                                                         relevanteste ist, galt in den vergangenen Jahren ein so-
                                                                         genannter bischöflicher Dispens von der Anwendung
                                                                         der Grundordnung, der es ihnen erlaubte, das kirch-
                                                                         liche Arbeitsrecht nicht für ihre Arbeitsverhältnisse zu-
                                                                         grunde legen zu müssen. Für die Beschäftigten wird
                                                                         nicht nur keine Umlage an die Zusatzversorgungskasse
                                                                         (ZVK) abgeführt, sie werden auch deutlich schlechter
                                                                         bezahlt als ihre Kolleginnen und Kollegen in den ande-
Foto: ver.di

                                                                         ren Gesellschaften die Stiftung Liebenau. Ende 2018 lief
                                                                         der bischöfliche Dispens aus. Nun hat der Bischof zuge-
                                                                         stimmt, dass die drei Tochtergesellschaften der Stiftung
               Irene Gölz ist Leiterin des Fachbereichs Gesund-          Liebenau den Bezug auf die katholische Grundordnung
               heit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen im           aus der Satzung nehmen können. Das bewirkt, dass sie
               ver.di-Landesbezirk Baden-Württemberg.                    dauerhaft nicht mehr unter das kirchliche Arbeitsrecht
                                                                         fallen. Die betriebliche Interessenvertretung ist ohnehin
                                                                         bereits weltlich organisiert – in der Liebenau Leben im
               Ein Tochterunternehmen der katholischen Stiftung Lie-     Alter gGmbH besteht schon lange ein sehr engagierter
               benau, die Liebenau Leben im Alter gGmbH, hat die         Betriebsrat.
               katholische Grundordnung aus ihrer Satzung gestrichen
               und wendet die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Ca-   Wie viel schlechter sind die Beschäftigten dran, im Ver-
               ritas nun dauerhaft nicht an. Was ist da los?             gleich zur AVR?

               Die Stiftung Liebenau ist einer der größten Träger im     Statt der Umlage in Höhe von 8,5 Prozent, die sie laut
               Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Sie      AVR an die Zusatzversorgungskasse abführen müsste,
               hat zig Tochterunternehmen im In- und Ausland. Für        zahlt die Liebenau ihren Angestellten 3 Prozent für eine

               Kirchen.info Nr. 33 · März 2019                                                                                  7
private Altersvorsorge aus. Zuschläge und Jahresson-        Mehrkosten gegenüber anderen, nicht kirchlichen An-
derzahlung sind um ein Drittel niedriger. Die Tabel-        bietern führt.«
lenentgelte von Pflegefachkräften liegen durchschnitt-
lich 80 Euro im Monat unter dem AVR-Niveau. In              Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha
einzelnen Fällen liegt die Differenz bei bis zu 260 Euro.   (Grüne) hat das Vorgehen der Stiftung Liebenau in
Angelernte Pflegekräfte verdienen durchschnittlich 150      einem Brief an den Bischof kritisiert. Welche Haltung
Euro, in Einzelfällen bis zu 300 Euro weniger.              vertritt der Minister und wie bewertest du seine Inter-
                                                            vention?
Was sagt uns das über den »Dritten Weg« kircheninter-
ner Lohnfindung? Der scheint ja auch bei der Caritas        Dass der Minister in einen solchen Konflikt eingreift, ist
nicht so verbindlich zu sein, wie stets behauptet wird.     extrem ungewöhnlich – auch wenn sich Manne Lucha
                                                            als ehemaliger Krankenpfleger gut auskennt und die
Genau das ist die entscheidende Erkenntnis: Der »Dritte     Liebenau in seinem Wahlkreis liegt. Er hat auf das per-
Weg« ist auch bei der Caritas keineswegs verbindlich.       sönliche Schreiben einer Kollegin reagiert, die bei der
Einrichtungen können die katholische Grundordnung           Liebenau Leben im Alter arbeitet. Der Minister hat
ganz einfach aus ihrer Satzung streichen. Dass der Bi-      deutlich gemacht, dass das Motto der Stiftung, »In un-
schof dem zustimmen muss, ist offenbar kein Problem,        serer Mitte – der Mensch« auch für die Beschäftigten
wie der Fall Liebenau eindrucksvoll demonstriert.           gelten muss und diese nicht schlechter behandelt wer-
    Die Stiftung Liebenau hat auch keine Hemmungen,         den sollten als in anderen Einrichtungen der Caritas.
den »Dritten Weg« offen zu diskreditieren, ohne dass        Das hat dem Fall große öffentliche Aufmerksamkeit ver-
ein Aufschrei der übrigen Caritas-Arbeitgeber wahr-         schafft und das ist gut so.
nehmbar ist. Hier ein Zitat aus einer Mitteilung an die
Beschäftigten: »Die kirchliche Grundordnung birgt je-       Derzeit wird viel über die unzureichenden Löhne in der
doch große Probleme, insbesondere in der Vergütungs-        Altenpflege diskutiert. Die Große Koalition im Bund will
systematik der in der Caritas geltenden Arbeitsvertrags-    flächendeckende Tarifverträge auf den Weg bringen.
richtlinien (AVR) und in der im kirchlichen Arbeitsrecht    Vor diesem Hintergrund ist das Vorgehen der Caritas-
verankerten Zusatzversorgung, die zu erheblichen            Einrichtung Liebenau besonders befremdlich.

                                                                                                                          Foto: ver.di

Gemeinsamer Protest von ver.di, Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas und
Diözesaner Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen im Dezember 2018 in Stuttgart

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Das ist es. Das Vorgehen passt überhaupt nicht mit den      – anzuwenden, worauf wir gemeinsam mit dem Be-
gesellschaftlichen Diskussionen und den allgemeinpoli-      triebsrat sowie mit Kolleginnen und Kollegen aus ande-
tischen Aussagen der katholischen Kirche zusammen.          ren katholischen Einrichtungen gedrungen haben. Die
Der Ruf der Stiftung Liebenau leidet darunter. Aber den     Stiftung Liebenau hat das nicht getan. Sollte sie uns
Vorstand scheint das nicht zu interessieren.                nun zu Tarifverhandlungen auffordern, werden wir
                                                            sehen, ob sie bereit ist, höhere Löhne und eine betrieb-
Allgemein bekennen sich die katholische Kirche und die      liche Altersversorgung zu bezahlen. Zu einem Gespräch
Caritas zu Wertschätzung und angemessener Bezah-            hat sie uns mittlerweile eingeladen.
lung in der Altenpflege. Was erwartest du von ihnen in
Bezug auf Liebenau?                                         Soll ver.di als Steigbügelhalter für Lohnkürzungen und
Von der Kirchenspitze erwarte ich, dass sie gegenüber       eine dauerhafte Abkopplung vom AVR- bzw. TVöD-Ni-
der Stiftung Liebenau deutlicher Position bezieht. Vom      veau herhalten?
Ordinariat erwarte ich, dass sich der Bischof oder zu-
mindest ein Vertreter endlich einmal persönlich mit den     Diese Befürchtung haben wir, ja. Erst hat der Caritas-
Beschäftigten auseinandersetzt. Das war bislang näm-        verband es nicht hinbekommen, die Einkommens- und
lich überhaupt nicht der Fall. Es wurde immer nur über      Arbeitsverhältnisse bei der Liebenau zu regeln. Dann
die Beschäftigten gesprochen – nicht mit ihnen. Eine        sind damit auch die Diözese und der Bischof geschei-
Einladung an den Betriebsrat ist überfällig.                tert. Und jetzt wird das Problem den Beschäftigten und
                                                            ihrer Gewerkschaft zugeschoben. Natürlich stehen wir
Plötzlich steht in Liebenau die Frage von Tarifverhand-     für Tarifverhandlungen. Aber diese können nur auf Au-
lungen mit ver.di im Raum. Wie stehst du dazu?              genhöhe stattfinden, wenn die Beschäftigten bereit
Im September 2018 wurde klar, dass der bischöfliche         sind, sich dafür einzusetzen und sich zu organisieren.
Dispens zum Jahresende ausläuft. Zu diesem Zeitpunkt        Das stellt uns vor ein Dilemma: Wenn wir in den Betrie-
hatten wir daher vier Monate Zeit, um für die Beschäf-      ben nicht durchsetzungsfähig sind, können wir keine
tigten etwas zu erreichen. Die schnellste Möglichkeit       guten Tarifverträge aushandeln. Dann wird es keinen
dafür wäre gewesen, die AVR – die auf dem Niveau des        Tarifvertrag geben. Für Lohndumping stehen wir nicht
Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) liegen     zur Verfügung.
                                                                                       Interview: Daniel Behruzi

Plötzlich Kirche:

Arbeitgeber flüchtet in die Diakonie Hessen
Jahrelang war die Altenhilfe Wetter in Mittelhessen pri-    tung des St. Elisabeth Vereins, zu dem die Altenhilfe
vatrechtlich organisiert. Als sich die Beschäftigten für    Wetter gehört.
einen Tarifvertrag organisierten, flüchtete der Arbeitge-        »Ein starkes Stück«, nennt ver.di-Sekretär Julian
ber in die Diakonie. Ende November 2018 schien bei          Drusenbaum die »Nacht und Nebel Aktion« des St. Eli-
der Altenhilfe Wetter noch alles seinen sozialpartner-      sabeth Vereins. Erst 2017 hatte sich die Belegschaft or-
schaftlichen Gang zu gehen. Nachdem sich etwa die           ganisiert und – gegen erhebliche Widerstände – einen
Hälfte der gut hundert Beschäftigten gewerkschaftlich       Betriebsrat gewählt. Dieser konnte in der kurzen Zeit
organisiert hatte, vereinbarten ver.di und der Arbeitge-    schon einiges bewegen, wie die Altenpflegerin und Be-
ber in einem Sondierungsgespräch, Mitte Februar 2019        triebsrätin Nicole Prey berichtet: »Früher wurden die
Tarifverhandlungen aufzunehmen. Bis dahin wollte die        Leute oft hin und her geschoben. Jetzt muss der Ar-
Geschäftsleitung noch Berechnungen anstellen, was die       beitgeber bei Versetzungen unsere Mitbestimmungs-
geforderte Übernahme des Tarifvertrags für den öffent-      rechte beachten.« Als nächstes sollte ein Tarifvertrag
lichen Dienst (TVöD) kosten würde. Was die Beschäf-         her. Doch das will die Geschäftsführung offenbar mit
tigten nicht wussten: Bereits Anfang November hatte         allen Mitteln verhindern.
der Arbeitgeber die Aufnahme in das Diakonische Werk             Gewerkschaftssekretär Drusenbaum sieht den Bei-
Hessen beantragt, in dem statt Tarifverträgen soge-         tritt zur Diakonie eindeutig als Reaktion auf die Aktivi-
nannte Arbeitsvertragsrichtlinien zur Anwendung kom-        täten von ver.di. Ein Beleg dafür ist, dass ein anderes,
men. Mit dem zum 1. Januar 2019 vollzogenen Wech-           ebenfalls privatrechtlich organisiertes Tochterunterneh-
sel in die Diakonie sollte auch der Betriebsrat seine       men – die St. Elisabeth Dienstleistungen GmbH Haus-
Arbeit einstellen. Doch die Beschäftigten wehren sich.      und Handwerk – in dieser Rechtsform fortbesteht. Dort
Am 17. Januar 2019 demonstrierten sie vor der Verwal-       gibt es weder einen Betriebsrat noch ver.di-Mitglieder.

Kirchen.info Nr. 33 · März 2019                                                                                     9
Für die bislang tariflosen Beschäftigten der Altenhilfe     Mitbestimmungsrechte ignoriert
Wetter bedeutet der Schritt eine materielle Verbesse-       Für Empörung in der Altenhilfe Wetter sorgt, dass sich
rung: Es gelten nun die Arbeitsvertragsrichtlinien der      das Management mit dem Beitritt zur Diakonie der be-
Diakonie Hessen. »Die damit einhergehenden Gehalts-         trieblichen Mitbestimmung entledigen will. Der Be-
erhöhungen sind ein erster Erfolg. Wenn sich die Kolle-     triebsrat sei seit Jahresbeginn nicht mehr im Amt, be-
ginnen und Kollegen nicht organisiert hätten, wäre das      hauptet die Geschäftsleitung. Denn statt Betriebsräten
nicht passiert«, ist Drusenbaum überzeugt.                  gibt es in der Diakonie Mitarbeitervertretungen, die mit
    Die Entgelte liegen aber weiterhin unter dem Tarif-     weniger Rechten ausgestattet sind als Interessenvertre-
vertrag des öffentlichen Dienstes: Das Einstiegsgehalt      tungen nach Betriebsverfassungsgesetz.
einer examinierten Altenpflegerin entspricht etwa 96             »Wir sehen den Beitritt zur Diakonie als Betriebsü-
Prozent des TVöD, nach 16 Beschäftigungsjahren sind         bergang, und dieser ist mitbestimmungspflichtig«, stellt
es sogar nur rund 84 Prozent. Hinzu kommen weitere          Drusenbaum klar. »Der Betriebsrat wurde nicht infor-
Nachteile: Arbeitsvertragsrichtlinien sind anders als Ta-   miert, geschweige denn einbezogen. Das ist so nicht
rifverträge nicht verbindlich, sondern gelten nur durch     haltbar.« Zudem stelle sich die Frage, ob sich die Alten-
Bezugnahme im einzelnen Arbeitsvertrag. Zudem kön-          hilfe Wetter tatsächlich zum Jahreswechsel in eine
nen Einrichtungen in (weitgehend von ihnen selbst de-       kirchliche Einrichtung verwandelt hat. »Bislang war dies
finierten) »Notlagen« die Entgelte um 15 Prozent ab-        ein weltlicher Betrieb. Was soll sich zwischen dem 31.
senken. Und: Verhandelt wird über Löhne und                 Dezember und dem 1. Januar daran geändert haben?«
Arbeitsbedingungen hinter verschlossenen Türen in kir-      All diese Fragen will der Betriebsrat vor Gericht über-
cheninternen Arbeitsrechtlichen Kommissionen. »Die          prüfen lassen. Ob diese juristische Auseinandersetzung
Arbeitsvertragsrichtlinien haben gegenüber regulären        mit weiteren Protesten begleitet wird, wollen die ver.di-
Tarifverträgen vielfältige Nachteile«, sagt Drusenbaum.     Mitglieder zeitnah auf einer Versammlung und in der
»Deshalb halten wir an unseren Tarifforderungen fest.       Tarifkommission diskutieren.
Wenn die Beschäftigten das wollen, werden wir diese                                                 Daniel Behruzi
Auseinandersetzung weiterführen.«

                                                                                                                          Foto: ver.di

Beschäftigte der Altenpflege Wetter protestieren am 17. Januar 2019 in Marburg gegen den Beitritt zur
Diakonie.

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Foto: Timm Schamberger

                         Erleuchtung erwünscht:

                         Protest zur EKD-Synode in Würzburg
                         Es war ein ganz besonderer Laternenumzug, der am             schaften und Gesamtausschüsse der Mitarbeitervertre-
                         11. November 2018 durch die Würzburger Innenstadt            tungen im diakonischen Bereich (Buko agmav+ga). »Es
                         zog. Rund 400 Beschäftigte aus Einrichtungen von             ist Zeit, dass wir für Menschen, Würde und Respekt
                         Kirche und Diakonie waren aus allen Teilen des Landes        auch in der Diakonie auf die Straße gehen.«
                         nach Franken gekommen, um die dort tagende Synode                 Die Demonstration zur Würzburger Synode unter
                         der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) mit ihren        dem Motto »Es werde Licht!« war ein erfolgreicher
                         Forderungen nach verbindlicher Mitbestimmung und             Schritt in diese Richtung. »Die Arbeitsbedingungen in
                         Tarifverträgen zu konfrontieren. Mitgebracht hatten sie      Diakonie und Kirche liegen schon viel zu lang im Dun-
                         Laternen, Transparente, Sprechchöre und Lieder. Ihre         keln, das muss sich ändern«, sagte Mario Gembus, der
                         Botschaft: Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände           in der ver.di-Bundesverwaltung für kirchliche Betriebe
                         sollten endlich Schluss machen mit ihrem Sonderweg           zuständig ist. Es könne nicht länger angehen, dass sich
                         beim Arbeitsrecht. Die insgesamt mehr als eine Million       kirchliche Einrichtungen gegenüber öffentlichen Trä-
                         Beschäftigten müssten die gleichen Rechte erhalten,          gern auf Kosten ihrer Beschäftigten einen Wettbe-
                         wie sie in weltlichen Unternehmen selbstverständlich         werbsvorteil verschaffen.
                         sind.                                                             »Entlastung und Aufwertung im Gesundheits- und
                              Unter den Beschäftigten gibt es für diese Forde-        Sozialwesen ist auf dem Dritten Weg nicht zu haben –
                         rungen große Unterstützung. Dokumentiert wurde das           das erleben wir täglich«, betonte Gembus. Das gehe
                         bei der Kundgebung durch die Übergabe von insge-             nur mit Tarifverträgen. Er verwies darauf, dass die Be-
                         samt rund 20.000 Unterschriften für verbindliche Mit-        legschaften der Universitätskliniken Düsseldorf und
                         bestimmung und die Streichung der sogenannten ACK-           Essen nach 44 bzw. 34 Streiktagen Vereinbarungen für
                         Klausel an Detlev Fey, Referatsleiter Arbeitsrecht bei der   mehr Personal und Entlastung durchgesetzt haben.
                         EKD. Die ACK-Klausel schreibt vor, dass Mitglieder von       »Wie soll so etwas auf dem Dritten Weg möglich
                         Mitarbeitervertretungen der Kirche angehören müssen.         sein?«, fragte der Gewerkschafter. ver.di werde sich
                         »In Sonntagsreden wird die Dienstgemeinschaft be-            daher dafür einsetzen, dass Tarifverträge auch bei der
                         schworen, aber im Alltag ist davon im Umgang mit den         Evangelischen Kirche und Diakonie zur Normalität wer-
                         Beschäftigten nicht viel zu spüren«, sagte Manfred           den. »Wenn es nötig ist, kommen wir dafür wieder und
                         Quentel von der Bundeskonferenz der Arbeitsgemein-           wieder.«                                Daniel Behruzi

                         Kirchen.info Nr. 33 · März 2019                                                                                  11
r Synode
                e Mitglieder de
Einladung an di

                                              Es werde Li
                                                          cht . . .

                                                           eibt !
                                         t auf Dauer so bl
                     . . . damit es nich

       12                                                             Kirchen .info Nr. 33 · März 2019
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                                                                                               auf

                                                                   d Diakonie
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                                                                                  ovember 2018
                                                                                               in Würzburg

Kirchen.info Nr. 33 · März 2019                                                                              13
Das neue Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD:

Nicht mehr als nötig
In 2018 fand die jüngste Novellierung des Mitarbeiter-      scheitert. Die MAV kann die Lage der täglichen
vertretungsgesetzes der Evangelischen Kirche Deutsch-       Arbeitszeit weiterhin mitbestimmen.
land (MVG.EKD) statt. Das Ergebnis ist typisch für
kirchliche Mitbestimmung: Veränderungen ja, aber            Nur eingeschränkte Einigungsstellen
bitte nicht mehr als nötig. Es gibt einige Verbesse-        Insgesamt bleibt die Novellierung jedoch dürftig. Eine
rungen, das MVG bleibt aber insgesamt weiterhin deut-       zentrale Forderung der Arbeitnehmervertreter/innen
lich hinter dem Niveau des Betriebsverfassungsgesetzes      war die Einführung einer obligatorischen Einigungsstel-
zurück.                                                     le. Sie ist im Betriebsverfassungsgesetz ein Standard-
                                                            mittel zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den
Wenige Verbesserungen                                       Betriebsparteien, also zwischen Arbeitgeber und Be-
Die Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands hat        triebsrat. Gemäß novelliertem MVG können künftig
Anfang November erneut über das MVG beraten. Unter          zwar Einigungsstellen in kirchlichen Betrieben einge-
dem Druck von fast 20.000 Unterschriften von Beschäf-       richtet werden. Allerdings gilt das erst ab 2020, wäh-
tigten und Mitarbeitervertreter/innen, diversen Diskussi-   rend alle oben genannten Änderungen bereits 2019 in
onsrunden mit Kirchenamtsvertreter/innen und nicht          Kraft treten. Es bleibt also Zeit, dass Mitarbeitervertre-
zuletzt einer sehr lebendigen Demonstration bei der         tungen die für sie zumeist ungewohnte Regelung ken-
Würzburger Synode wurden einige Verbesserungen er-          nenlernen – aber auch, wichtige Nachbesserungen zu
zielt und geplante Verschlechterungen abgewehrt. Zu-        fordern. Denn die Neuregelung bleibt hinter den Stan-
künftig können endlich auch Nichtmitglieder christlicher    dards des Betriebsverfassungsgesetzes zurück.
Kirchen in die MAV gewählt werden, die so genannte               Die Mitarbeitervertretung ist weiterhin schlechter
ACK-Klausel wurde für Mitarbeitervertretungen sowie         gestellt als der Betriebsrat. Denn das sogenannte Fri-
Jugend- und Auszubildendenvertretungen abgeschafft.         stenregime bleibt unsinnigerweise erhalten. Legt der
     Zum einen wurde diese Regelung ohnehin in mehr         Arbeitgeber der MAV eine Maßnahme zur Zustimmung
als der Hälfte der Landeskirchen nicht mehr ange-           vor, muss diese innerhalb der kirchengesetzlichen Frist
wandt. Zum anderen dürften höchstrichterliche Urteile       reagieren und unterliegt einem Begründungszwang.
zu der Frage, in welchen Fällen kirchliche Arbeitgeber      Nur unter Wahrung der Fristen kann die Einigungsstelle
von ihren Beschäftigten eine Konfessionszugehörigkeit       angerufen werden. Diese Regelung ist unnötig formal
verlangen können, einen Einfluss auf die evangelischen      und verzögert Entscheidungen in der Sache. Das Ziel
Entscheider/innen gehabt haben – unter anderen der          von Einigungsstellen ist es gerade, auf kurzem, betrieb-
Fall Vera Egenberger, die erfolgreich wegen Diskrimi-       lichem Wege eine Lösung zwischen den Betriebspar-
nierung geklagt hatte. Ebenso hat sicher eine Rolle ge-     teien zu finden. Mit dem Fristenregime wird das konter-
spielt, dass in den meisten Einrichtungen die Mehrheit      kariert.
der Beschäftigten längst nicht mehr Mitglied der Kirche          Eine deutliche Einschränkung des Instruments der
ist. Allerdings können die Landeskirchen nach wie vor       Einigungsstelle im MVG ist zudem, dass es sich nicht
eigene Bestimmungen in ihren jeweiligen Mitarbeiter-        vollständig auf das Initiativrecht der MAV anwenden
vertretungsgesetzen festlegen. Sie können also ent-         lassen wird. In Streitfällen über organisatorische und
scheiden, ob sie den Wegfall in ihrem gliedkirchlichen      soziale Angelegenheiten ersetzt der Spruch der Eini-
MVG ebenfalls verankern – oder nicht.                       gungsstelle eine Einigung zwischen Arbeitgeber und
     Es ist zudem gelungen, eine drastische Verschlech-     MAV. Doch das gilt nicht für Initiativen, die die MAV er-
terung zu verhindern: Die diakonischen Arbeitgeber          greift. Die MAV kann lediglich Vorschläge unterbreiten,
haben versucht, im Rahmen der Änderung des MVG              die der Arbeitgeber ablehnen kann. Künftig kann die
die Mitbestimmungsrechte der Mitarbeitervertretungen        Einigungsstelle in solchen Fällen zwar angerufen wer-
bei der Lage der täglichen Arbeitszeit einzuschränken.      den, ihr Spruch hat jedoch einen empfehlenden, keinen
Das hätte spürbare Auswirkungen auf die Arbeitsbedin-       verbindlichen Charakter. Das ist eine mutlose, inkonse-
gungen gehabt. Denn gerade in Schichtbetrieben – die        quente Regelung der Evangelischen Kirche. Das Be-
eine Mehrheit im Gesundheits- und Sozialwesen bilden        triebsverfassungsgesetz kennt eine derartige Einschrän-
– drehen sich viele strittige Fragen zwischen MAV und       kung nicht. Warum also für kirchliche Beschäftigte?
Arbeitgeber zum Beispiel um Dienstpläne. Diese haben             Eine MAV hat also künftig in bestimmten Angele-
maßgeblichen Einfluss auf Erholungs-, Frei- und Famili-     genheiten, die der Arbeitgeber vorlegt und bei denen
enzeit von Beschäftigten. Der Versuch, die Mitbestim-       keine Einigung zustande kommt, die Möglichkeit zur
mungsrechte in diesem Punkt zu schwächen, ist ge-           Anrufung der Einigungsstelle mit verbindlichem Ergeb-

14                                                                                     Kirchen .info Nr. 33 · März 2019
nis. Will sie aber selbst etwas im Sinne der Beschäf-       zialwesen den Druck auf die Wohlfahrtsverbände erhö-
tigten anregen, bleibt es trotz Einigungsstelle nur bei     hen, sollte mehr statt weniger Beteiligung der Beschäf-
einer Empfehlung. Sieht so die Augenhöhe zwischen           tigten die Devise sein. Doch auch der Gesetzgeber
diakonischen Arbeitgebern und Beschäftigten im Be-          trägt Verantwortung. Der Deutsche Bundestag duldet,
trieb aus?                                                  dass einer der größten Arbeitgeber das Grundrecht auf
    ver.di fordert, dass alle Landeskirchen die neuen Re-   Mitbestimmung missachtet. ver.di und der Deutsche
gelungen nachvollziehen und zugleich nachbessern.           Gewerkschaftsbund (DGB) fordern daher auch weiter-
Insbesondere sollte die Einigungsstelle verbindlich vor-    hin die Streichung des §118 Abs. 2 BetrVG. Beschäf-
gesehen, auf das unnötige Fristenregime verzichtet und      tigte in kirchlichen Einrichtungen sind keine Beschäf-
das Initiativrecht der MAV gestärkt werden, indem die       tigten zweiter Klasse. Ihre Arbeitgeber in den
Einigungsstelle auch in diesen Fällen verbindliche Ent-     Wohlfahrtsverbänden handeln nach betriebswirtschaft-
scheidungen treffen kann. Ebenso ist die Kostenüber-        lichen Prinzipien, nutzen dafür die gesamte arbeits-
nahme für die Beisitzer der Einigungsstelle analog zum      rechtliche Klaviatur und gehen sogar darüber hinaus.
Betriebsverfassungsgesetz zu regeln. Hier hat die Syno-     Denn sie verschaffen sich unter dem Mantel kirchlicher
de eine klare Festlegung vermieden. Konflikte scheinen      Sonderregeln Wettbewerbsvorteile – zu Lasten ihrer
programmiert.                                               Beschäftigten. Deshalb bleibt eine wirksame Mitbestim-
                                                            mung durch die uneingeschränkte Anwendung des Be-
Wirksame Interessenvertretung bleibt                        triebsverfassungsgesetzes bzw. die Abschaffung der
unverzichtbar                                               Sonderregelungen für kirchliche Einrichtungen das Ziel
Fazit: Das MVG.EKD bleibt immer noch weit hinter dem        der Gewerkschaften.
Schutzniveau des Betriebsverfassungsgesetzes zurück.            Auf dem Weg dorthin bleibt es wichtig, dass Mitar-
Die Forderungen, die ver.di bereits 2002 aufgestellt hat,   beitervertretungen ihre bestehenden Rechte offensiv,
wurden von Kirchenamt, Rat der EKD oder Synode              konfliktbereit und stets im Sinne guter Arbeitsbedin-
nicht im Ansatz diskutiert. Hundert Jahre nach Einfüh-      gungen für die Kolleginnen und Kollegen nutzen. Die
rung des Betriebsrätegesetzes – das damals auch für         Weiterentwicklung solidarischer, gewerkschaftlicher Ar-
die Kirchen galt – sind über 700.000 Beschäftigte dia-      beit ist eine Grundvoraussetzung guter Interessenver-
konischer Einrichtungen und Wirtschaftsunternehmen          tretung im Betrieb. Die Verbesserung geltender (kir-
deutlich schlechter gestellt. Die Unternehmen sind or-      chen-)rechtlicher Normen wird ausschließlich durch
ganisiert und agieren wie Konzerne, vielerorts finden       aktive Arbeitnehmer/innen bewirkt. Das hat sich in der
Zentralisierungs- und Fusionsprozesse statt. Doch Un-       Auseinandersetzung um die MVG-Novellierung in der
ternehmensmitbestimmung, wie es sie in weltlichen           EKD erneut gezeigt. Deshalb gilt allen Kolleginnen und
Unternehmen gibt, lehnen kirchliche Arbeitgeber ab.         Kollegen der Dank, die sich für die Verbesserung ihrer
    In einer Zeit, in der profitorientierte Konzerne mit    Mitbestimmungsrechte in den kirchlichen Betrieben ein-
milliardenschweren Investoren im Gesundheits- und So-       gesetzt haben.

Bericht 17. Kasseler Fachtagung:

MVG-Novellierung, Private Equity, Digitalisierung
Der Zeitpunkt der alljährlich in Kassel stattfindenden      recht und Kirche gemeinsam mit ver.di, der Bundeskon-
Tagung hätte nicht besser gewählt sein können. In den       ferenz der Arbeitsgemeinschaften und Gesamtaus-
Tagen zuvor hatte die EKD-Synode in Würzburg getagt,        schüsse der Mitarbeitervertretungen in der Diakonie
um über Veränderungen im Arbeitsrecht zu beraten.           (buko agmav + ga) sowie der Diakonischen Arbeitneh-
400 Beschäftigte aus diakonischen und kirchlichen Ein-      merinnen Initiative (dia e.V.) organisierten Tagung kon-
richtungen hatten dort am 11. November 2018 für eine        statierte weiteren Verbesserungsbedarf in einer Ab-
Abkehr vom kirchlichen Sonderrecht in Sachen Mitbe-         schlusserklärung.
stimmung und Tarifrecht demonstriert. Auch in den
Monaten zuvor wurde mobilisiert, so dass knapp              Private Equity im Gesundheits- und Sozialwesen
20.000 Unterschriften für die Abschaffung der ACK-          Es ging bei der Kasseler Fachtagung nicht nur um das
Klausel und die Einführung der obligatorischen Eini-        neue Arbeitsrecht. Der Autor Rainer Bobsin berichtete
gungsstelle übergeben werden konnten. Die Synode            über die Methoden von Private-Equity-Fonds, die auch
beschloss daraufhin immerhin einige Schritte zur Stär-      im Gesundheits- und Sozialwesen eine zunehmende
kung der betrieblichen Mitbestimmung. Doch die rund         Rolle spielen. Demnach kauften sie in der Regel ganze
270 Teilnehmer/innen der von der Zeitschrift Arbeits-       Unternehmen, expandierten mit ihnen und verkauften

Kirchen.info Nr. 33 · März 2019                                                                                  15
Abschlusserklärung der 17. Kasseler Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht
     1.
     Wir begrüßen, dass die EKD-Synode anerkennt, dass         Wir fordern nun, dass alle Landeskirchen diese
     das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht nur dort       Entwicklungen nachvollziehen und insbesondere in
     von staatlichem Recht abweichen darf, wo dies aus         ihren Gesetzen die Einigungsstelle verbindlich vor-
     Gründen des evangelischen Glaubens erforderlich           sehen und dabei für den Fall der Zuständigkeit der
     ist.                                                      Einigungsstelle die Beachtung von § 38 Abs. 3 MVG.
     Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass die der           EKD streichen.
     Vertrauensperson der Schwerbehinderten übertra-           Trotz dieser erfreulichen Entwicklung ist festzustel-
     genen Aufgaben in vollem Umfang dem staatlichen           len, dass das Mitarbeitervertretungsgesetz hinter
     Recht angeglichen werden.                                 dem Schutzniveau des Betriebsverfassungsgesetzes
     Und wir begrüßen es, dass die seit 1992 erhobene          zurückbleibt.
     Forderung endlich umgesetzt wurde, dass nämlich
     alle, die in einer diakonischen oder kirchlichen Ein-     2.
     richtung arbeiten, auch in die Mitarbeitervertretung      Die fortschreitende Digitalisierung aller Bereiche
     wählbar sind, auch wenn sie keiner christlichen           sozialer Arbeit führt nicht nur zu großen Anfor-
     Kirche angehören. Wir erwarten, dass alle Landeskir-      derungen hinsichtlich des Datenschutzes und des
     chen diesen Weg mitgehen.                                 Schutzes von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
     Es ist auch zu begrüßen, dass endlich die betrieb-        nehmern vor übermäßiger Überwachung und Kon-
     liche Einigungsstelle für alle Einrichtungen verbind-     trolle, sondern auch zu gewaltigen Änderungen der
     lich wird.                                                Arbeitsbedingungen und der Arbeitsinhalte. Nur
     Aber:                                                     wenn neben den Belangen der Patienten, Klienten,
     Die Einigungsstelle muss auch bei Initiativen der Mit-    Bewohner usw. auch und gerade die berechtigten
     arbeitervertretung verbindlich entscheiden können.        Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden,
     Denn nur so kann sichergestellt werden, dass die          kann der Prozess der Digitalisierung erfolgreich und
     Mitarbeitervertretung in mitbestimmungspflichtigen        sozial verträglich gestaltet werden.
     Angelegenheiten einen gleichgewichtigen Einfluss          Mitarbeitervertretungen als betriebliche Interessen-
     bekommt.                                                  vertretung müssen deshalb hinsichtlich aller Aspekte
     Die Mitarbeitervertretung wird weiter schlechter als      beteiligt werden, insbesondere im Hinblick auf Qua-
     ein Betriebsrat gestellt, weil von ihr trotz Einigungs-   lifizierung, Gesundheitsschutz, Personalentwicklung,
     stelle verlangt wird, auf einen Zustimmungsantrag         Arbeitsmethoden, Arbeitsverdichtung und Verhal-
     nach Maßgabe des § 38 Abs. 3 MVG.EKD fristge-             tens- und Leistungskontrolle.
     bunden und mit Begründungszwang zu reagieren.             Deshalb werden wir als Mitarbeitervertretung unsere
     Vor allem führt dies zu einer Verlängerung des Ver-       Beteiligungsrechte wahrnehmen und dadurch die
     fahrens, die weder im Interesse der Einrichtung noch      Prozesse aktiv mitgestalten. Dabei ist die solidarische
     der Mitarbeitervertretung liegt.                          Unterstützung der Gewerkschaften unabdingbar.

sie schon nach wenigen Jahren deutlich teurer weiter.          gitaler Technik. Die Direktorin des Forschungsschwer-
Das wirke sich nicht nur auf die dort Beschäftigten aus,       punkts Arbeit und Wandel am Institut Arbeit und
sondern letztlich auf die gesamte Branche. Das Agieren         Technik in Gelsenkirchen, Michaela Evans, betonte in
von Private-Equity-Gesellschaften setzt auch öffent-           ihrem Vortrag, dieser Prozess beinhaltete für die Be-
liche, freigemeinnützige und kirchliche Einrichtungen          schäftigten und ihre Interessenvertretungen nicht nur
unter Druck. Es etabliert sich eine »Herrschaft betriebs-      Risiken, sondern »auch Riesen-Chancen«. Die Technik
wirtschaftlicher Kennzahlen« in der Branche, die auf           an sich sei weder gut noch schlecht, erklärte die Wis-
Kosten der Beschäftigten und der Versorgungsqualität           senschaftlerin. Entscheidend sei, wie und wofür sie ein-
geht. Davon könnten Beschäftigte von Kirchen, Diako-           gesetzt werde. »Und das ist prinzipiell gestaltbar.«
nie und Caritas auch direkt betroffen sein, wenn zum           Evans forderte die in Kassel versammelten Mitarbeiter-
Beispiel Betriebsteile oder insolvente Einrichtungen aus-      vertreter/innen auf, neue Technologien weder grund-
gegliedert und verkauft werden sollen.                         sätzlich abzulehnen noch technikgläubig zu sein. »Wir
                                                               brauchen eine sachliche Auseinandersetzung über die
Risiken und Chancen der Digitalisierung                        Chancen und Risiken jeder Technologie.« Diese seien in
Nicht nur die Eigentumsverhältnisse sind in der Sozialen       jedem einzelnen Fall unterschiedlich und müssten je-
Arbeit in Bewegung geraten. Auch die Arbeit selbst än-         weils konkret bewertet werden.
dert sich, vor allem durch den zunehmenden Einsatz di-

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Foto: ver.di

               Die Teilnehmer/innen der 17. Kasseler Fachtagung für kirchliches Arbeitsrecht

                    Fachmedien
                    für Mitarbeitervertretungen

                                                                Die RechtsSammlung
                                                                NEU für MAVen: die kompakte
                                                                Zusammenstellung aller wichtigen Gesetze.
                                                                Mitarbeitervertreter finden hier alle für die Praxis wichtigen
                                                                arbeitsrechtlichen Gesetze. Vom Kündigungsschutz und Da-
                                                                tenschutz bis hin zur Unfallverhütung. Enthalten sind kirch-
                                                                liche Regelungen wie die Diakoniegesetze, Arbeitsrechtsre-
                                                                gelungsgesetze, das MVG, die MAVO, Zuordnungsrichtlinie,
                                                                                                      RZbriefbogen_neues Logo:briefbogen_sachbuchservice 14.07.10 17:05 Seite 2

                                                                Loyalitätsrichtlinie, Grundordnung usw. Wer darin blättert,
                                                                wird vieles finden, was bislang unbeachtet blieb.
                                                                                                                                                        Kellner Verlag
                                                                                                                                                        B r e m e n           B o s t o n

                                                                                                                Herausgegeben von ver.di.

                            Baumann-Czichon/Feuerhahn (Hrsg.):
                            Die RechtsSammlung. Für Mitarbeitervertretungen
                            in Kirche, Diakonie und Caritas                                                                            Kellner Verlag
                                                                                                                                      B r e m e n                                 B o s t o n
                            1.648 Seiten • 14 x 22 cm • ISBN 978-3-95651-206-3 • 29,90 €
                            Erscheint im Frühjahr 2019                                                                  Ordern beim KellnerVerlag

                      St.-Pauli-Deich 3 | 28199 Bremen | Fon 0421 77 8 66 | Fax 0421 70 40 58 | info@kellnerverlag.de | www.kellnerverlag.de

               Kirchen.info Nr. 33 · März 2019                                                                                                                                                  17
Seminarangebote –
für Mitarbeitervertretungen

 Datum             Ort                     Titel

 06.-07.05.19      Gladenbach              Ausfallkonzepte und verlässliche Arbeitszeiten

 13.-15.05.19      Gladenbach              Entlastung durch Mitbestimmung (Teil 1)

 20.-22.05.19      Berlin-Wannsee          Wirksam mitbestimmen bei der Dienstplanung (Teil 3)

 27.-29.05.19      Walsrode                Psychiatrie: Entgeltsystem und Personalbemessung nach PsychVVG

 03.-05.06.19      Bielefeld-Sennestadt    Arbeiten 4.0: Gute digitale Arbeit in Krankenhäusern

 03.-06.06.19      Naumburg                JAV/BR/PR/MAV spezial: Pflegeausbildung 2.0 – dein Update im
                                           Ausbildungsrecht

 03.-07.06.19      Neumarkt (Oberpfalz)    JAV-Praxis 2: Ausbildung checken und verbessern/für Pflegeberufe

 12.-14.06.19      Gladenbach              Das neue Pflegeberufegesetz (PflBG)

 12.-14.06.19      Naumburg (Hessen)       JAV-Grundlagen Diakonie und evangelische Kirche: Einführung in
                                           die Arbeit der Jugend- und Auszubildendenvertretung

 17.-19.06.19      Walsrode                Diakonie: Arbeitsvertragsrichtlinien

 17.-19.06.19      Kassel                  Frauen als Vorsitzende der gesetzlichen Interessenvertretung

 17.-19.06.19      Saalfeld                Mitbestimmung bei Um- und Neubauten von Krankenhäusern und
                                           Pflegeeinrichtungen

 26.-28.06.19      Brannenburg             Arbeitnehmerdatenschutz 4.0 im Sozial- und Gesundheitswesen

 08.-10.07.19      Brannenburg             Wirksam mitbestimmen bei der Dienstplanung (Teil 1)

 08.-10.08.19      Bielefeld-Sennestadt    Allgemeine Aufgaben von Mitarbeitervertretungen in kirchlichen
                                           Einrichtungen

 19.-21.08.19      Bielefeld-Sennestadt    Das neue Pflegeberufegesetz (PflBG)

 22.-23.08.19      Saalfeld                Jahresarbeitszeit- und Arbeitszeitkonten

 26.-28.08.19      Brannenburg             Wirksam mitbestimmen bei der Dienstplanung (Teil 2)

 02.-06.09.19      Mosbach                 JAV-Praxis 2: Ausbildung checken und verbessern/für Pflegeberufe

 02.-06.09.19      Naumburg (Hessen)       JAV/BR/PR/MAV Spezial – Krankenpflege: Betriebs- und
                                           Dienstvereinbarungen – Pflegeausbildung mitgestalten

 04.-06.09.19      Saalfeld                Arbeitszeiten und Dienstplanung im Rettungsdienst

 16.-18.09.19      Saalfeld                Digitale (elektronische) Patientenakte

 25.-27.09.19      Koblenz                 Gefährdungsanzeigen im Sozial- und Gesundheitswesen

 16.-18.10.19      Saalfeld                Aktuelle arbeitsrechtliche Fragen im Rettungsdienst

 21.-23.10.19      Brannenburg             Wirksam mitbestimmen bei der Dienstplangestaltung (Teil 3)

 28.-30.10.19      Saalfeld                Beurteilen allein genügt nicht! Gefährdungsbeurteilungen –
                                           Maßnahmen entwickeln und umsetzen

Weitere Infos bei Gabriele Hetkamp hetkamp@hs.verdi-bub.de oder Telefon 069 25 78 24 26
Ausschreibungen und Anmeldeunterlagen findet ihr unter www.verdi-bub.de

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Diakonie Deutschland:

Hilflose Flickschusterei bei Arbeitsrechtssetzung
Die Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands             einen bundesweiten Rahmen mit gemeinsamen Rege-
(EKD) im November 2018 hat sich unter anderem mit            lungen und einen verbindlichen Leittarif braucht«.
der Änderung des § 16 des Arbeitsrechtsregelungs-            Schon 2011 aber war klar, dass ein bundesweiter Leit-
grundsätzegesetz (ARGG) befasst. Schon das Wor-              tarif kirchenrechtlich nicht verbindlich durchsetzbar ist.
tungetüm signalisiert: Hier handelt es sich um Rege-         Flächendeckende, kollektivrechtlich verbindliche Lö-
lungen, die Spezialkenntnisse zum »evangelischen             sungen gibt es nur per Tarifvertrag.
kirchlichen Arbeitsrecht« voraussetzen. Eine Relevanz             Es folgte die Entscheidung des Bundesarbeitsge-
für die betriebliche Arbeit bleibt abzuwarten.               richts (BAG) zum Streikrecht im Jahr 2012, das die
     Das ARGG von 2013 und in jetzt geänderter Form          EKD-Synode 2013 zum Anlass nahm, ein sogenanntes
von 2018 ist ein kircheninterner Versuch, den soge-          Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz zu verabschie-
nannten »Dritten Weg« mit seinen Arbeitsrechtlichen          den. Bestandteil dieses kirchlichen Gesetzes sind die
Kommissionen an die Rechtsprechung des Bundesar-             Festlegung auf den »Dritten Weg« mit kirchlichem
beitsgerichts (BAG) anzupassen. Er ist darüber hinaus        Streikverbot und einer Zwangsschlichtung. Sogenannte
der Versuch, die Anwendung der Arbeitsvertragsrichtli-       kirchengemäße Tarifverträge werden darin neu eben-
nien der Diakonie Deutschland (AVR DD) herzustellen,         falls als Weg für Arbeitsrechtssetzung zugelassen. Aller-
indem sie als flächendeckende »Tarifrichtlinie« veran-       dings müssen die beteiligten Gewerkschaften dann auf
kert werden. Doch dieses Ansinnen ist kollektivrechtlich     das Streikrecht verzichten, in jedem Fall eine verbind-
zum Scheitern verurteilt. Denn es ist unerheblich, wel-      liche Schlichtungsregelung und deren Letztentschei-
che AVR für die einzelnen diakonischen Unternehmen           dung akzeptieren.
theoretisch zur Anwendung zu bringen sind. Letztlich
gilt für Beschäftigte ausschließlich das, was in ihrem in-   Keine Tarifverträge nach kirchlichen Regeln
dividuellen Arbeitsvertrag festgelegt ist. Das hat das       Die Bedingungen für »kirchengemäße« Tarifverträge
BAG (Urteil vom 24. Mai 2018, 6 AZR 308/17) kürzlich         nach dem ARGG sind für ver.di inakzeptabel. Die Kirche
klargestellt.                                                versucht, der BAG-Rechtsprechung von 2012 Rechnung
     Die Praxis in der Diakonie zeigt, dass Arbeitgeber      zu tragen, jedoch auf Kosten gewerkschaftlicher Rech-
immer wieder zu Ungunsten der Beschäftigten von den          te. Das BAG hatte in der Sache ver.di Recht gegeben:
Arbeitsvertragsrichtlinien abweichen. Von welcher AVR-       Der damalige Streik war rechtmäßig. In seiner Begrün-
Grundlage sie abweichen, ist letztlich belanglos. Ent-       dung zu diesem Urteil vertrat das Gericht aber die Mei-
scheidend ist, dass sie es praktisch können und auch         nung, dass der »Dritte Weg« ein legitimer Weg der
tun. Denn die AVR sind Richtlinien und keine kollektiv-      kirchlichen Selbstverwaltung und Selbstordnung im
rechtlich verbindlichen Verträge, die unmittelbar und        Sinne des Grundgesetz-Artikels 140 sei. Wenn sie Ar-
zwingend vom Arbeitgeber für alle Beschäftigten um-          beitskämpfe vermeiden wollten, müssten die Kirchen
zusetzen sind. Anders ist es bei Tarifverträgen, die zwi-    gewährleisten, dass ihre Arbeitsrechtsregelungen ver-
schen ver.di und Arbeitgeber ausgehandelt werden.            bindlich sind. Allerdings hat das BAG nicht weiter aus-
                                                             geführt, wie eine Verbindlichkeit kirchenrechtlich herzu-
Druck zur Veränderung                                        stellen ist.
2011 fand anlässlich der EKD-Synode in Magdeburg
eine große, von ver.di initiierte Demonstration mit mehr     Verbindliche Arbeitsbedingungen nur per
als tausend Teilnehmenden statt. Anlass war die Wei-         Tarifvertrag möglich
gerung der EKD, das Streikrecht in ihren Betrieben an-       Das beschlossene Kirchengesetz wird für einzelne Be-
zuerkennen. Zu dem Zeitpunkt gab es diakonische Ein-         schäftigte in der Diakonie keine spürbaren Auswir-
richtungen, in denen ver.di-Kolleginnen und Kollegen         kungen haben. Mehr kollektive Verbindlichkeit der AVR
für einen Tarifvertrag gestreikt haben. Die Spitzenver-      wird durch den novellierten § 16 ARGG nicht herge-
treter/innen der EKD konnten sich damals nicht dazu          stellt. Wie immer ist ein Blick in den Arbeitsvertrag ent-
durchringen, das Streikrecht als legitimen Ausdruck ge-      scheidend. Was dort vereinbart ist, gilt verbindlich. Eine
werkschaftlicher Arbeit anzuerkennen. Gleichwohl war         für die Beschäftigten rechtssichere und gute Lösung
die Synode gezwungen, sich ausführlich mit dem kol-          wäre der flächendeckende Tarifvertrag. ver.di hat dies
lektiven Arbeitsrecht zu befassen. Sie beschloss »Zehn       bei der Anhörung vor dem Rechtsausschuss der EKD
Forderungen zur solidarischen Ausgestaltung des kirch-       erläutert und auf der Demonstration am 11. November
lichen Arbeitsrechts«. In diesen findet sich unter ande-     in Würzburg öffentlich kundgetan.
rem der Hinweis, dass »das kirchliche Arbeitsrecht

Kirchen.info Nr. 33 · März 2019                                                                                     19
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