Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
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Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen Arbeitshilfe zum 1 Qualitätsrahmen Ganztagsangebote
TITEL Autorin 2 1. Auflage 2020 Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen www.ganztagsschulverband.de/sachsen facebook.com/ganztagsschulverband Herausgeber: Christoph Bülau Redaktion und Lektorat: Christiane Dubiel, Jens Richter, Marion Nagel, Rainer Müller Gestaltung und Satz: Janett Andrejewski Illustration: Halina Kirschner Lektorat: Dr. Sandra Berndt 2020 Verlag für Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung • Leipzig Reihe: Schulentwicklung konkret ISSN 2749-8808 Persistente URN: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa2-763821
Inhalt Einleitung ..................................................................... Seite 5 Interview mit Prof. Ulrich Deinet: „Gute Ganztagsschule ist ohne Sozialraumorientierung nicht denkbar!“............. Seite 7 Beiträge zur Qualitäts-.............................................. Seite 13 entwicklung von Schulen mit Ganztagsangeboten Empfehlung zur Arbeit mit den Beiträgen ....................................................... Seite 13 • Organisation des Schuljahres ................................ Seite 15 und Gestaltung der Tages- und Wochenstruktur • Pausenkonzept .......................................................... Seite 21 • Organisierte und ungelenkte Freizeit .................. Seite 26 • Förderangebote und Bedingungen ....................... Seite 30 individueller Förderung • Hausaufgaben und Lernzeiten .............................. Seite 35 • Gestaltung von Kooperationskultur .................... Seite 41 und -struktur • Öffnung von Schule .................................................. Seite 45 • Verzahnung von Unterricht ................................... Seite 51 und Angebot •P artizipation von Eltern ......................................... Seite 57 und Schüler*innen rozesse der schulinternen Evaluation: ............... Seite 62 P Die GAINS-GTA-Skala zur Erfassung der Angebotsqualität
Einleitung Der Anteil von Schulen mit Ganztagsangeboten Er wurde vor Inkrafttreten an 20 Schulen erfolg- 5 (GTA) liegt in Sachsen bei über 98 Prozent (vgl. reich erprobt und wissenschaftlich begleitet (vgl. Berkemeyer 2015, S. 98). Grund für diesen hohen ebd.). Zielgruppe des Qualitätsrahmens Ganztags- Prozentsatz ist einerseits, dass das traditionell flä- angebote sind alle Schulen mit Ganztagsangeboten chendeckende Hortangebot an sächsischen Grund- im Freistaat Sachsen. schulen als Ganztagsangebot gewertet wird und Die 23-seitige Handreichung orientiert sich am andererseits, dass im Bereich der Sekundarstufe I Rahmenmodell zur schulischen Qualität in Sachsen lediglich die Mindestkriterien der Kultusminister- und beschreibt sechs Qualitätsmerkmale mit jeweils konferenz für Ganztagsschulen übernommen wur- drei bis vier Qualitätskriterien einführend mit den. Auch im Bildungsmonitor belegt Sachsen im einem kurzen Text und dann in tabellarischer Form Bereich Förderinfrastruktur, also bei der Betreu- mit spezifischen Indikatoren zur Selbstevaluation ung am Nachmittag, seit Jahren die vordersten (vierstufige Skala: „trifft nicht zu“, „trifft eher nicht Plätze. Doch Bildungsdisparitäten und Bildungs- zu“, „trifft eher zu“, „trifft zu“). armut bestehen in Sachsen weiterhin und die Zahl der Schulabbrecher*innen liegt über dem Bundes- Nach über eineinhalb Jahren Praxis mit dem Qua- durchschnitt (vgl. INSM-Bildungsmonitor 2020). litätsrahmen zeigt sich, dass er insgesamt ein gut geeignetes Werkzeug zur kontinuierlichen Ent- Es zeigt sich, dass die vielfältigen Anforderungen wicklung des Ganztags darstellt. Er weist viele zen- an Schulen mit Ganztagsangeboten allein durch die trale, aus der Ganztagsschulforschung bekannte Quantität des Ausbaus nicht erfüllt werden können. Merkmale guten Ganztags auf und beinhaltet in In den letzten Jahren wurden daher in vielen Bun- Fragebogenform die entsprechenden Indikatoren. desländern Qualitätsrahmen erarbeitet, welche über Als positiv zu bewerten sind insbesondere die Emp- die Mindestanforderungen hinausgehende Ansprü- fehlungen, wie eine Ganztagskonzeption gestaltet che an den Ganztag stellen und die kontinuierliche werden kann. Darüber hinaus sollen Schulen Ziel- Qualitätssicherung gewährleisten sollen. dimensionen ihrer Arbeit festlegen und dafür Maß- nahmen und Formen der Qualitätssicherung für Der sächsische „Qualitätsrahmen Ganztagsange- ihre gewählten Schwerpunkte definieren. bote - Instrument zur Qualitätsentwicklung und zur Umsetzung der Fachempfehlung »Ganztagsan- Gleichzeitig zeigen sich in der praktischen Arbeit gebote an sächsischen Schulen«“, herausgegeben mit dem Qualitätsrahmen Schwächen: So sind vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus im bspw. die Einleitungstexte der Indikatoren auf das Januar 2019, „basiert auf den langjährigen Erfah- Nötigste reduziert und deswegen nicht geeignet, die rungen sächsischer Schulen, den Erkenntnissen Qualitätsbereiche hinreichend zu erläutern. Es bleibt der wissenschaftlichen Begleitung sowie den Bera- daher unklar, wie genau ein Qualitätsbereich in der tungs- und Unterstützungserfahrungen des Säch- Schulpraxis umgesetzt werden kann, worauf dabei sischen Staatsministeriums für Kultus (SMK) und zu achten ist oder welche Vorgehensweisen sich des Sächsischen Landesamtes für Schule und Bil- bewährt haben. Darüber hinaus zeigen sich einige dung“ (SMK 2019, S. 4). Leerstellen: So wird als Ausgangspunkt der Ganz-
tagskonzeption an der Einzelschule zwar die oben Der zweite Teil der Arbeitshilfe nimmt die Quali- genannte Sozialraumanalyse gefordert, allerdings tätsbereiche des Qualitätsrahmens Ganztagsange- ohne eine Beschreibung der theoretischen Grund- bote in den Fokus. Unsere Autor*innen beschreiben lagen oder aktueller Methoden. Gleiches gilt auch dabei kompakt und praxisnah, wie die Qualitätsbe- für das Qualitätsmerkmal „Qualitätssicherung und reiche in der Schule realisiert werden können und -entwicklung“. Hier heißt es, dass Schulen mit Hilfe geben Umsetzungsempfehlungen. Die einzelnen geeigneter Instrumente regelmäßig die Angebote Qualitätsbereiche haben sie zu thematisch passen- intern evaluieren sollen. Was, wie und mit welchen den Themenblöcken gebündelt. Instrumenten zu welchem Zweck evaluiert wer- den soll und welche Instrumente in diesem Sinne Im dritten Teil der Arbeitshilfe geht es um das „geeignet“ sind, darüber gibt der Qualitätsrahmen Thema Evaluation. Aus der eigenen Schulpraxis keine Auskunft. wissen wir, dass für die Messung der Qualität von Diese Leerstellen und Unklarheiten versucht die Ganztagsangeboten bisher gute und erprobte Ins- 6 vorliegende Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen trumente fehlen. Als Ganztagsschulverband e.V. Ganztagsangebote zu füllen und zu beseitigen, die Landesverband Sachsen haben wir daher für diese vom Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Arbeitshilfe ein Modellprojekt ins Leben gerufen. Sachsen verantwortet wird. Inhaltlich greift sie Dafür habenwir einen von Dr. Dennis Nowak und Dr. dabei die Themenbereiche auf, die der Qualitätsrah- Fabienne Ennigkeit entwickelten Fragebogen zur men Ganztagsangebote vorgibt und die aus unserer Messung der Angebotsqualität im Ganztag mit der Sicht einer weiteren Erläuterung bedürfen, damit Online-Kommunikationsplattform Edkimo zusam- die Arbeit mit dem Instrument in der Schulpraxis mengebracht. Im Ergebnis steht nun allen sächsi- besser gelingt. schen Schulen mit Ganztagsangeboten ein erprob- tes Evaluationsinstrument kostenfrei und digital Der erste Teil dieser Arbeitshilfe widmet sich daher auf Edkimo zur Verfügung. dem Thema Sozialraumanalyse. Da weder in der Aus- noch Weiterbildung von Lehrkräften dieses Wir möchten auf diesem Weg allen Beteiligten an Thema eine Rolle spielt, haben wir mit Professor dieser Arbeitshilfe danken, insbesondere unseren Ulrich Deinet gesprochen, einem der profiliertesten Autor*innen und Interviewpartner*innen. Wir hof- Forscher auf diesem Feld. Deinet macht deutlich, fen, dass Ihnen die Lektüre hilft, zukünftig noch warum sich Schulen mit Ganztagsangeboten plane- besser mit dem Qualitätsrahmen Ganztagsange- risch und praktisch an ihrem Sozialraum orientie- bote zu arbeiten und Sie zahlreiche Ideen für Ihren ren sollen und wie genau dies gelingen kann. Ganztag mitnehmen. LITER ATUR Berkemeyer, N. (2015): Ausbau von Ganztagsschulen. Regelungen und Umset- zungsstrategien in den Bundesländern. Bertelsmann Stiftung. URL: https:// www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePubli- kationen/Studie_Ausbau_von_Ganztagsschulen.pdf (Zugriff: 03.09.2020). Initiative neue soziale Marktwirtschaft (INSM) (2020): INSM-Bildungsmo- nitor. URL: https://www.insm-bildungsmonitor.de/2020_best_sachsen_ gesamtranking.html (Zugriff: 03.09.2020). Sächsisches Staatsministerium für Kultus (SMK) (2019): Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Instrument zur Qualitätsentwicklung und zur Umset- zung der Fachempfehlung »Ganztagsangebote an sächsischen Schulen«. URL: https://www.schule.sachsen.de/download/download_bildung/19_01_31_Br_ Qualitaetsrahmen_GTA.pdf (Zugriff: 03.09.2020).
Interview mit 7 Prof. Ulrich Deinet: „Gute Ganztags- schule ist ohne Sozialraumorientie- rung nicht denkbar!“ Interview: Christoph Bülau Textredaktion: Marion Nagel Wer heute ein Ganztagskonzept für seine Schule plant oder das bereits vorhandene weiterentwickeln möchte, kommt an Themen wie Sozial- raum, Sozialraumanalyse und Sozialraumorientierung nicht vorbei. Auf den ersten Blick sperrige Begriffe, meint Professor Ulrich Deinet. Auf den zweiten Blick erschließt sich jedoch schnell, wie hilfreich es ist, den Sozialraum bei der Planung des Ganztags zu berücksichtigen, damit das Ganztagskonzept individuell für die Schule passt und nach- haltig wirken könne. Professor Ulrich Deinet lehrt und forscht an der Hochschule Düsseldorf im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften. Ihn interessiert u.a., wie Kinder und Jugendliche sich die Schule als Raum aneignen. Er hat u.a. die Studie „Ganztagsschule als Lebensort aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen“ an Düsseldorfer Ganztagsgrund- schulen durchgeführt. In der Einleitung zum „Sächsischen Qualitätsrahmen Ganztags- angebote“ wird ebenfalls empfohlen, die Ausgangssituation mittels einer Sozialraumanalyse zu beschreiben. Um zu erfahren, was eine Sozial- raumanalyse ist, welche Schritte dabei entscheidend sind und welche Chancen sie bietet, haben wir uns mit Professor Deinet getroffen.
INTERVIEW Ulrich Deinet Professor Deinet, beginnen wir mit ihnen bei der Lösung schulischer Probleme unter- einigen grundsätzlichen Begriffen. stützen zu lassen. Was meint Sozialraum, Sozialraum- analyse und Sozialraumorientierung? Und was ist die andere, häufig vernachlässigte, Blickrichtung? U . D. : Die Begriffe Sozialraum, Sozialraumanalyse und Sozialraumorientierung, bezeichnen unter- U . D. : Hier geht es darum, die subjektive Bedeu- schiedliche Dinge. Gleichzeitig stehen sie zueinan- tung von Sozialräumen deutlich zu machen, also die der in Beziehung. Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen innerhalb Der Begriff Sozialraum ist nicht fest definiert. All- und außerhalb der Schule in den Blick zu nehmen. gemein kann man Sozialraum „übersetzen“ mit: Das ist eine Blickrichtung, die bei dem subjekti- Gebiet, Quartier, Stadtteil, Stadt oder Region. Es ist ven Empfinden von Menschen ansetzt. Dabei wird ein sozialgeografisches Gebilde, indem bspw. der vor allen Dingen mit qualitativen Methoden gear- 8 Schulstandort liegt. Zugleich ist in einem weiten beitet. Dieser subjektorientierte Blick ist entschei- Verständnis die Ganztagsschule selbst ein Sozial- dend dafür, Ganztagsangebote an den Bedürfnissen, raum. Bedarfen, Lebensbedingungen und den Ressourcen Sozialraumanalyse meint in einem klassischen von Kindern und Jugendlichen auszurichten. Sinne eher ein Planungsinstrument, dass wir aus Schule hat in diesem Verständnis zugleich eine Ämtern für Statistik, von der Sozialraumplanung wichtige Aufgabe als Akteurin in unserer demokra- oder der Jugendhilfeplanung her kennen. Hier geht tischen Gesellschaft, im Sozialraum, im Stadtteil, es um das zur Verfügung stellen und das Auswer- im Ort. Sie tritt mit Angeboten in den Sozialraum ten vor allen Dingen von Daten und Fakten aus der und wird Teil von ihm. Was ich in Schule seit Jahr- Bevölkerungsentwicklung, wie bspw. der Schulein- zehnten jedoch häufig erlebe, ist, dass die eine Blick- gangsuntersuchung oder anderen Quellen. Ziel ist richtung häufig sehr stark betont und gleichzeitig meist die Identifikation von Strukturen, Problemen die andere Richtung vergessen wird. Dabei halte ich und Entwicklungsvorhaben im Sozialraum, aber die zweite Blickrichtung für genauso wichtig und sie auch die Darstellung von sozialer Ungleichheit oder gehört unbedingt dazu, weil sonst die erste lang- die Ermittlung von besonderen Bedarfsgruppen, fristig nicht funktioniert. um Fördervorhaben zielgruppengenau zu adressie- ren. Das Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“ Sie sagen, dass die Ganztagsschule selbst bspw. oder auch die Fördermaßnahmen für soge- ein Sozialraum ist. Was meinen Sie damit? nannte „soziale Brennpunkte“ sind Ergebnisse die- ser Sozialraumanalysen. U . D. : Darüber kann man streiten, doch ich finde es Der Begriff Sozialraumorientierung erweitert nun richtig, das so zu sagen. Denn genau über diesen diesen eher quantitativen Zugang der Sozialrau- Blick auf das subjektive Erleben, also darauf, wie manalyse um einen qualitativen und damit eher Schüler*innen die Institution Schule erleben, kom- subjektiven Aspekt. Sozialraumorientierung hat men auch Dinge in den Blick, die Schule als Sozial- oft zwei Blickrichtungen. Einerseits öffnet sich die raum eben ausmachen, wie z.B. das soziale Mitein- Schule in den Sozialraum, sie will sozialräumliche ander untereinander. Das spielt eine wesentliche Ressourcen für die Gestaltung von Schule nutzen. Rolle für das Gelingen von Schule als Unterrichtsbe- Das heißt, man sucht sich Kooperationspartner in trieb. Ganztagsschule umfasst so viele Stunden des der Nähe der Schule, die dann in der Schule tätig Tages, dass sie nach der Familie der wichtigste Ort sein sollen, z.B. Vereine, Jugendeinrichtungen und in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ist. so weiter. Bei weiterführenden Schulen geht es oft Dazu kommt die sogenannte „Hinterbühne“ von um einen größeren Einzugsbereich, z.B. den gan- Schule. Damit gemeint sind z.B. die Räume, die zen Landkreis oder vielleicht sogar mehrere Land- sich Kinder und Jugendliche aneignen und schaf- kreise. Diese eine Seite der Sozialraumorientierung fen, Erfahrungsräume, die Erwachsenen manch- bedeutet also, dass ich mich als Schulleitung und mal gar nicht so sichtbar sind, auch das Umnutzen Schule auf den Weg mache und versuche, Koopera- von Gebäuden und von Flächen. Das sind Merkmale tionspartner im Stadtteil oder der Region zu finden, von Sozialräumen. Schule ist sehr viel mehr als das um mit diesen zusammen zu arbeiten oder mich von Unterrichtsgebäude oder als die Institution, die
Ulrich Deinet INTERVIEW gesellschaftliche Funktionen wie die Verteilung von die Betroffenen nicht nur befragt, sondern direkt Abschlüssen nach dem Leistungsprinzip, die Ver- beteiligt werden. Sie werden ernst genommen und mittlung von Kultur, Fähigkeiten und Fertigkeiten um ihre Meinung gefragt. usw. erbringen soll und muss. Mit diesem Grund- Wir arbeiten auch gerne mit der sogenannten verständnis kann man Schule sehr viel umfassender „Nadel-Methode“ mit Kartenausschnitten, bei der sehen, was nach meiner Ansicht für die Entwicklung man in der Schule, also konkret im Unterricht, Kin- der Ganztagsschule ganz, ganz wichtig ist. der und Jugendliche in eine Karte eintragen lässt, wo ihre Lieblingsorte sind, wo sie sich nach der Schule Wie gehe ich nun bei einer aufhalten, wo Angstorte sind usw. Das kann man je Sozialraumanalyse vor? nach Alter abwandeln. Fotomethoden funktionieren auch gut, sind beliebt U . D. : Ich muss, bevor ich eine Sozialraumanalyse und sehr interessant. Nach meiner Erfahrung sind mache, eine erste Abfrage machen. Welche Themen, Kinder und Jugendliche durchaus stolz, wenn sie Probleme oder Fragestellungen hat meine Schule. uns etwas zeigen können. Oft sind wir Erwach- 9 Was möchten wir herausfinden? Es ist auch wichtig, senen überrascht von den Orten, die aus Sicht von sich vor Beginn zu fragen, ob meine Fragen mit einer Jugendlichen positiv besetzt sind, weil man sich da Sozialraumanalyse beantwortet werden können. z.B. gut treffen kann. Oder man macht eine Bege- Z.B. könnte ein Vorhaben sein: „Wir suchen neue hung mit Mädchen oder mit Jungen. Oder mit Kin- Kooperationspartner für den Ganztag“. Oder eine dern und Jugendlichen mit Handicaps. Das kann für Schule steht vor der Frage, ob sie ihren Schüler*in- bestimmte Themen oder Fragen wichtig sein, um nen viele, breit gestreute oder doch eher wenige, etwas über die unterschiedlichen Raumwahrneh- ausgesuchte Ganztagsangebote machen soll. Das mungen herauszufinden. Thema, das dann eingegrenzt wird, könnte lau- ten: „Wir wollen wissen, was unsere Schüler*innen Bei der von Ihnen benannten Fotoaktion, eigentlich nach dem Ganztag noch tun.“ Dazu kön- wie könnte ein möglicher Arbeitsauftrag nen sich dann unterschiedliche Teilfragen ergeben, für Kinder und Jugendliche aussehen? z.B.: Müssen wir mehr Angebote im Ganztag für bestimmte Gruppen machen? Brauchen wir mehr U . D. : Ein erster Arbeitsauftrag könnte z.B. lauten, Förderung oder ist es genug? Orte in der Schule zu fotografieren, an denen sie sich Viele Fragen sind dabei eigentlich nur vom Erleben wohlfühlen und auch die, an denen sie nicht gern der Kinder und Jugendlichen beantwortbar. Deswe- sind. Es müssen nicht viele Fotos sein, darum geht gen sollte man sie unbedingt einbeziehen und an es nicht. Im Anschluss werden die Fotos vorgestellt. der Analyse beteiligen. Die Kommentare der Kinder und Jugendlichen zu den Fotos sind ausgesprochen wichtig. Wie kann das konkret aussehen? Ein weiterer Auftrag könnte sich auf den Stadtteil beziehen. Man könnte die Jugendlichen z.B. tägliche U . D. : Eine bewährte Einstiegsmethode sind Bege- Wege fotografieren lassen, oder ihr Zuhause und hungen. In der Schule wird „Begehung“ oft mit familiäre Dinge mit einbeziehen. Hier muss man einem Spaziergang verwechselt. Eine Begehung jedoch sensibel sein. Diese Fotos sollten nicht unbe- ist jedoch etwas anderes. Es gibt unterschiedliche dingt veröffentlicht werden. Trotzdem sind solche Ansätze: Begehungen mit Expert*innen, die in die Orte Teil ihrer Lebenswelt. Oft gibt es da wunder- Schule bzw. in den Stadtteil kommen und diesen schöne Fotos von Kinderzimmern und solche Dinge. begeht man dann gemeinsam. Und es gibt Begehun- gen, bei denen Kinder, Jugendliche oder Erwachsene Welche Chancen hat es für die Ganztags- selbst als Expert*innen ihrer Lebenswelt die Füh- schule, wenn die Lebenswelt von Kindern rung übernehmen und uns etwas zeigen. So könnte und Jugendlichen mit einbezogen wird? man den Weg zur Schule rückwärts begehen, um zu gucken, woher kommen die Schüler*innen. Auch U . D. : Als erstes kann ich viele Dinge besser ver- die Fahrschüler*innen sollte man einbeziehen, stehen. Wenn man Kinder und Jugendliche parti- man könnte zusätzlich Befragungen in Schulbussen zipieren lässt, trägt das dazu bei, dass sie „Schule“ machen. Solche Begehungen haben den Vorteil, dass nicht so sehr als Zwangsinstitution sehen, sondern
INTERVIEW Ulrich Deinet als Ort der Gleichaltrigengesellschaft erleben. Hier In Fortbildungen oder bei Schulentwick- zeigt sich die Funktion von Schule als Ort der Demo- lungsprozessen erleben wir häufig, dass kratiebildung. Dazu möchte ich ermutigen und die pädagogische Fachkräfte auf die Rahmenbe- Beteiligung der Schüler*innen ist dazu ein erster dingungen wie Zeit, Raum, Personal und Geld Schritt. Denken wir auch an Fragen wie die Pausen- verweisen, wenn es darum geht, die Öffnung und Raumgestaltung. Über die Rückmeldungen der von Schule voranzutreiben. Wenn ich Sie Kinder und Jugendlichen zu ihrem Erleben kann ich jetzt richtig verstehe, sagen Sie, diese vier Bündnispartner oder Kooperationspartner finden, Eckpunkte sind wichtig, mindestens so ent- die ich vorher gar nicht so im Blick hatte. Ich komme scheidend ist jedoch so etwas wie „Haltung“. weg von diesen, sehr stark auf Unterricht bezoge- nen Aspekten, die wichtig sind und gleichzeitig, U . D. : Eine Sozialraumanalyse macht man nicht, weil wenn sie zu eng sind, den Blick nicht frei machen für man zu viel Zeit hat. Ja, es ist wichtig, dass Schule mögliche Optionen und Lösungen. und die Lehrkräfte eine Haltung oder ein Selbstver- 10 ständnis davon haben, selbst Teil des Sozialraums Inwiefern sollte ich Eltern bei einer zu sein. Es ist aus meiner Sicht gut für Lehrkräfte, Sozialraumanalyse einbeziehen? Bezüge zu dem Sozialraum zu entwickeln, in dem die Schule liegt und aus dem die Schüler*innen kom- U . D. : Eltern sind ja erwachsene Personen im Stadt- men. Das wird um so bedeutsamer, wenn Lehrkräfte teil, die einen eigenen Blick auf unterschiedliche selbst nicht am Ort der Schule wohnen. Ansonsten Dinge haben. Darüber hinaus sind sie oft nicht nur ist es schwerer, die Lebenswelt der Schüler*innen Eltern. Sie haben möglicherweise auch ein Geschäft zu verstehen. Den Bezug herzustellen ist erstmal im Stadtteil oder sind Sportfunktionär in einem ein zusätzlicher Aufwand und den will nicht jede*r Verein. leisten. Dabei lässt sich ein Bezug einfach herstel- Es wäre für mich Teil der Sozialraumanalyse zu len. Ein Beispiel: An einer großen Gesamtschule, gucken, welche Potenziale in meiner Elternschaft an der zu jedem neuen Schuljahr mehr als zehn liegen. Was haben sie für Vorerfahrungen und Kom- neue Lehrkräfte anfingen, gab es anfangs immer petenzen? eine Begehung durch den Stadtteil. Das fanden die „Neuen“ interessant und es ergaben sich gleich erste Kontakte. Solche kleinen Dinge, die sind über- all möglich. Ein anderes Beispiel: die Freiwillige Feuerwehr in Haan macht jetzt eine Brandschutz AG an der Schule. Das hat dann einen Synergieef- fekt: Die Schule hat ein Ganztagsschulangebot für Jungen und Mädchen und die Feuerwehr bekommt Nachwuchs. Gleichwohl - man muss nicht immer nur in den sozia- len Bereich gucken. Ich finde die lokale Ökonomie auch sehr interessant und wichtig. Ob da z.B. eine Buchhandlung im Stadtteil ist, mit der man vielleicht mal kooperieren könnte. Und nach meiner Erfahrung sind lokale Akteure durchaus interessiert.
Ulrich Deinet INTERVIEW Einerseits wissen wir durch Studien, dass es Schulsanitätsdienst, das DRK hat einen Koopera- ein starkes Auseinanderdriften von „reichen“ tionspartner, und die Möglichkeit, Nachwuchs für und „armen“ Stadtteilen gibt. Sozialraum ihre Jugendorganisation zu finden. Und die Schü- „verinselt“ oder „verödet“ bspw. durch Leer- ler*innen haben ein anerkanntes Engagement. stand, Kinder und Jugendliche ziehen sich in die Wohnungen zurück. Andererseits sagen Eine entscheidende Frage ist natürlich: Wie sind Sie, die Ganztagsschule soll die Lebenswelt die sozialen Voraussetzungen in dem Stadtteil? von Kindern und Jugendlichen in den Mit- Welche möglichen Kooperationspartner gibt es? In telpunkt rücken und sich in den Sozialraum „armen“ Stadtteilen sieht es damit nicht zwangs- öffnen, um tatsächlich mehr zu machen als nur läufig schlechter aus. So habe ich häufig erlebt, dass Unterricht. Klingt wie ein Widerspruch, oder? es in schlechter gestellten Stadtteilen eine bessere Infrastruktur der Sozialen Arbeit gibt als in soge- U . D. : Ich finde das ist kein Widerspruch. Ein Bei- nannten „Mittelschicht-Stadtteilen“. Man sollte die spiel: An einer Grundschule in Gevelsberg in Verhältnisse in seinem Sozialraum kennen. Gibt es 11 Nordrhein-Westfalen, wurde unter Einbeziehung eine Stadtteilkonferenz? Und wenn nicht: „Kann der Wünsche der Kinder der Schulhof neu gestaltet. ich als Schulleitung dazu mal einladen?“ Natürlich Es wurden Flächen und Felder angelegt und Straßen brauche ich dazu Bündnispartner. Aber ich würde aufgemalt. Die Leiterin der Grundschule erzählte jetzt immer sagen: Ich muss erst einmal loslegen! mir dann: „Der Schulhof ist auch am Wochenende Das heißt aber auch, dass sich das Selbstverständ- geöffnet und er wird häufig von den Familien unse- nis von Schulen ändern muss. Eine Halbtagsschule res stark verdichteten Quartiers genutzt.“ Das ist so war ja auch immer ohne Sozialraumorientierung ein Beispiel für die Öffnung der Schule in den Sozial- denkbar. Aber die Ganztagsschule ohne Sozialrau- raum und damit für Sozialraumorientierung. Es ist morientierung kann ich mir nicht vorstellen. Dann auch ein Gewinn für die Kinder, die so die Schule am negiere ich sozusagen die Lebenswelt von Kindern Wochenende in einer anderen Funktion nutzen. und Jugendlichen, wenn ich selbst acht Stunden davon gestalte. Anfangs macht so eine Öffnung sicherlich mehr Arbeit und sie wird meist nicht sofort belohnt. Das Professor Deinet, vielen Dank für das Gespräch. heißt, man muss erst etwas investieren. Doch lang- fristig lohnt es sich: Die Kooperationsprojekte zwi- schen Jugendhilfe, Schule und anderen Institutionen, die ich begleitet habe, sind meist aus einer Schieflage entstanden. Eine Schule hat um Hilfe gerufen: „Wir haben hier ganz große Probleme!“ und in den Sozial- raum gefragt: „Wer kann uns dabei helfen?“ Durch eine Öffnung in den Sozialraum verschwand die Schieflage und alle Beteiligten hatten etwas davon. Konkret heißt das für Schule zu überlegen: Können Schulräume auch geöffnet werden für das Gemein- wesen? Können Schulen im Sozialraum, für ihren Stadtteil, für ihre Region Funktionen übernehmen oder Räume zur Verfügung stellen? Manchmal ent- stehen Kooperationen aus einfachen, ganz konkre- ten Dingen. Ich war letztens an einer großen Schule. Der Schulsanitätsdienst war dort an dem Tag stän- dig unterwegs und der Schulleiter meinte: „Was glauben Sie, wie viel vormittags hier los ist. Wie gut, dass wir mit dem DRK eine Kooperation haben.“ So entstehen Synergieeffekte. Die Schule hat einen
TITEL Autorin Eine genau Beschreibung von Methoden der Sozial- raumanalyse mit Erläuterungen zur Durchführung Sozialraumanalyse und Auswertung finden Sie online unter: Schritt für Schritt www.ganztag-entwickeln.de/sozialraumanalyse 1 Abfrage: Welches Problem, welche Frage- Möglichst eine Fragestellung/ ein stellungen, welches Thema haben wir? Thema konkret formulieren Was möchten wir durch eine Sozialrauma- Wichtig: vor Beginn hinterfragen: Können wir diese nalyse herausfinden? Mit welchem Ziel? Fragen durch eine Sozialraumanalyse beantworten? 2 ren, Thema bzw. Fragestellung formulie- ggf. mit Teilfragen oder -themen Bsp.: Welchen täglichen Schulweg legen unsere Schüler*innen zurück? 12 3 Festlegen, welche Akteur*innen hilfreich für die Beantwortung Kinder und Jugendliche, Eltern, pädagogische Fachkräfte, externe unserer Frage bzw. der Lösung Akteure aus dem Stadtteil usw. unseres Problems sein können 4 Passende Beteiligungsmethoden für die jeweiligen Akteur*innen auswählen z.B.: Begehung, Fotomethode, moderiertes Gespräch, Befragung, Interview, Fragebogen 5 Methoden durchführen, Daten und Rückmeldungen sammeln Bsp.: Fotospaziergang wird einmal von Schüler*in- nen durchgeführt und einmal von den pädagogi- schen Fachkräften, zusätzlich werden Eltern befragt 6 Zusammenbringen der Daten, Übereinanderlegen der unter- Welche Rückmeldungen gibt es von den unter- schiedlichen Ergebnisse schiedlichen Akteur*innen? Was ist überraschend? 7 Aufbereitung der Daten z.B. als PowerPoint-Präsentation, auf Flipchart oder Metaplan, Ausstellung des Fotorundgangs etc. 8 Interpretation Was sagen die Ergebnisse hinsicht- lich unserer Fragestellung aus? Was heißt das für unser Ganztagskonzept? 9 oder Formulierung von Lösungen Anforderungen Was wollen wir ändern? Wen oder was brauchen wir dafür ? Bis wann? Was hat Priorität? Worauf legen wir unseren Schwerpunkt? Passen die gefundenen Lösungen zu unserem Sozialraum? Wer kann möglicherweise von unseren Lösungen noch profitieren? 10 fließen Die Ergebnisse, Ideen und Lösungen in das Ganztagskonzept ein Die Ergebnisse, Ideen und Lösungen fließen in das Ganztagskonzept ein
Beiträge zur Qualitäts- entwicklung von Schulen mit Ganztagsangeboten Empfehlung zur Arbeit Die Beiträge untersetzen damit die rudimentären mit den Beiträgen thematischen Einleitungstexte des bisherigen Qualitätsrahmens Ganztagsangebote durch eine fundierte Darstellung der Qualitätsmerkmale und 13 Die folgenden neun Beiträge knüpfen direkt an die konkrete Praxishinweise. sechs Qualitätsmerkmale des sächsischen Quali- tätsrahmens Ganztagsangebote an. In Koopera- Jeder einzelne Beitrag kann dabei separat von den tion mit dem Arbeitsbereich Schulpädagogik unter anderen Beiträgen genutzt werden, d.h., der Ein- besonderer Berücksichtigung von Schulentwick- stiegspunkt muss nicht notwendigerweise der erste lungsforschung der Universität Leipzig greifen die Beitrag sein. In den meisten Fällen wird es jedoch Autor*innen diese Qualitätsmerkmale auf, um sie sinnvoll sein, mehrere Beiträge zu lesen, um den weiter zu detaillieren und punktuell zu ergänzen. vielfältigen Abhängigkeiten zwischen den Quali- tätsmerkmalen Rechnung zu tragen. Insbesondere Durch die umfassende Darstellung jedes Qualitäts- die Merkmale Organisation, Kooperation und merkmals soll den Akteur*innen vor Ort ein prak- Partizipation bieten demnach vielfältige Anknüp- tikabler Leitfaden für die angepeilten nächsten fungspunkte und teilweise auch Perspektivwech- Entwicklungsschritte des eigenen Ganztagskon- sel für die Gelingensbedingungen und Umset- zepts zur Verfügung stehen. Alle Beiträge sind zungsmöglichkeiten der anderen sechs Merkmale. dabei nach dem gleichen Muster aufgebaut: → Im Abschnitt Das sagt die Wissenschaft – Theoretische Grundlagen findet eine ter- minologische und inhaltliche Präzisierung des Themas auf Grundlage der einschlä- gigen Fachliteratur statt. Zudem werden wichtige Studienbefunde zum jeweiligen Thema zusammengefasst und bewertet. → Die Gelingensbedingungen geben Auskunft darüber, welcher Rahmen für die Umset- zung gegeben sein muss, um das Quali- tätsmerkmal erfolgreich an der Schule zu implementieren. → Die Umsetzungsmöglichkeiten – Tipps für die Praxis enthalten konkrete Hinweise, die zu beachten sind und Ansatzpunkte, wie die Arbeit vor Ort beginnen kann.
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Organisation des Schuljahres und Gestaltung der Tages- und Wochenstruktur Laura Lehmann und Miriam Schlecht 15 Das sagt die Wissenschaft − ten-Stunde mit dem Ziel ab, möglichst viele Unter- Theoretische Grundlagen richtsfächer am Vormittag unterbringen zu können (vgl. Eikenbusch 2010). Aufgrund dessen lässt sich in der Tat die Frage stellen, ob die über 100 Jahre Durch die Ausweitung des Schultages auf den Nach- alte Strukturierung und Einteilung des Unter- mittag wird in einer Schule mit Ganztagsangeboten richts, heute überhaupt noch als zeitgemäß für die im Gegensatz zur Halbtagsschule zusätzliche Zeit Bedürfnisse der Schüler*innen angesehen werden „frei“, welche optimal für die Lern- und Erfah- kann. Alternativen zu einer 45-Minuten-Taktung rungswelt der Schüler*innen sowie für die Lehr- des Unterrichtstages werden u.a. von Kamski (vgl. kräfte genutzt werden sollte. Als sinnvolle Gestal- Kamski 2014, S. 82ff) angeboten. Sie empfiehlt bspw. tung dieses „Mehr-an-Zeit“ kann eine kind- und das Doppelstundenprinzip, bei welchem 90 Minu- jugendgerechte Rhythmisierung erachtet werden ten Unterricht stattfindet und danach pausiert wird. (vgl. Burk 2005, S. 140). Diese gilt als Dreh- und Geläufiger ist im Vergleich dazu jedoch die Ausdeh- Angelpunkt einer guten Organisation des Schul- nung der Unterrichtsstunde auf 60 Minuten. Des jahres sowie einer effektiven Gestaltung der Tages- Weiteren liegen Modelle vor, bei welchen individuell und Wochenstruktur in einer Schule mit Ganztags- die Zeitstruktur für Lern-, Projekt- und Übungs- angeboten. Was genau verbirgt sich aber nun hinter phasen angepasst werden. diesen Begriffen? Stets beachtet werden sollte, dass nicht jede Schule Der Terminus „Rhythmisierung“ leitet sich von dem das eine perfekte, vorgegebene Rhythmisierungs- griechischen Wort „rythmios“ ab, was eine gleich- modell adaptieren kann, sondern dass vielmehr jede mäßige, gegliederte Bewegung oder einen perio- Schule ihren Rahmenbedingungen und Zielsetzun- dischen Wechsel natürlicher Vorgänge beschreibt gen entsprechend eine für sie passende Rhythmi- (vgl. Scheuerer 2018, S. 49). Somit lässt sich fest- sierung entwickeln und erproben muss. Nichts- halten, dass Rhythmisierung das Leben und Lernen destotrotz existieren fundierte wissenschaftliche in einen geordneten, für alle Beteiligten fruchtba- Erkenntnisse der Chronobiologie, welche darauf ren Ablauf ermöglicht. Dieser Wechsel von An- und abzielen, die menschlichen Wellenbewegungen von Entspannung bzw. Erholung (vgl. Burk 2005, S. 164) An- und Entspannung zu beschreiben und somit kann als ein allgemeines menschliches Bedürfnis auch bei der Entwicklung von Rhythmisierung im erachtet werden und sollte dementsprechend auch Schulkontext beachtet werden sollten. Zum einen sei in der Schule erfüllt werden. hier der Basis-Ruhe-Aktivitäts-Rhythmus genannt. Das Problem hierbei jedoch ist, dass genau betrach- Wie Abb. 1 verdeutlicht, durchläuft der Mensch eine tet, Rhythmisierung allein, wie etwa durch den durchschnittliche Aktivierungsphase von etwa derzeit an vielen Schulen noch üblichen 45-minü- 90 bis 120 Minuten, gefolgt von einer abnehmen- tigen Unterrichtstakt, noch kein kindgerechtes den Leistungskurve und einer Regenerations- und Lernen darstellt. Die Einteilung des Unterrichtsta- Ruhephase von circa 20 bis 30 Minuten. Individu- ges in 45-Minuten-Einheiten wurde im Jahr 1911 in elle Unterschiede sind anzunehmen, allerdings hat Preußen eingeführt und löste dort die 60-Minu- sich ein prinzipielles Verhältnis von Aktivierung
ORGANISATION DES SCHULJAHRES UND GESTALTUNG DER TAGES- UND WOCHENSTRUKTUR und Entspannung im Verhältnis von 3:1 als wir- Von besonderer Bedeutung sind zusätzliche kungsvoll erwiesen (vgl. Siepmann/Salzberg-Lud- Betrachtungen der entwicklungsbedingten Beson- wig 2006, S. 4). derheiten von Kindern und Jugendlichen. Während Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren mit einer täglichen Schlafdauer von zehn Stunden den gan- zen Tag über munter und energiegeladen sind, zei- gen 13- bis 15-Jährige bei identischer Schlafdauer häufig Anzeichen von Müdigkeit. Durch die puber- tären Veränderungen und Entwicklungen haben die Jugendlichen am späten Nachmittag ein zusätzli- ches Leistungshoch, können aufgrund dessen aber am Abend nur schlecht einschlafen. Als ein Resultat daraus, sind sie am Morgen häufig noch unausge- 16 schlafen und weniger leistungsstark während der ersten Unterrichtsstunden. Damit ähnelt der biolo- gische Tagesrhythmus Jugendlicher eher dem von Abb. 1: Basis-Ruhe-Aktivitätszyklus, Quelle: Siepmann/Salz- Nachtmenschen. Die Schule wird dieser „inneren berg-Ludwig 2006, S. 4, nach Kleitmann 1969. Uhr“ der Jugendlichen in der Regel nicht gerecht, da der Unterrichtsbeginn, im Gegensatz zu unseren europäischen Nachbarn wie etwa Italien, Frank- Des Weiteren beschreibt der biologische Tagesr- reich oder Großbritannien, überwiegend zwischen hythmus (vgl. Abb. 2) die Leistungsfähigkeit in sieben und acht Uhr morgens zu verorten ist. Wird Abhängigkeit von der Tageszeit. Generell gilt, dass über einen längeren Zeitraum hinweg entgegen die- nach dem Leistungshoch am Vormittag ein Mittags- ser biologischen Zeitstrukturen gelebt, so kann dies tief mit verminderter Leistungsfähigkeit und einem zu „erheblichen körperlichen und seelischen Beein- stärkeren Verlangen nach Ruhe und Erholung folgt. trächtigungen“ (Siepmann/Salzberg-Ludwig 2006, Im Anschluss daran gibt es im Verlauf des Nachmit- S. 7) oder gar zu völliger Erschöpfung führen. Wird tages ein zweites Leistungshoch. der Biorhythmus hingegen beachtet, kann Leis- tungsabfall, einer niedrigen Leistungsbereitschaft sowie einem überhöhtem Energieaufwand entge- gengewirkt werden (vgl. ebd., S. 6ff.). Wie die nachfolgende Tabelle veranschaulicht, kann Rhythmisierung auf folgenden drei Ebenen statt- finden: der Schule-, der Unterrichts- und der Indi- vidualebene. Während die Schulebene durch das System, also Schulkonzept und Gremien gelenkt wird, nimmt die Lehrkraft auf der Unterrichtsebene durch ihre Gestaltung des Unterrichts Einfluss. Im Gegensatz dazu wird die Individualebene durch das einzelne Kind gelenkt. Abb. 2: Physiologische Leistungskurve – Beziehung zwischen Tageszeit und Leistungsbereitschaft, Quelle: Siepmann/Salz- berg-Ludwig 2006, S. 8.
ORGANISATION DES SCHULJAHRES UND GESTALTUNG DER TAGES- UND WOCHENSTRUKTUR 17 Tab. 1: Begrifflichkeiten Takt und Rhythmisierung, eigene Darstellung, nach Kamski 2014, S. 23. dient dazu, Förderzeiten außerhalb des Unterrichts Gelingensbedingungen für die Schüler*innen zu ermöglichen. Wie konkret das Format Lernzeit umgesetzt wird, hängt von der jeweiligen Zielstellung ab, die jede Schule selbst fest- Damit Rhythmisierung in der Ganztagsschule gut legt. Lernzeiten können folgenden Zwecken dienen: gelingen kann, sollte auf Folgendes geachtet wer- als Hausaufgabenbetreuungszeit, als Zeit für selbst- den: bestimmtes Lernen oder zur Lernförderung für ein- zelne Schüler*innen. Wichtig bei der Einführung Tagesfixpunkte zur Orientierung schaffen von Lernzeiten ist, dass eine enge Verknüpfung zum Um den Schultag zeitlich zu strukturieren, ist es aus Unterricht hergestellt wird und ein Austausch zwi- entwicklungspsychologischen Gründen empfeh- schen den Lehrkräften und den Lernzeithelfer*in- lenswert, für die Kinder und Jugendlichen Tagesfi- nen stattfindet (vgl. ebd., S. 57f.). xpunkte zu schaffen. Neben eingebauten Freiräu- men sind wiederkehrende Tagesschwerpunkte Offene Anfangs- und/oder Endphasen einbauen wie bspw. die Mittagspause wichtig zur Orientie- Ein offener Anfang ermöglicht den Schüler*innen rung für die Schüler*innen (vgl. Appel/Rutz 2009, ein langsames Ankommen in der Schule. Die Zeit S. 143). kann von den Schüler*innen genutzt werden, um in Längere Unterrichtseinheiten die Klassenräume zu gehen, Unterrichtstoff nach- Eine Verlängerung der Unterrichtseinheiten von oder vorzuarbeiten, sich mit Mitschüler*innen einem 45-Minuten- hin zum 60-bis 90-Minuten- und Lehrkräften auszutauschen oder um zu Früh- Takt bietet mehr Zeit im Unterricht für konzen- stücken (vgl. ebd., 58). Entsprechend der Möglich- triertes und effektives Lernen. Die Stundenorgani- keiten der Schule wäre auch die Nutzung der Schul- sation kann flexibler gestaltet werden. Ein weiterer bibliothek in diesem Zeitraum denkbar (vgl. Appel/ Vorteil besteht darin, dass die Lehrkräfte sowie die Rutz 2009, S. 142). Schüler*innen sich auf weniger Fächer am Tag kon- zentrieren müssen (vgl. Kamski et al. 2013, S. 54f.). Mittagspause als Tagesfixpunkt Neben ausreichend Zeit zum Essen sollte die Mit- Lernzeiten integrieren tagspause Zeit für Aktivitäten, zur Entspannung Die Integration von Lernzeiten in den Stundenplan und Bewegung bieten. Z.B. könnten ein Ruhebereich
ORGANISATION DES SCHULJAHRES UND GESTALTUNG DER TAGES- UND WOCHENSTRUKTUR mit einer gemütlichen Sitzecke und verschiedene meiden, indem eine möglichst enge Verzahnung von Sportangebote geschaffen werden (vgl. Kamski et Angebt und Unterricht hergestellt wird (vgl. ebd.). al. 2013, S. 59f.). Bei all den wichtigen Gelingensbedingungen für den Tagesablauf sollte jedoch nicht die Organisation des Siehe dazu der Beitrag Beitrag „Pausenkonzept“. gesamten Schuljahres als wichtige Basis vergessen werden, denn mit ihr beginnt die Rhythmisierung. Raumstruktur beachten Für das Gelingen von Rhythmisierung müssen Schulen ihre räumlichen Möglichkeiten beachten und entsprechend der verschiedenen Bedürfnisse Räumlichkeiten schaffen. So sollte z.B. idealerweise der Hausaufgabenraum ein anderer sein, als der Klassenraum (vgl. Appel/Rutz 2009, S. 142). 18 Freizeitangebote schaffen Zu einem rhythmisierten Schultag gehört auch die Einplanung von frei gestaltbarer Zeit. Hierbei soll- ten wiederum verschiedenste Angebote, wie etwa aus den Bereichen Sport, Musik, Werkstätten und PC- Räume geschaffen werden (vgl. Kamski et al. 2013, S. 61). Siehe dazu der Beitrag „Organisierte und ungelenkte Freizeit“ Unterricht individueller gestalten Längere Unterrichtsstunden ermöglichen der Lehr- kraft während des Unterrichts individueller auf die Bedürfnisse der Klasse einzugehen (vgl. ebd., S. 55f.). Beim Planen von Unterricht sollten Lehrkräfte Wechselphasen zwischen An- und Entspannung sowie unterschiedliche Arbeits- und Sozialformen berücksichtigen (vgl. Kamski 2014, S. 78). Pausen- zeiten können je nach Bedarf der Schüler*innen in den Unterricht eingebaut werden (vgl. Kamski et al. 2013, S. 56). Wie gut ein Schultag rhythmisiert, also von morgens bis nachmittags durchstrukturiert werden kann, ist in einem gewissen Maß abhängig von der Form der Ganztagsschule. Bei einer gebundenen Form ist ein ganztägig rhythmisierter Schultag gut umsetzbar, denn der Pflichtunterricht und die außerschuli- schen Angebote können unter der Berücksichti- gung der Phasen der An- und Entspannung über den gesamten Tag verteilt werden (vgl. Dollinger 2013, S. 33). Bei offenen Formen hingegen wie den meisten sächsischen Schulen mit Ganztagsangeboten ist die Umsetzung einer konsequenten Rhythmisierung des Schultages nur begrenzt möglich. Nachmittags- angebote werden meist nur additiv an den Unter- richt zum Vormittag angehängt. Dies gilt es zu ver-
TITEL Autorin Umsetzungsmöglichkeiten – Tipps für die Praxis Informieren Sie rechtzeitig alle GTA-Mitarbeiter*in- Organisation des Schuljahres nen über die Anzahl der am Angebot teilnehmenden Rhythmisierung fängt mit der Planung des Schul- Schüler*innen, den zeitlichen Rahmen (Länge und jahres an und gelingt nur, wenn alle Beteiligten an Zeitpunkt), die finanzielle Vergütung sowie über vor- einem Strang ziehen. Deswegen: handene Materialen bzw. finanzielle Mittel für die im Stellen Sie sicher, dass vor Beginn des Schuljahres der Angebot benötigten Materialien. Schuljahresablaufplan erstellt wird und alle GTA-rel- evanten Termine wie z.B. gemeinsame Besprechun- Organisieren Sie im Schuljahr verteilt immer wieder gen, Meetings etc. festgelegt werden. gemeinsame Gesprächsrunden für alle externen GTA-Mitarbeiter*innen, die Erzieher*innen und die Überlegen Sie, welche GTA für Ihre Schule sinnvoll und Lehrkräfte, um bessere Absprachen und Verzahnun- wichtig sind. Berücksichtigen Sie dabei Ihr pädagogi- gen zwischen den Angeboten und dem Unterricht zu sches Konzept. Kalkulieren Sie anhand der verfügba- ermöglichen. ren Mittel, welche Möglichkeiten bestehen und setzen 19 Sie ggf. Schwerpunkte in Bezug auf Ihr Schulkonzept. Integrieren Sie im Schuljahr Projektwochen und Pro- Integrieren Sie Ihre Ganztagskonzeption in den Schul- jekttage (z.B. eine Nachhaltigkeitswoche). Beziehen jahresablaufplan. Sie für die Planung der Projekte externe GTA-Mitarbei- ter*innen mit ein (z.B. das GTA „Radio“ gestaltet in der Erstellen Sie einen Aushang mit allen GTA-relevanten Projektwoche ein Feature zum Thema „Nachhaltigkeit Terminen, wie bspw. das Abgabedatum der GTA-Anmel- in der Schule“). dungen für das Lehrer*innenzimmer. Thematisieren Sie Weitere Veranstaltungen, die im Schuljahr eingeplant bei Lehrer*innenkonferenzen die Ganztagsangebote. werden können, sind: Lesenächte, Spielabende, For- scher*innennachmittage, Ausflüge z.B. Museumsbe- Informieren Sie alle Schüler*innen sowie Eltern zu suche, Kunstaustellungen, etc. Schulfeste und Sport- Beginn des Schuljahres über die stattfindenden GTA, feste (vgl. Bönsch 2012, S. 18). indem Sie z.B. ein großes Plakat mit einer Übersicht aller Angebote für das neue Schuljahr im Flur anbringen. Erstellen Sie einen GTA-Wochenplan, der veranschau- licht, wann, wo und bei wem die Angebote stattfinden. Hängen Sie diesen gut sichtbar als Plakat oder Pinn- wand im Flur auf, damit alle Beteiligten stets informiert sind. Falls es zu Ausfällen oder Veränderungen kommt, können an dieser GTA-Pinnwand Aushänge dazu veröf- fentlicht werden. Abb. 4: Stundenplanbeispiel 2, 90-Minutentakt, Quelle: Kamski 2014, S. 86. Gestaltung der Tages-/Wochenstruktur Starten Sie den Tag mit einem offenen Unterrichts- beginn, indem Sie den Schüler*innen z.B. 30 Minuten Zeit geben. Diese Zeit kann folgendermaßen genutzt werden: für Gespräche, zum Frühstücken, für individu- elle Lernzeit und zum Nach- bzw. Vorarbeiten des Lern- stoffes. Während der Anfangszeit sollte jeweils eine Lehrkraft im Raum sein (vgl. Kamski et al., 2013, S. 58). Abb. 3: Stundenplanbeispiel 1, Blockmodell 90- bzw. 95-Minuten-Takt (Mischmodell), Plan für eine Gesamtschule Der Unterricht und die Angebote verteilen sich auf den 5. und 6. Klasse, teilgebundene Form, Quelle: Kamski 2014, S. 85. Vor- und Nachmittag, sodass durchweg ein Wechsel von An- und Entspannung sowie von Gemeinschaft und Individualität stattfinden kann (vgl. Abb. 3 und 4) (vgl. Dollinger 2013, S. 35).
TITEL Autorin Verwenden Sie anstelle der 45 Minuten ein passende- Achten Sie bei der Festlegung der Unterrichtszeiten res Zeitstrukturmodell z.B. 60 oder 90 Minuten oder auf die Verkehrsanbindungs-möglichkeiten der Schü- das Doppelstundenprinzip (vgl. Abb. 3 und 4). ler*innen und stimmen Sie diese mit den Unterrichts- zeiten ab, damit keine großen Wartezeiten entstehen. Rhythmisieren Sie den Blockunterricht, d.h., bauen Sie Modelle wie ein offenes Ende können dazu beitragen, entsprechend den Schüler*innenbedürfnissen Wech- ggf. Wartezeiten zu überbrücken. selphasen der An- und Entspannung sowie der Arbeits- und Sozialform ein. Dies ist möglich durch: Führen Sie Rituale wie z.B. den Morgenkreis, den Offene Lernarrangements wie Stationsarbeit (Lernzir- Abschlusskreis oder gemeinsame Frühstücksphasen kel, Lerntheke), Werkstattarbeit, Freiarbeit, Compu- ein. Diese können täglich, wöchentlich oder monatlich terarbeit, Teamarbeit (Gruppenpuzzle, Zukunftswerk- stattfinden (vgl. Dollinger 2013, S. 35). statt), Präsentationen (vgl. Kamski et al. 2013, S. 56). Bewegten Unterricht, z.B. durch Bewegungsspiele wie Fingerspiele oder Bewegungsgeschichten. 20 Weitere Anregungen finden Sie unter www.mehr-bewegung-in-die-schule.de. LITER ATUR Appel, S./Rutz, G. (2009): Handbuch Ganztagsschule. Praxis. Konzepte. Hand- reichungen. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag. Bönsch, M. (2012): Gemeinsam verschieden lernen. Lernen in heterogenen Gruppen. Angebote zur Differenzierung und Individualisierung. Für alle Jahr- gangsstufen. Berlin: Cornelsen. Burk, K. (2005): Rhythmisierung. In: Demmer, M. et al. (Hrsg.): ABC der Ganz- tagsschule. Ein Handbuch für Ein- und Umsteiger. Schwalbach/Ts.: Wochen- schau Verlag, S. 164-165. Dollinger, S. (2013): 127 Tipps für die Ganztagsschule. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. Eikenbusch, G. (2010): Alternativen zur 45-Minuten-Stunde. In: PÄDAGOGIK, Heft 3/2010. URL: https://www.beltz.de/fachmedien/paedagogik/zeitschrif- ten/paedagogik/themenschwerpunkte/alternativen_zum_45_minuten_takt. html (Zugriff: 15.07.2020). Kamski, I. (2009): Qualität von Ganztagsschule: Konzepte und Orientierungen für die Praxis. München: Waxmann. Kamski, I. (2014): Rhythmisierung in Ganztagsschulen. Erprobte Praxis-Funk- tionierende Modelle. Schwalbach/Ts.: Debus Pädagogik Verlag. Kamski, I./Koltermann, S./Krinecki, J. (2013): 99 Tipps. Ganztagsschule. Sekundarstufe I. Berlin: Cornelsen Schulverlage GmbH. Sächsisches Staatsministerium für Kultus (SMK) (2017): Qualitätsrahmen Ganztagsangebote. Instrument zur Qualitätsentwicklung und zur Umsetzung der Fachempfehlung „Ganztagsangebote an sächsischen Schulen“. URL: https:// schule.sachsen.de/download/download_bildung/19_01_31_Br_Qualitaets- rahmen_GTA.pdf (Zugriff: 15.07.2020). Scheurer, A. (2018): Rhythmisierung. In: Ganztagsschulverband e.V. (Hrsg.): Die Ganztagsschule, Heft 2018, 58.Jahrgang, S. 48-73. Siepmann, G./Salzberg-Ludwig, K. (2006): Bedeutung von Rhythmus und Struk- tur für die Schul- und Unterrichtsgestaltung. URL: https://publishup.uni-pots- dam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/571/file/rhythmus_schul_ unterrichtsgestalt.pdf (Zugriff: 15.07.2020).
Pausenkonzept Iryna Luft und Tim Theiss 21 PA U S E N K O N Z E P T 206f.). Gerade Letzteres ist wichtig, da es ca. einem Viertel der Schüler*innen nicht möglich ist, vor Das sagt die Wissenschaft – Beginn der Schule zu frühstücken bzw. eine Pausen- Theoretische Grundlagen mahlzeit mitzunehmen (vgl. Arens-Azevedo 2011, S. 130). Ein Pausenkonzept im Ganztagsmodell muss daher Raum für ein gemeinsames Frühstück und Um die Unterrichts- und Angebotszeiten inner- Mittagessen bieten, aber auch dem Trinken einen halb von Schulen mit Ganztagsangeboten effektiv besonderen Stellenwert einräumen. Laut der Deut- und langfristig zu realisieren, muss eine gelungene schen Gesellschaft für Ernährung sollte man über Rhythmisierung von Anspannung und Erholung den ganzen Tag verteilt mindestens 1,5 Liter Flüs- organisiert werden (vgl. Bertelsmann Stiftung et al. sigkeit zu sich nehmen, wobei es im Sommer oder 2017, S. 23f.; Weier 2010, S. 207). Pausenzeiten können bei sportlichen Aktivitäten entsprechend mehr sein innerhalb dieser Rhythmisierung u.a. als „Produkti- sollte (vgl. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. onsfaktor (Entspannung, Erholung vom Unterricht, 2018; Volkert 2000, S. 82f.). Wird dieser Richtwert Vorbereitung auf den folgenden Unterricht, Haus- unterschritten, nimmt die Lern- und Leistungsfä- aufgabenanfertigung) [und] als Sozialraum (Austo- higkeit der Schüler*innen ab und es können durch ben, Spielen, Gespräche mit Schülern)“ (Osnabrücker die Dehydration negative Symptome wie Müdigkeit, Forschungsgruppe 2016, S. 4) gesehen werden. Kopfschmerzen und Konzentrationsmängel auftre- ten (vgl. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Damit nimmt nicht nur der informelle Bereich der 2018). Dabei sind vor allem kosten- und zuckerfreie Pause als Erfahrungs- und Lebensraum für Schü- Getränke wie Tee, Leitungswasser oder Mineral- ler*innen und Lehrkräfte in Schulen mit Ganz- wasser empfehlenswert (vgl. Arens-Azevedo 2011, S. tagsangeboten an Bedeutung zu (vgl. ebd., S. 15ff.; 135; Clausen/Kersting 2008, S. 210; Hillenbrand 2017, Derecik 2013, S. 179ff.), sondern auch deren regene- S. 33). Tragfähige Pausenkonzepte gehen zudem von rativer Aspekt zur Wiederherstellung der Lern- und Zeitstrukturierungsmodellen aus, die berücksich- Leistungsbereitschaft: Pausen können etwa Stres- tigen, dass die Aufmerksamkeitsspanne von 12- bis ssymptomen wie Migräne, Kopfschmerzen und 14-Jährigen im Durchschnitt bei 30 Minuten liegt Müdigkeit bei jungen Menschen entgegenwirken, (vgl. Weier 2010, S. 211). Unter Beachtung der daraus die durch die kognitive Anspannung besonders in resultierenden täglichen Leistungskurve der Schü- Prüfungssituationen auftreten (vgl. Osnabrücker ler*innen ergibt sich somit eine grobe Einteilung Forschungsgruppe 2016, S. 155). Neben der Rege- der Zeitstruktur von Pausenkonzepten (vgl. Osn- neration sowie der damit zusammenhängenden abrücker Forschungsgruppe 2016, S. 4; Weier 2010, gesundheitlichen Prävention dient die Pause aber S. 210) in kleine Pausen (3 bis 10 Minuten) innerhalb auch der sozialen Interaktion. Sie bietet Möglich- der Lerneinheiten, große Pausen (15 bis 30 Minuten) keiten des sozialen Miteinanders bei der Kommu- zwischen den Lerneinheiten und Mittagsfreizeit nikation untereinander, beim Erholen, Spielen und (60 bis 90 Minuten) (vgl. Osnabrücker Forschungs- Bewegen sowie beim Essen (vgl. Schütz 2015, S. gruppe 2016, S. 30ff), wobei auch die bewegte Pause
PAUSENKONZEPT einen Teilbereich des Pausenkonzepts darstellen und informelle Frei- und Bewegungsräume (Gänge, sollte (vgl. Adrian 2008, S. 44; Lüke 2017; Osnabrücker Unterrichtsräume, Aula, Turnhalle etc.) bewährt Forschungsgruppe 2016, S. 163). Laut Müller/Pet- (vgl. Müller/Petzold 2006, S. 182ff.; Derecik 2013, S. zold (2006) dient sie besonders im Primarbereich 183ff.). Der Außenbereich (Schulhof) sollte bevor- als Gegenpol der gesundheitlich negativen Sitzkul- zugt in der Mittagsfreizeit genutzt werden, um grö- tur im Unterricht (vgl. Müller/Petzold 2006, S. 69; ßere Freiräume für die Schüler*innen zu bieten. Osnabrücker Forschungsgruppe 2016, S. 163f.) und vermittelt positive Aspekte der Bewegung spiele- risch (vgl. Krug et al. 2011, S. 119; Graf/Klein 2011, S. 16ff; Müller/Petzold 2006, S. 14ff.). Umsetzungsmöglichkeiten – Tipps für die Praxis 22 Gelingensbedingungen Sportartenspezifische und -unspezifische Tätig- keiten sollten so gestaltet sein, dass sie möglichst alle Schüler*innen erreichen (vgl. Adrian 2008, S. Um Ruhezeiten und Stressabbau zu ermöglichen, 44; Müller/Petzold 2006, S. 180ff). Entsprechende müssen an der Schule Räume der Erholung und des Möglichkeiten gibt es sowohl im Freien als auch im Rückzugs vorhanden sein (vgl. Osnabrücker For- Schulgebäude bzw. in der Turnhalle. So ist es sinnvoll, schungsgruppe 2016, S. 166; Höhmann et al. 2004, sowohl traditionelle Sportarten wie Fußball, Basket- S. 134; Derecik, 2013, S. 189). In diesen Ruhezonen ball, Volleyball oder Tischtennis als auch Trendspor- sollte ein Lärmverbot herrschen sowie Möglich- tarten wie Bouldern, Frisbee, Slackline etc. anzubie- keiten zum Sitzen und Liegen gegeben sein. Aber ten. Eine Spielekiste könnte dies realisieren. auch Räume zur Vorbereitung auf den folgenden Unterricht, zur Hausaufgabenanfertigung oder zum Getränke sollten den Schüler*innen über qualitativ Austausch untereinander können im Raumkon- gutes Leitungswasser kostenfrei in Form von Was- zept ihren Platz finden (vgl. Bertelsmann et al. 2017, serspendern, Wasserautomaten, Wassersäulen etc. S. 36; Derecik 2013, S. 181ff.; Osnabrücker For- besonders während der Mahlzeiten zur Verfügung schungsgruppe 2016, S. 69). gestellt werden (vgl. Clausen/Kersting 2008, S. 210; Hillenbrand 2017, S. 36). Das soziale Miteinander und die Gesundheit können durch Kommunikations-, Spiel- und Bewegungs- Eine Zwischenverpflegung in Form von Vollkorn- angebote gefördert werden. In das Pausenkonzept brötchen, Gemüse, Obst oder Magermilchproduk- sollten daher auch Elemente der bewegten Pause ten hilft den Schüler*innen dabei, über den Tag (Sport und Spiel) integriert und so gestaltet werden, leistungsfähig zu bleiben (vgl. Arens-Azevedo 2011, dass sie aktiv Stress abbauen, soziale Kompetenzen S. 135f.). fördern und prägend auf die Schüler*innen einwir- ken (vgl. Müller/Petzold 2006, S. 180; Adrian 2008, Das Pausenkonzept sollte sich an der Schulphiloso- S. 44; Osnabrücker Forschungsgruppe 2016, S. 164). phie orientieren und durch die Schulfamilie indivi- duell gestaltbar sein. Die Schülerschaft könnte sich Um Bewegungsalternativen für alle Schüler*innen etwa durch Wunschzettel oder AG-Programme an in jedem Altersbereich zur Verfügung zu stellen, der Gestaltung der Pausenaktivitäten wie auch der ist auf eine altersgerechte und tätigkeitsorientierte Räumlichkeiten beteiligen. Strukturierung der Räumlichkeiten zu achten. Zu berücksichtigen ist aber auch, den Schüler*innen im informellen Bereich der Pause genügend Freiräume zu gewährleisten, damit die Schule mit Ganztags- angeboten zum Lern- und Lebensraum wird (vgl. Müller/Petzold 2006, S. 181; Derecik 2013, S. 181ff.). In den Wintermonaten bzw. bei schlechtem Wetter hat sich, vor allem in den kurzen Pausen, die Öff- nung des Schulhauses in handlungsdifferenzierte
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