Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen

Die Seite wird erstellt Nikolas-Stefan Fröhlich
 
WEITER LESEN
Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
Christoph Bülau (Hrsg.)
Ganztagsschulverband e.V.
Landesverband Sachsen

Arbeitshilfe zum            1

Qualitätsrahmen
Ganztagsangebote
Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
TITEL Autorin

2

     1. Auflage 2020

     Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
     www.ganztagsschulverband.de/sachsen
     facebook.com/ganztagsschulverband

     Herausgeber:
     Christoph Bülau
     Redaktion und Lektorat:
     Christiane Dubiel, Jens Richter, Marion Nagel, Rainer Müller
     Gestaltung und Satz:
     Janett Andrejewski
     Illustration:
     Halina Kirschner
     Lektorat:
     Dr. Sandra Berndt

     2020 Verlag für Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung • Leipzig

     Reihe: Schulentwicklung konkret
     ISSN 2749-8808
     Persistente URN: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa2-763821
Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
Inhalt

         Einleitung ..................................................................... Seite   5

         Interview mit Prof. Ulrich Deinet:
         „Gute Ganztagsschule ist ohne
         Sozialraumorientierung nicht denkbar!“............. Seite                                7

         Beiträge zur Qualitäts-.............................................. Seite 13
         entwicklung von Schulen mit
         Ganztagsangeboten

         Empfehlung zur Arbeit
         mit den Beiträgen ....................................................... Seite 13

         • Organisation des Schuljahres ................................               Seite 15
              und Gestaltung der Tages-
              und Wochenstruktur
         • Pausenkonzept ..........................................................     Seite 21
         • Organisierte und ungelenkte Freizeit ..................                     Seite 26
          • Förderangebote und Bedingungen .......................                   Seite 30
              individueller Förderung
         • Hausaufgaben und Lernzeiten ..............................                   Seite 35
          • Gestaltung von Kooperationskultur ....................                   Seite 41
              und -struktur
         • Öffnung von Schule ..................................................        Seite 45
            • Verzahnung von Unterricht ...................................            Seite 51
              und Angebot
         •P    artizipation von Eltern .........................................       Seite 57
              und Schüler*innen

          rozesse der schulinternen Evaluation: ............... Seite 62
         P
         Die GAINS-GTA-Skala zur
         Erfassung der Angebotsqualität
Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
4
Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
Einleitung

Der Anteil von Schulen mit Ganztagsangeboten             Er wurde vor Inkrafttreten an 20 Schulen erfolg-            5
(GTA) liegt in Sachsen bei über 98 Prozent (vgl.         reich erprobt und wissenschaftlich begleitet (vgl.
Berkemeyer 2015, S. 98). Grund für diesen hohen          ebd.). Zielgruppe des Qualitätsrahmens Ganztags-
Prozentsatz ist einerseits, dass das traditionell flä-   angebote sind alle Schulen mit Ganztagsangeboten
chendeckende Hortangebot an sächsischen Grund-           im Freistaat Sachsen.
schulen als Ganztagsangebot gewertet wird und            Die 23-seitige Handreichung orientiert sich am
andererseits, dass im Bereich der Sekundarstufe I        Rahmenmodell zur schulischen Qualität in Sachsen
lediglich die Mindestkriterien der Kultusminister-       und beschreibt sechs Qualitätsmerkmale mit jeweils
konferenz für Ganztagsschulen übernommen wur-            drei bis vier Qualitätskriterien einführend mit
den. Auch im Bildungsmonitor belegt Sachsen im           einem kurzen Text und dann in tabellarischer Form
Bereich Förderinfrastruktur, also bei der Betreu-        mit spezifischen Indikatoren zur Selbstevaluation
ung am Nachmittag, seit Jahren die vordersten            (vierstufige Skala: „trifft nicht zu“, „trifft eher nicht
Plätze. Doch Bildungsdisparitäten und Bildungs-          zu“, „trifft eher zu“, „trifft zu“).
armut bestehen in Sachsen weiterhin und die Zahl
der Schulabbrecher*innen liegt über dem Bundes-          Nach über eineinhalb Jahren Praxis mit dem Qua-
durchschnitt (vgl. INSM-Bildungsmonitor 2020).           litätsrahmen zeigt sich, dass er insgesamt ein gut
                                                         geeignetes Werkzeug zur kontinuierlichen Ent-
Es zeigt sich, dass die vielfältigen Anforderungen       wicklung des Ganztags darstellt. Er weist viele zen-
an Schulen mit Ganztagsangeboten allein durch die        trale, aus der Ganztagsschulforschung bekannte
Quantität des Ausbaus nicht erfüllt werden können.       Merkmale guten Ganztags auf und beinhaltet in
In den letzten Jahren wurden daher in vielen Bun-        Fragebogenform die entsprechenden Indikatoren.
desländern Qualitätsrahmen erarbeitet, welche über       Als positiv zu bewerten sind insbesondere die Emp-
die Mindestanforderungen hinausgehende Ansprü-           fehlungen, wie eine Ganztagskonzeption gestaltet
che an den Ganztag stellen und die kontinuierliche       werden kann. Darüber hinaus sollen Schulen Ziel-
Qualitätssicherung gewährleisten sollen.                 dimensionen ihrer Arbeit festlegen und dafür Maß-
                                                         nahmen und Formen der Qualitätssicherung für
Der sächsische „Qualitätsrahmen Ganztagsange-            ihre gewählten Schwerpunkte definieren.
bote - Instrument zur Qualitätsentwicklung und
zur Umsetzung der Fachempfehlung »Ganztagsan-            Gleichzeitig zeigen sich in der praktischen Arbeit
gebote an sächsischen Schulen«“, herausgegeben           mit dem Qualitätsrahmen Schwächen: So sind
vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus im          bspw. die Einleitungstexte der Indikatoren auf das
Januar 2019, „basiert auf den langjährigen Erfah-        Nötigste reduziert und deswegen nicht geeignet, die
rungen sächsischer Schulen, den Erkenntnissen            Qualitätsbereiche hinreichend zu erläutern. Es bleibt
der wissenschaftlichen Begleitung sowie den Bera-        daher unklar, wie genau ein Qualitätsbereich in der
tungs- und Unterstützungserfahrungen des Säch-           Schulpraxis umgesetzt werden kann, worauf dabei
sischen Staatsministeriums für Kultus (SMK) und          zu achten ist oder welche Vorgehensweisen sich
des Sächsischen Landesamtes für Schule und Bil-          bewährt haben. Darüber hinaus zeigen sich einige
dung“ (SMK 2019, S. 4).                                  Leerstellen: So wird als Ausgangspunkt der Ganz-
Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
tagskonzeption an der Einzelschule zwar die oben       Der zweite Teil der Arbeitshilfe nimmt die Quali-
    genannte Sozialraumanalyse gefordert, allerdings       tätsbereiche des Qualitätsrahmens Ganztagsange-
    ohne eine Beschreibung der theoretischen Grund-        bote in den Fokus. Unsere Autor*innen beschreiben
    lagen oder aktueller Methoden. Gleiches gilt auch      dabei kompakt und praxisnah, wie die Qualitätsbe-
    für das Qualitätsmerkmal „Qualitätssicherung und       reiche in der Schule realisiert werden können und
    -entwicklung“. Hier heißt es, dass Schulen mit Hilfe   geben Umsetzungsempfehlungen. Die einzelnen
    geeigneter Instrumente regelmäßig die Angebote         Qualitätsbereiche haben sie zu thematisch passen-
    intern evaluieren sollen. Was, wie und mit welchen     den Themenblöcken gebündelt.
    Instrumenten zu welchem Zweck evaluiert wer-
    den soll und welche Instrumente in diesem Sinne        Im dritten Teil der Arbeitshilfe geht es um das
    „geeignet“ sind, darüber gibt der Qualitätsrahmen      Thema Evaluation. Aus der eigenen Schulpraxis
    keine Auskunft.                                        wissen wir, dass für die Messung der Qualität von
    Diese Leerstellen und Unklarheiten versucht die        Ganztagsangeboten bisher gute und erprobte Ins-
6   vorliegende   Arbeitshilfe   zum   Qualitätsrahmen     trumente fehlen. Als Ganztagsschulverband e.V.
    Ganztagsangebote zu füllen und zu beseitigen, die      Landesverband Sachsen haben wir daher für diese
    vom Ganztagsschulverband e.V. Landesverband            Arbeitshilfe ein Modellprojekt ins Leben gerufen.
    Sachsen verantwortet wird. Inhaltlich greift sie       Dafür habenwir einen von Dr. Dennis Nowak und Dr.
    dabei die Themenbereiche auf, die der Qualitätsrah-    Fabienne Ennigkeit entwickelten Fragebogen zur
    men Ganztagsangebote vorgibt und die aus unserer       Messung der Angebotsqualität im Ganztag mit der
    Sicht einer weiteren Erläuterung bedürfen, damit       Online-Kommunikationsplattform Edkimo zusam-
    die Arbeit mit dem Instrument in der Schulpraxis       mengebracht. Im Ergebnis steht nun allen sächsi-
    besser gelingt.                                        schen Schulen mit Ganztagsangeboten ein erprob-
                                                           tes Evaluationsinstrument kostenfrei und digital
    Der erste Teil dieser Arbeitshilfe widmet sich daher   auf Edkimo zur Verfügung.
    dem Thema Sozialraumanalyse. Da weder in der
    Aus- noch Weiterbildung von Lehrkräften dieses         Wir möchten auf diesem Weg allen Beteiligten an
    Thema eine Rolle spielt, haben wir mit Professor       dieser Arbeitshilfe danken, insbesondere unseren
    Ulrich Deinet gesprochen, einem der profiliertesten    Autor*innen und Interviewpartner*innen. Wir hof-
    Forscher auf diesem Feld. Deinet macht deutlich,       fen, dass Ihnen die Lektüre hilft, zukünftig noch
    warum sich Schulen mit Ganztagsangeboten plane-        besser mit dem Qualitätsrahmen Ganztagsange-
    risch und praktisch an ihrem Sozialraum orientie-      bote zu arbeiten und Sie zahlreiche Ideen für Ihren
    ren sollen und wie genau dies gelingen kann.           Ganztag mitnehmen.

                                       LITER ATUR
                                       Berkemeyer, N. (2015): Ausbau von Ganztagsschulen. Regelungen und Umset-
                                       zungsstrategien in den Bundesländern. Bertelsmann Stiftung. URL: https://
                                       www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePubli-
                                       kationen/Studie_Ausbau_von_Ganztagsschulen.pdf (Zugriff: 03.09.2020).

                                       Initiative neue soziale Marktwirtschaft (INSM) (2020): INSM-Bildungsmo-
                                       nitor. URL: https://www.insm-bildungsmonitor.de/2020_best_sachsen_
                                       gesamtranking.html (Zugriff: 03.09.2020).

                                       Sächsisches Staatsministerium für Kultus (SMK) (2019): Qualitätsrahmen
                                       Ganztagsangebote - Instrument zur Qualitätsentwicklung und zur Umset-
                                       zung der Fachempfehlung »Ganztagsangebote an sächsischen Schulen«. URL:
                                       https://www.schule.sachsen.de/download/download_bildung/19_01_31_Br_
                                       Qualitaetsrahmen_GTA.pdf (Zugriff: 03.09.2020).
Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
Interview mit                                                                        7

Prof. Ulrich Deinet:
	„Gute Ganztags-
  schule ist ohne
  Sozialraumorientie-
  rung nicht denkbar!“
           Interview: Christoph Bülau
           Textredaktion: Marion Nagel

           Wer heute ein Ganztagskonzept für seine Schule plant oder das bereits
           vorhandene weiterentwickeln möchte, kommt an Themen wie Sozial-
           raum, Sozialraumanalyse und Sozialraumorientierung nicht vorbei.
           Auf den ersten Blick sperrige Begriffe, meint Professor Ulrich Deinet.
           Auf den zweiten Blick erschließt sich jedoch schnell, wie hilfreich es
           ist, den Sozialraum bei der Planung des Ganztags zu berücksichtigen,
           damit das Ganztagskonzept individuell für die Schule passt und nach-
           haltig wirken könne.

           Professor Ulrich Deinet lehrt und forscht an der Hochschule
           Düsseldorf im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften. Ihn
           interessiert u.a., wie Kinder und Jugendliche sich die Schule als Raum
           aneignen. Er hat u.a. die Studie „Ganztagsschule als Lebensort aus der
           Sicht von Kindern und Jugendlichen“ an Düsseldorfer Ganztagsgrund-
           schulen durchgeführt.

           In der Einleitung zum „Sächsischen Qualitätsrahmen Ganztags-
           angebote“ wird ebenfalls empfohlen, die Ausgangssituation mittels einer
           Sozialraumanalyse zu beschreiben. Um zu erfahren, was eine Sozial-
           raumanalyse ist, welche Schritte dabei entscheidend sind und welche
           Chancen sie bietet, haben wir uns mit Professor Deinet getroffen.
Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
INTERVIEW Ulrich Deinet

          Professor Deinet, beginnen wir mit                   ihnen bei der Lösung schulischer Probleme unter-
          einigen grundsätzlichen Begriffen.                   stützen zu lassen.
          Was meint Sozialraum, Sozialraum-
          analyse und Sozialraumorientierung?                     Und was ist die andere, häufig
                                                                  vernachlässigte, Blickrichtung?
      U . D. : Die Begriffe Sozialraum, Sozialraumanalyse
      und Sozialraumorientierung, bezeichnen unter-            U . D. : Hier geht es darum, die subjektive Bedeu-
      schiedliche Dinge. Gleichzeitig stehen sie zueinan-      tung von Sozialräumen deutlich zu machen, also die
      der in Beziehung.                                        Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen innerhalb
      Der Begriff Sozialraum ist nicht fest definiert. All-    und außerhalb der Schule in den Blick zu nehmen.
      gemein kann man Sozialraum „übersetzen“ mit:             Das ist eine Blickrichtung, die bei dem subjekti-
      Gebiet, Quartier, Stadtteil, Stadt oder Region. Es ist   ven Empfinden von Menschen ansetzt. Dabei wird
      ein sozialgeografisches Gebilde, indem bspw. der         vor allen Dingen mit qualitativen Methoden gear-
8     Schulstandort liegt. Zugleich ist in einem weiten        beitet. Dieser subjektorientierte Blick ist entschei-
      Verständnis die Ganztagsschule selbst ein Sozial-        dend dafür, Ganztagsangebote an den Bedürfnissen,
      raum.                                                    Bedarfen, Lebensbedingungen und den Ressourcen
      Sozialraumanalyse meint in einem klassischen             von Kindern und Jugendlichen auszurichten.
      Sinne eher ein Planungsinstrument, dass wir aus          Schule hat in diesem Verständnis zugleich eine
      Ämtern für Statistik, von der Sozialraumplanung          wichtige Aufgabe als Akteurin in unserer demokra-
      oder der Jugendhilfeplanung her kennen. Hier geht        tischen Gesellschaft, im Sozialraum, im Stadtteil,
      es um das zur Verfügung stellen und das Auswer-          im Ort. Sie tritt mit Angeboten in den Sozialraum
      ten vor allen Dingen von Daten und Fakten aus der        und wird Teil von ihm. Was ich in Schule seit Jahr-
      Bevölkerungsentwicklung, wie bspw. der Schulein-         zehnten jedoch häufig erlebe, ist, dass die eine Blick-
      gangsuntersuchung oder anderen Quellen. Ziel ist         richtung häufig sehr stark betont und gleichzeitig
      meist die Identifikation von Strukturen, Problemen       die andere Richtung vergessen wird. Dabei halte ich
      und Entwicklungsvorhaben im Sozialraum, aber             die zweite Blickrichtung für genauso wichtig und sie
      auch die Darstellung von sozialer Ungleichheit oder      gehört unbedingt dazu, weil sonst die erste lang-
      die Ermittlung von besonderen Bedarfsgruppen,            fristig nicht funktioniert.
      um Fördervorhaben zielgruppengenau zu adressie-
      ren. Das Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“            Sie sagen, dass die Ganztagsschule selbst
      bspw. oder auch die Fördermaßnahmen für soge-               ein Sozialraum ist. Was meinen Sie damit?
      nannte „soziale Brennpunkte“ sind Ergebnisse die-
      ser Sozialraumanalysen.                                  U . D. : Darüber kann man streiten, doch ich finde es
      Der Begriff Sozialraumorientierung erweitert nun         richtig, das so zu sagen. Denn genau über diesen
      diesen eher quantitativen Zugang der Sozialrau-          Blick auf das subjektive Erleben, also darauf, wie
      manalyse um einen qualitativen und damit eher            Schüler*innen die Institution Schule erleben, kom-
      subjektiven Aspekt. Sozialraumorientierung hat           men auch Dinge in den Blick, die Schule als Sozial-
      oft zwei Blickrichtungen. Einerseits öffnet sich die     raum eben ausmachen, wie z.B. das soziale Mitein-
      Schule in den Sozialraum, sie will sozialräumliche       ander untereinander. Das spielt eine wesentliche
      Ressourcen für die Gestaltung von Schule nutzen.         Rolle für das Gelingen von Schule als Unterrichtsbe-
      Das heißt, man sucht sich Kooperationspartner in         trieb. Ganztagsschule umfasst so viele Stunden des
      der Nähe der Schule, die dann in der Schule tätig        Tages, dass sie nach der Familie der wichtigste Ort
      sein sollen, z.B. Vereine, Jugendeinrichtungen und       in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ist.
      so weiter. Bei weiterführenden Schulen geht es oft       Dazu kommt die sogenannte „Hinterbühne“ von
      um einen größeren Einzugsbereich, z.B. den gan-          Schule. Damit gemeint sind z.B. die Räume, die
      zen Landkreis oder vielleicht sogar mehrere Land-        sich Kinder und Jugendliche aneignen und schaf-
      kreise. Diese eine Seite der Sozialraumorientierung      fen, Erfahrungsräume, die Erwachsenen manch-
      bedeutet also, dass ich mich als Schulleitung und        mal gar nicht so sichtbar sind, auch das Umnutzen
      Schule auf den Weg mache und versuche, Koopera-          von Gebäuden und von Flächen. Das sind Merkmale
      tionspartner im Stadtteil oder der Region zu finden,     von Sozialräumen. Schule ist sehr viel mehr als das
      um mit diesen zusammen zu arbeiten oder mich von         Unterrichtsgebäude oder als die Institution, die
Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
Ulrich Deinet INTERVIEW

gesellschaftliche Funktionen wie die Verteilung von    die Betroffenen nicht nur befragt, sondern direkt
Abschlüssen nach dem Leistungsprinzip, die Ver-        beteiligt werden. Sie werden ernst genommen und
mittlung von Kultur, Fähigkeiten und Fertigkeiten      um ihre Meinung gefragt.
usw. erbringen soll und muss. Mit diesem Grund-        Wir arbeiten auch gerne mit der sogenannten
verständnis kann man Schule sehr viel umfassender      „Nadel-Methode“ mit Kartenausschnitten, bei der
sehen, was nach meiner Ansicht für die Entwicklung     man in der Schule, also konkret im Unterricht, Kin-
der Ganztagsschule ganz, ganz wichtig ist.             der und Jugendliche in eine Karte eintragen lässt, wo
                                                       ihre Lieblingsorte sind, wo sie sich nach der Schule
   Wie gehe ich nun bei einer                          aufhalten, wo Angstorte sind usw. Das kann man je
   Sozialraumanalyse vor?                              nach Alter abwandeln.
                                                       Fotomethoden funktionieren auch gut, sind beliebt
U . D. : Ich muss, bevor ich eine Sozialraumanalyse    und sehr interessant. Nach meiner Erfahrung sind
mache, eine erste Abfrage machen. Welche Themen,       Kinder und Jugendliche durchaus stolz, wenn sie
Probleme oder Fragestellungen hat meine Schule.        uns etwas zeigen können. Oft sind wir Erwach-             9
Was möchten wir herausfinden? Es ist auch wichtig,     senen überrascht von den Orten, die aus Sicht von
sich vor Beginn zu fragen, ob meine Fragen mit einer   Jugendlichen positiv besetzt sind, weil man sich da
Sozialraumanalyse beantwortet werden können.           z.B. gut treffen kann. Oder man macht eine Bege-
Z.B. könnte ein Vorhaben sein: „Wir suchen neue        hung mit Mädchen oder mit Jungen. Oder mit Kin-
Kooperationspartner für den Ganztag“. Oder eine        dern und Jugendlichen mit Handicaps. Das kann für
Schule steht vor der Frage, ob sie ihren Schüler*in-   bestimmte Themen oder Fragen wichtig sein, um
nen viele, breit gestreute oder doch eher wenige,      etwas über die unterschiedlichen Raumwahrneh-
ausgesuchte Ganztagsangebote machen soll. Das          mungen herauszufinden.
Thema, das dann eingegrenzt wird, könnte lau-
ten: „Wir wollen wissen, was unsere Schüler*innen         Bei der von Ihnen benannten Fotoaktion,
eigentlich nach dem Ganztag noch tun.“ Dazu kön-          wie könnte ein möglicher Arbeitsauftrag
nen sich dann unterschiedliche Teilfragen ergeben,        für Kinder und Jugendliche aussehen?
z.B.: Müssen wir mehr Angebote im Ganztag für
bestimmte Gruppen machen? Brauchen wir mehr            U . D. : Ein erster Arbeitsauftrag könnte z.B. lauten,
Förderung oder ist es genug?                           Orte in der Schule zu fotografieren, an denen sie sich
Viele Fragen sind dabei eigentlich nur vom Erleben     wohlfühlen und auch die, an denen sie nicht gern
der Kinder und Jugendlichen beantwortbar. Deswe-       sind. Es müssen nicht viele Fotos sein, darum geht
gen sollte man sie unbedingt einbeziehen und an        es nicht. Im Anschluss werden die Fotos vorgestellt.
der Analyse beteiligen.                                Die Kommentare der Kinder und Jugendlichen zu
                                                       den Fotos sind ausgesprochen wichtig.
   Wie kann das konkret aussehen?                      Ein weiterer Auftrag könnte sich auf den Stadtteil
                                                       beziehen. Man könnte die Jugendlichen z.B. tägliche
U . D. : Eine bewährte Einstiegsmethode sind Bege-     Wege fotografieren lassen, oder ihr Zuhause und
hungen. In der Schule wird „Begehung“ oft mit          familiäre Dinge mit einbeziehen. Hier muss man
einem Spaziergang verwechselt. Eine Begehung           jedoch sensibel sein. Diese Fotos sollten nicht unbe-
ist jedoch etwas anderes. Es gibt unterschiedliche     dingt veröffentlicht werden. Trotzdem sind solche
Ansätze: Begehungen mit Expert*innen, die in die       Orte Teil ihrer Lebenswelt. Oft gibt es da wunder-
Schule bzw. in den Stadtteil kommen und diesen         schöne Fotos von Kinderzimmern und solche Dinge.
begeht man dann gemeinsam. Und es gibt Begehun-
gen, bei denen Kinder, Jugendliche oder Erwachsene        Welche Chancen hat es für die Ganztags-
selbst als Expert*innen ihrer Lebenswelt die Füh-         schule, wenn die Lebenswelt von Kindern
rung übernehmen und uns etwas zeigen. So könnte           und Jugendlichen mit einbezogen wird?
man den Weg zur Schule rückwärts begehen, um zu
gucken, woher kommen die Schüler*innen. Auch           U . D. : Als erstes kann ich viele Dinge besser ver-
die Fahrschüler*innen sollte man einbeziehen,          stehen. Wenn man Kinder und Jugendliche parti-
man könnte zusätzlich Befragungen in Schulbussen       zipieren lässt, trägt das dazu bei, dass sie „Schule“
machen. Solche Begehungen haben den Vorteil, dass      nicht so sehr als Zwangsinstitution sehen, sondern
Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote - Christoph Bülau (Hrsg.) Ganztagsschulverband e.V. Landesverband Sachsen
INTERVIEW Ulrich Deinet

      als Ort der Gleichaltrigengesellschaft erleben. Hier       In Fortbildungen oder bei Schulentwick-
      zeigt sich die Funktion von Schule als Ort der Demo-       lungsprozessen erleben wir häufig, dass
      kratiebildung. Dazu möchte ich ermutigen und die           pädagogische Fachkräfte auf die Rahmenbe-
      Beteiligung der Schüler*innen ist dazu ein erster          dingungen wie Zeit, Raum, Personal und Geld
      Schritt. Denken wir auch an Fragen wie die Pausen-         verweisen, wenn es darum geht, die Öffnung
      und Raumgestaltung. Über die Rückmeldungen der             von Schule voranzutreiben. Wenn ich Sie
      Kinder und Jugendlichen zu ihrem Erleben kann ich          jetzt richtig verstehe, sagen Sie, diese vier
      Bündnispartner oder Kooperationspartner finden,            Eckpunkte sind wichtig, mindestens so ent-
      die ich vorher gar nicht so im Blick hatte. Ich komme      scheidend ist jedoch so etwas wie „Haltung“.
      weg von diesen, sehr stark auf Unterricht bezoge-
      nen Aspekten, die wichtig sind und gleichzeitig,        U . D. : Eine Sozialraumanalyse macht man nicht, weil
      wenn sie zu eng sind, den Blick nicht frei machen für   man zu viel Zeit hat. Ja, es ist wichtig, dass Schule
      mögliche Optionen und Lösungen.                         und die Lehrkräfte eine Haltung oder ein Selbstver-
10                                                            ständnis davon haben, selbst Teil des Sozialraums
          Inwiefern sollte ich Eltern bei einer               zu sein. Es ist aus meiner Sicht gut für Lehrkräfte,
          Sozialraumanalyse einbeziehen?                      Bezüge zu dem Sozialraum zu entwickeln, in dem die
                                                              Schule liegt und aus dem die Schüler*innen kom-
      U . D. : Eltern sind ja erwachsene Personen im Stadt-   men. Das wird um so bedeutsamer, wenn Lehrkräfte
      teil, die einen eigenen Blick auf unterschiedliche      selbst nicht am Ort der Schule wohnen. Ansonsten
      Dinge haben. Darüber hinaus sind sie oft nicht nur      ist es schwerer, die Lebenswelt der Schüler*innen
      Eltern. Sie haben möglicherweise auch ein Geschäft      zu verstehen. Den Bezug herzustellen ist erstmal
      im Stadtteil oder sind Sportfunktionär in einem         ein zusätzlicher Aufwand und den will nicht jede*r
      Verein.                                                 leisten. Dabei lässt sich ein Bezug einfach herstel-
      Es wäre für mich Teil der Sozialraumanalyse zu          len. Ein Beispiel: An einer großen Gesamtschule,
      gucken, welche Potenziale in meiner Elternschaft        an der zu jedem neuen Schuljahr mehr als zehn
      liegen. Was haben sie für Vorerfahrungen und Kom-       neue Lehrkräfte anfingen, gab es anfangs immer
      petenzen?                                               eine Begehung durch den Stadtteil. Das fanden die
                                                              „Neuen“ interessant und es ergaben sich gleich
                                                              erste Kontakte. Solche kleinen Dinge, die sind über-
                                                              all möglich. Ein anderes Beispiel: die Freiwillige
                                                              Feuerwehr in Haan macht jetzt eine Brandschutz
                                                              AG an der Schule. Das hat dann einen Synergieef-
                                                              fekt: Die Schule hat ein Ganztagsschulangebot für
                                                              Jungen und Mädchen und die Feuerwehr bekommt
                                                              Nachwuchs.
                                                              Gleichwohl - man muss nicht immer nur in den sozia-
                                                              len Bereich gucken. Ich finde die lokale Ökonomie
                                                              auch sehr interessant und wichtig. Ob da z.B. eine
                                                              Buchhandlung im Stadtteil ist, mit der man vielleicht
                                                              mal kooperieren könnte. Und nach meiner Erfahrung
                                                              sind lokale Akteure durchaus interessiert.
Ulrich Deinet INTERVIEW

   Einerseits wissen wir durch Studien, dass es           Schulsanitätsdienst, das DRK hat einen Koopera-
   ein starkes Auseinanderdriften von „reichen“           tionspartner, und die Möglichkeit, Nachwuchs für
   und „armen“ Stadtteilen gibt. Sozialraum               ihre Jugendorganisation zu finden. Und die Schü-
   „verinselt“ oder „verödet“ bspw. durch Leer-           ler*innen haben ein anerkanntes Engagement.
   stand, Kinder und Jugendliche ziehen sich in
   die Wohnungen zurück. Andererseits sagen               Eine entscheidende Frage ist natürlich: Wie sind
   Sie, die Ganztagsschule soll die Lebenswelt            die sozialen Voraussetzungen in dem Stadtteil?
   von Kindern und Jugendlichen in den Mit-               Welche möglichen Kooperationspartner gibt es? In
   telpunkt rücken und sich in den Sozialraum             „armen“ Stadtteilen sieht es damit nicht zwangs-
   öffnen, um tatsächlich mehr zu machen als nur          läufig schlechter aus. So habe ich häufig erlebt, dass
   Unterricht. Klingt wie ein Widerspruch, oder?          es in schlechter gestellten Stadtteilen eine bessere
                                                          Infrastruktur der Sozialen Arbeit gibt als in soge-
U . D. : Ich finde das ist kein Widerspruch. Ein Bei-     nannten „Mittelschicht-Stadtteilen“. Man sollte die
spiel: An einer Grundschule in Gevelsberg in              Verhältnisse in seinem Sozialraum kennen. Gibt es        11
Nordrhein-Westfalen, wurde unter Einbeziehung             eine Stadtteilkonferenz? Und wenn nicht: „Kann
der Wünsche der Kinder der Schulhof neu gestaltet.        ich als Schulleitung dazu mal einladen?“ Natürlich
Es wurden Flächen und Felder angelegt und Straßen         brauche ich dazu Bündnispartner. Aber ich würde
aufgemalt. Die Leiterin der Grundschule erzählte          jetzt immer sagen: Ich muss erst einmal loslegen!
mir dann: „Der Schulhof ist auch am Wochenende            Das heißt aber auch, dass sich das Selbstverständ-
geöffnet und er wird häufig von den Familien unse-        nis von Schulen ändern muss. Eine Halbtagsschule
res stark verdichteten Quartiers genutzt.“ Das ist so     war ja auch immer ohne Sozialraumorientierung
ein Beispiel für die Öffnung der Schule in den Sozial-    denkbar. Aber die Ganztagsschule ohne Sozialrau-
raum und damit für Sozialraumorientierung. Es ist         morientierung kann ich mir nicht vorstellen. Dann
auch ein Gewinn für die Kinder, die so die Schule am      negiere ich sozusagen die Lebenswelt von Kindern
Wochenende in einer anderen Funktion nutzen.              und Jugendlichen, wenn ich selbst acht Stunden
                                                          davon gestalte.
Anfangs macht so eine Öffnung sicherlich mehr
Arbeit und sie wird meist nicht sofort belohnt. Das          Professor Deinet, vielen Dank für das Gespräch.
heißt, man muss erst etwas investieren. Doch lang-
fristig lohnt es sich: Die Kooperationsprojekte zwi-
schen Jugendhilfe, Schule und anderen Institutionen,
die ich begleitet habe, sind meist aus einer Schieflage
entstanden. Eine Schule hat um Hilfe gerufen: „Wir
haben hier ganz große Probleme!“ und in den Sozial-
raum gefragt: „Wer kann uns dabei helfen?“ Durch
eine Öffnung in den Sozialraum verschwand die
Schieflage und alle Beteiligten hatten etwas davon.

Konkret heißt das für Schule zu überlegen: Können
Schulräume auch geöffnet werden für das Gemein-
wesen? Können Schulen im Sozialraum, für ihren
Stadtteil, für ihre Region Funktionen übernehmen
oder Räume zur Verfügung stellen? Manchmal ent-
stehen Kooperationen aus einfachen, ganz konkre-
ten Dingen. Ich war letztens an einer großen Schule.
Der Schulsanitätsdienst war dort an dem Tag stän-
dig unterwegs und der Schulleiter meinte: „Was
glauben Sie, wie viel vormittags hier los ist. Wie gut,
dass wir mit dem DRK eine Kooperation haben.“
So entstehen Synergieeffekte. Die Schule hat einen
TITEL Autorin

                                                            Eine genau Beschreibung von Methoden der Sozial-
                                                            raumanalyse mit Erläuterungen zur Durchführung
                Sozialraumanalyse                           und Auswertung finden Sie online unter:
                Schritt für Schritt                         www.ganztag-entwickeln.de/sozialraumanalyse

       1	Abfrage:
          Welches Problem, welche Frage-                  Möglichst eine Fragestellung/ ein
                stellungen, welches Thema haben wir?      Thema konkret formulieren
                Was möchten wir durch eine Sozialrauma-   Wichtig: vor Beginn hinterfragen: Können wir diese
                nalyse herausfinden? Mit welchem Ziel?    Fragen durch eine Sozialraumanalyse beantworten?

       2	ren,
          Thema bzw. Fragestellung formulie-
               ggf. mit Teilfragen oder -themen
                                                          Bsp.: Welchen täglichen Schulweg legen
                                                          unsere Schüler*innen zurück?
12

       3	Festlegen,  welche Akteur*innen
          hilfreich für die Beantwortung
                                                          Kinder und Jugendliche, Eltern,
                                                          pädagogische Fachkräfte, externe
                unserer Frage bzw. der Lösung             Akteure aus dem Stadtteil usw.
                unseres Problems sein können

       4	Passende  Beteiligungsmethoden für die
          jeweiligen Akteur*innen auswählen
                                                          z.B.: Begehung, Fotomethode,
                                                          moderiertes Gespräch,
                                                          Befragung, Interview, Fragebogen

       5	Methoden durchführen, Daten
          und Rückmeldungen sammeln
                                                          Bsp.: Fotospaziergang wird einmal von Schüler*in-
                                                          nen durchgeführt und einmal von den pädagogi-
                                                          schen Fachkräften, zusätzlich werden Eltern befragt

       6	Zusammenbringen  der Daten,
          Übereinanderlegen der unter-                    Welche Rückmeldungen gibt es von den unter-
                schiedlichen Ergebnisse                   schiedlichen Akteur*innen? Was ist überraschend?

       7	Aufbereitung der Daten                          z.B. als PowerPoint-Präsentation, auf Flipchart oder
                                                          Metaplan, Ausstellung des Fotorundgangs etc.

       8	Interpretation                                  Was sagen die Ergebnisse hinsicht-
                                                          lich unserer Fragestellung aus? Was heißt
                                                          das für unser Ganztagskonzept?

       9	oder
          Formulierung von Lösungen
               Anforderungen                              Was wollen wir ändern? Wen oder was
                                                          brauchen wir dafür ? Bis wann?
                                                          Was hat Priorität? Worauf legen
                                                          wir unseren Schwerpunkt?
                                                          Passen die gefundenen Lösungen zu
                                                          unserem Sozialraum? Wer kann möglicherweise
                                                          von unseren Lösungen noch profitieren?

       10	fließen
           Die Ergebnisse, Ideen und Lösungen
                   in das Ganztagskonzept ein             Die Ergebnisse, Ideen und Lösungen
                                                          fließen in das Ganztagskonzept ein
Beiträge zur Qualitäts-
entwicklung von Schulen
mit Ganztagsangeboten

Empfehlung zur Arbeit                                Die Beiträge untersetzen damit die rudimentären
mit den Beiträgen                                    thematischen Einleitungstexte des bisherigen
                                                     Qualitätsrahmens Ganztagsangebote durch eine
                                                     fundierte Darstellung der Qualitätsmerkmale und      13
Die folgenden neun Beiträge knüpfen direkt an die    konkrete Praxishinweise.
sechs Qualitätsmerkmale des sächsischen Quali-
tätsrahmens Ganztagsangebote an. In Koopera-         Jeder einzelne Beitrag kann dabei separat von den
tion mit dem Arbeitsbereich Schulpädagogik unter     anderen Beiträgen genutzt werden, d.h., der Ein-
besonderer Berücksichtigung von Schulentwick-        stiegspunkt muss nicht notwendigerweise der erste
lungsforschung der Universität Leipzig greifen die   Beitrag sein. In den meisten Fällen wird es jedoch
Autor*innen diese Qualitätsmerkmale auf, um sie      sinnvoll sein, mehrere Beiträge zu lesen, um den
weiter zu detaillieren und punktuell zu ergänzen.    vielfältigen Abhängigkeiten zwischen den Quali-
                                                     tätsmerkmalen Rechnung zu tragen. Insbesondere
Durch die umfassende Darstellung jedes Qualitäts-    die Merkmale Organisation, Kooperation und
merkmals soll den Akteur*innen vor Ort ein prak-     Partizipation bieten demnach vielfältige Anknüp-
tikabler Leitfaden für die angepeilten nächsten      fungspunkte und teilweise auch Perspektivwech-
Entwicklungsschritte des eigenen Ganztagskon-        sel für die Gelingensbedingungen und Umset-
zepts zur Verfügung stehen. Alle Beiträge sind       zungsmöglichkeiten der anderen sechs Merkmale.
dabei nach dem gleichen Muster aufgebaut:

→	Im Abschnitt Das sagt die Wissenschaft –
       Theoretische Grundlagen findet eine ter-
       minologische und inhaltliche Präzisierung
       des Themas auf Grundlage der einschlä-
       gigen Fachliteratur statt. Zudem werden
       wichtige Studienbefunde zum jeweiligen
       Thema zusammengefasst und bewertet.

→	Die Gelingensbedingungen geben Auskunft
       darüber, welcher Rahmen für die Umset-
       zung gegeben sein muss, um das Quali-
       tätsmerkmal erfolgreich an der Schule zu
       implementieren.

→	Die Umsetzungsmöglichkeiten – Tipps für
       die Praxis enthalten konkrete Hinweise, die
       zu beachten sind und Ansatzpunkte, wie die
       Arbeit vor Ort beginnen kann.
14
Organisation des
Schuljahres und Gestaltung
der Tages- und
Wochenstruktur
Laura Lehmann und Miriam Schlecht

                                                                                                              15
Das sagt die Wissenschaft −                            ten-Stunde mit dem Ziel ab, möglichst viele Unter-
Theoretische Grundlagen                                richtsfächer am Vormittag unterbringen zu können
                                                       (vgl. Eikenbusch 2010). Aufgrund dessen lässt sich
                                                       in der Tat die Frage stellen, ob die über 100 Jahre
Durch die Ausweitung des Schultages auf den Nach-      alte Strukturierung und Einteilung des Unter-
mittag wird in einer Schule mit Ganztagsangeboten      richts, heute überhaupt noch als zeitgemäß für die
im Gegensatz zur Halbtagsschule zusätzliche Zeit       Bedürfnisse der Schüler*innen angesehen werden
„frei“, welche optimal für die Lern- und Erfah-        kann. Alternativen zu einer 45-Minuten-Taktung
rungswelt der Schüler*innen sowie für die Lehr-        des Unterrichtstages werden u.a. von Kamski (vgl.
kräfte genutzt werden sollte. Als sinnvolle Gestal-    Kamski 2014, S. 82ff) angeboten. Sie empfiehlt bspw.
tung dieses „Mehr-an-Zeit“ kann eine kind- und         das Doppelstundenprinzip, bei welchem 90 Minu-
jugendgerechte Rhythmisierung erachtet werden          ten Unterricht stattfindet und danach pausiert wird.
(vgl. Burk 2005, S. 140). Diese gilt als Dreh- und     Geläufiger ist im Vergleich dazu jedoch die Ausdeh-
Angelpunkt einer guten Organisation des Schul-         nung der Unterrichtsstunde auf 60 Minuten. Des
jahres sowie einer effektiven Gestaltung der Tages-    Weiteren liegen Modelle vor, bei welchen individuell
und Wochenstruktur in einer Schule mit Ganztags-       die Zeitstruktur für Lern-, Projekt- und Übungs-
angeboten. Was genau verbirgt sich aber nun hinter     phasen angepasst werden.
diesen Begriffen?
                                                       Stets beachtet werden sollte, dass nicht jede Schule
Der Terminus „Rhythmisierung“ leitet sich von dem      das eine perfekte, vorgegebene Rhythmisierungs-
griechischen Wort „rythmios“ ab, was eine gleich-      modell adaptieren kann, sondern dass vielmehr jede
mäßige, gegliederte Bewegung oder einen perio-         Schule ihren Rahmenbedingungen und Zielsetzun-
dischen Wechsel natürlicher Vorgänge beschreibt        gen entsprechend eine für sie passende Rhythmi-
(vgl. Scheuerer 2018, S. 49). Somit lässt sich fest-   sierung entwickeln und erproben muss. Nichts-
halten, dass Rhythmisierung das Leben und Lernen       destotrotz existieren fundierte wissenschaftliche
in einen geordneten, für alle Beteiligten fruchtba-    Erkenntnisse der Chronobiologie, welche darauf
ren Ablauf ermöglicht. Dieser Wechsel von An- und      abzielen, die menschlichen Wellenbewegungen von
Entspannung bzw. Erholung (vgl. Burk 2005, S. 164)     An- und Entspannung zu beschreiben und somit
kann als ein allgemeines menschliches Bedürfnis        auch bei der Entwicklung von Rhythmisierung im
erachtet werden und sollte dementsprechend auch        Schulkontext beachtet werden sollten. Zum einen sei
in der Schule erfüllt werden.                          hier der Basis-Ruhe-Aktivitäts-Rhythmus genannt.
Das Problem hierbei jedoch ist, dass genau betrach-    Wie Abb. 1 verdeutlicht, durchläuft der Mensch eine
tet, Rhythmisierung allein, wie etwa durch den         durchschnittliche Aktivierungsphase von etwa
derzeit an vielen Schulen noch üblichen 45-minü-       90 bis 120 Minuten, gefolgt von einer abnehmen-
tigen Unterrichtstakt, noch kein kindgerechtes         den Leistungskurve und einer Regenerations- und
Lernen darstellt. Die Einteilung des Unterrichtsta-    Ruhephase von circa 20 bis 30 Minuten. Individu-
ges in 45-Minuten-Einheiten wurde im Jahr 1911 in      elle Unterschiede sind anzunehmen, allerdings hat
Preußen eingeführt und löste dort die 60-Minu-         sich ein prinzipielles Verhältnis von Aktivierung
ORGANISATION DES SCHULJAHRES UND GESTALTUNG DER TAGES- UND WOCHENSTRUKTUR

     und Entspannung im Verhältnis von 3:1 als wir-                Von   besonderer     Bedeutung     sind   zusätzliche
     kungsvoll erwiesen (vgl. Siepmann/Salzberg-Lud-               Betrachtungen der entwicklungsbedingten Beson-
     wig 2006, S. 4).                                              derheiten von Kindern und Jugendlichen. Während
                                                                   Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren mit einer
                                                                   täglichen Schlafdauer von zehn Stunden den gan-
                                                                   zen Tag über munter und energiegeladen sind, zei-
                                                                   gen 13- bis 15-Jährige bei identischer Schlafdauer
                                                                   häufig Anzeichen von Müdigkeit. Durch die puber-
                                                                   tären Veränderungen und Entwicklungen haben die
                                                                   Jugendlichen am späten Nachmittag ein zusätzli-
                                                                   ches Leistungshoch, können aufgrund dessen aber
                                                                   am Abend nur schlecht einschlafen. Als ein Resultat
                                                                   daraus, sind sie am Morgen häufig noch unausge-
16                                                                 schlafen und weniger leistungsstark während der
                                                                   ersten Unterrichtsstunden. Damit ähnelt der biolo-
                                                                   gische Tagesrhythmus Jugendlicher eher dem von
     Abb. 1: Basis-Ruhe-Aktivitätszyklus, Quelle: Siepmann/Salz-   Nachtmenschen. Die Schule wird dieser „inneren
     berg-Ludwig 2006, S. 4, nach Kleitmann 1969.
                                                                   Uhr“ der Jugendlichen in der Regel nicht gerecht,
                                                                   da der Unterrichtsbeginn, im Gegensatz zu unseren
                                                                   europäischen Nachbarn wie etwa Italien, Frank-
     Des Weiteren beschreibt der biologische Tagesr-               reich oder Großbritannien, überwiegend zwischen
     hythmus (vgl. Abb. 2) die Leistungsfähigkeit in               sieben und acht Uhr morgens zu verorten ist. Wird
     Abhängigkeit von der Tageszeit. Generell gilt, dass           über einen längeren Zeitraum hinweg entgegen die-
     nach dem Leistungshoch am Vormittag ein Mittags-              ser biologischen Zeitstrukturen gelebt, so kann dies
     tief mit verminderter Leistungsfähigkeit und einem            zu „erheblichen körperlichen und seelischen Beein-
     stärkeren Verlangen nach Ruhe und Erholung folgt.             trächtigungen“ (Siepmann/Salzberg-Ludwig 2006,
     Im Anschluss daran gibt es im Verlauf des Nachmit-            S. 7) oder gar zu völliger Erschöpfung führen. Wird
     tages ein zweites Leistungshoch.                              der Biorhythmus hingegen beachtet, kann Leis-
                                                                   tungsabfall, einer niedrigen Leistungsbereitschaft
                                                                   sowie einem überhöhtem Energieaufwand entge-
                                                                   gengewirkt werden (vgl. ebd., S. 6ff.).

                                                                   Wie die nachfolgende Tabelle veranschaulicht, kann
                                                                   Rhythmisierung auf folgenden drei Ebenen statt-
                                                                   finden: der Schule-, der Unterrichts- und der Indi-
                                                                   vidualebene. Während die Schulebene durch das
                                                                   System, also Schulkonzept und Gremien gelenkt
                                                                   wird, nimmt die Lehrkraft auf der Unterrichtsebene
                                                                   durch ihre Gestaltung des Unterrichts Einfluss. Im
                                                                   Gegensatz dazu wird die Individualebene durch das
                                                                   einzelne Kind gelenkt.

     Abb. 2: Physiologische Leistungskurve – Beziehung zwischen
     Tageszeit und Leistungsbereitschaft, Quelle: Siepmann/Salz-
     berg-Ludwig 2006, S. 8.
ORGANISATION DES SCHULJAHRES UND GESTALTUNG DER TAGES- UND WOCHENSTRUKTUR

                                                                                                                            17

Tab. 1: Begrifflichkeiten Takt und Rhythmisierung, eigene Darstellung, nach Kamski 2014, S. 23.

                                                                 dient dazu, Förderzeiten außerhalb des Unterrichts
Gelingensbedingungen                                             für die Schüler*innen zu ermöglichen. Wie konkret
                                                                 das Format Lernzeit umgesetzt wird, hängt von der
                                                                 jeweiligen Zielstellung ab, die jede Schule selbst fest-
Damit Rhythmisierung in der Ganztagsschule gut                   legt. Lernzeiten können folgenden Zwecken dienen:
gelingen kann, sollte auf Folgendes geachtet wer-                als Hausaufgabenbetreuungszeit, als Zeit für selbst-
den:                                                             bestimmtes Lernen oder zur Lernförderung für ein-
                                                                 zelne Schüler*innen. Wichtig bei der Einführung
Tagesfixpunkte zur Orientierung schaffen                         von Lernzeiten ist, dass eine enge Verknüpfung zum
Um den Schultag zeitlich zu strukturieren, ist es aus            Unterricht hergestellt wird und ein Austausch zwi-
entwicklungspsychologischen Gründen empfeh-                      schen den Lehrkräften und den Lernzeithelfer*in-
lenswert, für die Kinder und Jugendlichen Tagesfi-               nen stattfindet (vgl. ebd., S. 57f.).
xpunkte zu schaffen. Neben eingebauten Freiräu-
men        sind   wiederkehrende      Tagesschwerpunkte          Offene Anfangs- und/oder Endphasen einbauen
wie bspw. die Mittagspause wichtig zur Orientie-                 Ein offener Anfang ermöglicht den Schüler*innen
rung für die Schüler*innen (vgl. Appel/Rutz 2009,                ein langsames Ankommen in der Schule. Die Zeit
S. 143).                                                         kann von den Schüler*innen genutzt werden, um in
Längere Unterrichtseinheiten                                     die Klassenräume zu gehen, Unterrichtstoff nach-
Eine Verlängerung der Unterrichtseinheiten von                   oder vorzuarbeiten, sich mit Mitschüler*innen
einem 45-Minuten- hin zum 60-bis 90-Minuten-                     und Lehrkräften auszutauschen oder um zu Früh-
Takt bietet mehr Zeit im Unterricht für konzen-                  stücken (vgl. ebd., 58). Entsprechend der Möglich-
triertes und effektives Lernen. Die Stundenorgani-               keiten der Schule wäre auch die Nutzung der Schul-
sation kann flexibler gestaltet werden. Ein weiterer             bibliothek in diesem Zeitraum denkbar (vgl. Appel/
Vorteil besteht darin, dass die Lehrkräfte sowie die             Rutz 2009, S. 142).
Schüler*innen sich auf weniger Fächer am Tag kon-
zentrieren müssen (vgl. Kamski et al. 2013, S. 54f.).            Mittagspause als Tagesfixpunkt
                                                                 Neben ausreichend Zeit zum Essen sollte die Mit-
Lernzeiten integrieren                                           tagspause Zeit für Aktivitäten, zur Entspannung
Die Integration von Lernzeiten in den Stundenplan                und Bewegung bieten. Z.B. könnten ein Ruhebereich
ORGANISATION DES SCHULJAHRES UND GESTALTUNG DER TAGES- UND WOCHENSTRUKTUR

     mit einer gemütlichen Sitzecke und verschiedene         meiden, indem eine möglichst enge Verzahnung von
     Sportangebote geschaffen werden (vgl. Kamski et         Angebt und Unterricht hergestellt wird (vgl. ebd.).
     al. 2013, S. 59f.).                                     Bei all den wichtigen Gelingensbedingungen für den
                                                             Tagesablauf sollte jedoch nicht die Organisation des
     Siehe dazu der Beitrag Beitrag „Pausenkonzept“.         gesamten Schuljahres als wichtige Basis vergessen
                                                             werden, denn mit ihr beginnt die Rhythmisierung.
     Raumstruktur beachten
     Für das Gelingen von Rhythmisierung müssen
     Schulen ihre räumlichen Möglichkeiten beachten
     und entsprechend der verschiedenen Bedürfnisse
     Räumlichkeiten schaffen. So sollte z.B. idealerweise
     der Hausaufgabenraum ein anderer sein, als der
     Klassenraum (vgl. Appel/Rutz 2009, S. 142).
18
     Freizeitangebote schaffen
     Zu einem rhythmisierten Schultag gehört auch die
     Einplanung von frei gestaltbarer Zeit. Hierbei soll-
     ten wiederum verschiedenste Angebote, wie etwa
     aus den Bereichen Sport, Musik, Werkstätten und
     PC- Räume geschaffen werden (vgl. Kamski et al.
     2013, S. 61).

     Siehe dazu der Beitrag
     „Organisierte und ungelenkte Freizeit“

     Unterricht individueller gestalten
     Längere Unterrichtsstunden ermöglichen der Lehr-
     kraft während des Unterrichts individueller auf die
     Bedürfnisse der Klasse einzugehen (vgl. ebd., S.
     55f.). Beim Planen von Unterricht sollten Lehrkräfte
     Wechselphasen zwischen An- und Entspannung
     sowie unterschiedliche Arbeits- und Sozialformen
     berücksichtigen (vgl. Kamski 2014, S. 78). Pausen-
     zeiten können je nach Bedarf der Schüler*innen in
     den Unterricht eingebaut werden (vgl. Kamski et al.
     2013, S. 56).

     Wie gut ein Schultag rhythmisiert, also von morgens
     bis nachmittags durchstrukturiert werden kann, ist
     in einem gewissen Maß abhängig von der Form der
     Ganztagsschule. Bei einer gebundenen Form ist ein
     ganztägig rhythmisierter Schultag gut umsetzbar,
     denn der Pflichtunterricht und die außerschuli-
     schen Angebote können unter der Berücksichti-
     gung der Phasen der An- und Entspannung über den
     gesamten Tag verteilt werden (vgl. Dollinger 2013, S.
     33). Bei offenen Formen hingegen wie den meisten
     sächsischen Schulen mit Ganztagsangeboten ist die
     Umsetzung einer konsequenten Rhythmisierung
     des Schultages nur begrenzt möglich. Nachmittags-
     angebote werden meist nur additiv an den Unter-
     richt zum Vormittag angehängt. Dies gilt es zu ver-
TITEL Autorin

Umsetzungsmöglichkeiten –
Tipps für die Praxis
                                                             Informieren Sie rechtzeitig alle GTA-Mitarbeiter*in-
Organisation des Schuljahres                                 nen über die Anzahl der am Angebot teilnehmenden
Rhythmisierung fängt mit der Planung des Schul-              Schüler*innen, den zeitlichen Rahmen (Länge und
jahres an und gelingt nur, wenn alle Beteiligten an          Zeitpunkt), die finanzielle Vergütung sowie über vor-
einem Strang ziehen. Deswegen:                               handene Materialen bzw. finanzielle Mittel für die im
Stellen Sie sicher, dass vor Beginn des Schuljahres der      Angebot benötigten Materialien.
Schuljahresablaufplan erstellt wird und alle GTA-rel-
evanten Termine wie z.B. gemeinsame Besprechun-              Organisieren Sie im Schuljahr verteilt immer wieder
gen, Meetings etc. festgelegt werden.                        gemeinsame Gesprächsrunden für alle externen
                                                             GTA-Mitarbeiter*innen, die Erzieher*innen und die
Überlegen Sie, welche GTA für Ihre Schule sinnvoll und       Lehrkräfte, um bessere Absprachen und Verzahnun-
wichtig sind. Berücksichtigen Sie dabei Ihr pädagogi-        gen zwischen den Angeboten und dem Unterricht zu
sches Konzept. Kalkulieren Sie anhand der verfügba-          ermöglichen.
ren Mittel, welche Möglichkeiten bestehen und setzen                                                                         19
Sie ggf. Schwerpunkte in Bezug auf Ihr Schulkonzept.         Integrieren Sie im Schuljahr Projektwochen und Pro-
Integrieren Sie Ihre Ganztagskonzeption in den Schul-        jekttage (z.B. eine Nachhaltigkeitswoche). Beziehen
jahresablaufplan.                                            Sie für die Planung der Projekte externe GTA-Mitarbei-
                                                             ter*innen mit ein (z.B. das GTA „Radio“ gestaltet in der
Erstellen Sie einen Aushang mit allen GTA-relevanten         Projektwoche ein Feature zum Thema „Nachhaltigkeit
Terminen, wie bspw. das Abgabedatum der GTA-Anmel-           in der Schule“).
dungen für das Lehrer*innenzimmer. Thematisieren Sie         Weitere Veranstaltungen, die im Schuljahr eingeplant
bei Lehrer*innenkonferenzen die Ganztagsangebote.            werden können, sind: Lesenächte, Spielabende, For-
                                                             scher*innennachmittage, Ausflüge z.B. Museumsbe-
Informieren Sie alle Schüler*innen sowie Eltern zu           suche, Kunstaustellungen, etc. Schulfeste und Sport-
Beginn des Schuljahres über die stattfindenden GTA,          feste (vgl. Bönsch 2012, S. 18).
indem Sie z.B. ein großes Plakat mit einer Übersicht aller
Angebote für das neue Schuljahr im Flur anbringen.

Erstellen Sie einen GTA-Wochenplan, der veranschau-
licht, wann, wo und bei wem die Angebote stattfinden.
Hängen Sie diesen gut sichtbar als Plakat oder Pinn-
wand im Flur auf, damit alle Beteiligten stets informiert
sind. Falls es zu Ausfällen oder Veränderungen kommt,
können an dieser GTA-Pinnwand Aushänge dazu veröf-
fentlicht werden.
                                                             Abb. 4: Stundenplanbeispiel 2, 90-Minutentakt, Quelle:
                                                             Kamski 2014, S. 86.

                                                             Gestaltung der Tages-/Wochenstruktur
                                                             Starten Sie den Tag mit einem offenen Unterrichts-
                                                             beginn, indem Sie den Schüler*innen z.B. 30 Minuten
                                                             Zeit geben. Diese Zeit kann folgendermaßen genutzt
                                                             werden: für Gespräche, zum Frühstücken, für individu-
                                                             elle Lernzeit und zum Nach- bzw. Vorarbeiten des Lern-
                                                             stoffes. Während der Anfangszeit sollte jeweils eine
                                                             Lehrkraft im Raum sein (vgl. Kamski et al., 2013, S. 58).
Abb. 3: Stundenplanbeispiel 1, Blockmodell 90- bzw.
95-Minuten-Takt (Mischmodell), Plan für eine Gesamtschule    Der Unterricht und die Angebote verteilen sich auf den
5. und 6. Klasse, teilgebundene Form, Quelle: Kamski 2014,
S. 85.                                                       Vor- und Nachmittag, sodass durchweg ein Wechsel
                                                             von An- und Entspannung sowie von Gemeinschaft
                                                             und Individualität stattfinden kann (vgl. Abb. 3 und 4)
                                                             (vgl. Dollinger 2013, S. 35).
TITEL Autorin

       Verwenden Sie anstelle der 45 Minuten ein passende-          Achten Sie bei der Festlegung der Unterrichtszeiten
       res Zeitstrukturmodell z.B. 60 oder 90 Minuten oder          auf die Verkehrsanbindungs-möglichkeiten der Schü-
       das Doppelstundenprinzip (vgl. Abb. 3 und 4).                ler*innen und stimmen Sie diese mit den Unterrichts-
                                                                    zeiten ab, damit keine großen Wartezeiten entstehen.
       Rhythmisieren Sie den Blockunterricht, d.h., bauen Sie       Modelle wie ein offenes Ende können dazu beitragen,
       entsprechend den Schüler*innenbedürfnissen Wech-             ggf. Wartezeiten zu überbrücken.
       selphasen der An- und Entspannung sowie der Arbeits-
       und Sozialform ein. Dies ist möglich durch:                  Führen Sie Rituale wie z.B. den Morgenkreis, den
       Offene Lernarrangements wie Stationsarbeit (Lernzir-         Abschlusskreis oder gemeinsame Frühstücksphasen
       kel, Lerntheke), Werkstattarbeit, Freiarbeit, Compu-         ein. Diese können täglich, wöchentlich oder monatlich
       terarbeit, Teamarbeit (Gruppenpuzzle, Zukunftswerk-          stattfinden (vgl. Dollinger 2013, S. 35).
       statt), Präsentationen (vgl. Kamski et al. 2013, S. 56).
       Bewegten Unterricht, z.B. durch Bewegungsspiele wie
       Fingerspiele oder Bewegungsgeschichten.
20
       Weitere Anregungen finden Sie unter
       www.mehr-bewegung-in-die-schule.de.

                                               LITER ATUR
                                               Appel, S./Rutz, G. (2009): Handbuch Ganztagsschule. Praxis. Konzepte. Hand-
                                               reichungen. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.

                                               Bönsch, M. (2012): Gemeinsam verschieden lernen. Lernen in heterogenen
                                               Gruppen. Angebote zur Differenzierung und Individualisierung. Für alle Jahr-
                                               gangsstufen. Berlin: Cornelsen.

                                               Burk, K. (2005): Rhythmisierung. In: Demmer, M. et al. (Hrsg.): ABC der Ganz-
                                               tagsschule. Ein Handbuch für Ein- und Umsteiger. Schwalbach/Ts.: Wochen-
                                               schau Verlag, S. 164-165.

                                               Dollinger, S. (2013): 127 Tipps für die Ganztagsschule. Weinheim und Basel: Beltz
                                               Verlag.

                                               Eikenbusch, G. (2010): Alternativen zur 45-Minuten-Stunde. In: PÄDAGOGIK,
                                               Heft 3/2010. URL: https://www.beltz.de/fachmedien/paedagogik/zeitschrif-
                                               ten/paedagogik/themenschwerpunkte/alternativen_zum_45_minuten_takt.
                                               html (Zugriff: 15.07.2020).

                                               Kamski, I. (2009): Qualität von Ganztagsschule: Konzepte und Orientierungen
                                               für die Praxis. München: Waxmann.

                                               Kamski, I. (2014): Rhythmisierung in Ganztagsschulen. Erprobte Praxis-Funk-
                                               tionierende Modelle. Schwalbach/Ts.: Debus Pädagogik Verlag.

                                               Kamski, I./Koltermann, S./Krinecki, J. (2013): 99 Tipps. Ganztagsschule.
                                               Sekundarstufe I. Berlin: Cornelsen Schulverlage GmbH.

                                               Sächsisches Staatsministerium für Kultus (SMK) (2017): Qualitätsrahmen
                                               Ganztagsangebote. Instrument zur Qualitätsentwicklung und zur Umsetzung
                                               der Fachempfehlung „Ganztagsangebote an sächsischen Schulen“. URL: https://
                                               schule.sachsen.de/download/download_bildung/19_01_31_Br_Qualitaets-
                                               rahmen_GTA.pdf (Zugriff: 15.07.2020).

                                               Scheurer, A. (2018): Rhythmisierung. In: Ganztagsschulverband e.V. (Hrsg.): Die
                                               Ganztagsschule, Heft 2018, 58.Jahrgang, S. 48-73.

                                               Siepmann, G./Salzberg-Ludwig, K. (2006): Bedeutung von Rhythmus und Struk-
                                               tur für die Schul- und Unterrichtsgestaltung. URL: https://publishup.uni-pots-
                                               dam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/571/file/rhythmus_schul_
                                               unterrichtsgestalt.pdf (Zugriff: 15.07.2020).
Pausenkonzept
Iryna Luft und Tim Theiss

                                                                                                                  21

PA U S E N K O N Z E P T                                  206f.). Gerade Letzteres ist wichtig, da es ca. einem
                                                          Viertel der Schüler*innen nicht möglich ist, vor
Das sagt die Wissenschaft –                               Beginn der Schule zu frühstücken bzw. eine Pausen-
Theoretische Grundlagen                                   mahlzeit mitzunehmen (vgl. Arens-Azevedo 2011, S.
                                                          130). Ein Pausenkonzept im Ganztagsmodell muss
                                                          daher Raum für ein gemeinsames Frühstück und
Um die Unterrichts- und Angebotszeiten inner-             Mittagessen bieten, aber auch dem Trinken einen
halb von Schulen mit Ganztagsangeboten effektiv           besonderen Stellenwert einräumen. Laut der Deut-
und langfristig zu realisieren, muss eine gelungene       schen Gesellschaft für Ernährung sollte man über
Rhythmisierung von Anspannung und Erholung                den ganzen Tag verteilt mindestens 1,5 Liter Flüs-
organisiert werden (vgl. Bertelsmann Stiftung et al.      sigkeit zu sich nehmen, wobei es im Sommer oder
2017, S. 23f.; Weier 2010, S. 207). Pausenzeiten können   bei sportlichen Aktivitäten entsprechend mehr sein
innerhalb dieser Rhythmisierung u.a. als „Produkti-       sollte (vgl. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.
onsfaktor (Entspannung, Erholung vom Unterricht,          2018; Volkert 2000, S. 82f.). Wird dieser Richtwert
Vorbereitung auf den folgenden Unterricht, Haus-          unterschritten, nimmt die Lern- und Leistungsfä-
aufgabenanfertigung) [und] als Sozialraum (Austo-         higkeit der Schüler*innen ab und es können durch
ben, Spielen, Gespräche mit Schülern)“ (Osnabrücker       die Dehydration negative Symptome wie Müdigkeit,
Forschungsgruppe 2016, S. 4) gesehen werden.              Kopfschmerzen und Konzentrationsmängel auftre-
                                                          ten (vgl. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.
Damit nimmt nicht nur der informelle Bereich der          2018). Dabei sind vor allem kosten- und zuckerfreie
Pause als Erfahrungs- und Lebensraum für Schü-            Getränke wie Tee, Leitungswasser oder Mineral-
ler*innen und Lehrkräfte in Schulen mit Ganz-             wasser empfehlenswert (vgl. Arens-Azevedo 2011, S.
tagsangeboten an Bedeutung zu (vgl. ebd., S. 15ff.;       135; Clausen/Kersting 2008, S. 210; Hillenbrand 2017,
Derecik 2013, S. 179ff.), sondern auch deren regene-      S. 33). Tragfähige Pausenkonzepte gehen zudem von
rativer Aspekt zur Wiederherstellung der Lern- und        Zeitstrukturierungsmodellen aus, die berücksich-
Leistungsbereitschaft: Pausen können etwa Stres-          tigen, dass die Aufmerksamkeitsspanne von 12- bis
ssymptomen wie Migräne, Kopfschmerzen und                 14-Jährigen im Durchschnitt bei 30 Minuten liegt
Müdigkeit bei jungen Menschen entgegenwirken,             (vgl. Weier 2010, S. 211). Unter Beachtung der daraus
die durch die kognitive Anspannung besonders in           resultierenden täglichen Leistungskurve der Schü-
Prüfungssituationen auftreten (vgl. Osnabrücker           ler*innen ergibt sich somit eine grobe Einteilung
Forschungsgruppe 2016, S. 155). Neben der Rege-           der Zeitstruktur von Pausenkonzepten (vgl. Osn-
neration sowie der damit zusammenhängenden                abrücker Forschungsgruppe 2016, S. 4; Weier 2010,
gesundheitlichen Prävention dient die Pause aber          S. 210) in kleine Pausen (3 bis 10 Minuten) innerhalb
auch der sozialen Interaktion. Sie bietet Möglich-        der Lerneinheiten, große Pausen (15 bis 30 Minuten)
keiten des sozialen Miteinanders bei der Kommu-           zwischen den Lerneinheiten und Mittagsfreizeit
nikation untereinander, beim Erholen, Spielen und         (60 bis 90 Minuten) (vgl. Osnabrücker Forschungs-
Bewegen sowie beim Essen (vgl. Schütz 2015, S.            gruppe 2016, S. 30ff), wobei auch die bewegte Pause
PAUSENKONZEPT

     einen Teilbereich des Pausenkonzepts darstellen           und informelle Frei- und Bewegungsräume (Gänge,
     sollte (vgl. Adrian 2008, S. 44; Lüke 2017; Osnabrücker   Unterrichtsräume, Aula, Turnhalle etc.) bewährt
     Forschungsgruppe 2016, S. 163). Laut Müller/Pet-          (vgl. Müller/Petzold 2006, S. 182ff.; Derecik 2013, S.
     zold (2006) dient sie besonders im Primarbereich          183ff.). Der Außenbereich (Schulhof) sollte bevor-
     als Gegenpol der gesundheitlich negativen Sitzkul-        zugt in der Mittagsfreizeit genutzt werden, um grö-
     tur im Unterricht (vgl. Müller/Petzold 2006, S. 69;       ßere Freiräume für die Schüler*innen zu bieten.
     Osnabrücker Forschungsgruppe 2016, S. 163f.) und
     vermittelt positive Aspekte der Bewegung spiele-
     risch (vgl. Krug et al. 2011, S. 119; Graf/Klein 2011,
     S. 16ff; Müller/Petzold 2006, S. 14ff.).                  Umsetzungsmöglichkeiten –
                                                               Tipps für die Praxis

22   Gelingensbedingungen                                      Sportartenspezifische und -unspezifische Tätig-
                                                               keiten sollten so gestaltet sein, dass sie möglichst
                                                               alle Schüler*innen erreichen (vgl. Adrian 2008, S.
     Um Ruhezeiten und Stressabbau zu ermöglichen,             44; Müller/Petzold 2006, S. 180ff). Entsprechende
     müssen an der Schule Räume der Erholung und des           Möglichkeiten gibt es sowohl im Freien als auch im
     Rückzugs vorhanden sein (vgl. Osnabrücker For-            Schulgebäude bzw. in der Turnhalle. So ist es sinnvoll,
     schungsgruppe 2016, S. 166; Höhmann et al. 2004,          sowohl traditionelle Sportarten wie Fußball, Basket-
     S. 134; Derecik, 2013, S. 189). In diesen Ruhezonen       ball, Volleyball oder Tischtennis als auch Trendspor-
     sollte ein Lärmverbot herrschen sowie Möglich-            tarten wie Bouldern, Frisbee, Slackline etc. anzubie-
     keiten zum Sitzen und Liegen gegeben sein. Aber           ten. Eine Spielekiste könnte dies realisieren.
     auch Räume zur Vorbereitung auf den folgenden
     Unterricht, zur Hausaufgabenanfertigung oder zum          Getränke sollten den Schüler*innen über qualitativ
     Austausch untereinander können im Raumkon-                gutes Leitungswasser kostenfrei in Form von Was-
     zept ihren Platz finden (vgl. Bertelsmann et al. 2017,    serspendern, Wasserautomaten, Wassersäulen etc.
     S. 36; Derecik 2013, S. 181ff.; Osnabrücker For-          besonders während der Mahlzeiten zur Verfügung
     schungsgruppe 2016, S. 69).                               gestellt werden (vgl. Clausen/Kersting 2008, S. 210;
                                                               Hillenbrand 2017, S. 36).
     Das soziale Miteinander und die Gesundheit können
     durch Kommunikations-, Spiel- und Bewegungs-              Eine Zwischenverpflegung in Form von Vollkorn-
     angebote gefördert werden. In das Pausenkonzept           brötchen, Gemüse, Obst oder Magermilchproduk-
     sollten daher auch Elemente der bewegten Pause            ten hilft den Schüler*innen dabei, über den Tag
     (Sport und Spiel) integriert und so gestaltet werden,     leistungsfähig zu bleiben (vgl. Arens-Azevedo 2011,
     dass sie aktiv Stress abbauen, soziale Kompetenzen        S. 135f.).
     fördern und prägend auf die Schüler*innen einwir-
     ken (vgl. Müller/Petzold 2006, S. 180; Adrian 2008,       Das Pausenkonzept sollte sich an der Schulphiloso-
     S. 44; Osnabrücker Forschungsgruppe 2016, S. 164).        phie orientieren und durch die Schulfamilie indivi-
                                                               duell gestaltbar sein. Die Schülerschaft könnte sich
     Um Bewegungsalternativen für alle Schüler*innen           etwa durch Wunschzettel oder AG-Programme an
     in jedem Altersbereich zur Verfügung zu stellen,          der Gestaltung der Pausenaktivitäten wie auch der
     ist auf eine altersgerechte und tätigkeitsorientierte     Räumlichkeiten beteiligen.
     Strukturierung der Räumlichkeiten zu achten. Zu
     berücksichtigen ist aber auch, den Schüler*innen im
     informellen Bereich der Pause genügend Freiräume
     zu gewährleisten, damit die Schule mit Ganztags-
     angeboten zum Lern- und Lebensraum wird (vgl.
     Müller/Petzold 2006, S. 181; Derecik 2013, S. 181ff.).
     In den Wintermonaten bzw. bei schlechtem Wetter
     hat sich, vor allem in den kurzen Pausen, die Öff-
     nung des Schulhauses in handlungsdifferenzierte
Sie können auch lesen