Ist der Tod ein architektonisches Ereignis? - DIPLOMARBEIT - reposiTUm
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DIPLOMARBEIT Ist der Tod ein architektonisches Ereignis? ausgeführt zum Zwecke der Erlangung des akademischen Grades eines Diplom-Ingenieurs unter der Leitung von Senior Scientist Dipl.-Ing. Dr.techn. Ingrid Manka E264 Institut für Kunst und Gestaltung eingereicht an der Technischen Universität Wien Fakultät für Architektur und Raumplanung von Johannes Puchleitner 0626851 Wien, am
abstract deutsch Ist der Tod ein architektonisches Ereignis? von Johannes Puchleitner Diese Arbeit behandelt, wie der Titel besagt, die Themen Tod, Architektur und Er- eignis, wobei dem Ereignis in diesem Fall besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Es ist nämlich jener Begriff, der den übergeordneten philosophischen, wie auch architektur- theoretischen Rahmen der Arbeit bildet und von dem aus ich einzelne „Stationen“ der Geschichte der Architektur besuchen werde. Ausgehend von den Debatten der Ursprünge der Disziplin und ihren kontroversen Interpretationen, komme ich über die Betrachtung von Zeit und Raum im Kontext von Ereignis und Tod, zu den stürmischen und teilweise wirren Ideen der Futuristen. Von dort aus springe ich geschichtlich wieder zurück zu den monumentalen, zwiespältigen Bauten der ägyptischen Pyramiden und arbeitete mich, vorbei an den paradoxen und unheimlichen Arbeiten zweier Künstler, hin zum Verhältnis von Gewalt, Eigentum und Architektur. Unterm Strich ist jedes Kapitel für sich ein Wagnis, schon allein deshalb, weil ich dem wahrscheinlich wichtigsten Grundsatz folge leisten will, und zwar mich dem Ereignis auf ereignishafte Weise zu nähern. Das heißt, jeder Abschnitt dieser Arbeit beinhaltet die singuläre Hoffnung, innerhalb des weiten Feldes von Tod und Ereignis zu einem erweiterten Verständnis von Architektur zu gelangen. abstract english Is death an architectural event? by Johannes Puchleitner As the title suggests, this work deals with the themes of death, architecture and event. In this case, special attention is paid to the event. It is its concept that formed the greater philosophical as well as architectural-theoretical framework of this paper, and from which I visit individual stages in the history of architecture. Starting from the debates on the origins of the discipline and its controversial interpretations, I leap to the stormy and sometimes confused ideas of the Futurists. Via the consideration of time and space in the context of event and death, I jump back historically to the monumental, ambivalent buildings of the Egyptian pyramids. From there I work my way past the paradoxical and uncanny works of two artists towards the relationship between violence, property and architecture. The bottom line is that each chapter is a venture in itself, if only because I want to follow what is probably the most important principle, and that is to approach the event in an eventful way. That means furthermore, each section of this work contains the singular hope of arriving at an expanded understanding of architecture within the broad field of death and event.
inhaltsverzeichnis 5 vorwort 7 ursprung 11 raumzeit 18 form 21 pyramiden 26 unheimlich 30 gewalt 35 conclusio anhang literaturverzeichnis station 4
vorwort Slavoj Žižek und Thomas Khurana eine*n, die vielen „Grenzen [des Begriffs] Eine der schwierigsten Aufgaben wird starten beispielsweise ihre jeweiligen auf spezifische Weise zu passieren und der Versuch sein, den Ereignisbegriff in Text- bzw. Buchbeiträge zum Ereignis mit zu durchqueren.“8 Žižek beschreibt die einen Rahmen zu fassen, der es den einer willkürlichen Auflistung von Ereignis- Kapitel in seinem Buches deshalb als Leser*innen ermöglicht zu verstehen, sen, um von vornherein zu verdeutlichen, „U-Bahn-Fahrt mit vielen Haltestellen und was sich hinter diesem Begriff verbirgt. In mit welcher „notorischen Unschärfe“3 uns Verbindungen, bei der jeder Halt für eine der Philosophie gibt es mittlerweile eine dieser „amphibische Begriff, der mehr als mögliche Definition von Ereignis steht.“9 gewisse Kontinuität in der Auseinander- fifty shades of grey umfasst,“4 konfrontiert: Und er schreibt weiters: „Die einzige setzung mit dem Begriff und auch in der Der Ibiza -Skandal. Österreich im Ausnah- angemessene Lösung demnach ist, sich Architektur hatte das Ereignis bereits eine mezustand. Es war das letzte Mal, dass Ereignissen in einer ereignishaften Weise Art Konjunktur erlebt. Nichtsdestotrotz er sie sah. Plötzlich machte es einen lau- zu nähern.“10 Um Antworten auf meine wird es kein leichtes Unterfangen werden, ten Knall und der Wagen fuhr auf und da- Ausgangsfrage, ob der Tod eine architek- sich auf einen gemeinsamen Ereignis- von. Als sie das Grab öffneten war ihnen tonisches Ereignis ist, zu erhalten, wer- begrif zuf verständigen, einerseits würde sofort bewusst, welche unglaubliche Ent- den wir diesem Grundsatz folge leisten das dem Ereignis ohnehin nicht gerecht deckung sie gemacht haben. Kröte Simba und schauen welche „möglichen Definiti- werden, andererseits kann dies, nach reist 10.000km als blinder Passagier von onen“ auf uns warten, um das Ereignis zu einer intensiven Recherche vorangegan- Südafrika nach Deutschland.5 So, oder entschlüsseln. gener Arbeiten zum Ereignis, auch nicht so ähnlich, klingen Žižeks und Khuranas Auch der Philosoph Joseph Vogl, der der Anspruch sein: „Eine Geschichte des erste tastende Versuche sich dem Ereig- anhand der Frage Was ist ein Ereignis Ereignisdenkens vorzulegen könnte ein nisbegriff zu nähern. Aber sind das alles das Ereignisdenken von Gilles Deleuze zutiefst paradoxes Vorhaben sein, das auch Ereignisse? Inwiefern ordnen wir untersucht hat, verweist ebenso schon von vornherein zum Scheitern verurteilt diese Sätze als Ereignisse ein? Prinzipiell eingangs auf die Gefahren und Missver- ist“1 schreibt Marc Rölli in der Einleitung ist zu sagen, dass sich ein Ereignis auf ständnisse, sollte man mit einer grundle- zu Ereignis auf Französisch. Von Bergson so ziemlich alles beziehen kann, von po- gend falschen Herangehensweise in der bis Deleuze. Der Sammelband vereint litischen Skandalen, traurigen Anlässen, Fragestellung auf das Ereignis zusteuern: viele unterschiedliche Positionen zu persönlichen Tragödien, bis hin zu wis- „Die Frage nach dem Ereignis zielt (...) diesem Thema aus der französischen senschaftlichen Meilensteinen, tierischen nicht auf Antwort und Lösung, sondern Philosophie des 20. Jahrhunderts, auf die Superhelden usw. Das Ereignis kann von auf ihr problematisches Selbst.“11 Der wir im Laufe der Arbeit noch mehrmals „öffentlichen oder privaten, anonym-neut- Trick, damit man dem Ereignishaften zurückkehren werden. Nirgendwo sonst ralen oder persönlich-konkreten, singu- am Ereignis nicht entgeht ist, nicht nach wurde nämlich so stark und ausführlich lären oder wiederholten, bezeugten oder dem was ist zu fragen, sondern auf eine über das Ereignis nachgedacht wie in unbezeugten, datierten oder undatierten, Vielstimmigkeit von Fragen zu verweisen, der dortigen Philosophietradition.2 Um eingetretenen oder ausgebliebenen, d.h. Fragen nach dem wann, wie, wo, aber der Gefahr vorzubeugen, sich in fiktiven oder realen Vorkommnissen“6 wie viele etc. zu stellen. Das führt beim den Tiefen allzu detaillierter philoso- handeln, oder eben auch von nichts Ereignis viel eher zu einer Erkenntnis und phischer Auseinandersetzungen zum davon. Das Ereignis ist jedenfalls erst lotet, wie Vogl bezugnehmend auf De- Ereignis zu verlieren, werde ich nur einige einmal ein Rätsel und möchte man da- leuze meint, ganz nebenbei die Grenzen ausgewählte Theorien im Bezug auf das hinter kommen, was genau in dem Begriff der Philosophie aus.12 Meine Hypothese Ereignis, als auch im Hinblick auf Tod und Ereignis steckt, „müssen wir das Wagnis in Bezug auf meine eigene Arbeit ist Architektur bearbeiten, von denen ich mir auf uns nehmen, den Zug zu besteigen nun, dass wenn ich der ereignishaften erwarte, relevante Positionen für meine und unsere Reise mit einer vorläufigen Architektur, bzw. dem Ereignis in der Arbeit ableiten zu können. Am besten Definition von Ereignis zu beginnen.“7 Architektur nachspüre, ähnliches passie- springen wir direkt in die Debatte zum Er- Ich verwende diese Metapher von Žižek, ren könnte, wie im oben genannten Fall. eignis und sehen uns an, wie sich einige weil sie sehr gut illustriert, wie schwierig Durch eine intensive Konfrontation des Autor*innen vor mir mit dieser komplexen es ist, in der Welt der Ereignisse, einen Ereignisses mit der Architektur werde ich Materie auseinandergesetzt haben. Anfang zu finden, eine Station, in der man hoffentlich bis in die existenziellen Grenz- einsteigen kann. Einerseits liegt es in der bereiche der Disziplin vordringen und Natur des Ereignisses, dass selbst eine dadurch zu einem erweiterten Verständnis simple theoretische Auseinandersetzung von Architektur gelangen. mit dem Begriff schon ein gewisses Risiko birgt, andererseits zwingt das Ereignis 5
Das Ereignis in der Architektur, als ein bewegen (können): „Wir wohnen zwar theoretisches Konzept, ist der architek- im Raum, aber zuallererst wohnen wir in „Zu wissen, dass wir sterblich tonischen Debatte grundsätzlich nicht den Grenzen unserer Sterblichkeit.“14 Der sind, ist ein apodiktisches, doch fremd und hat auf unterschiedlichen Tod spielt in der Architektur seit jeher eine leeres und abstraktes Wissen, das Ebenen innerhalb des Gegenstandsbe- übergeordnete Rolle, wenn wir beispiels- angemessen auszufüllen, die ver- reichs schon seine Spuren hinterlassen. weise an die Pyramiden denken oder wirklichten und sukzessiven Tode Trotzdem muss man sagen, dass heute an ähnliche monumentale Grabbauten gewiß nicht reichen, solange man nur wenige Bauwerke existieren, die ei- aus einer anderen Zeit. Die Erforschung das Sterben nicht als unpersön- nerseits wirklich versucht haben, mit dem eines Subjekts, eines Lebewesens, einer liches Ereignis mit stets offener Ereignis zu arbeiten, und die andererseits Gesellschaft, einer Architektur im Umgang (wo und wann?) problematischer auch dem eigenen Anspruch gerecht mit dem Tod ist deshalb so spannend, Struktur auffasst.“15 wurden, das architektonische Ereignis weil sie uns immer auf einen absoluten in seiner komplexen Vielfalt abzubilden. Nullpunkt zurückwirft. Die Auseinander- Nun werde ich aber weniger versu- Nun lässt sich Architektur (glücklicher- setzung mit dem Tod zwingt uns, sämtli- chen, uns den Tod besser begreifbar weise) nicht mehr ausschließlich auf che Grenzen in unendlich weite Räume zu machen, als vielmehr probieren, der gebaute Manifeste reduzieren, sondern zu strecken, unsere Körper zu verflüs- Architektur über den Tod und dem Ereig- besticht vor allem durch die Vielfalt ihrer sigen und uns zu einer schwebenden, nis nachzuspüren um zu schauen was unterschiedlichen Anwendungsgebiete, zusammenhanglosen Masse vollkomme- passiert, wenn wir Architektur als einen und da das Ereignis vornehmlich aus der ner Zeit- und Ortlosigkeit zu machen. Wo, Ort, an dem wir sterben und nicht als ei- Philosophie in die Architektur Einzug fand, wohin, wie lange, wieso, wer... ? Welche nen Ort, an dem wir leben denken. Dazu sind die Abdrücke, die das Ereignis in der Antworten gibt uns der Tod? Er gibt uns müssen wir den Tod auch u.a. auch als Disziplin hinterlassen hat, großteils in der tatsächlich viele Antworten, vielfältige den „Ursprung aller Zivilisation“16 betrach- theoretischen Auseinandersetzung zu su- Antworten, vor allem auf die Art und ten, d.h. wir müssen historisch ein wenig chen. Architektur drängt aber auch immer Weise, wie wir unser Leben strukturieren ausholen und in der Geschichte teilweise darauf, Theorien, Konzepte und Ideen zu und organisieren. Auch darüber, wie wir weit zurückgehen. In dieser Arbeit ist mir verräumlichen, d.h. es gibt ein stetes Su- im Stande sind, diesem einen, aber auch auch wichtig, herauszufinden, vornehm- chen nach einer Übersetzung abstrakter den vielen anderen Ereignissen in unse- lich in Bezug auf Architektur, an welchem Diskussionen in konkrete (physische) Mo- rem Leben gegenüberzutreten. Die Frage, Punkt die Menschheit, welche Abzwei- delle. Irgendwo in diesem Spannungsfeld ob wir widerständig oder teilnahmslos, gungen, aus welchem Grund genommen zwischen Theorie und Praxis wird auch freudig oder traurig, gefasst oder über- hat; so lautet zum Beispiel eine tradierte meine Forschung zu dem Ereignis in der rascht, wütend oder verständnisvoll, aktiv Vorstellung, dass seit der Sesshaftwer- Architektur angesiedelt sein. Ich werde oder passiv, dem Tod entgegentreten, dung der Menschen ein Haus zuallererst versuchen, dem Ereignis mit dem ereig- sagt viel darüber aus, ob unser Leben ein die Aufgabe hatte, uns dauerhaft vor den nishaften Prinzip entgegensteuern, ganz selbstbestimmtes Sein zum Tod ist, wie Einflüssen der Natur zu schützen. Aber so, wie es weiter oben schon umrissen der Philosoph Martin Heidegger behaup- war das immer schon so? Demgegenüber wurde, in der Hoffnung, ein wenig Licht ten würde, oder ob unser Leben mehr steht nämlich eine ganz andere anthropo- ins Dunkel um diesen Begriff zu bringen. einem kämpfenden Sein gegen den Tod logische Tatsache, und zwar die, dass die Und warum der Tod? Der Tod ist ein gleichkommt, wie der Schriftsteller Elias Menschen einstmals Häuser eben nicht Ereignis im reinsten Sinne, das heißt Canetti es interpretiert hat. Unabhängig als primäre Wohnstätte bzw. natürlichen er ist etwas, das uns plötzlich zustößt, davon, werden wir uns aber immer die Zufluchtsort betrachteten, sondern noch in einer „eigentümlichen Mischung von Frage stellen müssen: Können wir uns bevor sie sich selbst behausten, ihren Augenblicklichkeit und Zeitlosigkeit den Tod überhaupt begreifbar machen? Toten Häuser bauten.17 schockartig in das Kontinuum des Lebens und seiner eingefahrenen Gewohn- heiten“13 einbricht und es zerstört bzw. auflöst. Ein Akt gnadenloser Gewalt, der das Leben zeitlich rahmt und somit auch den Raum bestimmt, in dem wir uns 6
„Des Urmenschen Achtung vor ursprung Der Begriff des environments entstammt den Toten zeigt, wie sehr ihn die In einem Interview des Architekten Rai- ursprünglich der Ökologie und hatte viel- mächtigen Gestalten seiner Phan- mund Abraham vom September 2009 er- fältige Anwendungsbereiche im Hinblick tasie und seiner Träume gefan- zählte dieser die Geschichte einer Legen- auf seine Bedeutung. Grob gesagt geht gen nahmen; sie veranlaßte ihn de über den Ursprung von Architektur, die es um die Beziehung von einem Ob- vielleicht noch mehr als praktische eigentlich von Reyner Banham aus den jekt zu seiner Umgebung. Während der Bedürfnisse, sich einen festen 1960er Jahren stammte. In dieser hieß 1960 und 70er Jahre erfährt der Begriff Versammlungsplatz und schließ- es, dass der Anfang von Architektur nicht im angloamerikanischen Architekturthe- lich einen Ort zu suchen, wo er die Hütte sei, sondern das Feuer.19 Eine oriediskurs aus vielerlei Gründen eine seßhaft werden konnte. Inmitten Gruppe urzeitlicher Jäger kam einstmals umfassende konzeptuelle Neurahmung, der ziellosen Wanderschaft des auf eine Lichtung, auf der Äste lagen. Sie der sich schlußendlich auch der Architek- vorgeschichtlichen Menschen wa- mussten sich entscheiden, was sie damit turtheoretiker Reyner Banham annahm. ren die Toten die ersten, die dau- tun sollten, entweder eine Hütte bauen Gepaart mit einer umfassenden Kritik an ernde Wohnung fanden; eine Höh- oder ein Feuer machen. Sie beschlos- den vorherrschenden Denkschulen der le, ein mit Steinen geschmückter sen, ein Feuer zu machen. Das sei der architektonischen Moderne und seinen Erdhügel oder ein Sammelgrab. Ursprung von Architektur, so Abraham: es berühmten Vertretern formte Banham Das waren Wahrzeichen, zu ist nicht das Gebäude, das die Architektur aus dem Begriff des environments für denen die Lebenden vermutlich bestimmt, sondern das Ereignis.20 die Architektur eine „neu Perspektive auf von Zeit zu Zeit zurückkehrten, um Banhams Theorie wird von Abraham den technisch durchdrungenen Raum mit den Geistern der Vorfahren - wahrscheinlich hauptsächlich aufgrund und sein Verhältnis zum Umgebenen.“23 Umgang zu pflegen oder sie zu der Tatsache, dass sie einem Nebensatz In seinem Text sagte Banham nämlich besänftigen (...) Die Totenstadt ist eines Interviews entnommen wurde - sehr nichts anderes, als dass Architektur bzw. älter als die Stadt der Lebenden. verkürzt dargestellt und kommt in seiner ein Gebäude, seine/ihre Funktionen auf Ja, (...) die Totenstadt [ist] ... der Essenz nicht zwingend zu dem selben unterschiedlichste Art erfüllen kann, wir Vorläufer oder gar der Kern der Schluss wie ursprünglich von Banham aber in der Herstellung von Häusern seit lebendigen Stadt.“18 veranschlagt. Denn die Verwendung jeher den Fehler begehen, uns nahe- des Begriff des Ereignisses kann bei zu ausschließlich auf eine sogenannte Aufgrund dieser Feststellung will ich näherer Betrachtung irreführend sein; strukturelle Lösung24 zu konzentrieren. verstehen, welches konstitutive Element Banham spricht nämlich in seinem 1969 Banham unterscheidet explizit zwischen der Tod für die Architektur darstellt. Ich erschienenen Buch The Architecture of einer strukturellen und einer energeti- will nachforschen und ebenso umgekehrt the Well-Tempered Environment viel- schen Lösung in der Architektur, er führt fragen: Ist in Wahrheit nicht die Architek- mehr vom Konzept, oder besser, von dabei das eingangs erwähnte Beispiel tur ein Ereignis des Todes? der Produktion von (power-operated) prähistorischer Menschen an, die vor der environments21 als vom Ereignis des Entscheidung standen, mit dem gefunde- Feuermachens.22 Nichtsdestotrotz stellt nen Holz Feuer zu machen oder ein Zelt sich mir hier die Frage, was uns Abraham zu bauen. Die strukturelle Lösung wäre mit dieser Verknüpfung von Ereignis, in dem Fall ein Zelt aus Holz und einem Feuer und Architektur eigentlich sagen Stück Fell als Abschirmung gegen Wind wollte? Was meinte er damit: das Ereignis und Regen. Die energetische Lösung bestimmt die Architektur, und nicht das wiederum wäre das Feuer, als Schutz vor Gebäude? Zweierlei Sachen sind hier nun der Kälte und als Quelle für Licht. Beides relevant, die es gilt näher zu betrachten: sind Techniken, die wir Menschen uns Zuallererst müssen wir uns anschauen, im Laufe der Zeit angeeignet haben um was der britische Architekturtheoretiker daraus Architektur zu erschaffen, “[b]eide Reyner Banham, auf dessen Theorie sich Optionen, die strukturelle und die energe- Abraham ja bezieht, mit seiner Beschrei- tische, sind Anpassungen an das äußere bung des Feuers bzw. des environments environment durch Modifizierung des überhaupt meinte, um dann weiters inneren environment. Schon das Tragen verstehen zu können, worin eigentlich der Unterschied zwischen einer Architektur des Ereignisses und einem normalen, sta- tischen Gebäude liegen könnte? 7
eines Pelzes ist für Banham eine architek- In der klassischen architektonischen jeher steckt, seinen Anfang. Von einem tonische Geste (…).“25 Das bedeutet, Analyse von Häusern gibt es für Ban- konservativen Standpunkt aus betrachtet, würden wir Architektur von vornherein als ham nicht nur eine unsinnige und nicht könnte man auch der Theorie folgen, das technisch durchdrungen wahrnehmen, nachvollziehbare Trennung zwischen es bei der Entstehung des Hauses einen wäre Architektur weit mehr als massive der Konstruktion (strukturelle Lösung) sogenannten Urstoff gab, z.B. das Holz, Gebäudekomplexe. und der technischen Gebäudeausrüs- dass mittels menschlicher Arbeit in Form tung (energetischen Lösung)27, sondern gebracht wurde. Das käme dann der „Die biologischen und kulturellen es wird laut ihm auch unweigerlich klar, Urhüttentheorie von Laugier29 bzw. Vitruv Bedürfnisse können (...) allein dass zweiteres in der Architekturge- gleich, die eine rationale Begründung für durch Herstellung und Modifi- schichte überhaupt keinen Platz hatte: die Entstehung von Architektur liefern kation von environments erfüllt „The history of architecture (...) still deals wollten. Dieser linearen, simplifizierten werden. Will Architektur sich almost exclusively with the external forms Betrachtung von Architektur tritt Banham als Gestaltung von Lebensräu- of habitable volumes as revealed by the mit seiner Theorie jedoch entschieden men begreifen, müsse sie die structures that encloses them.“28 Dies ist entgegen. Technik ist für Banham nämlich technischen Möglichkeiten ihrer auch der Grund warum Banham in seiner „zutiefst in die Existenz des Menschen Zeit (...) ausspielen um environ- Herleitung soweit ausholt und bis zu eingelassen und erfordert, Architektur ments zu erzeugen, die gar nicht den Anfängen prähistorischer, architek- konzeptuell wie pragmatisch neu zu anders gedacht werden können tonischer Ursprünge zurückgeht. Denn definieren.“30 als technisch durchdrungen und genau dort nahm seiner Meinung nach reguliert.“26 das Dilemma, in dem die Architektur seit ursprung 8
Der Kniff, der wiederum dem Architek- wechselt, wenn unvorhergesehener Lärm Raum bzw. Struktur und somit einem ten Raimund Abraham in seiner Aussage den Unterricht des*der Lehrer*in stört und Verzicht von Architektur generell gleich- gelang - ob bewußt oder unbewußt sei die Menschen näher zusammenrücken komme, doch dem hielt er entgegen, dahingestellt - war jener, Banhams Theo- müssen, um besser hören zu können, dass, wie weiter oben schon erwähnt, rie des environments an das Ereignis zu wenn die unaufhörliche Bewegung der Gebäude ihre Funktionen auf viele Arten knüpfen. Er ordnet ihn damit nämlich in Planeten die Position der Sonne und erfüllen könnten.35 Banham sieht et- eine Theorietradition ein, die sich intensiv des Baumes zueinander in ein ewiges was Vorteilhaftes im nomadischen Sein mit einer anderen Grundsatzproblematik Schattenspiel verwandelt, und mal kühle, gegenüber dem Leben in geschlossenen auseinandersetzt, und zwar jener, in der mal heiße Orte produziert werden, all das Raumarchitekturen, so wie wir es kennen. sich Objekte wie Prozesse verhalten, und bestimmt die sogenannten environmental Und mit dieser These steht er nicht alleine nicht wie statische Gegenstände oder conditions. Und der Mensch hat mittels da: schon viele klassische Denker*innen Dinge. Dadurch eröffnet sich für die The- der Architektur die Macht sich von diesen vor ihm blickten sehnsuchtsvoll auf die orie Reyner Banhams nicht nur ein weite- Zwängen zu befreien: Offenheit und Ehrlichkeit nomadischer res, breites Spektrum in der Betrachtung, Strukturen zurück.36 sondern man könnte auch zu dem Schluß „Der menschliche Organismus Die Suche Banhams nach einem anderen gelangen, dass Banham vielen nach- sei (...) verschiedenen «immedi- Ursprung von Architektur hat m.M.n. vor folgenden Prozessen in Bezug auf den ate environments» ausgesetzt, allem den Grund, die Krisen, in die die sozialen Raum vorgreift. Banham geht in denen sein fragiler Körper nur Disziplin der Architektur immer wieder ab- nämlich davon aus, dass das Lagerfeuer überleben könne, weil er über zugleiten drohte, zu verstehen, und ihnen eines Nomadenstamms eine Umgebung «technical resources and social einen tieferen Sinn zu geben. Wie viele für soziale Aktivitäten schaffe und sie mit organisations» verfüge, mit denen andere Theoretiker*innen vor ihm kommt einem mächtigen Symbol markiert. Größe er aus den Kreisläufen der Natur auch er zu dem Schluß, dass unser heu- und Form des nützlichen Ambiente wer- ausbrechen und seine eigenen tiges Denken von Architektur, wie weiter den aber nicht durch irgendwelche Struk- herstellen könne. Architektur oben schon erwähnt, zu sehr auf die turen, sondern lediglich durch die Hitze ist demnach ein evolutionäres Kunst des Schaffens von geschlossenen des Feuers, die Windstärke und -richtung, Vermögen des Menschen, sein Räumen ausgelegt sei, und dadurch zu- die Physiologie der beteiligten Individuen environment zu produzieren und meist am Kern der eigentlichen Aufgabe und ihre Aktivitäten definiert.31 Das Ereig- sich von den äußeren Widrigkei- vorbeiziele. Sein Versuch, ein zusätzli- nis, so wie es Raimund Abraham beim ten loszusagen, um ihnen zugleich ches auf Basis der Technik beruhendes Feuer interpretiert hat, ist also die soziale begegnen zu können.“33 Fundament für die Architektur zu kreieren, Räumlichkeit, die bei der Zusammenkunft kann auch als Ausbruch aus den diskursi- zu einem bestimmten Zweck entsteht, der In allen großen Zivilisationen (zu- ven Zwickmühlen der Disziplin betrachtet zentrale Fokus auf eine bestimmte Sache, mindest in jenen, die nach derzeitigen werden. Auch wenn er grundsätzlich den z.B. ein Feuer, oder aber auch auf ein wissenschaftlichen Stand Bauwerke Begriff des Ereignisses nicht verwendet Wasserloch, einen schattigen Baum oder von sogenanntem architekturhistori- hat, so macht es durchaus Sinn, das eine*n große*n Lehrer*in.32 Das Ereignis- schem Wert in dieser Welt hinterlassen Feuer als ein ursprüngliches Ereignis der hafte dieses speziellen Raumes ist, dass haben) hat der Mensch einzig mit den Architektur in Betracht zu ziehen. Eine die Grenzen nicht im Vorhinein festgelegt Mitteln massiver Gebäudestrukturen auf weitere Frage, die sich hier in Bezug auf sind, sondern gezwungenermaßen immer äußere Widrigkeiten reagiert und dadurch das Ereignis bei Banham noch stellt ist wieder neu definiert werden müssen und versucht, seine environmental needs zu die, ob man bei seiner Interpretation von sich die Umgebung durch die verän- stillen, so Banham. Gesellschaften, die Gebäuden nicht auch von einer Architek- derten Verhältnisse immer wieder aufs diese massiven Gebäudestrukturen nicht tur als „Gesellschaftsmaschine“37 spre- Neue anpassen muss. Wenn der Wind zu Verfügung hatten, z.B. urzeitliche No- chen sollte, die sich zwischen zwei Polen, ins Feuer bläst und plötzlich die Richtung maden, besaßen nicht nur ein erweitertes der strukturellen und der technischen räumliches Verständnis, sondern hatten Lösung, organisiert? Anders gefragt, auch vielfältige kulturelle Antworten auf müssten wir mit Banham nicht nach dem die Fragen des environments.34 Kritiker Unterschied zwischen einer „konkreten behaupten zwar, dass Banhams Vorstel- und abstrakten Maschine“ in der Architek- lung von Architektur einem Verzicht von tur suchen? Der Ereignisphilosoph Gilles Deleuze hat das im Hinblick auf Foucaults Machtanalyse so formuliert: 9
„Während die konkrete Maschine Banham nahm mit seiner These zu mit einiger zeitlicher Verzögerung auch die Anordnung von Elementen seiner Zeit zweifellos eine singuläre Po- seinen Weg in die Architektur fand. Der oder Körpern im Raum und in sition im architektonischen Diskurs ein,42 Raum wird hier nicht mehr als Behäl- der Zeit steuert, ist die „abstrakte und seine Art über Architektur zu denken ter aufgefasst, indem sich Menschen, Maschine“ (oder das informelle wurde durchaus stark kritisiert. Schauen Gruppen oder Kulturen versammeln und Diagramm) koextensiv zum sozi- wir uns vielleicht deshalb im Detail noch- organisieren, vielmehr wird der Raum als alen Feld überhaupt und besetzt mal den wahrscheinlich größten Vorwurf Zusammensetzung und Ergebnis sozialer jenen „Nicht Ort“, der die grundle- an, dem sich Banham gegenüber sah, Beziehungen und Kämpfe wahrgenom- gende Instabilität von Funktionen, wenn seine Kritiker*innen behaupteten, men. Banham blieb in seiner Theorie Kräfteverhältnissen und Materien er würde Architektur generell abschaffen zwar mehr in einer technologisch-strukt- versammelt.“38 wollen, weil er auf Raum und Struktur ruellen Debatte verhaftet, nichtsdestotrotz verzichtete. Dabei übersahen sie, dass könnte man auch sagen, Banhams 1969 Übersetzt hieße das im Falle Ban- es Banhams größte Leistung war zu verfasster Text greift einem radikalen hams, dass das Haus als konkrete erkennen, dass die Voraussetzung von Wandel vor, der sich ein paar Jahre spä- Maschine als Objekt angesehen werden Architektur nicht in der Materialität des ter ereignen sollte. kann, in dem sich die abstrakte Ma- gebauten Raums zu finden ist, sondern Raum ist neben der Zeit auch eine der schine, z.B. das virtuelle Ereignis des ihr Ursprung immer der ereignishafte Dimensionen die es in Bezug auf unsere Feuermachens in einer konkreten Form Raum ist. Das ist insofern interessant, Forschungsfrage zu entschlüsseln gilt. aktualisiert. Der Raum ist, wie Bahnham weil sich dadurch ein Problem auftat, Die Diskussionen, die sich um diesen sagt, immer schon „technisch durchdrun- welches die Architektur so nicht wirklich Begriff drehen sind vielfältig und wider- gen“ und setzt sich nur immer wieder in kannte, eben dass dieser Raum, von dem sprüchlich, und es ist durchaus möglich, ein „Verhältnis zum Umgebenden“, d.h. Banham sprach, nicht unmittelbar dar- dass wir zu keinem kohärenten, allge- „[w]ährend eine abstrakte Maschine (...) stellbar war bzw. darstellbar sein musste. mein gültigen Ergebnis kommen. Das ist nur virtuelle39 Beziehungen und Interak- Zumindest reichten die herkömmlichen aber insofern irrelevant, weil die Suche tionsfelder umschließt, erweist sich eine Mittel einer konservativen Architekturtradi- nach dem Raum durch die Koppelung konkrete Maschine (...) als Aktionsraum tion nicht aus. Auch heute noch ist dieses an das Ereignis zwingend neue Sphären ihrer Wirkungen und Lösungen.“40 Genau Rätsel nicht gelöst, wenn wir auf das Bei- eröffnet und ich alleine schon deshalb das ist es, was Banham mit seinem Buch spiel des Architekten Marcos Novak und keinen Anspruch auf Vollständigkeit einer lt. Florian Sprenger eigentlich auch tat: seiner unsichtbaren Architektur verwei- Begriffsdefinition erheben kann, weil der Banham liefert „eine noch heute - und sen.43 Uns fällt es zwar insofern leichter, Anspruch an das Denken darüber von vielleicht gerade heute - bedenkenswerte Banhams räumliche Interpretation, in der vornherein mit einem gewissen Hang Geschichte und Theorie der Architektur „Häuser eher Systeme als Organismen, zum Provisorium behaftet ist. Es sollte als Maschine, der Maschine als environ- also Relationen von environments und vielmehr darum gehen, Raum als „eine ment und des environment als Architek- den Menschen, die in ihnen leben,“44 sind, der Achsen entlang derer wir die Welt tur.“41 zu verstehen, weil wir mittlerweile über erfahren und konzeptualisieren“46 zu ein verhältnismäßig breites Spektrum verstehen, um daraus Rückschlüsse für unterschiedlicher, auch neuer Theorien zu einen kritischen Blick auf unsere gebaute dem Thema verfügen. Umwelt zu erlangen. Nicht nur im Bereich des Ereignisses, auch im Bezug auf den Raum, der ja in einem direkten Verhältnis zum Ereignis gedacht werden muß, gab es einen radikalen Wandel. In den Kultur- und Sozialwissenschaften beispielsweise nannte man diese neue Hinwendung zum geografischen bzw. gebauten Raum den sogenannten Spatial Turn45, der 10
fluß „Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume macht mich und auch beantwortet. Andererseits ist es immer wer da war. Und diejenigen, die Schaudern.“ insofern bemerkenswert, weil der Autor vor uns da waren, sind zwar mittlerweile Thomas Bernhard47 mit diesem Buch eine Art Psychogramm tot, aber sie hinterlassen etwas, das uns für die Architektur bereitstellt, das u.a. zwingt, es aufzubewahren, aufzuheben, raumzeit aus den Tiefen der (architektonischen) oder zu verbergen, auch wenn es nur ein Der Kulturphilosoph und Romanist Robert Grundlagen des Todes ein völlig neues Körper ist. Und dafür sollten wir dank- Harrison verfasste 2003 ein Buch mit dem Bild für die Architekturgeschichte zeichnet bar sein, das bietet uns die Erde an, so Titel Die Herrschaft des Todes, welches und daraus explizite Forderungen an die Harrison, es ist neben dem Leben eine irritierenderweise nicht originalgetreu mit Architektur der heutigen Zeit ableitet. der Segnungen des Planeten, dass eine Die Herrschaft der Toten (dominion of Harrison geht u.a. davon aus, dass der Bestattung der Toten möglich ist.49 Kultur the dead) übersetzt wurde, was mei- Tod der Beginn von Kultur (Zivilisation) ist für ihn deshalb nichts anderes, als der ner Meinung nach passender gewesen schlechthin ist und wir als Menschen „kondensierte Restbestand dieser Verewi- wäre. Leider fand dieses Buch bisher, sprichwörtlich „Kinder des Todes“48 seien. gung“, eine aktive, lebendige Erinnerung laut meiner Recherche, kaum Einklang Eine seiner Thesen ist, dass vor uns eben an die Toten.50 in den architektonischen Diskurs. Das nicht nichts war, sondern vor uns schon ist bedauerlich, da es einerseits viele kritische Fragen an die Disziplin formuliert 11
„Wenn Mensch zu sein heißt, „Die Zeit ist nichts anderes, als die und die Elemente des Chaos beinhaltet. daß wir unsere Sterblichkeit in Form des inneren Sinns, d.i. des Jedes Ding oder Objekt schließt eine Geschichte übersetzen (...) dann Anschauens unserer selbst und vier-dimensionale Raum-Zeit ein. Aus könnte man sagen, daß das Ethos unseres inneren Zustandes. ... Die naturwissenschaftlicher bzw. physikali- oder der Wohnort der Menschheit Zeit ist die formale Bedingung a scher Sicht könnten wir sagen, dass wir die sterbliche Zeit bleibt, die wir priori aller Erscheinungen über- seit Einsteins Relativitätstheorie eigentlich in geschichtliche Zeitspannen haupt. Der Raum, als die reine nicht mehr anders über Raum denken verwandeln, welche selbst radikal Form aller äußeren Anschauung können, als in der Form, oder der mathe- endlich sind. Wir sind in unserer ist als Bedingung a priori bloß auf matischen Struktur einer vier-dimensiona- Seinsweise ganz und gar zeitlich, äußere Erscheinungen einge- len Raumzeit, in der der dreidimensionale das heißt endlich.“51 schränkt.“54 (euklidische) Raum mit der eindimensio- nalen Zeit verschränkt wird. Jedoch ist es Zeit ist neben dem Raum für Harrison Nun werden von mir zwar nur die vielfach „äußerst ungewiss, ob Parallelen eine Kategorie, die es gilt, vorab zu klä- ausgewählten Zitate von Harrison in zwischen der Physik und den Sozialwis- ren. Er zitiert deshalb u.a. Immanuel Kant Bezug auf Kants Verständnis von Raum senschaften gezogen werden sollten,“56 und dessen Anschauungen von Raum und Zeit wiedergegeben, doch neigt man zwar muss einerseits die wechselseitige und Zeit und fasst dies folgendermaßen in Anbetracht einer von der Geographin Beziehung als fruchtbare Ergänzung zur zusammen: Doreen Massey († 2016) aufgeworfenen eigenen Anschauung wahrgenommen Notwendigkeit in einem „relationalen werden, andererseits kann dieses Wagnis „[U]nser Zugang zur Welt verläuft und interdependenten Verständnis von auch schiefgehen. Denn wenn Raumbe- über den zeitlichen Fluß des Raum/Zeit“ zu denken dazu, auf jene griffe der Gesellschaftstheorie mit dem menschlichen Bewusstseins. Das Sackgasse einer „konstruierten Dicho- abstrakten, physisch-materiellen Raum erklärt, weshalb selbst unsere tomie“ hinzuweisen. Die passiert, wenn gleichgesetzt werden, kann dies zu un- Wahrnehmung des Raumes ihrem ein Begriff positiv, der andere mit einem befriedigenden Übersetzungssituationen Wesen nach zeitlich und, so Mangel versehen wird. In Masseys 1992 führen. würde ich [Harrison] hinzufügen, verfassten Text mit dem Titel Politics and Das Spannende bei Massey ist, dass sterblich ist.“52 Space/Time fordert sie daher, als eine sie über die Dekonstruktion von Laclaus der ersten Theoretiker*innen überhaupt, Theorie zu Raum und Zeit, meiner Mei- Sterblich sein heißt also zeitlich sein, einen notwendigen Wechsel in der Be- nung nach, auch dessen Ereignisbegriff was weiters bedeutet, dass Endlichkeit trachtung von Raum und Zeit. Für sie sind angreift. Denn durch ihre (feministische) und Zeitlichkeit gleichgesetzt wird. Auch es nicht zwei getrennte, neben einander Forderung der Verschmelzung von Raum die Wahrnehmung des Raumes ist lt. existierende, distinktive Kategorien, die und Zeit in einem einzigen Ereignis, führt Harrison sterblich, d.h. wir können gar sich zwar gegenseitig bedingen, aber sie nicht nur einen neuen Ereignisbegriff nicht anders, als in sterbenden Räumen im Grunde genommen zwei Gegenpole in die räumliche Debatte ein, sie erhebt zu denken. Umgekehrt stellt sich hier nun darstellen, vielmehr verschmelzen Raum das Ereignis auch zum Politikum.57 In die Frage was passiert, wenn wir diese und Zeit für sie in einer Dimension. dem Kapitel Die Frage des Geschlechts Erkenntnis in die Negation kehren, wenn Massey startet in ihrer Arbeit mit einer schlussfolgert Massey, dass die Zu- Unendlichkeit gleich Unzeitlichkeit wäre, Kritik an der abstrakten, und wie sie sagt, schreibungen, mit denen sich die Begriffe ist dann Unendlichkeit auch Unräumlich- entpolitisierten Theoretisierung von Raum Raum und Zeit konfrontiert sehen, denen keit? Hier glaube ich ist es wichtig darauf und Zeit bei Ernesto Laclau und Frederic einer radikalen Differenzierung zwischen hinzuweisen, dass zwischen Raum und Jameson und „setzt dieser, ausgehend männlichen und weiblichen Kategorien der menschlichen Wahrnehmung von von marxistischer Geographie, femi- ähneln, und somit aus feministischer Sicht Raum ein großer Unterschied besteht; nistischer Kritik und moderner Physik“ gefährlich sind bzw. es wichtig ist, dies z.B. ist für Kant die Wahrnehmung des eben, wie weiter oben schon erwähnt, systematisch zu erkennen und zu benen- Raumes ihrem Wesen nach vollkommen „ein relationales und interdependentes nen.58 Folglich, wenn Laclau behauptet zeitlich,53 was wiederum nicht automa- Verständnis von Raum/Zeit entgegen.“55 „Zeitlichkeit muss als das genaue Gegen- tisch heißt, dass der Raum zeitlich ist: Kurz gesagt, sie propagiert eine alter- teil von Raum wahrgenommen werden,“59 native Raumvorstellung, ein Denken in schließt sie daraus, dass in der oppositi- dem Begriff der Raum-Zeit. Raum sollte onellen Gegenüberstellung dieser beiden dabei als eine Konstruktion von Wechsel- Begriffspaare etwas Problematisches zum beziehungen aufgefasst werden, wo das Räumliche die Elemente der Ordnung 12
Vorschein kommt und dies „ein Hindernis anderseits aber auch Elemente des auch dem Ereignis) zuschreibt. Er sieht sowohl zum Verständnis als auch zur Chaos, d.h. zum Einen besitzt der Raum in dessen Natur nicht nur eine „Dynamik, Veränderung der Welt“60 darstellt. Gerade eine „erklärbare“ Struktur, andererseits ist welche die festgelegten Begriffe jedes wenn einer der beiden Begriffe positiv er ein scheinbar willkürliches „Ergebnis Systems unterbricht,“66 sondern auch besetzt und der andere mit einem Mangel zufälliger Verknüpfungen, unbeabsich- das reine Ereignis bzw. die reine Tem- versehen wird kommt das ganze Problem tigter Trennungen und oft paradoxer poralität.67 Diese (revolutionäre) Kraft dieser künstlichen Zweiteilung von männ- räumlicher Anordnungen.“63 Eine „reine“ des (unerwarteten) Bruchs, die „jedem lich und weiblich zum Vorschein: Räumlichkeit, d.h. eine Struktur, in der System“ und seinen eingeschriebenen nur erklärbare Ordnung herrscht, gibt es Routinen widerfahren kann, könnte man „Wieder und wieder wird Zeit somit nicht. Hier stellt sich nun die Frage, auch als eine der grundlegendsten Defi- durch Dinge wie Veränderung, wenn eine Disziplin wie die Architektur, nitionen des Ereignisses verwenden. Nun Bewegung, Geschichte, Dynamik sich ausschließlich auf die Ordnung der kann das Ereignis in Laclaus Definition definiert, während der im Ver- Elemente konzentrieren würde, hätte sie nicht räumlich sein, weil „jeder Versuch gleich dazu recht lahme Raum nicht von vornherein ein grundlegend-de- Zeitlichkeit zu verräumlichen letzlich als die Abwesenheit dieser Dinge fizitäres Raumverständnis? Und wäre scheitert und der Raum selbst reines definiert wird (...) Wenn es bei somit die Forderung eines erweiterten Ereignis wird.“68 D.h. „Räumlichkeit ist in Laclau in einem formalen Sinne Verständnisses von Raum und Architektur diesem Sinne unmöglich.“69 Das Ereignis auch das Räumliche ist, wel- nicht nur wünschenswert sondern auch nach Laclau ist, folgt man der Definition ches das Vollständige ist, und zwingend erforderlich? von Dislokation, Freiheit, Möglichkeit und das Zeitliche, das durch Mangel Zeitlichkeit, eine Position die für Massey markiert ist (die Abwesenheit von „Raum ist nur über die Zeit und zumindest fragwürdig ist. Wir müssen Repräsentation, die Unmöglich- Zeit nur über den Raum zu uns nun hier die Frage stellen, was es keit von Schließung), verbindet begreifen. Aufgrund ihrer konse- für das Ereignis bedeuten würde, wenn der Aufbau des [Laclaus] ganzen kutiven Verlaufsform werden Zeit es nur zeitlich wäre? Kann ein Ereignis Arguments in Wirklichkeit Raum und Raum beide erst durch die reine Zeitlichkeit sein? Was passiert wenn mit Negativität und Abwesenheit. Unterscheidung und Abfolge von die Verräumlichung (Hegemonialisie- Denn Zeitlichkeit muss als das Zeitstellen und Ortsstellen erlebt, rung) eines Ereignisses ausschließlich genaue Gegenteil von Raum zwischen denen sich der jeweilige zeitlich wäre, d.h. nur in der Geschichte wahrgenommen werden. Die Raum, das Ereignis, die Situation passieren kann? Könnte man nun, wie ´Verräumlichung´ eines Ereignis- aufspannt (...) Als Ereignis aufge- eingangs erwähnt, innerhalb von Doreen ses bedeutet die Aufhebung von fasst, konstituiert sich Architektur Masseys Kritik an der Raumvorstellung dessen Zeitlichkeit.“61 in ihrem räumlich-zeitlichen Ver- von Laclau, auch eine falsche Interpretati- lauf aus dem Zusammenwirken on Laclaus über das Ereignis lesen? Bzw. Wenn also Laclau einen grundlegenden vielfältiger Einflüsse, seperater stellt sich mir hier dann die Frage, welche Fehler darin begeht, Raum und Zeit zu Entwicklungslinien und komplexer Räumlichkeit bzw. Zeitlichkeit besitzt das trennen und nicht wie von Massey vor- Prozesse.“64 Ereignis dann überhaupt? geschlagen, als ein miteinander verbun- Der Philosoph Joseph Vogl,70 der das denes Element zu betrachten, kann auch Ein anderes Beispiel für einen Begriff, Ereignis von Deleuze‘ anhand von vier die Verräumlichung des Ereignisses nicht der gerne (ausschließlich) mit Zeitlichkeit Thesen zur Diskussion stellt, schreibt: die Aufhebung dessen Zeitlichkeit sein. bzw. Zeit in Verbindung gebracht wird, Vielmehr durchdringen sich Raum und ist der Begriff der Geschichte. Auch bei „Man könnte also sagen: das Zeit, und weder ist der Raum statisch, Laclau ist dies lt. Massey der Fall. Er Ereignis aktualisiert sich zwar in noch ist die Zeit raumlos, „keines kann in sieht den Raum bzw. das Räumliche Dingen und Sachverhalten, in Akti- Abwesenheit von einander konzeptuali- in der „geschlossenen, zyklischen Zeit onen und Passionen, es springt in siert werden.“62 Massey betont mehrmals, der einfachen Reproduktion“ und das Raum und Zeit und erhält darum dass diese Art (der Vier-Dimensionalität) Zeitliche bzw. die Zeit in der „entgrenzten, Ort, Datum und symbolischen über Raum nachzudenken, viel schwieri- sich verändernden Geschichte, selbst Wert; es selbst aber zeichnet sich ger ist als es zunächst scheint. Denn der wenn sich letztere nicht zwangsläufig als - in seiner Virtualität - durch eine Raum, den wir uns vorstellen müssen, Fortschrittsbewegung darstellt.“65 Laclau ganz andere Räumlichkeit, durch enthält einerseits Elemente der Ordnung, arbeitet hier mit dem Begriff der Dislokati- eine ganz andere Zeitlichkeit on (dislocation), den er als Antithese zum aus.“71 Räumlichen ausschließlich der Zeit (aber 13
Vogl kommt zu dem Schluss, dass in einer Disziplin, die viel eher mit dem er sie an die Fragenden hätte das Ereignis nach Deleuze nur in einer Raum assoziiert wird, als es bei der richten können. Schließlich jedoch spezifischen Zwischen-Zeit und einem Literatur der Fall ist. Verhältnismäßig kommt die wichtigste Frage, spezifischen Zwischen-Raum existiert, früh finden sich auch hier Versuche, das und obwohl er sich bemüht, sie wobei der Raum unausgedehnt, d.h. Ereignis räumlich (und zeitlich) zu fassen. zu beantworten, ist es ihm nicht prä-extensiv ist und als Ensemble von Das Ereignis hat zwar einen etwas ande- möglich. Die Stärkeren lassen unverbundenen Singularitäten, von virtu- ren Stellenwert, jedoch, wiederum ähnlich ihm die Zeit zwischen der elften ellen Beziehungen beschrieben werden der Architektur, wurde auch hier versucht, und der dreizehnten Stunde, dann muss.72 Der Raum besitzt sozusagen eine eine praktisch-anwendbare Übersetzung beschließen sie, die Frage als „Qualität“ der Ungewissheit: „Es wird sich des Ereignisbegriffs zu konstruieren.77 unbeantwortet zu erklären. Sie hier mit Sicherheit nichts oder etwas oder Auch kann ein Text für sich allein schon schicken ihn zur Lösung seines dieses oder jenes ereignen.“73 Die Zeit- ein Ereignis sein. Problems in ein anderes Stock- lichkeit des Ereignisses wiederum folgt Bei meiner Auswahl eines literari- werk. Sie haben ihm eine Türnum- nicht unserer gängigen Vorstellung eines schen Texts, um wieder auf die raum-zeit- mer gesagt, die er nun sucht. Er chronologischen, linearen Ablaufs, „[v]iel lichen Zusammenhänge vom Ereignis sucht stundenlang, und wenn er eher gilt hier eine augustinische Zeit, in zurückzukommen, handelt sich um eine vor Müdigkeit zusammenbricht, der das Vergangene, das Gegenwärtige Erzählung von Thomas Bernhard aus beginnt er wieder zu suchen; denn und das Zukünftige simultan gegen- dem Buch Ereignisse, in dem der Autor es gibt für ihn keine andere Wahl wärtig sind.“74 Das heißt, ein Ereignis das Scheitern eines Menschen anhand ei- als die Türnummer zu suchen. ist einerseits zeitlich gleichermaßen in ner glücklosen Suche nach einer Antwort Schließlich wird er ohnmächtig. Er alle Richtungen aktiv, andererseits ist es beschreibt. Der Ort bzw. die Architektur erwacht, setzt die Suche nach der auch stets eine „tote Zeit, dort wo nichts spielt in dem Text eine gewichtige Rolle Türnummer fort. Jetzt ist er schon geschieht, ein unendliches Warten, das und scheint chronologisch mit der un- im vierunddreißigsten Stockwerk, bereits unendlich vergangenen ist.“75 überwindbaren Herausforderung mitzu- und er hat die Türnummer noch Um aus dieser abstrakten Konstrukti- wachsen. Das raum-zeitliche Gefüge geht nicht gefunden. Die Gänge sind on einer Definition von Raum und Zeit des dabei in einem nahezu ewig wachsenden lang. An einem nicht zu bestim- Ereignisses eine Übersetzung zu finden, Raum auf, bis am Ende ein riesenhaftes menden Punkt münden sie in die schauen wir uns vielleicht ein Beispiel aus Haus, mit unzählig vielen Geschoßen und Finsternis. So braucht er Tage, der Literatur an, das uns helfen soll zu unendlich langen, finsteren Gängen, in um bis zum neunundsechzigsten erklären, was damit gemeint sein könnte. einer nicht mehr greifbaren, ausgedehn- Stockwerk zu gelangen. Aber Gerade in der Literatur wurde, durch- ten, zeitlichen Atmosphäre übrigbleibt und auch im siebzigsten und im fünf- aus ähnlich stark wie in der Architektur, der Protagonist schlußendlich auch, so undsiebzigsten Stockwerk findet anhand von Raumkonzeptionen, Struktur hat man zumindest das Gefühl, jeglichen er die Türnummer nicht, obwohl, je und Inhalt der Texte auf verschiedene Bezug zur Realität verloren hat: weiter er in die Höhe emporsteigt, Arten diskutiert: „Die Raumdarstellung die Aussicht, die Türnummer zu bildet eine der grundlegenden Komponen- „Stärkere befehlen ihm, einen finden, immer größer wird. Jede ten der (fiktionalen) Wirklichkeitserschlie- längeren Abschnitt in einem Buch Tür kann die gesuchte Nummer ßung. Kulturelle Normen und Wertehier- zu lesen, den er nicht verstehen bringen. Er entledigt sich seiner archien finden im literarischen Raum eine kann, weil er sich mit dem, was Kleider, um rascher vorwärts zu konkrete anschauliche Form; umgekehrt der Abschnitt besagt, nicht aus- kommen. Er legt sich eine Metho- haben literarische Räume maßgeblichen einandergesetzt hat. Und obwohl de zurecht, die es ihm ermöglicht, Anteil an der Aushandlung kultureller sie ihm immer wieder sagen, daß zwei oder gar drei Türnummern Raumordnungen.“76 Auf die literarische der Inhalt des Abschnittes einfach auf einmal überblicken zu können. Räumlichkeit näher einzugehen würde ist und er ihn deshalb verstehen Die Einbildung, daß er ständig den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, müsse, kann er mit dem darin Rauschgift zu sich nimmt, verleiht doch es ist durchaus interessant, welche Vorgetragenen nichts anfangen. ihm zwischen dem neunundneun- konzeptuellen Überschneidungen sich Daraufhin schicken sie ihn in ein zigsten und dem hundertzehnten hier disziplinübergreifend finden lassen. anderes Zimmer, wo er verschie- Stockwerk ungeahnte Kräfte. Im Literatur arbeitet, ebenso wie die Architek- dene Fragen zu beantworten hundertfünfzehnten Stockwerk tur mit konkreten, ästhetischen Stilmit- hat, was ihm leichtfällt; denn die bricht er zusammen. Aber eine teln, und raumgebende (Text-) Elemente Fragen sind so gestellt, daß auch Stimme, die sich als menschliche stehen hier genauso zu Diskussion wie 14
Stimme ausgibt, sagt ihm, daß Und die Zeit? Anfangs hat man bei etwas verändert. Der Anspruch, wohin zu dieses Gebäude nur noch vier der Geschichte von Thomas Bernhard gelangen, bleibt immer derselbe, selbst Stockwerke hat. Also rafft er sich zwar noch das Gefühl, dass die Zeit wenn man schlußendlich vergisst, was auf und legt die Strecke zurück. stetig wächst, sich chronologisch mit der man eigentlich wollte. Am Ende ist man Als er bei der letzten Türnummer Erfahrung des Protagonisten ausdehnt, dermaßen verstört, dass man aus Angst, angelangt ist, glaubt er, daß die doch eigentlich ist die Zeit relational mit sich selbst oder den anderen gegenüber Nummer, die ihm die Stärkeren dem Raum verschränkt. Man kann diese eine Niederlage einzugestehen, nicht gesagt haben, gar nicht existiert. Geschichte gar nicht in zwei Kategorien mehr in die Realität zurückkehren kann. In Wirklichkeit hat er sie verges- unterteilen, auf der einen Seite der Raum, Die Geschichte könnte somit für das sen. Aus Angst, die Stärkeren auf der anderen die Zeit, denn beide paradoxe Verhältnis des Ereignisses könnten ihn für verrückt halten, zusammen umschließen ein und dasselbe gegenüber herrschenden Verhältnissen bleibt er oben und versteckt sich (vierdimensionale) Raum-Zeit-Kontinu- stehen. Einerseits wissen wir, und das hinter einem Mistkübel. Dort wird um. Diese Raum-Zeit konstituiert sich ist auch eine grundsätzlicher Wesenszug er erst nach Monaten entdeckt.“78 in Abhängigkeit der Erfahrungen des des Ereignisses, dass es sich jegli- Protagonisten. Je mehr er an sich und der cher Kontrolle, der räumlichen wie der Nun könnte man viele Fragen an den Text Aufgabenstellung zweifelt, desto mehr zeitlichen, entzieht, es lässt sich auch stellen, denn der Inhalt wirft unweigerlich verliert er sich in den unheimlichen Sphä- nicht vom begrifflichen bzw. logischen viele Fragen auf, z.B. wer sind die Stär- ren der raumzeitlichen Zusammenhänge. Denken bändigen, anderseits wissen wir keren und warum sind sie stärker? Wieso Der Protagonist befindet sich inmitten aber auch, dass es Institutionen gibt, die können sie bestimmen, was es wert ist, eines Ereignisses, einer ereignishaften eigentlich nichts anderes machen, als ein zu wissen? Warum muß man dieses Raum-Zeit. Ereignis zu dirigieren, wie es z.B. in der Wissen unbedingt besitzen? Was erwartet Andererseits könnte man auch sagen, oben genannten Geschichte die Stärke- man sich von dieser Erkenntnis? Warum dass in der Geschichte ein Ereignis ren tun. Religiöse Institutionen besitzen ist dieses Wissen dermaßen wertvoll, steckt, welches schon lange vergangen diese Macht, sie sprechen von dem Ereig- dass man sich auf eine so lange, strapazi- ist. Es zeigt sich nur mehr in einer abge- nis der Auferstehung, der Reinkarnation öse Reise begibt? An welchem Ort findet wandelten, abstrakten Form. Ein Ereignis o.ä. Der Wunsch, diesem einen Ereignis die Handlung statt? Zu welchem Zweck ist passiert, wurde interpretiert und hat begegnen zu wollen, ist dermaßen mäch- wurde diese Architektur errichtet? Welche sich als mächtiges Wissen institutionali- tig, dass sich Menschen auf die unglaub- Rolle spielt die Architektur in dieser siert. Die Lehre von diesem Ereignis ist lichsten Reisen begeben. Dabei geht es Geschichte? ... usw. Meine Frage wäre das Einzige was übrigbleibt. Herrschend aber gar nicht darum, dem Ereignis selbst jedoch, worin eigentlich das Ereignishafte heißt hier womöglich, vom Ereignis zu zu begegnen, sondern sich lediglich eine in dem Text liegt? Ist das Ereignis hier die wissen, denn dann gehört man zu den Bestätigung über die Existenz des Ereig- absolute räumliche Ungewissheit? Um Stärkeren und kann anschaffen. Sie sind nisses zu holen. Der Vergleich hinkt viel- nochmal auf das Zitat von Vogl über das in der Geschichte nämlich diejenigen, leicht ein wenig, doch wenn wir uns das Ereignis bei Deleuze von vorhin zurückzu- die mit ihrem Wissen (über das Ereignis) ereignishafte Prinzip von Religionen unter kommen: „Es wird sich hier mit Sicherheit andere kontrollieren können. Ihre Sou- diesem Aspekt ansehen, dann fällt auf, nichts oder etwas oder dieses oder jenes veränität ist maßgebend, ihre Leitmotive dass der Wunsch, der suggeriert wird, ereignen?“73 Spiegelt der Inhalt der Ge- dienen der Konditionierung der Unwis- dem Ereignis zu begegnen, das ereig- schichte nicht genau diese Räumlichkeit senden. Es wird allen, die nicht wissen, nishafte Selbst ist. Wer will nicht wissen, wieder bzw. befindet sich der Protagonist suggeriert, dass sie wissen müssen. Ob ob er oder sie aufersteht? Wer will nicht nicht genau in dieser Zwischen-Räum- es jemals notwendig oder auch möglich wissen, wie der Himmel aussieht? Wer lichkeit? ist, zu diesem Wissen zu gelangen, ist will nicht wissen, wie es sich anfühlt, den Ein anderer Philosoph wiederum, Slavoj unwesentlich. Tatsache ist, ein Ereignis Körper gegen eine unsterbliche Seele zu Žižek, beschreibt den Raum eines Ereig- hat stattgefunden. Und Hauptsache ist, tauschen? Die Hoffnung ist die Sehnsucht nisses als denjenigen, „der vom Spalt zwi- der*die Unwissende macht sich auf den und der Wunsch nach Erleuchtung. Kann schen einem Effekt und seinen Ursachen Weg (der Weg ist das Ziel). Die Archi- das gut gehen? eröffnet wird.“79 In diesem Sinne erscheint tektur stellt hier ein kafkaeskes Haus das Ereignis somit als ein „Effekt der zur Verfügung, in dem man sich tage- seine Gründe zu übersteigen scheint,“80 lang bewegen, verirren, kollabieren und oder nicht? wieder aufwachen kann, in dem sich alles verändert, ohne dass sich grundsätzlich 15
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