Intervalle Arbeitskreis Musik in der Jugend 2017
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Inhaltsverzeichnis Editorial 1 Arbeitskreis Musik in der Jugend 2017 – 70 Jahre und noch lange nicht im Ruhestand 2 Träume | Dreams 18. EUROTREFF Wolfenbüttel 11 AMJ-Mitgliedschöre im Porträt: Cantemus Kinderchor Hamburg 22 Berichte aus der Kursarbeit Am Anfang war der Schrei Das 15. Leipziger Symposium zur Kinder- und Jugendstimme 24 Inspiration und Stärkung für den musikalischen Alltag Fortbildung für Kinder- und JugendchorleiterInnen 28 50 Jahre Chor- und Orchesterwoche Hinterschmiding 31 Einbeziehung von Alter Musik in die Kinderchorarbeit Interview mit Prof. Robert Göstl und Franz Vitzthum 34 Musik verbindet Deutsch-französische Orchesterfreizeit in Dinard 40 Eins sein im Rhythmus Kpanlogo Afrikanische Musik in Lichtenfels 42 Showtime Sing- und Performance-Workshop für Jugendliche 44 Ich bin gegen Intellektualität in der Musik – ich bin pro Gefühl! Interview mit Juan Garcia 46 Vorgestellt: Der AMJ-Landesverband Bayern 49 Wunderbare Eindrücke und große Herzlichkeit Der Kinderchor Augustana zu Besuch in Lettland 54 40 Jahre Kehrwieder-Kinderchor 56 Ziel: Paris Frankreich-Tournee der Ulmer Spatzen 58 Leidenschaft für das Singen – Der World Youth Choir 2017 Interview mit Mechthild Rommelspacher 61 AMJ-Mitgliedschöre im Porträt: Ensemble Vocapella Limburg 65 Informationen und Neuigkeiten 67
Editorial Liebe Mitglieder, liebe Freundinnen Verbänden, geht und Freunde des AMJ, ohne Uneigennüt- sehr geehrte Damen und Herren, zigkeit und Mitge- fühl gar nicht. So „Wer singt, hat keine Angst“ war jetzt in unse- gesehen, waren wir rer lokalen Tageszeitung ein Interview mit dem schon immer nahe renommierten Neurobiologen Gerald Hüther am Wesen des Men- überschrieben. Gerade vom Singen im Chor schen. Der AMJ, hält er besonders viel. Singen schult z. B. die gegründet 1947, ist Feinmotorik am Beispiel der Stimmbänder und in diesem Jahr 70 wirkt positiv auf die Entwicklung des Gehirns. geworden, reif, aber Das Wichtigste aber: „Das Gehirn ist ja nicht nur nicht müde. Sein zum Denken da. Kinder müssen auch lernen, Tun und Treiben sich in Gemeinschaften zurechtzufinden. Unser ist ohne ehrenamtliches Engagement heute Hirn kann sein Potenzial nur entfalten, wenn genauso wenig denkbar wie in den vergan- wir in Gemeinschaften sind. Und Gemein- genen Jahrzehnten seines Bestehens. Lore schaften funktionieren am besten, wenn Men- Auerbach, unsere Ehrenvorsitzende, blickt in schen in ihnen Raum haben, sich zu entfalten.“ diesem Heft auf die Geschichte zurück. Dafür seien Chöre „ein wunderbares Beispiel“. Seit dem Erscheinen des letzten Heftes liegt Evolutionär betrachtet habe der Mensch „das ein ereignisreiches Jahr hinter uns. Intern das Erfolgsmodell unserer Vorfahren auf die Spit- Wichtigste: Generalsekretärin Marleen Mützlaff ze getrieben: Wir erreichen etwas miteinan- hat den AMJ verlassen, um sich neuen beruf- der, ohne zu verschmelzen – jeder bleibt in lichen Zielen zuzuwenden. Der neue General seiner Einzigartigkeit erhalten.“ Zum Beispiel sekretär heißt Jörg Meder. Er hat seinen in der europäischen Tradition des Chorsingens Dienst im April angetreten. Er stellt sich auf im Zusammenspiel der Stimmgruppen, die S. 67 vor. Wir wünschen ihm und einigen wei- die unterschiedlichen Stimmlagen integrie- teren neuen Mitarbeiterinnen der Geschäfts ren. Und eben: Singen vertreibt Angst – schon stelle viel Glück zum guten Gelingen. Unge- durch die Körperhaltung: Kopf hoch, Rücken achtet der Wichtigkeit dieser Vorgänge hat der gerade, aber auch durch das Aufgehobensein AMJ natürlich sein praktisches Geschäft nicht in der freiwilligen Gemeinschaft. vernachlässigt. Wieder wurde ein umfangrei- Es ist ja immer schön, wenn die Wissenschaft ches Arbeitsprogramm in nationalen und inter- unserer persönlichen Erfahrung Recht gibt nationalen Kursen, Begegnungen und Fortbil- und die Erklärung dafür liefert. Das gilt für dungen erfolgreich realisiert. Darüber können Hüthers Erkenntnisse ebenso wie für neue- Sie, wie gewohnt, Berichte lesen. re Forschungsergebnisse der Wirtschaftswis- Ich bedanke mich für Ihr Interesse an der Arbeit senschaften. Darüber berichtet in der letzten des AMJ, wünsche Ihnen ein gutes restliches Oktober-Ausgabe die ZEIT unter der Über- Jahr 2017 sowie ein hervorragendes Jahr 2018. schrift „WIR statt Gier“. Was im Leben wird Seien Sie herzlichst gegrüßt. belohnt? Früher kannten die Ökonomen nur den Anreiz durch Geld. Inzwischen sind eini- ge klüger geworden. Auch Mitgefühl (Empa- Ihr thie) und Uneigennützigkeit (Altruismus) seien wesentliche Motive und Erfolgsfaktoren des Handelns. Das sei dem Menschen auch durch die Evolution mitgegeben. Ehrenamt, also auch das musikalische Treiben Dr. Karl Ermert in der Amateurmusik, ihren Vereinen und ihren Bundesvorsitzender 1
70 Jahre Arbeitskreis Musik in der Jugend Arbeitskreis Musik auf der Gegenseite waren nicht minder groß. Walter Vorwerk knüpfte für uns viele neue in der Jugend 2017 – Beziehungen und wurde ein guter Berater, 70 Jahre alt und noch lange Brückenbauer und nicht zuletzt ein lieber Freund. nicht im Ruhestand 1996 fand die erste Internationale Jugendkam- Von Lore Auerbach merchor-Begegnung auf der Insel Usedom statt, die im zweijährigen Turnus 2016 bereits 1997 feierte der Arbeitskreis Musik in der zum 11. Mal durchgeführt wurde – auf einer Jugend sein 50-jähriges Bestehen. Die 1990er Insel, der der Ruf der Fremdenfeindlichkeit Jahre waren gute Jahre für die Kulturarbeit – anhaftet, auf der die Jugendchöre von Spanien die Wiedervereinigung Deutschlands hatte bis Russland aber immer herzlich willkommen neue Perspektiven eröffnet. Unser kleiner Ver- geheißen werden. band erhielt viele neue Impulse. Unser Interes- Und die Woche „Auf den Spuren von Johann se richtete sich auf den für viele von uns unbe- Sebastian Bach“ unter der Leitung von Andreas kannten Osten Deutschlands, nicht, um dort zu Göpfert, in der die TeilnehmerInnen von Leip- „helfen“, sondern um Neues kennen zu lernen zig aus Wirkungsstätten von Bach besuchten und Partner auf Augenhöhe zu gewinnen. Und und abends unter qualifizierter Leitung Chor- für die neuen Freunde aus dem Osten waren werke von Bach einstudierten, traf die Neugier wir der unbekannte Westen. Gute Chorleiter der „Wessis“ so genau, dass sie jahrelang schon aus den „Neuen Ländern“ schlossen sich dem wenige Tage nach Erscheinen des Kurspro- AMJ an: Andreas Göpfert von den Hallenser gramms ausgebucht war. Madrigalisten, später dann Professor für Chor- Die Euphorie und die erstaunlich großzügig leitung an der Musikhochschule Saarbrücken, fließenden Gelder für den nun innerdeutschen Kersten Lachmann, Uwe Moratzky, um nur eini- Austausch machten damals manches möglich, ge zu nennen. Sie führten uns ein in das Werk um das heute wieder gekämpft werden muss. vieler zeitgenössischer Komponisten der vor- maligen DDR, deren Vertonungen politischer Schwerpunkt Singen Propagandatexte nur den geringsten (und Wie sollte es nun in den nächsten Dekaden unbedeutendsten) Teil ihres Schaffens ausge- des AMJ weitergehen? In den 50 Jahren seines macht hatten. Die Neugier und das Erstaunen Bestehens war der AMJ den Weg vom Musikan- 2
70 Jahre Arbeitskreis Musik in der Jugend Festkonzert in Hamburg anlässlich des 50-jährigen und daher nur eine klein besetzte Geschäfts- AMJ-Jubiläums stelle zu haben. Dafür aber gab es immer ideen reiche Vorstände (die oft die Möglichkeiten der tentum („Musikantengilde“ bis 1952, „Arbeits- Geschäftsstelle überforderten). kreis Junge Musik“ bis 1968) zum qualitativ Ohne dass die instrumentalen Anteile im Pro- anspruchsvollen Musizieren gegangen. Dieser gramm verschwanden, wurden aber bestim- Weg sollte weiter begangen werden. Von jeher mend für die nächsten Jahrzehnte die Themen hatte unser Verband unter der Tatsache gelit- „Singen mit Kindern“ und die Fortbildung von ten, klein zu sein, verhältnismäßig wenig Geld ChorleiterInnen auf allen Leistungsstufen. Die Diskussion der 60er Jahre um das Singen Fachtag Kinder.SINGEN.Lieder im März 2016. wirkte immer noch nach, so dass in den Schu- Ein weiterer Fachtag zum Thema „Singen mit Kindern“ findet len kaum gesungen wurde. Hier ging es darum, im November 2018 unter dem Titel „kinder.stimm(e).bildung“ in der Bundesakademie Wolfenbüttel statt. für das Problem zu sensibilisieren, LehrerInnen zum Singen mit Kindern zu ermutigen und sie dafür fortzubilden, aber auch Kindern direkt Angebote zum Singen zu machen. Das Singen mit Kindern durchzieht seit jeher das ganze Angebot des AMJ. Bei fast jedem Kursus wird gesungen, auch wenn das Sin- gen einmal nicht im Zentrum der Arbeit steht. 2016 wurde in Kooperation mit der Bundes- akademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel ein Fachtag „Kinder.SINGEN.Lieder“ durchge- führt speziell für Kräfte in Kindertagesstätten, Grundschulen und Kinderchören. Zur Vertie- fung und Ergänzung wurden im Jahrespro- gramm mehrere Anschlusskurse angeboten. Dieses Format wird in den kommenden Jahren fortgeführt und weiterentwickelt. So schön das Singen von Liedern ist – dabei sollte es nicht stehen bleiben. Das Ziel ist das 3
70 Jahre Arbeitskreis Musik in der Jugend Gerhart Roth und Christoph Utz beim Kurs „Hilfe, ich soll Maria Guinand aus Venezuela bei einem Internationalen dirigieren!“ für Dirigier-AnfängerInnen Meisterkurs für Chorleitung in Hannover (2010) gemeinschaftliche Singen im Chor. Im AMJ sind teilzunehmen. Volker Hempfling führt diesen ausgewiesene ChorleiterInnen und Schulmusi- Kurs jährlich durch, Frieder Bernius veranstalte- kerInnen aktiv. Der Deutsche Chorwettbewerb te einen in 1998, Anders Eby (Stockholm) 2008 hat gezeigt, dass sich unter den Gewinnern der und Frieder Bernius gemeinsam mit Maria Gui- ersten Preise, gemessen an der geringen Größe nand (Caracas) 2010. Bereits die passive Teil- unseres Verbandes, überdurchschnittlich viele nahme bringt großen Gewinn. AMJ-Chöre befinden. Darauf sind wir natürlich Viele Jahrzehnte führte die Stimmbildung stolz, aber wir sehen unsere Aufgabe vor allem generell ein Schattendasein in der Chorarbeit. darin, die vielen ChorleiterInnen, die (noch) 2017 fand nun schon zum 15. Mal das jährliche nicht mit Spitzenchören arbeiten, zu unter Leipziger Symposium zur Kinder- und Jugend- stützen und fortzubilden. Qualität auch in der stimme statt. An den immer um die 500 Teilneh- Breitenarbeit zu schaffen, ist ein wichtiges Ziel. merInnen wird deutlich, welcher Informations- und Lernbedarf auf diesem Gebiet besteht. Das Von den Anfängen bis zur Meisterschaft Symposium wird gemeinsam durchgeführt von Diese Weiterbildung fängt an mit „Hilfe, ich der HNO-Klinik des Universitätsklinikums Leip- soll dirigieren!“. Dieser Kurs von Gerhart Roth, zig, dem AMJ und der Hochschule für Musik früher Leiter des Kinderchors des Hessischen und Theater Leipzig. Leiter ist Prof. Dr. Michael Rundfunks, richtet sich vor allem an musik- Fuchs, Leiter der Sektion Phoniatrie und Audio- fachfremde LehrerInnen, die im Musikunter- logie (und ehemaliger Thomaner). richt eingesetzt sind. Er findet seit mehr als zehn Jahren teils mehrfach im Jahr statt und Extern und intern wird ungemindert nachgefragt – ein schönes Während TeilnehmerInnen zu diesen Angebo- Zeichen für die Fortbildungsbereitschaft päda ten anreisen (und möglicherweise Urlaub neh- gogischer Kräfte, aber eigentlich blamabel für men) müssen, gibt es seit einigen Jahren das die Situation an unseren Schulen. von Bine Becker-Beck initiierte Angebot des Am anderen Ende der Skala stehen Meisterkur- Chorcoachings am Ort. Hier können Chorlei- se für Chorleitung mit der Möglichkeit, aktiv terInnen und Chöre erfahrene ChorleiterInnen (als ChorleiterIn) oder passiv (als ChorsängerIn) anfordern, die sie bei ihrer Arbeit beobach- 4
70 Jahre Arbeitskreis Musik in der Jugend ten, beraten oder auch selber mit den Chören arbeiten. Bundesweit stehen erfahrene Chor- leiterInnen aller Chor-Genres für individuelle Coachingmaßnahmen zur Verfügung. In unse- rem ExpertInnen-Pool können AMJ-Mitglieder nach Bedarfslage oder Problemstellung einen Coach finden, der – möglichst in räumlicher Nähe – sogar eine regelmäßige Unterstützung und Prozessbegleitung erlaubt. Der AMJ ver- mittelt den Kontakt. Der ExpertInnen-Pool ist sehr groß – das Angebot wurde aber bisher noch nicht häufig in Anspruch genommen. Über die Gründe ließe sich spekulieren… Blick über den Tellerrand Wichtig ist es auch, Gelegenheit zu bekom- men zu sehen, wie es andere machen. Seit fast 40 Jahren bietet der AMJ internationale Henry Klausner, Nestor der israelischen Chorbewegung, Austauschprogramme für ChorleiterInnen an. war viele Jahre lang ein Motor und wichtiger Partner für den Schwerpunkt waren viele Jahre der Austausch Chor- und ChorleiterInnen-Austausch des AMJ mit Israel mit den USA (bis die dortige Verbandsführung Reisen ins Ausland nicht mehr fördern wollte) haben sich viele Freundschaften ergeben, die und Israel, aber auch mit Spanien, Ungarn und zu individuellen internationalen gegensei- Japan. In jüngerer Zeit besuchte 2008 eine tigen Besuchen über Jahre hinweg geführt Gruppe lettischer Kinder- und Jugendchor- haben. Obwohl das Interesse beiderseits groß leiterInnen Deutschland, der Gegenbesuch ist, hat allein die Arbeitsüberlastung der AMJ- fand 2009 statt. Aus all diesen Begegnungen Geschäftsstelle die Realisierung des seit 2010 immer wieder diskutierten neuerlichen Aus- EUROPA Cantat junior 2 in Wolfenbüttel (1999) tausches mit Israel verhindert. 5
70 Jahre Arbeitskreis Musik in der Jugend Helmuth Rilling mit Chor und Orchester bei ländischen Komponisten, die in Form einer Europa Cantat in Mainz (2006) Reading Session oder durch Aufführungen durch einen vorbereiteten Chor in ihre Werke Auch die Großveranstaltungen des AMJ bieten einführten, waren der informelle Erfahrungs- Gelegenheit, andere ChorleiterInnen bei der austausch und das Knüpfen von Kontakten Arbeit zu beobachten und neue Chorliteratur wichtiger Bestandteil dieser Treffen. Das letzte kennen zu lernen. Sowohl beim EUROTREFF in Januarwochenende mit den bundesweit zeit- Wolfenbüttel als auch bei der Internationalen gleichen kurzen Zeugnisferien war der ideale Jugendkammerchor-Begegung auf Usedom Zeitpunkt für diese Veranstaltung, die zeitwei- wird eine Study Tour angeboten. Begleitet se mehr als 100 BesucherInnen anzog. Als die von erfahrenen ChorleiterInnen können hier bisher genutzte Schule nicht mehr zur Ver- die TeilnehmerInnen Probenphasen beobach- fügung stand, konnte das Treffen nicht mehr ten und gemeinsam auswerten. Und auch die beiden vom AMJ mitgetragenen Großveran- Treffen des Chorleiter-Forums in Limburg (2011) staltungen der European Choral Association – Europa Cantat, EUROPA CANTAT junior 2 (Wol- fenbüttel, 1999) und EUROPA CANTAT (Mainz, 2006) boten viele Möglichkeiten für individuel- le Fortbildung. Austausch Wichtig ist der Kontakt und Austausch von ChorleiterInnen untereinander. Hierfür bot das Treffen des Chorleiter-Forums, das jähr- lich seit 1996 in Limburg durchgeführt wurde, eine beliebte Gelegenheit. Es war eine Nutzer- gemeinschaft zwischen dem Limburger Deut- schen Centrum für Chormusik (DCfC) und dem AMJ, an den es organisatorisch angegliedert war, stand aber auch Mitgliedern anderer Ver- bände offen. Neben ein oder zwei meist aus- 6
70 Jahre Arbeitskreis Musik in der Jugend im gewohnten Umfang stattfinden. Als der AMJ sich dann aus steuerrechtlichen Gründen zurückziehen musste, wurde eine Neukonzep- tion erforderlich. 2012 fand durch den AMJ in Verbindung mit dem Carus-Verlag ein Chorlei- ter-Treffen in Stuttgart statt, dann noch einmal 2015 in Stuttgart in Kooperation zwischen AMJ, Carus-Verlag und der Bachakademie. In Lim- burg führt das DCfC die Treffen weiter in redu- zierter Form durch. Die große Begegnungs- und Austauschplattform im Verband fehlt aber, und es gibt beim AMJ Überlegungen, wie man diese wieder schaffen könnte. Keine Angst vor Neuem Die meisten Chöre und ihre ChorleiterInnen scheuen die zeitgenössische Chorliteratur, weil ersten „Pärchen“ von KomponistIn und Kinder- sie ihnen zu schwierig erscheint. Hier sah der oder Jugendchor – nach Möglichkeit ein Partner AMJ die Möglichkeit Brücken zu bauen. Aus aus Westdeutschland, einer aus Ostdeutschland den Verbindungen zu israelischen Chören war – mit der Arbeit. Das Projekt „KomponistInnen die dort übliche enge Partnerschaft zwischen schreiben für Kinder- und Jugendchöre“ (im Chören und KomponistInnen bekannt, die Wer- Hausjargon „Kompkin“) war geboren. ke eigens für sie schrieben, in enger Zusam- Zum 50-jährigen Jubiläum des AMJ konnte menarbeit mit Chor und ChorleiterIn. Mit der 1997 das erste Uraufführungskonzert statt- deutschen Vereinigung fiel dem AMJ nun ein finden. In diesem Projekt kooperierten der ähnliches Projekt der DDR in den Schoß. Nach AMJ, der ConBrio-Verlag, der anschließend einem Kolloquium bereits 1995, das die Alfred- die Noten der Werke und die Erfahrungsbe- Toepfer-Stiftung förderte, starteten 1996 die richte veröffentlichte, und das Deutschland- Das internationale Kinder- und Jugendchorfestival EUROTREFF gibt es bereits seit 1983. Seit 1989 findet es regelmäßig mit bis zu 700 TeilnehmerInnen aus ganz Europa alle zwei Jahre in Wolfenbüttel statt. 7
70 Jahre Arbeitskreis Musik in der Jugend Die Internationale Jugendkammerchor-Begegnung feierte 2014 mit der bereits zehnten Ausgabe ein großes Jubiläum. Radio Kultur, das die Konzertaufnahme und als „Tage der neuen Chormusik“ in Aschaffen- die CD-Produktion ermöglichte und jedes Mal burg statt. Vorträge von Clytus Gottwald und eine einstündige Sendung ausstrahlte. Inter- Raimund Wippermann, die Mitwirkung von essierte ChorleiterInnen hatten nun die Mög- Chören wie „via nova“ aus München, dem Mäd- lichkeit, sich anhand der Noten und der CDs chenchor Hannover, dem Konzertchor Darm- mit den neuen Werken vertraut zu machen. stadt und dem Kammerchor Saarbrücken bele- Manche dieser Werke haben sich inzwischen gen, wie hochkarätig die Veranstaltung besetzt durchgesetzt, einige erscheinen sogar auf der war und wie anspruchsvoll das Programm, Literaturliste für den Deutschen Chorwettbe- von Probenbesuchen bei den mitwirkenden werb. 2005 fand das 9. und bisher letzte Urauf- Chören über Reading Sessions bis zu Nacht- führungskonzert statt. Nach der Beteiligung konzerten. Hier konnten sich unsere zum Teil von mehr als 40 KomponistInnen und Chören semiprofessionellen Spitzenchöre darstellen. war das Interesse erlahmt, auch die Finanzie- Gleichzeitig war diese Veranstaltung eine groß- rung wurde schwieriger. Vorarbeiten für eine artige Möglichkeit zur Fortbildung. Gesamtevaluierung des Projekts fanden durch So groß war der Erfolg, dass eine Fortsetzung umfangreiche Fragebogenerhebungen statt. für 2005 geplant wurde. Aus Rücksicht auf den Leider musste der Doktorand, der über das Pro- Deutschen Sängerbund (DSB), der für 2005 jekt promovieren wollte, aus privaten Gründen eine ähnliche Veranstaltung in Erfurt plante, aufgeben. verzichtete der AMJ. Man wollte dem DSB, der Ging es hier darum, die Jugend an die zeitge- damals noch Mitglied in der Arbeitsgemein- nössische Chormusik heranzuführen, so woll- schaft Deutscher Chorverbände (ADC) war, kei- te der AMJ auch seinen Spitzenchören, die ne Konkurrenz machen bei einem Thema, das sich alle dieser Musik widmeten, ein Angebot für alle gleich wichtig ist. Der AMJ plante nun machen. Bereits 1998 fanden erste Überlegun- die Fortsetzung für 2006. Doch die öffentlichen gen zu „Tagen der zeitgenössischen Chormu- Zuschussgeber drängten auf Kooperation. Der sik“ für 2002 oder 2003 statt, nach Möglichkeit AMJ schlug vor, die Veranstaltung unter dem in Darmstadt. Am Ende fanden sie dann 2003 Dach der ADC zu führen, die dem AMJ und 8
70 Jahre Arbeitskreis Musik in der Jugend dem DSB abwechselnd die Durchführung über- Sing- und Tanzfest auf der Loreley. Dieses Tref- tragen sollte. Der DSB war hierzu nicht bereit. fen wurde zur Keimzelle für die Gründung Auch der Vorschlag des AMJ, die Veranstaltung des europäischen Chorverbands Europa Can- mit allen anderen Mitgliedern der ADC gemein- tat (EC) 1963. Bemerkenswert an EC ist, dass sam durchzuführen, hatte keinen Erfolg. dort die politische Entwicklung Europas stets Für 2011 dann bot der DSB (inzwischen fusio- vorweggenommen wurde. Spanien und Por- niert mit dem DASB und umbenannt in Deut- tugal waren lange vor dem EU-Eintritt dieser scher Chorverband) dem AMJ an, im Rahmen Länder Mitglieder von EC, Jugoslawien war seiner neuen Großveranstaltung chor.com eine bereits bei der Gründung Mitglied, EC führte in eigene Reihe mit eigenen ReferentInnen unter Pécs/Ungarn bereits 1988 ein Europa-Cantat- dem Namen AMJ durchzuführen. Während dies Festival durch, und ein Este war bereits vor dem im ersten Jahr unter dem Titel „Neue Chormu- Fall des Eisernen Vorhangs Mitglied im EC-Prä- sik: entdeckt – gesungen – gehört – probiert“ sidium! An diesen Entwicklungen waren stets mit gutem Erfolg gelang, wurde der AMJ-Anteil leitende Persönlichkeiten des AMJ an promi- in den Folgeveranstaltungen immer kleiner nenter Stelle beteiligt. und unsichtbarer. Aber auch national übernahmen AMJ-Mit- glieder Verantwortung: in Gremien des Deut- Kulturpolitische Verantwortung schen Musikrats bis hinein ins Präsidium, im Immer schon hat der AMJ sich an der aktuellen Präsidium der Arbeitsgemeinschaft Deutscher kulturpolitischen Debatte beteiligt. So enga- Chorverbände (heute: Bundesvereinigung gierte er sich in den 50er und 60er Jahren in Deutscher Chorverbände), in der Bundesverei- der heftig geführten öffentlichen Debatte um nigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung. die Legitimität des Singens. So war es kein Zufall, dass der AMJ 2013 Schon früh suchte er den Kontakt mit dem beschloss, sich mit der Frage der Teilhabe europäischen Ausland. Bereits 1951 trafen von MigrantInnen am Singen, vor allem am sich Gruppen des AMJ und des französischen Chorsingen, zu beschäftigen. Auslöser war Jugendchorverbandes „A Coeur Joie“ zu einem die Wahrnehmung auftretender Kinder- und Offenes Singen mit Gottfried Wolters bei Europa Cantat in Nevers (1964, links) und in Graz (1970) 9
70 Jahre Arbeitskreis Musik in der Jugend Die Pfälzische Kurrende unter Carola Bischoff mit einem Work- shop zum Thema „Chor bewegt!“ bei der chor.com (2011) Buchveröffentlichung „Chormusik und Migrati- onsgesellschaft – Erhebun- Jugendchöre. Demnach schien es so, als ob gen und Überlegungen zu MigrantInnen da unterrepräsentiert seien. Kinder- und Jugendchören Eine wissenschaftliche Untersuchung sollte als Orte transkultureller feststellen, ob das tatsächlich so ist, woran Teilhabe.“ Die Studie ist als Print-on-Demand über Libri das liegen könnte und wie es möglich werden im Buchhandel erhältlich. könnte, mehr MigrantInnen in Chöre zu inte- Überdies ist sie als PDF grieren. Der AMJ konnte die Beauftragte der gratis zugänglich auf der Website des AMJ: www. Bundesregierung für Kultur und Medien für amj-musik.de/cum die Förderung des Projektes „Chormusikkultur und Migrationsgesellschaft“ gewinnen. Mit Niklas Büdenbender konnte ein junger Wis- viel: es gab Erwartetes, z. B. dass manche mus- senschaftler mit der Durchführung betraut limischen Kinder in Schulchören keine christ- werden. Die Leitung lag bei Karl Ermert, dem lichen Weihnachtslieder mitsingen (dürfen). AMJ-Vorsitzenden. Intensive Einzelinterviews Es gab Erstaunliches, z.B. muslimische Kinder mit Chorleitungen und anderen ExpertInnen in einem katholischen Kinderchor, die auch in und eine bundesweite detaillierte Befragung den Gottesdiensten mitsingen. Und weniger von ChorleiterInnen mit und ohne migran- erstaunlich: wo keine Migrantenkinder mit- tische Mitglieder in ihren Chören bildeten singen, haben die ChorleiterInnen Angst vor die wissenschaftliche Grundlage. Schon in möglichen Problemen, wo Migrantenkinder 2013 war eine Auswertungstagung für den mitsingen, geschieht das meist völlig unpro- Herbst 2015 geplant worden, die dann durch blematisch. die große Flüchtlingswelle jenes Herbstes In diesem letzten Projekt vereinen sich Sing- eine unvorhergesehene Aktualität erhielt. förderung und kulturpolitische Zukunftsver- Die Ergebnisse der Untersuchungen und der antwortung auf beste Weise. So kann der AMJ Tagung sind dokumentiert in Band 16 der selbstbewusst in seine nächste Lebensdekade Wolfenbütteler Akademie-Texte. Hier nur so aufbrechen! 10
11
Eurotreff 2017 Träume | Dreams 18. EUROTREFF Wolfenbüttel, 6. bis 10. September 2017 Von Jana Lehmann Wenn wir nachts in die Traumwelt abtauchen, passieren oft die unerklärlichsten Dinge: Das Gehirn vertauscht Personen und Orte, nimmt uns mit auf eine Zeitreise oder lässt Szena- rien entstehen, in denen Naturgesetzte und Logik kaum noch Geltung haben. Erwachen wir, bleibt uns meist nur die trübe, subjekti- ve Erinnerung an grenzenlose Möglichkeiten – einfach alles ist möglich in einem Traum. Jeder Mensch träumt, und unglaublich facet- tenreich und losgelöst ist die Gestalt unserer Träume. Der diesjährige EUROTREFF machte es sich zur Aufgabe, junge musizierende Chor- sängerInnen aus ganz Europa an einem Ort zu versammeln und Magie entstehen zu lassen. Einen Raum zu schaffen, in dem alles möglich ist, solange wir unsere Träume fokussieren und nach vorne schauen. Träumen in den Fantasien der Musik ermöglicht uns loszulassen, einzu- tauchen und etwas Großartiges entstehen zu lassen – etwas, von dem wir bisher vielleicht immer nur geträumt haben… 12
Eurotreff 2017 Zum 18. EUROTREFF vom 6. bis 10. September dieses Jahres fanden sich insgesamt 17 Chöre aus zehn verschiedenen Ländern Europas zusammen, um gemeinsam das internationa- le Festival für Kinder-, Mädchen- und Jugend- chöre in Wolfenbüttel zu zelebrieren. 17 Chöre unterschiedlichster Herkunft und jeder mit einer ganz individuellen Verbindung zu Heimat und Tradition. Mit seinem Motto „Träume | Dreams“ setzte der EUROTREFF dieses Jahr ein ganz besonderes Zeichen. Nicht zuletzt stand im Vordergrund, einen Raum für offene und interkulturelle Begegnungen von Menschen aus ganz Europa zu erschaffen, die sich während des gemeinsa- Atelier Mädchenchor men Singens und Musizierens über Grenzen Merel Martens (Niederlande) hinwegsetzen. Auch war es der Wunsch, den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich mit ihren Träumen und Wünschen zu identifizie- Mädchenchor Riga ren, in sich hinein zu horchen und Vertrauen (Lettland) zu schenken, in all das, was in der Zukunft, Mädchenchor Zhuravachka unser aller gemeinsamen Zukunft noch Groß- artiges auf uns wartet. (Weißrussland) Den Auftakt des EUROTREFFs am 06.09. bilde- Mädchenchor Fantasia te das Eröffnungskonzert in der Lindenhalle – (Rumänien) 13
Eurotreff 2017 der tosende Beifall der BesucherInnen spie- gelte allerhöchste Euphorie und Begeiste- rung wider. Der Funke sprang über. Jeder der teilnehmenden Chöre sang ein ausgewähltes Stück, oft mit Bezug zur Heimat, und sorgte somit für einen ersten Vorgeschmack auf die kommenden drei Tage. Es war ein charman- tes, musikalisch hochkarätiges Eröffnungs- konzert, ein sehr erfolgreicher Startschuss für ein großartiges Chorfestival. Die Krönung des Festivalauftaktes war das „Offene Singen“ unter Leitung von Merel Martens am Ende des Konzerts. Chöre und Zuschauer sangen kollek- tiv und verwandelten die Lindenhalle in einen Atelier Kinderchor durch Töne vibrierenden, fast magischen Ort Robert Göstl (Deutschland) der Begegnung. In den folgenden Tagen bis hin zum Abschluss- konzert am Samstag, erarbeiteten die knapp Kinderchor Vivat Musica 600 jungen und talentierten Sängerinnen und (Ukraine) Sänger der teilnehmenden Chöre aus Spanien, Kinderchor Augustana der Schweiz, Russland, Weißrussland, Rumänien, der Ukraine, Litauen, Polen und Deutsch- (Deutschland) land in sieben Ateliers verschiedenste Chor Kinder- und Jugendchor Wunsiedel literatur, angeleitet von den AtelierleiterInnen (Deutschland) Panda van Proosdij (Niederlande), Victoria 14
Eurotreff 2017 Ely (Australien), Merel Martens (Niederlande), Atelier Gemischter Jugendchor Aira Birzina (Lettland), Robert Göstl (Deutsch- Victoria Ely (Australien) land), Josep Vila Jover (Spanien) und Frank- Steffen Elster (Deutschlands). Als Probenorte Kammerchor des Gymnasiums dienten dafür verschiedene Räumlichkeiten in Muttenz (Schweiz) Wolfenbüttel, von der Landesmusikakademie Jugendchor Podsnezhnik (Russland) über die Thomaskirche bis zum Theatersaal im Göttinger Knabenchor Schloss. In einem Radius von ein paar hundert Metern (Deutschland) rund um den Stadtkern ertönten über den Pueri Cantores St. Aegidien Dächern der Stadt feinste Stimmen, melodische Braunschweig (Deutschland) 15
Eurotreff 2017 16
Eurotreff 2017 17
Eurotreff 2017 Klänge und klare Töne, die einen zum Träumen und Stehenbleiben einluden. In jedem Atelier lag der Fokus auf einem anderen Schwer- punkt. Robert Göstl setzte sich in seinem Atelier zunächst mit dem Thema Zeit, dem Zuhören und dem Tempo auseinander. Panda van Proosdij hingegen lud ihre Schützlinge ein auf eine Reise in die Rhythmik, untermalt von fließenden Körperbewegungen mit Anmut und Ausdrucksstärke. Merel Martens tauchte mit den jungen Musikerinnen unter anderem in das Pop-Genre ein – mit Energie, voller Kraft und Selbstbewusstsein sich den Träumen im Leben stellend. Atelier Kinderchor Bei abendlichen Begegnungskonzerten am Frank-Steffen Elster (Deutschland) Donnerstag und Freitag in Wolfenbüttel und Umgebung erwärmten dann die Chöre mit ihrem eigenen Repertoire die Herzen der ZuhörerInnen mit ihren engelsgleichen Stim- men. Eines der Highlights des Festivals waren Kinderchor Canzonetta wie jedes Mal die Open-Air-Auftritte am Sams- tagvormittag. An fünf verschiedenen Orten (Polen) in der Wolfenbütteler Fußgängerzone fanden Kinderchor Ulrich von Hutten sich die Chöre zusammen und sorgten für (Deutschland) Gänsehaut und ein Gefühl von Zusammen 18
Eurotreff 2017 gehörigkeit und Einheit. Offenes Singen macht Atelier Kinderchor Freude – und die steckt an, trotz schlechten Josep Vila Jover (Spanien) Wetters. Das i-Tüpfelchen des EUROTREFF war das Abschlusskonzert am Samstagabend. Die Kinderchor Podsnezhnik Lindenhalle war mit rund 1.000 ZuhörerIn- (Russland) nen prall gefüllt und die Stimmung war ein- Kinderchor Cantemus zigartig. Neben der Aufregung der Chöre verspürte man große Spannung und viele (Deutschland) klopfende Herzen. Von „Ich hab die Nacht Göttinger Knabenchor geträumet“ (Johannes Brahms) oder „Spring, (Deutschland) 19
Eurotreff 2017 the sweet spring“ (Ēriks Ešenvalds), über „Like a rainbow“ (Bob Chilcott) oder „Sure on this Shining Night“ (Samuel Barber) bis zu „Ironic“ von Alanis Morissette und „Revolting Children“ aus dem Musical „Matilda“ – das Konzert bot eine bunte und facettenreiche Palette großartiger Interpretationen flippig-quirliger, traditionel- ler, volkstümlicher sowie lyrischer, poppiger und moderner, aber auch schwermütiger und melancholischer Lieder. Eins hatten sie jedoch alle gemeinsam: sie gingen einem tief unter die Haut. Der tosende Applaus zeigte ganz deutlich: Dies war ein emotionaler Höhepunkt des Festivals. Kaum zu glauben, dass diese Atelier Mädchenchor Stücke in nur drei Proben zu einem solch Aira Birziņa (Lettland) bühnenreifen Auftritt erarbeitet worden waren. Deutlicher hätte die Botschaft des EURO TREFFs nicht sein können: Zusammen schafft man Großes. Aufeinander hören, miteinander Kinderchor Kivi leben, Spaß haben und genießen. Das hat die „EUROTREFF-Familie“ verstanden und genau (Litauen) deshalb sind die Festivals bei allem Spaß Kinderchor Freudenhain und aller Freude ein besonders bedeutsames (Deutschland) Projekt für unsere Zukunft und die unserer 20
Eurotreff 2017 Kinder. Trotz sprachlicher Barrieren, kurzer Atelier Gemischter Jugendchor Probezeiten und anspruchsvoller Chorwerke Panda van Proosdij (Niederlande) war das Niveau stets hoch und die Ergebnisse höchst beeindruckend. Die jungen Menschen haben es geschafft, sie haben Grenzen über- wunden, Herzen geöffnet und Freude und Enthusiasmus über Länder hinweg gestreut. Jugendchor Amics de la Unió All das, innerhalb so kurzer Zeit. Was für ein Erfolg – was für ein großartiges Chor- (Spanien) festival. Chor des Herzog-Ernst-Gymnasiums Uelzen (Deutschland) 21
AMJ-Mitgliedschöre im Porträt Cantemus Kinderchor Von Clemens Bergemann Freitags, 16.30 Uhr, Gymnasium Rahlstedt in Hamburg. Durch die Räume klingen leise Lieder, der Vorchor der „Cantemus Kinderchorschule“ probt mit Elan „Die alte Moorhexe“, und die klei- nen Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren üben dabei mit viel Spaß ihre Bewegungen ein. Die ersten Kinder des Konzertchores treffen nun ein und bauen die Stühle auf, damit es um 17 Uhr auch für sie endlich losgehen kann. Ein seit fast achtzehn Jahren geübtes Miteinan- der beginnt: Der „Cantemus Kinderchor“ probt für seine Konzerte im In- wie im Ausland. Sicher – alle sind etwas müde, wenn am Ende einer anstrengenden Schulwoche die Probenarbeit Parallel zu den Proben am Freitag und Dienstag in Gang kommen soll; aber im Laufe der zwei- jeder Woche stehen StimmbildnerInnen und einhalb Stunden ist von Müdigkeit nichts mehr KorrepetitorInnen zur Verfügung, um mit den zu spüren: Konzentriert und motiviert wer- Kindern zusätzlich solistische Programme zu den die anspruchsvollen Konzertprogramme erarbeiten. Alle zwei Jahre werden diese Pro- für die nächsten Auftritte geprobt. Und derer gramme auf einem „Soloabend“ präsentiert. gibt es viele. Ob in den Hamburger Hauptkir- Jedes Kind – egal welches stimmliche Potential chen Sankt Petri und Sankt Michaelis, in der es hat – soll und kann lernen, sich mit seiner Laeiszhalle zusammen mit dem Polizeichor eigenen Stimme zu präsentieren. Eine Kunst, Hamburg, bei Uraufführungen wie „Galgenlie- die der einzelnen Sängerin, dem einzelnen der“ von Lera Auerbach gemeinsam mit dem Sänger eine Menge an Konzentration, Hörver- Rascher Quartett, Rundfunk-, TV- und Film- mögen und Gestaltungswillen abverlangt. produktionen: Die Kinder der Cantemus Kin- Im wahrsten Sinne des Wortes werden die derchorschule kommen viel herum. Kinder also gefordert, aber auch gefördert, 22
AMJ-Mitgliedschöre im Porträt ein Ziel des Kinderchores, seinen Mitgliedern das Kennenlernen und die Auseinanderset- zung mit anderen Kulturen zu ermöglichen, indem er regelmäßig Instrumentalensemb- les und Chöre einlädt, sie besucht und deren Musik studiert. So führte der Weg über Polen, sich auszudrücken, das Gelernte selbstbe- Bulgarien, Brasilien, Russland, Japan, die USA, wusst anzuwenden, sich und andere kennen Estland, Lettland, China, Ungarn und Kana- zu lernen. Die über das eigentliche Chorsin- da, letztlich auch innerhalb Deutschlands zu gen hinausgehende erfolgreiche Teilnahme einem musikalischen Weitblick, der immer wie- am Wettbewerb „Jugend musiziert“ sowie bei der mit Recht das Gefühl entstehen lässt, dass Solowettbewerben zeigt, wohin das führt: man in einer gemeinsamen Welt zu Hause ist. Bundespreisträger, Preise auf Landes- und Diese reichen und vielfältigen Begegnungen Regionalebene belegen den erfolgreichen mit unterschiedlichsten musikalischen Stilen Anspruch, Ausbildung und im weitesten Sinne haben das Repertoire des Kinderchores außer- des Wortes Bildung zu gewährleisten. ordentlich bereichert. Ein Kosmos an Vielfalt Corinna und Clemens Bergemann tun dies nun und die Bereitschaft sind entstanden, kulturel- schon seit 1999, dem Jahr, in dem die Chor- le Interessen zu teilen und das Ganze unter ein schule gegründet wurde, und leisten viel, um Ziel zu setzen: gemeinsam zu musizieren. diesem hohen Anspruch gerecht zu werden. Hier schließt sich der Kreis zu dem diesjährigen Ihre Ausbildungen zur Sängerin bzw. zum Diri- Motto des EUROTREFF Wolfenbüttel „Träume“: genten haben sicher hierzu beigetragen; aber Es ist ein Traum, Kinder unterschiedlicher Kul- auch die jahrelangen Erfahrungen als Assis- turkreise zu vereinen und diese nach Hamburg, tenz und in der Mitwirkung beim weltberühm- die schöne Stadt im Norden Deutschlands ein- ten Kinderchor der Staatsoper Hamburg, den zuladen, gemeinsam Festivals und Konzerte zu „Hamburger Alsterspatzen“, und natürlich viel gestalten und miteinander groß zu werden. Ein Liebe und Geduld waren eine solide Grundla- Traum, für den es sich lohnt intensiv zu proben, ge, dass mit dem „Cantemus Kinderchor“ ein um hier mithalten zu können und das gemein- Klangkörper entstand, der aus dem Hambur- same Singen als Basis eines Miteinanders zu ger Musikleben kaum mehr wegzudenken ist. erleben. Auch deshalb hat sich der Chor seinen Aber das ist nicht alles: Von Anfang an war es Namen gegeben: Cantemus – lasst uns singen! 23
Aus der Kursarbeit einzelne Stimme eine Umgebung verändern Am Anfang war der Schrei kann und wie auch die Umgebung die Wahr- Das 15. Leipziger Symposium nehmung dieser Stimme verändert. Denn der zur Kinder- und Jugendstimme, Fokus lag in diesem Moment ganz alleine auf 24. bis 26. Februar 2017 dieser einen Stimme. Noah, elf Jahre alt, meis- terte seine Aufgabe mit Bravour und sang Von Guido Krawinkel „Sanft weht ein Hauch“, genauso wie Amelie und Matilda, beide zehn, die „Hashivenu“ und Es war ein Theatercoup: Zu Beginn des 15. Leip- Marina, Antonia, Amelie, Sarah, Anna, alle zwi- ziger Symposiums zur Kinder- und Jugend- schen zwölf und 14, die „Alles ist eitel“ sangen. stimme Ende Februar passierte im großen Saal Für die jungen SolistInnen des von Robert der Hochschule für Musik und Theater erst mal Göstl geleiteten Singkreises Deuerling erfor- nichts. Gar nichts. Das Licht ging aus, der Saal derte dies besonderen Mut, dennoch zeigten war auf einmal dunkel, es herrschte völlige ihre Soli, welches machtvolle und im besten Stille. Jedes raschelnde Papier, jedes Flüstern, Sinne selbstbewusste Instrument die Stimme jede Bewegung zerschnitt die ungewohnte sein kann. Wie selbstbewusst die Kinder sind, Atmosphäre. Plötzlich setzte eine Stimme aus zeigte auch die Tatsache, dass sie alle Musikstü- dem Off ein, eine Kinderstimme. Allein, unbe- cke für das Eröffnungsprogramm selbst ausge- gleitet, völlig ohne Netz und doppelten Boden. sucht hatten. Die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums war dem jungen Solisten gewiss. Dunkelheit Der erste Schrei als erste aktive Kontakt und Stille wurden von einer einzigen Stimme aufnahme mit der Welt aufgebrochen, die somit direkt in Beziehung zu Die erste Beziehung zur eigenen Stimme ent- ihrer Umwelt trat. wickelt der Mensch direkt nach der Geburt: Sinnfälliger konnte man wohl kaum vor Augen, Der erste Schrei ist die erste aktive stimmliche beziehungsweise vor Ohren führen, wie eine Kontaktaufnahme mit der Welt außerhalb des 24
Aus der Kursarbeit Mutterleibs. Und auch aufbau zur eigenen Stimme im Laufe der weiteren offenbar geglückt. Dass das Entwicklung eines nicht immer so ist, liegt auf der Kindes ist die Stim- Hand. Gerade in der Pubertät me ein wesentlicher finden mehr oder weniger gro- Baustein. Schon bei ße Veränderungen statt, ist die fünfjährigen Kindern Beziehung zur eigenen Stimme sind bestimmte Regionen im mitunter problematisch. Gehirn, die für die Sprachverarbeitung zustän- Auf den Grund der vielfältigen Wechselbezie- dig sind, so aktiv wie bei Erwachsenen. hung von Stimme und Umwelt geht man im Aber nicht allein die Wahrnehmung von Stim- Rahmen einer großangelegten Studie, die im men hat seit dem frühesten Säuglingsalter Aus- Leipziger Forschungszentrum für Zivilisations- wirkungen auf den sogenannten Inselcortex erkrankungen (LIFE) angesiedelt ist. Hier unter- des Gehirns, wo die Sprachverarbeitung loka- sucht man unter anderem die soziokulturellen lisiert ist. Insbesondere der Gesang verändert und genetischen Einflüsse auf die menschli- die Art und Weise, wie wir hier unsere Umwelt che Stimme und forscht nach Zusammenhän- wahrnehmen. Kinder, die in einem Chor sin- gen zwischen Erkrankungen und der Stimme. gen, haben laut Prof. Michael Fuchs vom Uni- Ein spektakuläres Ergebnis hat man bereits zu versitätsklinikum Leipzig eine deutlich bessere vermelden: So ist die weibliche Stimme in den Klangwahrnehmung als nicht singende Kinder. letzten Jahrzehnten deutlich tiefer geworden. Auch die Beziehung zur Stimme wird durch das Lag die weibliche Stimmlage vor 20 Jahren Singen eine andere. noch eine ganze Oktave über der von Män- Im Idealfall identifiziert sich ein Kind mit seiner nern, tut sie dies heute nur noch um eine Quin- eigenen Stimme. „An meiner Stimme gefällt te. „Die heutige Frau steht voll im Leben. Sie mir, dass sie so zu mir passt“, zitiert Fuchs sei- muss nicht mehr beschützt werden. Deshalb nen eigenen Sohn. Hier ist der Beziehungs- klingt sie auch anders“, so Prof. Michael Fuchs 25
Aus der Kursarbeit gegenüber der Berliner Zeitung. Die Lage der männlichen Stimme hat sich im Übrigen nicht verändert. Stimme reagiert auf Umwelt und veränderte soziale Bedingungen Die Stimme reagiert aber nicht nur auf ihre Umwelt und veränderte gesell- schaftliche Bedingungen, sie hat auch Auswirkungen auf den menschlichen des Singens als Schlüssel zu den Emotionen. Körper und die Gesundheit. „Singen ist eine Sie treten frei-assoziativ singend miteinander Alternative zum Saufen. Hier werden Boten- in Kontakt, wie die Berliner Musiktherapeutin stoffe freigesetzt, für die man sonst Antide- und Sängerin Tina Hörhold bei einem Vortrag pressiva bräuchte“, ist Eckhard Schiffer, Fach- in Leipzig eindrucksvoll vorführte. arzt für Nervenheilkunde und Chefarzt für Für Eckhard Schiffer ist das Singen auch ein Psychosomatische Medizin und Psychothera- Mittel, um das Gehirn zu trainieren. Statt pie, überzeugt. Dies wird durch wissenschaft- etwa in Kindergärten ständig neue Frühför- liche Studien untermauert und Schiffer hat es derungsprogramme einzuführen, plädiert er auch in seiner ärztlichen Praxis beobachtet. Er für bewährte Rezepte: „Viel singen.“ Dazu zählt wundert sich immer wieder, warum so wenig auch eine andere Beobachtung, die nicht nur gesungen werde, obwohl die heilende Wir- der Mediziner Schiffer gemacht hat: So wird die kung doch bekannt sei. Ausschüttung von Endorphinen und des Hor- Gerade die heilende Wirkung von Musik und mons Oxytocin beim Singen erhöht. Das kann insbesondere der Stimme wird in zahlreichen auch im Alter noch positive Auswirkungen Musiktherapien genutzt, etwa bei der Vokalen haben, denn Oxytocin verringert zum Beispiel Psychotherapie, die die amerikanische Psycho- den Blutdruck, den Cortisolspiegel und damit therapeutin Diane Austin entwickelt hat. Bei die Auswirkungen von Stress. dieser Form der Psychotherapie bedienen sich Deshalb gibt Schiffer Großeltern den Rat: „Lie- PatientIn und TherapeutIn der Stimme und ber mit den Enkeln spielen und singen als 26
Aus der Kursarbeit Kreuzfahrten machen.“ Allerdings kann Musik es gibt ein ‚Gruppenrad’, nämlich den Chor. Alle auch den gegenteiligen Effekt haben. Bei Räder sind miteinander verbunden, weil sie Musikstudierenden wurde eine Erhöhung des ineinandergreifen. Wenn ich ein Rad bewege Cortisolspiegels im Blut beobachten, die Musik oder sich eines der Räder aus eigenem Antrieb setzt hier also Stresshormone frei. Der Druck bewegt, bewegen sich alle anderen Räder mit. ist beim professionellen Musizieren ungleich Wenn sich zum Beispiel eine Sängerin nicht höher, die „Aura des Notengebens“, wie Schiffer bewegen will, wird das System stocken. Die es ausdrückt, kann aus positivem ganz schnell Aufgabe des Chorleiters ist es, das System negativen Stress machen. beweglich zu halten, so muss ich durch die Art und Weise meiner Arbeit die Freude und die Sozioökonomischer Status und Lautstärke Motivation der SängerInnen so wecken, dass im Zusammenhang sie gerne und freiwillig mittun.“ Gerade im Chor ist dies besonders wichtig, Die Stimme ist beim Musizieren in einen viel- da jeder Chor ein sehr komplexes Gebilde ist. fältigen Kontext eingebettet. Das fängt beim „Wir Chorleiter denken bisweilen, dass wir die sozialen Umfeld an und hört beim Musizie- Wichtigsten sind in diesem Gebilde – aber ich ren nicht auf. So gibt es beispielsweise einen halte diesen Denkansatz für falsch“, sagt Rai- Zusammenhang zwischen sozioökonomi- mund Wippermann, Leiter des Mädchenchors schem Status eines Menschen und der Laut- am Essener Dom, Professor für Chorleitung stärkeentwicklung seiner Stimme, wie die und Rektor der Robert Schumann Hochschule Leipziger ForscherInnen berichten. Will hei- in Düsseldorf. Er vergleicht das Beziehungsge- ßen: Jemand, der in einem lauteren Umfeld füge eines Chores mit Zahnrädern, die inein- lebt und lauteren Hobbys nachgeht – und das andergreifen: „Es gibt zwei ‚Individuen-Räder’, sind meist eher Menschen mit geringerem nämlich die Sängerin und den Chorleiter, und Ausbildungs- und Einkommensgrad –, entwi- ckelt in der Regel auch eine lautere Stimme. Die sozialen Beziehungen eines Menschen haben somit direkte Auswirkungen auf seine Stimme. „Am Anfang war das Wort“, heißt es gleich zu Beginn der Offenbarung des Johan- nes. Will heißen: Am Anfang war die Stimme. Sie steht am Anfang des Prozesses, der in der Bibel als Schöpfung geschildert wird. Und sie steht am Anfang des menschlichen Lebens. „Am Anfang war der Schrei“, könnte man die biblischen Worte deshalb abwandeln. Oder anders gesagt: „Der Ton spricht aus, was im Menschen noch stumm ist“, so Ernst Bloch in seinem „Prinzip Hoffnung“. Zuerst erschienen in Chorzeit – das Vokal magazin Nr. 37 (April 2017), www.chorzeit.de Das 16. Leipziger Symposium zur Kinder- und Jugendstimme findet vom 23. – 25.02.2018 statt. Thema: „Gesangsstile – Stimmtechniken – Stimmgesundheit“. 27
Aus der Kursarbeit Inspiration und Stärkung für den musikalischen Alltag Fortbildung von Pueri Cantores und AMJ für Kinder- und JugendchorleiterInnen in Mülheim an der Ruhr, 03. bis 05. Februar 2017 Von Gregor Knop Über 60 TeilnehmerInnen waren am ersten Februarwochenende in der Katholischen Aka demie „Die Wolfsburg“, dem Bildungshaus des Bistums Essen zusammengekommen, um die von AMJ und Pueri Cantores gemeinsam gestaltete Fortbildung für Kinder- und Jugend chorleiterInnen zu besuchen. Zu Beginn begrüßte Judith Kunz, stellvertretende Vor sitzende des Pueri-Cantores-Verbandes, die Teil nehmerInnen, die aus ganz Deutschland und unterschiedlichen chorischen Verhältnis sen angereist waren, und führte sie durch das Programm des Wochenendes. Dieses war breit gespannt und beleuchtete medizinische, stimmbildnerische, improvisatorische und litur 28
Aus der Kursarbeit gische Aspekte der musikalischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Zwei Vorträge des Leipziger Professors Dr. Michael Fuchs (auch Leiter des dortigen jähr- lichen Symposiums zur Kinder- und Jugend- stimme) bildeten den fulminanten Auftakt. Er äußerte sich zum „Einfluss gesellschaftlicher ohr und die Darstellung der physikalischen Veränderungen auf die Kinder- und Jugend- Vorgänge im Kehlkopf beim Singen. Unter- stimme“ in virtuoser Art und beleuchtete die stützt von Filmen und Hörbeispielen waren Frage, was die Medizin bei der Kinderstimme beide Vorträge ein Höhepunkt der Fortbildung, als „normal“ ansieht, wie die physische Ent- die vielschichtige Verknüpfung von Medizin wicklung der Kinderstimme aussieht, und wie und Chorarbeit beeindruckte die anwesenden sich gesellschaftliche Veränderungen auf Sing- ChorleiterInnen. verhalten und Physiologie der Kinderstimme In drei Workshops wurden dann praktische auswirken. Dabei spielen die zurückgehende Arbeitsfelder beleuchtet und ausprobiert. Neigung zum Singen in Elternhäusern beson- Das Themenspektrum reichte von der Pflege ders bei Vätern, in Kindertagesstätten, aber der Stimme – ungewöhnlicherweise auch der auch der immer früher einsetzende Stimm- ChorleiterInnenstimme – bei Sabine Lahm, bruch eine Rolle, was die musikalische Arbeit in über neue Vokalmusik und Improvisation bei Chören wesentlich beeinflusst. Im zweiten Teil Pascal Zurek bis zu klingender Liturgie bei Prof. des Vortrags am nächsten Morgen ging es um Markus Eham. Ein Übungspaket zur Pflege und medizinische Vorgänge „vom gehörten zum Kräftigung der eigenen Stimme wird sicher bei gesungenen Ton“, um die Abläufe im Gehirn, vielen zur Anwendung kommen, ein modifi- die sich zwischen Hören und Singen abspielen, ziertes Verhältnis zur modernen Vokalmusik um die Funktionsweise des Hörens im Innen- und Improvisation zum Ausprobieren anregen, 29
Aus der Kursarbeit und fundierte kreative Modelle zur Liturgie- gestaltung werden für das eine oder andere (Streit-)gespräch der KirchenmusikerInnen mit ihren PfarrerInnen führen. Spirituell zusammengehalten wurde das kol- legiale Treffen durch stimmgewaltige Mor- gen- und Abendlobe und den gemeinsamen Besuch der Vorabendmesse im Kloster Saarn. Diese gestalteten die Jugendchöre der Sing- Die TeilnehmerInnen schätzten neben der sehr schule „Mariä Himmelfahrt“ unter der Leitung guten Organisation und Abwicklung auch von Werner Schepp und mit Klaus Wallrath an den intelligenten Zeitplan des Wochenendes, der Orgel vorbildhaft und berührend. Pfarrer der perfekte Wechsel zwischen Aktion und Marius Linnenborn zeigte sich einmal mehr als Zuhören vorsah, der genug Zeit zum kollegia- kongenialer geistlicher Begleiter des Verban- len Austausch einplante und sie so inspiriert, des in seinen Ansprachen und liturgisch-musi- gestärkt und frisch motiviert in den kirchen- kalischen Impulsen. musikalischen Alltag entließ. 30
Aus der Kursarbeit 50 Jahre Chor- und Orchester- Gottfried Wolters bei der von ihm begründeten Chor- und Orchesterwoche Hinterschmiding (Mai 1980) woche Hinterschmiding Unten: 50 Jahre nach Ihrer Gründung erfreut sich die Veranstal- tung immer noch großer Beliebtheit Von Michael Geier Für den Unvorbelasteten hört sich die Ortsbe- geblieben. Aber die drei zusammen haben zeichnung „Hinterschmiding“ nicht eben an, 1968 den Grundstein für eine bemerkenswerte als wäre es der Nabel der Welt, spezieller der Geschichte gelegt. Musikwelt. Das mag in den zurückliegenden Weder Wolters, noch Keim, noch Stadler habe 50 Jahren so manchen Interessierten vielleicht ich persönlich kennengelernt. Es müssen nach davon abgehalten haben, überhaupt dem allen mündlichen Schilderungen faszinieren- Gedanken näherzutreten, sich genauer über de Persönlichkeiten gewesen sein. Mein Vater die Chor- und Orchesterwoche Hinterschmi- hat von seinem Kollegen Stadler als Landrats- ding zu informieren. Selbst bei Interesse am stellvertreter immer mit großer Hochachtung Programm dürfte die „etwas“ periphere Lage gesprochen. Vater und Mutter haben noch in zum Rest der Republik manchen von der Rei- Deggendorf bei Hans Keim im Chor gesungen. se in den tiefen Bayerischen Wald abgehalten haben. Dabei liefert heute schon Google Maps bei Eingabe von „Hinterschmiding“ die Anzei- ge „Chor- und Orchesterwoche“ neben der Ortsflagge. Hätte es nicht Passau sein können, wo 1954 alles begonnen hatte (vgl. Intervalle 2010), mit seiner, auch musikalisch, reichen Geschich- te, der unvergleichlichen Lage an den drei Flüssen, den prachtvollen Kirchen? Nein, Hans Keim und Gottfried Wolters wollten aufs Dorf, in das Dorf, wo Hans Keim Volksschullehrer war. Doch ohne den dritten Mann, Bürger- meister Sepp Stadler, wären es wohl Träume 31
Aus der Kursarbeit Das habe ich alles erst erfahren, als ich schon kommt und schon einige Schlachtschiffe ein Abo bei Rosa Krückl hatte. der Chor- und Orchesterliteratur hinter sich Wie bei nicht wenigen langjährigen Teilneh hat. merInnen, so bedurfte es auch bei mir jahre Die gnadenlosen Zumutungen an schwerster langer Bearbeitung durch freundliche Mitmen- Literatur, die uns über viele Jahre Erwin schen, die der unerschütterlichen Überzeugung Ortner aufgetischt hat, wohl wissend, dass waren „DAS wäre was für Dich…“ – bis ich wir das gar nicht adäquat schaffen können. mich dann aufgerafft hatte, 1988 zum ersten Er war der festen Überzeugung, dass es für Mal teilzunehmen. Dieser Sangesfreundin wer- uns Laien eine bereichernde Erfahrung sein de ich auf immer dankbar sein. Am Ende gab würde, auch solche Stücke wie Ligetis „Lux aber ein unwiderstehliches Programm den aeterna“ oder Schönbergs „De profundis“, Ausschlag. Da waren Stücke dabei, die ich ein- bei aller zu erwartenden Unvollkommenheit mal in meinem Leben gesungen haben wollte der Aufführung, zu erarbeiten. Ich bin ihm – und bis heute nicht wieder gesungen habe. zutiefst dankbar dafür. Auch diese Mühe hat Was bleibt, wenn ich nach 30 Jahren und 25 sich vielfach gelohnt. Die erstaunliche Erfahrung, wie schnell man Teilnahmen zurückschaue? Ein schön überschaubares, ablenkungsfrei- lernt, wenn man von guten SängerInnen es, gastfreundliches Dorf mit wirklich nicht umgeben ist, die zwar auch nicht alles beim immer gastfreundlichem Wetter. ersten Mal können, aber eben auch sehr Eine Turnhalle mit Kultstatus als Probenraum schnell lernen. Man lernt Mitschwimmen, für das Plenum, genannt „Hinterschmidinger Surfen im Stück. Rausfliegen ist kein Problem, Festspielhaus“, mit einer erstaunlich guten man findet ganz schnell wieder rein, weil Akustik. immer viel genug MitsängerInnen noch Die völlig verblüffende Tatsache, dass die- auf der rechten Spur sind. Man lernt, was ser bunt zusammengewürfelte, allerdings hörendes Singen im Chor bedeuten kann. Das, zumindest beim ersten Mal, absolut mit zahlreichen WiederholungstäterInnen besetzte Chor beim allerersten Einsatz klingt, unbeschreibliche Erlebnis, ein gut, aber nicht als würde er zweimal die Woche in dieser fertig geprobtes Stück, sagen wir die Fuge aus Besetzung singen. Das erstaunt selbst dann, dem Gloria der „Messe in As-Dur“ von Franz wenn man, wie ich, aus guten Kirchenchören Schubert, in gemischter Aufstellung zu singen. 32
Sie können auch lesen