MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz
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No 01 13 MEIN PLATZ IN DER GESELlSCHAFT Hausaufgabenbetreuung, Angebote für die Freizeit, Elternbildung: Damit alle Kinder ihr Potenzial entfalten können, setzen sich Projekte für mehr Chancengerechtigkeit ein Engagement Studierende leisten mit eigenen Projekten und Veranstaltungen einen Beitrag für die Gesellschaft Entdeckungsreise Tamilische Kinder setzen sich kreativ mit ihren kulturellen Wurzeln auseinander BioBaumwolle Neue widerstandsfähige Bio- baumwollsorten begegnen den Folgen des Klimawandels Mercator magazin
inhalt Nachrichten S. 32 — 33 tätigkeitsbereich S. 2 — 6 Die Familie als Kinder und jugendliche Aktuelle Meldungen aus Projekten; S. 52 — 59 Lernort Klimatipp von myblueplanet Eltern erfahren an den Themenaben- Kreative Reise frage an die wissenschaft den ‹ElternWissen – Schulerfolg›, zu den eigenen wie sie ihren Familienalltag Wurzeln S. 7 lernfördernd gestalten können. Klimaschutz: Tamilische Kinder aus der Schweiz und aus Sri Lanka erhalten Was schulden wir S. 34 — 38 Einblicke in sehr unterschiedliche künftigen Ein Zentrum für Lebenswelten. Generationen? die Bildung S. 60 — 61 Der Philosoph Dr. Fabian Schuppert Frühförderung, Elternbildung, Lern- gibt Antworten. begleitung für Primarschüler: Das Überzeugende Bildungs-Café setzt sich für Chancen- Argumente schwerpunkt gerechtigkeit ein. Im Finale von ‹Jugend debattiert› gesellschaftliche integration messen sich die besten S. 8 — 45 S. 39 Rhetorikkünstler der Schweiz. Mein Platz in der Wege zum Erfolg Welche Faktoren beeinflussen den tätigkeitsbereich Gesellschaft Bildungserfolg von Immigranten- mensch und umwelt kindern? Die Studie ‹Pathways S. 62 — 67 S. 10 — 19 Fünf Wege der to Success› sucht nach Antworten. In drei Stationen Förderung S. 40 — 41 um die Welt Bei den Stadtrundgängen ‹konsum- Sie setzen sich für die Integration Lebensraum, von Kindern und Jugendlichen GLOBAL› hinterfragen Schulklassen Freiraum, Lernraum ihr Konsumverhalten. ein: Fünf Personen geben Einblicke Das Projekt Platz:Box ermöglicht in ihr Engagement. Jugendlichen eine konfliktfreie S. 68 — 71 Nutzung des öffentlichen Raums. S. 20 — 23 Angepasst, brücken in die S. 42— 45 widerstandsfähig, Welt der Ein wichtiger umweltschonend Erwachsenen Schritt in Im Projekt ‹Green Cotton› entstehen Die schulische und ausserschulische neue Biobaumwollsorten, die die Arbeitswelt den Bedürfnissen von indischen Bildung hilft Kindern und Jugend- Schüler sammeln im Projekt LIFT Kleinbauern entsprechen. lichen, ihren Platz in der Gesellschaft praktische Arbeitserfahrungen, zu finden. um sich auf die Lehrstellensuche engagiert vorzubereiten. S. 72 S. 24 — 30 Das Ziel stets tätigkeitsbereich Jeder kann etwas vor Augen Wissenschaft bewirken S. 46 — 49 Mirjam Walser zeigt Jugendlichen Das Programm ChagALL bereitet Jugendliche mit Migrationshinter- Ein Beitrag für die im Parcours ‹STEP into action›, wie sie sich für die Gesellschaft grund auf die Aufnahmeprüfungen Gesellschaft einsetzen können. zur Mittelschule vor. Studierende setzen sich mit eigenen Projekten für die Gesellschaft kalender S. 31 ein. Das Programm ‹Engagier dich!› S. 73 Chancen für die unterstützt sie dabei. Termine Juni bis Oktober 2013 zukunft S. 50 — 51 Das schulergänzende Training CHANSON möchte ungleiche Globale und lokale Bildungschancen aufgrund der Perspektiven sozialen Herkunft reduzieren. auf die Geschichte Die 3. Schweizerischen Geschichts- tage widmen sich historischen Fragestellungen in 16 Themenbe- reichen.
vorwort Liebe Leserinnen und Leser Wo ist unser Platz in der Gesellschaft? Da, wo wir herkom- stiftung mercator schweiz men? In unserer Familie, an unserem Wohnort? Schon Die Stiftung Mercator Schweiz fördert und initiiert Projekte in den drei Bereichen als Kinder machen wir uns auf die Suche: Wir gehen zur ‹Wissenschaft›, ‹Kinder und Jugendliche› Schule, um uns auf unsere Zukunft vorzubereiten. Wir enga- und ‹Mensch und Umwelt›. Das Engage- ment der Stiftung gilt einer lernbereiten gieren uns in Vereinen, nutzen Freizeitangebote. Dabei und weltoffenen Gesellschaft, die ver- knüpfen wir weitere Kontakte. Wir lernen, Verantwortung antwortungsvoll mit der Umwelt umgeht. zu übernehmen und das Zusammenleben mitzugestalten. Mit ihren Projekten an Hochschulen möchte sie zur Stärkung des Wissens- und Bildung – schulische und ausserschulische – hilft uns, unser Forschungsplatzes Schweiz beitragen. Potenzial zu entfalten und unseren Platz in der Gesell- Die Stiftung unterstützt die Wissenschaft, Antworten auf gesellschaftlich wichtige schaft zu finden. Doch leider haben nicht alle Kinder und Fragen wie den Schutz der natürlichen Jugendlichen die gleichen Bildungschancen. Lebensgrundlagen zu finden. Damit Kinder Unsere Stiftung setzt sich für mehr Chancengerech- und Jugendliche ihre Persönlichkeit entfalten, Engagement entwickeln und tigkeit ein. Wir fördern die gesellschaftliche Integration ihre Chancen nutzen können, setzt von Kindern und Jugendlichen auf verschiedenen Ebenen: sich die Stiftung Mercator Schweiz für Während wir mit ChagALL (S. 24 – 30) und CHANSON optimale Bildungsmöglichkeiten innerhalb und ausserhalb der Schule ein. (S. 31) schulergänzende Förderprogramme für sozial be- www.stiftung-mercator.ch nachteiligte Schüler ermöglichen, hilft das Projekt LIFT (S. 42 – 45) Jugendlichen mit Schulschwierigkeiten beim Schritt in die Arbeitswelt. Die Initiative Platz:Box (S. 40 – 41) macht den öffentlichen Raum als Lernraum zu- gänglich. Und die Veranstaltungsreihe ‹ElternWissen – Schulerfolg› (S. 32 – 33) zeigt Familien, wie sie ihren Alltag lernförderlich gestalten können. Elternbildung ist auch im Bildungs-Café (S. 34 – 38) zentral, das zudem eine Haus- aufgabenbetreuung und Frühförderung anbietet. Vom Forschungsprojekt ‹Pathways to Success› (S. 39) erhoffen wir uns neue Erkenntnisse, wie Integrationsprozesse erfolgreich gestaltet werden können. Nadine Felix Geschäftsführerin ≥ Mein Platz in der Gesellschaft ≥ S. 8 — 45 1 Mercator Magazin 01 / 13
Nachrichten Kinder und Jugendliche Blickfelder erklärt die Welt Wer bin ich? Wer ist mein Gegenüber? Das waren nur zwei von vielen Fragen, auf die das Festival Blickfelder Antworten gab. Kinder und Jugendliche In einem fünftägigen Workshop hatten sich die Schüler der 1. Sek des Schulhauses Hirschengraben in Zürich mit Gender- und Identitätsfragen auseinandergesetzt. Das Zwölf Projekte, ein Buch Ergebnis zeigten sie im Theater Stadelhofen: Wer weiss am besten, wie man Schüler in einer integrativen Schule hat, erklärt ‹Switch. Junge, willst du wissen, wie sich beim Lernen optimal begleitet? Wer Peter Lienhard, Dozent an der Inter- ein Mädchen fühlt?› 180 Schulklassen haben weiss, wie Lehrerteams konstruktiv zu- kantonalen Hochschule für Heilpäda- die 30 Mitmach-Angebote des Festivals sammenarbeiten können? Und wer gogik, in einem einleitenden Text. genutzt, um mit 150 Kunstschaffenden eigene Projekte auf die Beine zu stellen. «Kreativ, kennt das Rezept für eine Schulhaus- Schliesslich werden die zwölf Projekte überraschend und humorvoll haben Kinder kultur, die Leistung fordert und fördert? der LISSA-Preisträger 2010 und und Jugendliche die Besucher zum Nach- Die Stiftung für hochbegabte Kinder 2012 vorgestellt, die jeweils auf unter- denken gebracht», freut sich Festivalorgani- und die Stiftung Mercator Schweiz sind schiedliche Weise guten, binnendif- sator André Grieder vom Volksschulamt überzeugt: Es sind die Schulen, die in ferenzierten Unterricht ermöglichen, Zürich über die hohe Qualität der Beiträge. den vergangenen Jahren mit dem LISSA- wie er für eine integrative Schule Das Festival unter dem Motto ‹Blickfelder Preis ausgezeichnet wurden. Deshalb ist notwendig ist. Die Beiträge geben erklärt die Welt› war ein grosser Erfolg: 24 583 Menschen haben vom 4. bis 21. April es beiden Stiftungen ein Anliegen, die Einblicke in die Konzepte der Projekte. 2013 das Festival der Künste in Zürich Projekte zur Begabungs- und Begabten- Sie stellen die Rahmenbedin- besucht, darunter waren 18 155 Kinder und förderung dieser Schulen bekannt gungen, die Entstehungsgeschichte Jugendliche und 464 Schulklassen. Ne- zu machen und ihre Erfahrungen zu und die konkrete Umsetzung vor ben den partizipativen Projekten warteten verbreiten. Ort vor. 307 Aufführungen auf die Besucher. Nach dem Buch ‹Begabungsförde- www.blickfelder.ch rung leicht gemacht› und dem Film Bestellung ‹Begabungsförderung konkret gemacht› Interessierte können das LISSA-Buch ist jetzt das Buch ‹Begabungsförderung (ISBN 978-3-033-03894-3, hep-Verlag) integriert› erschienen. «Die Publika- elektronisch bestellen: info@lissa-preis.ch. tion gibt den Lesern Anregungen für die Personen, die im Schulbereich tätig sind, erhalten ein Buch unentgeltlich. Zudem Umsetzung von ressourcenorientier- wird das Buch allgemein zum Buchhandels- tem und personalisiertem Unterricht», preis von 20 Franken je Exemplar ver- erklärt Regula Haag, Projektleiterin kauft. Bei der Bestellung wird um einen des LISSA-Preises. Welchen Stellenwert entsprechenden Vermerk gebeten. der begabungsfördernde Unterricht www.lissa-preis.ch 2 Mercator Magazin 01 / 13
Nachrichten Kinder und Jugendliche Mensch und Umwelt Positive Bilanz nach fünf Neue Ideen für die Umweltbildung Projektjahren Wie müssen Umweltbildungsprojekte Nicht jede Schule soll das Rad neu erfinden müssen. Diese Über- ausgestaltet sein, damit sie nicht legung stand am Anfang des Projekts ‹Schulen lernen von nur für Umweltthemen sensibilisieren, sondern auch dazu motivieren, für die Schulen› der Pädagogischen Hochschule Zürich. Nach fünf Jahren Umwelt aktiv zu werden? Nicht nur ist das Projekt nun abgeschlossen: 22 Schulen wurden in dieser für die Stiftung Mercator Schweiz ist Zeit für ihre Schulentwicklungsprojekte ausgezeichnet. Sie alle das eine wichtige Frage. Deshalb hat erhielten ein Preisgeld in Höhe von je 10 000 bis 40 000 Franken sie zusammen mit dem WWF Schweiz für die Weiterentwicklung ihrer Projekte. Einige der Schulen am 14. Dezember 2012 die Tagung ‹Umweltbildung – was wirkt?› organi- erregten durch die Auszeichnung so viel Aufmerksamkeit, dass siert. 40 Vertreter unterschiedlicher sich um sie herum thematische Netzwerke bildeten. Aufgrund Organisationen und Institutionen, die dieser Erfahrungen entstand im Rahmen von ‹Schulen lernen von sich intensiv mit dem Thema Umweltbil- Schulen› das Teilprojekt der Teilnahmeschulen: Schulen pro- dung beschäftigen, tauschten sich über ihre Erfahrungen in diesem Bereich fitieren von den Erfahrungen einer Preisträgerschule und werden aus. Grundlage der Tagung bildete von sls bei der Umsetzung ihres Projekts finanziell unterstützt. eine aktuelle Studie des WWF Schweiz So sind beispielsweise die für ihr Projekt zum altersdurchmischten zu Erfolgsfaktoren in der Umwelt- Lernen (AdL) ausgezeichneten Schulen Brühlberg und Dättlikon bildung. Ziel der Veranstaltung war es in einem Netzwerk tätig und unterstützen viele andere Schulen bei nicht nur, aktuelles Wissen zur Wirkung von Umweltbildung darzulegen und der Einführung von individualisierten Lernformen. zusammenzutragen. Es ging darum, Projektleiterin Dr. Enikö Zala-Mezö zieht eine positive Bilanz: zusammen mit den Teilnehmern neue «Der Preis hat die Eigenständigkeit der Schulen gestärkt. Zudem Erkenntnisse zu entwickeln, nächste engagieren sich einige Schulen in zwischenschulischen Kooperatio- Schritte zu formulieren und im Idealfall nen, was in der Schulentwicklung als zukunftsweisend gilt.» Damit auch anzustossen. Mit einem Pro- jektfonds unterstützt die Stiftung des- diese Form von Schulentwicklung weiterhin möglich ist, wurde halb Projekte, die sich aus der Tagung im Dezember 2012 die privat geführte Stiftung ‹Schulen lernen von ergeben haben. Schulen› gegründet. Diese möchte innovative Entwicklungen der Volksschule in Kooperation mit der PH Zürich und weiteren Partnern Dokumentation Eine Dokumentation fasst die Tagung fördern, um einen Beitrag zur Qualität der Volksschule zu leisten. zusammen: www.stiftung-mercator.ch/ www.projekt-sls.ch stiftung/publikationen Kinder und jugendliche Mit Saltos zum sieg Sie springen mit Saltos über Hinder- nisse, schlagen Räder und machen Flick Flaks: Das Trio Runners-CH aus Horgen überzeugte am 13. April 2013 die Jury beim Finale des Zürcher Jugendprojekt- wettbewerbs Projekter nicht nur mit ihren Künsten – sondern vor allem mit ihrem Engagement: Simone Fröhlich, Samuel Brunner und Lukas Peter bieten Workshops und Trainings an, um ihren Sport ‹Parkour und Freerunning› be- kannter zu machen. Dafür erhielten sie den ersten Preis in der Kategorie 1 (Jugendliche bis 18 Jahre). In der Kate- gorie 2 (bis 25 Jahre) wurde das Kulturmagazin Quottom ausgezeichnet. Das Projekt ‹Bist du, was du isst?› gewann in der Kategorie 3 (Projekte unter Anleitung einer Fachperson). www.projekter.ch 3
Nachrichten Mensch und Umwelt Auszeichnung für vier Umweltschulen Die ersten vier Volksschulen aus dem der Ey den Themen Papierverbrauch und Schulen zu unterstützen, die Umwelt- Kanton Zürich haben im Rahmen des Littering. Und die Schule Sternenberg bildung und Ökologie langfristig in ihren Projekts ‹Umweltschulen – Lernen und plant unter Einbezug der örtlichen Alltag integrieren möchten, haben die Handeln› einen dreijährigen Entwick- Gemeinde ein mehrwöchiges Projekt Stiftung éducation21 und die Stiftung lungsprozess hin zur Umweltschule zum Thema Wetter und Klima. Mercator Schweiz das Projekt mit gestartet. Schulleitungen und Lehrper- Am 15. Mai 2013 wurden die vier Unterstützung der Bildungsdirektion des sonen haben ihre Schulen in punkto Schulen für ihr Engagement als Um- Kantons Zürich initiiert. Bis 2014 soll Umwelt unter die Lupe genommen und weltschulen ausgezeichnet. Regierungs- ein grosses Netzwerk an Umweltschulen eigene Massnahmenpläne entwickelt. rätin Regine Aeppli überreichte ihnen im entstehen, in dem sich die beteiligten Erste Projekte wachsen bereits: Botanischen Garten der Universität Schulteams austauschen können. Eine So startete die Schule Milchbuck im Zürich die Anerkennungsurkunden. «Der Beratungsstelle begleitet die Schulen Frühling mit einem Gartenclub. Die Wille zur Weiterentwicklung und das und bietet viele Weiterbildungsmög- benachbarte Schule Riedtli packt im grosse Engagement dieser Schulen soll lichkeiten an. Zwei interessante Inputs Sommer mit zwei Pilotklassen die anerkannt und weit über das unmittel- zum Thema ‹Biodiversität konkret Pflege des Bergwaldes in Klosters an. bare Umfeld hinausgetragen werden», für die Schule› erhielten die Teilnehmer Mit Plakaten und regelmässigen Pro- betont Projektleiterin Beatrix Winistörfer bereits bei der Auszeichnungsfeier. jektmorgen widmet sich die Schule In von der Stiftung éducation21. Um www.umweltschulen.ch wissenschaft Kinder und Jugendliche Besuch bei der Afrikanischen Union Den Ort haben die Stipendiaten ge- wählt, auch das Programm konnten sie selbst auf die Beine stellen: Das Zwi- schentreffen des vierten Jahrgangs des Mercator Kollegs für internationale Aufgaben fand vom 14. bis 25. Mai 2013 in Äthiopien statt. Zu diesem Zeit- punkt waren bereits neun Monate des Stipendienprogramms vergangen, in denen die 24 Hochschulabsolventen aus Deutschland und der Schweiz vielfältige internationale Arbeitserfah- rungen gesammelt haben. Die Orga- nisation des Zwischentreffens 2013 haben die Stipendiaten Leana Podeszfa und Hannah Dönges aus Deutschland zusammen mit Gabriela Blatter aus der Schweiz übernommen. Das Zwischentreffen ist fester Bestandteil des 13-monatigen Pro- gramms. In diesem Rahmen erhalten die Lehrer werden zu Lernenden Stipendiaten die Gelegenheit, sich abseits ihrer eigenen Projekte intensiv Auch nach dem Anmeldeschluss können. Zwei Referate, elf Kurzvorträge, mit einem Land ihrer Wahl auseinan- fragten täglich interessierte Lehrer die 21 stufenspezifische Ateliers und ein derzusetzen. In Äthiopien – Sitz der Afri- Organisatoren, ob sie nicht noch Lehrmittel- und Ideenmarkt warteten kanischen Union – nutzte die Gruppe am SWiSE-Innovationstag teilnehmen auf die Lehrer. «Die grosse Neugier die Gelegenheit, persönliche Einblicke könnten. «Leider konnten wir nicht und das Engagement der Lehrpersonen in diese internationale Organisation mehr alle aufnehmen», erzählt Claudia waren deutlich spürbar», freut sich zu erhalten und internationale Akteure Stübi, Projektleiterin der Initiative Claudia Stübi. Die Veranstaltung zu treffen. Im September 2013 startet SWiSE (Swiss Science Education). 392 vermittelte nicht nur konkrete Unter- der fünfte Jahrgang des Mercator Kollegs Teilnehmer liessen sich am 9. März richtsideen, sie ermöglichte einen mit den vier Schweizer Stipendiaten 2013 in der Pädagogischen Hochschule Erfahrungsaustausch unter Berufskol- Nicola Forster und Emina Hadziabdic St. Gallen und im OLMA-Kongress- legen. Der nächste Innovationstag aus Zürich, Antonia Sutter aus Appenzell zentrum inspirieren, wie sie forschendes findet am 29. März 2014 an der Päda- und Corinna Zuckerman aus Basel. Lernen in ihrem naturwissenschaft- gogischen Hochschule Zürich statt. www.mercator-kolleg.ch lich-technischen Unterricht umsetzen www.swise.ch 4 Mercator Magazin 01 / 13
Nachrichten mensch und umwelt Kinder und jugendliche viele ideen für den Unterricht In einem Projekt, an dem viele Partner beteiligt sind, ist ein regelmässiger Austausch wichtig. Auch im Konsor- tium ‹Personalisiertes Lernen in heterogenen Lerngemeinschaften› der Stiftung Mercator Schweiz spielen Wissenstransfer und Vernetzung eine entscheidende Rolle: Über 50 Schulen setzen in diesem Rahmen zusam- men mit Hochschulen, Lehrmittelverla- gen und Software-Spezialisten zehn Teilprojekte um, um das personalisierte Lernen weiterzuentwickeln. Am 12. Januar 2013 kamen 130 am Projekt beteiligte Personen – die meisten von ihnen Lehrpersonen und Schulleiter – im Zürcher Gymnasium Unterstrass zu einer Koordinationstagung zusammen. Genuss, Geschäft In 15 Workshops informierten sie sich über den Verlauf der Projekte und und Globalisierung holten sich Anregungen für den eigenen Berufsalltag. «Ist die Hattie-Studie ein Killer- Wir entscheiden täglich aufs Neue, was auf den Teller kommt. argument gegen offene Lernformen?» Manchmal spontan, manchmal nach reiflicher Überlegung. Diese Frage verneinten Professor Wolfgang Beywl (Pädagogische Hoch- Woher stammen die Nahrungsmittel? Wie wurden sie produziert? schule Nordwestschweiz), Professor Unsere Kaufentscheide haben Auswirkungen auf unsere Gesund- Kurt Reusser (Universität Zürich), heit. Sie beeinflussen aber auch die Umwelt und das Leben Professor Dieter Rüttimann (Gesamt- anderer Menschen – in der Schweiz, in Afrika oder an anderen schule Unterstrass Zürich) und Professor Orten der Welt. Das Naturama Aargau in Aarau ist die erste Michael Schratz (Universität Inns- bruck) in der Podiumsdiskussion zum Station der Wanderausstellung ‹Wir essen die Welt› der Entwick- Abschluss der Tagung: Die Experten lungsorganisation Helvetas. Am 3. Mai 2013 feierte die Aus- sehen die aktuell vieldiskutierte Studie stellung Vernissage und nahm zum ersten Mal die Besucher mit vielmehr als Aufforderung zu einer auf eine kulinarische Weltreise durch acht Länder. Unterrichtsentwicklung, die die Bedürf- nisse der Lernenden ins Zentrum stellt. «Uns war es wichtig, die Ausstellung interaktiv zu gestalten», www.lernkonzepte.ch sagt Projektleiterin Beatrice Burgherr. So können die Ausstel- lungsbesucher spielerisch soziale und ökologische Fragen rund um Essen, Nahrungsmittelproduktion und Handel, Genuss und Geschäft, Hunger und Überfluss erkunden. Auf ihrer Reise treffen sie Menschen, die ihnen erzählen, wie sie sich ernähren oder wie unsere Nahrung produziert und gehandelt wird. Eine Kakao- bäuerin aus Honduras. Ein junger Sojazüchter aus Brasilien. Eine Marktfahrerin aus Burkina Faso. Eine kämpferische Agronomin aus Indien. Ein Börsenhändler aus den USA, der mit Mais handelt. Zugleich zeigt die Ausstellung den Besuchern Lösungsansätze und motiviert sie, einen persönlichen Beitrag zum nachhaltigen Konsum zu leisten. Was sie künftig für mehr Nachhaltigkeit tun möchten, können die Besucher in Videobotschaften festhalten. Für Schulen gibt es spezielle Führungen und Materialien für die Aufbereitung des Themas im Unterricht. Ein Begleitprogramm vertieft die Themen der Ausstellung. Nach der Station in Aarau (Ende: 9. Februar 2014) wird die Ausstellung unter anderem in Bern, Zürich und Vaduz zu sehen sein. www.wir-essen-die-welt.ch 5
Nachrichten mensch und umwelt Engel und Herold verteilen Komplimente Suffizienz bezeichnet einen Lebens- ihnen zu zeigen, wie sie selbst Lebens- und Konsumstil, der die Bedürfnisse mittelabfälle vermeiden können. von heute sichern soll, ohne die Neben den ‹Suffizienz-Talks› und einer Bedürfnisse zukünftiger Generationen Schreibwerkstatt war eine Suffizi- zu gefährden. «Hinter diesem Begriff enz-Performance ein zentraler Messe- verbergen sich Fragen nach dem beitrag von sun21: Zwei Schauspieler richtigen Mass», erklärt Petra Hirsig, – Engel und Herold – mischten sich Geschäftsführerin des Vereins sun21. unter die Messebesucher und verteilten «Vielen Menschen ist der Begriff Komplimente. Denn einige Menschen Suffizienz nicht geläufig.» Um dieses leben schon heute die Idee der Suffizi- Thema einem breiten Publikum näher enz. Ihnen wollte sun21 einfach einmal zu bringen, nahm der Verein vom «Danke» sagen und sie darauf hin- 28. Februar bis 2. März 2013 mit drei weisen, dass genau das, was sie tun, Anlässen an der NATUR Messe Suffizienz bedeutet. «Die ange- Basel teil: Tägliche, gut besuchte Talk- sprochenen Personen waren meistens runden mit Gästen aus verschiedenen sehr überrascht, dass ihr Verhalten Fachbereichen beleuchteten das Thema eine positive Rückmeldung wert ist», ‹Lebensmittel: Nahrung oder Abfall?›. erzählt Petra Hirsig. In Zukunft Ziel war es, den Zuhörern Ideen und möchte sich der Verein verstärkt dem mögliche Handlungsweisen für den Thema Suffizienz widmen. Alltag mit auf den Weg zu geben und www.sun21.ch Aktiv für die Umwelt ≥ In ihrer Freizeit fahren die Schweizer jeden Tag 990 Mal mit dem Auto um die Welt. Dabei verbrauchen sie 2,5 Mil- lionen Liter Treibstoff und produzieren 6100 Tonnen CO2. Die Schweizer Klimaschutzorganisation my- KLIMATIPP VON MYBLUEPLANET blueplanet nimmt die Mobilität in der Schweiz Jedes Kilo zählt! Jeder kann in seinem Alltag unter die Lupe: Die aktuelle Erhebung ‹Mikro- CO2 einsparen und damit einen Beitrag zensus Verkehr und Mobilität› zeigt, dass zum Klimaschutz leisten: der Freizeitverkehr mit 40 Prozent aller Fahrten — Legen Sie Kurzstrecken zu Fuss oder mit einen sehr grossen Teil des Verkehrs ausmacht. dem Fahrrad zurück. Das fördert die Und dabei ist das Auto meistens die erste Fitness und schützt das Klima. Wahl. Der Strassenverkehr verursacht in der — Profitieren Sie vom öffentlichen Verkehr. Schweiz 31 Prozent der klimaschädlichen Das Angebot und die Pünktlichkeit von CO2-Emissionen. Dieser Anteil hat mit dem Zug, Postauto und Schiff in der Schweiz wachsenden Verkehrsaufkommen trotz sparsa- sind legendär. merer Fahrzeuge und besserer Treibstoffe — Oft liegt das Gute so nahe: Wer das lokale nicht abgenommen. Das grösste Potenzial zur Freizeitangebot nutzt, spart eine Anreise CO2-Reduktion im Verkehr liegt in der Nutzung im Auto. von Alternativen zum Auto, appelliert die — Wenn es unbedingt ein Auto braucht: Klimaschutzorganisation. Vor allem, wenn man Bilden Sie Fahrgemeinschaften und bedenkt, dass die Hälfte aller Autofahrten nutzen Sie Car-Sharing-Angebote. unter einer Distanz von fünf Kilometern liegt. Entsprechende Netzwerke wie Mobility gibt es an vielen Orten in der Schweiz. www.myblueplanet.ch 6 Mercator Magazin 01 / 13
frage an die Wissenschaft Klimaschutz: Kreislauf von Nährstoffen, die natürliche Abfallbe- seitigung und die Filtration von Niederschlags- Was schulden wir wasser. Ein Ansatzpunkt für generationenübergrei- fende Gerechtigkeitstheorien ist es, die Erhaltung künftigen elementarer ökosystemischer Dienstleistungen Generationen? zu fordern, um die Grundrechte auf Wasser und Nahrung zu sichern. Für viele Gerechtigkeitstheo- rien geht eine solche Forderung jedoch nicht Dr. Fabian Schuppert weit genug: Schulden wir künftigen Generationen Philosoph nicht sogar, dass sie die gleichen Lebensbedingun- gen erhalten wie wir oder wenigstens einen (relativ) gesunden Planeten? Der vom Menschen herbeigeführte Klimawandel ist ein globales Problem. Der Klimawandel ver- Hinterfragung täglicher Handlungen ursacht bereits heute Ernteausfälle, Überschwem- Wenn es um Nachhaltigkeit geht, müssen wir viele mungen und vielerlei vermeidbares Leid. Die unserer täglichen Entscheidungen und unter schlimmsten Folgen des Klimawandels liegen jedoch Umständen unser ganzes wirtschaftliches System in der Zukunft. Viele Auswirkungen können noch hinterfragen: Tue ich zukünftigen Generationen beeinflusst oder im besten Fall sogar verhindert wer- unrecht, wenn ich mit dem Flugzeug fliege oder den. Das bedeutet: Unsere heutigen Entscheidungen meine Wohnung auf 21 Grad heize? Ist es moralisch haben massive Auswirkungen auf das Leben zu- vertretbar, begrenzte natürliche Ressourcen für künftiger Generationen. Aus philosophischer Sicht die Produktion von Konsumgütern aufzubrauchen? ist der Klimaschutz damit nicht nur ein Problem Bei der Beantwortung dieser Fragen ist es proble- der Gerechtigkeit im Hier und Jetzt, sondern ein matisch, dass Handlungen, die im Einzelfall harmlos Problem der Gerechtigkeit zwischen Generationen. erscheinen – wie der Flug in den Urlaub oder das Essen von Fleisch – häufig stark klimaschädliche Achtung der Grundrechte und ressourcenvernichtende Konsequenzen haben, Die Idee, dass die heute Lebenden gewisse Pflichten wenn sie zur Gewohnheit werden. Die Klimaethik gegenüber ihren Kindern und Kindeskindern kann damit nicht die moralische Vertretbarkeit haben, erscheint den meisten Menschen einleuch- isolierter Handlungen bewerten, sondern muss die tend. Doch wie sieht es mit unseren Pflichten Konsequenzen sozialer Praktiken analysieren. gegenüber zukünftigen Generationen aus? Haben Die meisten Menschen in Ländern wie der Schweiz, wir gegenüber Menschen, von denen wir nicht in Deutschland oder den USA leben derart res- wissen, wer diese sind, wie sie heissen und wo sie sourcenverbrauchend, dass wir diese Lebensstile als wohnen, Gerechtigkeitspflichten? Die meisten unnachhaltig bezeichnen müssen. Aus Sicht der Philosophen geben auf diese Frage eine klare Ant- generationenübergreifenden Gerechtigkeit scheint wort: Ja. Auch wenn wir die zukünftigen Gene- es geboten, dass jeder versucht, seinen Ressourcen- rationen nicht kennen, sollten wir ihre Grundrechte verbrauch zu verringern und sich für eine öko- achten, ihre Bedürfnisse und Grundinteressen logisch nachhaltigere Politik und ressourcenscho- respektieren und ihnen kein vermeidbares Leid nendere Wirtschaft einzusetzen. verursachen. Was schulden wir also künftigen Generationen? Eine Schlüsselrolle bei der Beantwortung dieser Frage kommt der ökologischen Nachhaltigkeit, be- ziehungsweise der Verteilung und Verwaltung natürlicher Ressourcen zu. Denn letzten Endes kön- nen Menschen – heute und in der Zukunft – ihre Dr. Fabian Schuppert beschäftigt sich im Rahmen des Rechte nur wahrnehmen, wenn sie Zugang zu Graduiertenprogramms ‹Gerechtigkeit in praktischen Frischwasser und Nahrung haben. Die natürlichen Kontexten› der Universität Zürich mit Fragen ökologischer Nachhaltigkeit und generationenübergreifender Gerech- Ressourcen, die wir zum Überleben brauchen, tigkeit. Ziel seiner Postdoc-Arbeit mit dem Titel ‹Scarcity sind die Produkte komplexer ökologischer Prozesse, of Natural Resources and Intergenerational Justice: weshalb man diese auch als ‹ökosystemische Dienst- De-Territorializing and Re-Territorializing Sovereignty› ist es, eine Theorie von Ressourcenrechten zu entwickeln, leistungen› bezeichnet. Diese schliessen nicht nur die ein nachhaltiges und gerechtes Wirtschaften sicherstellt. die Produktion von Nahrung ein, sondern auch den fabian.schuppert@ethik.uzh.ch 7
schwerpunkt Gesellschaftliche Integration S. 20 — 23 brücken in die Welt der Erwachsenen S. 24 — 30 Das Ziel stets vor Augen S. 31 chancen für die Zukunft S. 32 — 33 Mein Die Familie als Lernort S. 34 — 38 Ein Zentrum für die Bildung S. 39 Wege zum Erfolg in S. 40 — 41 Lebensraum, Freiraum, Lernraum S. 42 — 45 Ein wichtiger Schritt in die Arbeitswelt Gesells Fünf Wege der Förderung Wie kann man die gesellschaftliche Integration von Kindern und Jugendlichen fördern? Fünf Personen erzählen, wie sie junge Menschen auf dem Weg in die Gesellschaft unterstützen. Sie engagieren sich in fünf unterschiedlichen Bereichen für die Integration von Kindern und Jugendlichen. S. 10 — 19 8 Mercator Magazin 01 / 13
Platz der schaft Integriert zu sein, bedeutet an der Gesellschaft teilzu- haben. In der Schule. Auf dem Arbeitsmarkt. In der Freizeit. Es bedeutet, sich einbringen zu können und das gesellschaftliche Leben mitzugestalten. Wenn die Stiftung Mercator Schweiz sich für die gesellschaft- liche Integration von Kindern und Jugendlichen ein- setzt, hat sie dieses Ziel vor Augen. Junge Menschen sollen unabhängig ihrer sozialen und kulturellen Herkunft ihr Potenzial und ihre Persönlichkeit entfalten können, um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.
«Ich sehe jedes Jahr, wie schwer es meine Schüler im Bewerbungsprozess haben. Jugendlichen mit schulischen Schwierigkei- ten sollte man frühzeitig die nötigen Mittel an die Hand geben, mit denen sie in der Berufswelt Fuss fassen können. Dazu zählen vor allem praktische Arbeitserfahrungen, wie wir sie im Projekt LIFT ermöglichen: Die Jugendlichen können zeigen, was sie kön- nen. Sie erfahren, dass ihre Arbeit wertvoll ist. Das stärkt ihr Selbstvertrauen, ihre Persönlichkeit. Um ihre gesellschaftliche Inte- gration zu fördern, sollte man Jugendliche abholen, wo sie stehen – auch wenn der Weg steinig werden mag. Es ist wichtig, sie eng zu begleiten, ihnen zuzuhören, sie zu motivieren und ihnen ihre Möglichkeiten aufzuzeigen.» LIFT David Lorenz ist im Schulhaus Grentschel in Lyss (BE) Lehrer einer Förderklasse und dort mitverantwortlich für das Projekt LIFT. Im Zentrum von LIFT stehen wöchentliche Ar- beitseinsätze in Betrieben der Region, die die teilnehmenden Jugendlichen in ihrer Frei- zeit absolvieren. Schulungen in Selbst- und Sozialkompetenzen und eine enge Begleitung im Berufswahlprozess sind weitere zentrale Inhalte des Programms, dessen Verbreitung die Stiftung Mercator Schweiz in den Jahren 2010 bis 2014 mit 380 000 Franken fördert. www.jugendprojekt-lift.ch
Begleitung in die Berufswelt
Niederschwellige Angebote
«In einem Orchester ist man Teil einer hetero- genen Gruppe, wie in der Gesellschaft: Bei BaBeL Strings musizieren Kinder unter- schiedlicher Kulturen und Altersgruppen zusammen. Sie erfahren gemeinsam Freude und üben wichtige Kompetenzen wie Diszi- plin, Respekt und Rücksichtnahme. Die Musik ist ein ausgezeichnetes Mittel der Inte- gration. Sie spricht die Sinne an und ver- bindet. Doch nicht alle Familien können sich eine Musikschule leisten. Deshalb sind nie- derschwellige Angebote wichtig: In unserem Fall heisst dies, dass wir zu den Kindern gehen. Unser Unterricht findet im Schulhaus statt, gleich im Anschluss an den regu- lären Unterricht. So können wir auch Kinder erreichen, deren Eltern keine Möglichkeit haben, sie zum Musikunterricht zu begleiten.» BaBeL Strings Nicole Bucher ist Musiklehrerin im Projekt BaBeL Strings. Mit diesem Angebot möchte der Verein für Quartierentwicklung ‹BaBeL› Kindern im multikulturellen Luzerner Quartier Basel-/Bernstrasse die Welt der klassischen Musik eröffnen. Das regelmässige und aktive Zusammenspiel steht im Zent- rum des Projekts. BaBeL Strings leistet einen Beitrag zur Integration und Kulturvermitt- lung und schafft Raum für eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Die Stiftung Mercator Schweiz hat den Aufbau von BaBeL Strings mit 10 000 Franken unterstützt. www.babelquartier.ch
«Eltern, die neu in der Schweiz sind, haben viele Fragen: Welche Spielgruppen gibt es? Wie funktioniert das Bildungssystem? Wie können sie ihre Kinder fördern? Man kann Familien bei der Integration unterstützen, indem man auf ihre Fragen eingeht und sie in der Förderung ihrer Kinder begleitet. Bei meinen Hausbesuchen im Rahmen des Pro- jekts schritt:weise spreche ich mit den Eltern über wichtige Entwicklungsschritte ihres Kindes – und vor allem zeige ich ihnen, wie sie es spielerisch fördern können. Den Kindern macht es Spass. Und die Eltern sind dankbar für die Unterstützung. Sie möchten alle, dass ihre Kinder eine gute Zukunft haben.» schritt:weise Ayse Yüser engagiert sich als Hausbesucherin für das Projekt schritt:weise. Das Spiel- und Lernprogramm des Vereins a:primo fördert Kinder im Vorschulalter in ihrem vertrauten Umfeld zuhause. Das Programm dauert ein- einhalb Jahre und richtet sich an sozial benach- teiligte Familien. Regelmässige Gruppentreffen vermitteln den Eltern Kompetenzen zur För- derung ihrer Kinder und ermöglichen es ihnen, sich mit anderen Familien auszutauschen. Das Programm wird bereits an 20 Standorten in der Deutschschweiz erfolgreich durchgeführt, jetzt werden neue Umsetzungsmodelle ent- wickelt, an Pilotstandorten erprobt und evalu- iert. Dafür stellt die Stiftung Mercator Schweiz 250 000 Franken zur Verfügung. www.a-primo.ch
Unterstützung der Eltern
Öffnung von Verbänden und Vereinen
«In Verbänden können Kinder und Jugendliche entdecken, was es heisst, eine Herausfor- derung gemeinsam anzugehen. Sie knüpfen Kontakte und erhalten die Möglichkeit, sich zu engagieren und Verantwortung zu überneh- men. Doch bisher profitieren in der Schweiz nur wenige Kinder mit Migrationshintergrund von dieser Form der informellen Bildung. Ihre Mitgliederzahl spiegelt nicht die Vielfalt unserer Gesellschaft wider. Die Pfadibewe- gung möchte das ändern und sich mit anderen Organisationen vernetzen, um soziale und kulturelle Öffnungsprozesse voranzutreiben. Mit unseren internationalen Austausch- aktivitäten fördern wir das Verständnis von Jugendlichen für andere Kulturen und ent- wickeln Ideen für die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund in die Pfadi.» Unity in Diversity Sandro Toldo ist Pfadileiter in Zürich- Schwamendingen. Die Stiftung Mercator Schweiz und die Pfadibewegung Schweiz verbindet ein gemeinsames Projekt: Im Rahmen von ‹Unity in Diversity› organisiert die Pfadibewegung Schweiz zusammen mit ihren Partnerverbänden in Serbien und Georgien internationale Sommerlager und Ausbildungskurse für Pfadileiter, um sie auf die Arbeit mit kulturell vielfältigen Gruppen vorzubereiten. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit 700 000 Franken. www.pbs.ch
«Entscheidend für eine erfolgreiche Inte- gration ist eine gute Bildung. Unsere Schulen vermitteln nicht nur Fachwissen, sondern auch kulturelle Zusammenhänge und ein kritisches Denken. Dies kann jungen Migran- ten helfen, einen Weg zwischen den zwei Welten zu finden, in denen sie leben. Studien zeigen, dass eine erfolgreiche Schulbildung von den Deutschkenntnissen und von der Unterstützung durch die Eltern abhängt. Jun- gen Migranten aus bildungsfernen Familien fehlt oft beides. Selbst wenn sie begabt und motiviert sind, bleibt ihnen die höhere Bildung oft verschlossen. Mit einer gezielten Förderung, wie wir sie im Programm ChagALL bieten, kann man ihnen gerechtere Chancen für die Zukunft eröffnen.» ChagALL Dorothea Baumgartner ist eine von sechs Trainerinnen, die im Rahmen des Förderpro- gramms ChagALL (Chancengerechtigkeit durch Arbeit an der Lernlaufbahn) des Zürcher Gymnasiums Unterstrass jedes Jahr zwölf begabte Jugendliche mit Migrationshintergrund auf die Aufnahmeprüfungen zum Gymnasium und zu weiteren Mittelschulen vorbereiten. Zehn Monate dauert das Programm, zwei Mal in der Woche finden die Trainingseinheiten statt. Die Stiftung Mercator Schweiz fördert das Programm und die begleitende Evaluation mit 128 000 Franken. www.unterstrass.edu
Schulische Förderung
schwerpunkt Gesellschaftliche Integration Brücken in die Welt der erwachsenen Text / nadine fieke Es gibt keine allgemeingültige Definition Was bedeuten diese Überlegungen für von Integration. Je nach Perspektive die gesellschaftliche Integration von verschieben sich Schwerpunkte, Forderun- Kindern und Jugendlichen? «Jugendli- gen und Ziele. Man spricht von der chen muss bewusst sein, dass sie Integration von Migranten, von Arbeits- die Gesellschaft einmal übernehmen marktintegration, von der Integration werden», erklärt Gianni D‘Amato. «Sie von Menschen mit Behinderung. Die sollten schon früh lernen, Verant- Stiftung Mercator Schweiz macht sich für wortung zu tragen und Gelegenheiten die gesellschaftliche Integration von erhalten, die Gesellschaft mitzuge- Kindern und Jugendlichen stark. So unter- stalten.» Doch das, so stellt er fest, ist schiedlich die einzelnen Ausgangslagen nicht selbstverständlich: «Die Welten sind, all diese Integrationsbereiche haben der Erwachsenen und der Jugendlichen etwas gemeinsam: Sie möchten Men- stehen in einem ambivalenten Verhält- schen helfen, ihr Potenzial zu entfalten nis.» Die Erwachsenen wissen, dass und ihren Platz in der Gesellschaft zu sie Jugendliche in die Gestaltung der finden. «Integration bedeutet, die gesell- Gesellschaft einbeziehen sollten. Aber schaftliche Teilhabe zu sichern», fasst sie zögern, ihnen das entsprechende Professor Gianni D’Amato, Leiter des Vertrauen zu schenken. Sie unterstellen Forums für Migrations- und Bevölke- Jugendlichen, nicht zu verstehen, rungsstudien der Universität Neuchâtel, worum es geht und halten sie aussen zusammen. Integration sei ein Prozess. vor. «Entsprechend wichtig ist es, Und dieser erfordere von den einzelnen Brücken in die Welt der Erwachsenen Gesellschaftsmitgliedern den Willen, zu schlagen», sagt der Sozialwissen- sich auf diesen einzulassen. Gleichzeitig schaftler. Und diese Brücken führen müsse die Gesellschaft ihnen auch die über die schulische und ausserschuli- Möglichkeit dazu geben. sche Bildung. 20 Mercator Magazin 01 / 13
Selektion in höhere Bildungsgänge Sprachförderung in den Unterricht jedes Bildung in der niedrigeren Niveaus zugeordnet. Fachs, auf jeder Schulstufe. «Von schule Dabei brauchen manche Kinder viel- leicht nur ein bisschen mehr Zeit beim einer durchgängigen Sprachförderung profitieren nicht nur Kinder mit Lernen – weil sie noch Schwierig- Migrationshintergrund, sondern auch «Seit Einführung der Schulpflicht im keiten mit der fremden Sprache haben, Kinder aus sozial benachteiligten 19. Jahrhundert ist die Schule das weil ihnen zuhause die Unterstützung Familien.» zentrale Werkzeug der gesellschaftlichen in schulischen Fragen fehlt. Von der Bedeutung des Engage- Integration junger Menschen», sagt Und diese Zeit, davon ist Profes- ments einzelner Lehrpersonen für Gianni D’Amato. Kinder und Jugendliche sorin Doris Edelmann überzeugt, sollte individuelle Bildungswege ist auch Jürg unterschiedlicher sozialer und kultu- man den Kindern auch geben. Die Brühlmann überzeugt – insbesondere reller Hintergründe lernen zusammen. Leiterin des Instituts ‹Bildung und Ge- mit Blick auf den Schritt in die Arbeits- Sie werden auf ihre Zukunft in der sellschaft› der Pädagogischen Hoch- welt. «Engagierte Lehrpersonen auf Gesellschaft vorbereitet, sie legen mit schule St. Gallen sieht deshalb neben der Sekundarstufe mit Grundanforderun- ihrer Bildung den Grundstein für ihre einer schulergänzenden Förderung gen setzen sich enorm dafür ein, dass berufliche Laufbahn und persönliche in einer differenzierenden Unterrichts- alle ihre Jugendlichen eine Lehrstelle Lebensgestaltung. Doch es zeigt sich, gestaltung einen wichtigen Beitrag finden», beobachtet der LCH-Fachmann. dass die Integrationsleistung der Schule zu mehr Chancengerechtigkeit. Indem Dass dies sehr wichtig ist, unter- begrenzt ist: «Die Bildungschancen die Schüler Lernaufgaben auf unter- streicht Gianni D’Amato: «Wichtig für von Kindern hängen stark von ihrer sozi- schiedlichen Niveaus lösen und persön- die Jugendlichen ist, dass sie in die alen und kulturellen Herkunft ab», liche Lernziele verfolgen, werden Lehre hineinkommen.» Die Arbeitswelt betont der Wissenschaftler. Er macht auf sie abgeholt, wo sie stehen. «Schwache sollte ihnen die Möglichkeit geben, ihre sozialen Netzwerke und die Unter- Schüler können durch eine indivi- sich zu bewähren – auch wenn sie in der stützung ihres Umfelds (das so genannte duelle Förderung aufholen», betont die Schule nicht erfolgreich waren. Denn soziale Kapital) aufmerksam, auf die Erziehungswissenschaftlerin. «Und ohne anerkannte Qualifikationen sei es finanziellen Möglichkeiten (ökonomi- stärkere können sich weiterentwickeln.» schwierig, seinen Platz in der Gesell- sches Kapital) und vor allem auf das Es gibt Schulen, die solche Wege be- schaft zu finden. kulturelle Kapital, das die Bildungswege reits gehen. «Diese Initiativen kommen von Kindern stark beeinflusst: Haben oft aus den Schulen selbst», erklärt Jürg die Eltern eine höhere Bildung genossen? Brühlmann, Leiter der pädagogischen Stehen zuhause Bücher und Lexika in Arbeitsstelle des Dachverbands Schweizer bildung in der den Regalen? Werden diese genutzt? Geht man mit der Familie ins Museum? Lehrerinnen und Lehrer (LCH). Und ihre Erfahrungen dienen anderen Schu- freizeit Dies seien einfache Indikatoren, die len als Beispiele. «Die Chancengerech- zeigen, ob Kinder schon früh in Kreise tigkeit wird in Zukunft verstärkt ein Neben der Schule bieten Angebote in der eingeführt werden, die versiert mit Thema, wenn die soziale und kulturelle Freizeit die zweite zentrale Brücke in Bildung umgehen können – und ob sich Vielfalt weiter zunimmt.» Und dafür die Gesellschaft: «Vereine und Verbände die Kinder deren Werte aneignen. «Die müsse man passende Antworten finden. sind wichtige Orte der Sozialisation», Schule fragt diese Werte ab», erklärt «Doch die Schule ist schwer zu betont Gianni D’Amato. Kinder und Gianni D’Amato. Und Kinder, die diese reformieren», bemerkt Gianni D’Amato. Jugendliche knüpfen Kontakte. Sie gehen Werte in ihrem Umfeld nicht mitbe- Deshalb sieht er eine wichtige Rolle gemeinsam Aufgaben an, sie überneh- kommen, haben Nachteile. bei den einzelnen Lehrpersonen: «Es men Verantwortung, verwirklichen eigene «Kinder und Jugendliche mit hängt von ihnen ab, wie Schule wirkt, Ideen. Sie erfahren, dass sie etwas be- Migrationshintergrund sind in Sonder- wie Bildungswege verlaufen.» Ent- wirken können und erhalten Anerken- klassen der Volksschule und in den sprechend sei es wichtig, in die Aus- und nung. «All das stärkt ihre Persönlichkeit, leistungsmässig niedrigeren Schultypen Weiterbildung von Lehrpersonen zu ihre sozialen Kompetenzen, ihr Enga- der Sekundarstufe I nach wie vor deut- investieren und ihnen Kompetenzen im gement.» Doch wie Schulen stossen auch lich übervertreten», stellt Professor Umgang mit Vielfalt zu vermitteln. Für Vereine und Verbände in ihrer Integra- Andrea Lanfranchi, Leiter des Schwer- Doris Edelmann gehören dazu vor allem tionskraft an Grenzen. «Es ist vor allem punkts ‹Kinder mit besonderem Bil- umfassende Kenntnisse über Ursachen der Schweizer Mittelstand vertreten», dungsbedarf› an der Interkantonalen der Benachteiligung, eine anerkennende stellt Sonja Preisig von der Schweizeri- Hochschule für Heilpädagogik Zürich, Haltung gegenüber allen Kindern und schen Arbeitsgemeinschaft der Jugend- fest. Gleichzeitig seien sie am Gym- ihren Eltern und Qualifikationen für eine verbände (SAJV) fest. Kinder und nasium und an Hochschulen untervertre- durchgängige Sprachförderung. «Sprach- Jugendliche mit Migrationshintergrund ten. Ähnliches könne man bei Kindern liche Probleme wirken sich auf alle und aus sozial benachteiligten Fami- aus sozial benachteiligten Schweizer Fächer aus», weiss sie. Um in der Schule lien seien selten Mitglieder in Vereinen Familien beobachten, ergänzt Gianni bestehen zu können, reiche es nicht, sich und Verbänden. Und damit profitieren D’Amato. Woran liegt das? «Man erwartet im Alltag unterhalten zu können. «Eine sie auch nicht von den wertvollen weniger von diesen Kindern», beob- gewisse Bildungssprache ist wichtig.» informellen Bildungsmöglichkeiten, die achtet der Experte. So werden sie bei der Deshalb gehört für die Bildungsexpertin diese bieten. 21
schwerpunkt Gesellschaftliche Integration von bekannten, strukturierten Angeboten «Jugendliche brauchen Orte, wo wie der Vereinsmitgliedschaft. «Ein sie sich treffen und ihren Interessen flexibles, niederschwelliges Freizeitange- bot, das stärker selbst mitgestaltet nachgehen können. Sie suchen werden kann, bietet dann eine attraktive sich diese Räume und erleben dabei Alternative.» In den vergangenen Jahren hat Elena Konstantinidis eine starke die Welt der Erwachsenen.» Bewegung hin zur mobilen Jugendarbeit beobachtet, die dort mit den Jugendli- Professor Gianni D’Amato, Universität Neuchâtel chen zusammenarbeitet, wo sie sich gerne aufhalten – im öffentlichen Raum. Dafür sieht sie gute Gründe: «Öffentliche «Verbände und Vereine bilden in der Räume bieten Jugendlichen die Möglich- Schweiz sehr wichtige, traditionell ver- keit, Verantwortung zu übernehmen, ankerte Säulen der Gesellschaft», aber auch Grenzen auszuloten und aus- weiss Elena Konstantinidis, Geschäfts- zuhandeln», sagt die DOJ-Geschäfts- führerin des Dachverbands offene führerin. «Das sind wichtige Grundlagen Kinder- und Jugendarbeit Schweiz (DOJ). für das Verständnis des demokratischen «Das ist ihre grosse Stärke.» Doch Zusammenlebens.» diese Stärke wird für manche Menschen Welche besonderen Bedürfnisse zu einem Nachteil. «Der Zugang ist Kinder und Jugendliche aus sozial be- informell geregelt. Er geschieht oft über nachteiligten Migrationsfamilien haben, soziale Beziehungen.» Die DOJ-Geschäfts- weiss der Verein BaBeL in Luzern: führerin nennt ein Beispiel: «Der Vater «Viele Eltern sind wenig oder höchstens war schon in der Pfadi und profitiert bis in ihrem Kulturkreis vernetzt», er- heute von den damals geknüpften klärt Esther Camara-Stillhart. Sie haben Kontakten. Und so wird auch der kleine oft einen oder mehr Jobs und damit Sohn angemeldet, wenn er alt genug kaum Zeit, ihre Kinder zu Freizeitange- ist.» Oder in einem Wohnquartier gut boten zu begleiten. Zudem reichen gestellter Mittelstandsfamilien gehen die finanziellen Mittel nur für das Nötigs- einige Mädchen zum Reiten. So komme te. «Es müssen also Angebote her, eine Familie auch auf die Idee, die die räumlich gut erreichbar sind, die das Tochter dort anzumelden. Es sei nicht Vertrauen der Eltern gewinnen können so, dass diese Angebote sozial schwachen und die wenig oder nichts kosten.» Jugendlichen oder solchen mit Mig- Wenn solche Angebote fehlen, bemerkt rationshintergrund grundsätzlich ver- die BaBeL-Mitarbeiterin, verbringen schlossen sind. Doch da sie sich oft die Kinder unbeaufsichtigt viel Zeit am in anderen sozialen Gruppen aufhalten, Computer und Fernseher oder im komme dieser automatische Zugang öffentlichen Raum, was zu Konflikten nicht zustande. mit der Nachbarschaft führt. Der Verein Mit niederschwelligen Angeboten BaBeL ist aus einem Projekt der Fach- richtet sich die offene Jugendarbeit hochschule Zentralschweiz und der traditionell an Kinder und Jugendliche, Stadt Luzern zur Aufwertung des Quar- die nicht durch Vereine und Verbände tiers Basel-Bernstrasse entstanden, erreicht werden. Aber nicht nur: «Sie das schweizweit als wegweisendes Bei- kann auch eine gute Ergänzung bieten, spiel zur nachhaltigen Quartierent- indem sie mit Vereinen und Verbänden wicklung gilt. «Kinder und Jugendliche zusammenarbeitet», sagt Elena Konstan- haben Bedürfnis nach Freiraum, den tinidis. Als Partnerin könne die offene sie mit Gleichaltrigen und Erwachsenen Jugendarbeit Jugendlichen den Zugang ausserhalb ihres Familienkreises ge- zu Vereinen und Verbänden eröffnen. stalten können», weiss Esther Camara- Umgekehrt kommen auch viele Kinder, Stillhart. Gerade wenn Kinder autoritär die regelmässig samstags zur Pfadi erzogen werden, sei es für sie eine gehen, mittwochs ins Jugendhaus. Doch neue Erfahrung, mit Erwachsenen auf es gibt auch Jugendliche, die bewusst Augenhöhe zu diskutieren. Durch nicht Mitglieder in Verbänden sein möch- gemeinsam geplante Aktivitäten könne ten. «Jugendliche testen sich gerne man dies regelmässig üben. Im BaBeL- als unabhängige Individuen aus», weiss Quartier sind alle Angebote mitei- Elena Konstantinidis. Sie lösen sich nander vernetzt. Viele Kinder kommen vom Elternhaus und unter Umständen schon als Babys und Kleinkinder mit 22 Mercator Magazin 01 / 13
ihren Müttern ins Deutsch- und Integra- neue Wege finden, die Eltern in die Bil- ihre Welt erforschen, brauchen sie Men- tionsprojekt. Einige besuchen dann die dungsprozesse einzubinden», meint schen, die ihnen ein anregendes Umfeld Spielgruppe. Wenn sie in die Schule auch Doris Edelmann. Der Dachverband bieten. Für die meisten Kinder ge- kommen, gehen sie zur Kinderanimati- Elternbildung CH setzt sich für einen schieht solch eine frühe Förderung ganz on, für ältere Kinder gibt es weitere eben solchen Perspektivenwechsel in der selbstverständlich im Familienalltag – Angebote. «Auf diese Weise begleiten wir Elternarbeit ein: «Die meisten Schulen indem sie Freunde besuchen, Kinderbü- die Kinder über Jahre hinweg in ihrer behandeln die Eltern als homogene cher vorgelesen bekommen, im Wald Entwicklung», berichtet Esther Camara- Gruppe. Sie bieten das gleiche Angebot oder im Park spielen. «Doch aus verschie- Stillhart. für alle Eltern», stellt Geschäftsfüh- denen Gründen können viele sozial Die gesellschaftlichen Verände- rerin Maya Mulle fest. Die Frage müsse benachteiligte Eltern ihre Kinder nicht rungen haben in Vereinen und Verbänden jedoch sein: Welche Eltern brauchen so unterstützen, wie es für eine alters- Entwicklungsprozesse ausgelöst: Wie was? Elternarbeit sollte gezielt geplant, gemässe Entwicklung nötig wäre», sagt können sie zeitgemässe Freizeitangebote niederschwellig und auf die Bedürf- der Frühförder- und Migrationsex- sein? Wie können sie ihr grosses Po- nisse der Eltern zugeschnitten sein, perte. Und damit haben einige Kinder tenzial zur gesellschaftlichen Integration betont die Elternbildungsexpertin. Vor schlechtere Voraussetzungen beim ausschöpfen? Die SAJV und ihre 60 Mit- diesem Hintergrund entstehen an Schulstart. «Diese Nachteile können sie gliederverbände suchen nach Antworten einigen Schulen Elternmitwirkungspro- im Laufe der Schulzeit kaum aufholen», auf diese Fragen und beschäftigen jekte, die einen regelmässigen, un- betont Doris Edelmann. Beide Experten sich mit Möglichkeiten der kulturellen komplizierten Kontakt zwischen Eltern sind sich einig: Gerade für Kinder und sozialen Öffnung. «Es ist gesell- und Schule ermöglichen. aus unterprivilegierten Familien ist eine schaftlich ein Muss, dass Vereine und Ver- Über punktuelle Veranstaltungen konsequente frühe Förderung durch bände sich Gedanken machen, wie sie hinaus sieht Doris Edelmann gerade Spielgruppen, Kinderkrippen und Förder- mit der wachsenden Vielfalt umgehen», in der kontinuierlichen Elternarbeit einen programme ab Geburt sehr wichtig. betont Sonja Preisig, die bei der SAJV für wirkungsvollen Ansatz – und das mög- Diese Angebote können Familien unter- dieses Thema verantwortlich ist. Doch lichst schon, wenn die Kinder noch klein stützen und einen Ausgleich zu nicht ein Patentrezept gebe es nicht. «Das The- sind. In Angeboten wie Deutschlern- optimalen Lernbedingungen zuhause ma der Öffnung ist sehr komplex. Es gruppen für Mütter und ihre Kinder oder schaffen. «Entscheidend ist jedoch, dass braucht viel Fachwissen, Ressourcen und bei regelmässigen Elterntischen kön- die Angebote von hoher Qualität sind», einen langen Atem, um Veränderungen nen sich die Familien austauschen, die unterstreicht Doris Edelmann. «Und hervorzubringen.» Fachpersonen können im vertrauten dass die Förderung der Kinder auch nach Umfeld auf die individuellen Fragen und Eintritt in Kindergarten und Schule Bedürfnisse der Eltern eingehen. Statt fortgeführt wird.» ganz allgemein über die Entwicklung von Rolle der Eltern Kindern zu sprechen, erfahren die Nadine Fieke ist verantwortlich für die Eltern, was ihre eigenen Kinder konkret Kommunikation der Stiftung Mercator Schweiz. n.fieke@stiftung-mercator.ch brauchen. Eine besondere Form der «Die Eltern haben einen grossen Einfluss Elternarbeit sind Hausbesuchsprogram- auf die Bildungswege ihrer Kinder», me für benachteiligte Familien: Fach- sagt Andrea Lanfranchi. Doch nicht alle personen fördern Kinder zuhause in Eltern können ihren Kindern bei den ihrem vertrauten Umfeld, zum Teil be- Hausaufgaben helfen. Nicht alle wissen, reits ab Geburt. Die Eltern werden in die Engagement der Stiftung wie sie ihnen ein lernförderliches Umfeld Aktivitäten einbezogen und erfahren Ob schulergänzende Förderung, nieder- bieten können. Und nicht alle kennen auf diese Weise, wie sie die Entwicklung schwellige Angebote in der Freizeit oder das Schweizer Schul- und Ausbildungs- ihrer Kinder im Alltag unterstützen Elternbildung: Die Stiftung Mercator Schweiz system oder die wertvollen Lernmög- können. Sie lernen Förderangebote in setzt sich mit Projekten auf verschiedenen Ebenen dafür ein, dass Kinder und Jugendli- lichkeiten, die Angebote in der Freizeit ihrem Umfeld und das Schweizer che gerechte Chancen haben, ihr persönli- bieten. «Zusammen mit weiteren Mass- Bildungssystem kennen. Hausbesuchs- ches Potenzial zu entfalten und ihren Platz in nahmen ist Elternbildung ein guter programmen gelingt es, Familien zu der Gesellschaft zu finden. Diese Ausgabe Ansatz, um die Chancengerechtigkeit zu erreichen, die klassische Angebote der des Mercator Magazins konzentriert sich auf die schulergänzende und ausserschuli- fördern», erklärt Doris Edelmann. Familienbildung nicht in Anspruch sche Förderung von Kindern und Jugendli- Wegen ihrer wichtigen Rolle für den nehmen. chen. Auch im personalisierten Lernen Schulerfolg ihrer Kinder fordert Andrea «Die ersten Lebensjahre sind für und in der frühkindlichen Bildung sieht die Lanfranchi, dass die Zusammenarbeit die Entwicklung von bestimmten Fähig- Stiftung wichtige Ansätze, um die gesell- schaftliche Integration von Kindern und mit allen Eltern fester Bestandteil der keiten sehr wichtig», betont Andrea Jugendlichen zu unterstützen. Das Mercator Schule wird. Doch dabei reiche es nicht Lanfranchi. Kinder erlernen die Sprache Magazin 02/2012 gibt Einblicke in vielfältige aus, diese «von oben herab» an Eltern- und soziales Verhalten, sie bauen moto- Schulentwicklungsmassnahmen, in denen abenden über schulische Belange zu rische und kognitive Fähigkeiten auf – das personalisierte Lernen im Zentrum steht. Die Ausgabe 01/2012 widmet sich der früh- informieren. Man sollte sie unterstützen, die Grundlagen für späteres schulisches kindlichen Bildung. Die Magazine sind online damit sie ihren Kindern beim Lernen Lernen. Da Kinder sich Wissen und abrufbar: www.stiftung-mercator.ch/ behilflich sein können. «Schulen müssen Können aneignen, indem sie spielerisch stiftung/publikationen 23
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