MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz

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MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz
No 01
   13

MEIN PLATZ
IN DER
GESELlSCHAFT
Hausaufgabenbetreuung, Angebote für die Freizeit,
Elternbildung: Damit alle Kinder ihr Potenzial
entfalten können, setzen sich Projekte für mehr
Chancengerechtigkeit ein

                                                    Engagement
                                                    Studierende leisten mit eigenen
                                                    Projekten und Veranstaltungen
                                                    einen Beitrag für die Gesellschaft

                                                    Entdeckungsreise
                                                    Tamilische Kinder setzen sich
                                                    kreativ mit ihren kulturellen
                                                    Wurzeln auseinander

                                                    BioBaumwolle
                                                    Neue widerstandsfähige Bio-
                                                    baumwollsorten begegnen
                                                    den Folgen des Klimawandels

Mercator magazin
MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz
inhalt

Nachrichten                               S. 32 — 33                              tätigkeitsbereich

S. 2 — 6                                  Die Familie als                         Kinder und jugendliche

Aktuelle Meldungen aus Projekten;                                                 S. 52 — 59
                                          Lernort
Klimatipp von myblueplanet
                                          Eltern erfahren an den Themenaben-      Kreative Reise
frage an die wissenschaft                 den ‹ElternWissen – Schulerfolg›,       zu den eigenen
                                          wie sie ihren Familienalltag            Wurzeln
S. 7
                                          lernfördernd gestalten können.
Klimaschutz:                                                                      Tamilische Kinder aus der Schweiz
                                                                                  und aus Sri Lanka erhalten
Was schulden wir                          S. 34 — 38
                                                                                  Einblicke in sehr unterschiedliche
künftigen                                 Ein Zentrum für                         Lebenswelten.
Generationen?                             die Bildung
                                                                                  S. 60 — 61
Der Philosoph Dr. Fabian Schuppert        Frühförderung, Elternbildung, Lern-
gibt Antworten.                           begleitung für Primarschüler: Das       Überzeugende
                                          Bildungs-Café setzt sich für Chancen-   Argumente
schwerpunkt                               gerechtigkeit ein.
                                                                                  Im Finale von ‹Jugend debattiert›
gesellschaftliche integration
                                                                                  messen sich die besten
S. 8 — 45                                 S. 39
                                                                                  Rhetorikkünstler der Schweiz.
Mein Platz in der                         Wege zum Erfolg
                                          Welche Faktoren beeinflussen den        tätigkeitsbereich
Gesellschaft                              Bildungserfolg von Immigranten-         mensch und umwelt

                                          kindern? Die Studie ‹Pathways           S. 62 — 67
S. 10 — 19
Fünf Wege der
                                          to Success› sucht nach Antworten.       In drei Stationen
Förderung                                 S. 40 — 41                              um die Welt
                                                                                  Bei den Stadtrundgängen ‹konsum-
Sie setzen sich für die Integration       Lebensraum,
von Kindern und Jugendlichen                                                      GLOBAL› hinterfragen Schulklassen
                                          Freiraum, Lernraum                      ihr Konsumverhalten.
ein: Fünf Personen geben Einblicke
                                          Das Projekt Platz:Box ermöglicht
in ihr Engagement.
                                          Jugendlichen eine konfliktfreie         S. 68 — 71
                                          Nutzung des öffentlichen Raums.
S. 20 — 23                                                                        Angepasst,
brücken in die                            S. 42— 45                               widerstandsfähig,
Welt der                                  Ein wichtiger                           umweltschonend
Erwachsenen                               Schritt in                              Im Projekt ‹Green Cotton› entstehen
Die schulische und ausserschulische                                               neue Biobaumwollsorten, die
                                          die Arbeitswelt                         den Bedürfnissen von indischen
Bildung hilft Kindern und Jugend-
                                          Schüler sammeln im Projekt LIFT         Kleinbauern entsprechen.
lichen, ihren Platz in der Gesellschaft
                                          praktische Arbeitserfahrungen,
zu finden.
                                          um sich auf die Lehrstellensuche        engagiert
                                          vorzubereiten.                          S. 72
S. 24 — 30
Das Ziel stets                            tätigkeitsbereich                       Jeder kann etwas
vor Augen                                 Wissenschaft
                                                                                  bewirken
                                          S. 46 — 49                              Mirjam Walser zeigt Jugendlichen
Das Programm ChagALL bereitet
Jugendliche mit Migrationshinter-         Ein Beitrag für die                     im Parcours ‹STEP into action›,
                                                                                  wie sie sich für die Gesellschaft
grund auf die Aufnahmeprüfungen           Gesellschaft                            einsetzen können.
zur Mittelschule vor.
                                          Studierende setzen sich mit eigenen
                                          Projekten für die Gesellschaft          kalender
S. 31
                                          ein. Das Programm ‹Engagier dich!›      S. 73
Chancen für die                           unterstützt sie dabei.                  Termine Juni bis Oktober 2013
zukunft
                                          S. 50 — 51
Das schulergänzende Training
CHANSON möchte ungleiche                  Globale und lokale
Bildungschancen aufgrund der              Perspektiven
sozialen Herkunft reduzieren.
                                          auf die Geschichte
                                          Die 3. Schweizerischen Geschichts-
                                          tage widmen sich historischen
                                          Fragestellungen in 16 Themenbe-
                                          reichen.
MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz
vorwort

Liebe Leserinnen und Leser

Wo ist unser Platz in der Gesellschaft? Da, wo wir herkom-         stiftung mercator schweiz
men? In unserer Familie, an unserem Wohnort? Schon                 Die Stiftung Mercator Schweiz fördert und
                                                                   initiiert Projekte in den drei Bereichen
als Kinder machen wir uns auf die Suche: Wir gehen zur             ‹Wissenschaft›, ‹Kinder und Jugendliche›
Schule, um uns auf unsere Zukunft vorzubereiten. Wir enga-         und ‹Mensch und Umwelt›. Das Engage-
                                                                   ment der Stiftung gilt einer lernbereiten
gieren uns in Vereinen, nutzen Freizeitangebote. Dabei
                                                                   und weltoffenen Gesellschaft, die ver-
knüpfen wir weitere Kontakte. Wir lernen, Verantwortung            antwortungsvoll mit der Umwelt umgeht.
zu übernehmen und das Zusammenleben mitzugestalten.                Mit ihren Projekten an Hochschulen
                                                                   möchte sie zur Stärkung des Wissens- und
Bildung – schulische und ausserschulische – hilft uns, unser       Forschungsplatzes Schweiz beitragen.
Potenzial zu entfalten und unseren Platz in der Gesell-            Die Stiftung unterstützt die Wissenschaft,
                                                                   Antworten auf gesellschaftlich wichtige
schaft zu finden. Doch leider haben nicht alle Kinder und
                                                                   Fragen wie den Schutz der natürlichen
Jugendlichen die gleichen Bildungschancen.                         Lebensgrundlagen zu finden. Damit Kinder
      Unsere Stiftung setzt sich für mehr Chancengerech-           und Jugendliche ihre Persönlichkeit
                                                                   entfalten, Engagement entwickeln und
tigkeit ein. Wir fördern die gesellschaftliche Integration         ihre Chancen nutzen können, setzt
von Kindern und Jugendlichen auf verschiedenen Ebenen:             sich die Stiftung Mercator Schweiz für
Während wir mit ChagALL (S. 24 – 30) und CHANSON                   optimale Bildungsmöglichkeiten innerhalb
                                                                   und ausserhalb der Schule ein.
(S. 31) schulergänzende Förderprogramme für sozial be-             www.stiftung-mercator.ch
nachteiligte Schüler ermöglichen, hilft das Projekt
LIFT (S. 42 – 45) Jugendlichen mit Schulschwierigkeiten
beim Schritt in die Arbeitswelt. Die Initiative Platz:Box
(S. 40 – 41) macht den öffentlichen Raum als Lernraum zu-
gänglich. Und die Veranstaltungsreihe ‹ElternWissen –
Schulerfolg› (S. 32 – 33) zeigt Familien, wie sie ihren Alltag
lernförderlich gestalten können. Elternbildung ist auch
im Bildungs-Café (S. 34 – 38) zentral, das zudem eine Haus-
aufgabenbetreuung und Frühförderung anbietet. Vom
Forschungsprojekt ‹Pathways to Success› (S. 39) erhoffen
wir uns neue Erkenntnisse, wie Integrationsprozesse
erfolgreich gestaltet werden können.

Nadine Felix
Geschäftsführerin

                                                                 ≥ Mein Platz in der Gesellschaft
                                                                 ≥ S. 8 — 45

1    Mercator Magazin 01 / 13
MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz
Nachrichten

Kinder und Jugendliche

Blickfelder erklärt die Welt
Wer bin ich? Wer ist mein Gegenüber? Das
waren nur zwei von vielen Fragen, auf
die das Festival Blickfelder Antworten gab.    Kinder und Jugendliche
In einem fünftägigen Workshop hatten
sich die Schüler der 1. Sek des Schulhauses
Hirschengraben in Zürich mit Gender- und
Identitätsfragen auseinandergesetzt. Das
                                               Zwölf Projekte, ein Buch
Ergebnis zeigten sie im Theater Stadelhofen:   Wer weiss am besten, wie man Schüler        in einer integrativen Schule hat, erklärt
‹Switch. Junge, willst du wissen, wie sich     beim Lernen optimal begleitet? Wer          Peter Lienhard, Dozent an der Inter-
ein Mädchen fühlt?› 180 Schulklassen haben     weiss, wie Lehrerteams konstruktiv zu-      kantonalen Hochschule für Heilpäda-
die 30 Mitmach-Angebote des Festivals
                                               sammenarbeiten können? Und wer              gogik, in einem einleitenden Text.
genutzt, um mit 150 Kunstschaffenden eigene
Projekte auf die Beine zu stellen. «Kreativ,
                                               kennt das Rezept für eine Schulhaus-        Schliesslich werden die zwölf Projekte
überraschend und humorvoll haben Kinder        kultur, die Leistung fordert und fördert?   der LISSA-Preisträger 2010 und
und Jugendliche die Besucher zum Nach-         Die Stiftung für hochbegabte Kinder         2012 vorgestellt, die jeweils auf unter-
denken gebracht», freut sich Festivalorgani-   und die Stiftung Mercator Schweiz sind      schiedliche Weise guten, binnendif-
sator André Grieder vom Volksschulamt          überzeugt: Es sind die Schulen, die in      ferenzierten Unterricht ermöglichen,
Zürich über die hohe Qualität der Beiträge.
                                               den vergangenen Jahren mit dem LISSA-       wie er für eine integrative Schule
Das Festival unter dem Motto ‹Blickfelder
                                               Preis ausgezeichnet wurden. Deshalb ist     notwendig ist. Die Beiträge geben
erklärt die Welt› war ein grosser Erfolg:
24 583 Menschen haben vom 4. bis 21. April     es beiden Stiftungen ein Anliegen, die      Einblicke in die Konzepte der Projekte.
2013 das Festival der Künste in Zürich         Projekte zur Begabungs- und Begabten-       Sie stellen die Rahmenbedin-
besucht, darunter waren 18 155 Kinder und      förderung dieser Schulen bekannt            gungen, die Entstehungsgeschichte
Jugendliche und 464 Schulklassen. Ne-          zu machen und ihre Erfahrungen zu           und die konkrete Umsetzung vor
ben den partizipativen Projekten warteten      verbreiten.                                 Ort vor.
307 Aufführungen auf die Besucher.
                                               	Nach dem Buch ‹Begabungsförde-
www.blickfelder.ch
                                               rung leicht gemacht› und dem Film           Bestellung
                                               ‹Begabungsförderung konkret gemacht›        Interessierte können das LISSA-Buch
                                               ist jetzt das Buch ‹Begabungsförderung      (ISBN 978-3-033-03894-3, hep-Verlag)
                                               integriert› erschienen. «Die Publika-       elektronisch bestellen: info@lissa-preis.ch.
                                               tion gibt den Lesern Anregungen für die     Personen, die im Schulbereich tätig sind,
                                                                                           erhalten ein Buch unentgeltlich. Zudem
                                               Umsetzung von ressourcenorientier-
                                                                                           wird das Buch allgemein zum Buchhandels-
                                               tem und personalisiertem Unterricht»,
                                                                                           preis von 20 Franken je Exemplar ver-
                                               erklärt Regula Haag, Projektleiterin        kauft. Bei der Bestellung wird um einen
                                               des LISSA-Preises. Welchen Stellenwert      entsprechenden Vermerk gebeten.
                                               der begabungsfördernde Unterricht           www.lissa-preis.ch

2     Mercator Magazin 01 / 13
MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz
Nachrichten

Kinder und Jugendliche                                                  Mensch und Umwelt

Positive Bilanz nach fünf                                               Neue Ideen für die
                                                                        Umweltbildung
Projektjahren                                                           Wie müssen Umweltbildungsprojekte
Nicht jede Schule soll das Rad neu erfinden müssen. Diese Über-         ausgestaltet sein, damit sie nicht
legung stand am Anfang des Projekts ‹Schulen lernen von                 nur für Umweltthemen sensibilisieren,
                                                                        sondern auch dazu motivieren, für die
Schulen› der Pädagogischen Hochschule Zürich. Nach fünf Jahren
                                                                        Umwelt aktiv zu werden? Nicht nur
ist das Projekt nun abgeschlossen: 22 Schulen wurden in dieser          für die Stiftung Mercator Schweiz ist
Zeit für ihre Schulentwicklungsprojekte ausgezeichnet. Sie alle         das eine wichtige Frage. Deshalb hat
erhielten ein Preisgeld in Höhe von je 10 000 bis 40 000 Franken        sie zusammen mit dem WWF Schweiz
für die Weiterentwicklung ihrer Projekte. Einige der Schulen            am 14. Dezember 2012 die Tagung
                                                                        ‹Umweltbildung – was wirkt?› organi-
erregten durch die Auszeichnung so viel Aufmerksamkeit, dass            siert. 40 Vertreter unterschiedlicher
sich um sie herum thematische Netzwerke bildeten. Aufgrund              Organisationen und Institutionen, die
dieser Erfahrungen entstand im Rahmen von ‹Schulen lernen von           sich intensiv mit dem Thema Umweltbil-
Schulen› das Teilprojekt der Teilnahmeschulen: Schulen pro-             dung beschäftigen, tauschten sich
                                                                        über ihre Erfahrungen in diesem Bereich
fitieren von den Erfahrungen einer Preisträgerschule und werden
                                                                        aus. Grundlage der Tagung bildete
von sls bei der Umsetzung ihres Projekts finanziell unterstützt.        eine aktuelle Studie des WWF Schweiz
So sind beispielsweise die für ihr Projekt zum altersdurchmischten      zu Erfolgsfaktoren in der Umwelt-
Lernen (AdL) ausgezeichneten Schulen Brühlberg und Dättlikon            bildung. Ziel der Veranstaltung war es
in einem Netzwerk tätig und unterstützen viele andere Schulen bei       nicht nur, aktuelles Wissen zur Wirkung
                                                                        von Umweltbildung darzulegen und
der Einführung von individualisierten Lernformen.
                                                                        zusammenzutragen. Es ging darum,
      Projektleiterin Dr. Enikö Zala-Mezö zieht eine positive Bilanz:   zusammen mit den Teilnehmern neue
«Der Preis hat die Eigenständigkeit der Schulen gestärkt. Zudem         Erkenntnisse zu entwickeln, nächste
engagieren sich einige Schulen in zwischenschulischen Kooperatio-       Schritte zu formulieren und im Idealfall
nen, was in der Schulentwicklung als zukunftsweisend gilt.» Damit       auch anzustossen. Mit einem Pro-
                                                                        jektfonds unterstützt die Stiftung des-
diese Form von Schulentwicklung weiterhin möglich ist, wurde
                                                                        halb Projekte, die sich aus der Tagung
im Dezember 2012 die privat geführte Stiftung ‹Schulen lernen von       ergeben haben.
Schulen› gegründet. Diese möchte innovative Entwicklungen der
Volksschule in Kooperation mit der PH Zürich und weiteren Partnern      Dokumentation
                                                                        Eine Dokumentation fasst die Tagung
fördern, um einen Beitrag zur Qualität der Volksschule zu leisten.      zusammen: www.stiftung-mercator.ch/
www.projekt-sls.ch                                                      stiftung/publikationen

Kinder und jugendliche

                                                                        Mit Saltos zum sieg
                                                                        Sie springen mit Saltos über Hinder-
                                                                        nisse, schlagen Räder und machen Flick
                                                                        Flaks: Das Trio Runners-CH aus Horgen
                                                                        überzeugte am 13. April 2013 die Jury
                                                                        beim Finale des Zürcher Jugendprojekt-
                                                                        wettbewerbs Projekter nicht nur mit
                                                                        ihren Künsten – sondern vor allem mit
                                                                        ihrem Engagement: Simone Fröhlich,
                                                                        Samuel Brunner und Lukas Peter bieten
                                                                        Workshops und Trainings an, um ihren
                                                                        Sport ‹Parkour und Freerunning› be-
                                                                        kannter zu machen. Dafür erhielten sie
                                                                        den ersten Preis in der Kategorie 1
                                                                        (Jugendliche bis 18 Jahre). In der Kate-
                                                                        gorie 2 (bis 25 Jahre) wurde das
                                                                        Kulturmagazin Quottom ausgezeichnet.
                                                                        Das Projekt ‹Bist du, was du isst?›
                                                                        gewann in der Kategorie 3 (Projekte
                                                                        unter Anleitung einer Fachperson).
                                                                        www.projekter.ch

                                                                                                              3
MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz
Nachrichten

Mensch und Umwelt

Auszeichnung für vier Umweltschulen
Die ersten vier Volksschulen aus dem         der Ey den Themen Papierverbrauch und        Schulen zu unterstützen, die Umwelt-
Kanton Zürich haben im Rahmen des            Littering. Und die Schule Sternenberg        bildung und Ökologie langfristig in ihren
Projekts ‹Umweltschulen – Lernen und         plant unter Einbezug der örtlichen           Alltag integrieren möchten, haben die
Handeln› einen dreijährigen Entwick-         Gemeinde ein mehrwöchiges Projekt            Stiftung éducation21 und die Stiftung
lungsprozess hin zur Umweltschule            zum Thema Wetter und Klima.                  Mercator Schweiz das Projekt mit
gestartet. Schulleitungen und Lehrper-       	Am 15. Mai 2013 wurden die vier             Unterstützung der Bildungsdirektion des
sonen haben ihre Schulen in punkto           Schulen für ihr Engagement als Um-           Kantons Zürich initiiert. Bis 2014 soll
Umwelt unter die Lupe genommen und           weltschulen ausgezeichnet. Regierungs-       ein grosses Netzwerk an Umweltschulen
eigene Massnahmenpläne entwickelt.           rätin Regine Aeppli überreichte ihnen im     entstehen, in dem sich die beteiligten
Erste Projekte wachsen bereits:              Botanischen Garten der Universität           Schulteams austauschen können. Eine
So startete die Schule Milchbuck im          Zürich die Anerkennungsurkunden. «Der        Beratungsstelle begleitet die Schulen
Frühling mit einem Gartenclub. Die           Wille zur Weiterentwicklung und das          und bietet viele Weiterbildungsmög-
benachbarte Schule Riedtli packt im          grosse Engagement dieser Schulen soll        lichkeiten an. Zwei interessante Inputs
Sommer mit zwei Pilotklassen die             anerkannt und weit über das unmittel-        zum Thema ‹Biodiversität konkret
Pflege des Bergwaldes in Klosters an.        bare Umfeld hinausgetragen werden»,          für die Schule› erhielten die Teilnehmer
Mit Plakaten und regelmässigen Pro-          betont Projektleiterin Beatrix Winistörfer   bereits bei der Auszeichnungsfeier.
jektmorgen widmet sich die Schule In         von der Stiftung éducation21. Um             www.umweltschulen.ch

wissenschaft                                 Kinder und Jugendliche

Besuch bei der
Afrikanischen Union
Den Ort haben die Stipendiaten ge-
wählt, auch das Programm konnten sie
selbst auf die Beine stellen: Das Zwi-
schentreffen des vierten Jahrgangs
des Mercator Kollegs für internationale
Aufgaben fand vom 14. bis 25. Mai
2013 in Äthiopien statt. Zu diesem Zeit-
punkt waren bereits neun Monate des
Stipendienprogramms vergangen,
in denen die 24 Hochschulabsolventen
aus Deutschland und der Schweiz
vielfältige internationale Arbeitserfah-
rungen gesammelt haben. Die Orga-
nisation des Zwischentreffens 2013
haben die Stipendiaten Leana Podeszfa
und Hannah Dönges aus Deutschland
zusammen mit Gabriela Blatter aus der
Schweiz übernommen.
	Das Zwischentreffen ist fester
Bestandteil des 13-monatigen Pro-
gramms. In diesem Rahmen erhalten die        Lehrer werden zu Lernenden
Stipendiaten die Gelegenheit, sich
abseits ihrer eigenen Projekte intensiv      Auch nach dem Anmeldeschluss                 können. Zwei Referate, elf Kurzvorträge,
mit einem Land ihrer Wahl auseinan-          fragten täglich interessierte Lehrer die     21 stufenspezifische Ateliers und ein
derzusetzen. In Äthiopien – Sitz der Afri-   Organisatoren, ob sie nicht noch             Lehrmittel- und Ideenmarkt warteten
kanischen Union – nutzte die Gruppe          am SWiSE-Innovationstag teilnehmen           auf die Lehrer. «Die grosse Neugier
die Gelegenheit, persönliche Einblicke       könnten. «Leider konnten wir nicht           und das Engagement der Lehrpersonen
in diese internationale Organisation         mehr alle aufnehmen», erzählt Claudia        waren deutlich spürbar», freut sich
zu erhalten und internationale Akteure       Stübi, Projektleiterin der Initiative        Claudia Stübi. Die Veranstaltung
zu treffen. Im September 2013 startet        SWiSE (Swiss Science Education). 392         vermittelte nicht nur konkrete Unter-
der fünfte Jahrgang des Mercator Kollegs     Teilnehmer liessen sich am 9. März           richtsideen, sie ermöglichte einen
mit den vier Schweizer Stipendiaten          2013 in der Pädagogischen Hochschule         Erfahrungsaustausch unter Berufskol-
Nicola Forster und Emina Hadziabdic          St. Gallen und im OLMA-Kongress-             legen. Der nächste Innovationstag
aus Zürich, Antonia Sutter aus Appenzell     zentrum inspirieren, wie sie forschendes     findet am 29. März 2014 an der Päda-
und Corinna Zuckerman aus Basel.             Lernen in ihrem naturwissenschaft-           gogischen Hochschule Zürich statt.
www.mercator-kolleg.ch                       lich-technischen Unterricht umsetzen         www.swise.ch

4    Mercator Magazin 01 / 13
MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz
Nachrichten

mensch und umwelt                                                      Kinder und jugendliche

                                                                       viele ideen für den
                                                                       Unterricht
                                                                       In einem Projekt, an dem viele Partner
                                                                       beteiligt sind, ist ein regelmässiger
                                                                       Austausch wichtig. Auch im Konsor-
                                                                       tium ‹Personalisiertes Lernen in
                                                                       heterogenen Lerngemeinschaften› der
                                                                       Stiftung Mercator Schweiz spielen
                                                                       Wissenstransfer und Vernetzung eine
                                                                       entscheidende Rolle: Über 50 Schulen
                                                                       setzen in diesem Rahmen zusam-
                                                                       men mit Hochschulen, Lehrmittelverla-
                                                                       gen und Software-Spezialisten zehn
                                                                       Teilprojekte um, um das personalisierte
                                                                       Lernen weiterzuentwickeln. Am 12.
                                                                       Januar 2013 kamen 130 am Projekt
                                                                       beteiligte Personen – die meisten von
                                                                       ihnen Lehrpersonen und Schulleiter –
                                                                       im Zürcher Gymnasium Unterstrass zu
                                                                       einer Koordinationstagung zusammen.

Genuss, Geschäft
                                                                       In 15 Workshops informierten sie
                                                                       sich über den Verlauf der Projekte und

und Globalisierung
                                                                       holten sich Anregungen für den
                                                                       eigenen Berufsalltag.
                                                                             «Ist die Hattie-Studie ein Killer-
Wir entscheiden täglich aufs Neue, was auf den Teller kommt.           argument gegen offene Lernformen?»
Manchmal spontan, manchmal nach reiflicher Überlegung.                 Diese Frage verneinten Professor
                                                                       Wolfgang Beywl (Pädagogische Hoch-
Woher stammen die Nahrungsmittel? Wie wurden sie produziert?
                                                                       schule Nordwestschweiz), Professor
Unsere Kaufentscheide haben Auswirkungen auf unsere Gesund-            Kurt Reusser (Universität Zürich),
heit. Sie beeinflussen aber auch die Umwelt und das Leben              Professor Dieter Rüttimann (Gesamt-
anderer Menschen – in der Schweiz, in Afrika oder an anderen           schule Unterstrass Zürich) und Professor
Orten der Welt. Das Naturama Aargau in Aarau ist die erste             Michael Schratz (Universität Inns-
                                                                       bruck) in der Podiumsdiskussion zum
Station der Wanderausstellung ‹Wir essen die Welt› der Entwick-
                                                                       Abschluss der Tagung: Die Experten
lungsorganisation Helvetas. Am 3. Mai 2013 feierte die Aus-            sehen die aktuell vieldiskutierte Studie
stellung Vernissage und nahm zum ersten Mal die Besucher mit           vielmehr als Aufforderung zu einer
auf eine kulinarische Weltreise durch acht Länder.                     Unterrichtsentwicklung, die die Bedürf-
                                                                       nisse der Lernenden ins Zentrum stellt.
      «Uns war es wichtig, die Ausstellung interaktiv zu gestalten»,
                                                                       www.lernkonzepte.ch
sagt Projektleiterin Beatrice Burgherr. So können die Ausstel-
lungsbesucher spielerisch soziale und ökologische Fragen rund
um Essen, Nahrungsmittelproduktion und Handel, Genuss
und Geschäft, Hunger und Überfluss erkunden. Auf ihrer Reise
treffen sie Menschen, die ihnen erzählen, wie sie sich ernähren oder
wie unsere Nahrung produziert und gehandelt wird. Eine Kakao-
bäuerin aus Honduras. Ein junger Sojazüchter aus Brasilien. Eine
Marktfahrerin aus Burkina Faso. Eine kämpferische Agronomin
aus Indien. Ein Börsenhändler aus den USA, der mit Mais handelt.
Zugleich zeigt die Ausstellung den Besuchern Lösungsansätze
und motiviert sie, einen persönlichen Beitrag zum nachhaltigen
Konsum zu leisten. Was sie künftig für mehr Nachhaltigkeit
tun möchten, können die Besucher in Videobotschaften festhalten.
Für Schulen gibt es spezielle Führungen und Materialien für
die Aufbereitung des Themas im Unterricht. Ein Begleitprogramm
vertieft die Themen der Ausstellung. Nach der Station in Aarau
(Ende: 9. Februar 2014) wird die Ausstellung unter anderem in
Bern, Zürich und Vaduz zu sehen sein.
www.wir-essen-die-welt.ch

                                                                                                             5
MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz
Nachrichten

mensch und umwelt

Engel und Herold
verteilen Komplimente
Suffizienz bezeichnet einen Lebens-                ihnen zu zeigen, wie sie selbst Lebens-
und Konsumstil, der die Bedürfnisse                mittelabfälle vermeiden können.
von heute sichern soll, ohne die                   Neben den ‹Suffizienz-Talks› und einer
Bedürfnisse zukünftiger Generationen               Schreibwerkstatt war eine Suffizi-
zu gefährden. «Hinter diesem Begriff               enz-Performance ein zentraler Messe-
verbergen sich Fragen nach dem                     beitrag von sun21: Zwei Schauspieler
richtigen Mass», erklärt Petra Hirsig,             – Engel und Herold – mischten sich
Geschäftsführerin des Vereins sun21.               unter die Messebesucher und verteilten
«Vielen Menschen ist der Begriff                   Komplimente. Denn einige Menschen
Suffizienz nicht geläufig.» Um dieses              leben schon heute die Idee der Suffizi-
Thema einem breiten Publikum näher                 enz. Ihnen wollte sun21 einfach einmal
zu bringen, nahm der Verein vom                    «Danke» sagen und sie darauf hin-
28. Februar bis 2. März 2013 mit drei              weisen, dass genau das, was sie tun,
Anlässen an der NATUR Messe                        Suffizienz bedeutet. «Die ange-
Basel teil: Tägliche, gut besuchte Talk-           sprochenen Personen waren meistens
runden mit Gästen aus verschiedenen                sehr überrascht, dass ihr Verhalten
Fachbereichen beleuchteten das Thema               eine positive Rückmeldung wert ist»,
‹Lebensmittel: Nahrung oder Abfall?›.              erzählt Petra Hirsig. In Zukunft
Ziel war es, den Zuhörern Ideen und                möchte sich der Verein verstärkt dem
mögliche Handlungsweisen für den                   Thema Suffizienz widmen.
Alltag mit auf den Weg zu geben und                www.sun21.ch

Aktiv für die Umwelt

≥ In ihrer Freizeit fahren die
  Schweizer jeden Tag 990 Mal
  mit dem Auto um die Welt.
  Dabei verbrauchen sie 2,5 Mil-
  lionen Liter Treibstoff und
  produzieren 6100 Tonnen CO2.
Die Schweizer Klimaschutzorganisation my-          KLIMATIPP VON MYBLUEPLANET
blueplanet nimmt die Mobilität in der Schweiz      Jedes Kilo zählt! Jeder kann in seinem Alltag
unter die Lupe: Die aktuelle Erhebung ‹Mikro-      CO2 einsparen und damit einen Beitrag
zensus Verkehr und Mobilität› zeigt, dass          zum Klimaschutz leisten:
der Freizeitverkehr mit 40 Prozent aller Fahrten   — Legen Sie Kurzstrecken zu Fuss oder mit
einen sehr grossen Teil des Verkehrs ausmacht.        dem Fahrrad zurück. Das fördert die
Und dabei ist das Auto meistens die erste             Fitness und schützt das Klima.
Wahl. Der Strassenverkehr verursacht in der        — Profitieren Sie vom öffentlichen Verkehr.
Schweiz 31 Prozent der klimaschädlichen               Das Angebot und die Pünktlichkeit von
CO2-Emissionen. Dieser Anteil hat mit dem             Zug, Postauto und Schiff in der Schweiz
wachsenden Verkehrsaufkommen trotz sparsa-            sind legendär.
merer Fahrzeuge und besserer Treibstoffe           —	Oft liegt das Gute so nahe: Wer das lokale
nicht abgenommen. Das grösste Potenzial zur           Freizeitangebot nutzt, spart eine Anreise
CO2-Reduktion im Verkehr liegt in der Nutzung         im Auto.
von Alternativen zum Auto, appelliert die          —	Wenn es unbedingt ein Auto braucht:
Klimaschutzorganisation. Vor allem, wenn man          Bilden Sie Fahrgemeinschaften und
bedenkt, dass die Hälfte aller Autofahrten            nutzen Sie Car-Sharing-Angebote.
unter einer Distanz von fünf Kilometern liegt.        Entsprechende Netzwerke wie Mobility
                                                      gibt es an vielen Orten in der Schweiz.
                                                      www.myblueplanet.ch

6     Mercator Magazin 01 / 13
MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz
frage an die Wissenschaft

Klimaschutz:                                            Kreislauf von Nährstoffen, die natürliche Abfallbe-
                                                        seitigung und die Filtration von Niederschlags-
Was schulden wir                                        wasser. Ein Ansatzpunkt für generationenübergrei-
                                                        fende Gerechtigkeitstheorien ist es, die Erhaltung
künftigen                                               elementarer ökosystemischer Dienstleistungen

Generationen?
                                                        zu fordern, um die Grundrechte auf Wasser und
                                                        Nahrung zu sichern. Für viele Gerechtigkeitstheo-
                                                        rien geht eine solche Forderung jedoch nicht
Dr. Fabian Schuppert                                    weit genug: Schulden wir künftigen Generationen
Philosoph
                                                        nicht sogar, dass sie die gleichen Lebensbedingun-
                                                        gen erhalten wie wir oder wenigstens einen (relativ)
                                                        gesunden Planeten?
Der vom Menschen herbeigeführte Klimawandel
ist ein globales Problem. Der Klimawandel ver-          Hinterfragung täglicher Handlungen

ursacht bereits heute Ernteausfälle, Überschwem-        Wenn es um Nachhaltigkeit geht, müssen wir viele
mungen und vielerlei vermeidbares Leid. Die             unserer täglichen Entscheidungen und unter
schlimmsten Folgen des Klimawandels liegen jedoch       Umständen unser ganzes wirtschaftliches System
in der Zukunft. Viele Auswirkungen können noch          hinterfragen: Tue ich zukünftigen Generationen
beeinflusst oder im besten Fall sogar verhindert wer-   unrecht, wenn ich mit dem Flugzeug fliege oder
den. Das bedeutet: Unsere heutigen Entscheidungen       meine Wohnung auf 21 Grad heize? Ist es moralisch
haben massive Auswirkungen auf das Leben zu-            vertretbar, begrenzte natürliche Ressourcen für
künftiger Generationen. Aus philosophischer Sicht       die Produktion von Konsumgütern aufzubrauchen?
ist der Klimaschutz damit nicht nur ein Problem         Bei der Beantwortung dieser Fragen ist es proble-
der Gerechtigkeit im Hier und Jetzt, sondern ein        matisch, dass Handlungen, die im Einzelfall harmlos
Problem der Gerechtigkeit zwischen Generationen.        erscheinen – wie der Flug in den Urlaub oder das
                                                        Essen von Fleisch – häufig stark klimaschädliche
Achtung der Grundrechte                                 und ressourcenvernichtende Konsequenzen haben,
Die Idee, dass die heute Lebenden gewisse Pflichten     wenn sie zur Gewohnheit werden. Die Klimaethik
gegenüber ihren Kindern und Kindeskindern               kann damit nicht die moralische Vertretbarkeit
haben, erscheint den meisten Menschen einleuch-         isolierter Handlungen bewerten, sondern muss die
tend. Doch wie sieht es mit unseren Pflichten           Konsequenzen sozialer Praktiken analysieren.
gegenüber zukünftigen Generationen aus? Haben           Die meisten Menschen in Ländern wie der Schweiz,
wir gegenüber Menschen, von denen wir nicht             in Deutschland oder den USA leben derart res-
wissen, wer diese sind, wie sie heissen und wo sie      sourcenverbrauchend, dass wir diese Lebensstile als
wohnen, Gerechtigkeitspflichten? Die meisten            unnachhaltig bezeichnen müssen. Aus Sicht der
Philosophen geben auf diese Frage eine klare Ant-       generationenübergreifenden Gerechtigkeit scheint
wort: Ja. Auch wenn wir die zukünftigen Gene-           es geboten, dass jeder versucht, seinen Ressourcen-
rationen nicht kennen, sollten wir ihre Grundrechte     verbrauch zu verringern und sich für eine öko-
achten, ihre Bedürfnisse und Grundinteressen            logisch nachhaltigere Politik und ressourcenscho-
respektieren und ihnen kein vermeidbares Leid           nendere Wirtschaft einzusetzen.
verursachen.
      Was schulden wir also künftigen Generationen?
Eine Schlüsselrolle bei der Beantwortung dieser
Frage kommt der ökologischen Nachhaltigkeit, be-
ziehungsweise der Verteilung und Verwaltung
natürlicher Ressourcen zu. Denn letzten Endes kön-
nen Menschen – heute und in der Zukunft – ihre
                                                             Dr. Fabian Schuppert beschäftigt sich im Rahmen des
Rechte nur wahrnehmen, wenn sie Zugang zu                    Graduiertenprogramms ‹Gerechtigkeit in praktischen
Frischwasser und Nahrung haben. Die natürlichen              Kontexten› der Universität Zürich mit Fragen ökologischer
                                                             Nachhaltigkeit und generationenübergreifender Gerech-
Ressourcen, die wir zum Überleben brauchen,                  tigkeit. Ziel seiner Postdoc-Arbeit mit dem Titel ‹Scarcity
sind die Produkte komplexer ökologischer Prozesse,           of Natural Resources and Intergenerational Justice:
weshalb man diese auch als ‹ökosystemische Dienst-           De-Territorializing and Re-Territorializing Sovereignty› ist
                                                             es, eine Theorie von Ressourcenrechten zu entwickeln,
leistungen› bezeichnet. Diese schliessen nicht nur           die ein nachhaltiges und gerechtes Wirtschaften sicherstellt.
die Produktion von Nahrung ein, sondern auch den             fabian.schuppert@ethik.uzh.ch

                                                                                                                             7
MEIN PLATZ IN DER GESELLSCHAFT - Stiftung Mercator Schweiz
schwerpunkt	Gesellschaftliche Integration

S. 20 — 23
brücken in die Welt
der Erwachsenen

S. 24 — 30
Das Ziel stets
vor Augen

S. 31
chancen für die
Zukunft

S. 32 — 33

                                   Mein
Die Familie als
Lernort

S. 34 — 38
Ein Zentrum für
die Bildung

S. 39
Wege zum Erfolg

                                     in
S. 40 — 41
Lebensraum,
Freiraum, Lernraum
S. 42 — 45
Ein wichtiger
Schritt in
die Arbeitswelt

                                 Gesells

                                            Fünf Wege der Förderung
                                            Wie kann man die gesellschaftliche Integration
                                            von Kindern und Jugendlichen fördern? Fünf
                                            Personen erzählen, wie sie junge Menschen auf
                                            dem Weg in die Gesellschaft unterstützen.
                                            Sie engagieren sich in fünf unterschiedlichen
                                            Bereichen für die Integration von Kindern und
                                            Jugendlichen. S. 10 — 19

8   Mercator Magazin 01 / 13
Platz
der
schaft
Integriert zu sein, bedeutet an der Gesellschaft teilzu-
haben. In der Schule. Auf dem Arbeitsmarkt. In der
Freizeit. Es bedeutet, sich einbringen zu können und
das gesellschaftliche Leben mitzugestalten. Wenn
die Stiftung Mercator Schweiz sich für die gesellschaft-
liche Integration von Kindern und Jugendlichen ein-
setzt, hat sie dieses Ziel vor Augen. Junge Menschen
sollen unabhängig ihrer sozialen und kulturellen
Herkunft ihr Potenzial und ihre Persönlichkeit entfalten
können, um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.
«Ich sehe jedes Jahr, wie schwer es meine
Schüler im Bewerbungsprozess haben.
Jugendlichen mit schulischen Schwierigkei-
ten sollte man frühzeitig die nötigen Mittel
an die Hand geben, mit denen sie in der
Berufswelt Fuss fassen können. Dazu zählen
vor allem praktische Arbeitserfahrungen,
wie wir sie im Projekt LIFT ermöglichen: Die
Jugendlichen können zeigen, was sie kön-
nen. Sie erfahren, dass ihre Arbeit wertvoll
ist. Das stärkt ihr Selbstvertrauen, ihre
Persönlichkeit. Um ihre gesellschaftliche Inte-
gration zu fördern, sollte man Jugendliche
abholen, wo sie stehen – auch wenn der Weg
steinig werden mag. Es ist wichtig, sie eng
zu begleiten, ihnen zuzuhören, sie zu
motivieren und ihnen ihre Möglichkeiten
aufzuzeigen.»

                        LIFT
                        David Lorenz ist im Schulhaus Grentschel in
                        Lyss (BE) Lehrer einer Förderklasse und
                        dort mitverantwortlich für das Projekt LIFT. Im
                        Zentrum von LIFT stehen wöchentliche Ar-
                        beitseinsätze in Betrieben der Region, die die
                        teilnehmenden Jugendlichen in ihrer Frei-
                        zeit absolvieren. Schulungen in Selbst- und
                        Sozialkompetenzen und eine enge Begleitung
                        im Berufswahlprozess sind weitere zentrale
                        Inhalte des Programms, dessen Verbreitung die
                        Stiftung Mercator Schweiz in den Jahren
                        2010 bis 2014 mit 380 000 Franken fördert.
                        www.jugendprojekt-lift.ch
Begleitung
in die
Berufswelt
Niederschwellige
       Angebote
«In einem Orchester ist man Teil einer hetero-
genen Gruppe, wie in der Gesellschaft:
Bei BaBeL Strings musizieren Kinder unter-
schiedlicher Kulturen und Altersgruppen
zusammen. Sie erfahren gemeinsam Freude
und üben wichtige Kompetenzen wie Diszi-
plin, Respekt und Rücksichtnahme. Die
Musik ist ein ausgezeichnetes Mittel der Inte-
gration. Sie spricht die Sinne an und ver-
bindet. Doch nicht alle Familien können sich
eine Musikschule leisten. Deshalb sind nie-
derschwellige Angebote wichtig: In unserem
Fall heisst dies, dass wir zu den Kindern
gehen. Unser Unterricht findet im Schulhaus
statt, gleich im Anschluss an den regu-
lären Unterricht. So können wir auch Kinder
erreichen, deren Eltern keine Möglichkeit
haben, sie zum Musikunterricht zu begleiten.»

                        BaBeL Strings
                        Nicole Bucher ist Musiklehrerin im Projekt
                        BaBeL Strings. Mit diesem Angebot
                        möchte der Verein für Quartierentwicklung
                        ‹BaBeL› Kindern im multikulturellen Luzerner
                        Quartier Basel-/Bernstrasse die Welt der
                        klassischen Musik eröffnen. Das regelmässige
                        und aktive Zusammenspiel steht im Zent-
                        rum des Projekts. BaBeL Strings leistet einen
                        Beitrag zur Integration und Kulturvermitt-
                        lung und schafft Raum für eine sinnvolle
                        Freizeitbeschäftigung. Die Stiftung Mercator
                        Schweiz hat den Aufbau von BaBeL Strings
                        mit 10 000 Franken unterstützt.
                        www.babelquartier.ch
«Eltern, die neu in der Schweiz sind, haben
viele Fragen: Welche Spielgruppen gibt
es? Wie funktioniert das Bildungssystem?
Wie können sie ihre Kinder fördern? Man kann
Familien bei der Integration unterstützen,
indem man auf ihre Fragen eingeht und sie in
der Förderung ihrer Kinder begleitet. Bei
meinen Hausbesuchen im Rahmen des Pro-
jekts schritt:weise spreche ich mit den Eltern
über wichtige Entwicklungsschritte ihres
Kindes – und vor allem zeige ich ihnen, wie sie
es spielerisch fördern können. Den Kindern
macht es Spass. Und die Eltern sind dankbar
für die Unterstützung. Sie möchten alle, dass
ihre Kinder eine gute Zukunft haben.»

                        schritt:weise
                        Ayse Yüser engagiert sich als Hausbesucherin
                        für das Projekt schritt:weise. Das Spiel-
                        und Lernprogramm des Vereins a:primo fördert
                        Kinder im Vorschulalter in ihrem vertrauten
                        Umfeld zuhause. Das Programm dauert ein-
                        einhalb Jahre und richtet sich an sozial benach-
                        teiligte Familien. Regelmässige Gruppentreffen
                        vermitteln den Eltern Kompetenzen zur För-
                        derung ihrer Kinder und ermöglichen es ihnen,
                        sich mit anderen Familien auszutauschen. Das
                        Programm wird bereits an 20 Standorten in
                        der Deutschschweiz erfolgreich durchgeführt,
                        jetzt werden neue Umsetzungsmodelle ent-
                        wickelt, an Pilotstandorten erprobt und evalu-
                        iert. Dafür stellt die Stiftung Mercator Schweiz
                        250 000 Franken zur Verfügung.
                        www.a-primo.ch
Unterstützung
    der Eltern
Öffnung von
Verbänden
und Vereinen
«In Verbänden können Kinder und Jugendliche
entdecken, was es heisst, eine Herausfor-
derung gemeinsam anzugehen. Sie knüpfen
Kontakte und erhalten die Möglichkeit, sich
zu engagieren und Verantwortung zu überneh-
men. Doch bisher profitieren in der Schweiz
nur wenige Kinder mit Migrationshintergrund
von dieser Form der informellen Bildung.
Ihre Mitgliederzahl spiegelt nicht die Vielfalt
unserer Gesellschaft wider. Die Pfadibewe-
gung möchte das ändern und sich mit anderen
Organisationen vernetzen, um soziale und
kulturelle Öffnungsprozesse voranzutreiben.
Mit unseren internationalen Austausch-
aktivitäten fördern wir das Verständnis von
Jugendlichen für andere Kulturen und ent-
wickeln Ideen für die Integration von Kindern
mit Migrationshintergrund in die Pfadi.»

                        Unity in Diversity
                        Sandro Toldo ist Pfadileiter in Zürich-
                        Schwamendingen. Die Stiftung Mercator
                        Schweiz und die Pfadibewegung Schweiz
                        verbindet ein gemeinsames Projekt: Im
                        Rahmen von ‹Unity in Diversity› organisiert
                        die Pfadibewegung Schweiz zusammen
                        mit ihren Partnerverbänden in Serbien und
                        Georgien internationale Sommerlager
                        und Ausbildungskurse für Pfadileiter, um
                        sie auf die Arbeit mit kulturell vielfältigen
                        Gruppen vorzubereiten. Die Stiftung
                        Mercator Schweiz unterstützt das Projekt
                        mit 700 000 Franken.
                        www.pbs.ch
«Entscheidend für eine erfolgreiche Inte-
gration ist eine gute Bildung. Unsere Schulen
vermitteln nicht nur Fachwissen, sondern
auch kulturelle Zusammenhänge und ein
kritisches Denken. Dies kann jungen Migran-
ten helfen, einen Weg zwischen den zwei
Welten zu finden, in denen sie leben. Studien
zeigen, dass eine erfolgreiche Schulbildung
von den Deutschkenntnissen und von der
Unterstützung durch die Eltern abhängt. Jun-
gen Migranten aus bildungsfernen Familien
fehlt oft beides. Selbst wenn sie begabt
und motiviert sind, bleibt ihnen die höhere
Bildung oft verschlossen. Mit einer gezielten
Förderung, wie wir sie im Programm
ChagALL bieten, kann man ihnen gerechtere
Chancen für die Zukunft eröffnen.»

                       ChagALL
                       Dorothea Baumgartner ist eine von sechs
                       Trainerinnen, die im Rahmen des Förderpro-
                       gramms ChagALL (Chancengerechtigkeit
                       durch Arbeit an der Lernlaufbahn) des Zürcher
                       Gymnasiums Unterstrass jedes Jahr zwölf
                       begabte Jugendliche mit Migrationshintergrund
                       auf die Aufnahmeprüfungen zum Gymnasium
                       und zu weiteren Mittelschulen vorbereiten.
                       Zehn Monate dauert das Programm, zwei Mal
                       in der Woche finden die Trainingseinheiten
                       statt. Die Stiftung Mercator Schweiz fördert das
                       Programm und die begleitende Evaluation mit
                       128 000 Franken.
                       www.unterstrass.edu
Schulische
Förderung
schwerpunkt	Gesellschaftliche Integration

                                  Brücken in die
                                  Welt der
                                  erwachsenen
                                   Text / nadine fieke

                                   Es gibt keine allgemeingültige Definition    Was bedeuten diese Überlegungen für
                                   von Integration. Je nach Perspektive         die gesellschaftliche Integration von
                                   verschieben sich Schwerpunkte, Forderun-     Kindern und Jugendlichen? «Jugendli-
                                   gen und Ziele. Man spricht von der           chen muss bewusst sein, dass sie
                                   Integration von Migranten, von Arbeits-      die Gesellschaft einmal übernehmen
                                   marktintegration, von der Integration        werden», erklärt Gianni D‘Amato. «Sie
                                   von Menschen mit Behinderung. Die            sollten schon früh lernen, Verant-
                                   Stiftung Mercator Schweiz macht sich für     wortung zu tragen und Gelegenheiten
                                   die gesellschaftliche Integration von        erhalten, die Gesellschaft mitzuge-
                                   Kindern und Jugendlichen stark. So unter-    stalten.» Doch das, so stellt er fest, ist
                                   schiedlich die einzelnen Ausgangslagen       nicht selbstverständlich: «Die Welten
                                   sind, all diese Integrationsbereiche haben   der Erwachsenen und der Jugendlichen
                                   etwas gemeinsam: Sie möchten Men-            stehen in einem ambivalenten Verhält-
                                   schen helfen, ihr Potenzial zu entfalten     nis.» Die Erwachsenen wissen, dass
                                   und ihren Platz in der Gesellschaft zu       sie Jugendliche in die Gestaltung der
                                   finden. «Integration bedeutet, die gesell-   Gesellschaft einbeziehen sollten. Aber
                                   schaftliche Teilhabe zu sichern», fasst      sie zögern, ihnen das entsprechende
                                   Professor Gianni D’Amato, Leiter des         Vertrauen zu schenken. Sie unterstellen
                                   Forums für Migrations- und Bevölke-          Jugendlichen, nicht zu verstehen,
                                   rungsstudien der Universität Neuchâtel,      worum es geht und halten sie aussen
                                   zusammen. Integration sei ein Prozess.       vor. «Entsprechend wichtig ist es,
                                   Und dieser erfordere von den einzelnen       Brücken in die Welt der Erwachsenen
                                   Gesellschaftsmitgliedern den Willen,         zu schlagen», sagt der Sozialwissen-
                                   sich auf diesen einzulassen. Gleichzeitig    schaftler. Und diese Brücken führen
                                   müsse die Gesellschaft ihnen auch die        über die schulische und ausserschuli-
                                   Möglichkeit dazu geben.                      sche Bildung.

20   Mercator Magazin 01 / 13
Selektion in höhere Bildungsgänge           Sprachförderung in den Unterricht jedes
Bildung in der                              niedrigeren Niveaus zugeordnet.             Fachs, auf jeder Schulstufe. «Von
schule                                      Dabei brauchen manche Kinder viel-
                                            leicht nur ein bisschen mehr Zeit beim
                                                                                        einer durchgängigen Sprachförderung
                                                                                        profitieren nicht nur Kinder mit
                                            Lernen – weil sie noch Schwierig-           Migrationshintergrund, sondern auch
«Seit Einführung der Schulpflicht im        keiten mit der fremden Sprache haben,       Kinder aus sozial benachteiligten
19. Jahrhundert ist die Schule das          weil ihnen zuhause die Unterstützung        Familien.»
zentrale Werkzeug der gesellschaftlichen    in schulischen Fragen fehlt.                       Von der Bedeutung des Engage-
Integration junger Menschen», sagt                 Und diese Zeit, davon ist Profes-    ments einzelner Lehrpersonen für
Gianni D’Amato. Kinder und Jugendliche      sorin Doris Edelmann überzeugt, sollte      individuelle Bildungswege ist auch Jürg
unterschiedlicher sozialer und kultu-       man den Kindern auch geben. Die             Brühlmann überzeugt – insbesondere
reller Hintergründe lernen zusammen.        Leiterin des Instituts ‹Bildung und Ge-     mit Blick auf den Schritt in die Arbeits-
Sie werden auf ihre Zukunft in der          sellschaft› der Pädagogischen Hoch-         welt. «Engagierte Lehrpersonen auf
Gesellschaft vorbereitet, sie legen mit     schule St. Gallen sieht deshalb neben       der Sekundarstufe mit Grundanforderun-
ihrer Bildung den Grundstein für ihre       einer schulergänzenden Förderung            gen setzen sich enorm dafür ein, dass
berufliche Laufbahn und persönliche         in einer differenzierenden Unterrichts-     alle ihre Jugendlichen eine Lehrstelle
Lebensgestaltung. Doch es zeigt sich,       gestaltung einen wichtigen Beitrag          finden», beobachtet der LCH-Fachmann.
dass die Integrationsleistung der Schule    zu mehr Chancengerechtigkeit. Indem         Dass dies sehr wichtig ist, unter-
begrenzt ist: «Die Bildungschancen          die Schüler Lernaufgaben auf unter-         streicht Gianni D’Amato: «Wichtig für
von Kindern hängen stark von ihrer sozi-    schiedlichen Niveaus lösen und persön-      die Jugendlichen ist, dass sie in die
alen und kulturellen Herkunft ab»,          liche Lernziele verfolgen, werden           Lehre hineinkommen.» Die Arbeitswelt
betont der Wissenschaftler. Er macht auf    sie abgeholt, wo sie stehen. «Schwache      sollte ihnen die Möglichkeit geben,
ihre sozialen Netzwerke und die Unter-      Schüler können durch eine indivi-           sich zu bewähren – auch wenn sie in der
stützung ihres Umfelds (das so genannte     duelle Förderung aufholen», betont die      Schule nicht erfolgreich waren. Denn
soziale Kapital) aufmerksam, auf die        Erziehungswissenschaftlerin. «Und           ohne anerkannte Qualifikationen sei es
finanziellen Möglichkeiten (ökonomi-        stärkere können sich weiterentwickeln.»     schwierig, seinen Platz in der Gesell-
sches Kapital) und vor allem auf das        Es gibt Schulen, die solche Wege be-        schaft zu finden.
kulturelle Kapital, das die Bildungswege    reits gehen. «Diese Initiativen kommen
von Kindern stark beeinflusst: Haben        oft aus den Schulen selbst», erklärt Jürg
die Eltern eine höhere Bildung genossen?    Brühlmann, Leiter der pädagogischen
Stehen zuhause Bücher und Lexika in         Arbeitsstelle des Dachverbands Schweizer    bildung in der
den Regalen? Werden diese genutzt?
Geht man mit der Familie ins Museum?
                                            Lehrerinnen und Lehrer (LCH). Und
                                            ihre Erfahrungen dienen anderen Schu-
                                                                                        freizeit
Dies seien einfache Indikatoren, die        len als Beispiele. «Die Chancengerech-
zeigen, ob Kinder schon früh in Kreise      tigkeit wird in Zukunft verstärkt ein       Neben der Schule bieten Angebote in der
eingeführt werden, die versiert mit         Thema, wenn die soziale und kulturelle      Freizeit die zweite zentrale Brücke in
Bildung umgehen können – und ob sich        Vielfalt weiter zunimmt.» Und dafür         die Gesellschaft: «Vereine und Verbände
die Kinder deren Werte aneignen. «Die       müsse man passende Antworten finden.        sind wichtige Orte der Sozialisation»,
Schule fragt diese Werte ab», erklärt              «Doch die Schule ist schwer zu       betont Gianni D’Amato. Kinder und
Gianni D’Amato. Und Kinder, die diese       reformieren», bemerkt Gianni D’Amato.       Jugendliche knüpfen Kontakte. Sie gehen
Werte in ihrem Umfeld nicht mitbe-          Deshalb sieht er eine wichtige Rolle        gemeinsam Aufgaben an, sie überneh-
kommen, haben Nachteile.                    bei den einzelnen Lehrpersonen: «Es         men Verantwortung, verwirklichen eigene
       «Kinder und Jugendliche mit          hängt von ihnen ab, wie Schule wirkt,       Ideen. Sie erfahren, dass sie etwas be-
Migrationshintergrund sind in Sonder-       wie Bildungswege verlaufen.» Ent-           wirken können und erhalten Anerken-
klassen der Volksschule und in den          sprechend sei es wichtig, in die Aus- und   nung. «All das stärkt ihre Persönlichkeit,
leistungsmässig niedrigeren Schultypen      Weiterbildung von Lehrpersonen zu           ihre sozialen Kompetenzen, ihr Enga-
der Sekundarstufe I nach wie vor deut-      investieren und ihnen Kompetenzen im        gement.» Doch wie Schulen stossen auch
lich übervertreten», stellt Professor       Umgang mit Vielfalt zu vermitteln. Für      Vereine und Verbände in ihrer Integra-
Andrea Lanfranchi, Leiter des Schwer-       Doris Edelmann gehören dazu vor allem       tionskraft an Grenzen. «Es ist vor allem
punkts ‹Kinder mit besonderem Bil-          umfassende Kenntnisse über Ursachen         der Schweizer Mittelstand vertreten»,
dungsbedarf› an der Interkantonalen         der Benachteiligung, eine anerkennende      stellt Sonja Preisig von der Schweizeri-
Hochschule für Heilpädagogik Zürich,        Haltung gegenüber allen Kindern und         schen Arbeitsgemeinschaft der Jugend-
fest. Gleichzeitig seien sie am Gym-        ihren Eltern und Qualifikationen für eine   verbände (SAJV) fest. Kinder und
nasium und an Hochschulen untervertre-      durchgängige Sprachförderung. «Sprach-      Jugendliche mit Migrationshintergrund
ten. Ähnliches könne man bei Kindern        liche Probleme wirken sich auf alle         und aus sozial benachteiligten Fami-
aus sozial benachteiligten Schweizer        Fächer aus», weiss sie. Um in der Schule    lien seien selten Mitglieder in Vereinen
Familien beobachten, ergänzt Gianni         bestehen zu können, reiche es nicht, sich   und Verbänden. Und damit profitieren
D’Amato. Woran liegt das? «Man erwartet     im Alltag unterhalten zu können. «Eine      sie auch nicht von den wertvollen
weniger von diesen Kindern», beob-          gewisse Bildungssprache ist wichtig.»       informellen Bildungsmöglichkeiten, die
achtet der Experte. So werden sie bei der   Deshalb gehört für die Bildungsexpertin     diese bieten.

                                                                                                                                21
schwerpunkt	Gesellschaftliche Integration

                                                                                  von bekannten, strukturierten Angeboten
               «Jugendliche brauchen Orte, wo                                     wie der Vereinsmitgliedschaft. «Ein

               sie sich treffen und ihren Interessen                              flexibles, niederschwelliges Freizeitange-
                                                                                  bot, das stärker selbst mitgestaltet
               nachgehen können. Sie suchen                                       werden kann, bietet dann eine attraktive

               sich diese Räume und erleben dabei                                 Alternative.» In den vergangenen Jahren
                                                                                  hat Elena Konstantinidis eine starke
               die Welt der Erwachsenen.»                                         Bewegung hin zur mobilen Jugendarbeit
                                                                                  beobachtet, die dort mit den Jugendli-
               Professor Gianni D’Amato, Universität Neuchâtel
                                                                                  chen zusammenarbeitet, wo sie sich gerne
                                                                                  aufhalten – im öffentlichen Raum. Dafür
                                                                                  sieht sie gute Gründe: «Öffentliche
                                      «Verbände und Vereine bilden in der         Räume bieten Jugendlichen die Möglich-
                                      Schweiz sehr wichtige, traditionell ver-    keit, Verantwortung zu übernehmen,
                                      ankerte Säulen der Gesellschaft»,           aber auch Grenzen auszuloten und aus-
                                      weiss Elena Konstantinidis, Geschäfts-      zuhandeln», sagt die DOJ-Geschäfts-
                                      führerin des Dachverbands offene            führerin. «Das sind wichtige Grundlagen
                                      Kinder- und Jugendarbeit Schweiz (DOJ).     für das Verständnis des demokratischen
                                      «Das ist ihre grosse Stärke.» Doch          Zusammenlebens.»
                                      diese Stärke wird für manche Menschen              Welche besonderen Bedürfnisse
                                      zu einem Nachteil. «Der Zugang ist          Kinder und Jugendliche aus sozial be-
                                      informell geregelt. Er geschieht oft über   nachteiligten Migrationsfamilien haben,
                                      soziale Beziehungen.» Die DOJ-Geschäfts-    weiss der Verein BaBeL in Luzern:
                                      führerin nennt ein Beispiel: «Der Vater     «Viele Eltern sind wenig oder höchstens
                                      war schon in der Pfadi und profitiert bis   in ihrem Kulturkreis vernetzt», er-
                                      heute von den damals geknüpften             klärt Esther Camara-Stillhart. Sie haben
                                      Kontakten. Und so wird auch der kleine      oft einen oder mehr Jobs und damit
                                      Sohn angemeldet, wenn er alt genug          kaum Zeit, ihre Kinder zu Freizeitange-
                                      ist.» Oder in einem Wohnquartier gut        boten zu begleiten. Zudem reichen
                                      gestellter Mittelstandsfamilien gehen       die finanziellen Mittel nur für das Nötigs-
                                      einige Mädchen zum Reiten. So komme         te. «Es müssen also Angebote her,
                                      eine Familie auch auf die Idee, die         die räumlich gut erreichbar sind, die das
                                      Tochter dort anzumelden. Es sei nicht       Vertrauen der Eltern gewinnen können
                                      so, dass diese Angebote sozial schwachen    und die wenig oder nichts kosten.»
                                      Jugendlichen oder solchen mit Mig-          Wenn solche Angebote fehlen, bemerkt
                                      rationshintergrund grundsätzlich ver-       die BaBeL-Mitarbeiterin, verbringen
                                      schlossen sind. Doch da sie sich oft        die Kinder unbeaufsichtigt viel Zeit am
                                      in anderen sozialen Gruppen aufhalten,      Computer und Fernseher oder im
                                      komme dieser automatische Zugang            öffentlichen Raum, was zu Konflikten
                                      nicht zustande.                             mit der Nachbarschaft führt. Der Verein
                                             Mit niederschwelligen Angeboten      BaBeL ist aus einem Projekt der Fach-
                                      richtet sich die offene Jugendarbeit        hochschule Zentralschweiz und der
                                      traditionell an Kinder und Jugendliche,     Stadt Luzern zur Aufwertung des Quar-
                                      die nicht durch Vereine und Verbände        tiers Basel-Bernstrasse entstanden,
                                      erreicht werden. Aber nicht nur: «Sie       das schweizweit als wegweisendes Bei-
                                      kann auch eine gute Ergänzung bieten,       spiel zur nachhaltigen Quartierent-
                                      indem sie mit Vereinen und Verbänden        wicklung gilt. «Kinder und Jugendliche
                                      zusammenarbeitet», sagt Elena Konstan-      haben Bedürfnis nach Freiraum, den
                                      tinidis. Als Partnerin könne die offene     sie mit Gleichaltrigen und Erwachsenen
                                      Jugendarbeit Jugendlichen den Zugang        ausserhalb ihres Familienkreises ge-
                                      zu Vereinen und Verbänden eröffnen.         stalten können», weiss Esther Camara-
                                      Umgekehrt kommen auch viele Kinder,         Stillhart. Gerade wenn Kinder autoritär
                                      die regelmässig samstags zur Pfadi          erzogen werden, sei es für sie eine
                                      gehen, mittwochs ins Jugendhaus. Doch       neue Erfahrung, mit Erwachsenen auf
                                      es gibt auch Jugendliche, die bewusst       Augenhöhe zu diskutieren. Durch
                                      nicht Mitglieder in Verbänden sein möch-    gemeinsam geplante Aktivitäten könne
                                      ten. «Jugendliche testen sich gerne         man dies regelmässig üben. Im BaBeL-
                                      als unabhängige Individuen aus», weiss      Quartier sind alle Angebote mitei-
                                      Elena Konstantinidis. Sie lösen sich        nander vernetzt. Viele Kinder kommen
                                      vom Elternhaus und unter Umständen          schon als Babys und Kleinkinder mit

22   Mercator Magazin 01 / 13
ihren Müttern ins Deutsch- und Integra-      neue Wege finden, die Eltern in die Bil-     ihre Welt erforschen, brauchen sie Men-
tionsprojekt. Einige besuchen dann die       dungsprozesse einzubinden», meint            schen, die ihnen ein anregendes Umfeld
Spielgruppe. Wenn sie in die Schule          auch Doris Edelmann. Der Dachverband         bieten. Für die meisten Kinder ge-
kommen, gehen sie zur Kinderanimati-         Elternbildung CH setzt sich für einen        schieht solch eine frühe Förderung ganz
on, für ältere Kinder gibt es weitere        eben solchen Perspektivenwechsel in der      selbstverständlich im Familienalltag –
Angebote. «Auf diese Weise begleiten wir     Elternarbeit ein: «Die meisten Schulen       indem sie Freunde besuchen, Kinderbü-
die Kinder über Jahre hinweg in ihrer        behandeln die Eltern als homogene            cher vorgelesen bekommen, im Wald
Entwicklung», berichtet Esther Camara-       Gruppe. Sie bieten das gleiche Angebot       oder im Park spielen. «Doch aus verschie-
Stillhart.                                   für alle Eltern», stellt Geschäftsfüh-       denen Gründen können viele sozial
      Die gesellschaftlichen Verände-        rerin Maya Mulle fest. Die Frage müsse       benachteiligte Eltern ihre Kinder nicht
rungen haben in Vereinen und Verbänden       jedoch sein: Welche Eltern brauchen          so unterstützen, wie es für eine alters-
Entwicklungsprozesse ausgelöst: Wie          was? Elternarbeit sollte gezielt geplant,    gemässe Entwicklung nötig wäre», sagt
können sie zeitgemässe Freizeitangebote      niederschwellig und auf die Bedürf-          der Frühförder- und Migrationsex-
sein? Wie können sie ihr grosses Po-         nisse der Eltern zugeschnitten sein,         perte. Und damit haben einige Kinder
tenzial zur gesellschaftlichen Integration   betont die Elternbildungsexpertin. Vor       schlechtere Voraussetzungen beim
ausschöpfen? Die SAJV und ihre 60 Mit-       diesem Hintergrund entstehen an              Schulstart. «Diese Nachteile können sie
gliederverbände suchen nach Antworten        einigen Schulen Elternmitwirkungspro-        im Laufe der Schulzeit kaum aufholen»,
auf diese Fragen und beschäftigen            jekte, die einen regelmässigen, un-          betont Doris Edelmann. Beide Experten
sich mit Möglichkeiten der kulturellen       komplizierten Kontakt zwischen Eltern        sind sich einig: Gerade für Kinder
und sozialen Öffnung. «Es ist gesell-        und Schule ermöglichen.                      aus unterprivilegierten Familien ist eine
schaftlich ein Muss, dass Vereine und Ver-          Über punktuelle Veranstaltungen       konsequente frühe Förderung durch
bände sich Gedanken machen, wie sie          hinaus sieht Doris Edelmann gerade           Spielgruppen, Kinderkrippen und Förder-
mit der wachsenden Vielfalt umgehen»,        in der kontinuierlichen Elternarbeit einen   programme ab Geburt sehr wichtig.
betont Sonja Preisig, die bei der SAJV für   wirkungsvollen Ansatz – und das mög-         Diese Angebote können Familien unter-
dieses Thema verantwortlich ist. Doch        lichst schon, wenn die Kinder noch klein     stützen und einen Ausgleich zu nicht
ein Patentrezept gebe es nicht. «Das The-    sind. In Angeboten wie Deutschlern-          optimalen Lernbedingungen zuhause
ma der Öffnung ist sehr komplex. Es          gruppen für Mütter und ihre Kinder oder      schaffen. «Entscheidend ist jedoch, dass
braucht viel Fachwissen, Ressourcen und      bei regelmässigen Elterntischen kön-         die Angebote von hoher Qualität sind»,
einen langen Atem, um Veränderungen          nen sich die Familien austauschen, die       unterstreicht Doris Edelmann. «Und
hervorzubringen.»                            Fachpersonen können im vertrauten            dass die Förderung der Kinder auch nach
                                             Umfeld auf die individuellen Fragen und      Eintritt in Kindergarten und Schule
                                             Bedürfnisse der Eltern eingehen. Statt       fortgeführt wird.»
                                             ganz allgemein über die Entwicklung von
Rolle der Eltern                             Kindern zu sprechen, erfahren die            Nadine Fieke ist verantwortlich für die
                                             Eltern, was ihre eigenen Kinder konkret      Kommunikation der Stiftung Mercator
                                                                                          Schweiz. n.fieke@stiftung-mercator.ch
                                             brauchen. Eine besondere Form der
«Die Eltern haben einen grossen Einfluss     Elternarbeit sind Hausbesuchsprogram-
auf die Bildungswege ihrer Kinder»,          me für benachteiligte Familien: Fach-
sagt Andrea Lanfranchi. Doch nicht alle      personen fördern Kinder zuhause in
Eltern können ihren Kindern bei den          ihrem vertrauten Umfeld, zum Teil be-
Hausaufgaben helfen. Nicht alle wissen,      reits ab Geburt. Die Eltern werden in die
                                                                                          Engagement der Stiftung
wie sie ihnen ein lernförderliches Umfeld    Aktivitäten einbezogen und erfahren
                                                                                          Ob schulergänzende Förderung, nieder-
bieten können. Und nicht alle kennen         auf diese Weise, wie sie die Entwicklung     schwellige Angebote in der Freizeit oder
das Schweizer Schul- und Ausbildungs-        ihrer Kinder im Alltag unterstützen          Elternbildung: Die Stiftung Mercator Schweiz
system oder die wertvollen Lernmög-          können. Sie lernen Förderangebote in         setzt sich mit Projekten auf verschiedenen
                                                                                          Ebenen dafür ein, dass Kinder und Jugendli-
lichkeiten, die Angebote in der Freizeit     ihrem Umfeld und das Schweizer
                                                                                          che gerechte Chancen haben, ihr persönli-
bieten. «Zusammen mit weiteren Mass-         Bildungssystem kennen. Hausbesuchs-          ches Potenzial zu entfalten und ihren Platz in
nahmen ist Elternbildung ein guter           programmen gelingt es, Familien zu           der Gesellschaft zu finden. Diese Ausgabe
Ansatz, um die Chancengerechtigkeit zu       erreichen, die klassische Angebote der       des Mercator Magazins konzentriert sich auf
                                                                                          die schulergänzende und ausserschuli-
fördern», erklärt Doris Edelmann.            Familienbildung nicht in Anspruch
                                                                                          sche Förderung von Kindern und Jugendli-
Wegen ihrer wichtigen Rolle für den          nehmen.                                      chen. Auch im personalisierten Lernen
Schulerfolg ihrer Kinder fordert Andrea             «Die ersten Lebensjahre sind für      und in der frühkindlichen Bildung sieht die
Lanfranchi, dass die Zusammenarbeit          die Entwicklung von bestimmten Fähig-        Stiftung wichtige Ansätze, um die gesell-
                                                                                          schaftliche Integration von Kindern und
mit allen Eltern fester Bestandteil der      keiten sehr wichtig», betont Andrea
                                                                                          Jugendlichen zu unterstützen. Das Mercator
Schule wird. Doch dabei reiche es nicht      Lanfranchi. Kinder erlernen die Sprache      Magazin 02/2012 gibt Einblicke in vielfältige
aus, diese «von oben herab» an Eltern-       und soziales Verhalten, sie bauen moto-      Schulentwicklungsmassnahmen, in denen
abenden über schulische Belange zu           rische und kognitive Fähigkeiten auf –       das personalisierte Lernen im Zentrum steht.
                                                                                          Die Ausgabe 01/2012 widmet sich der früh-
informieren. Man sollte sie unterstützen,    die Grundlagen für späteres schulisches
                                                                                          kindlichen Bildung. Die Magazine sind online
damit sie ihren Kindern beim Lernen          Lernen. Da Kinder sich Wissen und            abrufbar: www.stiftung-mercator.ch/
behilflich sein können. «Schulen müssen      Können aneignen, indem sie spielerisch       stiftung/publikationen

                                                                                                                                      23
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