Auerwild: "Verrückte" Hähne? Pathologische Befunde bei verhaltensauffälligen Auerhähnen

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Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria                                               108 (2021)

Zoo Salzburg, Anif, Österreich

Auerwild: „Verrückte” Hähne? Pathologische
Befunde bei verhaltensauffälligen Auerhähnen

M. WIESNER

                                                                                                      eingelangt am 11. Februar 2021
                                                                                                      angenommen am 20. Mai 2021

Schlüsselwörter: Auerhahn, Tetrao                  urogallus,         Keywords: Capercaillie, Tetrao urogallus, pathology,
Pathologie, abnormes Verhalten.                                       abnormal behavior.

   Zusammenfassung                                                        Summary
   Dieser Fallbericht beschäftigt sich mit sogenann-                 “Mad” capercaillie cocks? Pathological findings in
 ten „verrückten“ Auerhähnen. Diese Tiere zeigen ganz-                capercaillie cocks with abnormal behaviour
 jährig abnormes Verhalten. Sie sind dabei höchst ag-
 gressiv und greifen Menschen und Gegenstände an.                        This case report deals with so-called "mad" capercail-
 Drei adulte, jagdlich erlegte Auerhähne standen für                  lie cocks, which present abnormal conduct throughout
 die Studie zur Verfügung. Zwei der Tiere wiesen über                 the year. They are very aggressive and attack humans
 einen Zeitraum von mehreren Jahren stark veränder-                   and objects. Three adult capercaillies were available
 tes Verhalten auf, ein Hahn zeigte normales Verhalten.               for this study. The animals were hunted regularly. Two
 Die Kerne wurden einer patho-anatomischen und                        cocks behaved abnormally and one cock showed nor-
-histologischen Untersuchung unterzogen, um mögliche                  mal conduct. The carcasses were examined anatomi-
 organbedingte Ursachen für die Entstehung des ab-                    cally and histopathologically with the aim of detecting
 normen Verhaltens zu finden. Die Ergebnisse zeigten,                 any alterations of organs that could explain the deviant
 dass es sich bei allen drei Auerhähnen um fortpflan-                 behaviour. The examinations showed that the three an-
 zungsfähige Tiere handelte. Aufgrund der Befunde                     imals were fertile. No patho-morphological evidence for
 konnten organbedingte Veränderungen als Ursache                      deviant conduct was found. The causes of the develop-
 für das abnorme Verhalten ausgeschlossen werden.                     ment of abnormal behaviour are discussed. Disruptions
 Weitere mögliche Ursachen für die Ausbildung von                     during the imprinting period, changes of the natural hab-
 verändertem Verhalten sind Störungen in der Prägungs-                itat and human use of habitat may have a role.
 phase der Tiere, Habitatsveränderungen und die
 Nutzung des Lebensraumes der Tiere durch Menschen.                   Abkürzungen: ggr. = geringgradig(e); mgr. = mittelgradig(e)

   Einleitung                                                         muteten eine erblich bedingte Pathogenese. Fehl-
                                                                      prägungen in der Entwicklung und die Beeinflussung
  Sogenannte „verrückte“ Auerhähne (Tetrao urogallus)                 des Lebensraumes durch den Menschen wurden eben-
sind bereits mehrfach in der Literatur beschrieben                    falls als Auslöser diskutiert (MILONOFF et al., 1992;
(JENKINS u. MYLNE, 1962; BOBACK, 1965; MILONOFF                       MOLLET, 2001). Die Pathogenese zur Ausprägung des
et al., 1992; MOLLET, 2001; PLACHIYSKl et al., 2020).                 abnormen Verhaltens bleibt jedoch nach wie vor unge-
Einige Theorien für die Entstehung dieses abnormen                    klärt. Patho-anatomische sowie -histologische Befunde
Verhaltens wurden bereits aufgestellt. Endoparasitosen                von Auerhähnen, die abnormes Verhalten aufweisen,
des Gehirns wurden vermutet, konnten aber nicht be-                   waren in der Literatur nach Kenntnis der Autorin nicht
stätigt werden (BOBACK, 1965). MILONOFF et al. (1992)                 zu finden. Ziel dieser Untersuchung ist es, systemische
stellten in Finnland erhöhte Testosteronspiegel im Blut               Erkrankungen, die zu einem veränderten Verhalten füh-
von Hähnen mit verändertem Verhalten fest und ver-                    ren könnten, auszuschließen. Zudem werden mögliche

 *E-Mail: wiesner86@hotmail.com

                                                                                                                                     195
Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria

Ursachen für dieses Verhalten und aktuelle Theorien                    der Follikel der Schilddrüse ein flachkubisches Epithel
diskutiert.                                                            aufwiesen und mit Kolloid gefüllt waren. Das Epithel der
                                                                       übrigen Follikel hatte ein kubisches Epithel und enthielt
                                                                       kein Kolloid. Die Nebenschilddrüse zeigte sich unauf-
   Beschreibung der Fälle                                              fällig. Im Gehirn waren geringgradige (ggr.) bis mittel-
                                                                       gradige (mgr.) Vakuolisierungen des Kleinhirnmarkes
  Für den Bericht standen drei jagdlich erlegte, adulte                und des Stammhirns festzustellen. Die Leber wies an
Auerhähne zur Verfügung.                                               drei Stellen eine mgr. gemischtzellige Infiltration des
  Im Jahr 2020 wurden während der Balz zwei „verrück-                  Parenchyms auf. In den Nieren war stellenweise eine
te“ Hähne in zwei Jagdrevieren im Bezirk Pinzgau, im                   geringe Menge an braunem Pigment, im Sinne einer
Bundesland Salzburg, Österreich, erlegt. Bei den bei-                  Pigmentnephrose, auffindbar. In den Tubuli der Hoden
den Auerhähne war aggressives Verhalten gegenüber                      waren reichlich Spermien und Spermatiden nachweis-
Menschen und Gegenständen (z.B. Fahrzeugen) be-                        bar. Die übrigen Organe, inklusive der Nebenniere,
obachtet worden. Sie hatten sich dabei zuerst an-                      waren unauffällig. Das Tier hatte einen ggr. Befall mit
genähert, dann inkorrektes balzendes Verhalten                         Capillaria spp. und Kokzidienoozysten.
(Hauptschlag fehlte) gezeigt und anschließend ange-
griffen. Der Angriff der Hähne hatte sich in Attackieren               Auerhahn 2:
mit dem Schnabel, starkem Flügelschlagen und Treten
mit den Füßen geäußert. Das dritte – verhaltensunauf-                    Bei Auerhahn 2 handelte es sich ebenfalls um ei-
fällige – Tier diente als Vergleichstier.                              nen adulten Hahn, bei dem über einen Zeitraum von
  Zu jedem Auerhahn wurde die Anamnese erhoben.                        drei Jahren stark abnormes aggressives Verhalten be-
Nach der Erlegung wurden die Hähne gekühlt, vom                        obachtet werden konnte. Er griff ganzjährig Fahrzeuge
Präparator abgezogen und die Kerne zur pathologi-                      und Menschen an. Das Tier wurde am 3.5.2020 am
schen Untersuchung versandt. Die patho-anatomi-                        Hahneckkogel in der Gemeinde Thumersbach mit ei-
sche und -histologische Untersuchung fand am Institut                  nem Kugelschuss erlegt. Es waren zu diesem Zeitpunkt
für veterinärmedizinische Untersuchungen Mödling                       keine Hennen in der Nähe des Hahnes und das Tier
(AGES, Österreichische Agentur für Gesundheit und                      hielt sich nicht an einem Balzplatz auf.
Ernährungssicherheit) statt. Hierbei wurde insbe-                        Die patho-anatomische Untersuchung des mittelgut
sondere auf Organe, die für Verhaltensänderungen                       erhaltenen Kerns ergab folgende Befunde: Schuss-
von Bedeutung sein könnten, geachtet. Schilddrüse,                     bedingt zeigten einige Weichteile multiple Blutungen.
Nebenniere, Gehirn und Hoden waren somit von be-                       Die Schilddrüse war gerstenkorngroß, Herzkranzfett
sonderem Interesse. Durch die zerstörende Ge-                          war vorhanden, die Hoden waren bohnengroß und der
schosseinwirkung konnten nicht alle Organe beurteilt                   Magen-Darm-Trakt war unauffällig und mit physiologi-
werden.                                                                schen Nahrungsbestandteilen gefüllt.
                                                                         Die patho-histologische Untersuchung zeigte, dass
                                                                       ca. 40 % der Follikel der Schilddrüse ein flachkubisches
   Ergebnisse                                                          Epithel aufwiesen und mit Kolloid gefüllt waren. Das
                                                                       Epithel der übrigen Follikel war kubisch und enthielt kein
Auerhahn 1:                                                            Kolloid. Die Nebenschilddrüse war unauffällig. Im Ge-
                                                                       hirn waren ggr. - mgr. Vakuolisierungen des Kleinhirn-
  Auerhahn 1 war ein adulter Hahn, bei dem über einen                  markes und des Stammhirns nachweisbar. Die Leber
Zeitraum von zwei Jahren stark abnormes Verhalten be-                  wies stellenweise eine mgr. oligofokale, gemischtzelli-
obachtet worden war. Er zeigte eine ganzjährig auftreten-              ge Infiltration mit intraläsionalen hepatozytären Nekrosen
de Aggressivität gegenüber Menschen und Fahrzeugen.                    auf. Zudem waren in den Hepatozyten teilweise geringe
Im Jahr 2019 griff er einen Menschen an. Das Tier wur-                 Mengen von Siderin nachweisbar. In der Milz war eben-
de am 1.5.2020 in der Gemeinde Thumersbach mit ei-                     falls an manchen Stellen in den Histiozyten Siderin zu fin-
nem Schrotschuss erlegt. Zu diesem Zeitpunkt befand                    den. In den Nieren war an einigen Lokalisationen eine
er sich mit drei Hennen am Balzplatz (kein traditioneller              geringe Menge an braunem Pigment, im Sinne einer
Balzplatz) und kein anderer Hahn wurde in der Nähe ge-                 Pigmentnephrose, auffindbar. In den Tubuli der Hoden
sichtet. Die patho-anatomische Untersuchung des min-                   waren reichlich Spermien und Spermatiden nachweisbar.
dergut erhaltenen Kerns ergab folgende Befunde: Es                     Die übrigen Organe, inklusive der Nebenniere, waren un-
fanden sich einzelne Schrotkugeln in der Körperhöhle                   auffällig. Das Tier wies keinen Befall mit Endoparasiten
mit entsprechender Traumatisierung des umliegen-                       auf.
den Gewebes. Die Schilddrüse war gerstenkorngroß,
Herzkranzfett war vorhanden, die Hoden waren boh-                      Auerhahn 3:
nengroß und der Magen-Darm-Trakt war unauffällig und
mit physiologischen Nahrungsbestandteilen gefüllt. Die                   Bei Auerhahn 3 handelte es sich um einen adul-
patho-histologische Untersuchung zeigte, dass ca. 20 %                 ten Hahn, der im Gegensatz zu den beiden anderen

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Hähnen normales Verhalten aufwies. Das Tier war kein                   ist höchstwahrscheinlich auf den Erhaltungszustand
sogenannter Platzhahn und wurde am 2.5.2020 in der                     der Kerne im Sinne einer Autolyse zurückzuführen.
Gemeinde Niedernsill mit einem Kugelschuss an einem                    Aufgrund der erhobenen Befunde können organbeding-
Hauptbalzplatz erlegt (Anmerkung: Ein Platzhahn ist                    te Veränderungen, die ein abnormes Verhalten bei den
der balzbestimmende Hahn am Hauptbalzplatz, der die                    Auerhähnen 1 und 2 erklären könnten, ausgeschlos-
Hennen deckt).                                                         sen werden. Diese Erkenntnis stimmt mit der Arbeit von
  Die patho-anatomische Untersuchung des mittel-                       HÖGLUND u. PORKERT (1992) überein und ist für die
gut erhaltenen Kerns ergab folgende Befunde: Das                       Bejagung von "verrückten" Auerhähnen von Bedeutung.
Schusstrauma reichte vom Thoraxeingang bis zum                         Da die Tiere körperlich gesund sind, dürfen sie nicht mit
Anfang der Lendenwirbelsäule und daher konnten                         der Begründung an einer Erkrankung zu leiden, entnom-
Herz, Schilddrüse, Nebenschilddrüse und Nebenniere                     men werden. Die bisherigen Untersuchungsergebnisse
nicht beurteilt werden. Der Magen-Darm-Trakt stell-                    deuten darauf hin, dass die Freigabe eines "verrück-
te sich unauffällig dar und war mit physiologischen                    ten" Hahns zum Abschuss mit hoher Wahrscheinlichkeit
Nahrungsbestandteilen gefüllt.                                         einen starken Eingriff in die Populationsdynamik dar-
  Die patho-histologische Untersuchung zeigte im                       stellt, da viele Hennen dann nicht mehr gedeckt werden.
Gehirn gering- bis mittelgradige Vakuolisierungen des                  Dies stimmt mit den Ergebnissen von KOWALCZYK et
Kleinhirnmarkes und des Stammhirns. Die Leber wies                     al. (2000) überein. Die Autoren untersuchten Sperma
oligofokal kleine bis mittelgroße gemischtzellige Infiltrate           von in einem Zuchtzentrum in Volieren gehaltenen
auf. In den Nieren war stellenweise eine geringe Menge                 Auerhähnen und kamen zu dem Schluss, dass wenn
an braunem Pigment, im Sinne einer Pigmentnephrose,                    nur ein Auerhahn am Zuchtgeschehen teilnimmt, sich
auffindbar. In den Tubuli der Hoden waren reichlich                    die effektive Populationsgröße verringert und die ge-
Spermien und Spermatiden nachweisbar. Das Tier hatte                   netische Vielfalt leidet. PLACHIYSKI et al. (2020) konn-
einen ggr. Befall mit Capillaria spp.                                  ten nachweisen, dass „verrückte“ Auerhähne dieselbe
                                                                       Habitatsnutzung aufwiesen wie normale Hähne.
                                                                          Da in den vorliegenden Untersuchungen keine pa-
   Diskussion                                                          tho-morphologischen Hinweise für die Ausprägung
                                                                       von abnormem Verhalten identifiziert werden konn-
  Alle drei patho-anatomisch und -histologisch unter-                  ten, ist es interessant, das Verhalten der Tiere sowie
suchten Auerhahn-Kerne stammten von fortpflanzungs-                    Theorien anderer Autoren genauer zu beleuchten. Bei
fähigen Tieren. Das bei zwei Hähnen (Tiere 1 und 2)                    einigen Vogelarten, z.B. Papageien, wird während der
vorhandene Herzkranzfett zeigte, dass die Tiere gut ge-                Paarungs- und Brutzeit ein saisonal extrem aggressi-
nährt waren. Der Magen-Darm-Trakt war bei allen Tieren                 ves Verhalten beschrieben, das als normal einzustu-
mit physiologischer Nahrung gefüllt und unauffällig. Bei               fen ist (GYLSTORFF u. GRIMM, 1998). Auch Auerhähne
zwei Auerhähnen (Tiere 1 und 3) war ein ggr. Capillaria-               werden gegenüber ihren männlichen Artgenossen zur
Befall nachweisbar. Hahn 1 hatte zusätzlich einen ggr.                 Paarungszeit aggressiv. Dieses saisonale aggressive
Kokzidien-Befall. Dieser ggr. endoparasitäre Befall kann               Verhalten üben sie an den Balzplätzen aus. Das abnor-
im Sinne einer Wirt-Parasit-Symbiose als normal ein-                   me, aggressive Verhalten von Auerhähnen, das sich ge-
gestuft werden. Bei den Auerhähnen 1 und 2 wiesen                      gen Menschen, Tiere und Gegenstände richten kann,
die Schilddrüsen einen aktiven Zustand auf. Dies ist an                ist aber nicht saisonbegrenzt an die Balz gebunden,
Hand der mit Kolloid gefüllten Follikel erkennbar. Das                 sondern kann über das ganze Jahr beobachtet werden
Kolloid ist eine homogene, eosinophile Flüssigkeit und                 (MOLLET, 2001; PLACHIYSKI et al., 2020). In den vorlie-
stellt die Bereitschaftsform der Schilddrüsenhormone                   genden Fallberichten konnte diese Beobachtung bestä-
dar (LIEBICH, 2004). Eine aktive Schilddrüse ist im                    tigt werden.
Rahmen der Balz als physiologisch einzustufen. Die                        MILONOFF et al. (1992) gaben zwei Gründe für die
unterschiedliche Kolloid-Füllung der Follikel mit 20 %                 Entstehung von abnormem Verhalten beim Auerwild
bei Auerhahn 1 und 40 % bei Auerhahn 2 kann inner-                     an. Der Erste ist ein erblich bedingter erhöhter Testo-
halb der physiologischen Schwankungsbreite liegen.                     steronspiegel im Blut, der Zweite eine inkorrekte sexu-
Bei allen drei Hähnen lag eine gemischtzellige                         elle Prägung. Daher ist es von großem Interesse, die
Hepatitis unbekannter Genese vor. Diese wird jedoch                    Testosteronwerte bei heimischen normalen und „ver-
als Zufallsbefund ohne Einfluss auf Verhalten und                      rückten“ Auerhähnen zu bestimmen und diese mit den
Konstitution eingeschätzt. Da die Pigmentnephrose                      Daten von MILONOFF et al. (1992) zu vergleichen.
der Nieren bei allen drei Hähnen auftrat, ist diese                    Diese Autoren verstehen unter einer inkorrekten se-
ebenso als ohne Bedeutung für die beobachteten                         xuellen Prägung, dass Auerhähne während einer be-
Verhaltensauffälligkeiten einzustufen. Auch die Gehirne                stimmten Phase unvollkommen oder fehlerhaft auf die
wiesen keine Läsionen oder endoparasitären Befall, wie                 männlichen Geschlechtsmerkmale geprägt werden
beispielsweise Toxoplasma-Zysten auf, die ein abnor-                   (MILONOFF et al., 1992).
mes Verhalten erklären könnten. Die Vakuolisierung von                    Die Prägungsphase ist ausschlaggebend für die
bestimmten Hirnarealen, die bei allen drei Tieren vorlag,              Entwicklung eines Vogels. Wird diese Phase durch

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Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria

Störfaktoren negativ beeinflusst, ist es möglich, dass                        von 30 Jahren eine negative Beeinflussung der Auer-
sich abnormes Verhalten ausprägt (GYLSTORFF                                   wildpopulation durch den Menschen fest. Er beobach-
u. GRIMM, 1998; MOLLET, 2001). Küken, die ohne                                tete, dass in Auerwildgebieten, die am geringsten durch
Geschwister und in Isolation aufwachsen, können so-                           Siedlungen und landwirtschaftliche Tätigkeiten gestört
wohl schlechte Adaption an neue Umstände als auch                             waren, auch weniger Tiere mit verändertem Verhalten
aggressives Verhalten zeigen (HÖGLUND u. PORKERT,                             beobachtet wurden.
1992; GYLSTORFF u. GRIMM, 1998). Eine Ursache                                    Um das Auerwild vor Stress und seinen negativen
für eine geringe Anzahl an Auerwildküken kann eine                            Auswirkungen zu schützen, existieren Empfehlungen
zu hohe Anzahl an natürlichen Beutegreifern (Marder,                          für verstärkte Ruhe- und Schutzmaßnahmen in
Fuchs, Rabenkrähe, Kolkrabe), als auch wildernde                              Auerwildhabitaten. Geeignete Maßnahmen sind unter
Haustiere (Hund, Katze) sein.                                                 anderem keine Wege (Rad- und Wanderwege) durch
  Stark einschneidende Umweltverluste oder Umwelt-                            das Kerngebiet des Auerwilds zu führen und bestimm-
veränderungen können beim Vogel, vor allem in der                             te Waldbereiche während der Aufenthaltsdauer des
Wachstumsperiode, zur Entwicklung von unphysiolo-                             Auerwilds (Winter- / Sommereinstände) für die mensch-
gischem, hysterischem bis zu aggressivem Verhalten                            liche Nutzung periodisch zu sperren (THIEL et al., 2005,
führen (GYLSTORFF u. GRIMM, 1998; MOLLET, 2001).                              2008; COPPES et al., 2017; FVA, 2017). Von strengen
Habitatveränderungen können natürlich in Form ei-                             Ruhezonen für Auerwild in seinen Verbreitungsgebieten
nes Windwurfs auftreten. Dadurch kann ein Balzplatz                           profitieren auch andere Tier- und Pflanzenarten.
auf einmal zerstört oder Schlafbäume können für das                              Die bisherigen Untersuchungen zu den „verrückten“
Auerwild unbenutzbar werden. Der Mensch kann durch                            Auerhähnen sollen fortgesetzt werden. Da die patho-
die wirtschaftliche Waldnutzung künstlich Umwelt-                             anatomischen und -histologischen Untersuchungen kei-
veränderungen herbeiführen und somit das Auerwild                             ne Erklärung für das abnorme Verhalten bringen konn-
aus seinen Einständen verdrängen.                                             ten, sollen im nächsten Schritt die Testosterongehalte im
  Nicht zu unterschätzen ist die freizeitliche Nutzung                        Blut und im Kot erhoben werden. Da es bei Wildtieren
des Lebensraumes des Auerwilds durch den                                      jedoch selten möglich ist, Blutproben zu ziehen, ist
Menschen. Wie bereits mehrere Autoren beschrieben                             die Entnahme von Kotproben aus der Umgebung, als
haben, führen Wandern, Mountainbiking, Skifahren,                             nicht-invasives Verfahren, von großer Bedeutung. Bei
Tourenskigehen zu Störungen, Beunruhigungen und                               erlegten Auerhähnen können zudem Kotproben aus der
erhöhten Stresspegeln beim Auerwild in seinem na-                             Kloake entnommen werden.
türlichen Lebensraum (MARSHALL, 2005; THIEL et al.,
2005, 2008; COPPES et al., 2017; FVA, 2017). COPPES                           Danksagung
et al. (2017) zeigten erstmalig, wie stark Auerwild auf                       Vielen Dank an OJ Gerhard Schaffer und die Akademie
Populationsebene durch Freizeitaktivitäten des Men-                           für Zoo- und Wildtierschutz e.V. für die Unterstützung
schen beeinflusst wird. In ihrer Arbeit beschrieben die                       des Projekts. Herzlichen Dank an das Institut für veteri-
Autoren, dass es durch Erholungsinfrastruktur, wie                            närmedizinische Untersuchungen Mödling (AGES) für
Wanderwege, Mountainbikestrecken oder Loipen zu                               die Durchführung der pathologischen Untersuchung
einer wesentlichen Reduktion des tatsächlich genutz-                          und die Zustimmung zur Verwendung der Ergebnisse
ten Lebensraumes kommt. Auch MOLLET (2001) stell-                             in diesem Artikel.
te in einer Studie mit einem Beobachtungszeitraum

   Fazit für die Praxis
   Bei den verhaltensauffälligen Auerwildhähnen handelte es sich um fortpflanzungsfähige Tiere. Es konnten
   keine patho-morphologischen Ursachen festgestellt werden, die ein abnormes Verhalten erklären könnten.

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