Auf dem Weg zur Entgeltgleichheit von Frauen und Männern - Daten, Ursachen, Maßnahmen
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Inhalt Startpunkt: Einleitung 4 1 Erste Station: Status quo 5 1.1 Wer verdient wie viel in Deutschland? 6 1.2 Der Gender Pay Gap: Gradmesser für Chancengleichheit 8 1.2.1 Entgeltgleichheit aus ökonomischer Sicht 8 1.2.2 Entgeltungleichheit aus rechtlicher Sicht 11 2 Zweite Station: Ursachen 14 2.1 Horizontale und vertikale Geschlechtersegregation 15 2.2 Frauen leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit 20 2.3 Diskriminierungsgefahren bei der Entgeltfindung 29 3 Zwischenstopp: Blick nach Europa 39 3.1 Warum der Gender Pay Gap in Europa unterschiedlich ausfällt 42 3.2 Best Practices aus europäischen Ländern 45 4 Dritte Station: Lösungsansätze und Maßnahmen 48 5 Schlusspunkt: Fazit 62 Literatur 64 3
Startpunkt: Einleitung Nach wie vor verdienen Frauen in Deutschland im Durchschnitt 20 Prozent weniger als Männer. Warum ist das so? Was sind die Ursachen? Und was ist dagegen zu tun? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, macht sich dieses Dossier auf den Weg. In der ersten Station erfahren Sie, was der Gender Pay Gap aussagt und wie er ermittelt wird. Außerdem erhalten Sie einen Überblick, wer wie viel in Deutschland verdient. In der zweiten Station geht es um die großen Fragen: Warum fällt die Entgeltlücke in Deutschland so konstant hoch aus? Was sind die Ursa- chen des Gender Pay Gaps? Wie können Unternehmen das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ umsetzen? Denn gleiche Löhne für Frauen und Männer für gleiche oder gleichwertige Arbeit bedeuten gleiche Chancen und sind ein Gebot der Gleichbe rechtigung – nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa. Das Dossier wirft zudem einen Blick nach Europa und zeigt die unterschied- lichen Methoden und Ansätze europäischer Nachbarländer auf dem Weg zu mehr Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern auf. In der letzten Station steht die Rückkehr nach Deutschland an: Welche Initiativen und Gesetze zur Förderung der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern gibt es hier? Dazu zählen neben dem Entgelttrans- parenzgesetz, dem Pflegelöhneverbesserungsgesetz oder dem Elterngeld auch nicht gesetzliche Initiativen wie die „Girls’ und Boys’Days“. Alle diese Maßnahmen zielen darauf, für mehr Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zu sorgen – sei es bei der Studien- und Berufswahl, bei der Berufsausübung oder bei der Frage der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Alle Maßnahmen fördern eine Gesellschaft, in der Mädchen und Jungen sowie Frauen und Männer ihren Weg zu einer eigenständigen Existenz- sicherung frei von einengenden Geschlechterstereotypen und Vorurtei- len gehen können. Sie zielen auf eine Gesellschaft, in der für gleiche und gleichwertige Arbeit tatsächlich gleiches Entgelt gezahlt wird – unabhän- gig vom Geschlecht. 4
1 Erste Station: Status quo In kaum einem anderen Land Europas verdienen Frauen im Vergleich zu Männern so unterschiedlich wie in Deutschland. Ein Überblick der Zahlen und Fakten.
1 Erste Station: Status quo 1.1 Wer verdient wie viel in Deutschland? Sie haben die gleichen Rechte, bringen gute • Frauen sind in den ostdeutschen Bundes Leistungen in ihren Jobs – und verdienen doch ländern auch in höher bezahlten Berufen nicht gleich viel: Frauen und Männer in Deutsch- der Industrie und Fertigung tätig. land. Der Gender Pay Gap, also die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, hält sich seit • Männer arbeiten in Ostdeutschland öfter im vielen Jahren hartnäckig – bei über 20 Prozent. niedriger bezahlten Dienstleistungsbereich. Im Jahr 2019 betrug sie in Deutschland erstmals genau 20 Prozent (Statistisches Bundesamt 2020a). • In der Privatwirtschaft arbeiten Frauen in Das bedeutet: Pro Stunde erhielten Frauen 2019 den ostdeutschen Bundesländern häufiger durchschnittlich 17,72 Euro brutto, Männer hin- in Führungspositionen. gegen 22,16 Euro. In jeder Arbeitsstunde ver dienten Frauen also durchschnittlich 4,44 Euro Dazu kommt, dass die Löhne und Gehälter in weniger. Ostdeutschland durchschnittlich niedriger aus fallen als die Durchschnittsverdienste in West- deutschland. Frauen und Männer verdienen hier durchschnittlich fast 17 Prozent weniger. Das Was Ost- und Westdeutschland liegt unter anderem daran, dass sich die Struktur beim Gender Pay Gap unterscheidet der Unternehmen in Ostdeutschland anders als in Westdeutschland darstellt: In Ostdeutschland lag der Gender Pay Gap 2019 • mehr klein- und mittelständische Betriebe, bei sieben Prozent. In Westdeutschland und Berlin weniger große Unternehmen bei 21 Prozent. Dieser deutliche Unterschied ist auf vielfältige Ursachen zurückzuführen: • weniger tarifgebundene Betriebe • In Ostdeutschland arbeiten Frauen öfter in • weniger Industrie-Jobs, mehr Jobs im Vollzeit. Dienstleistungsbereich So hat sich der Gender Pay Gap entwickelt 30 Deutschland gesamt 24 24 24 23 23 22 22 21 Früheres Bundesgebiet 20 23 22 22 22 21 21 21 20 Neue Bundesländer 9 10 7 8 7 7 7 7 6 0 2006 2010 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Jahr Im Jahr 2019 lag der Gender Pay Gap erstmals bei genau 20 Prozent. Angaben in Prozent. Quelle: Statistisches Bundesamt 2020a 6
1 Erste Station: Status quo So hoch ist der Gender Pay Gap in den Bundesländern 21,9 Deutschland gesamt 26,8 Baden-Württemberg 24,4 Bayern 24,2 Hessen 23,6 Bremen 23,5 Saarland 22,8 Nordrhein-Westfalen 21,7 Niedersachsen 21,4 Rheinland-Pfalz 21,1 Hamburg 17,7 Schleswig-Holstein 12,9 Berlin 11,7 Sachsen 7,9 Thüringen 6,9 Mecklenburg-Vorpommern 6,5 Brandenburg 5,3 Sachsen-Anhalt 0 5 10 15 20 25 30 In westdeutschen Bundesländern ist der Gender Pay Gap besonders hoch. Gender Pay Gap in den einzelnen Bundesländern, absteigend sortiert in Prozent. Quelle: Beck 2018 Da sowohl die Branche als auch die Betriebsgröße Pay Gap mit Ausnahme von Schleswig-Holstein wesentliche Einflussfaktoren für die Höhe des mit 20 Prozent und mehr besonders hoch. In den Entgelts von Frauen und Männern sind, beein- ostdeutschen Bundesländern ist die Lücke viel flusst die Wirtschaftsstruktur auch den Gender geringer. Sie liegt zwischen fünf und elf Prozent. Pay Gap. Zusammengefasst führen also viele strukturelle Besonderheiten und Arbeitsmarkt- Trotz der Unterschiede zwischen Ost und West charakteristika zu einem geringeren Gender Pay und zwischen den einzelnen Bundesländern bleibt Gap in Ostdeutschland. festzuhalten: In allen Bundesländern verdienen Frauen im Durchschnitt weniger als Männer. An der Spitze der Skala stehen ausschließlich Daran hat sich auch in den letzten Jahren kaum westdeutsche Bundesländer. Hier ist der Gender etwas verändert. 7
1 Erste Station: Status quo 1.2 Der Gender Pay Gap: Gradmesser für Chancengleichheit Wie viel Zeit widmen Frauen und Männer ihren Entgeltdifferenzen zwischen Frauen und Männern Kindern oder der Pflege ihrer Eltern? Welchen beruhen demzufolge darauf, dass weibliche und Beruf ergreifen sie? Wie stehen ihre Chancen für männliche Beschäftigte unterschiedlich in ihr einen beruflichen Aufstieg? Diese und weitere Humankapital investiert haben. Deshalb arbeiten Fragen beeinflussen zumindest indirekt, wie viel sie unterschiedlich produktiv. Auch die Entschei- Frauen im Vergleich zu Männern verdienen. dungen von Frauen und Männern für bestimmte Berufe und Branchen werden als ökonomisch Der Gender Pay Gap gilt als Gradmesser für die rational angesehen. Chancengleichheit von Frauen und Männern im Erwerbsleben. In ihm verdichten sich viele Probleme und Benachteiligungen, mit denen Frauen im Zusammenhang mit ihrer Erwerbs So wird der Gender Pay Gap ermittelt tätigkeit konfrontiert sind. Dazu zählen Hinder- nisse auf dem Karriereweg genauso wie nicht 4,44 Euro ausreichende Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf; ebenso klassische Rollen- = 20 % vorstellungen, die das Berufswahlspektrum von Frauen einschränken und den beruflichen Wie- dereinstieg nach einer Familienphase erschweren. Alle diese Faktoren haben indirekte Auswirkungen auf den Gender Pay Gap. Hinzu kommen Einflüs- se, die sich direkt auf das Entgelt auswirken, wie 22,16 Euro 17,72 Euro die (Unter-)Bewertung typischer Frauenberufe. Deshalb wird oft der Gender Pay Gap herangezo- gen, um über die Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern zu sprechen. 1.2.1 Entgeltgleichheit aus Im Jahr 2019 verdienten Frauen im Schnitt ökonomischer Sicht 4,44 Euro pro Stunde weniger als Männer. Der Gender Pay Gap betrug also 20 Prozent. Der Gender Pay Gap basiert auf einer ökonomi- 1. stundenverdienste Ermittelt werden die durchschnittlichen Brutto- schen Definition der Entgeltgleichheit. Sie geht von Frauen und Männern in davon aus, dass Beschäftigte unterschiedlich Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten. Im produktiv sind und deshalb unterschiedlich viel Jahr 2019 waren das 17,72 Euro für Frauen und verdienen. Die Produktivität wiederum hängt 22,16 Euro für Männer. vom sogenannten Humankapital ab: Wie gut ist eine Person qualifiziert? Wie leistungsfähig und 2. also 4,44 Euro. Es wird die Differenz dieser Durchschnitte gebildet, -bereit ist sie? Über welche berufliche Erfahrung verfügt sie? Die Idee der klassischen ökonomi schen Definition der Entgeltgleichheit: Wenn 3. Differenz Es wird errechnet, welchen Prozentanteil die Frauen und Männer gleiches Humankapital am durchschnittlichen Bruttostunden- aufweisen und somit gleich produktiv sind, verdienst der Männer ausmacht. Für das Jahr 2019 erhalten sie gleiches Entgelt. ergibt das 20 Prozent. 8
1 Erste Station: Status quo Verdienstunterschiede zwischen Frauen und Männern 2014 Gründe für den Unterschied Unerklärter Rest 4,43 1,16 (bereinigter Gender Pay Gap) (2014) 0,13 Bildung und Berufserfahrung 0,42 Beschäftigungsumfang 19,87 1,33 Beruf und Branche 15,44 Männer Frauen Führungs- und 0,94 Qualifikationsanspruch 0,46 Sonstige Faktoren Für das Jahr 2014 betrug der bereinigte Gender Pay Gap 5,8 Prozent. Bruttostundenverdienst in Euro. Quelle: Statistisches Bundesamt 2017a Was bedeutet „bereinigt“ Was der bereinigte und „unbereinigt“? Gender Pay Gap erklärt Der Gender Pay Gap von 20 Prozent wird als un- Für das Jahr 2014 betrug der bereinigte Gender bereinigter Gender Pay Gap bezeichnet. Mit ihm Pay Gap 5,8 Prozent (Finke et al. 2017). Von den werden allgemein die Durchschnittsverdienste durchschnittlich 4,43 Euro brutto, die Männer von Frauen und Männern miteinander verglichen. damals pro Stunde mehr als Frauen verdienten, Davon zu unterscheiden ist der sogenannte konnte das Statistische Bundesamt 3,28 Euro bereinigte Gender Pay Gap. auf Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei den erwähnten einkommensbestimmenden Der bereinigte Gender Pay Gap gibt an, wie Merkmalen zurückführen (siehe Abbildung). Die groß die Entgeltdifferenz zwischen Frauen und verbleibende Einkommensdifferenz von rund Männern wäre, wenn ansonsten alle Vorausset- 1,16 Euro konnte nicht erklärt werden. Sie ist der zungen für ihren Verdienst gleich wären. Dazu „unerklärte Rest“. zählen Qualifikation, Tätigkeit und Beruf, Position, Berufserfahrung, Beschäftigungsumfang und Welche Merkmale hatten den größten Einfluss Branche. Um den Einfluss dieser Merkmale wird auf die unterschiedlichen Gehälter von Frauen der ursprünglich berechnete Gender Pay Gap und Männern? Dass Frauen häufiger als Männer mithilfe statistischer Methoden „bereinigt“. in niedrig bezahlten Berufen und Branchen Übrig bleibt der bereinigte Gender Pay Gap. arbeiten, war für 1,33 Euro des Einkommens- unterschiedes von insgesamt 4,43 Euro verant- wortlich. Weitere 94 Cent ließen sich auf die hierarchische Position im Betrieb zurückführen. Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung trugen 42 Cent zur Entgeltlücke bei. 9
1 Erste Station: Status quo Nicht alles kann die Warum der Gender Pay Gap oft Statistik erklären falsch interpretiert wird Angenommen, zwei Beschäftigte bringen ver- In der Statistik bedeutet „erklärt“ so viel wie gleichbare Voraussetzungen in ihrem Beruf mit „zurückzuführen auf“. „Erklärt“ bedeutet nicht ein. Sowohl die Frau als auch der Mann sind „gerechtfertigt“ oder „frei von Diskriminierung“. ähnlich qualifiziert, haben ähnlich viel Berufs- Deshalb können auch im erklärten Teil des Gender erfahrung, arbeiten in einer ähnlichen Position Pay Gaps Benachteiligungen eine Rolle spielen. und so weiter. Der bereinigte Gender Pay Gap Wenn zum Beispiel ein großer Teil der Differenz gibt an, welcher Verdienstunterschied auch damit „erklärt“ wird, dass Frauen seltener in Füh- dann noch zwischen beiden bestehen würde. rungspositionen arbeiten, kann das bedeuten, dass Gemessen am Mittelwert für das Jahr 2014 sie beim Zugang zu Führungspositionen benach- würden sie beim Gehalt knapp sechs Prozent teiligt werden. Und auch wenn Teilzeitarbeit von trennen. Da die Statistik dafür keine Erklärung Frauen einen Teil des Gender Pay Gaps erklären hat, sagt man zum bereinigten Gender Pay Gap kann, kann daraus nicht geschlossen werden, dass auch unerklärter Teil des Gender Pay Gaps. Teilzeitarbeit immer angemessen vergütet wird. Oder dass Frauen sich immer freiwillig für ein Teilzeitmodell entscheiden, ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf vorhandene oder nicht Diese Bestandteile gehören zum unbereinigten vorhandene Infrastrukturen, gesellschaftliche Gender Pay Gap Erwartungen und Rollenstereotype. Umgekehrt gilt: Auch in den 5,8 Prozent des bereinigten Gender Pay Gaps aus dem Jahr 2014 stecken nicht automatisch 5,8 Prozent Diskrimi- nierung. Denn vielleicht fehlen einkommens relevante Merkmale in der Berechnung, die gar nicht diskriminierend sind. Ihr Beitrag zur Erklärung der Entgeltdifferenzen wäre dann verdeckt im unerklärten Anteil enthalten. Im Gender Pay Gap verdichten sich zahlreiche Probleme und Benachteiligungen, mit denen Frauen im Arbeitsleben konfrontiert sind. Er ist ein wichtiger Indikator für die Chancengleich- heit von Frauen und Männern – im Erwerbsleben Erklärter Teil des Gender Pay Gaps allgemein und besonders für Unterschiede bei den Entgelten – auch wenn für ein vollständiges Bild weitere Größen betrachtet werden müssen. Unerklärter Teil des Gender Pay Gaps (bereinigter Gender Pay Gap) Der Gender Pay Gap zeigt auf, wie sich die unter schiedlichen Erwerbsbiografien von Frauen und Männern auf das Einkommen beider Ge schlechter auswirken und welcher Ansätze es bedarf, um die Gleichbehandlung und Gleich stellung von Frauen und Männern im Arbeits leben durchzusetzen. 10
1 Erste Station: Status quo 1.2.2 Entgeltungleichheit Nach dem Entgelttransparenzgesetz ist das der Fall, wenn eine Frau und ein Mann sich unter der aus rechtlicher Sicht Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren in einer vergleichbaren Situation befinden. Es Der rechtliche Grundsatz der Entgeltgleichheit geht bei den Faktoren um die Anforderungen an schreibt vor, dass Frauen und Männer für gleiche die Tätigkeiten – unabhängig von den Personen, oder gleichwertige Arbeit das gleiche Entgelt die sie ausüben und unabhängig von deren indi erhalten müssen. Eine Busfahrerin muss also vidueller Leistung. Dazu wird beurteilt: Sind die grundsätzlich dasselbe verdienen wie ein Bus Anforderungen an die Ausbildung ähnlich hoch? fahrer, eine Krankenpflegerin dasselbe wie ein Welche weiteren Anforderungen stellen die Krankenpfleger. Darin dürften sich alle einig Tätigkeiten? Wie sehen Anforderungen an die sein – zumindest, wenn sie in demselben Unter- Kommunikation und Kooperation aus? Wofür nehmen arbeiten. Doch ist es in Ordnung, wenn übernehmen Beschäftigte Verantwortung? Welche eine Krankenpflegerin weniger verdient als physischen und psychischen Belastungen tragen ein Kfz-Mechaniker, ein Metzgergeselle mehr sie auf der Arbeit? Die Anforderungen können als eine Verkäuferin an der Fleischtheke? Diese unterschiedlich aussehen. Entscheidend ist, dass Tätigkeiten sind unterschiedlich. Doch sie könn- sie in der Summe gleich hoch sind. Dann sind ten gleichwertig sein und müssten dann auch auch die Tätigkeiten gleichwertig. gleich bezahlt werden – zumindest, wenn alle Beschäftigten in einem Unternehmen arbeiten. Gleich oder gleichwertig – was bedeutet das? Wenn eine Frau und ein Mann an verschiedenen Diese Tätigkeiten sind gleich. Arbeitsplätzen oder nacheinander an demselben Arbeitsplatz identische oder gleichartige Tätig Kfz-Mechanikerin = Kfz-Mechaniker keiten verrichten, dann leisten sie gleiche Arbeit Kinderärztin = Kinderarzt (§ 4 Entgelttransparenzgesetz). Sie können sich Buchhalterin = Buchhalter ohne Weiteres gegenseitig vertreten oder ersetzen, wie zum Beispiel eine Kfz-Mechanikerin und ein Personalleiterin = Personalleiter Kfz-Mechaniker in einer Autowerkstatt oder eine Erzieherin = Erzieher Kinderärztin und ein Kinderarzt in einem Kran- kenhaus. Sind diese Tätigkeiten gleichwertig? Ob eine Frau und ein Mann eine gleichwertige Arbeit verrichten, ist auf den ersten Blick nicht Krankenpflegerin ? Kfz-Mechaniker zu erkennen. Es muss deshalb sorgfältig überprüft Kinderärztin ? Chirurg werden. Gleichwertige Arbeit bedeutet, dass die Tätigkeiten zwar inhaltlich unterschiedlich, aber Buchhalterin ? Verkäufer von den Anforderungen und Belastungen – also Personalleiterin ? Betriebsleiter ihrem „Wert“ nach – gleich einzuschätzen und Erzieherin ? Programmierer zu bewerten sind. 11
1 Erste Station: Status quo Benachteiligung hat viele Gesichter Eine Benachteiligung beim Entgelt kann viele Das rechtliche Verbot der Benachteiligung Gesichter haben. Wenn beispielsweise eine Frau beim Entgelt weniger Gehalt erhält als ihr Kollege mit den Seit 2017 regelt das Entgelttransparenzgesetz gleichen Aufgaben, spricht viel für eine unmit den Grundsatz der Entgeltgleichheit. Es ver telbare Entgeltbenachteiligung wegen des Ge- bietet allen Arbeitgebern, Beschäftigte wegen schlechts. Eine unmittelbare Benachteiligung ihres Geschlechts unmittelbar oder mittelbar liegt auch vor, wenn eine Frau wegen Schwanger- beim Entgelt zu benachteiligen. Das galt übri- schaft oder Mutterschaft weniger verdient. Das gens schon vor dem Entgelttransparenzgesetz legt das Entgelttransparenzgesetz in § 3 Absatz 2 und gilt auch weiterhin nach dem Allgemeinen ausdrücklich fest. Weitere Beispiele für unmittel- Gleichbehandlungsgesetz. Für Deutschland bare Benachteiligungen beim Entgelt sind: Die entschied das Bundesarbeitsgericht bereits Nachfolgerin erhält bei gleicher Tätigkeit 200 Euro im Jahr 1955, dass das Grundgesetz auch den weniger Entgelt als der Vorgänger. Eine Köchin Grundsatz der Entgeltgleichheit von Frauen wird nach Tarif bezahlt, der Koch als ihr unmittel- und Männern umfasst. Der Grundsatz bindet barer Kollege erhält eine nicht weiter begründete nicht nur alle Arbeitgeber in Deutschland. Auch Zulage von 300 Euro. die Tarifvertragsparteien sind verpflichtet, sich daran zu halten. In Europa gilt der Grundsatz Beschäftigte können beim Entgelt auch dann der Entgeltgleichheit seit 1957 und findet benachteiligt sein, wenn die geringere Bezah- sich heute als Artikel 157 im Vertrag über die lung gar nicht unmittelbar an das Geschlecht Arbeitsweise der Europäischen Union. Die anknüpft. Zum Beispiel, weil der unterschied Gender-Richtlinie 2006/54/EG konkretisiert ihn. lichen Bezahlung Vorschriften zugrunde liegen, die auf den ersten Blick neutral erscheinen. Wenn diese Vorschriften dennoch mehr Nachteile für ein Geschlecht als für das andere bedeuten, kann eine mittelbare Benachteiligung beim Entgelt dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. So vorliegen. Zum Beispiel, wenn Teilzeitbeschäf hat der Europäische Gerichtshof beispielsweise tigte von der betrieblichen Altersversorgung aus- entschieden, dass es ein rechtmäßiges Ziel ist, die geschlossen sind und deutlich mehr Frauen als Berufserfahrung zu honorieren, wenn sie Beschäf- Männer in Teilzeit arbeiten, trifft sie der Aus- tigte befähigt, ihre Arbeit besser zu verrichten. schluss besonders. Oder als weiteres Beispiel: Das überwiegend weibliche Küchen- und Reinigungs- Die Frage, was Entgeltungleichheit bedeutet, wird personal erhält keine Erfolgsprämie, während aus ökonomischer Perspektive mit dem Gender alle übrigen Beschäftigten in demselben Unter- Pay Gap als Indikator anders beantwortet als aus nehmen eine erhalten. rechtlicher Sicht auf Basis des Grundsatzes des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Im Unterschied zur unmittelbaren Benachteili- Arbeit. Beide Sichtweisen umschreiben aus ver- gung kann die mittelbare Benachteiligung eines schiedenen Blickwinkeln eine nach wie vor be- Geschlechts beim Entgelt gerechtfertigt werden stehende ungleiche Behandlung von Frauen und (§ 3 Absatz 3 Entgelttransparenzgesetz) – nämlich Männern in der Bezahlung. Sie machen beide dann, wenn die jeweiligen Vorschriften durch ein deutlich, dass Entgeltgleichheit zwischen Frauen rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt werden und Männern noch nicht umgesetzt ist und können und die gewählten Mittel zur Erreichung weiterhin Handlungsbedarf besteht. 12
1 Erste Station: Status quo Entgeltungleichheit summiert sich schnittlich 244 Euro weniger, nur weil sie Frauen sind. Im Jahr haben sie durchschnittlich Hinter allen Durchschnittszahlen, Prozentwer knapp 3.000 Euro und nach 30 Berufsjahren fast ten und Grundsätzen stehen Einzelpersonen, 88.000 Euro brutto weniger verdient. Auf dem die finanzielle Einbußen haben. Diese Einbußen Konto kann sich dieser Unterschied noch deut- machen sich monatlich bemerkbar, addieren sich licher bemerkbar machen – nämlich dann, wenn im Laufe eines Jahres und machen nach 30 Jahren Verheiratete die Steuerklasse IV aufgeben und Berufstätigkeit eine erhebliche Summe aus. Wenn stattdessen die Steuerklassen III und V kombinie- in einer vereinfachten Rechnung eine Entgelt ren. Das führt dazu, dass die steuerlichen Abzüge lücke von „nur“ sechs Prozent angenommen vom Verdienst der geringer verdienenden Part wird, erhalten beispielsweise Buchhalterinnen nerin beziehungsweise des geringer verdienenden im Vergleich zu Buchhaltern im Monat durch Partners proportional höher ausfallen. Wie sich die Entgeltlücke im Laufe des Berufslebens summiert Köchin/Koch Krankenpflegerin/ Buchhalterin/ Krankenpfleger Buchhalter Bruttomonatsverdienst von Männern in Vollzeit 2.108 Euro 3.196 Euro 4.068 Euro Bruttomonatsverdienst von Frauen in Vollzeit 1.982 Euro 3.004 Euro 3.824 Euro Entgeltlücke von 6 Prozent im Monat 126,48 Euro 191,76 Euro 244,08 Euro im Jahr 1.517,76 Euro 2.301,12 Euro 2.928,96 Euro in 30 Berufsjahren 45.532,80 Euro 69.033,60 Euro 87.868,80 Euro Auch wenn sie die gleichen Berufe ausüben, blicken Frauen und Männer am Ende ihres Berufslebens auf ganz unterschiedliche Gehälter. Quelle: Statistisches Bundesamt 2017b, eigene Berechnungen 13
2 Zweite Station: Ursachen Der sogenannte unbereinigte Gender Pay Gap zeigt den Unterschied im durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Frauen und Männern. Er ist gleichzeitig ein Indikator für die fehlende Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt. Um zu verstehen, wie die Entgeltlücke entsteht, hilft ein Blick auf die drei Ursachenkomplexe: horizontale und vertikale Geschlechtersegregation, Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit und fehlende Transparenz und Diskriminierungs gefahren bei der Entgeltfindung.
2 Zweite Station: Ursachen 2.1 Horizontale und vertikale Geschlechter- segregation Um den Ursachen für den Gender Pay Gap auf die Spur zu kommen, sollte man sich zwei Aspekte vor Augen führen. Erstens: Frauen und Männer Was ist ein „Frauen“-, was ein „Männerberuf“? verteilen sich auf unterschiedliche Branchen und Liegt der Anteil von Frauen in einem Beruf Berufe. Die Arbeitsmarktforschung nennt das bei mehr als 70 Prozent, spricht man von horizontale Segregation. Der zweite Aspekt: einem „Frauenberuf“. Analog dazu arbeiten in Frauen und Männer nehmen in Betrieben unter- „Männerberufen“ über 70 Prozent männliche schiedliche Positionen ein und arbeiten auf Beschäftigte. Allerdings sagt die Bezeichnung verschiedenen Hierarchieebenen. Das wird als nichts darüber aus, ob Frauen oder Männer vertikale Segregation beschrieben. Da oft auch grundsätzlich besser für einen Beruf geeignet unterschiedliche Tätigkeitsbereiche und Berufe sind, oder ob dieser Beruf ein „Frauen- oder in einem hierarchischen Verhältnis stehen, hän- Männerberuf“ bleiben muss. Bei ausgewogene- gen beide Dimensionen zusammen. So sind soge- ren Verhältnissen, also wenn der Anteil eines nannte Frauenberufe im Bereich der personen Geschlechts bei unter 70 Prozent beziehungs- bezogenen und sozialen Dienstleistungen, wie weise über 30 Prozent liegt, spricht man von zum Beispiel Krankenschwester oder Erzieherin, einem „Mischberuf“. überwiegend mit geringen Verdienst-, Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten verknüpft. Um- gekehrt sieht es in einem sogenannten Männer beruf wie Ingenieur aus: Ingenieure verdienen im Durchschnitt vergleichsweise viel und verfü- Weichen. Der Grundstein dafür, dass Mädchen gen über mehr Karriereoptionen. Die horizontale und Jungen bestimmte Berufe vorziehen, wird und vertikale Segregation ist ein Grund für den schon in Kindheit und früher Jugend gelegt. Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Män- Die Familien, Kinderbetreuungseinrichtungen nern, der 2014 durchschnittlich 4,43 Euro pro oder die Schulen als Sozialisationsinstanzen sowie Stunde betrug. Davon ließen sich 1,33 Euro damit Gleichaltrige spielen dabei eine wichtige Rolle. erklären, dass Frauen in anderen Branchen arbei- Bekannte Geschlechterstereotype wirken auf ten als Männer (Statistisches Bundesamt 2017a). die Berufswahl ein: die Annahme, Männer könn- ten besser in technischen oder handwerklichen Für die horizontale und vertikale Geschlechter Berufen arbeiten, Frauen besser in erzieherischen segregation auf dem Arbeitsmarkt gibt es viele oder pflegerischen Berufen. Begriffe wie „ge- Ursachen. Vor allem die Phasen des Berufsein- schlechtsspezifische Arbeitsteilung“, „männliche“ stiegs und der Familiengründung entscheiden oder „weibliche“ Tätigkeiten erwecken zudem den über die Segregation am Arbeitsmarkt (Bundes Eindruck, eine Arbeit oder Tätigkeit sei an ein ministerium für Familie, Senioren, Frauen und bestimmtes Geschlecht gebunden. Tatsächlich Jugend 2011). Zunächst stellen der Berufseinstieg gibt es aber keine Tätigkeit, die nur von einem und das Ausbildungssystem entscheidende Geschlecht ausgeübt werden kann. 15
2 Zweite Station: Ursachen 1 1 2 2 3 3 Junge Frauen wählen überwiegend Ausbildungsberufe Junge Männer besetzen stärker Berufe wie Kraftfahrzeug- im kaufmännischen Bereich. Besonders beliebte Berufe mechatroniker, Elektroniker oder verschiedene sind zudem (zahn-)medizinische Fachangestellte, andere mechanische Berufe. Erst danach folgen die Verkäuferin oder Friseurin. kaufmännischen Berufe. Die beliebtesten Ausbildungsberufe von Frauen 2018 Die beliebtesten Ausbildungsberufe von Männern 2018 Kauffrau für Büromanagement 10,6 % Kraftfahrzeugmechatroniker 7,6 % Medizinische Fachangestellte 8,4 % Industriemechaniker 4,8 % Zahnmedizinische Fachangestellte 6,5 % Elektroniker 4,6 % Industriekauffrau 6,0 % Anlagenmechaniker für Sanitär-, 4,0 % Heizungs- und Klimatechnik Kauffrau im Einzelhandel 5,9 % Fachinformatiker 3,9 % Verkäuferin 4,3 % Kaufmann im Einzelhandel 3,2 % Friseurin 3,4 % Mechatroniker 3,0 % Kauffrau im Groß- und 2,9 % Außenhandel Fachkraft für Lagerlogistik 2,7 % Verwaltungsfachangestellte 2,8 % Kaufmann im Groß- und Außenhandel 2,6 % Hotelfachfrau 2,6 % Elektroniker für Betriebstechnik 2,5 % Quelle: Statistisches Bundesamt 2020b Quelle: Statistisches Bundesamt 2020b Da die von Frauen bevorzugt gewählten Berufe Ausbildungsberufe. Bei jungen Männern verteilt in der Regel schlechter bezahlt sind als die von sich mehr als die Hälfte auf 20 Ausbildungsberufe. Männern, haben Frauen geringere Gehälter und schlechtere Einkommensmöglichkeiten im Le- Der Medianlohn beschreibt den Lohn, der die bensverlauf. Die Folgen dieser Berufswahl ziehen Rangreihe der Löhne genau in der Mitte teilt. sich durch das Leben und enden mit einer nie Das heißt, dass es genauso viele Menschen mit drigeren Rente für Frauen. Dazu kommt: Häufig einem höheren wie mit einem niedrigeren Lohn wählen Frauen und Männer nicht nur Berufe, gibt. Berufe, in denen viele Frauen arbeiten, wei- die als „weiblich“ oder „männlich“ gelten. Sie sen niedrigere Medianlöhne auf als Berufe mit suchen sich ihren Beruf auch aus einem ver einem geringen Frauenanteil. Die fünf Berufe gleichsweise kleinen Ausbildungsspektrum mit den höchsten Medianlöhnen sind ausnahms- aus – und schränken ihre beruflichen Möglich los „Männerberufe“: Unternehmer, Ingenieure, keiten damit deutlich ein. Mehr als die Hälfte Datenverarbeitungsfachleute und Bank- sowie der jungen Frauen konzentriert sich auf zehn Versicherungsfachleute (Wrohlich/Zucco 2017). 16
2 Zweite Station: Ursachen Frauenanteil und mittlerer Lohn (Medianlohn) in den 30 häufigsten Berufen Tageslohn in Euro pro Tag 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 Unternehmerinnen, Unternehmer und Geschäftsführende Sonstige Ingenieurinnen, Ingenieure Datenverarbeitungsfachleute Bankfachleute Lebens- und Sozialversicherungsfachleute Sonstige Technikerinnen, Techniker Maschinenschlosserinnen, Maschinenschlosser Groß- und Handelskaufleute Buchhalterinnen, Buchhalter Dreherinnen, Dreher Elektroinstallateurinnen, Elektroinstallateure und -monteurinnen, -monteure Bürofachkräfte mit Ausbildung Heimleiterinnen, Heimleiter und Sozialpädagoginnen, Sozialpädagogen Krankenschwestern und -pfleger, Hebammen Stenografinnen, Stenografen Bürofachkräfte mit Abitur/Hochschulabschluss Bürofachkräfte ohne Ausbildung Kindergärtnerinnen, Kindergärtner Sozialarbeiterinnen, Sozialarbeiter und Sozialpflegerinnen, Sozialpfleger Lagerverwalterinnen, Lagerverwalter und Magazinerinnen, Magaziner Kraftfahrzeuginstandsetzerinnen, Kraftfahrzeuginstandsetzer Helfende in der Krankenpflege Metallarbeiterinnen, Metallarbeiter/Warenaufmacherinnen, Warenaufmacher und Versandfertigmacherinnen, Versand- fertigmacher/Kunstoffverarbeitende Kraftfahrzeugführende Lager-, Transportarbeiterinnen, -arbeiter Verkäuferinnen, Verkäufer Sprechstundenhelferinnen, Sprechstundenhelfer Köchinnen, Köche Raum-, Hausratreinigerinnen, -reiniger Kellnerinnen, Kellner und Stewards 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Frauenanteil in Prozent Männerberufe Mischberufe Frauenberufe In Berufen, in denen viele Frauen arbeiten, sind die Medianlöhne niedriger als in Berufen mit geringem Frauenanteil. Anmerkung: Die Berechnungen basieren nur auf Vollzeiterwerbstätigen. Die Einteilung in die jeweiligen Berufe basiert auf der KldB 88. Frauenanteil in Prozent, Tageslohn (Median) in Euro pro Tag. Quelle: Wrohlich/Zucco 2017 17
2 Zweite Station: Ursachen Geschlechterstereotype wirken fort Insgesamt sind Frauen in Ostdeutschland stärker in den Führungsetagen vertreten als in West- Die Geschlechterstereotype, die die Berufswahl deutschland (Kohaut/Möller 2019). Im Jahr 2018 von Jugendlichen prägen, wirken auch im weite- lag der Anteil weiblicher Führungskräfte im Osten ren Erwerbsleben fort. Das trägt dazu bei, dass Deutschlands rund sechs Prozentpunkte über manche Berufe und Positionen für Frauen – teils dem Wert in Westdeutschland – sowohl im Top- auch für Männer – verschlossen bleiben. So funk- Management als auch in der zweiten Führungs- tionieren Personalauswahl und -entwicklung ebene und in Führungspositionen in kleineren oft nach dem „Similar-to-me-Effekt“ oder auch Betrieben. Ein Unterschied zwischen Ost- und Ähnlichkeitsprinzip: Bei Personalentscheidungen Westdeutschland besteht auch bei der Vergütung werden Bewerberinnen oder Bewerber als unge- der Führungspositionen. So werden Führungs- eignet für einen Beruf oder eine Position einge- positionen in Westdeutschland im Durchschnitt schätzt, weil sie den Vorgängerinnen oder Vorgän- besser vergütet als in Ostdeutschland. Auch die gern nicht ähnlich genug sind. Sie erfüllen nicht Gehaltsunterschiede von weiblichen und männ- die bestehenden Muster. Ein weiteres Beispiel, wie lichen Führungskräften sind im Osten nicht so das Geschlecht die berufliche Entwicklung prägt: groß. Darin liegt eine weitere Ursache für den Mädchen schneiden im Vergleich zu Jungen im vergleichsweise niedrigen Gender Pay Gap in den Schulsystem besser ab. Sie machen häufiger das östlichen Bundesländern. Abitur und verlassen seltener die Schule ohne Schulabschluss. Dennoch haben sie geringere Um den Anteil von Frauen in Führungspositionen Chancen, diese Qualifikationen am Ausbildungs- zu erhöhen, gilt seit 2016 eine feste Geschlechter- und Arbeitsmarkt so einzusetzen, dass daraus quote von 30 Prozent für neu zu besetzende Auf- bessere Karriere- und Einkommensmöglichkeiten sichtsratsposten in etwa 100 börsennotierten für sie entstehen. und paritätisch mitbestimmten Unternehmen. Dass sie wirkt, zeigen die Zahlen aus dem Jahr So bleibt der Anteil von Frauen in Leitungs- und 2019: Hier lag der Frauenanteil in den Aufsichts- Entscheidungspositionen bis heute sehr gering. räten der Unternehmen, die unter die Geschlech Dieses Phänomen der „Gläsernen Decke“, bei terquote fallen, bei 34,9 Prozent. Auch der Anteil dem oberhalb einer gewissen Hierarchiestufe der Frauen im Vorstand ist in dieser Gruppe kaum noch Frauen vertreten sind, ist in Deutsch stärker gestiegen als im Durchschnitt aller DAX- land besonders ausgeprägt. Nur knapp jede dritte Unternehmen. Im Jahr 2019 kletterte er auf Führungskraft war 2018 eine Frau (Statistisches 10,3 Prozent – verglichen mit 8,5 Prozent im Bundesamt 2020d). Im Vergleich zu anderen Län- Jahr 2018 (Kirsch/Wrohlich 2020). dern der Europäischen Union lag Deutschland damit nur im unteren Drittel. Insbesondere in Die erhofften Übertragungseffekte, genannt der Privatwirtschaft bleibt der Anteil von Frauen „Spill-Over-Effekte“, auf Unternehmen, die nicht an Führungspositionen weit unter ihrem Anteil unter die gesetzliche Quotenregelung fallen, an den Beschäftigten. Daran hat sich in den letz- blieben bislang jedoch aus: Der Frauenanteil ten Jahrzehnten nur wenig verändert. auf allen anderen Führungsebenen, insbeson dere auf der Vorstandsebene, bleibt gering. Ende Der Anteil von Frauen in Führungspositionen 2019 war in knapp 39,6 Prozent der 200 umsatz- stieg zwischen 1995 und 2015 in der Privatwirt- stärksten Unternehmen ohne den Finanzsektor schaft gerade einmal um zehn Prozentpunkte mindestens eine Frau im Vorstand vertreten. Der auf 30 Prozent (Holst/Friedrich 2017). Frauenanteil an allen Vorstandsmitgliedern betrug 10,4 Prozent. Das bedeutet umgekehrt, dass wei- terhin knapp 90 Prozent aller Vorstandsmitglieder in den 200 umsatzstärksten Unternehmen männ- lich sind. 18
2 Zweite Station: Ursachen So hat sich der Frauenanteil in den Top-200-Unternehmen entwickelt 40 Aufsichtsrat Mit fester Geschlechter- quote Ohne feste 30 Geschlechter- quote 20 Vorstand Mit fester Geschlechter- quote im Aufsichtsrat 10 Ohne feste Geschlechter- quote 0 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Jahr Unternehmen, in deren Aufsichtsrat die Geschlechterquote gilt, hatten zuletzt mehr weibliche Vorstandsmitglieder. Angaben in Prozent. Quelle: Kirsch/Wrohlich 2020 In Führungsetagen sind Frauen weiterhin unterrepräsentiert 50 Alle Beschäftigten 2. Führungsebene 40 1. Führungsebene 30 20 10 0 2004 2008 2012 2014 2016 2018 Jahr Der Frauenanteil liegt in der ersten und zweiten Führungsebene deutlich unter dem Anteil der Frauen an allen Beschäftigten. Angaben in Prozent. Quelle: IAB-Betriebspanel 2004, 2008, 2012, 2014, 2016 und 2018, gewichtete Werte; für 2006 und 2010 liegen keine Daten vor (Kohaut/Möller 2019). 19
2 Zweite Station: Ursachen Horizontale und vertikale Geschlechtersegrega- Führungspositionen in „Frauenberufen“ eben- tion stehen also in einem engen Zusammenhang: falls in einem hierarchischen Verhältnis zu den So sind Frauen zwar am häufigsten in den Wirt- Führungspositionen in „Männerberufen“. In schaftsbereichen Gesundheits- und Sozialwesen, sogenannten Frauenberufen gibt es in der Regel Erziehung und Unterricht in Führungspositionen weniger Aufstiegsmöglichkeiten, die Einkommen vertreten. Allerdings liegt ihr Anteil an Führungs- fallen im Schnitt geringer aus und Frauen sind kräften auch hier deutlich unter ihrem Beschäftig- weniger entscheidungsbefugt im Unternehmen. tenanteil in diesen Bereichen. Zudem stehen die 2.2 Frauen leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit In Deutschland sind Erwerbsarbeit und Sorge Dass private Sorgearbeit ungleich verteilt ist, arbeit, oft mit dem englischen Begriff „Care- liegt unter anderem daran, dass in vielen Fami Arbeit“ bezeichnet, zwischen Frauen und Männern lien stereotype Vorstellungen über die Rollen ungleich verteilt. Frauen erledigen häufiger un von Frau und Mann herrschen und Frauen bezahlte Hausarbeit, betreuen und erziehen die traditionell häufiger Sorgearbeit übernehmen. Kinder und/oder pflegen Angehörige. Pro Tag Das wirkt sich auch auf den Erwerbsumfang von leisten Männer im Schnitt zwei Stunden und Frauen aus. Denn es ist kaum möglich, in Vollzeit 46 Minuten unbezahlte Sorgearbeit, Frauen hin- zu arbeiten, nebenbei kleinere Kinder zu versor- gegen vier Stunden und 13 Minuten (Klünder gen oder sich um ältere oder kranke Angehörige 2017). Das zeigen Analysen des Statistischen zu kümmern. Zugleich bildet jedoch das soge- Bundesamtes.1 Um das Ungleichgewicht in der nannte Normalarbeitsverhältnis, das eine unbe- Verteilung der Sorgearbeit zwischen Frauen und fristete, sozial abgesicherte und tariflich entlohn- Männern deutlich zu machen, wurde für den te Vollzeittätigkeit beschreibt, die Basis für das zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregie- Rentensystem und die Arbeitslosenversicherung. rung (Bundesministerium für Familie, Senioren, Jede andere Erwerbsform gilt als „atypisch“ und Frauen und Jugend 2017) ein neuer Indikator führt zu einer schlechteren sozialen Absicherung. entwickelt: der Gender Care Gap. Er zeigt den Unterschied zwischen Frauen und Männern bei der Übernahme unbezahlter Sorgearbeit an. Er beträgt derzeit 87 Minuten pro Tag. Das entspricht einem Gender Care Gap von 52,4 Prozent. Der Begriff der unbezahlten Sorgearbeit wird dabei breit gefasst und beinhaltet sämtliche Arbeiten im Haushalt und Garten, die Pflege und Betreuung von Kindern und Erwachsenen sowie ehrenamt- liches Engagement und unbezahlte Hilfen für andere Haushalte. 1 Die Zeitverwendungserhebung wird alle zehn Jahre durchgeführt. Die Angaben hier beziehen sich auf die letzte Erhebung 2012/2013, die das Statistische Bundesamt 2015 veröffentlicht hat. Statistisches Bundesamt, 2015: Zeitverwendungserhebung. Aktivitäten in Stunden und Minuten für ausgewählte Personengruppen. Wiesbaden. 20
2 Zweite Station: Ursachen Der tägliche Zeitaufwand von Frauen und Männern für unbezahlte Sorgearbeit 06:00 h Männer Frauen 83,3 Gender Care 05:00 h Gap in Prozent 35,7 52,4 04:00 h 03:00 h 02:00 h 01:00 h 00:00 h Paare ohne Kinder Paare mit Kinder Insgesamt Bei Paaren mit Kindern ist der Gender Care Gap mit über 80 Prozent besonders hoch. Angaben zum Gender Care Gap in Prozent. Quelle: Klünder 2017 21
2 Zweite Station: Ursachen Unbezahlte Sorgearbeit partner- weile über 40 Prozent der Väter Elterngeld und schaftlich aufteilen unterbrechen oder reduzieren ihre Erwerbstätig- keit zeitweise, um sich um ihr Kind zu kümmern. Der Anteil der Mütter, die Elterngeld beziehen, Eine Familie zu gründen, wirkt sich wegen der liegt bei fast 98 Prozent (Statistisches Bundesamt damit verbundenen stereotypen Aufgabenver 2020e). Immer mehr Väter entscheiden sich für das teilung nach wie vor stark auf die Erwerbsver ElterngeldPlus und nutzen das Elterngeld länger läufe von Frauen aus. Das Neugeborene braucht als nur für die Mindestdauer von zwei Monaten, Fürsorge – und die braucht Zeit. Frauen unter die sogenannten Partnermonate. Beim Elterngeld- brechen ihre Erwerbstätigkeit für die Familien- Plus liegt die durchschnittliche Bezugsdauer der gründung weit häufiger und in der Regel auch Väter bei 8,9 Monaten (Statistisches Bundesamt deutlich länger als Männer. Ein Grund dafür 2020c). Das wirkt sich auch positiv auf eine gleich- sind oft die eigenen Wünsche. Auch spielt es eine berechtigte Kinderbetreuung aus: 82 Prozent der wichtige Rolle, wie familienfreundlich der eigene Eltern, die den Partnerschaftsbonus nutzen, teilen Arbeitgeber ist (Allensbach 2015). Aus Sicht der sich die Kinderbetreuung etwa hälftig auf (Deut- Familien ist das Modell, dass die Mutter zunächst scher Bundestag 2018). das Kind versorgt, aber auch eine unabhängig von Geschlechterstereotypen getroffene, rationale Unabhängig von der Dauer des Elterngeldbezugs Entscheidung. Da Frauen im Durchschnitt weni- durch die Väter ist die Wirkung nachhaltig. Stu- ger verdienen, wirkt sich der Einkommensverlust dien zeigen, dass Väter in Elternzeit mehr Zeit nicht so stark auf das Familieneinkommen aus mit ihrem Kind verbringen und dieser Effekt wie der Ausfall des in der Regel höheren Einkom- auch nach Ende des Elterngeldbezugs anhält. mens von Männern. Insofern verstärken sich hier Eine stärkere Beteiligung der Väter an der unbe- Ursache und Auswirkung des Gender Pay Gaps. zahlten Sorgearbeit ermöglicht den Müttern außerdem, Anschluss im Beruf zu halten. Ver- Mit Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007, schiedene Studien haben gezeigt, dass das Eltern- das Mütter und Väter für die Zeit der Erwerbs- geld zu kürzeren Erwerbsunterbrechungen von unterbrechung finanziell unterstützt, wurden Müttern führt und insgesamt die Erwerbstätigkeit die Weichen für eine gerechtere Verteilung von von Müttern fördert (Wrohlich/Berger et al. 2012). Familienarbeit gestellt und Veränderungen in den Darüber hinaus wirkt das Elterngeld auch breit in Familien herbeigeführt. Ein weiterer Schritt zu die Gesellschaft und verändert Einstellungen über mehr Partnerschaftlichkeit war die Einführung die Aufgaben und Geschlechtervorstellungen von von ElterngeldPlus und Parnterschaftsbonus mit Müttern und Vätern. So wollen nicht nur Väter weiteren Gestaltungsmöglichkeiten. Gleichzeitig selbst viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Auch bleibt es allerdings bei einem geringeren Erwerbs- zwei Drittel der Bevölkerung erwarten von Vätern, umfang von Frauen im Vergleich zu Männern. dass sie sich auch um ihre kleinen Kinder küm- Während das Erziehungsgeld bis 2007 lediglich mern, sich stark im Familienalltag engagieren und drei Prozent der Väter nutzten, beziehen mittler- ihre Partnerinnen unterstützen (Allensbach 2019). 22
2 Zweite Station: Ursachen Familie und Beruf vereinbaren der unter Dreijährigen, deutlich gestiegen. Be- suchten im Jahr 2007 in Deutschland nur 15,5 Pro- Frauen unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit auch zent der Kinder unter drei Jahren eine Kinder deshalb häufig, weil es in Deutschland lange Zeit betreuungseinrichtung, verdoppelte sich der keine oder nur unzureichende Betreuungsplätze Anteil 2019 auf 34,3 Prozent. Noch immer zeigen für Kinder gab. Um Familie und Beruf besser sich dabei deutliche Unterschiede zwischen den vereinbaren zu können, sind seit 2007 viele neue westdeutschen und den ostdeutschen Bundes Betreuungsplätze entstanden. Seit August 2013 ländern: So besucht in Ostdeutschland mehr als haben Eltern zudem einen Rechtsanspruch auf die Hälfte der unter Dreijährigen eine Kita oder einen Betreuungsplatz für Kinder, die das erste wird von Tageseltern bereut. In Westdeutschland Lebensjahr vollendet haben. Durch diese Maß sind es nur rund 30 Prozent. nahmen ist die Betreuungsquote, insbesondere Kinder in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege 94,2 93,6 93 92,7 89 88,1 52,1 40,7 34,3 Deutschland 30,3 gesamt Früheres Bundes- 15,5 gebiet ohne Berlin 9,8 Neue Bundes- länder mit Berlin Kinder unter Kinder von 3 bis Kinder unter Kinder von 3 bis 3 Jahren unter 6 Jahren 3 Jahren unter 6 Jahren 2007 2019 Kinder unter drei Jahren besuchen in den ostdeutschen Bundesländern doppelt so häufig eine Kita oder werden von Tageseltern betreut. Angaben in Prozent. Quelle: Statistisches Bundesamt 2019a 23
2 Zweite Station: Ursachen Öffnungszeiten von Kitas und Horten Öffnungszeiten von Kitas 2017 West 57 44 Ost 88 8 Öffnungszeiten von Horten 2017 West 21 13 Ost 88 Vor 7:30 Uhr geöffnet 9 Vor 16:30 Uhr geschlossen 0 20 40 60 80 100 Nur 57 Prozent der Kindertagesstätten in den westdeutschen Bundesländern haben vor 7:30 Uhr geöffnet. Und 44 Prozent schließen bereits vor 16:30 Uhr. Angaben in Prozent. Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018 Obwohl immer mehr Kinder in Kitas und Kinder- in Deutschland weiterhin für das Vollzeit-Teilzeit- tagespflege betreut werden können, liegt der Modell. Das bedeutet, ein Elternteil – mehrheitlich Betreuungsbedarf in vielen Städten und Regionen der Vater – arbeitet in Vollzeit. Der andere Eltern- noch immer über der tatsächlichen Betreuungs- teil – mehrheitlich die Mutter – arbeitet in Teilzeit. quote. Daher finden immer noch viele Eltern In mehr als der Hälfte (53,6 Prozent) der Paar keinen Betreuungsplatz, der zu ihren individuel- familien mit einem Kind unter drei Jahren war len Arbeitszeiten passt. Damit beide Elternteile 2018 nur der Vater erwerbstätig. In gut 35 Prozent auch in Vollzeit oder vollzeitnah erwerbstätig der Paarfamilien mit kleinen Kindern waren beide sein können, muss die Kinderbetreuung weiter Eltern erwerbstätig. Dass beide Elternteile in Voll quantitativ und qualitativ ausgebaut und zudem zeit erwerbstätig sind, bleibt die Ausnahme, ins besser an den zeitlichen Betreuungsbedarfen der besondere wenn die Kinder noch sehr klein sind. Eltern angepasst werden. Familie und Beruf lassen Nur neun Prozent der Paarfamilien mit einem sich daher bis heute oft nur schwer unter einen Kind unter drei Jahren wählen dieses Modell. Hut bringen. Deshalb entscheiden sich viele Eltern 24
2 Zweite Station: Ursachen Mütter und Väter mit Kindern nach Erwerbstyp sowie mit Kindern unter drei Jahren 100 91,3 86 88,6 82,6 Väter Erwerbstätige 80 71,1 Vollzeit 60 Teilzeit 46,4 40 36,3 24,7 25,6 Mütter Erwerbstätige 20 10,8 5,2 6,0 Vollzeit 0 Teilzeit Insgesamt Mit Kindern < 3 Jahre Insgesamt Mit Kindern < 3 Jahre Frauen mit Kindern unter drei Jahren sind mit gut 36 Prozent viel seltener erwerbstätig als Männer und arbeiten überwiegend in Teilzeit. Angaben in Prozent. Quelle: Statistisches Bundesamt 2019b Arbeitszeiten von Frauen und Männern in verschiedenen Lebensphasen 45,0 Männer Frauen 40,1 40,0 40,3 40,3 39,8 40,0 39,0 37,1 36,7 37,8 35,0 30,9 30,0 25,9 24,5 25,0 27,3 26,4 20,0 Single ohne Paare ohne Paare Paare Paare Paare ohne Paare ohne Kinder < 45 Kinder < 45 jüngstes jüngstes jüngstes Kinder im Kinder im Kind < 7 Kind 7–12 Kind 13–18 Haushalt Haushalt vor 46–59 der Rente Die Arbeitszeiten von Müttern und Vätern entwickeln sich nach der Geburt des ersten Kindes auseinander. Angaben von durchschnittlichen Wochenstunden (2016). Quelle: Kümmerling 2018 auf Basis von Scientific use files des Labour Force Survey (2016) 25
2 Zweite Station: Ursachen Männer haben in jeder Lebensphase längere Was bedeutet das für den Arbeitszeiten als Frauen. Die Unterschiede sind Gender Pay Gap? jedoch bei Singles vergleichsweise gering. Erst mit der Partnerschaft und dem gemeinsamen Haushalt mit Kindern entwickeln sich die Arbeits In Deutschland arbeiten Frauen sehr viel häufiger zeiten von Frauen und Männern deutlich ausei in Teilzeit mit einem geringen Stundenumfang als nander. Während die Arbeitszeiten von Männern in anderen europäischen Ländern (Boll/Lange meistens über alle Lebensphasen konstant lang mann 2018). So betrug die Teilzeitquote 2018 in bleiben, sieht es bei Frauen anders aus. Mit Kin- Deutschland 46,7 Prozent, im EU-Durchschnitt dern unter sieben Jahren arbeiten Mütter mehr hingegen nur 30,8 Prozent. Nur in den Niederlan- als 13 Stunden weniger als Väter in der gleichen den ist der Anteil von Frauen in Teilzeitarbeit mit Lebensphase. Die Erwerbstätigkeit dieser Frauen 73,8 Prozent deutlich höher, in Österreich ist er liegt damit immer noch fast zehn Stunden unter ähnlich hoch (47,6 Prozent) (Eurostat 2020). Die der von kinderlosen Frauen in Partnerschaften. hohe Teilzeitquote wirkt sich deshalb in Deutsch- land auch stärker auf den Gender Pay Gap aus. Anders ausgedrückt: Während vor der Geburt des 2018 betrug die durchschnittliche Wochenarbeits- ersten Kindes die meisten berufstätigen Frauen zeit der teilzeitbeschäftigten Frauen 21,5 Stunden. und Männer in Vollzeit erwerbstätig sind, sinkt Als besonders nachteilig mit Blick auf den Gender der Anteil der Eltern, die beide in Vollzeit arbeiten, Pay Gap erweist sich die sogenannte Teilzeitfalle. nach der Geburt des ersten Kindes deutlich. Das Sie bezeichnet die Beobachtung, dass Frauen – führt dazu, dass die Arbeitszeiten von berufstätigen häufig nach der Geburt des ersten Kindes und Vätern im Durchschnitt 42 Stunden in der Woche der Elternzeit – von einer Vollzeittätigkeit in eine betragen. Mütter gehen pro Woche durchschnitt- Teilzeittätigkeit wechseln und von dort aus kaum lich nur noch 25 Stunden ihrem Beruf nach. mehr in eine Vollzeittätigkeit zurückkehren. Die damit für viele Erwerbsbiografien von Frauen Frauen übernehmen nicht nur häufiger die typischen unterbrochenen Erwerbsverläufe und Betreuung und Sorge von Kindern. Sie sind im das niedrige Arbeitsvolumen beeinträchtigen Alter zwischen 45 und 64 Jahren auch stärker in jedoch die Karriereentwicklung. Das führt auch die Pflege von Angehörigen eingebunden. Der dazu, dass Frauen im Verlauf ihres Lebens weniger erste Bericht des unabhängigen Beirats für die verdienen. Vereinbarkeit von Pflege und Beruf kommt zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel der Hauptpflege- Auch die Stundenlöhne von Frauen und Männern personen weiblich sind. Das entspricht 1,65 Millio- gehen ab dem Alter von 30 Jahren deutlich aus nen Frauen. Lässt man die Unterscheidung einander. Mit der Geburt des ersten Kindes steigt zwischen Haupt- und sonstigen Pflegepersonen der Anteil von in Teilzeit arbeitenden Müttern außer Acht, leisten Frauen in Pflegehaushalten deutlich, während für Väter keine Veränderung mit 57 Prozent häufiger Pflegearbeit als Männer, des Erwerbsumfangs festzustellen ist (Schrenker/ die auf 38 Prozent kommen, und übernehmen Zucco 2020). Bei den unter 30-Jährigen beträgt auch öfter die zeitintensive Pflege (Geyer 2016). der Gender Pay Gap neun Prozent. Bei den über Frauen reduzieren also auch eher ihre Wochen- 30-Jährigen steigt er stark an und beträgt 28 Pro- arbeitszeit, um Pflegetätigkeiten zu übernehmen. zent bei Frauen und Männern, die 49 Jahre alt sind. Für das Jahr 2019 lag der Gender Pay Gap in dieser Altersgruppe damit weit über dem Durch- schnitt von rund 20 Prozent. 26
2 Zweite Station: Ursachen Durchschnittlicher Stundenlohn, Teilzeitanteil und durchschnittliches Alter bei Geburt des ersten Kindes Bruttostundenlohn in Euro 25 Männer Frauen 20 Geburt des ersten Kindes 15 10 Alter der Väter bei der Geburt des ersten Kindes: 33,5 Jahre 5 Alter der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes: 30,0 Jahre 0 Alter in 20 25 30 35 40 45 50 55 Jahren Mittlerer Lohn von Frauen stagniert ab Geburt des ersten Kindes Teilzeitanteil in Prozent 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Alter in 20 25 30 35 40 45 50 55 Jahren Mit der Geburt des ersten Kindes steigt der Anteil von Teilzeit arbeitenden Mütter deutlich. Quelle: Schrenker/Zucco 2020 Datenquellen: FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Verdienststrukturerhebung 2014, Mikrozensus 2014–2016 27
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