Auf der Suche nach dem g'scheiten Grätzl
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Fotos: Florian Albert Jede Wohnung hat einen Container als „Kellerabteil“. Geplant von Pentaplan, sehen die Bewohner das als eine „lustige Architektur“. Auf der Suche nach dem g’scheiten Grätzl Westlich der Grazer Bahngleise wird gerade die Smart City aus dem T H E M A | R E P O R TA G E WohnenPlus Digital Erdboden gestampft. Der Stadtteil wirbt mit neuen Technologien, mehr online unter smarten Verkehrslösungen und gemütlicher Nachbarschaft. Doch wie wohnenplus.at sieht die Realität aus? Ein Lokalaugenschein mit Christine Brauners- reuther, Mitglied im Ausschuss für Verkehr und Stadtplanung. — WOJCIECH CZAJA Alle sieben Minuten fährt die Straßen- westlich und nordwestlich des Grazer gen Schuttberg. Neben ihr Erdbrocken bahn durch die Waagner-Biro-Straße. Hauptbahnhofs war einst ein klassi- und Bruchstücke eines alten, gemau- Mal sitzen zwei Personen drin, mal sches Industriegebiet mit Lager- und erten Mauerbogens, im Hintergrund eine, mal keine. „Rundherum wird Logistikhallen. Manche alteingeses- Kräne und Bagger. „Ich stehe hier im gebaut, es wohnen noch relativ we- senen Betriebe wie etwa PJ Messtech- zukünftigen Nikolaus-Harnoncourt- nig Leute hier“, sagt Christine Brau- nik oder Stahlgroßhandel F. Eberhardt Park, der eigentlich schon längst hätte nersreuther. „Aber in der Früh, wenn zeugen auch heute noch davon. Erste fertig sein sollen, in dem die Bäume die Kinder ins Leopoldinum fahren, Ideen, die Hallen zu schleifen und die schon längst wachsen sollten. Diese oder am Nachmittag, wenn die Schule zentrumsnahen Baulandreserven ein- Auflage ist leider nicht erfüllt.“ dann aus ist, sieht die Sache schon an- zustädtern, reichen bis in die 1980er- ders aus. In ein, zwei Jahren, da bin ich und 1990er-Jahre zurück. Zentralisierte Haustechnik mir sicher, wird das eine ziemlich gut „Aber erst 2013 hat es das Pro- Man brauche die Fläche für Logistik frequentierte Strecke sein.“ Die Stra- jekt erstmals in den Gemeinderat ge- und Zwischenlagerung, heißt es offi- ßenbahn, um die es sich handelt, ist schafft“, sagt Braunersreuther. Mit ziell seitens der Bauträger. Auch die die Verlängerung der Linie 6, die vom einer EU-Förderung, Smart-City-Kri- Straßenbahn nahm ihre Jungfernfahrt, Hauptbahnhof um sechs Stationen terien und der Absicht, hier vor allem nachdem die Volksschule Leopoldinum verlängert wurde, ehe sie in der neuen auf die Karte städtebaulicher Verträge schon ein Semester lang in Betrieb war, Smart City ihre finale Gleisschleife um zu setzen und die Bauträger und Inves- mit einiger Verspätung erst im Jänner die Baustelle des sogenannten Smart toren in die öffentliche Pflicht zu neh- 2022 auf. Etwas smarter immerhin ist Quadrats legt. men, sollte ein innovatives, zukunfts- die zum überwiegenden Teil zentrali- Und wieder eine leere Bim. Brau- fähiges Exempel statuiert werden. „Zu sierte Haustechnik. Unter dem AVL- 1 nersreuther, Clubobfrau der regieren- den smarten Auflagen zählte von An- Bürogebäude, das schon vor einigen – den Grazer KPÖ und Mitglied im Aus- fang an, dass nachhaltige Technolo- Monaten besiedelt wurde, befindet sich 2 schuss für Verkehr und Stadtplanung, gien zum Einsatz kommen und dass mit rund 2,5 Megawatt Leistung das 0 verfolgt die Pläne zur Smart City schon schon vor Besiedelung des Quartiers größte Grundwasser-Projekt der Stei- 2 seit geraumer Zeit, steht dem 8,2 Hek- die Grünflächen, Parkanlagen und ermark. „Aufgrund der guten Grund- 2 tar großen Stadtentwicklungsgebiet öffentlichen Verkehrsmittel fertigge- wasserreserven haben wir im Baufeld aber mit einer, wie sie meint, „gesun- stellt und in Betrieb sind.“ Christine Mitte ein zentrales Energiesystem“, er- den Distanz“ gegenüber. Das Areal Braunersreuther steht vor einem riesi- klärt Oliver Vallant, Geschäftsführer 19
Energieautarkes Grätzl für Graz My Smart City Graz soll bis 2024 ein energieautarker Stadtteil werden. Dabei wer- den verschiedene Komponen- ten erprobt: neue Solarmo- dule, solare Kühlung, urbane Solarstromerzeugung, inte- grierte Fassadentechnolo- gien, Mini-BHKW, Smart Heat Grids. Diverse Demonstrati- onsbauten werden umgesetzt: Science Tower, PV-Pilotan- lage „Grätzl-Zelle“, Energie- Grafik: Martin Grabner zentrale und lokales Energie- netz sowie Wohnanlagen und gewerbliche Flächen mit inno- vativen Gebäudetechnologien. der Smart City Mitte Holding GmbH. „hätte man über städtebauliche Ver- BGF insgesamt: 140.000 m2 „Aus 40 Meter Tiefe saugen wir zwölf träge fixieren und umsetzen können. Masterplan: Nussmüller Grad warmes Grundwasser an, das wir Auch das ist nicht passiert.“ Bei der Architekten im Winter in Wärme verwandeln und Straßenbahn-Endhaltestelle der Linie Wohnungen: 920 im Sommer fürs Kühlen nutzen.“ Die 6 gibt es – ähnlich dem internationalen Büro- und Gewerbeflächen: 50 beim Kühlen anfallende Abwärme wird Share-now-Modell – einen tim-Mobi- Bauträger: Haring Group, zudem für die Warmwasseraufberei- lity-Point mit Lastenrädern und Elek- Insula, KS Group, Trivalue, tung verwendet. Im Endausbau soll troautos zum minuten- und stunden- Wegraz, DI Jörg Jandl die Anlage rund 310 Wohnungen und weisen Ausleihen. Architekten: Bauteil Nord: 21.000 Quadratmeter Büro- und Ge- Die Konfiguration der Smart City Gangoly & Kristiner Architek- schäftsfläche versorgen. Als Back-up geht auf einen städtebaulichen Mas- ten, Nussmüller Architekten; fungiert eine Fernwärmeleitung, die terplan von Nussmüller Architekten Bauteil Mitte: KS Bau kurzfristig in Betrieb genommen wer- zurück. Dieser sah vor, nördlich der Management GmbH, Bauteil den kann. bestehenden Helmut List Halle und Süd: Pentaplan „Die klimafreundliche Energie des 2017 fertiggestellten Science-To- ist für einen Stadtteil, der den Na- wers einen Stadtteil mit 1.400 Woh- www.mysmartcitygraz.at men Smart City trägt, meines Erach- nungen für knapp 4.000 Einwohner tens eine Selbstverständlichkeit“, vorzusehen. Zu den ÖBB-Gleisen wird sagt Braunersreuther. Im Hintergrund die Smart City mit einer akustischen pirscht sich wieder eine Straßenbahn- Barriere abgeschirmt, die Baukörper Strukturen“, sagt Christine Brauners- garnitur an. „Viele andere Aspekte aber, sind recht wuchtig, ja fast schon me- reuther. „Ich habe Sorge, dass die lan- die ebenso selbstverständlich sein soll- galomanisch. Fassadenkanten mit gen, fetten Riegel ein urbanes, vielfälti- ten, wurden verabsäumt. Die autofah- mehr als 100 Meter Länge sind hier ges Leben ein bisschen verunmöglichen rerfreundlichen Vorgängerregierungen keine Seltenheit. werden. Und ich fürchte, dass denjeni- haben den Ausbau des öffentlichen Ver- Architekt Stefan Nussmüller gen, die sich hier zu Fuß durchbewe- kehrs immer wieder auf Eis gelegt. Das selbst bezeichnet den Entwurf als gen werden“ – und noch sind das nicht ist wirklich ärgerlich.“ eine Komposition aus „Blockrandbe- viele, denn die Straßen sind zur Mit- bauung“ und „urbanen Gevierten“ mit tagszeit nahezu ausgestorben –, „eine Komposition aus „Blockrand- „großzügigen, fließenden Naturräu- ziemlich herausfordernde Aneignung bebauung“ men“. Ab und zu – das verrät ein Blick der städtischen Freiräume bevorsteht.“ Auf der Mängelliste der Clubobfrau und auf die Renderings der beteiligten Bau- Abwechslung, Kleinteiligkeit, Einla- Stadtplanungsexpertin stehen außer- träger und Architekten – taucht inmit- dung zur Inanspruchnahme der Stadt dem fehlende fußläufige Querungen ten dieser riesigen Strukturen als städ- in Form von Möbeln und sympathi- in die Osthälfte des Lend-Bezirks so- tebauliche Betonung eine turmartige schen Ecken? Fehlanzeige. wie eine attraktive Schließung und Ver- Erhöhung mit bis zu acht Stockwerken dichtung des Radwegnetzes. Der Är- auf. Die Bauten von Insula, Trivalue, Lustige Architektur ger ist nachvollziehbar. Zwischen den Wegraz, Jörg Jandl und Haring Group Eines der wenigen, in dieser strukturel- 1 beiden Unterführungen Peter-Tun- sind ansprechend gestaltet, die archi- len Monotonie bereits fertiggestellten – 2 ner-Gasse im Norden und Eggenberger tektonischen Handschriften von Pen- Wohnhäuser ist das Containerhaus von 0 Straße im Süden liegen 1,5 Kilometer taplan, Gangoly & Kristiner, Kleboth, Pentaplan, Baufeld Süd, Waagner-Biro- 2 Luftlinie. Und die Peter-Tunner-Gasse Lindinger, Dollnig und einigen anderen Straße 84. Von der Straße aus betrach- 2 ist unter den ÖBB-Gleisen so schmal, lokalen und nationalen Matadoren sind tet, wirkt das Gebäude wie eine Per- dass nicht einmal ein ausreichend brei- hochwertig und von hoher ästhetischer siflage auf das klassische Satteldach, ter Gehsteig oder ein Radweg Platz ha- und materieller Qualität. „Aber es sind mit vielen Loggien und Balkonen und ben. „All das“, so Braunersreuther, einfach viel zu große, viel zu monotone einer sehr flachen, subtilen Trapez- 20
ten Stadt verstehe ich viel Grün, viel Holzbau, eine Art nachbarschaftliche Gemütlichkeit. Aber alles, was man hier sieht, ist Beton und Quadratme- tergier. Es liegt nun an den Investoren und Entwicklern, ob das wirklich eine Smart City wird – oder doch nur eine weitere Betonstadt.“ Ob sein Wunsch nach einer smar- ten, inklusiven, gemütlichen City in Erfüllung gehen wird, ist aus heutiger Sicht zu bezweifeln. In einer bagger- gierigen Goldgräberstimmung hat Alt- bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) – „Ich bin baubegeistert, ich fühle mich als Bürgermeister nur dann wohl, wenn ich mehrere Kräne über Graz sehe.“ – jahrelang Bauträger und Investoren angelockt und dabei aus Sicht eini- ger Experten allzu sehr das Planungs- „Zu den smarten Auflagen zählte Tel Aviv sein. Zur Mittagszeit kommen und Entwicklungszepter aus der Hand von Anfang an, dass nachhaltige die Business-Leute von AVL und aus gegeben. Die verabsäumten Zeitfris- Technologien zum Einsatz kommen dem Science-Tower, am Abend, erzählt ten und Vereinbarungen und zum Teil und das schon vor Besiedelung Julius Marksteiner, Chef de Rang, kä- recht frei interpretierten städtebauli- des Quartiers die Grünflächen men viele Leute vor oder nach den Ver- chen Verträge legen davon Zeugnis ab. fertiggestellt sind..“ anstaltungen in der Helmut List Halle. „Was passiert ist, ist passiert“, sagt Christine Braunersreuther „Und natürlich haben wir immer häufi- Christine Braunersreuther. „Aber ger auch Gäste, die aus der Innenstadt noch ist Zeit zu handeln. Was ich mir blech-Dachlandschaft. An den beiden anreisen. Für manche sind wir noch für die Smart City wünsche, ist in we- THEMA Seitenflanken im Norden und Süden mitten in der Wüste. Aber allmählich nigen Worten gesagt: Radwegenetze wurden – quasi als Begleiterscheinung checken die Menschen, dass hier rund- schließen und verdichten, mehr Fahr- zu den Laubengängen – bunte Übersee- herum ein Stück Stadt entsteht.“ rad-Abstellplätze, mehr Kooperation Container zu einer schachbrettartigen Vor knapp zwei Jahren, als er hier auf Augenhöhe, mehr Miteinander zwi- Matrix übereinandergestapelt. Hinter angefangen habe zu arbeiten, sei hier schen Privaten und Öffentlichen, Bau- dem frechen Versatzstück aus der ma- Einöde gewesen. „Aber jetzt“, meint gruppen und Gemeindebauten wie in ritimen Logistik verbergen sich woh- der 25-Jährige, „kann man sich schon Wien und vor allem eine Attraktivie- nungsweise zugeordnete Kellerabteile. richtig vorstellen, wie es hier bald aus- rung der Frei- und Zwischenräume.“ „Mein Freund und ich haben un- sehen wird. Ich freue mich darauf.“ Nur Sieben Minuten sind wieder um. Eine sere erste gemeinsame Wohnung ge- in einem Punkt ist Marksteiner skep- Straßenbahn fährt in die Endhaltestelle sucht“, sagt Victoria. „Als wir das tisch: „Mit dem Namen Smart City ein. Hoffentlich nicht in die Endstation Haus im Bau gesehen haben, war so- habe ich Probleme. Unter einer smar- Stadtplanung. fort klar, dass wir hier wohnen wollen. Das ist eine schöne, lustige Architek- tur mit einer irgendwie frechen Idee.“ Die Wohnungen, sagt die 23-jährige Luftfahrttechnik-Studentin, seien gut belichtet und gut geschnitten. Ihre ei- gene Wohnung misst 50 Quadratme- ter, die monatliche Miete beläuft sich auf rund 600 Euro. „Das Beste sind natürlich die Container. Das Contai- nerhaus kennt in Graz schon fast je- der. Jetzt fehlt nur noch, dass hier in ein, zwei Jahren die Stadt zum Leben erwacht und der wöchentliche Bau- 1 ernmarkt wieder zurückkehrt. Wäre – schon wichtig.“ 2 Wo heute jedenfalls der Laden be- 0 reits brummt, das ist das Restaurant 2 Streets in der Waagner-Biro-Straße 2 109. Ein schickes Lokal im Industrial- Look, ziemlich super eingerichtet, tolle Speisekarte, könnte auch in Berlin oder Beim sogenannten Containerhaus gibt es „etwas andere“ Sitzplätze im Freien. 21
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