Zusammenstellung und Auswertung der Fragebögen Kinderheim Karlshöhe in den 50er bis Anfang der 70er Jahre - Wolfgang Bahr Mitglied der ...
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Wolfgang Bahr 07.02.2009 Mitglied der Heimkinderprojektgruppe Zusammenstellung und Auswertung der Fragebögen Kinderheim Karlshöhe in den 50er bis Anfang der 70er Jahre 1
Vorspann: Im Rahmen der Vorbereitung des Tags der Begegnung und des Tags der öffentlichen Erinnerung wurde ein Fragebogen von Wolfgang Bahr in Zusammenarbeit mit der Projektgruppe erarbeitet. Der Fragebogen sollte sowohl als persönliche Vorbereitung und Erinnerung zu den beiden Tagen dienen und die Antworten in einer Broschüre veröffentlicht oder auch zu weiteren wissenschaftlichen Zwecken verwandt werden. Von den ca. 170 angefragten ehemaligen Jungen und Mädchen, Mitarbeiter/innen und Lehrer/innen haben 90 auf die Frage zum Fragenbogen, ob sie be- reit sind, diesen auszufüllen, geantwortet. 58 davon hatten ihre Bereitschaft für das Ausfüllen des Fragebogens erklärt. Von den 58 verschickten Fragebögen kamen 25 ausgefüllt zurück. Davon waren 11 Bögen von den Jungen, 3 von den Mädchen und 11 Bögen von den Mitarbeiterinnen. Die Antworten finden Sie in dieser Broschüre zusammengestellt. Bei einem Rücklauf von unter 30 Fragebögen wird in der Sozialwissenschaft nicht mit Prozenten die Auswertung dargestellt. Sondern, sehr viele, wenige, die ½, 1/3, ¼ usw. Für eine weitergehende, nach Themen geordnete Zu- sammenfassung und Auswertung der Antworten fehlte uns leider die Zeit. Die Nummerierung der gestellten Fragen und ihre Antworten ist so vor- genommen worden, dass sinngleiche Fragen bei den ehemaligen Jungen/Mädchen und Mitarbeiter/innen mit derselben Nummer versehen wur- den. Abweichende Fragen, bzw. Fragen, die nur für die Jungen/Mädchen oder für die Mitarbeiter/innen gestellt wurden, erhielten eine fortlaufende eigene Nummer. Die Namen der Ehemaligen Jungen und Mädchen einschließlich der Mitarbeiterinnen wurden verfälscht oder gekürzt, so dass der Personenschutz gewahrt bleibt. Aufzählungen von erinnerten Personen wurden nicht in der Broschüre mit aufgenommen, damit Rückschlüsse auf einzelne, die geantwortet haben, weitgehend ausgeschlossen sind. Während die ehemaligen Jungen und Mädchen, die geantwortet haben sowohl in den 50er bis in die 70er Jahren im Heim waren, gab es keine der Mitarbeiter/innen, die schon in den 50er Jahren auf der Karlshöhe ge- arbeitet haben. Insofern lässt sich hier auch nur noch ein in sich ruhender Eindruck aus den 50er Jahren aus der Sicht der Ehemaligen herleiten und ein vergleichender zu den 60er Jahren. Auffallend ist das Ausmaß der Zufriedenheit bei den Befragten Jungen/Mädchen und Mitarbei- ter/innen, die vorwiegend Ende der 60er und in den 70er Jahren im Heim betreut oder gearbeitet haben. Dass es heute die Möglichkeit gibt, Ver- gangenes nicht vergessen zu müssen, sondern mit Hilfe Vieler gemeinsam aufarbeiten zu können, macht uns dankbar. Mit den Fragen an ehemalige Heimkinder, sowie deren Betreuern und den daraus resultierenden Antworten, ist für uns alle ein wichtiger Beitrag entstanden, der die Zeit der 50er – Anfang der 70er Jahre in den Fokus rückt. Diese für viele so schwere Zeit lässt sich nun dadurch besser ver- stehen, da unter dem Nenner sämtlicher Antworten ein Bild entsteht mit all seinen Facetten an Erlebten und den daraus entstandenen Folgen. Mit Erinnerungen aber auch in vielen Geständnissen kann damit etwas deutlicher und klarer werden, was oft auf so tragische Weise bis heute unver- standen und unveröffentlicht blieb. Diese Broschüre gibt aus Sicht der Projektgruppe einen Eindruck aus der damaligen Heimerziehung auf der Karlshöhe wieder. Die Eindrücke können jedoch nicht als repräsentativ gelten und daher nur Tendenzen von damals aufzeigen. Für die, die ge- antwortet haben war es so. Es sind daher auch Unterschiedlichkeiten in der Wahrnehmung und den Aussagen aber auch vielseitige Übereinstim- mungen in den einzelnen Antworten zu den Fragen erkennbar. Allen, die die Fragen beantwortet und den Fragebogen eingereicht haben, sei an dieser Stelle nochmals ganz herzlich dafür gedankt. Wir wünschen uns, dass mit dieser Broschüre eine weitergehende Aufarbeitung der alten Heimerziehung sowie ein Dialog zwischen den damals Beteiligten und Betroffenen angeregt werden. Darüber hinaus wünschen wir allen, das ein Weg der Verzeihung und Versöhnung, dort wo er möglich wird, auch zur Heilung der alten Wunden und damit zu mehr Frieden in uns führt. 2
Geschichtlicher Überblick zur Kinderanstalt Karlshöhe Der geschichtliche Über- und Rückblick wird hier vorangestellt, weil er einen interessanten Eindruck vermittelt, unter welchen Grundsätzen, Voraussetzungen und Umständen die Kinderanstalt Karlshöhe damals gegründet und betrieben wurde. Es ist erstaun- lich, dass die Karlshöhe in den Jahren von 1876 bis 1933 für uns Ehemalige um manches fortschrittlicher klingt, als wir es in den 50er und 60er Jahren selber erfahren mussten. Kleinere Gruppen, zwei feste Erzieher/innen pro Gruppe waren zwei wesentliche Un- terschiede, in dessen Genuss die Kinder vor und nach dem 1. Weltkrieg bis zur Machtübernahme der Nazis 1933 kamen. Die persön- lichere Beziehung der Erzieher zu den Kindern stand schon in den Gründerjahren und besonders auch zu Herrn Direktor Mössners Zeiten bis 1933 im Vordergrund. Durchgängig durch alle Jahrzehente ist die Einbeziehung der Kinder an den Arbeiten in der Land- wirtschaft, in den Obstplantagen und im Heimgelände. Damit haben die Kinder fast 100 Jahre erheblich zur Finanzierung der Anstalt durch Personaleinsparung beigetragen. Unsere Zeit in den 50er und 60er Jahren war geprägt von einem sehr niedrigen Tagessatz pro Kind, die auch auf die besondere Sparsamkeit von Herrn Dr. Lorch zurückzuführen war. Sie war geprägt von einem Mangel an gut ausgebildeten und ausreichenden Erziehungskräften. Die Ausgebildeten Erziehungskräfte mussten wegen des geringen Tagessatzes von Direktor Lorch knapp gehalten werden. Sein Wirken hat daher bei manchem von uns tiefe Spuren hinterlassen. 1875 Der Bau der Kinder- und Brüderanstalt Karlshöhe 1876 Die 1976 gegründete Brüderanstalt war mit der Gründung der Kinderanstalt Karlshöhe verbunden. Die Kinderanstalt diente als prak- tisches Übungsfeld für die angehenden Diakone. Die Brüderanstalt hatte sich zur Aufgabe gemacht, die Mädchen und Jungen nach dem Vorbild des „rauhen Hauses“ bei Hamburg in Familiengruppen nach „Wichern“ nach dem Familienprinzip zu erziehen und nicht wie es damals in den so genannten Rettungsanstalten üblich war alle Kinder in einem Haus zu betreuen. Daher wurden 1876 vier Familienhäuser, je zwei für die Mädchen (das Haide- und das Paulinenhaus) und zwei für die Jungen (das Haus zum rothen Kreuz und das Obere Haus) eingeweiht. Die Kinder, die in den Familienhäusern betreut waren im Alter zwischen 6 und 14 Jah- ren und lebten je mit einer Familienschwester und einem Familienbruder zusammen. Die Kinder nannten die Familien- schwester „Schwester“ und den Familienbruder „Bruder“. Jede Familie bestand aus 12 bis 15 Kindern, einem Familienbruder als Erzieher und verschiedenen Brüdern, die in der Ausbildung waren. In den Familienhäusern waren im Obergeschoss zusätzliche Räume u.a. die Diakonschüler und Werkstätten. Jedes Kinderhaus hatte seinen eigenen Spielplatz und Garten, in dem die Fami- lienmitglieder ihr eigenes Beet bestellten. Zusätzlich gab es ein Schulhaus, in dem die Heimkinder in zwei Klassen unterrichtet wurden. Die Hauseltern spielten mit den Kindern und verrichteten alle Arbeiten mit Ihnen zusammen. Sie lebten mit den Kindern. Die Kinder arbeiteten auf dem Feld mit. Das Stuttgarter Komitee übernahm die Aufsicht über die jungen Ausbildungsbrüder und kümmerte sich um pädagogische Fragen der Kinderanstalt. * Nach Wicherns Worten war die Hauptsache und der Kern aller Arbeit: 1
„die individuelle Entwicklung der einzelnen Zöglinge und deren Pflege“ und „die innere Genesung und Rettung der einzelnen durch die Gnade Christi Kraft seines Wortes der Zweck der ganzen Anstalt. 1877 1877 waren 63 Kinder, davon 31 in den beiden Mädchenfamilien und 32 in den beiden Jungenfamilien zu betreuen. Daneben waren 75 Kinder in Familienpflege untergebracht. *(Seite 74) 1911 1911 kaufte die Karlshöhe fünf Hektar „Hartwig´sche Obstgut und neun Morgen zusätzliches Ackerland. „Die Kinder der Anstalt und die Brüder, die in der Ausbildung standen, „arbeiteten in der Landwirtschaft mit und leisteten dadurch einen bedeutenden Bei- trag zur Finanzierung der Anstalt.“* „Neben der Deckung des Eigenbedarfs verhalf der Verkauf von Landwirtschaftlichen Produkten zu zusätzlichen Einnahmen.“* 1911 gab es nur noch ein Mädchenhaus und 3 Jungenhäuser. In der Zeit von Inspektor Schlitter wurde „die Kräftigung der guten Anlagen, das gute Vorbild der Erzieher, Begeisterung für ein sittliches Lebensideal“ entscheidend für die Erziehung angesehen. „Waren die Kinder nicht von der Schule in Anspruch genommen, halfen sie in der Landwirtschaft, im Garten und im haus mit. Das wurde damals nicht als Ausbeutung empfunden, weil die Kinder von Bauern oder Handwerkern von ihren El- tern ebenso zur Mitarbeit herangezogen werden mussten.“(Eine diakonische Gemeinde, Seite 91/92) 1919 Nach dem ersten Weltkrieg mussten die Pflegesätze im Männer- und Kinderheim erhöht werden, da die gestiegenen Lebensmittel- preise durch die Pflegesätze nicht mehr gedeckt waren. 1925 bis 1933 Herr Mössner, (er war seit 1908 zweiter Pfarrer auf der Karlshöhe und damit für die Kinderanstalt zuständig) wurde 1928 neuer Inspektor (Direktor) der Anstalt Karlshöhe. Er setzte viele Reformen in der Erziehung im Kinderheim durch. Er wollte die strenge Erziehung und Disziplin (militärischen Disziplin von Zucht, Ordnung und Gehorsam) auf der Karlshöhe lockern. „Die Kinder sollten begreifen, das Christsein nicht eine Belastung mit Verboten, sondern ein Angebot zu einem getrosten Leben war.“ Er führte das Prinzip ein, das der Erzieher der Freund des Kindes sein sollte. Er achtete auf die Individualität der Kinder. Um die Reformen den Brüdern nahe zu bringen, richtete er für sie entsprechende pädagogische Arbeitsgemeinschaften ein. Nach Inspektor Mössner sollte der Freiheitsraum (für die Kinder) so weit wie möglich gezogen sein. Auch das Lernen und die praktische Arbeit sollten nicht nur eine ernste Anstrengung, sondern auch eine frohe Beschäftigung sein.“ 1933 bis 1939 Mit dem Machtwechsel der Nationalsozialisten 1933 änderte sich wieder das Erziehungsklima für die Anstaltskinder auf der Karls- höhe. Es wurden Stimmen laut, die nichts von der Liberalität und den reformerischen Erziehungsmethoden der Weimarer Republik hielten. Es sollten wieder Zucht und Ordnung in der Kinderanstalt einkehren. In den 20er und 30er Jahren bekam die Karlshöhe für ein Kind 1 Mark am Tag. „Da musste man einfach leben und die Kinder mithelfen lassen.“ (Eine diakonische Gemeinde, Seite 92). Der Einfluss des Nationalsozialismus und das völkische Denken nahmen auf der Karlshöhe derartig zu, dass schließlich trotz gegenteiliger Empfehlung des Brüderrates der gesamte Brüderkurs bis auf eine Ausnahme 1933 in die SA ein trat und einen eigenen 2
SA-Trupp zusammenstellte. Im selben Jahr wurde eine eigene Wehrsportgruppe für die Karlshöhe gegründet und auf Bitten der Karlshöhe, die Jungen der Kinderanstalt nicht von der Hitlerjugend auszuschließen und sie nicht als minderwertig anzusehen, wurde 1934 ein Anstaltseigener Jungvolkzug gegründet und davon die Schüler der 6. bis 8. Klasse ins Jungvolk der Hitlerjugend eingeglie- dert. „Auch die meisten jungen Erzieher ließen sich überrumpeln und die ältern, die der Entwicklung ablehnend und mit Sorge gege- nüberstanden, mussten sich darauf beschränken, die schädlichen Einflüsse dieser Bewegung so gut wie möglich zu entschärfen.“ (Ei- ne diakonische Gemeinde, Seite 94). 1939 gehörten von 362 Brüdern 62 der NSDAP und 31 der SA an. * 1936 überließ der Staat der Karlshöhe nur noch die äußerst schwach begabten Kinder. Zudem musste die Leitung der Kinderanstalt und Schule von einem Pfar- rer in Bezug zur Schule auf einen Lehrer wechseln. * 1938 sank das Niveau der Schule auf das einer Hilfsschule. Der Staat erließ 1938 einen Erlass, nachdem eine Einteilung der Kinder in Erziehungsanstalten in 5 Gruppen nach ihren körperlichen, geistigen und charakterlichen Veranlagungen vorzunehmen sei. * (Seite 155) Die Karlshöher Kinder wurden in Gruppe I eingeordnet (geistig normal und erbegesund). Die Reichsarbeitsgemeinschaft für Heil- und Pflegeanstalten verschickte 1939 an die Anstalten in Würt- temberg im Zusammenhang mit der „Aktion Gnadentod“ den Fragebogen der Erbbestandaufnahme. Dabei wurde die Kinderanstalt als „Fürsorgeerziehungsanstalt für schulpflichtige erbgesunde Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren“ eingestuft. * (Seite 189) 1939 bis 1945 Die Anstaltskinder mussten nun, weil die Diakone als Soldaten in den Krieg eingezogen worden waren, (die zu einem großen Teil in der Landwirtschaft zusammen mit den Kindern die Feld- und Gartenarbeit bewältigt hatten), noch intensiver den Ar- beitskräfteverlust durch Arbeit in der Landwirtschaft ausgleichen. Alle Plätze der Kinderanstalt waren dauernd voll belegt. 1941 wurden zusätzlich 30 vor den Luftangriffen evakuierte Kinder aufgenommen. Die regulären Kostgelder wurden während des Krieges nicht regelmäßig bezahlt. Der Schulunterricht konnte nur in gegrenztem Umfang aufrechterhalten werden. Im März 1945 sollte ganz Ludwigsburg geräumt werden. Die Karlshöhe erhielt auf ihre Bitten hin die Erlaubnis, selber über eine Evakuierung entscheiden zu können. Sie konnte in ihren Schutzräumen bleiben. Aufgrund ihrer geographischen Lage blieb die Karlshöhe weitgehend von Bom- benangriffen und Plünderungen verschont. Nach 1945 und 1950 – 1971 Nach dem Ausscheiden von Herrn Mössner in den Ruhestand übernahm 1950 Herr Dr. Theo Lorch, der schon in den 30er Jahren als Vikar auf der Karlshöhe in der Ausbildung der Brüder tätig war, als neu- er Direktor die (patriarchalische) Leitung über die Karlshöhe und damit auch über das Kinderheim. Er betrieb das Kinderheim auf- grund eigener Erfahrungen als Kind im heim. Herr Kurrle blickt in der Denkschrift zu 125 Jahre Karlshöher Diakonie zurück und erinnert sich an Theo Lorch: Erstaunlich Deine Sicherheit, mit der du oft in aufregender Kürze und Bestimmung deine Entscheidungen triffst und deine Einsichten beschreibst. Auf 3
deine Kindheit angesprochen sagst Du (2000): „Als Missionarskind wurde ich in einem Kinderheim erzogen. Dabei hat man nach modernen pädagogischen Erkenntnissen alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte. Und was ist dann aus mir gewor- den. Gottes Güte ist größer als jeder menschliche Fehler.“ 1950 stand der tägliche Pflegesatz in der Kinderanstalt bei 1,85 DM. 1951 war der Tagessatz bei 5 DM (Siehe Seite 111, Unterm sanften Joch“). 1966 lag er noch unter 10 DM. Herr Dr. Lorch hielt die Pflegesätze in den Heimen (Alten- und Kinderheim) erheblich niedriger gegenüber anderen Anstalten, wo man nicht so sparsam war. Aus den niedrigeren Sätzen ergab sich in nur 3 Jahren eine Ersparnis für die öffentlichen Kassen von ca. 1 Mill. DM. „Auch wo nicht einzelne, sondern die Öffentlichkeit davon betroffen ist, sehen wir in dieser Rücksichtnahme auf das gemeinsame Wohl eine christli- che Verpflichtung.“ (Siehe Seite 86, Eine Diakonische Gemeinde) „Diese asketische Haltung (von Dr. Lorch) bezieht sich auch auf die Verweigerung mancher kirchlicher und staatlicher Gelder. Nur keine Abgängigkeit schaffen. Und so blieb man auf der Karlshöhe ….deutlich unter dem damals üblichen Niveau.“ (Das Paradies kommt erst später, Seite 119) Bei Bauvorhaben auf der Karlshöhe musste man damals auf Grund der sparsamen Bauweise nachbessern, was nicht billig wurde. Die Kinder in der Periode nach 1945 waren während des Krieges meist schweren Schädigungen ausgesetzt. Weil so viele Aufnahme suchten, wurden die Kinderhäuser überbelegt. Ausgebildete Erzieher standen kaum zur Verfügung und ihre Zahl musste knapp gehalten werden, weil das Geld fehlte. (Eine diakonische Gemeinde, Seite 95). Die Karlshöhe legte in den 50er und 60er Jahren mehr Wert auf eine mehr praktische als theoretische Ausbildung der Diakone. …Einübung im Dienst und Sich-Einfügen in eine christliche Gemeinschaft sind wichtigere Voraussetzungen für ein Amt in der Gemeinde Christi als viel Fachwissen ….“ (Unterm sanften Joch, Seite 109). In den 50er und 60er Jahren, wo „in vielen anderen Heimen gemischte Gruppen eingerichtet wurden und der Karlshöhe nicht selten die schwierigsten 13 – bis 15-jährigen Jungen, die in keine gemischte Gruppe passten, übergeben wurden,“ waren in jener Zeit „alle, die es mit den Kindern zu tun hatten, in starkem Maß überlastet.“ Damit hatte die Karlshöhe mit Beginn der 50er Jahre das Prinzip der Familiengruppen in den 3 Jungenhäusern nicht weiter fortgeführt, sondern die 3 Häuser für die Jungen nach Altersgruppen ausgerichtet. Das Paulinenhaus war für Jungen von ca. 6 bis 10 Jahren, das Obere Haus für Jungen von ca. 9 bis 12 Jahren und das Untere Haus für Jungen von ca. 13 bis über 14 Jahren. Das neue Gruppenkonzept hatte zur Folge, dass zwar mehr gleichaltrige in einer Altergruppe zusammen waren, aber bei Aufnahme im Paulinen Haus oder Oberen Haus in der Regel ein oder zwei Gruppenwechsel für die Jungen in den 50er Jahren anstanden, wenn sie bis zum Abschluss ihrer Hauptschulzeit im Heim bleiben mussten. 1952 musste eine etwa 400köpfige Gemeinschaft auf der Karlshöhe aus der Landwirtschaft mit Getreide, Kartoffeln und Obst ver- sorgt werden. 4
1953 musste die Karlshöhe wegen ihrer knappen Mittel andere Kapitalwerte stärker in den Einsatz bringen: „Gottvertrauen, Spar- samkeit und eigene Arbeitsleistung.“ 1954 werden die Kinderhäuser renoviert, weitgehend durch die Brüder! 1955 wird das Wernerhaus gebaut. 1956 werden die Kirche und die Küche renoviert. Von 1950 bis 1960 bezahlte die Karlshöhe niedrigere Löhne an ihre Beschäftigen als außerhalb der Diakonie üblich. 1961 brennt die Feldscheuer nieder. 1962 wird das Mitarbeiterwohnheim und 1968 das Resozialisierungsheim eingeweiht. 1969 wird das Wernerhaus mit einem Bewegungsbad erweitert und die Landwirtschaft aufgegeben und eine Werkstatt für behinderte errichtet. 1969 wird die Zahl der Kinder auf 40 reduziert. Das heißt auch nur noch 10 Kinder pro Gruppenhaus. Die Zahl der Mitarbeiter in den vier Gruppen wird auf über 20 erhöht. „Die Kinder sollen sich soweit wie möglich frei von allem Zwang fühlen.“ Wegen der Verrin- gerung der Kinderzahl wir auch die Heimschule aufgelöst. 1970 lag der Pflegesatz pro Kind und Tag im Heim bei 18 DM. Liesel Maag 1954 – 1984 Von 1954 bis 1984 ist Liesel Maag, ausgebildet als Kindergärtnerin, Haupterzieherin im Oberen Haus auf der Karlshöhe. Zunächst für 22 Jungen im Alter von 9 bis 12 Jahren. Sie beschreibt ihren Alltag auf der Karlshöhe so Ein Diakonenschüler, der vormittags im Unterricht ist, nachmittags als „Hilfserzieher“ fungiert und abends seine Hausaufgaben erledigt, wird ihr als Mitarbeiter zur Seite ge- stellt.“ (Seite 121) „Der Weg zu den Mahlzeiten im großen Speisesaal im Hauptgebäude, ebenso zur obligatorischen Morgenandacht in der Karlshöher Kirche, wird in Marschformation zurückgelegt.“ (Das Paradies kommt erst später, Seite 124) 5
„Die Anleitung der Kinder beim Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft – er wird als Arbeitstherapie verstanden, spart aber auch Ar- beitskräfte – übernimmt mit mehr oder weniger Begeisterung der „Hilfserzieher“ (ebenda). „Die Verhaltensstörungen der Kinder ge- hen deutlich über das hinaus, was sie bislang in ihrer erzieherischen Praxis erlebt hat.“ (Seite 122) „Weniger hilfreich erlebt sie die vierwöchigen Erzieherbesprechungen. Der Heimleiter ist mit anderen Aufgaben überlastet und hat, anders als der Reutlinger Hausva- ter, Distanz zum aktuellen Geschehen. Die Gruppen führen in ihrem abgeschlossenen Wohnbereich ihr Eigenleben. So kommt es auch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beziehungslos nebeneinander statt hilfreich miteinander arbeiten. Die Diakone in der Ausbildung erlebt Liesel Maag als überheblich, ohne Kontaktbereitschaft. „Verwirrend ist für sie die Karlshöher Leitungsstruktur. Der Hausvater ist zugleich mit Aufgaben der gesamten Karlshöhe betraut. Dazu kommt ein Pfarrer, der offiziell als Heimleiter fun- giert, aber als Seelsorger im Karlshöher Männerheim ist und Lehrer in der Diakonenschule. Schließlich hat auch der landwirtschaftli- che Verwalter in diesem und jenem noch mitzureden. Und über allem steht der Direktor.“ Literatur * Monika Zeilfelder-Löffler, „Die Geschichte der Evangelischen Brüder- und Kinderanstalt Karlshöhe. Von den Anfängen bis nach dem Ende des Zeiten Weltkriegs (1876 – 1950) unter besonderer Berücksichtigung der Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft“, Ludwigsburg; DWI-Verlag 1996 Theo Lorch, Eine diakonische Gemeinde, Karlshöhe Ludwigsburg 1876 – 1976, Quell Verlag Stuttgart 1976 Theo Lorch, Unter dem sanften Joch, Erinnerungen, Quell Verlag Stuttgart, 1986 Bernhard Kurrle, Das Paradies kommt erst später, 125 Jahre Karlshöher Diakonie, Biographische Notizen, Diakonie Verlag 2000 6
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen 1. 1. Alter der befragten Jungen und Mädchen bei der Aufnahme: Wie alt waren Sie, als Sie auf die Karlshöhe kamen und erstmals • Etwas mehr als ein Drittel der Jungen war bei der Aufnahme im Kinderheim gearbeitet haben? zwischen 7 und 9 Jahre alt. • Fast die Hälfte der Jungen war bei der Aufnahme 10 bis 12 Jah- Zwei Drittel der Befragten waren zwischen 19 und 21 Jahre und ein re alt. Viertel zwischen 22 und 25 Jahre alt, als sie ihre Beschäftigung im • Ein Drittel der Mädchen war bei der Aufnahme 9 Jahre alt. Heim begannen. Die Alterspanne reichte von 17 bis 25 Jahren. • Zwei Drittel der Mädchen war bei der Aufnahme 10 bis 12 Jahre alt. 2. 2. Aufenthalt der befragten Jungen und Mädchen im Heim von/bis: Von wann bis wann haben Sie auf der Karlshöhe im Kinderheim • Fast die Hälfte der Befragten war in den 50er und in den 60er gearbeitet? Jahren im Heim in einer Zeitspanne zwischen 1954 und 1967 Keiner der Mitarbeiter, die geantwortet haben, war schon in den 50er • Wenige waren nur in den 50er Jahren im Heim Jahren auf der Karlshöhe im Heim beschäftigt. Die Hälfte der Mitarbei- • Fast alle waren in den 60er Jahren im Heim ter war ausschließlich in den 60er Jahren im Heim tätig. Die andere Der Heimaufenthalt von den Befragten reichte von 1950 bis 1973 Hälfte war in den 60er bis in die 70er Jahre im Heim beschäftigt. 3. 3. Aufenthaltsdauer der Befragten im Heim: Wie lange haben Sie kontinuierlich in der/den Kindergruppe/n ge- • Fast die Hälfte der Jungen und Mädchen, die geantwortet ha- arbeitet? ben, war 3 bis 5 Jahre im Heim • Etwas mehr als ein Drittel der Befragten war für die Dauer von 1 • Mehr als ein Drittel war 6 bis 9 Jahre im Heim Jahr in einer Gruppe beschäftigt. • Sehr wenige waren unter 15 Monate im Heim • In zwei oder mehr Gruppen waren knapp die Hälfte 2 bis 3 Jah- re • und nur wenige 4 bis 6 Jahre beschäftigt. 1
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen 4. Wie haben Sie den Alltag auf der Karlshöhe im Kinderheim / in Ihrer Gruppe (in der Sie gearbeitet hatten), erlebt? Einzelne Antworten: 1961 bis 1967: • Als Alltag • Im OH war der Alltag klar strukturiert, die Abläufe waren vorge- geben u. geprägt von der Haupterzieherin L. Maag, die bereits über 10 Jahre im Dienst war. Ordnung, Aufgaben der Kinder und der Erzieher waren klar und allen bekannt, Spiele, Sport, Schwimmbadbesuche, Mithilfe in der Landwirtschaft; einiges war für mich neu, Spiele, Singen, Wandern habe ich von den Pfadfindern bereits gekannt! Das war meine Brücke; meine Zu- ordnung zu dieser Aufgabe Hilfserzieher im OH empfand ich als Vertrauensbeweis und Auszeichnung. • Die Gruppe hatte ca. 16 Kinder (mir kommt das heute so viel vor - oder weiß ich es nicht mehr richtig?), eine Haupterzieherin und ich als so genannter Hilfserzieher. Im UH war ich dann der Haupterzieher und hatte einen Hilfserzieher und als Unterstüt- zung eine Brüderbraut oder Praktikantin. Wöchentlich ging die Gruppe einmal ins Hallenbad. Jedes Kind hatte im Haushalt ei- ne Aufgabe. Gute Stimmung zwischen Kindern und Erziehern! • 1. (OH) Einsatz eher fremdbestimmt 2. Einsatz (UH) eher selbstbestimmt. War im Grunde gerne im Kinderheim der Karls- höhe. • Mein Alltag war geprägt von 6:15 Uhr wecken der Kinder (18 Kinder). Ich schlief im Schlafraum der Kinder - getrennt durch eine Tür - Frühstück und dann ging ich in den Unterricht - erster Kurs. 12:15 Uhr Essen bei meiner Gruppe und Gruppendienst bis 20:30 Uhr oder 21:00 Uhr. Jeden 2. Samstag/Sonntag hatte ich alleine Dienst - ebenfalls bei Krankheit oder Urlaub der Er- zieherinnen. • Völlig unerfahren, ohne jegliche pädagogische Ausbildung, zu- sammen mit einem nicht ausgebildeten "Haupterzieher", der ebenfalls "zeitlich befristet" (2 oder 3 J.??) für diese Tätigkeit die 2
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen Hauptverantwortung hatte. Im UH lebten 16 Jungen zwischen 10 und 16 Jahren (?). Unvorbereitet wie ich (und andere) zu dieser Arbeit kamen, hieß es eine Strategie zum "Überleben" (für mich und die Kinder) zu entwickeln. Das war allerdings ein wenig reflektierter Vorgang. • Straff durchorganisiert, Wohltuende, mütterliche Ausstrah- lung der Haupterzieherin im OH mit konsequenter Erziehungs- methode Bedrückte Atmosphäre seltener • "geregelt" Frühstück im UH mit der Gruppe Kursunterricht Mittagessen i. großen Speisesaal mit der Gruppe UH Arbeitseinsatz mit Gruppe (je nach Einsatz Klein – Großgruppe) Freizeit - Spiel -Sport (Haus, Sportplatz) Abendessen (wie oben) ausschl. mit Gruppe Aktivitäten 22:00 Uhr Hausruhe • 1968 bis 1977 • Es war ein gutes Arbeiten bzw. Zusammenarbeiten mit Frau X, von der ich viel gelernt habe. • Sehr familiär, mir haben die 2 Jahre gut gefallen. • Schön – interessant – erfahrungsreich es war eine gute Zeit für mich 5. 5. Die Jungen lebten in folgenden Gruppen: In welchen Gruppen haben Sie als Mitarbeiter/innen gearbeitet? • Fast die Hälfte der Jungen lebte zunächst im PH und dann im OH. Ein Viertel der Mitarbeiter/innen hat im Paulinenhaus gearbeitet. Knapp • Ein Viertel war nur in einem der Gruppenhäuser die Hälfte Hat im Oberen Haus gearbeitet. Fast zwei Drittel hat im Unte- • Fast ein Fünftel war sowohl im Paulinenhaus, dem Oberen ren Haus gearbeitet. Ein Sechstel hat im Mädchenhaus gearbeitet. Haus und schließlich im Unteren Haus. Mehr als die Hälfte hat in 2 Gruppe gearbeitet. 3
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen 6. 6. Gründe, die zum Heimaufenthalt geführt hatten: Als was haben Sie auf der Karlshöhe im Kinderheim gearbeitet? Fast alle befragten konnten Gründe benennen, weswegen sie ins Heim Der überwiegende Teil der Befragten (Dreiviertel) war als Praktikant/in gekommen waren. Und zwar kam die Hälfte der befragten /Hilfserzieher/in in den Gruppenhäusern tätig. Etwas mehr als ein Drittel • Jungen und Mädchen wegen Flucht, Umzug, allein erziehendem war als Erzieher/in, Haupterzieher/in oder als Sozialarbeiter/in (erst im Elternteil, Tod von Mutter oder Großmutter ins Heim. Jahr 1969) in den Gruppen tätig. Etwa ein Drittel war sowohl zuerst als • Ca. ein Drittel weil sie Misshandlungen und Vernachlässigungen Hilfserzieher und später dann als Erzieher/Sozialarbeiter in den Grup- erfahren hatten. pen tätig. 7. 7. Erinnerungen an ehemalige Jungen, Mädchen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Gruppen (Häusern), in denen sie selber An wenn können Sie sich aus dieser Zeit noch aus dem Heim / aus betreut worden. den Gruppen erinnern? • Alle befragten Mädchen und Jungen konnten sich noch an einen oder mehrere ehemalige Jungen, Mädchen, Mitarbeiterinnen Alle konnten sich noch an viele Kinder und Jugendliche erinnern. und Mitarbeiter erinnern. • Die Allermeisten konnten sich an viele ehemalige Jungen, Mädchen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erinnern. 8. 8. Erinnerungen an ehemalige Jungen, Mädchen, Mitarbeiterinnen An Erzieherinnen/Erzieher (Diakone) aus dem Kinderheim können und Mitarbeiter aus anderen Gruppen (Häusern): sich noch erinnern? • Fast alle Befragten konnten sich auch noch an ehemalige Jun- Vier Fünftel der Befragten können sich noch an Erzieher/innen erin- gen, Mädchen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den an- nern. deren Gruppen erinnern. 4
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen 9. Wie war das Verhalten der Erzieher/innen (Diakone) untereinander: eher unterstützend weniger unterstützend +1 +2 +3 -4 -5 -6 • Fast zwei Drittel beantworteten die Frage mit sehr gut bis gut (+1 bis +2) unterstützend • Fast ein Fünftel mit befriedigend (+3) und • Ganz wenige mit ausreichend (-4) 10. 10. Schöne und weniger schöne Erinnerungen: Schöne und weniger schöne Erinnerungen: Fast alle Befragten konnten Fast alle Befragten Mitarbeiter/innen konnten sich an Schönes erinnern: sich an Schönes erinnern: • z.B.: Zeltlager, • Wenn Bräute auf der Gruppe waren u. die Mutter ersetzten • Spieleabende, • Zeltlager Maria Berg, Steinbruch Hirschwald, HDH Schnaitheim, • Freibadbesuche, Schwimmbad wöchentlich, Fasching feiern, Gunzesried. • Wanderungen, • Zeltlager in Schnaitheim und Owen/Teck, schwimmen im Frei- und Hallenbad, Spiele auf dem Sportplatz, Wanderungen - gu- • Weihnachten, tes Verstehen mit den Kindern (gute Unterstützung durch H. Kli- • Geburtstage, schat). • Besuch bei den Amerikanern, • Fußball, Zeltlager, Laienspiele, Weihnachten, Kirschwanderun- • Jahresfest, gen, Geburtstagsfeiern • Schlittenfahrten, • Viele sportliche Dinge, Tischtennis und Fußballturniere, nächtli- • Geburtstage bei Theo Lorch. che Schlittenfahrten, Zeltlager in Buttenhausen, Geländespiele in Grünbühlhausen • Freizeitbereich, sportliche Aktivitäten • Spielabende, Zirkusprogramm beim Jahresfest, Weihnachten, Zeltlager, Geburtstagsfeste • Die Fußballspiele UH - 1. Kurs, diverse Gruppenabende, Exkurs Stgt. Gartenschau, Zeltlager in Loßburg inkl. Wanderungen, K. Schilling konnte Forellen im Bach mit der Hand fangen, wurden abends gebraten. Sommerlager in Pfullingen, familiärer Umgang miteinander, Weihnach- ten 5
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen noch zu 10. noch zu 10. Weniger schöne Erinnerungen: Weniger schöne Erinnerungen: Fast die Hälfte der Befragten hatte auch nicht so schöne Erinnerun- • Einige Kinder bekamen nie Besuch und waren dann sehr traurig gen, z.B.: • UH Anfang meiner Tätigkeit als Haupterzieher. • Morgens nach dem Waschen zum Appell, • Widerstand gegen OH-Sitten, • Man war fast immer unter Aufsicht, • Großputz durchsetzen, • Hänseleien, • Machtprobe mit einem Jungen, der bewaffnet war. • Erzwungener Mittagsschlaf, • Herauspressen eines Vaters mit Pistole seiner 2 Buben • Prügelstrafen, • Körperliche Strafen zur Wiederherstellung der Ordnung, • Gruppenstrafen, • Schwierige Situation mit Haupterzieherin. • Sexueller Missbrauch, • Viel Feldarbeit, • Bettnässer wurden diskriminiert, keine Privatsphäre, • Suizid eines Unterhäuslers • Jeden Mittag arbeiten in der Landwirtschaft oder sonst im Heim- • Das nachmittägliche Arbeiten in der Ökonomie und das sams- bereich, tägliche Hofkehren • Kein Taschengeld, • Gruppenzwang. • Verschiedene Suizide, • Es gab für die Kinder so gut wie keine individuellen Rückzugs- • Mehrere Suizidversuche, möglichkeiten. Strafen. • Erbrochenes wieder essen müssen, • Strafen, Aggressionen einiger Kinder, • 1 Jahr lang nicht nach Hause fahren zu dürfen, • Desinteresse der Angehörigen. • Seelische Gefangenschaft, • Zeltlager Loßburg (Begleiterscheinungen), das Schlafen auf ei- • Bestrafung wegen Nichtigkeiten, nem "Feldbett" (superschmal, direkt neben den Ki./Jugendl. Und • Raues und strenges Klima, deren Spaß, lange zu reden). Diebstähle beim Stadtbummel, • Schikanen, • Alkoholvergiftung einer Jugendlichen beim mosten. Wenige hatten nur „weniger schöne“ Erinnerungen oder gar keine Erin- nerungen. 11. 12. Unterstützende (+ 1 bis + 3) oder weniger unterstützende (- 4 bis - Welche Grundhaltung hatten Sie von den Kindern/Jugendlichen 6)erlebte Grundhaltung der Erzieher/innen den Kindern gegen- Ihnen und den anderen und den anderen Kindern gegenüber er- über: lebt? • Alle befragten Mädchen und Jungen konnten sich an eine • meine Person war akzeptiert, die notwendigen Aufgaben nicht Grundhaltung der Erzieherinnen und Erzieher ihnen gegenüber immer. Hausdienste, Reinigungsaufgaben usw. erinnern. • Zu mir, kritisches neugieriges Interesse. Wie ist der? Streng? • 1/5 der Jungen und Mädchen haben beides, die Unterstützende lasch, was macht der mit uns, Spiele Unternehmungen. Zu an- 6
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen und die weniger unterstützende Grundhaltung erinnert. deren Gruppenmitgliedern Untergruppen altersorientiert, inte- • Gut die Hälfte der Jungen und Mädchen konnte sich nur an die ressenorientiert, Fußball, Singen, Vorlesen, Erzählen. Überwie- weniger unterstützende Grundhaltung erinnern. gend wir OHler mit UHler. • 2/5 der Jungen und Mädchen konnte sich nur an unterstützende • Mir gegenüber: ich wurde akzeptiert und anerkannt, was mich Grundhaltungen erinnern. auch überraschte, weil ein jährlicher Wechsel stattfand. • 2/3 der unterstützenden Grundhaltungen wurden als befriedi- • Kinder untereinander: in der Regel Akzeptanz gend erlebt. • in aller Regel offen • Mehr als 2/5 der Jungen und Mädchen erlebten die weiniger un- • Vertrauen, Offenheit, Akzeptanz terstützende Grundhaltung als mangelhaft und ungenügend. • Überwiegend positive Haltungen mir gegenüber. Untereinander • Ewas mehr als die Hälfte der Jungen und Mädchen erlebte die gab es viele Grabenkämpfe und Ausgrenzungen, vor allem von weiniger unterstützende Grundhaltung nur als ausreichend. Bettnässer-Kindern. • Weitgehend abhängig und ein gewisses Ausgeliefert sein - so aus heutiger Sicht. • Distanzierte Offenheit (gesundes Misstrauen!?) Rivalität der Kinder untereinander, Einschmeicheln bei den Erziehern (um etwas Bestimmtes zu erreichen = völlig normal) • Meist sehr direkt und offen, emotional zum Teil auch mit Defizi- ten ("verstockt"). • Ich glaube, die meisten Kinder mochten mich gut leiden. Wir gingen eher freundschaftlich miteinander um. 13. Welche Grundhaltung/Erziehungshaltung haben Sie als Mitarbei- ter/in im Heim den Kindern/Jugendlichen gegenüber eingenom- men? Einzelne Antworten: • Ich war Hilfserzieher und hatte mehr oder weniger helfende Aufgaben wahrzunehmen • Die Vorgaben, die durch die Haupterzieherin und der Heimlei- tung definiert wurden, erfüllen. Mit den Kindern konstruktiv ar- beiten, Ausflüge sollen Freude machen; von den Kindern habe ich Spiele gelernt 7
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen noch zu 13. • Diese Frage und andere Fragen sind nach 40 Jahren schwer zu beantworten. Erinnerung: In meiner Heimatgemeinde machte ich eine gute Jungschararbeit mit vielen Unternehmungen, was mir viel Spaß machte. Dies wollte ich auch im Kinderheim ver- wirklichen, was mir zu einem großen Teil auch gelang. Ich wollte für die Kinder da sein und positive Erlebnisse vermitteln über Unternehmungen, Spiele und Bestätigung. • Partnerschaftliche / freundschaftliche • Offen für ihre Bedürfnisse und Schwierigkeiten. Sie annehmen wie sie sind. Bezugsperson sein. • Ich war als Erwachsener ein Gegenüber, wurde aber von den Kindern sehr stark als "älterer Bruder" wahrgenommen. Die An- rede war auch "Bruder“. Ich versuchte einen partnerschaftlichen Erziehungsstil. • Es war eher eine "Zweckgemeinschaft". Ich wurde (soweit ich das noch weiß) nicht gefragt, ob ich während des 1. Kurses der Karlshöher Ausbildung im KH arbeiten wolle. Ich war zu dieser Tätigkeit eingeteilt, die Kinder waren im Heim. Wir hatten mit- einander klar zu kommen. • Versuch, meistens partnerschaftlicher Haltung • Ich war vorher einige Jahre im CVJM als JS-Mitarbeiter, JS- Leiter, Jungenschaft-Leiter aktiv und versuchte diesen Umgang mit den Kindern/Jugendlichen zu praktizieren. • Aufgrund meines damaligen Alters und ohne pädagogische Vorkenntnisse, war ich eher Freundin oder ältere Schwester der Kinder. Ich würde im Rückblick von einem partnerschaftlichen Umgang sprechen. • Respekt, Achtung, Liebe, Toleranz, Kinder waren für mich Kin- der und keine kleine Erwachsene. 8
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen 14. 14. Wie waren die Kontakte zwischen den Jungen untereinander Wie war der Kontakt zwischen Ihnen und den anderen Kindern in • Alle befragten Jungen gaben an, befreundete Kontakte unter der Gruppe? den Jungen gehabt zu haben. Die Hälfte der Befragten schätzten den Kontakt zwischen ihnen und • Zwei Drittel der Jungen gaben an zwei oder mehr Freunde ge- den Kindern als gut (+2) ein. Ein Fünftel sehr gut bis gut ( + 1 bis + 2) habt zu haben. und ein Viertel gut bis ausreichend (+ 2 bis -4). • Ein Fünftel der Jungen gaben an, wenige oder auch nicht be- sonders gute Kontakte gehabt zu haben. 15. 15. Wie waren die Kontakte und zwischen den Mädchen untereinan- Hatten Sie Lieblingskinder oder Kinder, mit denen Sie nicht klar der? kamen? • Alle befragten Mädchen gaben an, befreundete Kontakte unter • Ja, es gab Kinder/Jugendliche, mit denen ich in der Freizeit Un- den Mädchen gehabt zu haben. ternehmungen machte, die nicht Heim konnten und Kinder und • Zwei Drittel der Mädchen gaben an zwei oder mehr Freundin- Jugendliche, mit denen ich weniger Kontakt hatte. Mein Be- nen gehabt zu haben. wusstsein war, die Kinder, welche selten oder nie Heim konn- ten, besonders zu beachten. • Ich hatte natürlich auch Kinder, die mich mehr forderten und die "schwieriger" waren. Oft war es so, dass ich genau zu diesen Kindern einen besonderen Draht hatte. • Ja, sowohl als auch • Ja, mit denen ich nicht klar kam • Es gab Lieblingskinder wie W. Ich hatte Probleme mit Kindern, deren Wertesystem sehr wenig ausgeprägt war und die nur aus Angst vor Strafe etwas nicht taten. • Es gab "Sündenböcke" in der Gruppe. Diese Haltung / Rolle hat sich auch auf die Mitarbeiter übertragen. • Beides ist mit Ja zu beantworten. Es waren, meine ich, sehr wenige, mit denen ich (oder sie mit mir) nicht klar kamen • Mit A. J. und W. H. konnte ich gut agieren, wüsste aber nieman- den, mit dem ich nicht "klargekommen" wäre. • Ja, obwohl ich damals den Eindruck hatte, dass ich generell mit allen Kindern gut auskam. 9
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen 16. 16. War der Umgang zwischen Mädchen und Jungen im Heim erlaubt War der Umgang zwischen Mädchen und Jungen im Heim in der oder verboten? Freizeit außerhalb des Schulbesuches erlaubt oder verboten? • Mehr als die Hälfte der befragten Jungen haben in Erinnerung, dass der Kontakt zwischen Mädchen und Jungen verboten war. • Geduldet meinten ganz wenige. • Alle befragten Mädchen hatten in Erinnerung, dass der Kon- • Erlaubt meinte fast die Hälfte der Befragten. Hierzu gab es fol- takt zwischen ihnen und Jungen verboten war. gende Anmerkung: fand aber offiziell wenig statt. • Einige Jungen hatten in Erinnerung, dass der Kontakt zwischen • Weiß es nicht meinte fast ein Fünftel. ihnen und den Mädchen erlaubt war. • Verboten meinten ganz wenige. 17. 18. Situationen, Regeln und Sanktionen zum Umgang zwischen Mäd- Können Sie sich noch an bestimmte Situationen dazu erinnern chen und Jungen im Heim. Einzelne Erinnerungen: (z.B. Regeln und Sanktionen)? • Gut ein Drittel der Befragten Jungen konnten sich noch an be- Zwei Fünftel beantwortet die Frage mit nein oder mit „?“. stimmte Regeln und Sanktionen erinnern. Z.B.: Mit ja antworteten ganz wenige. • Ein Junge wurde wegen eines angeblichen Techtelmechtels mit einem Mädchen vom Heim verwiesen. • Ein Drittel der Mädchen konnte sich an Verbote und Sanktionen erinnern • Die Mädchen wurden in ihrer Freizeit beaufsichtigt. Man wollte ja keine Schwangerschaften. • Ein Junge bekam vom Pfarrer eine Ohrfeige, weil er im Kohlen- keller mit einem Mädchen Händchen gehalten hatte. • Mädchen waren in ihrer Freizeit in ihrem kleinen Garten hinter ihrem Gruppenhaus verband. • Ein Junge hatte sich in ein Mädchen im Heim verliebt, was un- terbunden wurde. Daraufhin erhängte er sich. • Es bestand so was wie eine Bannmeile um das Mädchenhaus. • Wenn Mädchen beim Fußballspielen mit den Jungen vom Hausvater gesehen wurden, sind sie sofort von diesem vom Sportplatz geholt wurden. • Wenn Mädchen beim Küssen mit einem Jungen erwischt wur- den, bekamen sie ein Halbes Jahr Fernsehverbot. 10
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen 19. 20. Erinnerungen von Jungen und Mädchen, was für eine Grundhal- Welche Grundhaltungen erlebten Sie damals im Kinderheim ge- tung im Heim kindlicher/jugendlicher Sexualität gegenüber be- genüber kindlicher/jugendlicher Sexualität? stand, ob über Sexualität gesprochen werden durfte und ob es • Es wurde viel tabuisiert Sanktionen gab? • Verständnis, Hilfe • Ein Drittel der befragten Jungen haben dazu keine Erinnerung • Tendenz - verboten • Alle Mädchen und mehr als die Hälfte der Jungen konnten sich • Das war kein Thema! an eine Grundhaltung erinnern. • Tabuthema. Einige Male "besuchte" ein Fremder nachts den • Fast Zwei Drittel der Jungen, die sich erinnern konnten und alle Schlafsaal des OH. Die Buben schlugen nie Alarm. Wurde nie Mädchen haben in Erinnerung, dass über Sexualität nicht ge- aufgeklärt. sprochen werden durfte. • Eine positive, aber ich wüsste nicht, dass das jemals ein Thema Einige Erinnerungen: war (oder ging es an mir vorbei). • Es wurde einem das Recht am eigenen Körper abgesprochen. • Der damaligen Zeit entsprechend. Es gab zum Beispiel auch • Wenn man im Bett beim gegenseitigen Streicheln erwischt wur- Partys und Freundschaften zwischen Jungen und Mädchen, die de, gab es eine Standpauke und sogar Schläge. toleriert wurden. (69/71) • Sexualität durfte nicht gelebt werden, noch darüber gesprochen • Große Offenheit (73/77) werden. • Gewähren lassen. • Was die Einstellung zur Sexualität betraf, war man sehr zurück- • Sex. päd. Hilfen waren nicht oder kaum bekannt haltend. • Ignoranz • Aufklärung wurde nicht betrieben. Die gab es nicht. Wir hatten sie erst im 9. Schuljahr in der Stadtschule. • (Sexualität wurde als) sehr Geheimnisvoll (erlebt). • Ich bekam mit 11 die Regel und dachte, dass ich schwanger würde. Ich verbrachte tagelang im Bett. • Heimliches Küssen führte zu moralischen Druck. • Kontakte zu Mädchen bestanden überwiegend nur in der Schul- zeit vor dem Schulhaus (in den Pausen). • Meine Erzieherin bestrafte mich mit einer Moralpredigt, weil ich einem anderen Mädchen erzählt hatte, das man zum Kinder- kriegen einen Mann braucht. 11
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen 21. Kindlicher/jugendlicher Sexualität Können Sie sich noch an bestimmte Situationen dazu erinnern (z.B. Regeln und Sanktionen)? Fast zwei Drittel hatten keine Erinnerung oder beantworten die Frage mit nein. Erinnern konnten sich nur ganz wenige. Hierzu gab es folgende An- merkung: • Im Jahre 66/67 empfahl der Hausvater bei einer Erzieherkonfe- renz beim Samstagsduschen der Buben als Erzieher auch nackt mit zu duschen. Am Schluss des Duschens taten wir es, als noch einige wenige Jungen anwesend waren. Anfangs große "Neugier" bei den Jungen, später nicht mehr. (65/66) 22. Kindlicher/jugendlicher Sexualität Durfte über Sexualität mit den Kindern/Jugendlichen gesprochen werden? Vier Fünftel beantworteten die Frage mit ja. Hierzu gab es folgende Anmerkung: • Es war nicht verboten, wurde aber nicht gemacht; ich war selber gehemmt in eigener Sache darüber zu reden. • Meistens im Zweiergespräch oder Kleingruppen Einschränkend meinte fast ein Fünftel: • Wurde eher ausgegrenzt • Ob gesprochen hätte werden dürfen, weiß ich nicht. Es wurde m.W. darüber nicht gesprochen. 12
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen 23. 23. Mussten Jungen und Mädchen neben ihren täglichen Ämtern Mussten die Kinder/Jugendlichen in den 50er und 60er Jahren (Diensten in und um das Gruppenhaus) auch noch in anderen Be- werktags regelmäßig zusätzlich zu ihren Ämtern (im und ums reichen täglich arbeiten? Haus) in der Landwirtschaft, den Obstplantagen, im Gelände (z.B. • Alle befragten Mädchen und vier Fünftel der befragten Jungen Holzhacken etc.) arbeiten? (helfen wurde es offiziell genannt). beantworteten diese Frage mit ja. • Fast die Hälfte der Jungen und Zwei Drittel der Mädchen gaben • Ein Viertel der Befragten beantworteten diese Frage mit nein an, dass sie mehrmals wöchentlich diese Zusatzarbeiten ver- oder konnten sich nicht erinnern. richten mussten. • Gut Dreifünftel beantworteten die Frage mit ja. • Ein Viertel der Jungen und ein Drittel der Mädchen gab an, dass • Werktags täglich wurde nur von ganz wenigen bejahend erin- sie Werktags täglich diese Zusatzarbeiten verrichten mussten. nert. • Ein Fünftel der Jungen, die Zusatzarbeiten geleistet haben, gab • Mehrmals wöchentlich erinnerten ein Viertel der Befragten. an, dass sie dies freiwillig getan haben. Hierzu gab es folgende Anmerkungen: • Ein Fünftel aller Jungen gab an, das sie Werktags keine zusätz- • Apfelernte, Rüben hacken, Hühnergarten umgraben, die Arbei- lichen Arbeiten verrichten mussten. ten wurden altersstufengemäß zugeteilt. An Arbeiten die werktags zusätzlich zu den so genannten „Ämtern“ an • Ökonomie - sehr unbeliebt, auch bei den Praktikanten. den Nachmittagen geleistet werden musste gaben die befragten Jun- • Diese Dienste waren von der Heimleitung festgelegt und wurden gen an: von uns Praktikanten wenig hinterfragt. • In der Landwirtschaft (Ökonomie) Kartoffeln auflesen, Rüben • 1 bis 2 Mal wöchentlich erinnerten ein Drittel. Hierzu gab es auflesen, im Obstgut Wurzeln oder Bäume ausgraben, Äpfel folgende Anmerkungen: pflücken, Holz und Reisig hacken, in der Gärtnerei Unkraut jä- • Sehr selten, bei der Obsternte ten, Obst ernten, auf den Äckern Rüben verzupfen, Unkraut ha- • Es waren nur noch sporadische Einsätze, so viel ich weiß (Obst- cken, Kartoffelkäfer ablesen, Rüben auflesen und auf den Wa- ernte) gen werfen, Kartoffeln auflesen, Reisig um die Obstbäume auf- • Nachmittags lesen, Äpfel auflesen, Holz hacken, Johannesbeeren pflücken, auf dem Anstaltsgelände die Wege und Straßen kehren und re- chen, Kartoffeln entkeimen. An Arbeiten, die werktags zusätzlich zu den so genannten „Ämtern“ an den Nachmittagen geleistet werden musste gaben die befragten Mäd- chen an: • Knöpfe annähen, Socken stopfen, Beeren abzupfen (aber keine Essen, man hätte meine können, die wären abgezählt), täglich nähen von eigener und der Wäsche von anderen, Hühner rup- fen, Träubchen abpflücken, in der (groß) Küche die Ernte ver- sorgen, die eigene Wäsche flicken, in den Obstplantagen arbei- 13
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen ten, Babysitten, Hof kehren. Im Winter Schnee von den Wegen kehren 24. 25. Ämter, die täglich oder mehrmals wöchentlich verrichtet werden Mussten Sie die Arbeitseinsätze (in der Landwirtschaft etc.) beglei- mussten, wurden von den Jungen und Mädchen folgende ge- ten und beaufsichtigen? nannt: • Schlafsaal kehren, wachsen und bohnern (blocken); Ein Viertel der Befragten beantworteten diese Frage mit nein. • Schlafsaal: eigene Betten beziehen, gelegentlich Matratzen mit Teppichklopfer ausklopfen, Staub wischen Gut Dreifünftel beantworteten die Frage mit ja. Hierzu gab es folgen- • Flur kehren, wischen, wachsen und bohnern de Anmerkungen: • Tagesraum und Werkraum: Stühle auf die Tische stellen und • Begleiten und mitarbeiten war für mich selbstverständlich, da ich wieder abstellen, Kehren, Staub wischen und alle paar Wochen aus einer Kleinlandwirtschaft kam. die Dielen mit Drahtwolle abschmirgeln, wachsen und bohnern; • Unsere Arbeit - die Aufsicht über die Kinder wurde vom Landwirt • Tagesraum: Für Kohleofen im Tagesraum Kohlen (Steinkoks) oder Hausvater überwacht und gegebenenfalls kritisiert - Folge - aus dem Kohlenkeller im Schulhaus holen und Asche wegbrin- Nacharbeit. gen. • Vielleicht war hin und wieder ein oder zwei Jungen auch allein • Tagesraum: Tisch decken und Tische abräumen und Tische wi- bei den Einsätzen. schen; • War in der Regel Aufgabe des Hilfserziehers • Überall Fenster putzen, • Waschraum auswischen und Waschbecken und Zahnbecher- konsolen wischen, Badeofen heizen, dafür Kohlen und Holz ho- len, • Toilettenraum wischen und die Kloschüsseln und das Pissuar reinigen; • Schmutzwäsche von allen in die Wäscherei bringen, saubere Wäsche abholen, • Essen aus der Großküche holen, auf die Tische verteilen und Reste zurückbringen; • Geschirr waschen und abtrocknen; • Schuhraum kehren, wischen und Schuhe ordnen; • Täglich alle schmutzigen Schuhe putzen (jeder seine); 14
Antworten der Jungen und Mädchen Antworten der Mitarbeiter/innen 26. 26. An Bestrafungen, die die Jungen und Mädchen von den Erziehe- Welche Art von Strafen gab es den Kindern gegenüber? rinnen und Hilfserziehern oder Lehrer/innen erfahren haben, wur- Einzelne Antworten: den folgende genannt: • Bei nicht einhalten der Nachtruhe Wohnzimmer blocken. Bei • 1 Jahr Besuchsverbot, sonstigen Problemen Waschraum putzen, Hof kehren. • Fernsehverbot und Filmverbot • Extra Hausdienste wie kehren, blocken, Rundbrunnen reinigen, • Schläge wegen Erdbeerklau, früher ins Bett gehen, keine Geschichte, Bei Extremsituatio- • Schläge wegen albern im Speisesaal; nen Verweigerung von Aufgaben, habe ich bei den älteren 14- • Schläge weil ein anderes Mädchen die Klotür offen gelassen jährigen auch hin und wieder geschlagen, um so Autorität zu hatte, bekommen. • Eigentum (ein Buch) wurde von einer Hilfserzieherin zerrissen; • Schläge - Ermahnungen - Strafaufgaben - Putzen - Schreiben - • Für längere Zeit in die Besenkammer eingeschlossen Zusehen beim Hähnchen essen - Liegestütze • Von anderen Mädchen isoliert worden; • Entzug von Vergünstigungen Nachsitzen / Eckestehen zu- • Man wurde bestraft, wenn man etwas nicht essen konnte z.B. sätzliche Hausdienste ganz selten körperliche Züchtigung Zwiebelkuchen, den ich bis heute nicht gerne esse. • ? • Bin bei einer Wanderung zu weit von der Gruppe entfernt gewe- • Die Regeln waren festgelegt. Strafen gab es vor allem in Form sen und bekam danach von der Erzieherin (M.H.) mit dem von Nacharbeit oder eventuellen Ausschluss Kehrwisch derartig den Po grün und blau geschlagen; von bestimmten Dingen. Körperliche Strafen wie Ohrfeigen ver- • Habe wegen Widersprechen Ohrfeigen bekommen; teilte ich wohl 2 x im Jahr. • Musste mich beim Essen übergeben und das gebrochene wie- • Hauswirtschaftliche Tätigkeiten / Einsätze als Strafen wurden der essen; (bei M.H.) häufig verordnet. Sie hatten oft einen demütigenden Charakter! • Ich glaube, man hat uns wegen sexuellen Motiven ganz gerne Körperliche Strafen - Ohrenziehen, Klaps, "Ohrfeigen". geschlagen, das hat sie aufgegeilt; • Hausarrest, Putzarbeiten, Erziehungsmaßnahmen "schriftlich zu • Wenn man nicht gleich gehorchte, dann knallte es. fixieren" • Hausarrest; • Spiel- Sportentzug (bin mir nicht sicher), Hausarrest, frühe • Fernsehverbot; Bettruhe • Strafarbeiten wie Putzen, Küchendienst, • Fernsehverbot oder Hausarrest, aber eher selten. • Nach dem Mittagessen etwa 1 Stunde vor der Arbeitseinteilung • keine Holz hacken; Holztreppe im haus spänen, und diverse andere Schikanen hinnehmen; • Bei Streitereien am Essenstisch im Speisesaal in der Ecke ste- hen; • Hausarrest; 15
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