Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung

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Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung
KIJA   SALZBURG    Eltern
                  bleiben
                   auf Lebenszeit

                     Ein Wegbegleiter
                     durch Trennung und
                     Scheidung
Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung
Inhalt
1.     PRÄVENTION – Selbstwert und                 3.     NEUORIENTIERUNG –
       Persönlichkeit von Kindern stärken 4               Der Alltag kehrt langsam zurück   22
1.1.   „Du bist einzigartig! Du bist wertvoll“     3.1.   Zusammenarbeit als Elternteam     22
       – Kindern Mut machen                  4     3.2.   Der Alltag mit Ihrem Kind         22
1.2.   Konstruktiver Umgang                        3.3.   Die jeweilige Beziehung zwischen
       mit Konflikten                       4             Mutter & Kind bzw. Vater & Kind 22
1.3.   Trennungen begleiten das Leben       5      3.4.   „Schlechter Expartner“ –
1.4.   Rechte der Kinder                    7             „guter Elternteil“                23
1.5.   Allgemeine Eltern-Kind-Rechte               3.5.   Narben heilen lassen: was braucht
       und Pflichten                        8             unser Kind?                       23
                                                   3.6.   Besuchskontakte                   24
2.     KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG –                   3.7.   Besuchsbegleitung                 26
       Wenn alles aus dem Ruder läuft      10      3.8.   Konsequenzen bei Behinderung
2.1.   Als Paar getrennt, jedoch Eltern                   und Nichteinhaltung des
       auf Lebenszeit                      10             Besuchsrechts                     27
2.2.   Exkurs: Gemeinsame Obsorge          10      3.9.   Mögliche Fallen auf dem Weg zu
2.3.   Mediation                           12             einem neuen Alltag             28
2.4.   Was passiert, wenn es nicht                 3.10. Wieder wird alles anders oder:
       klappt, sich zu einigen             13            die Patchworkfamilie               29
2.5.   Exkurs: Gewalt, Missbrauch,
       Kindesentführung                    15      Beratungsangebot                         32
2.6.   Trennung/Scheidung –                        Literaturauswahl                         40
       Krise und Chance                    16
2.7.   Wie geht es Kindern, wenn ihre
       Eltern sich trennen?                17

                                                 Wir verweisen in diesem Heft auf ergänzende
                                                 Informationen, die Sie in der Broschüre
                                                 „Gleiches Recht für beide“ erhalten (heraus-
                                                 gegeben vom Büro für Frauenfragen und
                                                 Chancengleichheit sowie dem Familienreferat
                                                 des Landes Salzburg).
                                                 Bestell-Telefon 0662/8042-4042 oder
                                                 bff@salzburg.gv.at

2
Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung
VORWORT

Trotz Trennung
Eltern bleiben …

                                               Die vorliegende Broschüre möchte Ihnen
                                               daher ein Wegbegleiter sein, mit Infor-
                                               mation über Wünsche, Probleme und
                                               Sorgen der betroffenen Kinder sowie prak-
                                               tische Beispiele und Tipps, wie Sie Ihr Kind
                                               in diesen „stürmischen Zeiten“ entlasten
                                               können. Sie können selbst herausfinden,
                                               ob Sie auf dem richtigen Weg sind oder ob
                                               im Interesse Ihres Kindes eine Änderung
                                               notwendig ist.

                                               Wichtig ist, zu wissen, dass Sie nicht alles
                                               alleine bewältigen müssen, sondern dass es
                                               Beratungsangebote gibt, die Ihnen und
Über ein Viertel aller Kinder im Bundes-       den Kindern Unterstützung bei Fragen im
land Salzburg sind in irgendeiner Form mit     Zusammenhang mit Trennung/Scheidung
einer sich verändernden Familiensituation      anbieten. Scheuen Sie sich nicht, rechtzei-
(Stief-, Alleinerzieherinnen-, Patchwork-      tig diese Hilfe in Anspruch zu nehmen!
Familie u.a.) konfrontiert. Für Kinder und
Jugendliche bedeutet die Trennung der
Eltern meist ein einschneidendes Erlebnis,     Ihre
auch wenn sie einvernehmlich erfolgt.          Andrea Holz-Dahrenstaedt
Oft ist es mit dem Verlust eines Elternteils   Kinder- und Jugendanwältin
(oder der Angst davor) verbunden.

Kinder und Jugendliche brauchen trotz
Trennung ihrer Eltern eine Beziehung zu
beiden Elternteilen! – auch wenn gerade in
Krisenzeiten die Bedürfnisse der Kinder von
den Erwachsenen nicht immer leicht zu
erkennen sind.

                                                                                         3
Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung
1. PRÄVENTION

Selbstwert und Persönlichkeit
von Kindern stärken

1.1. „Du bist einzigartig! Du bist             Eine wertorientierte Erziehung fördert
wertvoll!“ – Kindern Mut machen1               immer die Persönlichkeitsbildung – und
                                               dadurch auch die Standfestigkeit eines
„Du wirst geliebt! Du bist wichtig! Du hast    Kindes.
Talente!“ – Für jedes Kind ist es sehr wich-
tig, diese Botschaften zu erfahren, um ein
gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln.       1.2. Konstruktiver Umgang
Kinder, die mutig sind, die sich und ihr       mit Konflikten
Handeln als wertvoll erleben, bereichern
nicht nur jede Familie, sie bereichern auch    Konflikte sind im Zusammenleben in
jede Gesellschaft.                             Gruppen, in der Familie, zwischen Partnern
                                               und auch Liebenden normal und alltäglich.
Sie als Eltern können Kinder bei der           Sie begleiten uns ein Leben lang. Konflikte
Entwicklung eines gesunden                     entstehen immer dann, wenn einer etwas
Selbstwertgefühls unterstützen, indem Sie      will, was der andere nicht will, wenn man
sie in fünf Bereichen unterstützen:            verschiedener Meinung ist, wenn den
 Förderung von positiven Beziehungen          Beteiligten unterschiedliche Dinge wichtig
 Sehen und Fördern der Kompetenzen            sind.
   der Kinder
 Orientierung (Ziele und Werte) geben
 Vorbildwirkung ein „guter Mensch“            1.2.1. Wie kann ich mit einem Konflikt
   zu sein                                     umgehen?
 Vermittlung von Lebensfreude und
   Lebenslust                                  Pokerstrategie
                                               Bei dieser Konfliktlösungsstrategie gibt es
Diese Anregungen helfen Ihren Kindern          Sieger und Verlierer. Einer setzt sich auf
auch, konstruktiv mit Frustration, Ableh-      Kosten der anderen Partei durch. Einer
nung, Kritik und Einsamkeit umgehen zu         „gewinnt“ – der andere gibt nach, geht
lernen. Diese Bewältigungsstrategien sind      dem „Sieger“ aus dem Weg, vermeidet
für Kinder vor allem in belastenden Situa-     das Thema, fühlt sich traurig/ zornig, sinnt
tionen, wie sie zum Beispiel die Trennung      auf Rache, etc.  diese Strategie kann zu
bzw. Scheidung der Eltern darstellt,           tiefer Kränkung und Beziehungsabbruch
wichtig.                                       führen!

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Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung
1. PRÄVENTION

Problemlösungsstrategie                      ständig dabei sein sollten, wenn sich ande-
Jeder Konflikt stellt ein Problem dar, das   re streiten, zumal sie oft die Versöhnung
grundsätzlich lösbar ist; eine gemeinsame    nicht mitbekommen und so nur das Strei-
Lösung bringt beiden Seiten Vorteile.        ten lernen.

Was ist hilfreich beim Lösen eines
Konfliktes?                                  1.3. Trennungen begleiten das Leben
 Gegenseitige Achtung
 Suche nach einem gemeinsamen Nenner        „Das Leben ist ein einziges Abschied-
 Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen fest-      nehmen“, lautet ein altes Sprichwort.
  halten                                     Von Geburt an kennzeichnen Trennungen
 Das Problem oder die Streitfrage neu       und Abschiede die menschliche Entwick-
  formulieren                                lung: Tod eines geliebten Haustiers, Schul-
 Ein annehmbares Ergebnis für alle finden   wechsel, zerbrochene Jugendfreundschaft,
 Alternativen bereit halten und flexibel    Abschied vom Elternhaus …
  bleiben
 Positiv und offen für neue Ideen bleiben   Trennungen und Verluste, auch alltägliche,
 Zuhören und den andern ausreden            stellen für alle Menschen schmerzhafte
  lassen                                     Erfahrungen dar. Sie sind life events, die
 Sich in den anderen hineinversetzen        oft mit schweren seelischen Belastungen
 Gemeinsam das Problem lösen wollen         verbunden sein können. Deshalb ist es
 Das Wort „aber“ aus dem Wortschatz         besonders wichtig, Kinder in ihrer Tren-
  streichen                                  nungs- und Trauerarbeit zu unterstützen.
 Wenn die geplante Vorgehensweise
  nicht funktioniert, dann etwas verändern
 Tief durchatmen                            1.3.1. Abschied als Lebensthema

                                             „Wenn es um Verlust- und Trauererfah-
1.2.2. Lernen am Modell –                    rungen geht, sind Kinder auf die Hilfe von
die Vorbildwirkung der Eltern                Erwachsenen angewiesen. Doch dazu
                                                       müssen die Erwachsenen selbst
Wie kann man Kindern „fair                             mit Verlust und Trauer umge-
streiten“ und Fertigkeiten der                         hen können“. 2
positiven Konfliktlösung nahe                          So hängt das Verhalten
bringen? Ohne Zweifel ist das                          Erwachsener vor allem auch
gute Beispiel der Eltern maß-                          von den eigenen kindlichen
geblich. Kinder lernen durch                           Vorerfahrungen mit
zusehen und nachahmen (Mo-                             Trennungen und Verlusten ab.
delllernen). Es sollte allerdings
klar sein, dass Kinder nicht

                                                                                       5
Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung
1. PRÄVENTION

Manche Kinder wachsen mit der Botschaft        1.3.2. Wie kann ich mein Kind im Um-
auf, dass die Welt ein gefährlicher Ort sei.   gang mit Trauer & Verlust unterstützen?
Sie werden darin geübt, ständig aufzupas-
sen und auf der Hut zu sein, sich und           Kinder brauchen Klarheit – auch, wenn
andere zu kontrollieren, bestimmte Dinge       es weh tut. Kinder wollen wissen, woran
zu vermeiden oder andere auszuführen.          sie sind und was sie zu verarbeiten haben.
                                               Daher ist es für Kinder wichtig, ihrem Alter
Andere Kinder wachsen mit der Botschaft        entsprechend ehrliche Informationen zu
auf, dass die Welt ausschließlich ein          bekommen. Für betroffene Kinder ist das
freundlicher, schöner Ort sei.                 sehr befreiend und kann eventuell der
Beide Botschaften sind nur ein Teil des        Entwicklung von Schuldgefühlen vorbeu-
Ganzen: Richtig ist vielmehr, dass             gen.
Frustration, Misserfolge, und eben auch         Kein Kind ist schuld an der Trennung
Einsamkeit, Kummer oder Abschieds-                    seiner Eltern. Die Verantwortung für
schmerz als Herausforderungen                             die Trennung liegt NIEMALS bei
zum Leben dazugehören, in                                    den Kindern.
denen persönliche                                              „Zu erfahren, nicht für alles
Wachstumschancen liegen.                                        verantwortlich zu sein und
Kinder, die neben einem                                         daher auch nicht die Schuld
Grundvertrauen in sich und                                      zu tragen, ist für die Kinder
die Welt dies nicht (auch)                                      eine enorme Erleichterung
gelernt haben, werden auf                                      und kann dazu beitragen,
Niederlagen oder schmerzhaf-                                 sich von den Schuldgefühlen
te Ereignisse, wie beispielsweise                         zu verabschieden und so die
den Tod von Verwandten, die                           schwierige Lebenssituation besser zu
Trennung der Eltern, den Wegzug eines          meistern.“ 4
Freundes u.ä. mit größerem Unverständnis,       Verständnis für die Reaktion der Kinder
Rückzug, Vermeidung und Verdrängung               auf Trennung und Verlust ist wichtig.
reagieren als andere Kinder, da sie keine         Kinder sollen ihre Gefühle nicht verstek-
geeigneten Verarbeitungsmuster gelernt            ken: Schmerz, Wut, Traurigkeit, Angst,
haben. Diesen Kindern wurde von den               Hoffnung etc., alle diese Gefühle sind in
Erwachsenen (unbewusst) mitgegeben,               Ordnung!
dass man darüber nicht spricht und keine          Für Erwachsene ist es oft schwer, auf
Fragen stellen darf.                              diese Verhaltensweisen angemessen zu
                                                  reagieren. Ein Kind braucht in dieser
      „Erwachsene tragen durch ihre               Situation den Halt und die Sicherheit
      Haltung also maßgeblich dazu bei,           von erwachsenen Bezugspersonen.
      ob ein Kind eine realistische             Reden ist Gold. Eltern und Kinder reden
      Vorstellung von Abschied, Tod und           am Tag weniger als eine halbe Stunde
      Trauer entwickeln und lernen kann,          über Dinge, die über das Alltägliche hin-
      damit umzugehen“. 3                         ausgehen. Hinhören und Miteinander

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Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung
1. PRÄVENTION

  Reden ist jedoch von großer Bedeutung.            Seelen. Denn ihre Seelen wohnen im
  Eltern sollen ihre Kinder ermutigen, auch         Haus von morgen, das ihr nicht
  über ihre schlechten Erinnerungen zu              besuchen könnt, nicht einmal in
  sprechen. Auf diese Weise werden sie              euren Träumen.“
  allmählich weniger belastend.                     (aus: Khalil Gibran, Der Prophet)
 Die Stärken der Kinder nicht außer Acht
  lassen. Erkennen und Fördern von Kom-       Kinder als eigenstän-
  petenz, Eigenständigkeit und Selbstbe-      dige (Rechts-)Persön-
  wusstsein.                                  lichkeiten mit spezifi-
 Kinder brauchen die Gewissheit, dass        schen Bedürfnissen
  sie sich nicht von einem Elternteil tren-   und Rechten wahrzu-
  nen müssen, sondern dass ihnen beide        nehmen – wie in die-
  trotz Trennung erhalten bleiben.            sen Zeilen des libane-
                                              sischen Dichters
     TIPP: Eltern sind mit diesen Anfor-      Khalil Gibran (1883 –
     derungen, gerade wenn sie selbst in      1931) so wunderbar
     einer schwierigen Trennungssituation     ausgedrückt – ist
     stecken, oft überfordert. Um zu ver-     auch das Anliegen
     hindern, dass diese Überforderung        der UN-Kinder-
     zu Lasten des Kindes ausschlägt,         rechtskonvention
     sollten sich Eltern nicht scheuen,       (KRK) aus dem Jahr 1989. Diese UN-
     Hilfsangebote in Anspruch zu neh-        Konvention gehört zu den zentralen
     men.                                     Dokumenten des internationalen
                                              Menschenrechtschutzes 5. Sie beschreibt
[siehe „Beratungsangebot“ am Ende der         die elementaren Notwendigkeiten für eine
Broschüre]
                                              menschenwürdige Kindheit in Form von
                                              Rechten. Ein Teil davon ist seit 15. Februar
                                                                                    6
                                              2011 verfassungsrechtlich verankert .
1.4. Rechte der Kinder
                                              Das vorrangige Wohl des Kindes, regel-
     „Eure Kinder sind nicht eure Kinder.     mäßige persönliche Kontakte sowie die ge-
     Sie sind die Söhne und Töchter der       meinsame Verantwortung beider Elternteile
     Sehnsucht des Lebens nach sich sel-      für Erziehung und Entwicklung des Kindes
     ber. Sie kommen durch euch, aber         sind dort klar formuliert:
     nicht von euch. Und obwohl sie mit
     euch sind, gehören sie euch doch
     nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe
     geben, aber nicht eure Gedanken.
     Denn sie haben ihre eigenen
     Gedanken. Ihr dürft ihren Körpern
     ein Haus geben, aber nicht ihren

                                                                                         7
Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung
1. PRÄVENTION

                                                              erhaltungsfähigkeit gemeinsam und ein-
      Art. 3 KRK normiert, dass bei allen Maß-                vernehmlich zu sorgen.
      nahmen, die Kinder betreffen, gleichviel
      ob sie von öffentlichen oder privaten                   Die Obsorge umfasst
                                                               Pflege und Erziehung,
      Einrichtungen der sozialen Fürsorge,

                                                               gesetzliche Vertretung und
      Gerichten, Verwaltungsbehörden oder

                                                               Vermögensverwaltung
      Gesetzgebungsorganen getroffen wer-
      den, das Wohl des Kindes vorrangig zu
      berücksichtigen ist.
                                                              Pflege und Erziehung umfassen das kör-
      Gemäß Art. 9 KRK haben die Vertrags-                    perliche Wohl und die Gesundheit, die un-
      staaten sicherzustellen, dass ein Kind                  mittelbare Aufsicht, die Entfaltung der
      nicht gegen den Willen seiner Eltern von                körperlichen, geistigen, seelischen und
      diesen getrennt wird. Ist das Kind von                  sittlichen Kräfte des Kindes, die Förderung
      einem oder beiden Elternteilen getrennt,                seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen,
      muss das Recht des Kindes geachtet wer-
                                                              Entwicklungsmöglichkeiten sowie seine
      den, regelmäßige persönliche Kontakte
                                                              Ausbildung in Schule und Beruf.
      oder persönliche Beziehungen zu beiden
      Elternteilen pflegen zu können. Für die
      Erziehung und Entwicklung des Kindes                    Das Ausmaß der Pflege und Erziehung
      sind in erster Linie beide Elternteile                  richtet sich nach den Lebensverhältnissen
      gemeinsam verantwortlich.                               der Eltern. Die Obsorge darf nicht willkür-
                                                              lich, sondern muss verantwortungsbewusst
      Diese Prinzipien liegen auch dem österrei-              ausgeübt werden. Das minderjährige Kind
      chischen Recht zugrunde. In Art 2 (1) BVG               hat zwar die Anordnungen der Eltern zu
      über die Rechte von Kindern heißt es:                   befolgen, jedoch haben diese bei deren
      Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige                 Durchsetzung auf das Alter, die Entwick-
      persönliche Beziehungen und direkte
                                                              lung und die Persönlichkeit des Kindes
      Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei
                                                              Bedacht zu nehmen. Die Anwendung von
      denn, dies steht seinem Wohl entgegen.
                                                              Gewalt und die Zufügung körperlichen
                                                              oder seelischen Leides sind verboten.
                                                              Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten
1.5. Allgemeine Eltern-Kind-Rechte
                                                              das „Kindeswohl“, haben das Jugendamt
und Pflichten
                                                              und das Gericht die zur Sicherung des
Grundsätzlich haben die Eltern für das
                                                              Kindeswohls notwendigen Verfügungen zu
Wohlergehen ihres minderjährigen Kindes
                                                              treffen.
bis zur Volljährigkeit bzw. bis zur Selbst-

E R L Ä U T E R U N G E N K A P. 1
1 Auszug des Buches von B. Hadinger, Mut zum Leben machen.    5 Die KRK ist ein internationaler Vertrag, den die meisten
Selbstwertgefühl und Persönlichkeit von Kindern und Jugend-   Staaten der Welt ratifiziert haben. Nur die USA und Somalia
lichen stärken.                                               haben das bisher nicht getan. Damit gehört die KRK zu den am
2 Hammerschmied, Peter: Kindergarten heute 11-12/99 S.7       weitesten anerkannten internationalen Verträgen. In Österreich
                                                              ist die KRK 1992 in Kraft getreten.
3 Hammerschmied, Peter: Kindergarten heute 11-12/99 S.12
                                                              6 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, BGBl.
4 Methodenkompendium Rainbows Österreich/Teil 1, S. 273       4/2011

8
Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung
comisch?

Würde es helfen mit jemandem zu reden, sich jemandem anzuvertrauen?

                                                                       9
Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG

Wenn alles aus dem
Ruder läuft

2.1. Als Paar getrennt, jedoch Eltern         Gemeinsame Obsorge bedeutet, dass nach
auf Lebenszeit                                einer Scheidung die Obsorge beider Eltern-
                                              teile bestehen bleibt. D.h. grundsätzlich
Ihr Anliegen als Eltern(teil) wird es sein,   hat jeder Elternteil die gesamte Obsorge –
dass Ihr Kind so wenig wie möglich unter      wie bei aufrechter Ehe. Jeder für sich ist für
der Trennung leidet. Sie können ihm dabei     alle Teilbereiche der Obsorge (Maßnahmen
helfen, indem Sie als Mutter und Vater        der Pflege und Erziehung, gesetzliche Ver-
beide weiterhin verfügbar bleiben. Ihr Kind   tretung und Vermögensverwaltung)
hat ein Recht auf beide Eltern – für das      zuständig. Es kann also jeder Elternteil
psychische Wohl, das eigene Selbstwert-       allein für das Kind handeln und dieses,
gefühl und eine gelungene                                     etwa in Reisepass- oder
Entwicklung.                                                  Schulangelegenheiten, auch
Wenn es Ihnen nicht ge-                                       allein wirksam vertreten. Für
lingt, eine gemeinsame                                        bestimmte Angelegenhei-
Gesprächsbasis zu finden –                                    ten, wie z.B. für die vorzeiti-
und dies ist oft besonders                                    ge Lösung eines Lehrver-
in der Anfangszeit schwie-                                    trages, ist jedoch immer
rig – sollten Sie rechtzeitig                                 (auch bei aufrechter Ehe)
Hilfe von außen beiziehen.                                    die Zustimmung beider
                                                              obsorgeberechtigter
                                                              Elternteile notwendig.
2.2. EXKURS:
Gemeinsame Obsorge                            2.2.1. Was bedeutet die gemeinsame
                                              Obsorge im Zusammenhang mit einer
Diesem Grundbedürfnis des Kindes nach         Einvernehmlichen Scheidung?
Kontakt zu beiden Eltern entsprechend
wurde 2001 das neue Gesetz zur „gemein-       Wollen die Eltern eine gemeinsame Ob-
samen Obsorge“ in Kraft gesetzt. In die-      sorge im Rahmen der einvernehmlichen
sem Zusammenhang können viele Fragen          Scheidung, so müssen sie dem Gericht eine
auftreten, die wir hier beantworten wollen.   Vereinbarung vorlegen. Dazu müssen sie
Natürlich kann diese Fragensammlung eine      sich einigen, bei welchem Elternteil das
spezielle Information zu Ihrer Situation      Kind in Zukunft hauptsächlich leben soll
nicht ersetzen!                               (sog. „Heim erster Ordnung“).

10
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG

Den anderen Elternteil trifft die Verpflich-      2.2.2. Gibt es auch bei Lebensgefährten
tung zur Zahlung von Unterhalt. Können            oder bei Trennung ohne Scheidung eine
sich die Eltern nicht einigen, wird die ein-      gemeinsame Obsorge?
vernehmliche Scheidung abgelehnt.
                                                  Auch bei Lebensgefährten, die die gemein-
Es ist jedoch auch möglich, dem Gericht           same Obsorge gerichtlich vereinbart hat-
eine Vereinbarung vorzulegen, wonach              ten (ansonsten ist für ein uneheliches Kind
einem Elternteil die Obsorge nur in be-           die Mutter mit der alleinigen Obsorge
stimmten Angelegenheiten (eingeschränkt           betraut), bleibt diese nach einer Trennung
z.B. auf Vermögensverwaltung) zukommen            aufrecht. Bei Ehepaaren, die sich auf Dauer
soll. Der Elternteil, bei dem sich das Kind       trennen, ohne sich scheiden zu lassen,
hauptsächlich aufhalten soll, muss aber           bleibt ebenfalls die gemeinsame Obsorge
immer mit der gesamten Obsorge betraut            aufrecht.
sein! Das Pflegschaftsgericht wird eine
Vereinbarung nur dann genehmigen, wenn            2.2.3. Ist die alleinige Obsorge eines
sie dem Wohl des Kindes entspricht.               Elternteiles trotzdem noch möglich?

                                                  Sind sich die Eltern einig, dass die Obsorge
    Unterhalt: Beide Elternteile sind, bis sich   nach der Scheidung dem Vater oder der
    ihr Kind selbst erhalten kann, unterhalts-    Mutter allein zustehen soll, können sie
    pflichtig. Dies ist völlig unabhängig         dem Gericht ebenfalls eine derartige Ver-
    davon, ob die Eltern die Obsorge inne-
                                                  einbarung vorlegen.
    haben oder nicht. Der Elternteil, bei dem
    das Kind lebt, leistet seinen Unterhalt
    dadurch, dass er/sie den Haushalt führt
                                                  2.2.4. Kann die gemeinsame Obsorge
    und das Kind betreut. Lebt das Kind bei       auch wieder aufgehoben werden?
    keinem der beiden Elternteile, so sind
    sowohl Vater als auch Mutter unterhalts-      Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die
    pflichtig. Besuchskontakte stehen mit der     gemeinsame Obsorge nicht funktioniert,
    Unterhaltspflicht in keinerlei Zusammen-      kann ein Elternteil die Aufhebung dieser
    hang.                                         Obsorgeregelung beantragen. Das Gericht
    Die Höhe der Unterhaltspflicht richtet        muss zunächst versuchen, eine gütliche
    sich nach dem Einkommen der Eltern und        Einigung der Eltern herbeizuführen
    – beispielsweise bei eigenem Einkommen
                                                  (Stichwort: Mediation), ansonsten wird
    während der Lehre – des Kindes. Genaue
                                                  nach Maßgabe des Kindeswohls ein
    Details dazu erfahren Sie bei den Pfleg-
    schaftsgerichten oder bei der Jugend-         Elternteil allein mit der Obsorge betraut.
    wohlfahrt der jeweiligen Bezirksverwal-
    tungsbehörde.
     siehe Broschüre „Gleiches Recht
    für beide“, Kapitel 7.1 Unterhalt nach
    Scheidung

                                                                                           11
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG

2.2.5. Welche Rechte hat der nicht mit                                   2.3. Mediation
der Obsorge betraute Elternteil?
                                                                         In der Mediation geht es nicht darum, ob
Jener Elternteil, der nicht mit der Obsorge                              es einen Streit oder Konflikt geben darf,
betraut ist, hat neben dem Besuchsrecht                                  auch nicht um deren Vermeidung oder wer
(siehe dazu ausführlich Kapitel 3.6) auch                                „Recht“ hat, sondern darum, wie verhan-
das Recht, von wichtigen Angelegenheiten                                 delt wird. Mediation ist gerade im Hinblick
(wie Schulwechsel, Krankenhausaufent-                                    auf gemeinsame Kinder eine anzuratende
halte etc.) rechtzeitig verständigt zu wer-                              Alternative zum strittigen Gerichtsverfah-
den und sich dazu zu äußern.                                                          ren. Dadurch können
                                                                                      Belastungen für die Kinder,
                                                                                      wie sie durch lange Verfah-
       Kommentar: Eine gemeinsa-                                                      rensdauer, psychologische
       me Obsorge ist natürlich kein                                                  Begutachtung und einen
       Ruhepolster. Es erfordert oft                                                  möglichen Beziehungsabbruch
       sehr viel Kraft, sich ständig in
                                                                                      zum anderen Elternteil entste-
       gütlicher Form mit dem/der
                                                                                      hen können, vermieden wer-
       Ex-PartnerIn auseinanderzu-
       setzen, gemeinsam zu planen
                                                                                      den.
       und zu beschließen.
       Unabhängig von der rechtli-
       chen Konstruktion ist es für                                                   2.3.1. Was ist Mediation?
       das Kind enorm wichtig, Sie
       beide als Eltern zu behalten. Es soll spü-                        Mediation bedeutet Streitschlichtung mit-
       ren, dass Sie beide es lieben. Dies ist                           hilfe von allparteilichen neutralen Dritten,
       wichtig, um Vertrauen zu sich selbst und                          die von beiden Konfliktparteien akzeptiert
       anderen zu entwickeln. Wenn Sie in der                            werden. Die Konfliktparteien sollen befä-
       Betreuung und Erziehung als Eltern nicht
                                                                         higt werden, die eigenen Gefühle und
       gegeneinander, sondern miteinander
                                                                         Bedürfnisse zu erkennen und auszudrük-
       handeln, ersparen Sie ihrem Kind den
       Konflikt, für einen Elternteil Partei ergrei-                     ken und die der anderen Seite zu verste-
       fen bzw. einen Elternteil ablehnen zu                             hen. Ziel ist, gemeinsam eine einvernehm-
       müssen. Es darf beide lieben!                                     liche und faire Lösung zu finden, ohne
                                                                         Sieger und Verlierer. Die Teilnahme an der
                                                                         Mediation ist grundsätzlich für alle
ΩS i e h e a u c h B r o s c h ü r e „ G l e i c h e s R e c h t f ü r   Beteiligten freiwillig.
beide“, Punkt 6.4 „Einvernehmliche
Scheidung – §55a Ehegesetz“ sowie Punkt
7.5 „Scheidungsfolgen für Kinder“.

12
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG

2.3.2. Wer führt Mediationen durch?               Die aktuellen Tarifsätze sowie eingetra-
                                                 gene FamilienmediatorInnnen finden Sie
Mediation wird grundsätzlich in interdiszi-      unter www.bmwfj.gv.at  Familie 
plinären Zweierteams durchgeführt (Co-           Trennung und Scheidung  Mediation
Mediation). Diese bestehen aus zwei quali-
fizierten Fachleuten mit juristischer bzw.       [ We i t e r e K o n t a k t e s i e h e B e r a t u n g s a n g e b o t ]
psychosozial-therapeutischer Grundaus-             We i t e r e I n f o s s i e h e a u c h B r o s c h ü r e
bildung. Darüberhinaus verfügen sie über         „Gleiches Recht für beide“, Punkt 5
                                                 „Mediation“
eine fundierte Mediationsausbildung und
unterliegen der „absoluten“ Verschwie-
genheitspflicht.

        2.3.3. Was kostet Mediation?

         Eine Mediationsstunde kostet der-
       zeit € 182,– pro Mediatorenteam.
Je nach Höhe des Familieneinkommens
und der Anzahl der unterhaltspflichtigen
Kinder gewährt das Ministerium einen
Zuschuss bzw. muss ein Selbstbehalt gelei-
stet werden. Nach Vorlage von Lohnbe-
stätigung etc. wickeln die MediatorInnen
den Zuschuss direkt mit dem Ministerium
ab. Eine Förderung kann nur für in der
                                                 2.4. Was passiert, wenn es nicht klappt,
Liste des Ministeriums eingetragene
                                                 sich zu einigen …
MediatorInnen in Anspruch genommen
werden.
                                                 Mögliche Nachteile einer Nichteinigung
                                                 sind neben einer erheblich längeren Ver-
    Jede positive Regelung mit dem anderen       fahrensdauer und höheren Kosten auch
    Elternteil hilft letztendlich Ihrem Kind.    eine größere Belastung der Kinder. Durch
    Auch wenn es oft für Sie schwer sein         eine mehrmalige Befragung während des
    wird, mit den eigenen Verlusterfahrungen     Verfahrens und eventuell eine psychologi-
    oder Kränkungen, die Sie durch Ihre(n)       sche Begutachtung geraten Kinder immer
    PartnerIn erfahren haben, umzugehen,         mehr in den oben näher beschriebenen
    sollten Sie sich im Interesse Ihres Kindes   Loyalitätskonflikt.
    um diese Einigung bemühen.

                                                                                                                       13
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG

Können Sie sich als Eltern nicht über die
gemeinsame oder die alleinige Obsorge             Rechte der Kinder im Obsorgeverfahren
eines Elternteils einigen:                        • Grundsätzlich sind Minderjährige im
 Hat das örtlich zuständige Pflegschafts-          Verfahren persönlich zu hören
                                                  • Kinder unter 10 Jahren können auch
   gericht von Amts wegen oder auf
                                                    von anderen geeigneten Personen (z.B.
   Antrag zu entscheiden.
 Vor der Entscheidung muss das Gericht
                                                    durch das Jugendamt) befragt werden
                                                  • Kinder über 10 Jahren sind grundsätz-
   jedoch versuchen, eine gütliche Einigung         lich vom Gericht anzuhören
   z.B. durch Mediation herbeizuführen.
 Scheitert auch diese, hat das Gericht
                                                  • Jugendliche über 14 können selb-
                                                    ständig vor Gericht handeln, haben
   einen der Elternteile mit der alleinigen         also Parteistellung und können selbst
   Obsorge zu betrauen.                             Anträge stellen.
 Das Gericht kann bis zur endgültigen
   Entscheidung (um noch Gutachten ab-
   zuwarten oder ähnliches) die Obsorge       2.4.1. Verfahrenshilfe
   auch vorläufig einräumen.
 Die Entscheidung des Gerichts über die      Grundsätzlich können mündige Minder-
   Obsorge kann auf Antrag oder von           jährige einen Antrag auf Verfahrenshilfe
   Amts wegen abgeändert werden, wenn         stellen. Sofern die Beigebung eines Rechts-
   sich die Umstände ändern.                  anwalts (wie beispielsweise im Rechtsmit-
                                              telverfahren) oder ein Sachverständigen-
Das Gericht hat sich in seiner Entscheidung   gutachten notwendig ist, werden die
am Kindeswohl zu orientieren. In der Regel    Kosten von öffentlicher Hand über-
führt das Pflegschaftsgericht durch das       nommen.
Jugendamt Erhebungen über die familiären
                                               Siehe Broschüre „Gleiches Recht für
Verhältnisse durch. Reichen diese Berichte
                                              beide“, Punkt 6.6 „Kosten einer Scheidung“
nicht aus, wird das Gericht zusätzlich ein
Gutachten eines psychologischen oder
                                              2.4.2. Kinderbeistand
psychiatrischen Sachverständigen in
Auftrag geben. Bei der Entscheidung hat
                                              Kinder bis 14 Jahren (in Ausnahmefällen
das Gericht in einer Gesamtschau die
                                              Kinder bis 16 Jahren), die von einer stritti-
Situation zu beurteilen.
                                              gen Scheidung der Eltern betroffen sind,
                                              können seit 1.7.2010 eine Unterstützung
                                              durch einen sogenannten Kinderbeistand
                                              erhalten. Diese psycho-sozial geschulten
                                              BegleiterInnen vertreten die Interessen und
                                              Wünsche der Kinder. Sie sind Sprachrohr,
                                              ÜbersetzerInnen und Vertraute für das
                                              Kind. Eine Bestellung erfolgt durch das
                                              Gericht. Die Aufgaben eines

14
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG

Kinderbeistands erlöschen grundsätzlich       Nicht ausreichend für eine Entziehung
mit der rechtskräftigen Erledigung der        wäre beispielsweise, wenn das Kind dem
Sache. Die Begleitung durch einen             Besuchsberechtigten gegenüber eine
Kinderbeistand kostet € 400,– je Elternteil   ängstliche Reaktion zeigt oder diesen
für die ersten 6 Monate, € 250,– je           ablehnt. Das Gericht geht davon aus, dass
Elternteil für weitere 6 Monate. Für die      das Kind ausreichenden Kontakt zu beiden
Parteien besteht die Möglichkeit,             Elternteilen benötigt und der erziehende
Verfahrenshilfe zu beantragen.                Elternteil auf eine störungsfreie Ausübung
 Weitere Infos finden Sie unter              des Besuchsrechts hinzuwirken hat.
www.jba.gv.at/?kinderbeistand                 Konkret heißt dies, dass es Aufgabe des
                                              erziehenden Elternteils ist, dem Kind die
                                              Angst zu nehmen und auf den Kontakt
2.5. EXKURS: Gewalt, Missbrauch,              positiv vorzubereiten.
Kindesentführung
                                              Ein Entziehungsantrag sollte nur dann
Besteht berechtigte Sorge, dass dem Kind      gestellt werden, wenn wirklich massive
während des persönlichen                                      Bedenken gegen einen
Kontakts mit einem                                            (Besuchs-)Kontakt beste-
Elternteil Gefahr droht, wie                                  hen. Vor einer solchen weit-
beispielsweise körperliche                                    reichenden Entscheidung
oder psychische Gewalt,                                       werden oftmals Sach-
Missbrauch oder                                               verständigengutachten ein-
Entführung, dann müssen                                       geholt, die ebenfalls eine
natürlich Sicherheitsvor-                                     Belastung für das Kind dar-
kehrungen zum Schutz des                                      stellen.
Kindes getroffen werden.                                      Sollte eine strafbare
                                                              Handlung gegen das Kind
2.5.1. Entziehung oder                                        vorliegen, ist natürlich auch
Einschränkung des                             die Einleitung eines Strafverfahrens in
Besuchsrechts/Obsorge                         Erwägung zu ziehen.

Eine Möglichkeit ist die (vorläufige) Ent-          TIPP: Anzuraten ist eine umfassende
ziehung des Besuchsrechts/Obsorge. Eine             Beratung, um die jeweils beste
gerichtliche Entziehung kommt jedoch nur            Lösung für ihr Kind zu finden.
dann in Frage, wenn das Kindeswohl durch
den (Besuchs-)Kontakt gefährdet würde.        2.5.2. Geschützte Besuchskontakte
Beispiele dafür sind grob mangelhafte
Betreuung, erhebliche seelische Irritation    Die andere Möglichkeit ist die Sicher-
oder körperlicher Schaden.                    stellung, dass das Kind während des
                                              Besuchskontakts ausreichend geschützt ist.

                                                                                       15
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG

Dazu gibt es sogenannte „geschützte                     TIPP: In diesem Fall wenden Sie sich
Besuchskontakte”. In einer entsprechen-                 umgehend an das zuständige
den Institution wird der Besuchskontakt                 Familiengericht und Jugendamt
mithilfe von ausgebildetem Fachpersonal                 (siehe Adressteil)
vorbereitet, angeleitet und begleitet. Die
Intensität der begleitenden Betreuung rich-     We i t e r e I n f o s d a z u a u c h i n d e r B r o s c h ü r e
                                               „Gleiches Recht für beide“, Kapitel 5.2.
tet sich nach der jeweiligen
Gefährdungssituation und Beziehungs-
konstellation. Der Vorteil von solchen ge-     2.6. Trennung/Scheidung –
schützten Besuchskontakten besteht darin,      Krise und Chance
dass es zu keinem Kontaktabbruch kom-
men muss, sondern möglicherweise ein           Im Laufe Ihrer Trennung/Scheidung sind
sinnvoller Übergang – bis sich die kritische   Sie wahrscheinlich einer Flut von Emotio-
Situation beruhigt hat – geschaffen wer-       nen (Wut, Verzweiflung, Schuldgefühle,
den kann.                                      Einsamkeit …) ausgesetzt.
                                               Diese Gefühle sind Teil eines natürlichen
     TIPP: siehe dazu Angebote im              Verarbeitungsprozesses, in dem es darum
     Adressteil „Für Kinder“:                  geht, den Verlust eines früher und mögli-
     Kinderbrücke, Kinderschutz-               cherweise noch immer geliebten Partners
     Zentrum, KOKO und Rainbows                zu bewältigen. Jede/r erlebt die einzelnen
                                               Phasen in ihrer Intensität und Dauer ver-
2.5.3. Kindesentführung                        schieden.
                                               Dennoch lassen sich im Prozessverlauf
Wenn eine solche droht, ist es unter Um-       einige typische Verhaltensweisen und
ständen sinnvoll zu verlangen, dass der        Muster erkennen:
Reisepass, in dem das Kind eingetragen ist,    1. In der ersten Phase findet oft ein
beim zuständigen Bezirksgericht hinterlegt        „Nicht-wahrhaben-wollen“ bzw. eine
werden muss. Im Falle des Falles kommt            Verleugnung statt, man ist schockiert,
das Haager Minderjährigenschutz-                  fassungslos, wie betäubt.
abkommen zur Anwendung. Eine Kindes-           2. Mit dem Anerkennen der Trennungs-
entführung liegt nach diesem Abkommen             realität in der zweiten Phase werden
vor, wenn ein (wenn auch obsorgeberech-           Aggressionen freigesetzt, diese Zeit ist
tigter) Elternteil das Kind ohne Zustim-          voller Orientierungslosigkeit und
mung des anderen obsorgeberechtigten              Stimmungsschwankungen. Gefühle der
Elternteiles aus dem gewöhnlichen Lebens-         Verzweiflung, Wut, Angst, Schuld und
umfeld (= der letzte gemeinsame Aufent-           Selbstzweifel wechseln einander ab.
haltsort) in ein anderes Land verbringt.       3. In einem weiteren Schritt kommt es zu
                                                  einer Akzeptanz des Verlustes, erst
                                                  dann eröffnet sich die Möglichkeit für
                                                  einen konstruktiven Neubeginn.

16
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG

4. Es findet eine Neuorientierung statt und    sich mit der Trennungssituation auseinan-
   schließlich die Erarbeitung eines neuen     derzusetzen und ein Klima zu schaffen, in
   Lebenskonzeptes.                            dem sinnvolle, gemeinsame Lösungen
                                               möglich werden. So kann Trennung und
Mangelnde Auseinandersetzung mit den           Scheidung für Sie zu einer Chance für
eigenen Gefühlen und fehlende Bezie-           Wachstum und Entwicklung werden.
hungsklärung belasten nicht nur die seeli-
sche und körperliche Gesundheit beider
Partner, sondern auch das weitere              2.7. Wie geht es Kindern, wenn ihre
Trennungsgeschehen. Im Verlauf                      Eltern sich trennen?
der Trennung kann es zu gegen-
seitigen Schuldzuweisungen,                                    Vielleicht denken Sie, dass
Rachehandlungen („er/sie                                         Ihr Kind (noch) nicht
soll büßen, was er/sie mir                                        Bescheid weiß, weil Sie
angetan hat!“) und zum                                            über Ihre Entscheidung
„Kampf ums Kind“ kom-                                            nicht gesprochen haben.
men. Dazu können unter-                                         Aber Kinder haben eine
schiedliche „typisch“ weibli-                                   sehr feine Wahrnehmung,
che oder männliche                                             was die Stimmung in der
Reaktions- oder Familienmuster                           Familie betrifft. Sie spüren, dass
(z.B. schnelle Tröstung in einer                      etwas Entscheidendes in der Luft
neuen Beziehung, Opferrolle, selbst- oder      liegt. Daher ist es für Kinder wichtig, ihrem
fremdzerstörerisches Verhalten) sowie die      Alter entsprechend Informationen zu
Einbeziehung des gesamten Familien- und        bekommen. Sie haben ein Recht darauf.
Freundessystems als Verbündete gegen
den/die „schuldige/n Ex“ erschwerend           Wenn Kinder nicht informiert werden, sind
wirken. Die Konflikte werden dann häufig       sie auf ihre Phantasien angewiesen und
auf der Ebene von Rechtsansprüchen vor         diese machen ihnen vielleicht mehr Angst
Gericht ausgetragen.                           als die Wirklichkeit. Beim Gespräch mit
                                               Ihren Kindern kommt es nicht darauf an,
Partner, die diese zum Teil unbewusst ab-      dass Kinder Einzelheiten Ihrer Version der
laufenden Prozesse inklusive der eigenen       Trennung erfahren. Sie sollen wissen, dass
Anteile nicht wahrnehmen wollen, laufen        sich zwar die Eltern trennen, aber dass sie
Gefahr, in ihren Aggressionen gegen sich       auch künftig die Möglichkeit haben, mit
und die andere Person stecken zu bleiben.      beiden Eltern in Kontakt zu sein und
Diese Form der Auseinandersetzung wirkt        Fragen stellen zu können. Stellen Sie klar,
sich jedoch auf die Seele der Kinder beson-    dass dieser Schritt alleine in Ihrer
ders belastend aus.                            Verantwortung liegt und nicht Sache der
                                               Kinder ist, sowie keinesfalls vom Verhalten
Deshalb ist es für alle Beteiligten wichtig,   der Kinder abhängig ist.

                                                                                        17
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG

Erklären Sie Ihrem Kind, was in Zukunft          Reaktionen auf elterliche Scheidung liegen
anders sein wird (z.B. dass der Papa oder        jedoch im Bereich des „Normalen“ und
die Mama nicht mehr zu Hause wohnen              sind daher Ausdruck dafür, dass sich
wird; die Art und das Ausmaß des                 Kinder bemühen, mit der veränderten
Kontaktes mit dem Elternteil, der nicht          Familiensituation fertig zu werden und das
mehr zuhause wohnen wird) und sprechen           Verlusterlebnis zu überwinden.
Sie auch über das, was sich nicht verän-         Jedes Kind ist einmalig und jede Familie,
dern wird (z.B. Kindergarten, Schule,            die Scheidung bzw. Trennung bewältigen
Freunde usw.). Fragen Sie Ihre Kinder auch       muss, hat ihre Geschichte mit schönen,
nach den momentanen Gefühlen, ihren              aber auch unerfreulichen Kapiteln. Ihr Kind
Wünschen der Mutter und dem Vater                wird also in seiner Umwelt auf seine per-
gegenüber und nach ihren größten                 sönliche Weise reagieren. Trotz der indivi-
Befürchtungen.                                   duellen Unterschiede gibt es alterstypische
                                                 Reaktionen, die bei vielen Kindern zu
                                                 bemerken sind:
     Wenn es Ihnen möglich ist, führen Sie
     das Gespräch als Eltern gemeinsam.           Sehr kleine Kinder sind irritiert und rea-
     So können Kinder erleben, dass die Eltern   gieren häufig mit Angstzuständen, beson-
     gemeinsam Sorge tragen.
                                                 derer Anhänglichkeit, Trotz und Schlaf-
                                                 störungen. Auch Rückschritte in der
                                                 Entwicklung sind möglich (z.B. Einnässen,
2.7.1. Mögliche Reaktionen und                   auch wenn das schon längere Zeit nicht
Verhaltensweisen der Kinder                      mehr vorgekommen ist).

Der erste Schritt ist getan: Eine kindge-
rechte Erklärung der Situation. Nun be-
ginnt die Auseinandersetzung der Kinder
mit der Situation. Immerhin bricht für die
meisten Kinder eine Welt – ihre bisherige
Familienwelt – zusammen. Darauf reagie-
ren Kinder, je nach Alter und ihrem Wesen
entsprechend, ganz unterschiedlich.

Da Reaktionen und Auffälligkeiten der
Kinder oft erst in größerem Abstand nach
der tatsächlichen Scheidung auftauchen
oder sich verstärken, werden sie oft als          Kinder im Alter zwischen 3 1/2 und 5
Versagen des allein erziehenden Elternteils      Jahren zeigen vor allem Symptome wie
gedeutet oder auf den Kontakt des Kindes         Aggression oder Angst vor Aggression.
mit dem außer Haus lebenden Elternteil           Ihr Vertrauen in die Zuverlässigkeit
zurückgeführt. Die meisten kindlichen            menschlicher Beziehungen scheint zutiefst

18
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG

erschüttert. Empfindungen des Verlassen-           als Bedrohung ihrer eigenen Existenz.
seins und der Trauer sind deutlich wahr-           Kinder in diesem Alter sind noch nicht in
nehmbar. Sie bemühen sich, die Verän-              der Lage zu verstehen, dass sich Erwach-
derung der Beziehung ihrer Eltern zu               sene auch übereinstimmend trennen kön-
erfassen und bringen ihr Verlangen nach            nen. Sie geben daher einem Elternteil die
dem abwesenden Elternteil deutlich zum             Schuld und glauben beispielsweise, dass
Ausdruck. Da sich die Kinder in diesem             ein Elternteil die Familie verlässt, weil er
Alter noch als Mittelpunkt der Welt erle-          auf den anderen „böse“ ist oder wegge-
ben, kommt es häufig vor, dass sie die             schickt worden ist. Kinder haben Angst,
Schuld für das Weggehen eines Elternteils          auch weggeschickt zu werden, und ent-
bei sich selbst suchen.                            wickeln Aggressionen entweder gegen den
                                                   anwesenden oder den abwesenden Eltern-
 Mit Beginn des Schulalters können                teil. Ihre Liebe gilt grundsätzlich beiden
Kinder die Trennung der Eltern besser ver-         Eltern, sie können die sich widersprechen-
stehen und einordnen. Ihre Gefühle der             den Gefühle den Eltern gegenüber nicht in
Trauer und der Wunsch, dass der wegge-             Einklang bringen.
zogene Elternteil wieder zurückkommt,
werden ausgedrückt. Die Kinder erleben              Bei Kindern im Alter von 9 bis 12
Familie noch sehr konkret als Zusammen-            Jahren ist zu beobachten, dass sie die
leben unter einem Dach und können sich             Konflikte in der Familie erkennen und
Familienbeziehungen in geänderter Form             damit umgehen lernen. Sie beschreiben die
noch nicht vorstellen. Manche Kinder               Familiensituation oft mit erstaunlicher
schämen sich auch vor ihren FreundInnen            Nüchternheit. Neben Ängsten vor einer
und MitschülerInnen wegen ihrer anderen            ungewissen Zukunft kommt es auch vor,
Familiensituation. Dass es unter diesen            dass sie sich für das Verhalten der Eltern
Umständen zu einem Leistungsabfall in der          schämen. Sie machen sich Sorgen um die
Schule kommen kann, ist naheliegend.               Eltern und sind bereit, Verantwortung zu
                                                   übernehmen, die für Kinder in diesem
 Bei Kindern zwischen 7 und 8 Jahren              Alter eigentlich zu groß ist. So besteht die
zeigt sich häufig als erste Reaktion auf die       Gefahr, dass dadurch die Kontakte zu
Scheidung lang anhaltende Traurigkeit. Die         Gleichaltrigen und die kindlichen
Kinder erleben die Auflösung der Familie           Bedürfnisse zu kurz kommen.

    „Es fing alles ganz harmlos an. Als ich in der Früh aufwachte und zu meiner Mama in das
    Nebenzimmer ging, war meine Mama schon wach. Das war nicht weiter schlimm, doch
    irgendwie spürte ich, dass da etwas in der Luft war. Nun ja, ich legte mich neben sie ins Bett
    und wartete. Ich brauchte nicht lange zu warten, denn meine Mutter sagte gleich, dass sie
    und Papa sich scheiden lassen. Heute finde ich mich damit ab. Meinen Papa sehe ich nun am
    Montag und am Dienstag.“ (Anna, 8 Jahre)

                                                                                                19
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG

     „Eines Tages, als ich in der Küche saß, kam mein Vater. Er setzte sich neben mich und sagte:
     „Ich werde umziehen.“ Einen Moment lang starrte ich ihn an, bis ich fragte: „Warum denn
     das?“ Er atmete einmal ein und dann aus. Dann sagte er: „Weil ich mit deiner Mutter
     dauernd streite!“ Ich fing an zu weinen. Dann stand ich mit meinem Vater auf und ging ins
     Wohnzimmer. Dort saß meine Schwester. Er sagte zu ihr das Gleiche, aber sie fand es nicht
     zum Weinen. Genauso wie meine anderen zwei Schwestern. Kurz darauf zog mein Vater
     nach Wien. Ich konnte und kann ihn dort besuchen.“ (Michi, 6 Jahre)

 Kinder und Jugendliche im                                      weisen nicht als „störend“
Alter von 13 bis 18 Jahren                                        empfunden werden, werden
reagieren auf die Scheidung                                        sie auch leichter übersehen.
oft mit überraschender                                             Mädchen werden häufig
Heftigkeit (Zorn, Schmerz,                                         auch die Vertrauten ihrer
Enttäuschung, Vorwürfe an                                         Mütter, und Buben überneh-
die Eltern). Sie verunsichern                                    men manchmal die Rolle des
die Erwachsenen häufig mit                                     Vaters. Damit verhalten sie sich
widersprüchlichen Aussagen und                             dementsprechend „vernünftig“ und
Handlungen. In diese Zeit fällt auch die           sind vielfach überfordert.
Loslösung von der Familie. Das Erleben der
Scheidung kann dazu führen, dass die
Ablösung schwer gelingt, weil die Kinder                Kommentar: Wir haben Ihnen als Eltern
zu sehr in die Familienproblematik verwik-              die möglichen Reaktionen und Verhal-
kelt sind, oder es passiert auch, dass sich             tensweisen Ihrer Kinder aufgezeigt. Wir
                                                        haben das so ausführlich getan, nicht um
Jugendliche überstürzt und konfliktreich
                                                        Ihnen weitere Sorgen zu machen, son-
von der Familie zu lösen versuchen.
                                                        dern um Sie zu entlasten! Wenn Sie auf
Sie beschäftigen sich viel mit der Vor-                 mögliche Verhaltensweisen Ihrer Kinder
stellung über die Gestaltung der eigenen                vorbereitet sind, ist es leichter, sie als
Beziehungen und versuchen, es „besser“                  Ausdruck der Bewältigung zu verstehen
zu machen.                                              und Ihren Kindern Stütze zu sein.

 Neben den altersspezifischen
Reaktionen gibt es noch geschlechts-
spezifische Reaktionen. Buben drücken
ihre Gefühle der Angst und Hilflosigkeit
eher aggressiv oder durch Verhaltens-
auffälligkeiten aus; Mädchen hingegen
reagieren oft mit Rückzug und großer
Angepasstheit. Da angepasste Verhaltens-

20
comisch?

      21
3. NEUORIENTIERUNG

Der Alltag kehrt
langsam zurück

3.1. Zusammenarbeit als Elternteam            3.2. Der Alltag mit Ihrem Kind

Alte Strukturen und Gewohnheiten, die         Nicht als Expartner, sondern als Mutter
Sicherheit vermittelt haben, gibt es nicht    und Vater – sprich als „Elternteam“ –
mehr. Das eingespielte Miteinander inner-     tragen Sie weiterhin die Verantwortung für
halb und außerhalb der Familie ist in         das Wohlergehen Ihres Kindes. Da Sie nun
„Unordnung“ geraten. Alle Familienmit-        nicht mehr gemeinsam in einem Haushalt
glieder sind dazu gezwungen, sich umzu-       leben, müssen neue Formen der Aufga-
orientieren. Damit „Neues“ entstehen          benteilung gefunden werden. Besprechen
kann, muss allerdings erst „Altes“ aufge-     Sie als Eltern, welche Versorgungsleistung
arbeitet werden.                              Ihres Kindes der Elternteil, der nicht mehr
                                              zu Hause wohnt, weiterhin übernehmen
                                              kann.

                                              Sondieren Sie innerhalb der Familie sowie
                                              bei professionellen Einrichtungen in Ihrer
                                              Umgebung, wer ebenfalls noch die
                                              Betreuung Ihres Kindes mit übernehmen
                                              kann, betrachten Sie jedoch stets den
                                              anderen Elternteil als erste Option.

                                              3.3. Die jeweilige Beziehung zwischen
Dieser Prozess der klaren Neugestaltung       Mutter & Kind bzw. Vater & Kind
der Beziehungen innerhalb und außerhalb
der Familie kann länger dauern. Wichtig ist   Halten Sie sich immer gegenwärtig, dass
aber, dass Sie sich die Zeit nehmen, damit    eine Frau und ein Mann sich getrennt ha-
Sie, Ihr/e ExpartnerIn und Ihr Kind in die    ben. Ein Kind trennt sich niemals freiwillig
neue Situation hinein wachsen können.         auch nur von einem Elternteil, wenn es
Diese Zeit soll auch unbedingt dazu           sich von ihm geliebt fühlt.
genutzt werden, die Basis dafür zu erar-
beiten, wie das „getrennte“ Leben im          Sie als Elternteam tragen keinesfalls nur die
Alltag funktionieren soll.                    Verantwortung darüber, wie Ihre Bezie-
                                              hung zu ihrem Kind verläuft, sondern Sie

22
3. NEUORIENTIERUNG

haben als Elternteil stets auch aktiv dafür       Persönlichkeit und betrachten Sie genau
zu sorgen, dass Ihr Kind die Möglichkeit          diesen Elternteil als Partner bei dem
hat, eine gute und tragfähige Beziehung           gemeinsamen Projekt „Kindgroßziehen“.
zum anderen Elternteil zu pflegen.                Ihr Kind wird es Ihnen danken, wenn es
Jede Form von Nichtgelingen der Bindung           keinem Loyalitätskonflikt ausgesetzt ist
Ihres Kindes zu Ihnen und Ihrem/r Expart-         und sich nicht für oder gegen einen seiner
ner/in hat direkte Folgen: Die Entwicklung        Eltern entscheiden muss.
Ihres Kindes erleidet nachhaltig Schaden,
wenn ihm ein Elternteil vorenthalten wird!
                                                  3.5. Narben heilen lassen:
                                                  „was braucht unser Kind”?
    Wohlverhaltensgebot: Für beide Eltern-
    teile gilt das sogenannte „Wohlverhal-        Wichtige Schritte der Eltern sind nun
    tensgebot“, d. h. jeder muss bei der          getan: Die Trennung wurde kindgerecht
    Ausübung seiner Rechte und Erfüllung
                                                  erklärt, die Wohnsituation ist geklärt, die
    seiner Pflichten alles unterlassen, was das
                                                  regelmäßigen Kontakte zum nicht im
    Verhältnis des Kindes zum anderen
    Elternteil beeinträchtigt oder die Wahr-
                                                  Haushalt lebenden Elternteil beginnen all-
    nehmung von dessen Aufgaben                   mählich zu funktionieren. Oftmals war die
    erschwert. Einem besuchsberechtigten          Scheidung mit dem Wechsel in eine völlig
    Elternteil wird dadurch z. B. das Aus-        neue Umgebung und dem damit ver-
    fragen des Kindes über die privaten           bundenen Verlust etwaiger vorma-
    Lebensverhältnisse des anderen Eltern-        liger Bezugspersonen verbunden.
    teiles ausdrücklich verboten. Umgekehrt       Ihr Kind hat jedem „Sturm“
    darf der Elternteil, in dessen Haushalt das   standgehalten und nun, nach-
    Kind hauptsächlich lebt, das Kind nicht       dem wieder ein wenig Ruhe in
    negativ gegenüber dem besuchsberech-
                                                  den Alltag einkehrt, beginnt
    tigten Elternteil beeinflussen.
                                                  Ihr Kind plötzlich und unerwar-
                                                  tet massiv zu reagieren.

                                                  Diese Signale sind keinesfalls ein
3.4. „Schlechter Expartner“ –
                                                  Versagen eines Elternteils, sondern viel-
„guter Elternteil“
                                                  mehr eine „gesunde“ Reaktion auf eine
                                                  außergewöhnliche und schwierige
Ihr/e ehemaliger Partner/in hat Ihnen
                                                  Umstellung der bisher so vertrauten
möglicherweise Kränkungen in einem
                                                  Lebenssituation. Halten Sie sich vor Augen,
Ausmaß zugefügt, die eine Fortführung
                                                  dass jedes beteiligte Familienmitglied nach
der gemeinsamen Beziehung unmöglich
                                                  wie vor sein Bestes gibt. So bemüht sich
gemacht haben. Sie werden jedoch über-
                                                  auch Ihr Kind mittels seines Verhaltens, mit
rascht sein, welch engagierter Elternteil
                                                  der veränderten Situation fertig zu werden
sich nach einer Trennung im Expartner ver-
                                                  und die Verlusterlebnisse zu überwinden.
bergen kann. Suchen Sie diesen Teil der

                                                                                          23
3. NEUORIENTIERUNG

Auffällige Verhaltensmuster (wie im                  TIPP: spielpädagogische und thera-
Kapitel 2.7.1 ausführlich beschrieben)               peutische Kinder-Gruppen zu
können sein:                                         Trennung und Scheidung – siehe
 Angstzustände und Schlafstörungen                  dazu Adressteil „Für Kinder“
 Existenzängste
 Besondere Anhänglichkeit
 Rückschritte in der Entwicklung               3.6. Besuchskontakte
 Aggression, Trotz und Vorwürfe an
  die Eltern                                    Auch wenn Sie jetzt der „besuchende“
 Bettnässen                                    Elternteil sind, ist es wichtig, den Kontakt
 Anhaltende Traurigkeit                        zu Ihrem Kind zu pflegen. Vielleicht hatten
 Trauer um den nicht anwesenden                Sie früher mehr Zeit füreinander, oder Sie
  Elternteil                                    haben sich weniger um Ihr Kind geküm-
 Suchen der Schuld an der Trennung der         mert – es ist immer möglich und nie zu
  Eltern                                        spät für Ihr Kind da zu sein. Der betreuen-
 Leistungsabfall in der Schule                 de Elternteil kann nun überrascht und ver-
 Scham                                         bittert darüber sein, wenn sich der besu-
 Eingehen einer Koalition mit einem            chende Elternteil im Vorfeld nicht oder
  Elternteil                                    kaum um das Kind gekümmert hat. So
                                                verständlich dieses Gefühl auch ist, so
Machen Sie sich bewusst, dass Ihr Kind das      wichtig ist es aber dennoch, dass ein neuer
Recht darauf hat, auf die Trennung zu rea-      Anfang des Besuchselternteils in der
gieren und seien Sie durchaus besorgt,          Beziehung zum Kind gefördert wird.
wenn Sie feststellen, dass Ihr Kind offen-      Nicht selten zeigt sich in einer Trennung
sichtlich keine Reaktion auf die Trennung       die erstmalige Chance, diese Beziehung
zu zeigen scheint.                              erst aufzubauen.

Sie haben selbstverständlich auch ein
wesentliches Recht, nämlich in dieser
Situation nicht alles allein lösen zu müssen.
Daher scheuen Sie sich nicht, sich von
Einrichtungen ein Stück durch die
Trennung begleiten zu lassen und Ihren
Kindern ebenfalls Unterstützung durch
professionelle Hilfestellungen angedeihen
zu lassen. So können sich beispielsweise
Kinder in speziellen Gruppen in einem
Rahmen abseits vom Alltag austauschen,
die Trennung spielerisch und altersadäquat
verarbeiten und für den Alltag wieder
neue Kraft schöpfen.

24
3. NEUORIENTIERUNG

                                                  3.6.1. Häufigkeit der Besuchskontakte:

                                                   Bei kleineren und Kleinstkindern ist es
                                                    wichtig, dass die persönlichen Kontakte
                                                    in engen Intervallen, jedoch von kürze-
                                                    rer Dauer sind, z.B. zwei Mal pro Woche
                                                    für zwei Stunden. Um Verlustängste und
                                                    Traumata zu vermeiden, sollen die
                                                    Kontakte in der Phase der Anbahnung
                                                    möglichst in einer vertrauten Umgebung
                                                    Ihres Kindes stattfinden.

                                                   Ab dem Kindergartenalter kann durch-
                                                    aus auch eine Übernachtung beim besu-
      BESUCHSRECHT
                                                    chenden Elternteil stattfinden.
      Wenn ein Elternteil und das (minder-
                                                    Voraussetzung dafür ist jedoch bereits
      jährige) Kind nicht im gemeinsamen
      Haushalt leben, so haben das Kind und
                                                    ein gelungener Beziehungsaufbau zwi-
      dieser Elternteil das Recht auf persönli-     schen besuchendem Elternteil und sei-
      chen Kontakt. Seit 15. Februar 2011 ist       nem Kind sowie ein inzwischen für das
      das Besuchsrecht als ausdrückliches           Kind vertrautes Wohnumfeld des besu-
      Kinderrecht in der österreichischen           chenden Elternteils. Wenn von Anfang
                                    1
      Bundesverfassung verankert .                  an eine sehr enge Bindung zu beiden
       Seit einer Gesetzesänderung 2001 ist        Eltern besteht, ist eine Übernachtung
      das Besuchsrecht nicht primär als Recht       auch schon zu einem früheren Zeitpunkt
      des Elternteils, sondern als Recht des        möglich.
      Kindes zu verstehen.
       Wie diese Kontakte organisiert wer-
                                                   Ab dem Schulalter finden Kontakte zwi-
      den, sollen die Eltern einvernehmlich
      regeln.                                       schen Kind und besuchendem Elternteil
       Wenn die Eltern sich nicht einigen          in vielen Fällen jedes zweite Wochen-
      können, muss das Gericht eine                 ende statt. Die Kinder bewegen sich
      Entscheidung treffen. Nur wenn das            wochentags oft in einem stark struktu-
      Wohl des Kindes bei der Ausübung              rierten Umfeld (Schule, Hobbies), sodass
      gefährdet ist, wird das Gericht das           jedem Elterteil die Möglichkeit geboten
      Besuchsrecht einschränken.                    werden soll, ein „freies“ Wochenende
       Kinder haben auch das – gegenüber           mit dem gemeinsamen Kind zu verbrin-
      den Eltern allerdings eingeschränkte –
                                                    gen. Zwischen den beiden Besuchswo-
      Recht auf persönlichen Kontakt zu ihren
                                                    chenenden sollte idealerweise zusätzlich
      Großeltern und anderen für sie wichtige
      nahe stehenden Personen.
                                                    ein regelmäßiger Halbtag eingeplant
                                                    werden, damit Ihr Kind die Möglichkeit
                                                    hat, auch Alltag wie Hausaufgaben etc.
1 Art. 2 d. BVG, BGBl. 4/2011

                                                                                         25
3. NEUORIENTIERUNG

  mit dem „besuchenden“ Elternteil zu             3.7. Besuchsbegleitung
  erleben. Spätestens ab Beginn der
  Pubertät ist beim Vereinbaren der               In den Zeiten nach der Scheidung ist die
  Kontakte Ihr Kind mit einzubeziehen.            Vereinbarung über die Besuchsregelung
  Vorher ist es primär Aufgabe der Eltern,        sehr oft spannungsgeladen – für Eltern
  diese im Einvernehmen festzulegen.              und Kinder. Daher gibt es die gesetzlich
                                                  verankerte Möglichkeit der „Besuchs-
                                                  begleitung“. Eine Besuchsbegleitung kann
     Kommentar: Die Häufigkeit der Besuchs-       auf Antrag durch Gerichtsbeschluss ange-
     kontakte richtet sich selbstverständlich     ordnet werden, wobei der/die Antrag-
     nach den jeweiligen Umständen. Sollte        steller/in eine geeignete und dazu bereite
     Ihnen aus privaten und/oder beruflichen
                                                  Person nennen muss. Die Aufgaben und
     Gründen oben geschilderte Häufigkeit
                                                  Befugnisse der Besuchsbegleiterin bzw. des
     nicht möglich sein, gibt es auch andere
     (kreative) Möglichkeiten, den Kontakt zu
                                                  Besuchsbegleiters müssen im Beschluss
     Ihrem Kind zu pflegen: sei es per Telefon,   zumindest in den Grundzügen festgelegt
     per Brief oder mail. Wichtig für das Kind    werden.
     ist, zu wissen, dass es sich
     auf Sie verlassen kann.                                     3.7.1. Wann ist Besuchs-
     Machen Sie daher keine                                      begleitung sinnvoll?
     Versprechungen, die Sie
     nicht halten können!                                         Besuchsbegleitung soll den
                                                                  Eltern die Möglichkeit
                                                                  geben, das Recht ihres
3.6.2. Kosten                                                     Kindes auf Kontakt zu bei-
                                                                  den Eltern zu gewährlei-
        Die Kosten, die im                                        sten, ohne Angst um das
        Zusammenhang mit                                          Kind selbst oder vor
       dem Besuchskontakt                                         Auseinandersetzungen mit
   anfallen, wie Fahrtkosten für Abholung         dem/der ehemaligen Partner/in zu haben.
und Zurückbringen etc., sind vom besu-            Besuchsbegleitung ist sinnvoll:
chenden Elternteil zu bezahlen, auch bei           bei Sorge um das Kind während des
Wohnort des Kindes oder des besuchen-               Besuchskontaktes
den Elternteils im Ausland. Natürlich kann         bei Erstkontakt nach längerem
auch anderes vereinbart werden.                     Kontaktabbruch
                                                   auf Wunsch des Kindes
                                                   bei Nichteinhaltung von Vereinbarungen
                                                   zur Erleichterung der „Übergabe“-
                                                    Situation und Begleitung des Kindes
                                                    vom Obsorge- zum Besuchselternteil
                                                    und umgekehrt

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