Eltern bleiben auf Lebenszeit - Ein Wegbegleiter durch Trennung und Scheidung
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Inhalt 1. PRÄVENTION – Selbstwert und 3. NEUORIENTIERUNG – Persönlichkeit von Kindern stärken 4 Der Alltag kehrt langsam zurück 22 1.1. „Du bist einzigartig! Du bist wertvoll“ 3.1. Zusammenarbeit als Elternteam 22 – Kindern Mut machen 4 3.2. Der Alltag mit Ihrem Kind 22 1.2. Konstruktiver Umgang 3.3. Die jeweilige Beziehung zwischen mit Konflikten 4 Mutter & Kind bzw. Vater & Kind 22 1.3. Trennungen begleiten das Leben 5 3.4. „Schlechter Expartner“ – 1.4. Rechte der Kinder 7 „guter Elternteil“ 23 1.5. Allgemeine Eltern-Kind-Rechte 3.5. Narben heilen lassen: was braucht und Pflichten 8 unser Kind? 23 3.6. Besuchskontakte 24 2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG – 3.7. Besuchsbegleitung 26 Wenn alles aus dem Ruder läuft 10 3.8. Konsequenzen bei Behinderung 2.1. Als Paar getrennt, jedoch Eltern und Nichteinhaltung des auf Lebenszeit 10 Besuchsrechts 27 2.2. Exkurs: Gemeinsame Obsorge 10 3.9. Mögliche Fallen auf dem Weg zu 2.3. Mediation 12 einem neuen Alltag 28 2.4. Was passiert, wenn es nicht 3.10. Wieder wird alles anders oder: klappt, sich zu einigen 13 die Patchworkfamilie 29 2.5. Exkurs: Gewalt, Missbrauch, Kindesentführung 15 Beratungsangebot 32 2.6. Trennung/Scheidung – Literaturauswahl 40 Krise und Chance 16 2.7. Wie geht es Kindern, wenn ihre Eltern sich trennen? 17 Wir verweisen in diesem Heft auf ergänzende Informationen, die Sie in der Broschüre „Gleiches Recht für beide“ erhalten (heraus- gegeben vom Büro für Frauenfragen und Chancengleichheit sowie dem Familienreferat des Landes Salzburg). Bestell-Telefon 0662/8042-4042 oder bff@salzburg.gv.at 2
VORWORT Trotz Trennung Eltern bleiben … Die vorliegende Broschüre möchte Ihnen daher ein Wegbegleiter sein, mit Infor- mation über Wünsche, Probleme und Sorgen der betroffenen Kinder sowie prak- tische Beispiele und Tipps, wie Sie Ihr Kind in diesen „stürmischen Zeiten“ entlasten können. Sie können selbst herausfinden, ob Sie auf dem richtigen Weg sind oder ob im Interesse Ihres Kindes eine Änderung notwendig ist. Wichtig ist, zu wissen, dass Sie nicht alles alleine bewältigen müssen, sondern dass es Beratungsangebote gibt, die Ihnen und Über ein Viertel aller Kinder im Bundes- den Kindern Unterstützung bei Fragen im land Salzburg sind in irgendeiner Form mit Zusammenhang mit Trennung/Scheidung einer sich verändernden Familiensituation anbieten. Scheuen Sie sich nicht, rechtzei- (Stief-, Alleinerzieherinnen-, Patchwork- tig diese Hilfe in Anspruch zu nehmen! Familie u.a.) konfrontiert. Für Kinder und Jugendliche bedeutet die Trennung der Eltern meist ein einschneidendes Erlebnis, Ihre auch wenn sie einvernehmlich erfolgt. Andrea Holz-Dahrenstaedt Oft ist es mit dem Verlust eines Elternteils Kinder- und Jugendanwältin (oder der Angst davor) verbunden. Kinder und Jugendliche brauchen trotz Trennung ihrer Eltern eine Beziehung zu beiden Elternteilen! – auch wenn gerade in Krisenzeiten die Bedürfnisse der Kinder von den Erwachsenen nicht immer leicht zu erkennen sind. 3
1. PRÄVENTION Selbstwert und Persönlichkeit von Kindern stärken 1.1. „Du bist einzigartig! Du bist Eine wertorientierte Erziehung fördert wertvoll!“ – Kindern Mut machen1 immer die Persönlichkeitsbildung – und dadurch auch die Standfestigkeit eines „Du wirst geliebt! Du bist wichtig! Du hast Kindes. Talente!“ – Für jedes Kind ist es sehr wich- tig, diese Botschaften zu erfahren, um ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln. 1.2. Konstruktiver Umgang Kinder, die mutig sind, die sich und ihr mit Konflikten Handeln als wertvoll erleben, bereichern nicht nur jede Familie, sie bereichern auch Konflikte sind im Zusammenleben in jede Gesellschaft. Gruppen, in der Familie, zwischen Partnern und auch Liebenden normal und alltäglich. Sie als Eltern können Kinder bei der Sie begleiten uns ein Leben lang. Konflikte Entwicklung eines gesunden entstehen immer dann, wenn einer etwas Selbstwertgefühls unterstützen, indem Sie will, was der andere nicht will, wenn man sie in fünf Bereichen unterstützen: verschiedener Meinung ist, wenn den Förderung von positiven Beziehungen Beteiligten unterschiedliche Dinge wichtig Sehen und Fördern der Kompetenzen sind. der Kinder Orientierung (Ziele und Werte) geben Vorbildwirkung ein „guter Mensch“ 1.2.1. Wie kann ich mit einem Konflikt zu sein umgehen? Vermittlung von Lebensfreude und Lebenslust Pokerstrategie Bei dieser Konfliktlösungsstrategie gibt es Diese Anregungen helfen Ihren Kindern Sieger und Verlierer. Einer setzt sich auf auch, konstruktiv mit Frustration, Ableh- Kosten der anderen Partei durch. Einer nung, Kritik und Einsamkeit umgehen zu „gewinnt“ – der andere gibt nach, geht lernen. Diese Bewältigungsstrategien sind dem „Sieger“ aus dem Weg, vermeidet für Kinder vor allem in belastenden Situa- das Thema, fühlt sich traurig/ zornig, sinnt tionen, wie sie zum Beispiel die Trennung auf Rache, etc. diese Strategie kann zu bzw. Scheidung der Eltern darstellt, tiefer Kränkung und Beziehungsabbruch wichtig. führen! 4
1. PRÄVENTION Problemlösungsstrategie ständig dabei sein sollten, wenn sich ande- Jeder Konflikt stellt ein Problem dar, das re streiten, zumal sie oft die Versöhnung grundsätzlich lösbar ist; eine gemeinsame nicht mitbekommen und so nur das Strei- Lösung bringt beiden Seiten Vorteile. ten lernen. Was ist hilfreich beim Lösen eines Konfliktes? 1.3. Trennungen begleiten das Leben Gegenseitige Achtung Suche nach einem gemeinsamen Nenner „Das Leben ist ein einziges Abschied- Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen fest- nehmen“, lautet ein altes Sprichwort. halten Von Geburt an kennzeichnen Trennungen Das Problem oder die Streitfrage neu und Abschiede die menschliche Entwick- formulieren lung: Tod eines geliebten Haustiers, Schul- Ein annehmbares Ergebnis für alle finden wechsel, zerbrochene Jugendfreundschaft, Alternativen bereit halten und flexibel Abschied vom Elternhaus … bleiben Positiv und offen für neue Ideen bleiben Trennungen und Verluste, auch alltägliche, Zuhören und den andern ausreden stellen für alle Menschen schmerzhafte lassen Erfahrungen dar. Sie sind life events, die Sich in den anderen hineinversetzen oft mit schweren seelischen Belastungen Gemeinsam das Problem lösen wollen verbunden sein können. Deshalb ist es Das Wort „aber“ aus dem Wortschatz besonders wichtig, Kinder in ihrer Tren- streichen nungs- und Trauerarbeit zu unterstützen. Wenn die geplante Vorgehensweise nicht funktioniert, dann etwas verändern Tief durchatmen 1.3.1. Abschied als Lebensthema „Wenn es um Verlust- und Trauererfah- 1.2.2. Lernen am Modell – rungen geht, sind Kinder auf die Hilfe von die Vorbildwirkung der Eltern Erwachsenen angewiesen. Doch dazu müssen die Erwachsenen selbst Wie kann man Kindern „fair mit Verlust und Trauer umge- streiten“ und Fertigkeiten der hen können“. 2 positiven Konfliktlösung nahe So hängt das Verhalten bringen? Ohne Zweifel ist das Erwachsener vor allem auch gute Beispiel der Eltern maß- von den eigenen kindlichen geblich. Kinder lernen durch Vorerfahrungen mit zusehen und nachahmen (Mo- Trennungen und Verlusten ab. delllernen). Es sollte allerdings klar sein, dass Kinder nicht 5
1. PRÄVENTION Manche Kinder wachsen mit der Botschaft 1.3.2. Wie kann ich mein Kind im Um- auf, dass die Welt ein gefährlicher Ort sei. gang mit Trauer & Verlust unterstützen? Sie werden darin geübt, ständig aufzupas- sen und auf der Hut zu sein, sich und Kinder brauchen Klarheit – auch, wenn andere zu kontrollieren, bestimmte Dinge es weh tut. Kinder wollen wissen, woran zu vermeiden oder andere auszuführen. sie sind und was sie zu verarbeiten haben. Daher ist es für Kinder wichtig, ihrem Alter Andere Kinder wachsen mit der Botschaft entsprechend ehrliche Informationen zu auf, dass die Welt ausschließlich ein bekommen. Für betroffene Kinder ist das freundlicher, schöner Ort sei. sehr befreiend und kann eventuell der Beide Botschaften sind nur ein Teil des Entwicklung von Schuldgefühlen vorbeu- Ganzen: Richtig ist vielmehr, dass gen. Frustration, Misserfolge, und eben auch Kein Kind ist schuld an der Trennung Einsamkeit, Kummer oder Abschieds- seiner Eltern. Die Verantwortung für schmerz als Herausforderungen die Trennung liegt NIEMALS bei zum Leben dazugehören, in den Kindern. denen persönliche „Zu erfahren, nicht für alles Wachstumschancen liegen. verantwortlich zu sein und Kinder, die neben einem daher auch nicht die Schuld Grundvertrauen in sich und zu tragen, ist für die Kinder die Welt dies nicht (auch) eine enorme Erleichterung gelernt haben, werden auf und kann dazu beitragen, Niederlagen oder schmerzhaf- sich von den Schuldgefühlen te Ereignisse, wie beispielsweise zu verabschieden und so die den Tod von Verwandten, die schwierige Lebenssituation besser zu Trennung der Eltern, den Wegzug eines meistern.“ 4 Freundes u.ä. mit größerem Unverständnis, Verständnis für die Reaktion der Kinder Rückzug, Vermeidung und Verdrängung auf Trennung und Verlust ist wichtig. reagieren als andere Kinder, da sie keine Kinder sollen ihre Gefühle nicht verstek- geeigneten Verarbeitungsmuster gelernt ken: Schmerz, Wut, Traurigkeit, Angst, haben. Diesen Kindern wurde von den Hoffnung etc., alle diese Gefühle sind in Erwachsenen (unbewusst) mitgegeben, Ordnung! dass man darüber nicht spricht und keine Für Erwachsene ist es oft schwer, auf Fragen stellen darf. diese Verhaltensweisen angemessen zu reagieren. Ein Kind braucht in dieser „Erwachsene tragen durch ihre Situation den Halt und die Sicherheit Haltung also maßgeblich dazu bei, von erwachsenen Bezugspersonen. ob ein Kind eine realistische Reden ist Gold. Eltern und Kinder reden Vorstellung von Abschied, Tod und am Tag weniger als eine halbe Stunde Trauer entwickeln und lernen kann, über Dinge, die über das Alltägliche hin- damit umzugehen“. 3 ausgehen. Hinhören und Miteinander 6
1. PRÄVENTION Reden ist jedoch von großer Bedeutung. Seelen. Denn ihre Seelen wohnen im Eltern sollen ihre Kinder ermutigen, auch Haus von morgen, das ihr nicht über ihre schlechten Erinnerungen zu besuchen könnt, nicht einmal in sprechen. Auf diese Weise werden sie euren Träumen.“ allmählich weniger belastend. (aus: Khalil Gibran, Der Prophet) Die Stärken der Kinder nicht außer Acht lassen. Erkennen und Fördern von Kom- Kinder als eigenstän- petenz, Eigenständigkeit und Selbstbe- dige (Rechts-)Persön- wusstsein. lichkeiten mit spezifi- Kinder brauchen die Gewissheit, dass schen Bedürfnissen sie sich nicht von einem Elternteil tren- und Rechten wahrzu- nen müssen, sondern dass ihnen beide nehmen – wie in die- trotz Trennung erhalten bleiben. sen Zeilen des libane- sischen Dichters TIPP: Eltern sind mit diesen Anfor- Khalil Gibran (1883 – derungen, gerade wenn sie selbst in 1931) so wunderbar einer schwierigen Trennungssituation ausgedrückt – ist stecken, oft überfordert. Um zu ver- auch das Anliegen hindern, dass diese Überforderung der UN-Kinder- zu Lasten des Kindes ausschlägt, rechtskonvention sollten sich Eltern nicht scheuen, (KRK) aus dem Jahr 1989. Diese UN- Hilfsangebote in Anspruch zu neh- Konvention gehört zu den zentralen men. Dokumenten des internationalen Menschenrechtschutzes 5. Sie beschreibt [siehe „Beratungsangebot“ am Ende der die elementaren Notwendigkeiten für eine Broschüre] menschenwürdige Kindheit in Form von Rechten. Ein Teil davon ist seit 15. Februar 6 2011 verfassungsrechtlich verankert . 1.4. Rechte der Kinder Das vorrangige Wohl des Kindes, regel- „Eure Kinder sind nicht eure Kinder. mäßige persönliche Kontakte sowie die ge- Sie sind die Söhne und Töchter der meinsame Verantwortung beider Elternteile Sehnsucht des Lebens nach sich sel- für Erziehung und Entwicklung des Kindes ber. Sie kommen durch euch, aber sind dort klar formuliert: nicht von euch. Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken. Denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren 7
1. PRÄVENTION erhaltungsfähigkeit gemeinsam und ein- Art. 3 KRK normiert, dass bei allen Maß- vernehmlich zu sorgen. nahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Die Obsorge umfasst Pflege und Erziehung, Einrichtungen der sozialen Fürsorge, gesetzliche Vertretung und Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Vermögensverwaltung Gesetzgebungsorganen getroffen wer- den, das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist. Pflege und Erziehung umfassen das kör- Gemäß Art. 9 KRK haben die Vertrags- perliche Wohl und die Gesundheit, die un- staaten sicherzustellen, dass ein Kind mittelbare Aufsicht, die Entfaltung der nicht gegen den Willen seiner Eltern von körperlichen, geistigen, seelischen und diesen getrennt wird. Ist das Kind von sittlichen Kräfte des Kindes, die Förderung einem oder beiden Elternteilen getrennt, seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen, muss das Recht des Kindes geachtet wer- Entwicklungsmöglichkeiten sowie seine den, regelmäßige persönliche Kontakte Ausbildung in Schule und Beruf. oder persönliche Beziehungen zu beiden Elternteilen pflegen zu können. Für die Erziehung und Entwicklung des Kindes Das Ausmaß der Pflege und Erziehung sind in erster Linie beide Elternteile richtet sich nach den Lebensverhältnissen gemeinsam verantwortlich. der Eltern. Die Obsorge darf nicht willkür- lich, sondern muss verantwortungsbewusst Diese Prinzipien liegen auch dem österrei- ausgeübt werden. Das minderjährige Kind chischen Recht zugrunde. In Art 2 (1) BVG hat zwar die Anordnungen der Eltern zu über die Rechte von Kindern heißt es: befolgen, jedoch haben diese bei deren Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige Durchsetzung auf das Alter, die Entwick- persönliche Beziehungen und direkte lung und die Persönlichkeit des Kindes Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei Bedacht zu nehmen. Die Anwendung von denn, dies steht seinem Wohl entgegen. Gewalt und die Zufügung körperlichen oder seelischen Leides sind verboten. Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten 1.5. Allgemeine Eltern-Kind-Rechte das „Kindeswohl“, haben das Jugendamt und Pflichten und das Gericht die zur Sicherung des Grundsätzlich haben die Eltern für das Kindeswohls notwendigen Verfügungen zu Wohlergehen ihres minderjährigen Kindes treffen. bis zur Volljährigkeit bzw. bis zur Selbst- E R L Ä U T E R U N G E N K A P. 1 1 Auszug des Buches von B. Hadinger, Mut zum Leben machen. 5 Die KRK ist ein internationaler Vertrag, den die meisten Selbstwertgefühl und Persönlichkeit von Kindern und Jugend- Staaten der Welt ratifiziert haben. Nur die USA und Somalia lichen stärken. haben das bisher nicht getan. Damit gehört die KRK zu den am 2 Hammerschmied, Peter: Kindergarten heute 11-12/99 S.7 weitesten anerkannten internationalen Verträgen. In Österreich ist die KRK 1992 in Kraft getreten. 3 Hammerschmied, Peter: Kindergarten heute 11-12/99 S.12 6 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, BGBl. 4 Methodenkompendium Rainbows Österreich/Teil 1, S. 273 4/2011 8
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG Wenn alles aus dem Ruder läuft 2.1. Als Paar getrennt, jedoch Eltern Gemeinsame Obsorge bedeutet, dass nach auf Lebenszeit einer Scheidung die Obsorge beider Eltern- teile bestehen bleibt. D.h. grundsätzlich Ihr Anliegen als Eltern(teil) wird es sein, hat jeder Elternteil die gesamte Obsorge – dass Ihr Kind so wenig wie möglich unter wie bei aufrechter Ehe. Jeder für sich ist für der Trennung leidet. Sie können ihm dabei alle Teilbereiche der Obsorge (Maßnahmen helfen, indem Sie als Mutter und Vater der Pflege und Erziehung, gesetzliche Ver- beide weiterhin verfügbar bleiben. Ihr Kind tretung und Vermögensverwaltung) hat ein Recht auf beide Eltern – für das zuständig. Es kann also jeder Elternteil psychische Wohl, das eigene Selbstwert- allein für das Kind handeln und dieses, gefühl und eine gelungene etwa in Reisepass- oder Entwicklung. Schulangelegenheiten, auch Wenn es Ihnen nicht ge- allein wirksam vertreten. Für lingt, eine gemeinsame bestimmte Angelegenhei- Gesprächsbasis zu finden – ten, wie z.B. für die vorzeiti- und dies ist oft besonders ge Lösung eines Lehrver- in der Anfangszeit schwie- trages, ist jedoch immer rig – sollten Sie rechtzeitig (auch bei aufrechter Ehe) Hilfe von außen beiziehen. die Zustimmung beider obsorgeberechtigter Elternteile notwendig. 2.2. EXKURS: Gemeinsame Obsorge 2.2.1. Was bedeutet die gemeinsame Obsorge im Zusammenhang mit einer Diesem Grundbedürfnis des Kindes nach Einvernehmlichen Scheidung? Kontakt zu beiden Eltern entsprechend wurde 2001 das neue Gesetz zur „gemein- Wollen die Eltern eine gemeinsame Ob- samen Obsorge“ in Kraft gesetzt. In die- sorge im Rahmen der einvernehmlichen sem Zusammenhang können viele Fragen Scheidung, so müssen sie dem Gericht eine auftreten, die wir hier beantworten wollen. Vereinbarung vorlegen. Dazu müssen sie Natürlich kann diese Fragensammlung eine sich einigen, bei welchem Elternteil das spezielle Information zu Ihrer Situation Kind in Zukunft hauptsächlich leben soll nicht ersetzen! (sog. „Heim erster Ordnung“). 10
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG Den anderen Elternteil trifft die Verpflich- 2.2.2. Gibt es auch bei Lebensgefährten tung zur Zahlung von Unterhalt. Können oder bei Trennung ohne Scheidung eine sich die Eltern nicht einigen, wird die ein- gemeinsame Obsorge? vernehmliche Scheidung abgelehnt. Auch bei Lebensgefährten, die die gemein- Es ist jedoch auch möglich, dem Gericht same Obsorge gerichtlich vereinbart hat- eine Vereinbarung vorzulegen, wonach ten (ansonsten ist für ein uneheliches Kind einem Elternteil die Obsorge nur in be- die Mutter mit der alleinigen Obsorge stimmten Angelegenheiten (eingeschränkt betraut), bleibt diese nach einer Trennung z.B. auf Vermögensverwaltung) zukommen aufrecht. Bei Ehepaaren, die sich auf Dauer soll. Der Elternteil, bei dem sich das Kind trennen, ohne sich scheiden zu lassen, hauptsächlich aufhalten soll, muss aber bleibt ebenfalls die gemeinsame Obsorge immer mit der gesamten Obsorge betraut aufrecht. sein! Das Pflegschaftsgericht wird eine Vereinbarung nur dann genehmigen, wenn 2.2.3. Ist die alleinige Obsorge eines sie dem Wohl des Kindes entspricht. Elternteiles trotzdem noch möglich? Sind sich die Eltern einig, dass die Obsorge Unterhalt: Beide Elternteile sind, bis sich nach der Scheidung dem Vater oder der ihr Kind selbst erhalten kann, unterhalts- Mutter allein zustehen soll, können sie pflichtig. Dies ist völlig unabhängig dem Gericht ebenfalls eine derartige Ver- davon, ob die Eltern die Obsorge inne- einbarung vorlegen. haben oder nicht. Der Elternteil, bei dem das Kind lebt, leistet seinen Unterhalt dadurch, dass er/sie den Haushalt führt 2.2.4. Kann die gemeinsame Obsorge und das Kind betreut. Lebt das Kind bei auch wieder aufgehoben werden? keinem der beiden Elternteile, so sind sowohl Vater als auch Mutter unterhalts- Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die pflichtig. Besuchskontakte stehen mit der gemeinsame Obsorge nicht funktioniert, Unterhaltspflicht in keinerlei Zusammen- kann ein Elternteil die Aufhebung dieser hang. Obsorgeregelung beantragen. Das Gericht Die Höhe der Unterhaltspflicht richtet muss zunächst versuchen, eine gütliche sich nach dem Einkommen der Eltern und Einigung der Eltern herbeizuführen – beispielsweise bei eigenem Einkommen (Stichwort: Mediation), ansonsten wird während der Lehre – des Kindes. Genaue nach Maßgabe des Kindeswohls ein Details dazu erfahren Sie bei den Pfleg- schaftsgerichten oder bei der Jugend- Elternteil allein mit der Obsorge betraut. wohlfahrt der jeweiligen Bezirksverwal- tungsbehörde. siehe Broschüre „Gleiches Recht für beide“, Kapitel 7.1 Unterhalt nach Scheidung 11
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG 2.2.5. Welche Rechte hat der nicht mit 2.3. Mediation der Obsorge betraute Elternteil? In der Mediation geht es nicht darum, ob Jener Elternteil, der nicht mit der Obsorge es einen Streit oder Konflikt geben darf, betraut ist, hat neben dem Besuchsrecht auch nicht um deren Vermeidung oder wer (siehe dazu ausführlich Kapitel 3.6) auch „Recht“ hat, sondern darum, wie verhan- das Recht, von wichtigen Angelegenheiten delt wird. Mediation ist gerade im Hinblick (wie Schulwechsel, Krankenhausaufent- auf gemeinsame Kinder eine anzuratende halte etc.) rechtzeitig verständigt zu wer- Alternative zum strittigen Gerichtsverfah- den und sich dazu zu äußern. ren. Dadurch können Belastungen für die Kinder, wie sie durch lange Verfah- Kommentar: Eine gemeinsa- rensdauer, psychologische me Obsorge ist natürlich kein Begutachtung und einen Ruhepolster. Es erfordert oft möglichen Beziehungsabbruch sehr viel Kraft, sich ständig in zum anderen Elternteil entste- gütlicher Form mit dem/der hen können, vermieden wer- Ex-PartnerIn auseinanderzu- setzen, gemeinsam zu planen den. und zu beschließen. Unabhängig von der rechtli- chen Konstruktion ist es für 2.3.1. Was ist Mediation? das Kind enorm wichtig, Sie beide als Eltern zu behalten. Es soll spü- Mediation bedeutet Streitschlichtung mit- ren, dass Sie beide es lieben. Dies ist hilfe von allparteilichen neutralen Dritten, wichtig, um Vertrauen zu sich selbst und die von beiden Konfliktparteien akzeptiert anderen zu entwickeln. Wenn Sie in der werden. Die Konfliktparteien sollen befä- Betreuung und Erziehung als Eltern nicht higt werden, die eigenen Gefühle und gegeneinander, sondern miteinander Bedürfnisse zu erkennen und auszudrük- handeln, ersparen Sie ihrem Kind den Konflikt, für einen Elternteil Partei ergrei- ken und die der anderen Seite zu verste- fen bzw. einen Elternteil ablehnen zu hen. Ziel ist, gemeinsam eine einvernehm- müssen. Es darf beide lieben! liche und faire Lösung zu finden, ohne Sieger und Verlierer. Die Teilnahme an der Mediation ist grundsätzlich für alle ΩS i e h e a u c h B r o s c h ü r e „ G l e i c h e s R e c h t f ü r Beteiligten freiwillig. beide“, Punkt 6.4 „Einvernehmliche Scheidung – §55a Ehegesetz“ sowie Punkt 7.5 „Scheidungsfolgen für Kinder“. 12
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG 2.3.2. Wer führt Mediationen durch? Die aktuellen Tarifsätze sowie eingetra- gene FamilienmediatorInnnen finden Sie Mediation wird grundsätzlich in interdiszi- unter www.bmwfj.gv.at Familie plinären Zweierteams durchgeführt (Co- Trennung und Scheidung Mediation Mediation). Diese bestehen aus zwei quali- fizierten Fachleuten mit juristischer bzw. [ We i t e r e K o n t a k t e s i e h e B e r a t u n g s a n g e b o t ] psychosozial-therapeutischer Grundaus- We i t e r e I n f o s s i e h e a u c h B r o s c h ü r e bildung. Darüberhinaus verfügen sie über „Gleiches Recht für beide“, Punkt 5 „Mediation“ eine fundierte Mediationsausbildung und unterliegen der „absoluten“ Verschwie- genheitspflicht. 2.3.3. Was kostet Mediation? Eine Mediationsstunde kostet der- zeit € 182,– pro Mediatorenteam. Je nach Höhe des Familieneinkommens und der Anzahl der unterhaltspflichtigen Kinder gewährt das Ministerium einen Zuschuss bzw. muss ein Selbstbehalt gelei- stet werden. Nach Vorlage von Lohnbe- stätigung etc. wickeln die MediatorInnen den Zuschuss direkt mit dem Ministerium ab. Eine Förderung kann nur für in der 2.4. Was passiert, wenn es nicht klappt, Liste des Ministeriums eingetragene sich zu einigen … MediatorInnen in Anspruch genommen werden. Mögliche Nachteile einer Nichteinigung sind neben einer erheblich längeren Ver- Jede positive Regelung mit dem anderen fahrensdauer und höheren Kosten auch Elternteil hilft letztendlich Ihrem Kind. eine größere Belastung der Kinder. Durch Auch wenn es oft für Sie schwer sein eine mehrmalige Befragung während des wird, mit den eigenen Verlusterfahrungen Verfahrens und eventuell eine psychologi- oder Kränkungen, die Sie durch Ihre(n) sche Begutachtung geraten Kinder immer PartnerIn erfahren haben, umzugehen, mehr in den oben näher beschriebenen sollten Sie sich im Interesse Ihres Kindes Loyalitätskonflikt. um diese Einigung bemühen. 13
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG Können Sie sich als Eltern nicht über die gemeinsame oder die alleinige Obsorge Rechte der Kinder im Obsorgeverfahren eines Elternteils einigen: • Grundsätzlich sind Minderjährige im Hat das örtlich zuständige Pflegschafts- Verfahren persönlich zu hören • Kinder unter 10 Jahren können auch gericht von Amts wegen oder auf von anderen geeigneten Personen (z.B. Antrag zu entscheiden. Vor der Entscheidung muss das Gericht durch das Jugendamt) befragt werden • Kinder über 10 Jahren sind grundsätz- jedoch versuchen, eine gütliche Einigung lich vom Gericht anzuhören z.B. durch Mediation herbeizuführen. Scheitert auch diese, hat das Gericht • Jugendliche über 14 können selb- ständig vor Gericht handeln, haben einen der Elternteile mit der alleinigen also Parteistellung und können selbst Obsorge zu betrauen. Anträge stellen. Das Gericht kann bis zur endgültigen Entscheidung (um noch Gutachten ab- zuwarten oder ähnliches) die Obsorge 2.4.1. Verfahrenshilfe auch vorläufig einräumen. Die Entscheidung des Gerichts über die Grundsätzlich können mündige Minder- Obsorge kann auf Antrag oder von jährige einen Antrag auf Verfahrenshilfe Amts wegen abgeändert werden, wenn stellen. Sofern die Beigebung eines Rechts- sich die Umstände ändern. anwalts (wie beispielsweise im Rechtsmit- telverfahren) oder ein Sachverständigen- Das Gericht hat sich in seiner Entscheidung gutachten notwendig ist, werden die am Kindeswohl zu orientieren. In der Regel Kosten von öffentlicher Hand über- führt das Pflegschaftsgericht durch das nommen. Jugendamt Erhebungen über die familiären Siehe Broschüre „Gleiches Recht für Verhältnisse durch. Reichen diese Berichte beide“, Punkt 6.6 „Kosten einer Scheidung“ nicht aus, wird das Gericht zusätzlich ein Gutachten eines psychologischen oder 2.4.2. Kinderbeistand psychiatrischen Sachverständigen in Auftrag geben. Bei der Entscheidung hat Kinder bis 14 Jahren (in Ausnahmefällen das Gericht in einer Gesamtschau die Kinder bis 16 Jahren), die von einer stritti- Situation zu beurteilen. gen Scheidung der Eltern betroffen sind, können seit 1.7.2010 eine Unterstützung durch einen sogenannten Kinderbeistand erhalten. Diese psycho-sozial geschulten BegleiterInnen vertreten die Interessen und Wünsche der Kinder. Sie sind Sprachrohr, ÜbersetzerInnen und Vertraute für das Kind. Eine Bestellung erfolgt durch das Gericht. Die Aufgaben eines 14
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG Kinderbeistands erlöschen grundsätzlich Nicht ausreichend für eine Entziehung mit der rechtskräftigen Erledigung der wäre beispielsweise, wenn das Kind dem Sache. Die Begleitung durch einen Besuchsberechtigten gegenüber eine Kinderbeistand kostet € 400,– je Elternteil ängstliche Reaktion zeigt oder diesen für die ersten 6 Monate, € 250,– je ablehnt. Das Gericht geht davon aus, dass Elternteil für weitere 6 Monate. Für die das Kind ausreichenden Kontakt zu beiden Parteien besteht die Möglichkeit, Elternteilen benötigt und der erziehende Verfahrenshilfe zu beantragen. Elternteil auf eine störungsfreie Ausübung Weitere Infos finden Sie unter des Besuchsrechts hinzuwirken hat. www.jba.gv.at/?kinderbeistand Konkret heißt dies, dass es Aufgabe des erziehenden Elternteils ist, dem Kind die Angst zu nehmen und auf den Kontakt 2.5. EXKURS: Gewalt, Missbrauch, positiv vorzubereiten. Kindesentführung Ein Entziehungsantrag sollte nur dann Besteht berechtigte Sorge, dass dem Kind gestellt werden, wenn wirklich massive während des persönlichen Bedenken gegen einen Kontakts mit einem (Besuchs-)Kontakt beste- Elternteil Gefahr droht, wie hen. Vor einer solchen weit- beispielsweise körperliche reichenden Entscheidung oder psychische Gewalt, werden oftmals Sach- Missbrauch oder verständigengutachten ein- Entführung, dann müssen geholt, die ebenfalls eine natürlich Sicherheitsvor- Belastung für das Kind dar- kehrungen zum Schutz des stellen. Kindes getroffen werden. Sollte eine strafbare Handlung gegen das Kind 2.5.1. Entziehung oder vorliegen, ist natürlich auch Einschränkung des die Einleitung eines Strafverfahrens in Besuchsrechts/Obsorge Erwägung zu ziehen. Eine Möglichkeit ist die (vorläufige) Ent- TIPP: Anzuraten ist eine umfassende ziehung des Besuchsrechts/Obsorge. Eine Beratung, um die jeweils beste gerichtliche Entziehung kommt jedoch nur Lösung für ihr Kind zu finden. dann in Frage, wenn das Kindeswohl durch den (Besuchs-)Kontakt gefährdet würde. 2.5.2. Geschützte Besuchskontakte Beispiele dafür sind grob mangelhafte Betreuung, erhebliche seelische Irritation Die andere Möglichkeit ist die Sicher- oder körperlicher Schaden. stellung, dass das Kind während des Besuchskontakts ausreichend geschützt ist. 15
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG Dazu gibt es sogenannte „geschützte TIPP: In diesem Fall wenden Sie sich Besuchskontakte”. In einer entsprechen- umgehend an das zuständige den Institution wird der Besuchskontakt Familiengericht und Jugendamt mithilfe von ausgebildetem Fachpersonal (siehe Adressteil) vorbereitet, angeleitet und begleitet. Die Intensität der begleitenden Betreuung rich- We i t e r e I n f o s d a z u a u c h i n d e r B r o s c h ü r e „Gleiches Recht für beide“, Kapitel 5.2. tet sich nach der jeweiligen Gefährdungssituation und Beziehungs- konstellation. Der Vorteil von solchen ge- 2.6. Trennung/Scheidung – schützten Besuchskontakten besteht darin, Krise und Chance dass es zu keinem Kontaktabbruch kom- men muss, sondern möglicherweise ein Im Laufe Ihrer Trennung/Scheidung sind sinnvoller Übergang – bis sich die kritische Sie wahrscheinlich einer Flut von Emotio- Situation beruhigt hat – geschaffen wer- nen (Wut, Verzweiflung, Schuldgefühle, den kann. Einsamkeit …) ausgesetzt. Diese Gefühle sind Teil eines natürlichen TIPP: siehe dazu Angebote im Verarbeitungsprozesses, in dem es darum Adressteil „Für Kinder“: geht, den Verlust eines früher und mögli- Kinderbrücke, Kinderschutz- cherweise noch immer geliebten Partners Zentrum, KOKO und Rainbows zu bewältigen. Jede/r erlebt die einzelnen Phasen in ihrer Intensität und Dauer ver- 2.5.3. Kindesentführung schieden. Dennoch lassen sich im Prozessverlauf Wenn eine solche droht, ist es unter Um- einige typische Verhaltensweisen und ständen sinnvoll zu verlangen, dass der Muster erkennen: Reisepass, in dem das Kind eingetragen ist, 1. In der ersten Phase findet oft ein beim zuständigen Bezirksgericht hinterlegt „Nicht-wahrhaben-wollen“ bzw. eine werden muss. Im Falle des Falles kommt Verleugnung statt, man ist schockiert, das Haager Minderjährigenschutz- fassungslos, wie betäubt. abkommen zur Anwendung. Eine Kindes- 2. Mit dem Anerkennen der Trennungs- entführung liegt nach diesem Abkommen realität in der zweiten Phase werden vor, wenn ein (wenn auch obsorgeberech- Aggressionen freigesetzt, diese Zeit ist tigter) Elternteil das Kind ohne Zustim- voller Orientierungslosigkeit und mung des anderen obsorgeberechtigten Stimmungsschwankungen. Gefühle der Elternteiles aus dem gewöhnlichen Lebens- Verzweiflung, Wut, Angst, Schuld und umfeld (= der letzte gemeinsame Aufent- Selbstzweifel wechseln einander ab. haltsort) in ein anderes Land verbringt. 3. In einem weiteren Schritt kommt es zu einer Akzeptanz des Verlustes, erst dann eröffnet sich die Möglichkeit für einen konstruktiven Neubeginn. 16
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG 4. Es findet eine Neuorientierung statt und sich mit der Trennungssituation auseinan- schließlich die Erarbeitung eines neuen derzusetzen und ein Klima zu schaffen, in Lebenskonzeptes. dem sinnvolle, gemeinsame Lösungen möglich werden. So kann Trennung und Mangelnde Auseinandersetzung mit den Scheidung für Sie zu einer Chance für eigenen Gefühlen und fehlende Bezie- Wachstum und Entwicklung werden. hungsklärung belasten nicht nur die seeli- sche und körperliche Gesundheit beider Partner, sondern auch das weitere 2.7. Wie geht es Kindern, wenn ihre Trennungsgeschehen. Im Verlauf Eltern sich trennen? der Trennung kann es zu gegen- seitigen Schuldzuweisungen, Vielleicht denken Sie, dass Rachehandlungen („er/sie Ihr Kind (noch) nicht soll büßen, was er/sie mir Bescheid weiß, weil Sie angetan hat!“) und zum über Ihre Entscheidung „Kampf ums Kind“ kom- nicht gesprochen haben. men. Dazu können unter- Aber Kinder haben eine schiedliche „typisch“ weibli- sehr feine Wahrnehmung, che oder männliche was die Stimmung in der Reaktions- oder Familienmuster Familie betrifft. Sie spüren, dass (z.B. schnelle Tröstung in einer etwas Entscheidendes in der Luft neuen Beziehung, Opferrolle, selbst- oder liegt. Daher ist es für Kinder wichtig, ihrem fremdzerstörerisches Verhalten) sowie die Alter entsprechend Informationen zu Einbeziehung des gesamten Familien- und bekommen. Sie haben ein Recht darauf. Freundessystems als Verbündete gegen den/die „schuldige/n Ex“ erschwerend Wenn Kinder nicht informiert werden, sind wirken. Die Konflikte werden dann häufig sie auf ihre Phantasien angewiesen und auf der Ebene von Rechtsansprüchen vor diese machen ihnen vielleicht mehr Angst Gericht ausgetragen. als die Wirklichkeit. Beim Gespräch mit Ihren Kindern kommt es nicht darauf an, Partner, die diese zum Teil unbewusst ab- dass Kinder Einzelheiten Ihrer Version der laufenden Prozesse inklusive der eigenen Trennung erfahren. Sie sollen wissen, dass Anteile nicht wahrnehmen wollen, laufen sich zwar die Eltern trennen, aber dass sie Gefahr, in ihren Aggressionen gegen sich auch künftig die Möglichkeit haben, mit und die andere Person stecken zu bleiben. beiden Eltern in Kontakt zu sein und Diese Form der Auseinandersetzung wirkt Fragen stellen zu können. Stellen Sie klar, sich jedoch auf die Seele der Kinder beson- dass dieser Schritt alleine in Ihrer ders belastend aus. Verantwortung liegt und nicht Sache der Kinder ist, sowie keinesfalls vom Verhalten Deshalb ist es für alle Beteiligten wichtig, der Kinder abhängig ist. 17
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG Erklären Sie Ihrem Kind, was in Zukunft Reaktionen auf elterliche Scheidung liegen anders sein wird (z.B. dass der Papa oder jedoch im Bereich des „Normalen“ und die Mama nicht mehr zu Hause wohnen sind daher Ausdruck dafür, dass sich wird; die Art und das Ausmaß des Kinder bemühen, mit der veränderten Kontaktes mit dem Elternteil, der nicht Familiensituation fertig zu werden und das mehr zuhause wohnen wird) und sprechen Verlusterlebnis zu überwinden. Sie auch über das, was sich nicht verän- Jedes Kind ist einmalig und jede Familie, dern wird (z.B. Kindergarten, Schule, die Scheidung bzw. Trennung bewältigen Freunde usw.). Fragen Sie Ihre Kinder auch muss, hat ihre Geschichte mit schönen, nach den momentanen Gefühlen, ihren aber auch unerfreulichen Kapiteln. Ihr Kind Wünschen der Mutter und dem Vater wird also in seiner Umwelt auf seine per- gegenüber und nach ihren größten sönliche Weise reagieren. Trotz der indivi- Befürchtungen. duellen Unterschiede gibt es alterstypische Reaktionen, die bei vielen Kindern zu bemerken sind: Wenn es Ihnen möglich ist, führen Sie das Gespräch als Eltern gemeinsam. Sehr kleine Kinder sind irritiert und rea- So können Kinder erleben, dass die Eltern gieren häufig mit Angstzuständen, beson- gemeinsam Sorge tragen. derer Anhänglichkeit, Trotz und Schlaf- störungen. Auch Rückschritte in der Entwicklung sind möglich (z.B. Einnässen, 2.7.1. Mögliche Reaktionen und auch wenn das schon längere Zeit nicht Verhaltensweisen der Kinder mehr vorgekommen ist). Der erste Schritt ist getan: Eine kindge- rechte Erklärung der Situation. Nun be- ginnt die Auseinandersetzung der Kinder mit der Situation. Immerhin bricht für die meisten Kinder eine Welt – ihre bisherige Familienwelt – zusammen. Darauf reagie- ren Kinder, je nach Alter und ihrem Wesen entsprechend, ganz unterschiedlich. Da Reaktionen und Auffälligkeiten der Kinder oft erst in größerem Abstand nach der tatsächlichen Scheidung auftauchen oder sich verstärken, werden sie oft als Kinder im Alter zwischen 3 1/2 und 5 Versagen des allein erziehenden Elternteils Jahren zeigen vor allem Symptome wie gedeutet oder auf den Kontakt des Kindes Aggression oder Angst vor Aggression. mit dem außer Haus lebenden Elternteil Ihr Vertrauen in die Zuverlässigkeit zurückgeführt. Die meisten kindlichen menschlicher Beziehungen scheint zutiefst 18
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG erschüttert. Empfindungen des Verlassen- als Bedrohung ihrer eigenen Existenz. seins und der Trauer sind deutlich wahr- Kinder in diesem Alter sind noch nicht in nehmbar. Sie bemühen sich, die Verän- der Lage zu verstehen, dass sich Erwach- derung der Beziehung ihrer Eltern zu sene auch übereinstimmend trennen kön- erfassen und bringen ihr Verlangen nach nen. Sie geben daher einem Elternteil die dem abwesenden Elternteil deutlich zum Schuld und glauben beispielsweise, dass Ausdruck. Da sich die Kinder in diesem ein Elternteil die Familie verlässt, weil er Alter noch als Mittelpunkt der Welt erle- auf den anderen „böse“ ist oder wegge- ben, kommt es häufig vor, dass sie die schickt worden ist. Kinder haben Angst, Schuld für das Weggehen eines Elternteils auch weggeschickt zu werden, und ent- bei sich selbst suchen. wickeln Aggressionen entweder gegen den anwesenden oder den abwesenden Eltern- Mit Beginn des Schulalters können teil. Ihre Liebe gilt grundsätzlich beiden Kinder die Trennung der Eltern besser ver- Eltern, sie können die sich widersprechen- stehen und einordnen. Ihre Gefühle der den Gefühle den Eltern gegenüber nicht in Trauer und der Wunsch, dass der wegge- Einklang bringen. zogene Elternteil wieder zurückkommt, werden ausgedrückt. Die Kinder erleben Bei Kindern im Alter von 9 bis 12 Familie noch sehr konkret als Zusammen- Jahren ist zu beobachten, dass sie die leben unter einem Dach und können sich Konflikte in der Familie erkennen und Familienbeziehungen in geänderter Form damit umgehen lernen. Sie beschreiben die noch nicht vorstellen. Manche Kinder Familiensituation oft mit erstaunlicher schämen sich auch vor ihren FreundInnen Nüchternheit. Neben Ängsten vor einer und MitschülerInnen wegen ihrer anderen ungewissen Zukunft kommt es auch vor, Familiensituation. Dass es unter diesen dass sie sich für das Verhalten der Eltern Umständen zu einem Leistungsabfall in der schämen. Sie machen sich Sorgen um die Schule kommen kann, ist naheliegend. Eltern und sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, die für Kinder in diesem Bei Kindern zwischen 7 und 8 Jahren Alter eigentlich zu groß ist. So besteht die zeigt sich häufig als erste Reaktion auf die Gefahr, dass dadurch die Kontakte zu Scheidung lang anhaltende Traurigkeit. Die Gleichaltrigen und die kindlichen Kinder erleben die Auflösung der Familie Bedürfnisse zu kurz kommen. „Es fing alles ganz harmlos an. Als ich in der Früh aufwachte und zu meiner Mama in das Nebenzimmer ging, war meine Mama schon wach. Das war nicht weiter schlimm, doch irgendwie spürte ich, dass da etwas in der Luft war. Nun ja, ich legte mich neben sie ins Bett und wartete. Ich brauchte nicht lange zu warten, denn meine Mutter sagte gleich, dass sie und Papa sich scheiden lassen. Heute finde ich mich damit ab. Meinen Papa sehe ich nun am Montag und am Dienstag.“ (Anna, 8 Jahre) 19
2. KONFLIKT/KRISE/TRENNUNG „Eines Tages, als ich in der Küche saß, kam mein Vater. Er setzte sich neben mich und sagte: „Ich werde umziehen.“ Einen Moment lang starrte ich ihn an, bis ich fragte: „Warum denn das?“ Er atmete einmal ein und dann aus. Dann sagte er: „Weil ich mit deiner Mutter dauernd streite!“ Ich fing an zu weinen. Dann stand ich mit meinem Vater auf und ging ins Wohnzimmer. Dort saß meine Schwester. Er sagte zu ihr das Gleiche, aber sie fand es nicht zum Weinen. Genauso wie meine anderen zwei Schwestern. Kurz darauf zog mein Vater nach Wien. Ich konnte und kann ihn dort besuchen.“ (Michi, 6 Jahre) Kinder und Jugendliche im weisen nicht als „störend“ Alter von 13 bis 18 Jahren empfunden werden, werden reagieren auf die Scheidung sie auch leichter übersehen. oft mit überraschender Mädchen werden häufig Heftigkeit (Zorn, Schmerz, auch die Vertrauten ihrer Enttäuschung, Vorwürfe an Mütter, und Buben überneh- die Eltern). Sie verunsichern men manchmal die Rolle des die Erwachsenen häufig mit Vaters. Damit verhalten sie sich widersprüchlichen Aussagen und dementsprechend „vernünftig“ und Handlungen. In diese Zeit fällt auch die sind vielfach überfordert. Loslösung von der Familie. Das Erleben der Scheidung kann dazu führen, dass die Ablösung schwer gelingt, weil die Kinder Kommentar: Wir haben Ihnen als Eltern zu sehr in die Familienproblematik verwik- die möglichen Reaktionen und Verhal- kelt sind, oder es passiert auch, dass sich tensweisen Ihrer Kinder aufgezeigt. Wir haben das so ausführlich getan, nicht um Jugendliche überstürzt und konfliktreich Ihnen weitere Sorgen zu machen, son- von der Familie zu lösen versuchen. dern um Sie zu entlasten! Wenn Sie auf Sie beschäftigen sich viel mit der Vor- mögliche Verhaltensweisen Ihrer Kinder stellung über die Gestaltung der eigenen vorbereitet sind, ist es leichter, sie als Beziehungen und versuchen, es „besser“ Ausdruck der Bewältigung zu verstehen zu machen. und Ihren Kindern Stütze zu sein. Neben den altersspezifischen Reaktionen gibt es noch geschlechts- spezifische Reaktionen. Buben drücken ihre Gefühle der Angst und Hilflosigkeit eher aggressiv oder durch Verhaltens- auffälligkeiten aus; Mädchen hingegen reagieren oft mit Rückzug und großer Angepasstheit. Da angepasste Verhaltens- 20
comisch? 21
3. NEUORIENTIERUNG Der Alltag kehrt langsam zurück 3.1. Zusammenarbeit als Elternteam 3.2. Der Alltag mit Ihrem Kind Alte Strukturen und Gewohnheiten, die Nicht als Expartner, sondern als Mutter Sicherheit vermittelt haben, gibt es nicht und Vater – sprich als „Elternteam“ – mehr. Das eingespielte Miteinander inner- tragen Sie weiterhin die Verantwortung für halb und außerhalb der Familie ist in das Wohlergehen Ihres Kindes. Da Sie nun „Unordnung“ geraten. Alle Familienmit- nicht mehr gemeinsam in einem Haushalt glieder sind dazu gezwungen, sich umzu- leben, müssen neue Formen der Aufga- orientieren. Damit „Neues“ entstehen benteilung gefunden werden. Besprechen kann, muss allerdings erst „Altes“ aufge- Sie als Eltern, welche Versorgungsleistung arbeitet werden. Ihres Kindes der Elternteil, der nicht mehr zu Hause wohnt, weiterhin übernehmen kann. Sondieren Sie innerhalb der Familie sowie bei professionellen Einrichtungen in Ihrer Umgebung, wer ebenfalls noch die Betreuung Ihres Kindes mit übernehmen kann, betrachten Sie jedoch stets den anderen Elternteil als erste Option. 3.3. Die jeweilige Beziehung zwischen Dieser Prozess der klaren Neugestaltung Mutter & Kind bzw. Vater & Kind der Beziehungen innerhalb und außerhalb der Familie kann länger dauern. Wichtig ist Halten Sie sich immer gegenwärtig, dass aber, dass Sie sich die Zeit nehmen, damit eine Frau und ein Mann sich getrennt ha- Sie, Ihr/e ExpartnerIn und Ihr Kind in die ben. Ein Kind trennt sich niemals freiwillig neue Situation hinein wachsen können. auch nur von einem Elternteil, wenn es Diese Zeit soll auch unbedingt dazu sich von ihm geliebt fühlt. genutzt werden, die Basis dafür zu erar- beiten, wie das „getrennte“ Leben im Sie als Elternteam tragen keinesfalls nur die Alltag funktionieren soll. Verantwortung darüber, wie Ihre Bezie- hung zu ihrem Kind verläuft, sondern Sie 22
3. NEUORIENTIERUNG haben als Elternteil stets auch aktiv dafür Persönlichkeit und betrachten Sie genau zu sorgen, dass Ihr Kind die Möglichkeit diesen Elternteil als Partner bei dem hat, eine gute und tragfähige Beziehung gemeinsamen Projekt „Kindgroßziehen“. zum anderen Elternteil zu pflegen. Ihr Kind wird es Ihnen danken, wenn es Jede Form von Nichtgelingen der Bindung keinem Loyalitätskonflikt ausgesetzt ist Ihres Kindes zu Ihnen und Ihrem/r Expart- und sich nicht für oder gegen einen seiner ner/in hat direkte Folgen: Die Entwicklung Eltern entscheiden muss. Ihres Kindes erleidet nachhaltig Schaden, wenn ihm ein Elternteil vorenthalten wird! 3.5. Narben heilen lassen: „was braucht unser Kind”? Wohlverhaltensgebot: Für beide Eltern- teile gilt das sogenannte „Wohlverhal- Wichtige Schritte der Eltern sind nun tensgebot“, d. h. jeder muss bei der getan: Die Trennung wurde kindgerecht Ausübung seiner Rechte und Erfüllung erklärt, die Wohnsituation ist geklärt, die seiner Pflichten alles unterlassen, was das regelmäßigen Kontakte zum nicht im Verhältnis des Kindes zum anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Wahr- Haushalt lebenden Elternteil beginnen all- nehmung von dessen Aufgaben mählich zu funktionieren. Oftmals war die erschwert. Einem besuchsberechtigten Scheidung mit dem Wechsel in eine völlig Elternteil wird dadurch z. B. das Aus- neue Umgebung und dem damit ver- fragen des Kindes über die privaten bundenen Verlust etwaiger vorma- Lebensverhältnisse des anderen Eltern- liger Bezugspersonen verbunden. teiles ausdrücklich verboten. Umgekehrt Ihr Kind hat jedem „Sturm“ darf der Elternteil, in dessen Haushalt das standgehalten und nun, nach- Kind hauptsächlich lebt, das Kind nicht dem wieder ein wenig Ruhe in negativ gegenüber dem besuchsberech- den Alltag einkehrt, beginnt tigten Elternteil beeinflussen. Ihr Kind plötzlich und unerwar- tet massiv zu reagieren. Diese Signale sind keinesfalls ein 3.4. „Schlechter Expartner“ – Versagen eines Elternteils, sondern viel- „guter Elternteil“ mehr eine „gesunde“ Reaktion auf eine außergewöhnliche und schwierige Ihr/e ehemaliger Partner/in hat Ihnen Umstellung der bisher so vertrauten möglicherweise Kränkungen in einem Lebenssituation. Halten Sie sich vor Augen, Ausmaß zugefügt, die eine Fortführung dass jedes beteiligte Familienmitglied nach der gemeinsamen Beziehung unmöglich wie vor sein Bestes gibt. So bemüht sich gemacht haben. Sie werden jedoch über- auch Ihr Kind mittels seines Verhaltens, mit rascht sein, welch engagierter Elternteil der veränderten Situation fertig zu werden sich nach einer Trennung im Expartner ver- und die Verlusterlebnisse zu überwinden. bergen kann. Suchen Sie diesen Teil der 23
3. NEUORIENTIERUNG Auffällige Verhaltensmuster (wie im TIPP: spielpädagogische und thera- Kapitel 2.7.1 ausführlich beschrieben) peutische Kinder-Gruppen zu können sein: Trennung und Scheidung – siehe Angstzustände und Schlafstörungen dazu Adressteil „Für Kinder“ Existenzängste Besondere Anhänglichkeit Rückschritte in der Entwicklung 3.6. Besuchskontakte Aggression, Trotz und Vorwürfe an die Eltern Auch wenn Sie jetzt der „besuchende“ Bettnässen Elternteil sind, ist es wichtig, den Kontakt Anhaltende Traurigkeit zu Ihrem Kind zu pflegen. Vielleicht hatten Trauer um den nicht anwesenden Sie früher mehr Zeit füreinander, oder Sie Elternteil haben sich weniger um Ihr Kind geküm- Suchen der Schuld an der Trennung der mert – es ist immer möglich und nie zu Eltern spät für Ihr Kind da zu sein. Der betreuen- Leistungsabfall in der Schule de Elternteil kann nun überrascht und ver- Scham bittert darüber sein, wenn sich der besu- Eingehen einer Koalition mit einem chende Elternteil im Vorfeld nicht oder Elternteil kaum um das Kind gekümmert hat. So verständlich dieses Gefühl auch ist, so Machen Sie sich bewusst, dass Ihr Kind das wichtig ist es aber dennoch, dass ein neuer Recht darauf hat, auf die Trennung zu rea- Anfang des Besuchselternteils in der gieren und seien Sie durchaus besorgt, Beziehung zum Kind gefördert wird. wenn Sie feststellen, dass Ihr Kind offen- Nicht selten zeigt sich in einer Trennung sichtlich keine Reaktion auf die Trennung die erstmalige Chance, diese Beziehung zu zeigen scheint. erst aufzubauen. Sie haben selbstverständlich auch ein wesentliches Recht, nämlich in dieser Situation nicht alles allein lösen zu müssen. Daher scheuen Sie sich nicht, sich von Einrichtungen ein Stück durch die Trennung begleiten zu lassen und Ihren Kindern ebenfalls Unterstützung durch professionelle Hilfestellungen angedeihen zu lassen. So können sich beispielsweise Kinder in speziellen Gruppen in einem Rahmen abseits vom Alltag austauschen, die Trennung spielerisch und altersadäquat verarbeiten und für den Alltag wieder neue Kraft schöpfen. 24
3. NEUORIENTIERUNG 3.6.1. Häufigkeit der Besuchskontakte: Bei kleineren und Kleinstkindern ist es wichtig, dass die persönlichen Kontakte in engen Intervallen, jedoch von kürze- rer Dauer sind, z.B. zwei Mal pro Woche für zwei Stunden. Um Verlustängste und Traumata zu vermeiden, sollen die Kontakte in der Phase der Anbahnung möglichst in einer vertrauten Umgebung Ihres Kindes stattfinden. Ab dem Kindergartenalter kann durch- aus auch eine Übernachtung beim besu- BESUCHSRECHT chenden Elternteil stattfinden. Wenn ein Elternteil und das (minder- Voraussetzung dafür ist jedoch bereits jährige) Kind nicht im gemeinsamen Haushalt leben, so haben das Kind und ein gelungener Beziehungsaufbau zwi- dieser Elternteil das Recht auf persönli- schen besuchendem Elternteil und sei- chen Kontakt. Seit 15. Februar 2011 ist nem Kind sowie ein inzwischen für das das Besuchsrecht als ausdrückliches Kind vertrautes Wohnumfeld des besu- Kinderrecht in der österreichischen chenden Elternteils. Wenn von Anfang 1 Bundesverfassung verankert . an eine sehr enge Bindung zu beiden Seit einer Gesetzesänderung 2001 ist Eltern besteht, ist eine Übernachtung das Besuchsrecht nicht primär als Recht auch schon zu einem früheren Zeitpunkt des Elternteils, sondern als Recht des möglich. Kindes zu verstehen. Wie diese Kontakte organisiert wer- Ab dem Schulalter finden Kontakte zwi- den, sollen die Eltern einvernehmlich regeln. schen Kind und besuchendem Elternteil Wenn die Eltern sich nicht einigen in vielen Fällen jedes zweite Wochen- können, muss das Gericht eine ende statt. Die Kinder bewegen sich Entscheidung treffen. Nur wenn das wochentags oft in einem stark struktu- Wohl des Kindes bei der Ausübung rierten Umfeld (Schule, Hobbies), sodass gefährdet ist, wird das Gericht das jedem Elterteil die Möglichkeit geboten Besuchsrecht einschränken. werden soll, ein „freies“ Wochenende Kinder haben auch das – gegenüber mit dem gemeinsamen Kind zu verbrin- den Eltern allerdings eingeschränkte – gen. Zwischen den beiden Besuchswo- Recht auf persönlichen Kontakt zu ihren chenenden sollte idealerweise zusätzlich Großeltern und anderen für sie wichtige nahe stehenden Personen. ein regelmäßiger Halbtag eingeplant werden, damit Ihr Kind die Möglichkeit hat, auch Alltag wie Hausaufgaben etc. 1 Art. 2 d. BVG, BGBl. 4/2011 25
3. NEUORIENTIERUNG mit dem „besuchenden“ Elternteil zu 3.7. Besuchsbegleitung erleben. Spätestens ab Beginn der Pubertät ist beim Vereinbaren der In den Zeiten nach der Scheidung ist die Kontakte Ihr Kind mit einzubeziehen. Vereinbarung über die Besuchsregelung Vorher ist es primär Aufgabe der Eltern, sehr oft spannungsgeladen – für Eltern diese im Einvernehmen festzulegen. und Kinder. Daher gibt es die gesetzlich verankerte Möglichkeit der „Besuchs- begleitung“. Eine Besuchsbegleitung kann Kommentar: Die Häufigkeit der Besuchs- auf Antrag durch Gerichtsbeschluss ange- kontakte richtet sich selbstverständlich ordnet werden, wobei der/die Antrag- nach den jeweiligen Umständen. Sollte steller/in eine geeignete und dazu bereite Ihnen aus privaten und/oder beruflichen Person nennen muss. Die Aufgaben und Gründen oben geschilderte Häufigkeit Befugnisse der Besuchsbegleiterin bzw. des nicht möglich sein, gibt es auch andere (kreative) Möglichkeiten, den Kontakt zu Besuchsbegleiters müssen im Beschluss Ihrem Kind zu pflegen: sei es per Telefon, zumindest in den Grundzügen festgelegt per Brief oder mail. Wichtig für das Kind werden. ist, zu wissen, dass es sich auf Sie verlassen kann. 3.7.1. Wann ist Besuchs- Machen Sie daher keine begleitung sinnvoll? Versprechungen, die Sie nicht halten können! Besuchsbegleitung soll den Eltern die Möglichkeit geben, das Recht ihres 3.6.2. Kosten Kindes auf Kontakt zu bei- den Eltern zu gewährlei- Die Kosten, die im sten, ohne Angst um das Zusammenhang mit Kind selbst oder vor dem Besuchskontakt Auseinandersetzungen mit anfallen, wie Fahrtkosten für Abholung dem/der ehemaligen Partner/in zu haben. und Zurückbringen etc., sind vom besu- Besuchsbegleitung ist sinnvoll: chenden Elternteil zu bezahlen, auch bei bei Sorge um das Kind während des Wohnort des Kindes oder des besuchen- Besuchskontaktes den Elternteils im Ausland. Natürlich kann bei Erstkontakt nach längerem auch anderes vereinbart werden. Kontaktabbruch auf Wunsch des Kindes bei Nichteinhaltung von Vereinbarungen zur Erleichterung der „Übergabe“- Situation und Begleitung des Kindes vom Obsorge- zum Besuchselternteil und umgekehrt 26
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