Ausbildungs-report NRW 2020 - NRW
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Ausbildungsreport NRW 2020 Vorwort 5 1 Die wichtigsten Ergebnisse 2020 6 2 Schwerpunkt: Mobilität und Wohnen 12 2.1 Finanzielle Situation 13 2.2 Mobilität 15 2.3 Wohnsituation 18 3 Ergebnisse zur Ausbildungsqualität 20 3.1 Fachliche Qualität der Ausbildung im Betrieb 21 3.1.1 Einhalten des Ausbildungsplans 22 3.1.2 Verrichtung ausbildungsfremder Tätigkeiten 23 3.1.3 Ausbildungsnachweis 24 3.1.4 Fachliche Anleitung und Betreuung durch Ausbilder_innen 25 3.1.5 Fachliche Qualität der Ausbildung im Betrieb 26 3.1.6 Fachliche Qualität der Ausbildung in der Berufsschule 26 3.2 Ausbildungszeiten und Überstunden 29 3.2.1 Regelmäßigkeit von Überstunden 29 3.2.2 Überstundenausgleich 30 3.2.3 Wöchentliche Arbeitszeit 31 3.2.4 Anrechnung des Berufsschulunterrichts auf die Arbeitszeit 32 3.2.5 Blickpunkt Jugendarbeitsschutzgesetz 33 3.3 Ausbildungsvergütung 35 3.4 Persönliche Beurteilungen der Ausbildung 37 3.4.1 Zufriedenheit mit der Ausbildung 38 3.4.2 Zufriedenheit durch Interessenvertretung 42 3.4.3 Zufriedenheit durch Übernahme 43 3.4.4 Unzufriedenheit durch psychische und körperliche Belastungen 44 3.4.5 Berufswahl und Zufriedenheit 46 3.4.6 Ausbildungsabbruch – Der letzte Ausweg 48 4 Fazit und Forderungen 50 5 Auswertungsverfahren und Methodik 52 Impressum 57 3
Vorwort Die duale Berufsausbildung bildet das stabile Fundament jedem siebten Azubi kein Ausgleich für angefallene Über- für den Start in das Arbeitsleben. Auf den vermittelten stunden gewährt, obwohl dies gesetzlich Vorgeschrie- Kompetenzen kann ein Leben lang für die weitere berufli- ben ist. Hier braucht es mehr und effektivere Kontrollen, che Entwicklung aufgebaut werden. Die fehlenden Aus- um die seit langem bekannten Missstände zu beheben. bildungsplätze von heute, sind die fehlenden Fachkräfte Einmal mehr wird deutlich: Ausbildung ist besser mit von morgen. Die Corona-Krise hat uns zudem vor Augen Tarifvertrag und betrieblicher Mitbestimmung. Sowohl geführt: Viele Berufe der dualen Ausbildung sind für die die Ausbildungsqualität als auch die Ausbildungsvergü- Grundversorgung der Gesellschaft von besonderer Be- tung ist unter Tarifbedingungen deutlich besser als ohne deutung. So sind zum Beispiel Fachinformatiker_innen in Schutz durch Tarifverträge. Die Stärkung der Tarifbindung Zeiten mobilen Arbeitens für einen funktionierenden Bü- ist damit auch ein wichtiger Hebel zur Verbesserung der robetrieb unverzichtbar, Kaufmänner oder -frauen im Ein- Ausbildungssituation vieler junger Erwachsener. zelhandel stellen die Versorgung der Bevölkerung mit Le- Unsere Studie wirft in diesem Jahr einen besonderen bensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs sicher, me- Fokus auf die Mobilitäts- und Wohnsituation von Auszubil- dizinische Fachangestellte übernehmen innerhalb eines denden. Der Report zeigt: Zweidrittel der Auszubildende Praxisteams wichtige Funktionen der medizinischen Ver- wollen ein selbständiges Leben in den eigenen vier Wän- sorgung. den. Doch die Ausbildungsvergütung reicht oft nicht zum Doch die duale Berufsausbildung ist in Gefahr. Die Zahl Leben, geschweige denn für ein eigenes Zimmer in der der abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist massiv ein- Nähe des Ausbildungsortes. Damit sind viele Auszubilden- gebrochen. Unter dem Einfluss der Pandemie verschärft de weiterhin auf die Unterstützung ihrer Eltern angewie- sich der Rückzug der Betriebe aus der dualen Berufsaus- sen und müssen im heimischen »Kinderzimmer« wohnen bildung nochmals. Bereits in den letzten Jahren bildete bleiben. Selbstbestimmung sieht anders aus. Dazu müs- nur noch knapp jedes fünfte Unternehmen aus. Dadurch sen so zum Teil lange Fahrtwege zum Betrieb in Kauf ge- steigt das Risiko der betroffenen Jugendlichen dauerhaft nommen werden. Das sorgt nicht nur für psychische Be- ohne jede berufliche Qualifikation zu verbleiben. Laut ak- lastungen, sondern auch für zusätzliche Kosten. tuellem BBiB Datenreport kann schon jetzt beinahe jeder Mit der Einführung eines Azubitickets in ganz NRW fünfte Erwachsene im Alter zwischen 20 und 34 Jahren wurde eine gewerkschaftliche Forderung aufgegriffen keinen Berufsabschluss vorweisen. Damit liegt NRW deut- und ein erster Schritt getan. Es stößt in NRW auf großes lich über dem Bundesdurchschnitt. Doch ohne Berufsab- Interesse, während die aktuelle Preisgestaltung und die schluss drohen oftmals prekäre Beschäftigung und Nied- Abdeckung mit dem ÖPNV weiterhin limitierende Fakto- riglöhne. Angesichts der Pandemie haben wir frühzeitig ren bleiben. Verbesserungen und ein Ausbau des ÖPNV- einen Corona-Schutzschirm für die Ausbildung gefordert. Netzes sind daher wichtige Schritte dabei, jungen Men- Unsere Botschaft an die Landesregierung und die Arbeit- schen Mobilität zu ermöglichen und die notwendige Fle- geber gilt weiterhin: Wir kämpfen um jeden Ausbildungs- xibilität auf dem Ausbildungsmarkt zu unterstützen. platz! Daneben müssen die Arbeitgeber auch die Frage Damit nach der Corona-Krise nicht die Fachkräftekrise beantworten, wie die duale Ausbildung in Zeiten des kommt, müssen alle ausbildungsinteressierten Jugendli- Fachkräftemangels attraktiver gemacht werden kann. Die chen eine qualifizierte Ausbildung erhalten. Sie dürfen Auszubildenden formulieren in diesem Report klare Anfor- nicht in Warteschleifen oder Schulungsmaßnahmen ab- derungen: Gute Ausbildungsbedingungen und daran an- geschoben werden. Wir fordern die Umsetzung der ge- schließend eine gute berufliche Perspektive, vernünftige setzlichen Ausbildungsgarantie, wie sie in Paragraf 6 der Ausbildungsvergütung und generell die Möglichkeit zur Landesverfassung angelegt ist! Selbstständigkeit im Bereich Mobilität und Wohnen sind Fest steht: Die Arbeitswelt braucht gut ausgebildete essentielle Bestandteile. und motivierte Fachkräfte. Das gelingt nur mit einer qua- Bereits zum dreizehnten Mal veröffentlicht die DGB-Ju- litativ hochwertigen und attraktiv ausgestalteten Berufs- gend ihren Ausbildungsreport für Nordrhein-Westfalen ausbildung. Sie muss junge Menschen begeistern, ihnen und leistet damit einen wichtigen Beitrag in der Debatte eine Perspektive nach der Ausbildung bieten und ihnen um die Qualität der Berufsausbildung. Auch in diesem Jahr die notwendige Wertschätzung zukommen lassen, die sie liefert der Report mit 5.427 befragten Auszubildenden, verdienen. Dafür braucht es klare Weichenstellungen. die wir noch vor dem coronabedingten Lockdown schrift- lich befragt haben, eine fundierte Datengrundlage. Teil- Anja Weber genommen haben Jugendliche aus den 25 häufigsten Vorsitzende des DGB Nordrhein-Westfalen Ausbildungsberufen. Ihre persönlichen Erfahrungen sind die Grundlage der Ergebnisse. Der Ausbildungsreport Eric Schley 2020 zeigt erneut: Gut 70 Prozent der Jugendlichen sind Bezirksjugendsekretär des DGB Nordrhein-Westfalen zufrieden mit ihrer Ausbildung. In vielen Berufen gibt es aber weiterhin gravierende Mängel bei der Ausbildungs- qualität und dem Einhalten rechtlicher Vorgaben, so wird Vorwort 5
1. Die wichtigesten Ergebnisse 2020 Branche und Beruf mungsstrukturen wie Betriebs- und Personalräte oder Ju- 2020 wurden insgesamt 5.427 Auszubildende aus Nord- gend- und Auszubildendenvertretungen. Diese achten rhein-Westfalen aus den laut Bundesinstitut für Berufsbil- darauf, dass Ausbildungspläne eingehalten und gesetzli- dung (BIBB) 25 bundesweit meistfrequentierten Ausbil- che Vorgaben beachtet werden. dungsberufen befragt (zur Stichprobe und Methode siehe Kleinere Betriebe hingegen stehen oft vor der Heraus- Kapitel 6). Die Befragten bewerteten die Ausbildungsqua- forderung, mit wenig Personal flexibel auf Angebot und lität in den einzelnen Ausbildungsberufen bzw. Branchen Nachfrage reagieren zu müssen. Anderseits gelingt es Ih- sehr unterschiedlich. nen durchaus, mit großem Engagement Auszubildende durch eine besondere Form der persönlichen Beziehung Sehr gute Bewertungen an sich zu binden. In der Spitzengruppe der am besten bewerteten Ausbil- dungsberufe in Nordrhein-Westfalen sind – wie bereits in den Vorjahren – die angehenden Industriemechaniker_in- Die Gesamtbewertung nen, Mechatroniker_innen, Bankkaufleute, Verwaltungs- nach Ausbildungsberufen fachangestellten, Elektroniker_innen für Betriebstechnik und Industriekaufleute zu finden. In diesem Jahr haben es Berufe mit den besten Bewertungen bbbbb auch wieder die Mechatroniker_innen und Fachinformati- ker_innen auf die Spitzenplätze geschafft, nachdem sie Industriemechaniker_in diese letztes Jahr knapp verfehlt hatten. Mechatroniker_in Voraussetzung für ein gutes Abschneiden in der Ge- Verwaltungsfachangestellte_r samtbewertung sind durchgängig gute Bewertungen in Bankkaufmann_frau allen vier im Rahmen des Ausbildungsreports berücksich- Elektroniker_in für Betriebstechnik tigten Aspekten der Ausbildungsqualität. Sowohl bei der Industriekaufmann_frau Bewertung der Ausbildungszeiten und der Ausbildungs- Fachinformatiker_in vergütung, als auch bei der Einschätzung der fachlichen Berufe mit mittleren Bewertungen bbb Qualität der Betriebe und der persönlichen Beurteilung der Ausbildung, haben die genannten fünf Ausbildungs- Zerspanungsmechaniker_in berufe in Nordrhein-Westfalen überdurchschnittlich gut Fachkraft für Lagerlogistik abgeschnitten. Elektroniker_in Maler_in und Lackierer_in Mangelhafte Bewertungen Tischler_in Am unteren Ende der Skala rangieren in Nordrhein-West- Steuerfachangestellte_r falen, nach dem Ausscheiden der Fachverkäufer_innen im Kaufmann_frau für Büromanagement Lebensmittelhandwerk aus den 25 häufigsten Ausbil- Kaufmann_frau im Einzelhandel dungsberufen, wie im Vorjahr die Köch_innen, Friseur_in- Kaufmann_frau im Groß- und Außenhandel nen, Hotelfachleute, KFZ-Mechatroniker_innen und Zahn- Berufe mit den schlechtesten Bewertungen b medizinischen Fachangestellten. Neu hinzugekommen sind die Fachlagerist_innen, die in diesem Jahr erstmals in Fachlagerist_in die bundesweiten TOP-25-Ausbildungsberufe aufgerückt Koch_Köchin sind. Aus dem letztjährigen Mittelfeld sind die Medizini- Medizinische_r Fachangestellte_r schen Fachangestellten, Anlagenmechaniker_innen und Friseur_in Verkäufer_innen wieder abgestiegen. Letztere übernah- Anlagenmechaniker_in SHK 1 men direkt das Schlusslicht. Es sind erhebliche Anstren- Hotelfachmann_frau gungen notwendig, um diese Ausbildungsberufe für jun- KFZ-Mechatroniker_in ge Menschen attraktiv zu machen. Zahnmedizinische_r Fachangestellte_r Verkäufer_in Betriebsgröße Es wurden Auszubildende aus allen Betriebsgrößen be- fragt. Die Ausbildungszufriedenheit insgesamt nimmt mit der Betriebsgröße zu. Diese Erkenntnis der vergangenen Jahre wurde 2020 bestätigt. Dass insbesondere die Groß- betriebe sich positiv abheben, liegt zum einen an den gu- ten personellen und materiellen Voraussetzungen, mit de- nen dort eine strukturierte und qualitativ hochwertige Ausbildung gewährleistet werden kann. Zum anderen verfügen Großbetriebe eher über kollektive Mitbestim- 1 Anlagenmechaniker_in für Sanitär, Heizungs- und Klimatechnik 1. Die wichtigsten Ergebnisse 2020 7
Schwerpunktthema: Mobilität und Wohnen Überstunden Die Lebenssituation von Auszubildenden hat sich in den Regelmäßige Überstunden gehören für über ein Drittel vergangenen Jahren verändert. So werden Auszubilden- der befragten Auszubildenden aus Nordrhein-Westfalen de im Schnitt immer älter und ihre Lebensentwürfe viel- seit Jahren zum Ausbildungsalltag. Rund 37 Prozent der fältiger. Zudem gewinnt der Anspruch, ein selbstständi- befragten Auszubildenden aus Nordrhein-Westfalen leis- ges und selbstbestimmtes Leben zu führen, an Bedeu- ten nach eigenen Angaben regelmäßig Überstunden. Die- tung. Auch werden Lebensräume zunehmend flexibler, ser Anteil hat sich – abgesehen von leichten Schwankun- Arbeitsort und Wohnort stimmen nicht mehr unbedingt gen – in den letzten Jahren kaum geändert (⟶ Kapitel überein. Dies stellt neue Anforderungen an Mobilität und 3.2.1). Wohnen von jungen Menschen. Beides ist mit zum Teil hohen Kosten verbunden. Das dies gerade für Auszubil- Entwicklung Überstunden dende ein Problem darstellen kann, zeigt die Tatsache, dass mehr als sechs von zehn Befragten (61 Prozent) »we- 38,6% niger gut« oder »gar nicht« selbstständig von ihrer Ver- 38,1% 37,8% 37,8% gütung leben können und fast jede_r Zweite (47 Prozent) auf finanzielle Hilfe angewiesen ist. Zum Teil müssen Auszubildende weite Wege zum Ausbildungsbetrieb oder Berufsschule zurücklegen. Fast jede_r vierte Auszubildende (23 Prozent) braucht länger 36,5% 35,8% als eine halbe Stunde zum Betrieb. Zur Berufsschule sind 38 Prozent der Auszubildenden länger als eine halbe Stun- 35,8% de unterwegs. Lange Fahrtzeiten sorgen nicht nur für 35,5% 35,0% Stress sondern auch zusätzliche Kosten. Dazu passt, dass etwa drei Viertel der Befragten (73 Prozent) grundsätzli- 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 ches Interesse an einem kostenlosen bzw. kostengünsti- gen Azubiticket für den öffentlichen Personen- und Nah- verkehr (ÖPNV) haben, wenn sie damit ihren Betrieb und Jugendarbeitsschutz ihre Berufsschule erreichen und in ihrer Freizeit unterwegs Für Auszubildende, die das 18. Lebensjahr noch nicht voll- sein könnten. endet haben, gelten bezüglich der Arbeitszeiten die ge- Doch im Wunsch nach einem Azubiticket zeigt sich setzlichen Vorgaben des Jugendarbeitsschutzgesetzes eine große Problematik. Es fehlt vielfach an einem gut (JArbSchG). Trotzdem ist der Anteil der minderjährigen funktionierenden ÖPNV. Über ein Drittel der Auszubilden- Auszubildenden, die regelmäßig mehr als 40 Stunden pro den (35 Prozent) kann den Betrieb »weniger gut« oder Woche arbeiten müssen, mit 15 Prozent gegenüber dem »gar nicht« mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Vorjahr nur geringfügig gesunken. Eine tiefgreifende Ver- Für den Weg zur Berufsschulen trifft das auf ein Fünftel besserung der Situation ist in Nordrhein-Westfalen nicht der Befragten (20 Prozent) zu. Mittel- und langfristig ist festzustellen. eine Lösung der Mobilitätsproblematik nur durch einen massiven Ausbau des ÖPNV, gerade in ländlichen Regio- Entwicklung Jugendliche unter 18, die regelmäßig nen, machbar. mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten müssen Der Schritt in die Ausbildung ist für junge Menschen 19,0% ein Schritt in die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von den Eltern. Eigenständiges Leben, ob in Azubi-Wohn- 16,9% heim oder der eigenen Wohnung, gehört hier dazu. Mehr 15,9% als zwei Drittel der Befragten (68 Prozent) äußern den Wunsch, in einer eigenen Wohnung zu leben wollen. 14,9% 15,0% Doch für einen Großteil der Auszubildenden entspricht 14,1% 12,3% ihre aktuelle Wohnsituation nicht ihren Vorstellungen. Nur 12,8% 23 Prozent von ihnen leben tatsächlich in einer eigenen Wohnung. Ob es gelingt, mit der Ausbildungsvergütung selbständig zu leben, ist in hohem Maße vom gewählten 8,3% Ausbildungsberuf und den dort gezahlten Vergütungen abhängig. Der angespannte Wohnungsmarkt, vor allem in 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 den Städten, verschärft die Situation (⟶ Kapitel 2). 8 Ausbildungsreport Nordrhein-Westfalen 2020
Immerhin ist der Anteil der minderjährigen Auszubil- Ausbildungsfremde Tätigkeiten denden, die regelmäßig Überstunden machen müssen, Der Anteil der befragten Auszubildenden aus Nordrhein- von 30 Prozent im Vorjahr auf 27 Prozent zurückgegan- Westfalen, die angaben, im Betrieb »immer« oder »häu- gen. Nur knapp vier von zehn (39 Prozent) bekommen da- fig« ausbildungsfremde Tätigkeiten ableisten zu müssen, für jedoch einen Freizeitausgleich lag 2020 wieder bei über 12 Prozent. Im längerfristigen Nach einigen Jahren erfreulicher Entwicklung müssen Vergleich ist dies der schlechteste Wert – der Anteil von die Alarmglocken läuten, wenn das Jugendarbeitsschutz- Auszubildenden, die sich regelmäßig mit ausbildungs- gesetz wieder für fast jeden sechsten minderjährigen Aus- fremden Tätigkeiten konfrontiert sehen, ist tendenziell zubildende_n übertreten wird. Auch regelmäßige Über- gestiegen (⟶ Kapitel 3.1.2). stunden für drei von zehn Minderjährigen sind nicht hin- nehmbar (⟶ Kapitel 3.2.5). Entwicklung der Häufigkeit von Ausübungen ausbildungsfremder Tätigkeiten Ausbildungszufriedenheit Über zwei Drittel der befragten Auszubildenden aus 12,5% Nordrhein-Westfalen (69 Prozent) sind mit der Ausbildung 12,1% 12,6% »zufrieden« oder sogar »sehr zufrieden«. Nach einem 11,6% Tiefstwert im letzten Jahr hat sich dieser Wert zwar wie- der etwas erholt, erreicht aber nur knapp das langjährige Mittel. 10,2% Der Ausbildungsreport Nordrhein-Westfalen 2020 be- 10,0% 10,3% stätigt die Erkenntnis der vergangenen Jahre, dass es ei- 9,9% nen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Ausbil- dungszufriedenheit und den erfragten Kriterien zur Be- 9,0% stimmung der Ausbildungsqualität gibt (⟶ Kapitel 3.4.1). 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Entwicklung der Ausbildungszufriedenheit 71,3% 71,4% Fachliche Anleitung 71,7% Der größte Teil der befragten Auszubildenden aus Nord- 70,9% rhein-Westfalen hat eine_n Ausbilder_in (knapp 92 Pro- zent). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass immerhin gut acht Prozent kein_e Ausbilder_in an der Ausbildungsstelle zur Verfügung steht. Dieser Anteil hat sich in den letzten 69,1% Jahren kaum geändert. Hinzu kommt, dass bei über 10 69,2% Prozent der Auszubildenden mit Ausbilder_in diese_r nur 68,6% 68,7% »selten« bis »nie« präsent ist (⟶ Kapitel 3.1.4). 67,9% Entwicklung des Anteils der Auszubildenden, die 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 keine_n Ausbilder_in an ihrer Ausbildungsstelle haben 9,3% 8,6% 8,3% 8,3% 8,4% 8,3% 7,5% 7,7% 6,8% 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 1. Die wichtigsten Ergebnisse 2020 9
Wahl des Ausbildungsberufs Übernahme nach der Ausbildung Die Wahl des richtigen Ausbildungsberufs ist eine wichti- Eine qualitativ hochwertige Ausbildung ist die Vorausset- ge Voraussetzung für einen erfolgreichen Ausbildungs- zung für einen guten Start in die Arbeitswelt und den verlauf. Erfreulicherweise konnten – wie im Vorjahr – fast Übergang von der Ausbildung in ein reguläres Arbeitsver- 31 Prozent der im Ausbildungsreport befragten Auszubil- hältnis. Für viele junge Menschen gestaltet sich der Über- denden aus Nordrhein-Westfalen ihren Wunschberuf und gang von der Ausbildung in ein reguläres Arbeitsverhält- weitere gut 39 Prozent zumindest einen von mehreren für nis schwierig. 55 Prozent der befragten Auszubildenden sie interessanten Berufen erlernen. Fast ein Viertel der aus Nordrhein-Westfalen wussten zum Zeitpunkt der Be- Auszubildenden (23 Prozent) machte die Ausbildung aller- fragung noch nicht, ob sie im Anschluss an ihre Ausbil- dings in einem Beruf, der eigentlich nicht geplant war, dung übernommen werden. Nur 38 Prozent hatten bisher und rund 7 Prozent bezeichneten ihren Ausbildungsberuf eine Zusage erhalten, und knapp 8 Prozent wussten be- als eine »Notlösung«. reits, dass sie nicht übernommen werden. Weibliche Auszubildende können dabei offensichtlich Von den Auszubildenden mit Übernahmezusage er- seltener ihre Ausbildungswünsche realisieren. Mehr als ein hielten immerhin gut zwei Drittel (69 Prozent) eine unbe- Viertel von ihnen (28 Prozent), und damit deutlich mehr fristete Zusage, die anderen hatten unterschiedliche Be- als von den männlichen Auszubildenden (20 Prozent), ga- fristungen. Von den Auszubildenden, denen bereits eine ben an, bei ihrem Ausbildungsberuf handele es sich um klare Absage vorlag, hatten mehr als ein Drittel (35 Pro- eine Alternative, die sie eigentlich nicht geplant hatten. 7 zent) zum Zeitpunkt der Befragung keinerlei konkrete Per- Prozent bezeichnen ihren Ausbildungsberuf gar als »Not- spektive, wie es mit ihnen im Anschluss an ihre Ausbil- lösung« (männliche Auszubildende 6 Prozent). dung weitergehen wird (⟶ Kapitel 3.4.3). Die Auszubildenden in den von ihnen »ungeplanten Berufen« sind deutlich seltener zufrieden mit ihrer Ausbil- Qualität der Berufsschule dung (55 Prozent) als die Auszubildenden in ihren Der Lernort Berufsschule spielt im Rahmen der dualen Wunschberufen (82 Prozent). Von den Auszubildenden, Ausbildung eine ebenso wichtige Rolle wie die Ausbil- die ihren Ausbildungsberuf als »Notlösung« bezeichne- dungsstätte. Lediglich 55 Prozent der befragten Auszubil- ten, sind sogar nur 29 Prozent mit der Ausbildung zufrie- denden aus Nordrhein-Westfalen bewerten allerdings die den. Gerade bei diesen Auszubildenden ist die Gefahr ei- fachliche Qualität des Berufsschulunterrichts als »sehr ner Vertragslösung oder sogar eines Ausbildungsab- gut« oder »gut«. Diese Einschätzung hat sich gegenüber bruchs deutlich höher (⟶ Kapitel 3.4.5). den Vorjahren praktisch nicht geändert und ist weit ent- fernt von einer guten Bewertung (⟶ Kapitel 3.1.6). Geschlechtsspezifische Unterschiede Insgesamt fallen die um berufsstrukturelle Einflüsse berei- Entwicklung der fachlichen Qualität des nigten Unterschiede im Antwortverhalten männlicher und Berufsschulunterrichts (Anteil der guten weiblicher Auszubildender gering aus. Grundsätzlich be- und sehr guten Bewertungen) stätigt sich damit erneut, dass die zweifellos bestehen- 56,0% den Benachteiligungen weiblicher Auszubildender insge- 55,4% samt weniger auf individuelle geschlechtsspezifische Dis- 55,1% 56,3% 54,9% kriminierungen am Arbeitsplatz zurückzuführen sind, als 55,1% 55,3% vielmehr auf die starken Qualitätsunterschiede in der Aus- 53,9% bildung in unterschiedlichen Branchen und Ausbildungs- berufen sowie auf das geschlechtsspezifische Berufswahl- verhalten insbesondere junger Frauen. Sie ergreifen – oft- mals mangels Alternative – eine Ausbildung in einem der tendenziell schlechter bewerteten Berufe, obwohl dieser nicht unbedingt zu ihrem Wunschberuf zählt – auch weil Betriebe ihre Auswahl häufig noch nach tradierten Rollen- 47,7% bildern treffen. In der Folge zeigen junge Frauen ein im- mer geringeres Interesse an einer dualen Ausbildung. 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 10 Ausbildungsreport Nordrhein-Westfalen 2020
2. Schwerpunkt: Mobilität und Wohnen
2.1 Einleitung Finanzielle Situation Wie der Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2020 2 Der Wunsch nach einem selbständigen Leben setzt erneut deutlich macht, steigt bundesweit das Durch- die eigene finanzielle Unabhängigkeit voraus. Hinsichtlich schnittsalter der Auszubildenden im dualen System stetig der finanziellen Situation deuten die Ergebnisse des Aus- an. Während im Jahr 1993 die Auszubildenden bei ihrem bildungsreports 2020 auf eine wenig befriedigende Situa- Ausbildungsbeginn durchschnittlich 18 Jahre alt waren, tion hin. So gaben noch nicht einmal vier von zehn (39 sind es inzwischen bereits 19,9 Jahre (2018). Der Datenre- Prozent) der befragten Auszubildenden an, mit ihrer Aus- port nennt als Gründe hierfür vor allem »längere Schulzei- bildungsvergütung »sehr gut« (7 Prozent) oder »gut« (32 ten im Sekundarbereich I, zunehmend höhere Schulab- Prozent) selbständig leben zu können. Weitere 39 Prozent schlüsse der Auszubildenden und verlängerte Übergangs- hingegen gaben an, davon »weniger gut« und immerhin prozesse in die Berufsausbildung«. gut ein Fünftel (22 Prozent) »gar nicht« selbständig leben Dies ändert auch die Sichtweise auf die Lebenssituati- zu können. on der Auszubildenden, denn je älter diese sind, desto mehr gewinnt der Anspruch, ein selbstständiges und Mit meiner Ausbildungsvergütung selbstbestimmtes Leben zu führen, an Bedeutung. Beides kann ich selbständig leben benötigt die Bereitstellung von bezahlbaren Wohnraum. Auch sollte die Wahl des Ausbildungsplatzes nicht von sehr gut der Höhe der Miete abhängen. Gleiches gilt für Fahrtkos- gar nicht 6,9% ten zum Lernort. Von jungen Menschen wird erwartet, für 21,8% ihre Ausbildung flexibel und mobil zu sein. Das verlangt eine gut funktionierende und kostengünstige Verkehrsin- frastruktur. Der thematische Schwerpunkt des Ausbildungsre- ports 2020 liegt daher nach 2014 zum zweiten Mal auf der Rund 61 Prozent der Lebenssituation der Auszubildenden. Die Auszubildenden Auszubildenden können wurden in diesem Zusammenhang zu ihrer Wohnsituati- »weniger gut« oder »gar on, ihrer finanziellen Situation sowie Aspekten der Mobi- nicht« selbstständig von lität befragt. ihrer Vergütung leben. gut 32,2% weniger gut 39,1% Basis: n=5.283 antwortende Auszubildende aus NRW Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass nach wie vor nur gut die Hälfte der Auszubildenden (53 Prozent) ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung le- ben. Drei von zehn (rund 30 Prozent) erhält finanzielle Un- terstützung durch Eltern oder Bekannte, knapp 14 Pro- zent verfügen über Einkommen aus einem Nebenjob und 9 Prozent erhalten staatliche Leistungen. Bedenkt man, dass viele Auszubildende bereits in der Ausbildung Über- stunden machen müssen, ist es mehr als bedenklich, dass fast jede_r siebte Auszubildende zusätzlich noch einem Nebenjob nachgeht. 2 BIBB 2020 – Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2020, Vorversion S. 162f 2. Schwerpunkt Mobilität und Wohnen 13
Nebeneinkünfte Auskömmliche Ausbildungsvergütung und betriebliche Interessenvertretung nichts ja (JAV) 53,1% 56,1% 43,9% finanzielle Unterstützung von Eltern u. a. ja (Betriebs- / Personalrat) 29,5% 49,7% 50,3% Nebenjob nein 13,7% 28,3% 71,7% staatliche Leistungen mit meiner Ausbildungsvergütung kann ich selbstständig leben: ■ sehr gut / gut ■ weniger gut / gar nicht 9,3% In Betrieben mit einer betrieblichen Fast die die Hälfte der Auszubildenden Interessenvertretung erhält ein größerer (47 Prozent) erhält zusätzliche finanzielle Prozentsatz der Auszubildenden eine Unterstützung zu ihrer Vergütung. auskömmliche Ausbildungsvergütung. Basis: n=5.173 antwortende Auszubildende aus NRW Basis: n=4.776 antwortende Auszubildende aus NRW (Mehrfachnennungen waren möglich) Ob es gelingt, mit der Ausbildungsvergütung selb- Die Gewerkschaftsjugend fordert: ständig zu leben, ist in hohem Maße vom gewählten Aus- bildungsberuf und den dort gezahlten Vergütungen ab- Die Ausbildungsvergütung muss Auszubildenden ein hängig. Während beispielsweise von den angehenden eigenständiges Leben und gesellschaftliche Teilhabe Bankkaufleuten sieben von zehn (71 Prozent) angaben, ermöglichen. Selbständiges Wohnen und gute Mobilität selbständig von ihrer Ausbildungsvergütung leben zu gehören dazu. Um eine existenzsichernde Ausbildungs- können, waren es von den Friseur_innen nur etwa jede_r vergütung zu gewährleisten, muss die Tarifbindung Sechste (16 Prozent). gestärkt werden. Positiv wirkt sich das Vorhandensein einer betriebli- chen Interessenvertretung aus. Von den Auszubildenden, die eine Jugendausbildungsvertretung (JAV) in ihrem Be- trieb haben, gaben 56 Prozent an, sehr gut oder gut von ihrer Ausbildungsvergütung leben zu können, bei denen mit Personalrat bzw. Betriebsrat waren es 50 Prozent. In Betrieben hingegen, die über keine betriebliche Interes- senvertretung verfügen, können nach eigenen Aussagen weniger als drei von zehn der Auszubildenden (28 Pro- zent) von der Ausbildungsvergütung selbständig leben. 14 Ausbildungsreport Nordrhein-Westfalen 2020
2.2 Mobilität Fahrtzeiten zum Betrieb Fahrzeiten zur Berufsschule Gut drei Viertel (77 Prozent) der Befragten gaben an, für Durchschnittlich etwas länger benötigen die Auszubilden- die Fahrt vom Wohnort zum Ausbildungsbetrieb täglich den für Fahrten vom Wohnort zur Berufsschule. Hier sind bis zu einer halben Stunde zu benötigen (2014: 72 Pro- nur 62 Prozent bis zu einer halben Stunde unterwegs zent), weitere 20 Prozent benötigen zwischen einer hal- (2014: 55 Prozent), knapp ein Drittel (32 Prozent) benötigt ben und einer Stunde (2014: 23 Prozent) und 3,1 Prozent zwischen einer halben und einer Stunde (2014: 36 Pro- zwischen einer und zwei Stunden (2014: 5,4 Prozent). zent) und immerhin 5,2 Prozent zwischen einer und zwei Fahrtzeiten zum Ausbildungsbetrieb von mehr als zwei Stunden (2014: 8,3 Prozent). Fahrtzeiten von mehr als Stunden stellen nach wie vor die Ausnahme dar (0,2 Pro- zwei Stunden sind auch hier selten (0,4 Prozent, 2014: 0,5 zent, 2014: 0,3 Prozent). Prozent). Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind die Berufsschu- Fahrtzeiten zum Betrieb len für 80 Prozent der Auszubildenden »gut« oder sogar »sehr gut« zu erreichen (2014: 81 Prozent), für 17 Prozent 2014 5,7% »weniger gut« (2014:17 Prozent) und für 2,8 Prozent über- haupt nicht (2014: 2,2 Prozent) 71,7% 22,5% Erreichbarkeit der Berufsschule 2020 3,3% mit öffentlichen Verkehrsmitteln 77,1% 19,7% 2014 2,2% ■ eine halbe Stunde oder weniger ■ mehr als eine halbe Stunde ■ mehr als eine Stunde 38,8% 42,2% 16,9% 23 Prozent der Auszubildenden brauchen mehr 2020 2,8% als eine halbe Stunde zum Ausbildungsbetrieb. 38,3% 41,7% 17,1% Basis: n=6.895 (2014) / 5.289 (2020) antwortende Auszubildende aus NRW ■ sehr gut ■ gut ■ weniger gut ■ gar nicht Fast jede_r fünfte (19,9 Prozent) Auszubildende Erreichbarkeit des Betriebs mit kann die Berufsschule weniger gut oder gar nicht öffentlichen Verkehrsmitteln mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen Die Erreichbarkeit des Ausbildungsbetriebs mit öffentli- Basis: n=6.805 (2014) / 5.276 (2020) antwortende Auszubildende aus NRW chen Verkehrsmitteln wird von etwa zwei Dritteln (65 Pro- zent) der Befragten als sehr gut oder gut bezeichnet (2014: 67 Prozent). Bei gut einem Viertel (27 Prozent) ist Lange Fahrtzeiten als Stressfaktor dies weniger gut der Fall (2014: 25 Prozent) – und 7,5 Pro- Dass lange Fahrzeiten nicht nur ärgerlich sind, sondern zent der Befragten gaben an, ihren Ausbildungsbetrieb auch einen erheblichen Stressfaktor darstellen, zeigt sich überhaupt nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln errei- daran, dass mit zunehmender Fahrtdauer der Auszubil- chen zu können (2014: 8 Prozent). denden zum Betrieb auch der Anteil derjenigen Auszubil- denden wächst, die Probleme haben, sich nach der Aus- Erreichbarkeit des Betriebs mit bildung in ihrer Freizeit zu erholen. Während von den Aus- öffentlichen Verkehrsmitteln zubildenden mit einer Fahrtzeit von maximal einer halben Stunde ein Viertel (25 Prozent) davon berichtet, »immer« 2014 8,0% oder »häufig« unter entsprechenden Problemen zu lei- den, steigt dieser Anteil auf 51 Prozent unter denjenigen 31,9% 34,8% 25,3% Auszubildenden, die mehr als eine Stunde unterwegs sind. 2020 7,5% 29,2% 36,0% 27,3% ■ sehr gut ■ gut ■ weniger gut ■ gar nicht Ein Drittel (34,8 Prozent) der Auszubildenden kann den Betrieb »weniger gut« oder »gar nicht« mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Basis: n=6.813 (2014) / 5.282 (2020) antwortende Auszubildende aus NRW 2. Schwerpunkt Mobilität und Wohnen 15
Probleme bei der Erholung in der Freizeit Azubiticket in Abhängigkeit von der Fahrtzeit zum Betrieb Fast drei Viertel der Befragten in Nordrhein-Westfalen (73 Prozent) zeigen sich grundsätzlich interessiert an einem Fahrzeit: eine halbe Stunde oder weniger Azubiticket. Knapp 3 Prozent gaben an, keinen ÖPNV nut- zen zu können und 24 Prozent haben generell kein Interes- 47,5% 27,4% 25,0% se an einem solchen Ticket. Die Bereitschaft, dafür einen finanziellen Beitrag zu leisten, ist unterschiedlich und va- Fahrzeit: mehr als eine halbe Stunde bis eine Stunde riiert je nach Länge der benötigten Fahrtzeit deutlich. Die 37,9% 29,0% 33,1% Frage der Kosten und die Abdeckung mit dem ÖPNV blei- ben limitierende Faktoren. Mit steigender Fahrtzeit zum Fahrzeit: mehr als eine Stunde Betrieb und zur Berufsschule steigen auch das Interesse an einem Azubiticket sowie die Bereitschaft, dafür einen 25,8% 23,2% 51,0% finanziellen Beitrag zu leisten: Während von den Auszubil- Ich habe Probleme, mich nach der Ausbildung in meiner Freizeit zu erholen … denden mit maximal einer halben Stunde Fahrzeit zum Be- ■ selten / nie ■ manchmal ■ immer / häufig trieb mit 28 Prozent kein Interesse an einem Azubiticket besteht, sinkt dieser Anteil bei den Auszubildenden mit Mit zunehmender Fahrtdauer zum Betrieb mehr als einer Stunde Fahrzeit auf 3 Prozent. Auch wären wächst der Anteil der Auszubildenden, diese häufiger bereit, mehr für das Ticket zu bezahlen: die Probleme haben, sich nach der Ausbildung rund 36 Prozent von Ihnen könnten sich vorstellen bis zu in ihrer Freizeit zu erholen. 60 Euro zu zahlen. Bei den Auszubildenden mit einer Fahr- zeit zum Betrieb von maximal einer halben Stunde liegen Basis: n=5.265 antwortende Auszubildende aus NRW diese Anteile mit 19 Prozent deutlich niedriger. Zusammenfassung: Fahrtzeiten und Erreichbarkeit von Berufsschule und Betrieb Die durchschnittlichen Fahrtzeiten zum Ausbildungsort und zur Berufsschule haben sich seit 2014 für einige Aus- zubildende reduziert. So liegt der Anteil der Auszubilden- den, die maximal eine halbe Stunde unterwegs sind, um rund 5 Prozentpunkte (Betrieb) bzw. 7 Prozentpunkte (Be- rufsschule) höher als 2014. Diese Verbesserung ist zwar erfreulich, der Fortschritt ist aber immer noch zu gering. Der Weg zum Arbeitsort ist in der Regel etwas kürzer ist als der zur Berufsschule, was nicht zuletzt mit der zu- nehmenden Zentralisierung von Berufsschulstandorten zusammenhängen dürfte. Andererseits sind die Berufs- schulen besser mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu errei- chen, da diese in der Regel in das ÖPNV-Netz eingebun- den sind. In der aktuellen Befragung wurde nach den Fahrtzei- ten zu einem möglichen Einsatzort (Baustelle, Montage o.ä.) gefragt. Dies betraf insgesamt rund 9 Prozent der befragten Auszubildenden, von denen 63 Prozent anga- ben, maximal eine halbe Stunde bis dorthin zu benötigen, weitere rund 28 Prozent brauchen zwischen einer halben und einer Stunde und knapp 7 Prozent zwischen einer und zwei Stunden. Fahrtzeiten von mehr als zwei Stunden stel- len auch hier die Ausnahme dar (3 Prozent). 16 Ausbildungsreport Nordrhein-Westfalen 2020
Die Gewerkschaftsjugend fordert: ▶ Erreichbarkeit der Lernorte sicherstellen Die DGB-Jugend setzt sich aktiv für eine attraktive Be- rufsausbildung und die Verbesserung der Ausbildungs- und Lebensbedingungen von jungen Menschen ein. Das Thema Mobilität spielt dabei eine wesentliche Rolle. Ge- rade in der dualen Ausbildung sind junge Menschen da- rauf angewiesen, die Lernorte Berufsschule und Betrieb gut und kostengünstig erreichen zu können. Besonders in ländlichen Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte muss die berufsschulische Bildung mit zumutbaren Fahr- wegen und –zeiten für die Auszubildenden gewährleistet bleiben. Dafür braucht es zukunftsfähige Lösungen. ▶ Unterfinanzierung stoppen Im Bahn- und Schienennetz sowie bei den Schienenfahr- zeugen haben sich in den letzten drei Jahrzehnten Inves- titionsdefizite in Milliardenhöhe aufgetürmt. Gerade die Ballungszentren leiden unter Ausfällen, mangelnder Infra- struktur und Kapazitätsproblemen des ÖPNV. Zwar gab es in den letzten Jahren Lichtblicke durch stärkere Inves- titionen in modernen Nahverkehr. Für eine nachhaltige, zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur sind jedoch kurzfris- tig zusätzliche Milliarden-Investitionen in den ÖPNV not- wendig. ▶ Die Verkehrswende verwirklichen Der Klimawandel, die deshalb notwendige Energiewen- de und weitergehende gesellschaftliche Umbrüche (z. B. neue Technologien und der Bedeutungsverlust des Au- tofahrens für jüngere Menschen) machen es notwendig, zukünftig ein breitgefächertes und leistungsfähiges ÖPNV-Netz vorzuhalten. Anders sind die CO2-Einsparzie- le im Verkehrsbereich, die bisher eine große Schwach- stelle darstellen, nicht zu realisieren. Mit der Einführung eines Azubitickets in ganz NRW wurde 2019 ein erster Schritt getan. Es stößt in NRW auf großes Interesse, wäh- rend die aktuelle Preisgestaltung und die Abdeckung mit dem ÖPNV weiterhin limitierende Faktoren bleiben. Ver- besserungen und ein Ausbau des ÖPNV-Netzes sind da- her wichtige Schritte dabei, jungen Menschen Mobilität zu ermöglichen und die notwendige Flexibilität auf dem Ausbildungsmarkt zu unterstützen. Das Azubiticket trägt zudem gleichzeitig dazu bei die Attraktivität der dualen Ausbildung zu steigern. 2. Schwerpunkt Mobilität und Wohnen 17
2.3 Wohnsituation Die meisten der befragten Auszubildenden (73 Prozent) Die Gewerkschaftsjugend fordert: wohnen bei ihren Eltern oder anderen Verwandten, knapp ein Viertel (rund 23 Prozent) in einer eigenen Woh- Die Unterbringung der Auszubildenden bei Blockunter- nung. Wohngemeinschaften (3,2 Prozent) sowie Wohn- richt am Berufsschulstandort muss von den Ausbildungs- heime (1 Prozent) spielten demgegenüber noch immer betrieben sichergestellt und finanziert werden. Das gilt eine untergeordnete Rolle. Diese Anteile haben sich ge- auch für dual Studierende in Phasen des Blockunterrichts genüber 2014 nur geringfügig verändert. an der Hochschule. Adäquater Wohnraum, persönliche Anders sieht es aus, wenn man die Auszubildenden Rückzugsräume, die Teilhabe am sozialen und kulturellen danach fragt, wie sie gerne wohnen würden. Lediglich Leben außerhalb der Lernzeiten und eine lernfördernde gut ein Viertel (26 Prozent) der Befragten zöge es vor, im Atmosphäre müssen gegeben sein. Schlafsäle und Ge- Elternhaus oder bei Verwandten zu wohnen, während meinschaftsunterkünfte sind keine attraktive Unterbrin- zwei Drittel (68 Prozent) den Wunsch äußerten, in einer gung. eigenen Wohnung zu leben und weitere 5 Prozent gerne Der Schritt in die Ausbildung ist für junge Menschen ein in einer Wohngemeinschaft lebten. Wohnheime spielen Schritt in die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von auch hier mit einem Anteil von lediglich 0,8 Prozent keine den Eltern. Bezahlbarer Wohnraum ist für diesen Schritt Rolle. ein absolutes Muss. Mit niedrigen Ausbildungsvergütun- gen fehlen oftmals die Möglichkeiten zum selbstständi- Aktuelle und gewünschte Wohnsituation gen Wohnen. In Regionen mit angespanntem Woh- nungsmarkt verschärft sich diese Situation noch einmal. Eltern / Verwandte Hier ist die Politik gefragt, regulierend auf dem Woh- 73,2% nungsmarkt einzugreifen. Dazu müssen mehr bezahlbare 26,3% Mietwohnungen auf den Markt gebracht werden und der vorhandene Wohnraum auch für Auszubildende bezahl- Wohnheim bar gehalten werden. Darüber hinaus brauchen wir drin- 1,0% gend ausreichend attraktive Wohnheime in Form von 0,8% Azubi-Appartements für alle Auszubildenden sowie dual Studierenden sowohl im ländlichen als auch im städti- WG schen Raum, die selbstständiges und bezahlbares Woh- 3,2% nen ermöglichen. 5,1% Angesichts der dargestellten Altersstruktur der Auszubil- eigene Wohnung denden sind diese Befunde wenig verwunderlich. Be- 22,5% denkt man, dass die Auszubildenden zu Beginn der Aus- 67,8% bildung durchschnittlich bereits 20 Jahre alt sind, heißt dies, dass der Abschluss der Ausbildung häufig bis in die ■ ich wohne ■ wie würdest du gerne wohnen? Mitte des dritten Lebensjahrzehnts hineinreicht und damit in eine Phase, in der eine räumliche Abnabelung vom El- Für einen Großteil der Auszubildenden ternhaus und die damit einhergehende Verselbständi- entspricht die aktuelle Wohnsituation gung einen biografisch wichtigen Prozess darstellt. Umso nicht ihren Wünschen. bedauerlicher ist, dass viele Auszubildende diesen Pro- zess nicht in der gewünschten Form vollziehen können. Basis: n=5.322 / 5.222 antwortende Auszubildende aus NRW Dies zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass mit stei- gendem Alter auch der Wunsch nach einer eigenen Woh- nung wächst. Während von den unter 18 Jährigen gut die Hälfte (51 Prozent) den Wunsch nach einer eigenen Woh- nung äußerten, waren es bei den 18–21 Jährigen bereits fast zwei Drittel (64 Prozent) und bei den 22–25 Jährigen 78 Prozent. Unter den über 25-jährigen Auszubildenden wünschen sich sogar rund 90 Prozent eine eigene Woh- nung. Allerdings ist dieser Wunsch nur für einen geringen Teil auch realisierbar. Einzig von den über 25-Jährigen lebt der Großteil (75 Prozent) auch in der eigenen Woh- nung, die jüngeren können sich diesen Wunsch in der Re- gel nicht erfüllen. Selbst in der Altersgruppe der 22–25 Jährigen leben lediglich 33 Prozent in einer eigenen Woh- nung. 18 Ausbildungsreport Nordrhein-Westfalen 2020
Auszubildende, die in einer eigenen Wohnung Die Gewerkschaftsjugend fordert: leben wollen nach Altersgruppen ▶ Flächendeckende Einrichtung von attraktiven Azubi- Wohnheimen unter 18 50,7% Auszubildende wollen ein selbstständiges Leben in den eignen vier Wänden führen. Hierfür ist bezahlbarer 18–21 63,5% Wohnraum notwendig. Gemeinschaftlich nutzbare Azu- bi-Appartements ermöglichen Auszubildenden eine kos- tengünstige, dauerhafte und eigenständige Unterbrin- 22–25 78,0% gung in der Nähe der Ausbildungsstätte. Der Bau von Azubi-Wohnheimen soll durch die öffentli- 26 und älter 89,7% che Hand finanziert werden. Bund und Länder sollen hier- für umfangreiche Förderprogramme auflegen und güns- Mit steigendem Alter wächst der Wunsch tige Förderkredite ermöglichen. Bei der Einrichtung von nach einer eigenen Wohnung. Azubi-Wohnheimen ist ein Träger zu wählen, der die Mit- bestimmung der Sozialpartner vorsieht. Die Gewährleis- Basis: n=5.169 antwortende Auszubildende aus NRW tung günstiger Mieten für Auszubildende muss bereits bei der Vergabe der Trägerschaft festgelegt werden. Die Miete soll nicht mehr als 20 – 25 % der durchschnittlichen Die Realisierung der Wohnwünsche scheitert für viele Ausbildungsvergütung betragen. Auszubildenden an der nicht ausreichenden Ausbildungs- Die Ausstattung der Wohnheime muss so gestaltet sein, vergütung. So erhält nur gut ein Drittel (34 Prozent) der dass sie modernen Wohnwünschen der Auszubildenden Auszubildenden, die in der glücklichen Lage sind, eine ei- entspricht. Einzelzimmer mit eigenem Bad und eigener gene Wohnung zu haben, keinerlei zusätzliche finanzielle Küche sind Grundvoraussetzung. Eine pädagogische Be- Unterstützung neben der Ausbildungsvergütung. Bei den treuung von minderjährigen Auszubildenden soll das Auszubildenden, die bei ihren Eltern oder Verwandten selbständige Leben und die Eigenverantwortung för- wohnen, liegt dieser Anteil mit 60 Prozent deutlich höher. dern. Eine gute Erreichbarkeit der Azubi-Wohnheime mit Gleichzeitig erhalten diese Auszubildenden nur in Ausnah- öffentlichen Verkehrsmitteln muss gewährleistet wer- mefällen staatliche Unterstützung (2,7 Prozent), unter den den. Die demokratische Teilhabe der Auszubildenden an Auszubildenden mit eigener Wohnung liegt dieser Anteil ihrem unmittelbaren Lebensumfeld soll durch Wohn- mit 28 Prozent mehr als zehnmal so hoch. heimräte sichergestellt werden. Es muss zudem gewähr- leistet sein, dass Auszubildende auch bei einem Wechsel Anteil der Befragten ohne zusätzliche Einkünfte / des Ausbildungsbetriebes ihre Unterkunft nicht verlieren. Unterstützung nach Wohnsituation Es muss gewährleistet sein, dass Auszubildende frei von persönlicher Einflussnahme durch den Ausbildungsbe- trieb Leben und Wohnen können. Eltern / Verwandte 59,7% Die Wohnheimplätze sind nach sozialen Kriterien zu ver- geben. Besonders jüngere Auszubildende und Auszubil- Wohnheim 57,0% dende mit niedrigen Vergütungen sind zu begünstigen. eigene Wohnung 34,2% WG 31,3% Die Realisierung der Wohnwünsche scheitert für viele Auszubildende an der nicht ausreichenden Ausbildungsvergütung. Basis: n=5.155 antwortende Auszubildende aus NRW 2. Schwerpunkt Mobilität und Wohnen 19
3. Ergebnisse zur Ausbildungsqualität
3.1 Fachliche Qualität der Ausbildung im Betrieb Die Auszubildenden wurden gebeten, Ihre Ausbildung Bewertung der fachlichen Qualität der Ausbildung im nach den folgenden vier Aspekten zu bewerten (⟶ me- Betrieb in Nordrhein-Westfalen nach Ausbildungsberufen thodische Hinweise in Kapitel 5): → Fachliche Qualität der Ausbildung im Betrieb Berufe mit den besten Bewertungen bbbbb → Ausbildungszeiten und Überstunden → Ausbildungsvergütung Industriemechaniker_in → Persönliche Beurteilung der Ausbildung. Mechatroniker_in Bankkaufmann_frau Indikatoren für das Ranking Verwaltungsfachangestellte_r In die Bewertung der fachlichen Qualität der Ausbildung Berufe mit mittleren Bewertungen bbb im Betrieb fließen die Antworten zu folgenden Fragen in das Ranking ein: Maler_in und Lackierer_in Tischler_in → Einhaltung des Ausbildungsplanes Kaufmann_frau im Einzelhandel → Verrichtung von ausbildungsfremden Elektroniker_in Tätigkeiten Friseur_in → Vorhandensein und Verfügbarkeit Fachkraft für Lagerlogistik von Ausbilder_innen am Arbeitsplatz Elektroniker_in für Betriebstechnik → Zufriedenheit mit der Erklärung Kaufmann_frau für Büromanagement von Arbeitsvorgängen Industriekaufmann_frau → Grundsätzliche Bewertung der Koch_Köchin fachlichen Ausbildungsqualität im Betrieb Berufe mit den schlechtesten Bewertungen b Berufe und Branchen Anlagenmechaniker_in Die fachliche Qualität der Ausbildung in den Betrieben Fachinformatiker_in Nordrhein-Westfalens wurde in den untersuchten Ausbil- KFZ-Mechatroniker_in dungsberufen und Branchen höchst unterschiedlich be- Zahnmedizinische_r Fachangestellte_r wertet. Steuerfachangestellte_r Die angehenden Industriemechaniker_innen bewerten Fachlagerist_in die fachliche Qualität der Ausbildung im Betrieb mit Ab- Zerspanungsmechaniker_in stand am besten, gefolgt von den Mechatroniker_innen. Verkäufer_in Im letzten Jahr lagen beide Berufe noch im Mittelfeld. Da- Medizinische_r Fachangestellte_r nach folgen die Bankkaufleute und Verwaltungsfachange- Kaufmann_frau im Groß- und Außenhandel stellte, die im letzten Jahr noch die vorderen Plätze belegt Hotelfachmann_frau hatten. Mit etwas Abstand folgt ein breites Mittelfeld. Auch das Schlussdrittel mit den schlechteren Bewertun- gen ist ausgedehnt. Ganz am Ende sind die Hotelfachleu- te zu finden, mit einem deutlichen Abstand nach den Kaufleuten im Groß- und Außenhandel. Beide Berufe bil- deten in Nordrhein-Westfalen auch im letzten Jahr schon die Schlusslichter. Aber auch die 2020 erstmals befragten Fachlagerist_innen sehen die fachliche Qualität ihrer Aus- bildung kritisch. 3. Ergebnisse zur Ausbildungqualität 21
3.1.1 Einhalten des Ausbildungsplans Gesetzliche Regelung Einhalten des Ausbildungsplans Für jeden Ausbildungsberuf gibt es nach § 5 des Berufs- 1.962 befragte Auszubildende aus Nordrhein-Westfalen bildungsgesetzes (BBiG) einen rechtlich bindenden Aus- kennen ihren Ausbildungsplan »sehr gut« oder »gut«. Gut bildungsrahmenplan, der die sachliche und zeitliche Glie- ein Drittel (36 Prozent) davon gab an, dass der Ausbil- derung der Ausbildung beschreibt. Dieser muss vom Aus- dungsplan »immer« eingehalten wird. Es wurden bewusst bildungsbetrieb in einen betrieblichen Ausbildungsplan nur Auszubildende berücksichtigt, die den Ausbildungs- übersetzt werden. In ihm ist geregelt, in welchem Zeit- plan kennen, da nur sie tatsächlich beurteilen können, ob raum welche Ausbildungsinhalte im Betrieb von wem ver- die Ausbildungspläne auch eingehalten werden. Die Ver- mittelt werden sollen. Der betriebliche Ausbildungsplan mutung liegt nahe, dass der Ausbildungsplan bei den soll dem Ausbildungsvertrag beigefügt und dem Auszu- Auszubildenden, die diesen nicht kennen oder gar keinen bildenden ausgehändigt werden (§11 BBiG). zusammen mit dem Ausbildungsvertrag erhalten haben, noch seltener eingehalten wird und diese Auszubilden- Branchenunterschiede den somit noch viel häufiger ausbildungsfremde Tätigkei- Vier von zehn befragten Auszubildenden aus Nordrhein- ten verrichten müssen. Westfalen liegt nach eigenen Angaben kein betrieblicher Ausbildungsplan vor – und dies, obwohl die Ausgabe an Einhalten des Ausbildungsplans die Auszubildenden gesetzlich vorgeschrieben ist. Sie ha- selten nie ben somit keine Möglichkeit zu überprüfen, ob ihnen alle 1,5% 3,2% Inhalte vermittelt werden, die zum Erreichen des Ausbil- dungsziels notwendig sind. In Nordrhein-Westfalen gibt es dabei große Unter- manchmal schiede zwischen den untersuchten Ausbildungsberufen. 12,4% Während fast alle angehenden Verwaltungsfachange- stellten und Bankkaufleute (89 bzw. 94 Prozent) angaben, Bei knapp 5 Prozent der einen Ausbildungsplan erhalten zu haben, konnten nur zwischen 35 und 40 Prozent der befragten Anlagenme- Auszubildenden wird der chaniker_innen sowie der Medizinischen und Zahnmedizi- Ausbildungsplan »selten« nischen Fachangestellten diese Frage bejahen. oder »nie« eingehalten, nur bei einem guten Drittel Vorliegen des betrieblichen Ausbildungsplans »immer«. immer 36,0% nein ja 39,5% 60,5% häufig 46,9% Basis: n=1.944 antwortende Auszubildende aus NRW, die ihren Ausbildungsplan »sehr gut« oder »gut« kennen Vier von zehn befragten Auszubildenden haben Die Gewerkschaftsjugend fordert keinen Ausbildungsplan. Eine qualitative Ausbildung kann nur stattfinden, wenn die Ausbildungsinhalte eingehalten werden. Auszubil- dende können die Inhalte nur kontrollieren, wenn ihnen ein auf den Betrieb abgestimmter Ausbildungsplan vor- liegt und dem Ausbildungsvertrag beiliegt. Daher bedarf es einen gesonderten rechtlichen Anspruch auf einen be- trieblichen Ausbildungsplan und eine gesetzliche Kon- kretisierung im § 11 Berufsbildungsgesetz (BBiG). In § 5 BBiG soll darüber hinaus festgelegt werden, dass Abwei- Basis: n=5.285 antwortende Auszubildende aus NRW chungen vom Ausbildungsplan nicht gestattet sind. 22 Ausbildungsreport Nordrhein-Westfalen 2020
3.1.2 Verrichtung ausbildungsfremder Tätigkeiten Gesetzliche Grundlage Ausbildungsfremde Tätigkeiten Bei ausbildungsfremden Tätigkeiten müssen Auszubilden- de häufig Aufgaben ausführen, die nicht dem gültigen häufig immer 8,6% 4,0% Ausbildungsplan entsprechen. Bei diesen ausbildungs- nie fremden Tätigkeiten handelt es sich häufig um gering 30,7% qualifizierte Aufgaben oder um Routinetätigkeiten, die manchmal immer wieder ausgeführt werden und nicht mehr dem 20,6% Lernerfolg dienen. Darüber hinaus kann es schon mal vor- kommen, dass Privatdienste für die Vorgesetzten erledigt 12,6 Prozent der werden, Putzarbeiten anstehen oder die Auszubildenden drei Jahre lang in einer einzigen Abteilung eingesetzt wer- Auszubildenden müssen den. Ausbildungsfremde Tätigkeiten und ausbildungs- »immer« oder »häufig« fremde Routinearbeiten sind nach dem § 14 Berufsbil- ausbildungsfremde dungsgesetz verboten. Die fehlenden Ausbildungsinhalte Tätigkeiten ausüben, werden dann häufig mit Überstunden »aufgeholt«, in der 30,7 Prozent nie. Freizeit angeeignet oder im schlimmsten Fall überhaupt nicht vermittelt. Diese Wissenslücken fallen spätestens in der Prüfung auf oder werden im späteren Berufsleben mit allen Konsequenzen aufgedeckt. selten 36,1% Häufigkeit ausbildungsfremder Tätigkeiten Nur gut drei von zehn der befragten Auszubildenden aus Basis: n=1.943 antwortende Auszubildende aus NRW, Nordrhein-Westfalen, die ihren Ausbildungsplan (sehr) die ihren Ausbildungsplan »sehr gut« oder »gut« kennen gut kennen und objektiv einschätzen können, ob eine zu verrichtende Tätigkeit tatsächlich ausbildungsfremd ist, gaben an, nie für ausbildungsfremde Tätigkeiten einge- Betriebsgröße setzt zu werden. Dabei regelt das Berufsbildungsgesetz Bei den ausbildungsfremden Tätigkeiten zeigt sich in und die dazugehörigen Ausbildungsrahmenpläne eindeu- Nordrhein-Westfalen ein unmittelbarer Zusammenhang tig, welche Aufgaben und Tätigkeiten zu den Pflichten zur Betriebsgröße. So lag der Anteil derer, die »immer« der Auszubildenden gehören. In Teilen der Ausbildungs- oder »häufig« zu Aufgaben herangezogen zu werden, die betriebe werden die Regelungen missachtet: Über 12 nicht in ihren Ausbildungsplänen zu finden sind, in Klein- Prozent der Auszubildenden gaben an, »immer« bzw. betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten bei 18 Prozent, in »häufig« mit ausbildungsfremden Tätigkeiten befasst zu Großunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten nur bei sein. 6 Prozent. Entsprechend werden dort drei Viertel (75 Pro- Hier gibt es große Unterschiede zwischen den einzel- zent) »selten« oder »nie« mit Tätigkeiten beschäftigt, die nen Ausbildungsberufen: Während zwischen 23 und 34 nicht zu ihrer Ausbildung gehören, gegenüber nur 61 Pro- Prozent der befragten KFZ-Mechatroniker_innnen, Hotel- zent bei den Kleinbetrieben. fachleute und Steuerfachangestellten angaben, »immer« bzw. »häufig« ausbildungsfremde Tätigkeiten verrichten Die Gewerkschaftsjugend fordert zu müssen, kam dies bei den Verwaltungsfachangestell- ten, Bankkaufleuten und Industriemechaniker_innen nur Verstöße und die Nichteinhaltung gesetzlicher Regelun- selten vor (5 bis 7 Prozent). gen und Verordnungen sind keine Kavaliersdelikte und wirken sich negativ auf die Qualität der Ausbildung aus. Daher sind regelmäßige Kontrollen durch die zuständi- gen Stellen (i. d. R. die Kammern) notwendig. In gravie- renden Fällen darf dabei auch vor Sanktionen – bis hin zum Entzug der Ausbildungsberechtigung – nicht zurück- geschreckt werden. 3. Ergebnisse zur Ausbildungqualität 23
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