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3/2021 Vielfalt– Das Bildungsmagazin Editorial Liebe Leser*innen, die Schule hat nach den Sommerferien mit ei- Schüler*innen der 11. Jahrgangsstufe teilnah- nigen coronabedingten Verunsicherungen be- men, stießen die jungen Frauen auf Mord- und gonnen. Die meisten hoffen, dass die Schulen Folteraufrufe gegen Juden und auf drastische in diesem neuen Schuljahr geöffnet bleiben Vernichtungsfantasien gegen Israel. Einige und Präsenzunterricht wieder Standard sein Teilnehmende des Chats drohten konkreten wird. Die Sehnsucht nach Normalität ist spür- Schüler*innen mit Vergewaltigung oder ande- bar. Doch zur „Normalität“ gehört manchmal ren sexualisierten Gewaltexzessen und poste- auch, dass Kinder, Jugendliche und junge Er- ten sexistische, rassistische Aussagen und Bil- wachsene im Klassenraum, auf dem Schulhof, der. Die Schülerinnen, die die Posts entdeckt auf dem Schulweg oder im Web Diskrimi- hatten, ließen sich nicht einschüchtern und nierungen erleben. Sie werden wegen ihrer informierten die Schulleitung. Diese leitete ei- Hautfarbe, Herkunft, Religionszugehörigkeit, nen Beratungs- und Konsultationsprozess ein, Behinderung oder wegen Armut ausgegrenzt an dem sowohl Schüler*innen als auch Lehr- und gedemütigt. Oft sind die Diskriminierun- kräfte teilnahmen. Über diesen Prozess, den gen strukturell bedingt; manchmal sind Lehr- die Chancenwerkstatt für Vielfalt und Teilhabe kräfte oder anderes schulisches Personal be- begleiten durfte, berichtet Ariane Dettloff. teiligt; dann wieder gehen Diskriminierungen von anderen Schüler*innen aus. Die vermeint- Wie es ist, bereits als Kind von Rassismus be- liche Anonymität des Web führt dazu, dass troffen zu sein, erzählt der Schüler Firas im Diskriminierungen im Internet oft besonders Interview. Die Schule habe ein Problem damit brutal und schockierend sind. Rassismus überhaupt zu erkennen. Wie das konkret aussehen kann und welche Möglichkeiten es gibt, Diskriminierungen und Diskriminierung im schulischen Kontext ist Anfeindungen zu bekämpfen, darüber berich- keine Bagatelle. Sie verhindert Inklusion und ten wir in diesem Heft anhand eines konkreten Chancengerechtigkeit. Einzelne Kinder und Beispiels aus einem Aachener Gymnasium. Im Jugendlichen erleiden durch Diskriminie- Herbst 2020 entdeckte eine Gruppe Schülerin- rungen seelische und körperliche Schäden, nen auf einem „Discord Server“ schockieren- die ihre Bildungsverläufe beeinträchtigen de Inhalte. In einem Chat, an dem knapp 50 können. In ihrem Dossier Diskriminierungs-
2 erfahrungen und Diskriminierungsschutz an men, die zu diesen Themen in Zukunft auch Schulen beschreibt Charlotte Kastner von der strukturell arbeiten werden. Antidiskriminierungsstelle des Bundes, wie Schüler*innen institutionell in der Schule vor Zwei Bücher möchten wir Ihnen gerne ans Diskriminierung geschützt werden können. Herz legen. Das sehr bewegende Jugendbuch Kampala Hamburg von Lutz van Dijk, der von Das Ausmaß von Antisemitismus und Rassis- schwuler Liebe in Nord und Süd, von Flucht mus gegenüber Sinti*zze oder Rom*nja auf und Solidarität unter Jugendlichen schreibt Schulhöfen und in Klassenräumen vergegen- und sogar hervorragende Schulmaterialien wärtigen uns Marina Chernivsky im Interview dazu entwickelt hat. Im Buch „Die Elenden“ und Hamze Bytyçi und David Siebert in ihrem schildert die „ZEIT“-Journalistin Anna Mayr Artikel „Das lass ich mir von einem Zigeuner- ihre Erfahrungen als Tochter langzeitarbeits- bengel nicht gefallen!“ loser Eltern und analysiert deren strukturelle Ursachen. In eigener Sache möchten wir Ihnen die ers- te Antidiskriminierungsberatungsstelle für Die Redaktion wünscht Ihnen eine gute Lek- Schüler*innen in NRW vorstellen: BANDAS – türe und bittet Sie um die Weiterverbreitung Beratung und Antidiskriminierungsarbeit für von Vielfalt – Das Bildungsmagazin an alle, die Schüler*innen ist eine Servicestelle der Integ- mit Schule zu tun haben. Wir freuen uns über rationsagentur der AWO Mittelrhein, die auch Rückmeldungen. dieses Bildungsmagazin herausgibt. Endlich können wir bei struktureller, individueller und Mercedes Pascual Iglesias institutioneller schulischer Diskriminierung nicht nur protestieren, Workshops anbieten und darüber schreiben, sondern auch den Be- troffenen im Regierungsbezirk Köln zur Seite stehen. Mit dem Kompetenzverbund Schule und Bil- dung schließen sich verbandsübergreifend Servicestellen in Nordrhein-Westfalen zusam-
3 Inhalt 04 Neue Beratungsstelle: Beratung und 32 Antisemitismus in der Schule: Antidiskriminierungsarbeit für Schüler*innen Das Expertininterview (BANDAS) 36 Neuer Kompetenzverbund in NRW für 06 Rassismus in der Schule: Aachener Antidiskriminierungsarbeit an Schulen Gymnasium geht beim Kampf gegen Rassismus im Netz voran 37 Neue deutsch-arabische Handreichung zur Elternmitwirkung in der Schule 13 Rassismus erkennen: Das Schülerinterview 38 Neue Bücher: Anna Mayr: Die Elenden. Warum unsere 16 Diskriminierung an der Schule: Gesellschaft Arbeitslose verachtet und sie Erfahrungen und Schutz. Erkenntnisse der dennoch braucht. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 40 Lutz van Dijk: Kampala – Hamburg; 26 Rassismus gegen Sinti*zze oder Rom*nja Roman einer Flucht in der Schule - Eine Bestandsaufnahme Impressum Herausgeber: Redaktion: Arbeiterwohlfahrt Telefon: 0221 – 84 64 27 03 Bezirksverband Mittelrhein e.V. E-Mail: vielfalt@awo-mittelrhein.de Rhonestraße 2 a, 60765 Köln Ariane Dettloff Integrationsagentur Mercedes Pascual Iglesias Dienststelle Amsterdamer Str. 232 50735 Köln Gestaltung: Emin Bolbolian, EbianDesign Verantwortlich: Michael Mommer, Vorstand (Vorsitzender) Haftungshinweis: Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir keine Haftung für © AWO Bezirksverband Mittelrhein e.V. die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind aus- Abdruck, auch in Auszügen, erwünscht, jedoch nur mit Genehmigung schließlich deren Betreiber verantwortlich. des Herausgebers. Gefördert durch: Vielfalt – das Bildungsmagazin
4 Gegen jede Form von Diskriminierung an Schulen Beratung und Antidiskriminierungsarbeit für Schüler*innen (BANDAS) Weil Diskriminierung schadet, verletzt und jüngerer Schüler*innen bei diskriminieren- jungen Menschen einen guten Bildungsweg den Abläufen und Verfahren im Schulsystem. verbauen kann, hat die Chancenwerkstatt Erstmals erhalten damit Schüler*innen in für Vielfalt und Teilhabe eine Anlaufstelle für Nordrhein-Westfalen eine eigene Antidis- Schüler*innen aus dem Regierungsbezirk Köln kriminierungs-Beratungsstelle. Hier finden geschaffen. sie Rat, wenn sie Rassismus, Sexismus oder andere Formen der Diskriminierung in der Seit April 2021 können sich Kinder und Ju- Schule erleben. Die unabhängige Beratung gendliche ab der fünften Klasse, die in ihrer ist parteilich und stellt die Wahrnehmungen, Schule diskriminiert werden, an BANDAS wen- das Erleben und die Wünsche der Ratsuchen- den. Beraten werden auch Bezugspersonen den in den Mittelpunkt. Im geschützten Raum
5 Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de werden Schüler*innen darin unterstützt, über kurzer Film, den Sie über folgenden Link fin- ihre Erlebnisse zu reden und ihre Handlungs- den: bandas-awo-mittelrhein.de/video fähigkeit wiederzuentdecken. Die Beratung findet telefonisch, persönlich und in Zukunft Die neue Servicestelle für Antidiskriminie- auch online statt. rungsarbeit wird vom Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Lan- Auf der Homepage von BANDAS finden Schü- des Nordrhein-Westfalen gefördert. ler*innen in klarer Sprache Informationen über Diskriminierung und wie die Beratungs- stelle sie unterstützen kann. Was genau eine Antidiskriminierungsberatung ist, zeigt ein Vielfalt – das Bildungsmagazin
6 Tatort Schule Aachener Gymnasium geht beim Kampf gegen Rassismus im Netz voran Nachhaltige Antidiskriminierung ist Schulentwicklungsaufgabe! Dass Schüler*innen in netzbasierten Chats teilweise sehr problematische Inhalte teilen, ist leider Fakt. Neben groben Geschmacklosigkeiten sind im Web auch immer wieder rassistische, antisemitische oder sexistische Äußerungen zu lesen. Eher selten wird diesen gründlich und kompetent nachgegangen. In einem Aachener Gymnasium haben die Beteiligten es nun anders gemacht. Schüler*innen und Lehrkräfte haben mit Unterstützung von externen Expert*innen kritisch und umfassend reagiert. Oktober 2020: Schülerinnen des Gymnasiums Menschenfeindliche Chats zugänglich Couven in Aachen entdecken auf dem soge- machen? nannten „Discord“-Server einen rassistischen, antisemitischen, homophoben Chat, in den Die engagierten Schüler*innen wollen die eine hohe Zahl Schüler*innen der 11. Jahr- diskriminierenden Äußerungen nicht still- gangsstufe des Gymnasiums involviert waren. schweigend hinnehmen. Sie wenden sich an Mindestens 48 von insgesamt 58 User*innen die Schulleitung, bitten um pädagogische Auf- des Chats besuchten die Stufe Q1 der Schu- arbeitung und um Schutz vor Diskriminierung. le. Die große Mehrheit verhielt sich im Chat Daraufhin wird eine Arbeitsgruppe einberu- passiv, insgesamt sieben chatteten aktiv. Bei fen, um die Aufarbeitung voranzutreiben. Im den Chatbeiträgen handelte es sich um zum November 2020 findet eine Vollversammlung Teil brutale Zeichnungen und verbale Angriffe der Schule statt. In Schulkonferenzen erhalten gegen Juden, Homosexuelle und Frauen all- Schüler*innen und Eltern Gelegenheit, sich zu gemein sowie gegen namentlich genannte äußern. Doch nur wenigen liegt der Chatver- Schüler*innen und Lehrer*innen. lauf, den die Schüler*innen anonymisiert an
7 die Schulleitung weitergegeben hatten, im nierungsberatungsstelle für Schüler*innen der Wortlaut vor, da er auch intern nicht veröf- AWO Integrationsagentur, mit dem Auftrag, fentlicht wird. Die Schulleitung steht vor einer ein Veranstaltungskonzept zu entwickeln, um schwierigen Entscheidung – dem Wunsch, mit den Schüler*innen der Stufe ins Gespräch nicht zu einer weiteren Verbreitung der men- über die Inhalte der Chatverläufe zu kommen. schenverachtenden Äußerungen beizutragen, und dem Bedürfnis nach einer schulinternen Besonders die Schüler*innen, die den ersten pädagogischen Aufarbeitung, dem nur durch Chatverlauf aufgedeckt haben, drängen auf Veröffentlichung nachgekommen werden einen inhaltlichen Austausch noch vor den kann. Osterferien. Am 26. März 2021 findet an der Schule ein Hybrid-Workshop für die Schü- Im März 2021 wird ein Online-Seminar mit ler*innen der 11. Klasse statt. dem ehemaligen Rapper Ben Salomo or- ganisiert. Ben Salomo, selbst Jude, in Israel Den Workshop in Präsenz mit jeweils 15 Schü- geboren und in Berlin aufgewachsen, hatte ler*innen führen zehn Lehrer*innen durch. sich 2018 nach einer jahrelangen Erfolgsge- Von BANDAS erhalten die Lehrkräfte Ge- schichte als Rapper zurückgezogen, weil er sprächsvereinbarungen und Leitfragen, aber den Antisemitismus in der Deutsch-Rap-Szene vor allem ein Video, in dem Fachleute zu den unerträglich fand und ist seitdem als Referent Chatverläufen vom Hörfunkjournalisten Ulrich tätig. „Ich will diese antisemitischen Narrati- Biermann interviewt werden. Gemeinsam mit ve zurückdrängen, damit unsere Gesellschaft dem Moderator werden Bilder und Aussagen wieder eine wird, in der Juden nicht das Gefühl der beiden Chats gezeigt und kommentiert. Im haben, dass sie auf gepackten Koffern sitzen Film treten auf: Patrick Fels von der Informa- müssen,“ sagt Ben Salomo. tions- und Bildungsstelle gegen Rechtsextre- mismus in Köln, Jan Hildebrand von der Opfer- Zum Entsetzen der Schulgemeinschaft werden beratungsstelle Rheinland und Deborah Timm während des schulinternen Online-Seminars vom Gleichbehandlungsbüro Aachen. Sie prä- mit Ben Salomo, bei dem 250 Personen zuge- sentieren Kurzvorträge, die anschließend in schaltet sind, im Chat rechtsextreme Beiträge den Schüler*innengruppen diskutiert werden. anonym gepostet, beispielsweise Versatzstü- Neben den Expert*innen steuern die Schülerin cke aus SS-Liedern und antisemitische Hate- Judith Fitter und Schulleiter Michael Göbbels Speech. Die Schulleitung erstattet Anzeige bei je einen Input mit ihrer Sicht der Vorfälle bei. der Polizei. Alle an den Arbeitsgruppen Beteiligte erarbei- ten gemeinsam Vorschläge zum Umgang mit Hybrid-Workshop mit Fachkräften Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassis- mus und Sexismus an der Schule. Nach diesen erschütternden Erfahrungen ent- schließen sich Schüler*innen der Q1, Eltern Schule unter Druck und Lehrpersonal, externe fachliche Unter- stützung hinzuzuziehen. Beide Chatverläufe Schulleiter Michael Göbbels zeigt sich im Rah- werden BANDAS anvertraut, der Antidiskrimi- men des Workshops sehr bestürzt über die Vielfalt – das Bildungsmagazin
8 Tatort Schule Chats und das Gefühl der Verunsicherung: „Als Gespräche suchen – Zugehörigkeiten wir das gelesen haben, fühlten wir uns ein nicht als Schimpfwort verwenden Stück weit überfordert“. Couven-Schülerin Ju- dith Fitter, die den diskriminierenden Chat im Der Politikwissenschaftler Patrick Fels kritisiert Oktober 2020 mit aufgedeckt hatte, berichtet scharf die Verwendung des Wortes „Jude“ als über den Druck, dem sie ausgesetzt gewesen Schimpfwort. „Auch wenn jemand glaubt, das sei. Ihre Mitschüler*innen hätten den Chat sei nur so daher gesagt – es muss doch ernst zwar verurteilt, doch sie hätten auch kritisiert, genommen werden, weil Menschen jüdischen dass die Chats der Schulleitung gemeldet wor- Glaubens hier auf das Übelste herabgesetzt den seien. „Tatsache ist: wir haben keine Na- werden“, stellt er klar. „Wenn die Zugehörig- men genannt, niemand wurde denunziert“, keit zu einer bestimmten Religion oder Ethnie sagt Fitter. Aber Fakt ist auch: zwei der Ver- die Quelle von Beleidigungen ist, hat die freie fasser aus dem Chat meldeten sich nach der Meinungsäußerung ihre Grenzen.“ Menschen ersten Vollversammlung von sich aus bei der sollten respektvoll miteinander umgehen. Schulleitung und übernahmen die Verantwor- Eine Äußerung wie das Kürzel „JLNM“ – „Je- tung für ihre Beiträge. Einer von ihnen enga- wish Lives never mattered“ (Jüdisches Leben giert sich mittlerweile in der Schulinitiative hat noch nie eine Rolle gespielt) sei in keinem „Couven mit Courage“ (s.u.). denkbaren Kontext hinnehmbar. Fels emp- fiehlt, solche gewollten Tabubrüche ernst zu Rassistische Angriffe sind keine freien nehmen und das Gespräch mit den Verursa- Meinungsäußerungen chern und Betroffenen zu suchen. Für Judith Fitter ist die „Sache“ damit nicht ab- Stark auf die Täter fokussiert geschlossen. Sie sei „wütend und verzweifelt“, dass es an einem respektvollen Umgang mitei- Jan Hildebrand, Mitarbeiter der Opferbera- nander fehle und auch, dass seitens der Auto- tungsstelle Rheinland, bedauert: „Wir leben ritätspersonen zu wenig konkret eingegriffen in einer Gesellschaft, die sich stark auf die werde, wenn Schüler*innen rassistisch, anti- Täter fokussiert; die Stimmen der Opfer hin- semitisch oder sexistisch beleidigt würden. gegen werden oft geringer gewichtet, als es „Ich wünsche mir, dass sie klarstellen, dass uns sinnvoll erscheint“. Von Diskriminierung solche Angriffe nichts mit Meinungsäußerung Betroffene berichteten immer wieder, dass sie zu tun haben, dass derartige Äußerungen sich allein gelassen fühlten. Auch wenn es sich schlicht diskriminieren und verletzen.“ Auch in Chats und anderen netbasierten Angriffen die Behauptung, solche Statements seien iro- um keine körperlichen, sondern virtuelle Taten nisch gemeint, lässt Judith Fitter nicht gelten: handele, können sich viele Mitlesende davon „Egal, wie man Hakenkreuz-Zeichnungen und betroffen fühlen. Wenn die eigene Identität, andere Symbole wahrnimmt – sie sind und die teilweise schon durch diskriminierende bleiben doch strafrechtlich relevant“. Erlebnisse vorbelastet sei, brutal verächtlich gemacht werde, dann erzeuge das oft drama- tische, manchmal sogar traumatische Wirkun- gen. Das könnten sich außer den Täter*innen
9 auch Nicht-Betroffene oft kaum vorstellen. Täter*innen direkt zu konfrontieren.“ Lehr- „Wichtig finde ich, dass persönliche Grenzen kräfte, so Hildebrand, seien klar gefordert, abgesteckt und eingehalten werden. Bei den nicht unbeteiligt zu bleiben, sondern Grenzen Chats, die wir hier gesehen haben, sind deut- zu markieren. lich Grenzen überschritten. Das kann ich gar nicht ,cool‘ finden. Wenn so ein krasser Prozess Strafparagrafen im Blick im Gange ist, wo es anscheinend in Ordnung ist, den Holocaust zu relativieren oder gar Die Juristin Deborah Timm vom Gleichbehand- Menschen diesen zu wünschen, fällt es auch lungsbüro Aachen nennt gleich mehrere Straf- Nicht-Betroffenen schwer, zu intervenieren“, tatbestände, gegen die im Chat verstoßen sagte Jan Hildebrand. In der Opferberatung wurde. Laut Paragraf 130 des deutschen Straf- Rheinland erlebten er und seine Kolleg*innen gesetzbuchs wird die Holocaust-Leugnung immer wieder, dass sich die angegriffenen mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet. Unter Menschen allein zur Wehr setzen müssten. diesen Volksverhetzungs-Straftatbestand fällt Selten mischten sich vermeintlich unbeteilig- auch die Abkürzung JLNM. Die im Chat abge- te Personen ein. „Dass hier eine Gruppe von bildeten Hakenkreuz-Zeichnungen verstoßen Schüler*innen solidarisch zur Stelle war, finde gegen den Paragrafen 86a. Dieser stellt die ich großartig. Das ist alles andere als selbst- Verwendung verfassungsfeindlicher Zeichen verständlich,“ stellt Hildebrandt fest. unter Strafe, die bis zu drei Jahren Haft be- tragen kann. Ist der Beleidigungsparagraf re- Jan Hildebrandt appelliert deshalb an alle, für levant kann, wenn die Beleidigung öffentlich diskriminierende Anfeindungen sensibel zu stattfindet, bis zu zwei Jahren Haftstrafe ver- sein und diese nicht hinzunehmen. Auch wenn hängt werden. man sich nicht in einem Chat als als „Gegner“ outen wolle, könne man der betroffenen Per- Allein die Kenntnis solcher Strafmaßnahmen son zur Seite stehen und mit ihr gemeinsam könne, auch ohne dass der juristische Weg beratschlagen. „Das ist beschritten werde, die Tatopfer empowern, oft leichter, als die ihnen den Rücken stärken. Illustration: i-frame media GmbH Vielfalt – das Bildungsmagazin
10 Foto: Simon Schulz Tatort Schule Anti-Rassismus Veranstaltung im Couven Gymnasium Machtgefälle reflektieren sie besonders schwierig ist, solche Übergriffe anzusprechen. Daher empfiehlt sie, unabhän- Strafbewehrt sind außer rassistischen und gige Beratungsstrukturen vorzuhalten, wo Be- antisemitischen Herabsetzungen auch sexisti- troffene sich Hilfe holen können. Wichtig sei sche Beleidigungen und sexualisierte Gewalt. es aber auch, so Bothe, eigene verinnerlichte Hierbei spielt regelmäßig das gesellschaftliche Sexismen der Erwachsenen zu erkennen und Machtgefälle eine Rolle, weiß Madalena Bot- zu reflektieren. Schließlich seien wir alle in he, Beraterin und Referentin bei BANDAS. Die einer Gesellschaft sozialisiert worden, in der Antidiskriminierungs-Expertin erläutert, wie diese allgegenwärtig sind. verletzend Bemerkungen auch von Lehrkräf- ten zum Aussehen, zur Körperlichkeit, zu At- Viel zu tun traktivität und Bekleidung auf Schüler*innen wirken können. „Das sollte doch ein Kompli- Keine Frage: In Sachen Diskriminierungsschutz ment sein“, lautet die oft gehörte Rechtferti- an Schulen bleibt noch viel zu tun – nicht nur gung, wenn die Betreffenden mit Beschwer- in Aachen. Am Gymnasium Couven haben ei- den hierüber konfrontiert werden. Doch was nige Lehrkräfte die Arbeitsgruppe „Couven mit als kränkend empfunden wird, das können Courage“ ins Leben gerufen. Ziel ist, gemein- nicht die „Täter*innen“ entscheiden, sondern sam mit Schüler*innen und Eltern Konzepte einzig die Bewerteten. Bothe weist darauf hin, für den künftigen Umgang mit Diskriminie- dass es aufgrund des Abhängigkeitsverhält- rung an der Schule zu entwickeln. nisses der Schüler*innen vom Lehrpersonal für Die Lehrerin Andrea Genten, die sich in der
11 Schulinitiative engagiert, bilanziert: „Wichtig Schulbeispiels bleibt festzuhalten: Diskrimi- ist, dass Schulen mit diesen Herausforderun- nierung im Chat ist keinesfalls als bloße Mei- gen nicht allein gelassen werden. Mit BAN- nungsäußerung abzutun. Vielmehr gilt es, DAS, der ersten Antidiskriminierungsstelle Vorfällen wie diesen vorzubeugen und, wo für Schüler*innen in NRW, ist ein wichtiger dies fehlschlägt, sie zu ahnden. Zum Ende des Anfang gemacht. Für Schüler*innen ist es gut, Schuljahres veranstaltete das Gymnasium ei- einen außerschulischen Ort haben, an den sie nen Aktionstag unter anderem mit dem Autor sich wenden können. Schulen insgesamt pro- des Buches „Bloggen gegen Rassismus - Holen fitieren von der professionellen Begleitung in wir uns das Netz zurück“, Said Rezek. ihrem Bestreben, Schulentwicklung im Sinne einer nachhaltigen Antidiskriminierungs- Das Land Berlin geht bei der juristischen Be- strategie voranzutreiben. Die Kooperation kämpfung von Diskriminierung an Schulen zwischen BANDAS und dem Couven stellt für voran: Es hat 2020 das Landesantidiskrimi- unsere Schule wichtige Weichen in diese Rich- nierungsgesetz verabschiedet, dem zufolge tung.“ Personen nicht durch öffentlich-rechtliches Handeln diskriminiert werden dürfen. Ereig- Schulleiter Göbbels hat den Fall der Poli- net sich eine ungerechtfertigte Ungleichbe- zei übergeben. Der Staatsschutz ermittelt. handlung, haben die Bürger*innen – auch Schließlich sei es auch möglich, dass der Jugendliche – ein Recht auf Schadensersatz Zoom-Link für die Veranstaltung im März und Entschädigung. Für die gerichtliche Gel- 2021 an Schulfremde weitergegeben worden tendmachung gilt eine Frist von einem Jahr. sei oder dass sich Externe in das Online-Schul- seminar gehackt hätten. Das Ziel, Vielfalt und Ariane Dettloff Buntheit aller Schulmitglieder zu pflegen und wertzuschätzen, bleibe dem Kollegium vor- rangig wichtig. Als Resümee dieses Aachener Illustration: i-frame media GmbH Vielfalt – das Bildungsmagazin
Zum Nachlesen Ben Salomo: „Ben Salomo bedeutet Sohn antisemitischen Angriffe aus der Szene, die des Friedens.“, Europa Verlag 2019. ich seit Jahren zu hören bekomme, nicht mehr ertragen. Antisemitismus ist im Deutschrap Ben Salomo ist ein aus Israel stammender inzwischen alltäglich geworden. Jeder nimmt Berliner Rapper, Singer/Songwriter. In seinem das irgendwie hin, keiner tut etwas dagegen. Buch spricht Ben Salomo über sein Leben in Dass ich bekennender Jude bin und das auch Deutschland. Aufgewachsen in den Hinter- in meinen Texten verarbeite, hat manche Anti- höfen von Berlin-Schöneberg, wurde er be- semiten so in Rage gebracht, dass ich sogar reits früh als Jude diskriminiert. Auch in der bedroht wurde.“ (Quelle: www.europa-ver- Deutschrap-Szene schlug ihm immer wieder lag.com/Buecher/6515/BenSalomobedeutet- Feindseligkeit entgegen, bis hin zu persönli- SohndesFriedens.html) chen Bedrohungen. Um sich von den gewalt- verherrlichenden und antisemitischen Aussa- „Wir sind heute in Deutschland schon wieder gen seiner Musikerkollegen zu distanzieren, so weit, dass man als Jude Angst haben muss“. gab er im Mai 2018 seine Konzertreihe »Rap am Mittwoch« auf. Den Deutschrap hält er mittlerweile für eine gefährliche Musikrich- tung, deren Einfluss vollkommen unterschätzt werde. In einem Gespräch sagt er dazu: „Ich bin Jude, und als solcher konnte ich all die
Das Interview 13 „Der erste Schritt gegen Rassismus ist, diesen zu erkennen“ Mit dem siebzehnjährigen Aachener Gymnasiasten Firas sprach Mercedes Pascual Iglesias über Diskriminierungserfahrungen in seiner Kindheit und in der Schule. Das Thema Rassismus unter Jugendlichen als Muslimin ein Kopftuch. Und wenn ich mit lässt Firas nach den ersten Aussprachen im ihr im Bus gefahren bin, gab es manchmal Aachener Couven-Gymnasium über den anti- schiefe Blicke und merkwürdiges Getuschel. semitischen und rassistischen Chatverlauf im Konkret kann ich mich erinnern, wie eine Discord-Server nicht mehr los. Er verfasst sei- Nachbarin mich und meine Freunde mas- ne Facharbeit darüber und interviewt mich siv diskriminiert hat, als wir an Karneval mit als Expertin zu den Themen Rassismus, der Spielzeugwaffen durch das Viertel zogen. Sie Ermordung des schwarzen US-Amerikaners hat uns Kinder als „Terroristen“ beschimpft. George Floyd und wie man bei Diskriminie- Ich war sehr wütend darüber und habe das rung eingreifen kann. Aus dem Interview wird sofort meinen Eltern erzählt. ein interessanter Austausch. Und wie haben deine Eltern reagiert? Monate später bitte ich ihn um ein Interview für Vielfalt – Das Bildungsmagazin. Seine per- Sie sind zu dieser Nachbarin gegangen und sönlichen Erfahrungen reflektiert er vor dem haben sie mit dieser diskriminierenden Äuße- Hintergrund seiner theoretischen Beschäfti- rung konfrontiert. Sie hat sich daraufhin ent- gung mit dem Thema Rassismus. Denn wie er schuldigt. in seiner Facharbeit bilanziert: Der erste Schritt gegen Rassismus ist, diesen zu erkennen. Deine Eltern haben dir damit das Gefühl gegeben: du bist okay, du hast nichts Wann hast Du zum ersten Mal Rassismus falsch gemacht, sondern die andere Per- erlebt, Firas? son hat sich falsch verhalten. Das haben sie klargestellt – eine große Unterstüt- Da war ich noch ein Kind. Meine Mutter trägt zung. Wenn diskriminierende Beleidi- Vielfalt – das Bildungsmagazin
14 Das Interview gungen in der Schule passieren – be- Ja. Ein Beispiel: Ein Freund von mir ist mal zu kommt ihr Schüler*innen dann auch so spät in den Unterricht gekommen und musste eine Art von Unterstützung? sich anhören, dass „Ausländer“ ja ein Problem mit Pünktlichkeit hätten: „In deinem Her- Wir haben Beratungslehrer, an die wir uns kunftsland kennt man solche Verhaltensregeln wenden können. Aber ich weiß nicht, ob die wohl nicht!“ Schüler das tun würden. Es braucht jemanden Externes. Weil ich mir gut vorstellen kann, Hat da jemand eingegriffen und den Leh- dass man Angst vor Nachteilen hat, bei den rer kritisiert? Schulnoten vielleicht… Nein, wir haben zwar in unserem Freundes- Hast Du Probleme mit Noten erlebt? kreis später darüber geredet, aber im Unter- richt nicht. Schüler*innen haben ja Angst, Mein Bruder hat wie auch ich nur eine einge- wenn sie Lehrer auf solche Diskriminierungen schränkte Empfehlung fürs Gymnasium be- ansprechen, dass man daraufhin schlechter kommen, obwohl er lauter gute Noten hatte – behandelt wird. Lehrer an weiterführenden lauter Einser und Zweier. Das fanden wir sehr Schulen können Schüler*innen eventuell das ungerecht. Ich selbst hatte einen Notenschnitt ganze spätere Leben zerstören. Sie wissen, von 2 Komma 3. dass sie am längeren Hebel sitzen. Hast du beobachtet, dass an deiner Schu- Wie wird denn das Thema Rassismus im le Mitschüler*innen diskriminiert wor- Unterricht behandelt? den sind? Foto: Mercedes Pascual-Iglesias Couven Schüler.innen engagieren sich beim Aachener Friedenslauf für ein respektvolles Miteinander
15 Es gab ja hier den Vorfall, dass in halbprivaten Lehrer*innen sollten eigentlich in der Pflicht Chats krasse rassistische und sexistische Belei- sein, das zu verhindern und gar nicht erst digungen durch Schüler über Mitschüler*in- möglich zu machen. nen und Lehrkräfte geäußert worden sind. Nachdem diese bekannt geworden sind, war Wenn es zu rassistischen Beleidigungen es ein großes Thema. Es gab Workshops und auf dem Schulhof kommt, mischen sich wir haben viel diskutiert. Ich meine allerdings, dann Lehrer*innen ein? man müsste schon in der Grundschule anfan- gen, über Rassismus aufzuklären – da sehe ich Ich weiß von Lehrern, die in solchen Momen- eine Lücke im Bildungssystem. ten eingreifen – es gibt aber auch andere, die das nicht tun. Kennst du die Mitschüler, die sich in den Chats so rassistisch geäußert haben? Du hast dich ja mit dem Thema Rassis- mus in der Schule beschäftigt – hattest Ja, es sind Freunde von mir, alle haben selbst Du dabei Ideen, was notwendig wäre? einen Migrationshintergrund. Ich denke, dass Schüler*innen jederzeit die Ja, eigene Migrationserfahrungen schüt- Möglichkeit haben sollten, mit Fachleuten zu zen nicht davor, selbst an anderen Stel- sprechen, und zwar in einer unabhängigen len zu diskriminieren. Hast du denn den Anlaufstelle. Wir haben zwar an der Schule Eindruck, dass die nachträgliche Bear- eine Sozialarbeiterin – aber ich weiß nicht, ob beitung des Themas rassistische und se- ein*e Schüler*in dort hingehen würde, wenn xistische Diskriminierung an der Schule er oder sie Rassismus erlebt. Natürlich gibt es etwas gebracht hat? die Schweigepflicht – aber gerade, wenn man von seiner Schule enttäuscht wurde, weil man Doch, durchaus. Gerade die Gespräche nach Rassismus erlebt hat, weiß ich nicht, ob man den Videos mit Experten fand ich gut. Da Vertrauen in die Sozialarbeiter*in derselben hatten alle die wollten, die Gelegenheit, ihre Schule setzen kann. Aber auf jeden Fall muss Sichtweise zu schildern. Dass dieser Chat-Vor- man darüber reden können und auch die Mög- fall passiert ist, hatte in der Hinsicht etwas lichkeit haben sich zu wehren. Gutes: dass man endlich anfängt, darüber zu reden. Ja, es hat wirklich was gebracht. Von wem geht deiner Meinung nach Ras- sismus stärker aus – von Schüler- oder Lehrerseite? Da muss ich sagen, dass ich ziemlich sicher bin, dass er hauptsächlich von Lehrer*innen ausgeht, aber ich würde nicht sagen, dass der Anteil der Schüler*innen gering ist. Aber die Vielfalt – das Bildungsmagazin
16 Das Dossier Diskriminierungs- erfahrungen und Diskriminierungsschutz an Schulen Charlotte Kastner von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes analysiert die Diskriminierungsrisiken für Schüler*innen und ihre Folgen. Schulen sind Orte, an denen Kinder lernen Repräsentativbefragung der Antidiskriminie- können, wie wichtig ein gleichberechtigter rungsstelle des Bundes zu Diskriminierungs- und fairer Umgang miteinander ist und wie er erfahrungen in Deutschland, dass 23,7 Pro- praktisch funktioniert. Schule kann aber zu- zent aller Befragten in den letzten zwei Jahren gleich auch der Ort sein, an dem Kinder zum Diskriminierungen im Bildungsbereich erlebt ersten Mal Diskriminierungen erfahren – sei haben (ADS 2016). In einer internationalen es durch Lehrkräfte, durch Gleichaltrige oder Studie der OECD-Länder gaben 12 bis 15 Pro- auch durch diskriminierende Strukturen wie zent der Schüler*innen an, dass Lehrer*in- fehlende Barrierefreiheit oder Klischees in nen eine negative Einstellung gegenüber Schulbüchern. bestimmten Personengruppen haben (OECD 2020). Und auch an die Beratung der Antidis- Diskriminierungen an Schulen lassen sich dabei kriminierungsstelle des Bundes wenden sich von der Einschulung bis zum Ende der Schul- immer wieder Personen, die Diskriminierung laufbahn beobachten. Kinder und Jugendliche im Bildungsbereich erleben – insbesondere erleben Benachteiligungen beispielsweise Eltern, die von Benachteiligungen ihrer Kinder aufgrund der ethnischen Herkunft oder ras- berichten. sistischer Zuschreibung, des Geschlechts oder der Geschlechtsidentität, der Religion oder Diskriminierungsrisiken in der Schule Weltanschauung, einer Behinderung, des Al- ters oder der sexuellen Identität, der sozialen Es gibt im schulischen Bereich spezifische Herkunft oder des Aussehens: So zeigte eine Diskriminierungsrisiken. Der Zugang zur
17 Schule, aber auch der Übergang von der der Grundschulzeit wirkt sich die sozioökono- Grundschule zur weiterführenden Schule ist mische Lage des Elternhauses oft negativ auf hier an erster Stelle zu nennen. Dabei spielt die Einschätzung durch Lehrkräfte aus. Zudem insbesondere die Bewertung von schulischen wandten sich auch Eltern an die Antidiskrimi- Leistungen eine wichtige Rolle. Darüber hin- nierungsstelle, deren Kindern aus ihrer Sicht aus können Lern- und Lehrmaterialien Diskri- wegen rassistischer Vorurteile oder Einstellun- minierungen aufweisen und auch die Ausge- gen von Lehrkräften eine Empfehlung für ein staltung der Barrierefreiheit und der Umgang Gymnasium verwehrt wurde. zwischen Lehrenden und Schüler*innen kön- nen diskriminierend sein. Aber auch beim Zugang zur Schule lassen sich Diskriminierungen beobachten. In den Die spezifischen Diskriminierungsrisiken Beratungsanfragen berichten Eltern, dass ihre spiegeln sich auch in den Beratungsanfragen Kinder mit Förderbedarf an öffentlichen, aber an die Antidiskriminierungsstelle des Bun- auch an privaten Schulen aufgrund ihrer Be- des wider: In einigen Fällen wurde berichtet, hinderung nicht aufgenommen beziehungs- dass Kinder mit Migrationsgeschichte, aber weise gegen ihren Willen an eine Förder- auch Schüler*innen muslimischen Glaubens schule verwiesen werden. Außerdem gibt es schlechter benotet wurden, obwohl sie auch immer wieder Fälle, in denen Kinder mit gleich gute Leistungen wie ihre Mitschü- Sprachdefiziten oder Migrationshintergrund ler*innen erbrachten. Dies deckt sich mit den ohne sprachunabhängige Prüfung des Förder- Ergebnissen neuerer Studien, die unter an- bedarfs auf Förderschulen verwiesen werden. derem Hinweise auf Diskriminierung bei der Leistungsbewertung von Schüler*innen mit Diskriminierung in der Schule äußert sich aber Migrationsgeschichte durch Lehrkräfte geben auch in Beleidigungen, Mobbing und Aus- (Bonefeld et al. 2017; Bonefeld/Dickhäuser grenzung anhand verschiedener Merkmale. 2018). So berichtete ein Ratsuchender der Antidis- kriminierungsstelle des Bundes, dass seine Der Übergang von der Grundschule auf Söhne aufgrund der ethnischen Herkunft (Sin- die weiterführende Schule stellt eine ent- ti) an einer Schule fast täglich diskriminiert scheidende Weichenstellung in der Bildungs- werden. Es käme zu Schmierereien, körper- laufbahn dar, auf der alle weiteren Bildungs- lichen Übergriffen von Mitschüler*innen und chancen aufbauen. Es besteht die Gefahr, dass Beleidigungen durch Lehrkräfte. In anderen bei diesem Auswahlprozess Diskriminierung Fällen äußerten sich Lehrkräfte nach Aussagen eine Rolle spielt. Übergangsempfehlungen der Ratsuchenden abwertend über Menschen der Schule basieren vor allem auf den in Noten afrikanischer oder arabischer Herkunft bezie- gemessenen Leistungen sowie den Einschät- hungsweise stellten Muslim*innen generell zungen der Lehrer*innen. Neben dem Dis- als potenzielle Terrorist*innen oder dümmer kriminierungsrisiko, das von der Bewertung als nichtreligiöse Menschen dar. Beratungs- ausgeht, birgt auch die subjektive Perspektive anfragen betreffen auch häufig Fälle, in denen der Lehrkräfte ein erhöhtes Risiko. Insbeson- Kinder mit Behinderungen sowohl von Lehr- dere bei den Übergangsempfehlungen nach kräften als auch von anderen Schüler*innen Vielfalt – das Bildungsmagazin
18 Das Dossier unfair behandelt, beleidigt, gemobbt oder sowie anderen Rechtsvorschriften entspre- ausgeschlossen werden, sich über sie lustig chen. Schulbücher und andere Unterrichtsma- gemacht sowie keine Rücksicht auf sie ge- terialien sind jedoch oftmals nicht diskriminie- nommen wird. rungsfrei. Analysen zeigen, dass stereotype Darstellungen in Bezug auf Menschen mit Auch fehlende Barrierefreiheit und feh- Migrationshintergrund, Religion (insbeson- lende angemessene Vorkehrungen füh- dere den Islam), Geschlecht sowie gleichge- ren in Schulen zu Diskriminierungen: Bei der schlechtliche Lebensformen häufig auftreten.1 Antidiskriminierungsstelle des Bundes be- schweren sich immer wieder Eltern von Kin- Auswirkungen von Diskriminierung in dern mit Behinderungen, dass ihren Kindern der Schule oft erst verspätet oder kein Nachteilsausgleich genehmigt wird. Geschildert wird auch, dass Diskriminierungen gehen nicht spurlos an Be- Kinder mit Behinderungen oder mit chroni- troffenen vorüber, sondern haben gravierende schen Krankheiten nicht an Klassenfahrten Auswirkungen: Empirische Untersuchungen und Ausflügen teilnehmen können, da ent- konnten belegen, dass Diskriminierungen den sprechende angemessene Vorkehrungen feh- Lernerfolg negativ beeinflussen (Universität len. So wurde beispielsweise ein Schüler, der Ulm 2014). Schüler*innen, die gehäuft mit an Epilepsie leidet, trotz ärztlicher Unbedenk- Vorurteilen konfrontiert werden, fühlen sich lichkeitsbestätigung von einer Klassenfahrt eingeschüchtert und befürchten, durch das ausgeschlossen. eigene Verhalten diese Vorurteile erneut her- vorzurufen. Dies kann zu Leistungsminde- Eltern von Trans*Kindern und Trans*Ju- rungen oder zum Rückzug aus den Bereichen gendlichen meldeten, dass die Namens- führen, in denen sie das Bedrohungsgefühl änderung ihrer Kinder an der Schule nicht erlebt haben. anerkannt, der neu gewählte Name vor einer offiziellen Änderung des Personenstands nicht Denn Diskriminierung bedeutet für viele Schü- auf dem Zeugnis geführt wird oder ihre Kinder ler*innen auch, dass sie – neben den direkten von Lehrkräften nicht mit dem neu gewählten Auswirkungen auf ihren Lernerfolg – einem Namen angesprochen werden. Als diskrimi- permanenten Stress ausgesetzt sind. Diese nierend wurden zudem fehlende geschlechts- psychische Belastung kann unmittelbare Aus- neutrale Schultoiletten und Umkleidekabinen wirkungen auf die psychische und physische benannt. Gesundheit haben. Eine häufige Konsequenz als Reaktion auf Diskriminierungserfahrun- Grundsätzlich gilt, dass Unterrichtsmaterialien gen, die von Beratungsstellen berichtet wird, nur dann zugelassen oder eingeführt werden ist der Wechsel der Schule. Schulwechsel dürfen, wenn sie den in den Schulgesetzen stellen für viele Betroffene aufgrund mangeln- festgelegten Bildungs- und Erziehungszielen der Beschwerdemechanismen und fehlender 1 siehe z. B. die Studien „Migration und Integration“ der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration von 2015 und „Geschlechterkonstruktionen und die Darstellung von LSBTI in Schulbüchern“ der GEW von 2011.
19 Interventionsmöglichkeiten oft die einzige Darüber hinaus enthält das Allgemeine Möglichkeit dar, sich dauerhaft der Diskrimi- Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zwar im nierung zu entziehen. Solche Schulwechsel Anwendungsbereich die Nennung der Bildung sind mit weiteren negativen Auswirkungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 AGG). Es ist aber rechtlich um- verbunden, so zum Beispiel dem Verlust des stritten, ob dies dahingehend auszulegen ist, sozialen Umfeldes. dass auch der Bereich der öffentlichen Bildung mitumfasst ist. Für Schüler*innen und deren Die individuelle Bildung hat einen großen Ein- Eltern an staatlichen Schulen bleibt das AGG fluss auf die spätere Karriere, auf Einkommen, jedenfalls ohne Rechtsfolgen. Lediglich an Arbeitsplatzsicherheit, Rentenhöhe, aber auch Schulen, in denen ein privatrechtlicher Unter- auf Gesundheit und Lebensdauer. Diskriminie- richtsvertrag geschlossen wird (zum Beispiel rungserfahrungen im Bildungsbereich können Privatschulen, Nachhilfeeinrichtungen) sind sich negativ auf diese auswirken. Somit be- Schüler*innen durch das AGG vor Diskrimi- deutet Diskriminierung im Bildungsbereich, nierung durch die Bildungseinrichtung selbst dass bestehende Ungleichheiten ver- geschützt. stärkt und Bildungsgerechtigkeit verhin- dert wird. Hinzu kommt, dass es oft schwer Unabhängig davon fehlen weitgehend landes- ist, gegen Diskriminierungsfälle in Schulen rechtliche Umsetzungen, die ausdrücklich vor anzugehen: Die Bildungsinstitutionen basie- Diskriminierungen in der Schule schützen und ren auf hierarchischen Strukturen und Betrof- Konsequenzen beziehungsweise Verfahren für fene wissen meist nicht, an wen sie sich im den Fall einer unzulässigen Benachteiligung Falle einer Diskriminierung wenden bzw. wie festlegen (Dern et al. 2013). sie dagegen vorgehen können. Im Bundesland Berlin bietet das 2020 in Kraft Diskriminierungsschutz in der Schule getretene Berliner Landesantidiskrimi- nierungsgesetz (LADG) Schüler*innen und Für öffentliche Schulen ergibt sich aus den Eltern auch einen konkreten Diskriminierungs- Gleichheitsgarantien in Artikel 3 Grund- schutz im Bereich der öffentlichen Schulen. gesetz sowohl ein Teilhaberecht am beste- Betroffene können unter anderem Beschwer- henden Bildungssystem als auch ein Diskri- de bei einer neu geschaffenen Ombudsstelle minierungsschutz während des Schulbesuchs. einlegen.2 Um Schüler*innen wirkungsvoll Schüler*innen sind dadurch an öffentlichen gegen Diskriminierung zu schützen und Be- Schulen nicht nur vor unmittelbarer und mit- schwerdemöglichkeiten bei Diskriminierungs- telbarer Diskriminierung durch die Organisati- fällen zu ermöglichen, könnten auch andere on und deren Repräsentant*innen geschützt. Bundesländer landesrechtliche Regelungen Der Staat hat auch die Pflicht, Schüler*innen nach dem Berliner Vorbild schaffen. vor Diskriminierungen durch Mitschüler*in- nen zu schützen. 2 für ausführliche Informationen zum Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz siehe hier: www.berlin.de/sen/lads/recht/ladg/fragen-und-antworten/ Vielfalt – das Bildungsmagazin
20 Das Dossier Handlungsmöglichkeiten für schulische phobie und stärkt Zivilcourage. Ziel ist es, Akteur*innen aus der Schule einen offenen, toleranten und angstfreien Ort zu machen. Im Jahr 2002/3 Gerade weil das AGG Schüler*innen an öf- ist eine Arbeitsgruppe im Bereich der klas- fentlichen Schulen keinen Diskriminierungs- sischen Streitschlichtung entstanden. Dort schutz im Bildungsbereich bietet, sind schuli- wurden Schüler*innen zu Streitschlichter*in- sche Akteur*innen aufgerufen, sich aktiv für nen und Konfliktberater*innen ausgebildet, den Schutz vor Diskriminierung einzusetzen. um mit Hilfe der Methoden Peer Mediation Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und Mobbing-Intervention eine gewaltfreie unterstützt dabei beispielsweise durch den Kommunikation in der Schulgemeinschaft zu Praxisleitfaden „Diskriminierung an Schulen fördern. Darauf aufbauend entstanden weite- erkennen und vermeiden“3 und den Schul- re Arbeitsgemeinschaften zum Thema Homo- wettbewerb „fair@school“.4 Der Leitfaden und Transphobie, Rassismus, Diskriminierung richtet sich an Lehrer*innen, Schulleitungen und Zivilcourage sowie Internetsicherheit und und das pädagogische Personal an Schulen, Cybermobbing. an Mitarbeitende von Schulverwaltungen, aber auch an außerschulische Akteure wie Die Wirkung des Projekts zeigt sich in dessen Elternvereine und zivilgesellschaftliche Orga- Langlebigkeit sowie in der hohen Akzeptanz nisationen aus dem Bereich der Antidiskrimi- innerhalb der Schulgemeinschaft und der nierungsarbeit, die sich für den Schutz vor Dis- Lehrer*innenschaft. Die Arbeits- und Aktions- kriminierung an ihrer Schule einsetzen wollen. gruppen finden jedes Jahr regen Zulauf. Die Der Wettbewerb zeichnet seit 2017 Schulen Schulleitung und der Förderverein der Schule aus, die sich mit Projekten nachhaltig gegen unterstützen die Arbeit in vielfältiger Art und Diskriminierung einsetzen und Inspiration für Weise. andere Schulen sein können. Eine Sammlung mit erfolgreichen Praxisbeispielen des Schul- Der Auftrag zum Schutz vor Diskriminie- wettbewerbs steht zum Download zur Verfü- rung wird an Schulen und schulische Ak- gung. teur*innen auch durch die Kultusministerkon- ferenz herangetragen: „Sie [die Schule] tritt Praxisbeispiel: „Vier gewinnt“ des Erasmus- aktiv der Diskriminierung einzelner Personen von-Rotterdam-Gymnasiums in Viersen oder Personengruppen entgegen. Sie prüft, (1. Platz des Wettbewerbs „fair@school“ 2020) inwieweit Strukturen, Routinen, Regeln und Verfahrensweisen auch unbeabsichtigt be- Das Projekt „Vier gewinnt“ bündelt verschie- nachteiligend und ausgrenzend wirken, und dene Arbeitsgruppen der Schule zu Peer entwickelt Handlungsansätze zu deren Über- Mediation, Mobbing-Intervention, Konflikt- windung.“ (KMK 2013: S. 3). beratung und Internetsicherheit gegen Ras- sismus, Diskriminierung, Homo- und Trans- 3 siehe www.fair-at-school.de 4 Download unter www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Leitfaeden/praxis- beispiele_fuer_schulische_antidiskriminierungsprojekte.html?nn=14284020
21 Um angemessen auf Diskriminierungen zu werden. Aufbauend auf der Analyse und Auf- reagieren, sollten schulische Diversity- und deckung von Diskriminierungsrisiken können Antidiskriminierungskonzepte erarbeitet präventive Maßnahmen ergriffen werden: werden. Zentrale Bausteine dafür werden im Mögliche Maßnahmen sind die Stärkung von genannten Praxisleitfaden dargestellt. Zur Betroffenen, Schulungen des Lehrpersonals, Umsetzung der einzelnen Bausteine sollten Trainings für Schüler*innen, die Bereitstellung Schulen externe Fachleute hinzuziehen und von Informationen und Schaffung von Bera- mit außerschulischen Akteur*innen, insbe- tungsangeboten, die Förderung von Vielfalt sondere aus dem Bereich der Betroffenen- und Partizipation sowie die Überarbeitung der vertretungen (beispielsweise LSBTIQ*-Netz- Schulordnung. werke, die Aufklärungsprojekte in Schulen anbieten) sowie Antidiskriminierungsbera- Hat eine Diskriminierung stattgefunden, ist tungen vor Ort zusammenarbeiten. Hinweise es wichtig, dass es an Schulen geeignete zu geeigneten Ansprechpersonen finden sich Interventionsmaßnahmen gibt, um die im Serviceteil des Leitfadens. Konflikte zu lösen und Betroffenen Hilfestel- lung zu bieten. Damit alle Akteur*innen im Um die Schulgemeinschaft für Diskriminie- schulischen Kontext wissen, wie sie mit Dis- rungen zu sensibilisieren, ist es wichtig, kriminierungen umgehen können und welche zu prüfen, an welchen Stellen Diskriminierung Handlungsoptionen es gibt, ist es wichtig, in der Einrichtung auftritt und wie sie sich dass Schulen Leitlinien zum Umgang mit äußert. Dadurch werden Benachteiligungen und zur Intervention bei Diskriminierun- sichtbar gemacht und ein Raum zur Thema- gen entwickeln. Diese Leitlinien sollten in der tisierung wird geboten. Außerdem kann eine Schulordnung verankert werden. Um einen Bestandsaufnahme zeigen, ob bestehende Rahmen für solche Leitlinien vorzugeben und Schutzregelungen eingehalten werden und Schulen bei der Entwicklung zu unterstützen, wo nachgebessert werden muss. Verschiedene sollten die einzelnen Schulverwaltungen auf Methoden und Verfahren können helfen, Dis- Landesebene Musterleitlinien bereitstellen. kriminierungen an Schulen zu identifizieren. Das Sichtbarmachen ist einerseits der erste Insgesamt sollte die Schule klare und trans- zentrale Schritt, den Schulen auf dem Weg zu parente Verfahrensweisen für Interventionen mehr Diskriminierungsschutz gehen sollten. bei Diskriminierung entwickeln. So sollten Andererseits kann dieser Schritt auch in re- interne Regeln für den Umgang mit Betrof- gelmäßigen Abständen wiederholt werden. fenen erarbeitet und Streitschlichter*innen/ Denn Schule verändert sich fortlaufend und so Konfliktlots*innen sowie Ansprechpersonen ist es sinnvoll, immer wieder die eigene Praxis benannt werden. Weitergehende Handlungs- zu reflektieren. Um bestehende Benachteili- möglichkeiten sollten aufgezeigt werden und gungen im Schulalltag sichtbar zu machen, ein schulinternes Beschwerdeverfahren können Befragungen, Untersuchungen be- sollte entwickelt werden. Dieses Beschwerde- stehender Regeln und Routinen, Erhebungen verfahren sollte auch berücksichtigen, dass statistischer Ungleichheiten und Analysen von es in bestimmten Fällen sinnvoll sein kann, Unterrichtsmaterialien und -inhalten genutzt externe Unterstützung einzuholen. Für Fälle, Vielfalt – das Bildungsmagazin
22 Das Dossier die nicht innerhalb der Schulgemeinschaft nen auf Ebene der Schule organisatorisch fest- gelöst werden können, sollten Möglichkeiten geschrieben werden. der externen Mediation/Schlichtung genutzt werden. Darüber hinaus sollten Verfahren zur Externe unabhängige Beschwerdestel- Dokumentation von Beschwerden erarbeitet len werden. Um effektive Schutzmaßnamen für Betroffene Präventions- und Interventionsmaßnahmen durchzusetzen, bedarf es neben innerschu- können nur dann nachhaltig funktionieren, lischem Engagement auch der Errichtung wenn sie institutionalisiert werden. Dies wie- von staatlichen externen unabhängigen derum wird nur gelingen, wenn die Schul- Beschwerdestellen für den Bereich Schule. leitung die Thematik ernst nimmt und dafür Eine solche Beschwerdestelle ist insbesondere sorgt, ein gesamtschulisches Antidiskrimi- für Diskriminierungsfälle hilfreich, in denen nierungskonzept fest in der Schulentwick- Schulen nicht in der Lage sind, die bestehen- lung zu verankern. Dieser schulinterne Prozess den Konflikte intern zu lösen, oder in denen zur Verbesserung der Qualität der Schule fin- ein solcher Lösungsversuch nicht sinnvoll det auf der Ebene des Unterrichts, der Schul- ist. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn kultur und der Personalentwicklung statt. Schüler*innen oder Eltern kein Vertrauen in die schulischen Akteur*innen haben. Die Er- Das Antidiskriminierungskonzept sollte idea- richtung solcher externen unabhängigen lerweise folgende Punkte zusammenführen: Beschwerdestellen für den Bildungsbereich Diskriminierungsverbote und Konsequenzen, Gleichstellungsgebote und Kompensations- pflichten, schulorganisatorische Verpflichtun- gen, Informations- und Beratungsrechte von Schüler*innen und Eltern, Leitlinien für dis- kriminierungsfreie Bewertungsmethoden und Unterrichtsmaterialien, Verankerung von Anti- diskriminierung und Vielfalt als Querschnitts- thema, Antidiskriminierungsbeauftragte. Um Schüler*innen wirksam vor Diskriminie- rungen zu schützen, ergeben sich auch Organi- sationspflichten für die Schule: Präventive und reaktive Maßnahmen gegen Diskriminierung sollten explizit benannt und allen Beteiligten bekannt gemacht werden. So können zum Beispiel verpflichtende Antidiskriminierungs- schulungen für alle Lehrkräfte und Schüler*in- Illustration: i-frame media GmbH
23 empfiehlt die Antidiskriminierungsstelle des vor Diskriminierung schützen (KiDs), den Anti- Bundes auch im Zweiten Bericht an den Bun- diskriminierungsbeauftragten der Berliner Se- destag (ADS 2013). natsverwaltung für Bildung sowie das Berliner Netzwerk gegen Diskriminierung in Schulen Das Berliner Netzwerk gegen Diskriminierung und Kitas (BeNeDiSK). Wie dargestellt, fallen in Schulen und Kitas (BeNeDiSK) hat ein Stra- Fälle von Benachteiligung von Schüler*innen tegiepapier (Policy Paper) zu Diskriminierun- nicht unter das AGG. Die Antidiskriminierungs- gen im Schul- und Vorschulbereich veröffent- stelle des Bundes verweist Ratsuchende daher licht (BeNeDiSK 2016). Es enthält detaillierte (wo vorhanden) an auf den Bildungsbereich Informationen zu der Konzeption von exter- spezialisierte Beratungs- und Anlaufstellen nen Beschwerdestellen, die für das Land Berlin oder an lokale Antidiskriminierungsbera- konkretisiert werden, aber auch eine Orientie- tungsstellen, die auch zum Schulbereich be- rung für andere Bundesländer darstellen kön- raten. Wo dies nicht möglich ist, wird auf die nen. Den rechtlichen Rahmen für eine unab- Schulaufsicht, Jugendämter oder Anwält*in- hängige Beschwerdestelle zum Schutz gegen nen verwiesen, die Ratsuchende zum Beispiel Diskriminierung in Berliner Schulen stellt die bei einer Dienstaufsichtsbeschwerde oder GEW Berlin in einem Rechtsgutachten dar einem Verfahren um den Schulzugang be- (GEW 2016). Externe unabhängige Beschwer- ziehungsweise eine Benotung unterstützen destellen müssen umfassende Kompetenzen können. Die Antidiskriminierungsstelle des und Befugnisse haben, um wirksam gegen Bundes begrüßt die Gründung von BANDAS Diskriminierung im Bereich Schule vorgehen ausdrücklich und wünscht einen erfolgreichen zu können. Die LADG-Ombudsstelle des Lan- Start. Damit ist nun auch in NRW eine spezi- des Berlin unterstützt beispielsweise Personen fische Beratungsstelle für den Schulbereich als bei der Durchsetzung ihrer Rechte nach dem Ansprechpartnerin vorhanden und ein wichti- Berliner Landes-Antidiskriminierungsgesetz. ger Schritt zu einem besseren Schutz vor Dis- Öffentliche Stellen in Berlin sind verpflichtet, kriminierung erfolgt. die Ombudsstelle dabei, zum Beispiel durch Zugang zu Informationen und durch Stellung- nahmen, zu unterstützen. Charlotte Kastner, Referentin Antidiskriminie- rungsstelle des Bundes, Referat Forschung und Außerdem fehlt es auch an spezifischen zi- Grundsatzangelegenheiten vilgesellschaftlichen Beratungsstellen für den schulischen Bereich, die es bislang nur vereinzelt gibt. Neben der neu errichteten Stelle BANDAS (Beratung und Antidiskriminie- rungsarbeit für Schüler*innen) für Schüler*in- nen aus dem Regierungsbezirk Köln gibt es in Berlin verschieden auf den Bildungsbereich spezialisierte Beratungs- und Anlaufstellen: Die Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz in der Schule (ADAS), die Beratungsstelle Kinder Vielfalt – das Bildungsmagazin
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