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Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik Dossier Folgeprogramm nach der Ablehnung des EWR-Abkommens (Swisslex) (93.100) ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK
Impressum Herausgeber Année Politique Suisse Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Fabrikstrasse 8 CH-3012 Bern www.anneepolitique.swiss Beiträge von Benteli, Marianne Bevorzugte Zitierweise Benteli, Marianne 2020. Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik: Folgeprogramm nach der Ablehnung des EWR-Abkommens (Swisslex) (93.100), 1991 - 1998. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern. www.anneepolitique.swiss, abgerufen am 28.03.2020. ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK I
Inhaltsverzeichnis Drei Kreise Modell 1 Geringfügige Änderung des Arbeitsgesetzes (Swisslex, 93.113) 5 Armierung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (Swisslex, BRG 93.103) 6 Familienzulagen in der Landwirtschaft (Swisslex, BRG 93.104) 6 ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK II
Abkürzungsverzeichnis UNO Organisation der Vereinten Nationen EFTA Europäische Freihandelsassoziation EU Europäische Union EVD Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung EMRK Europäische Menschenrechtskonvention EWR Europäischer Wirtschaftsraum EG Europäische Gemeinschaft BFF Bundesamt für Flüchtlinge (-2005) heute: Staatssekretariat für Migration (SEM) BIGA Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit EKR Eidgenössische Kommission gegen Rassismus ONU Organisation des Nations unies AELE Association européenne de libre-échange UE Union européenne DFE Département fédéral de l'économie, de la formation et de la recherche CEDH Convention européenne des droits de l'homme EEE l'Espace économique européen CE Communauté européenne ODR Office fédéral des réfugiés (-2005) aujourd'hui: Secrétariat d’Etat aux migrations (SEM) OFIAMT Office fédéral de l’industrie, des arts et métiers et du travail CFR Commission fédérale contre le racisme ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 1
Drei Kreise Modell Asylpolitik BERICHT Im Mai stellte der Bundesrat einen neuen Bericht zur Ausländer- und Flüchtlingspolitik DATUM: 16.05.1991 MARIANNE BENTELI vor. Anders als der Strategiebericht zwei Jahre zuvor entstand dieser nicht mehr unter Federführung des Bundesamtes für Flüchtlinge (BFF), sondern unter jener des Biga. Im Vordergrund stehen denn auch mehr arbeitsmarktorientierte Fragestellungen. Hauptpunkt der mittelfristigen Ausländer- und Asylpolitik sei es, so führte Bundesrat Koller an der Pressekonferenz aus, eine EWR-konforme Ausländerpolitik zu definieren. Nach dem Willen des Bundesrat soll inskünftig ein Drei-Kreise-Modell zum Zug kommen. Der innere Kreis umfasst die EG- und Efta-Staaten. Deren Bürger sollen schrittweise keinen ausländer- oder beschäftigungspolitischen Beschränkungen mehr unterliegen, sowie dies ab 1993 auch im Rahmen des geplanten EWR vorgesehen ist. Im zweiten Kreis des Modells befinden sich einerseits die traditionellen Rekrutierungsländer ausserhalb des EG- und Efta-Raumes, in denen bisher weniger qualifizierte Arbeitskräfte angeworben wurden. Konkret war damit Jugoslawien gemeint. Bürger dieser Staaten sollen nur noch als Saisonniers oder Jahresaufenthalter in unserem Land arbeiten können, wenn die Reserven aus dem inneren Kreis erschöpft sind. Dem zweite Kreis ordnete der Bundesrat anderseits alle jene Länder zu, mit denen die Schweiz enge kulturelle Beziehungen unterhält (Nordamerika, eventuell auch Australien, Neuseeland und die Länder Ost- und Südosteuropas). Hier erhofft sich der Bundesrat eine vermehrte Rekrutierung von hochqualifizierten Arbeitskräften. Für die Staaten des zweiten Kreises wird aber ein strenger politischer Massstab angelegt: sie müssen demokratisch regiert sein und die Menschenrechte beachten, asylrechtlich also zu den "safe countries" zählen. Zum dritten Kreis werden alle übrigen Länder gerechnet; dort würden grundsätzlich keine Arbeitskräfte rekrutiert. Ausnahmen für vorübergehende Aufenthalte von Spezialisten sollen indessen möglich sein. Ansonsten wird für Menschen des äussersten Kreises die Schweiz höchstenfalls Asylland bleiben. Im Bereich der Asylpolitik setzte der Bundesrat zwei Schwerpunkte. Einerseits will er inskünftig vermehrt dazu beitragen, die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Herkunftsländern zu verbessern, um die Ursachen der Auswanderung zu beseitigen. Andererseits strebt er eine immer engere Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Aufnahmestaaten an (Erstasylabkommen, Harmonisierung des Asylrechts, Datenaustausch). Zudem bekräftigte er erneut seinen Willen, die durch die dritte Asylgesetzrevision geschaffenen Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung möglichst voll auszuschöpfen. 1 BUNDESRATSGESCHÄFT Im Nationalrat wurde der Bericht mit ziemlicher Skepsis aufgenommen. Die meisten DATUM: 10.06.1991 MARIANNE BENTELI Redner würdigten zwar, dass sich der Bundesrat um eine Gesamtschau der Probleme bemüht und eine gute Diskussionsgrundlage geschaffen habe, bemängelten aber die primär arbeitsmarktpolitische Ausrichtung des Berichts, die offen. sichtliche Abkehr von der Stabilisierungspolitik der 70er Jahre und die fehlenden Perspektiven in der Flüchtlingspolitik. Die innereuropäische Öffnung wurde im grossen und ganzen positiv aufgenommen, ausser bei den SD und Teilen der SVP, welche die fehlenden demographischen Berechnungen über die Auswirkungen des freien Personenverkehrs kritisierten. Wenig Freude am Modell der drei Kreise zeigten CVP und SP. Ihrer Ansicht nach werden damit bereits innerhalb Europas Bürger einzelner Staaten als Menschen zweiter Klasse diskriminiert. Zudem sei es stossend, meinten einige Votanten, dass nach dem bundesrätlichen Konzept ausgerechnet Personen aus Ländern, in denen Menschenrechte immer wieder verletzt werden, keine Chance mehr haben sollen, in der Schweiz zu arbeiten. Erwartungsgemäss war es der dritte Kreis, der zu den hitzigsten Debatten führte. Hier taten sich Ruf (sd, BE) – welcher nicht nur die Rückweisung des Berichtes, sondern gar den Rücktritt des gesamten Bundesrates verlangte – und Dreher (ap, ZH) durch Rundumschläge gegen die bundesrätliche Politik hervor. Mit 100:2 Stimmen lehnte der Rat den Rückweisungsantrag Ruf ab. Deutliche Kritik an der bisherigen Asylpolitik, aber ohne fremdenfeindliche Untertöne, übte auch die liberale Fraktion; sie regte an, das Asylgesetz sei abzuschaffen und die überholte Flüchtlingskonvention notfalls zu kündigen, dafür solle sich die Schweiz bereit erklären, in Absprache mit dem Genfer Uno-Hochkommissariat jedes Jahr ein bestimmtes Kontingent von Flüchtlingen vorübergehend aufzunehmen. Kritisch zur Asylpolitik äusserten sich auch Abgeordnete der FDP und der SVP. Sie traten vor allem für ein rascheres Asylverfahren und einen konsequenteren Vollzug der Ausschaffungen ein; falls dies nicht erreicht werden könne, seien Quoten nicht mehr zu ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 2
umgehen. CVP und links-grünes Lager forderten dagegen eine Asylpolitik, welche den internationalen Konventionen zu genügen habe – was eine Kontingents- oder Quotenregelung ausschliesse – und keine zusätzlichen Diskriminierungen schaffen dürfe. Einig über die Parteigrenzen war man sich eigentlich nur in der Feststellung, dass der weltweiten Migration längerfristig nur durch entsprechende Hilfsmassnahmen in den Herkunftsländern beizukommen sei. 2 BUNDESRATSGESCHÄFT Im Ständerat verlief die Beratung des Berichtes emotionsloser. Ganz klar war hier die DATUM: 14.06.1991 MARIANNE BENTELI Flüchtlingspolitik das Hauptthema, die innereuropäische Öffnung wurde kaum berührt. Auch in der kleinen Kammer mochten die Vertreter von SVP und FDP eine Kontingentierung oder gar die Anwendung von Notrecht nicht mehr ausschliessen. Einen neuen Ansatz brachten die beiden FDP-Vertreter Bühler (LU) und Jagmetti (ZH) in die Diskussion, die anstatt des Drei-Kreise-Modells eine Aufteilung in Ausländer-, Asyl- und Migrationspolitik vorschlugen, wobei bei letzterer eine Quotenregelung ins Auge gefasst werden könnte, ohne dass damit internationale Konventionen verletzt würden. In ähnliche Richtung wie die Vorstellungen Jagmettis geht auch ein Postulat Wiederkehr (Idu, ZH), welches für Angehörige des dritten Kreises zahlenmässig befristete, auf ca. drei Jahre beschränkte Arbeitsbewilligungen anregt. Gleich wie im Nationalrat fanden sich CVP und SP in ihrer Kritik an der nach ihrer Ansicht diskriminierenden Unterscheidung in drei Kreise. Auch sie sprachen sich aber, wie ihre Kollegen in der Volkskammer, für ein rasches Verfahren und einen konsequenten Vollzug der Wegweisungsentscheide aus, allerdings nur unter strikter Wahrung des Non- refoulement-Prinzips. 3 BUNDESRATSGESCHÄFT Wie der Bundesrat in seinem Bericht über die Legislaturplanung 1991-1995 festhielt, will DATUM: 10.06.1992 MARIANNE BENTELI er zumindest mittelfristig das Drei-Kreise-Modell umsetzen und deshalb das Gesetz von 1931 über den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern (ANAG) einer Totalrevision unterziehen. Damit soll eine Öffnung gegenüber Europa erreicht und die Rekrutierung von qualifizierten Arbeitnehmern gefördert werden. Der Nationalrat signalisierte allerdings eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dieser Absicht und überwies diskussionslos ein Postulat seiner Kommission für Rechtsfragen, welches den Bundesrat ersucht, das Drei-Kreise-Modell im Lichte des Übereinkommens zur Beseitigung der Rassendiskriminierung noch einmal zu überprüfen und den Räten Bericht zu erstatten. 4 BUNDESRATSGESCHÄFT Im Rahmen von Swisslex bekräftigte der Bundesrat erneut seinen Willen, das in seinem DATUM: 23.09.1993 MARIANNE BENTELI Bericht von 1991 aufgezeichnete Konzept des Dreikreisemodells schrittweise zu realisieren. Nach einer Übergangsfrist soll das Saisonnierstatut mit dem heute bestehenden Umwandlungsmechanismus in Daueraufenthaltsbewilligungen, dem in der Vergangenheit eine Schleusenfunktion für die massive Zuwanderung wenig qualifizierter Arbeitskräfte zugekommen war, abgelöst werden. Dies kann der Bundesrat jedoch nicht in eigener Regie beschliessen, da der Umwandlungsanspruch in internationalen Verträgen festgeschrieben ist. Er will deshalb mit den betreffenden Ländern Verhandlungen aufnehmen und nach deren Abschluss die Regelung der saisonalen Arbeitsverhältnisse den europäischen Standards annähern, beispielsweise durch befristete Aufenthaltsbewilligungen mit Gewährung des Familiennachzugs, falls der Kurzaufenthalter über die nötigen Mittel und eine entsprechende Wohnung verfügt. Gleichzeitig beabsichtigt der Bundesrat, die Rechtsstellung der mehrjährigen Grenzgänger mit Ausnahme des Rechts auf Wohnsitznahme derjenigen der Daueraufenthalter anzugleichen. Längerfristiges Ziel des Bundesrates ist ein Abbau der wenig qualifizierten ausländischen Arbeitnehmerschaft und deren Ersetzung durch ausländische Spezialisten und Kaderleute. 5 BERICHT Mit schwerem Geschütz fuhr die vom Basler Geschichtsprofessor Georg Kreis DATUM: 24.05.1996 MARIANNE BENTELI präsidierte Eidg. Kommission gegen Rassismus (EKR) auf, indem sie den Vorwurf erhob, das Drei-Kreise-Modell, an welchem sich die Ausländerpolitik des Bundesrates seit 1991 orientiert, fördere fremdenfeindliche und kulturell-rassistische Vorurteile gegenüber den Angehörigen des dritten Kreises, insbesondere jenen aus dem ehemaligen Jugoslawien, da diese Menschen pauschal als nicht integrierbar und deshalb unerwünscht gewertet würden. Die Kommission rügte damit erstmals entsprechend ihrem Mandat eine behördliche Massnahme öffentlich. Sie empfahl dem Bundesrat, ein ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 3
Zwei-Kreise-Modell einzuführen, welches Integrationsmassnahmen und Rückkehrhilfen, aber kein Saisonnierstatut mehr vorsieht. 6 MOTION In seiner Antwort auf eine im Rahmen der Legislaturplanung eingereichte Motion von DATUM: 06.06.1996 MARIANNE BENTELI Nationalrätin Bühlmann (gp, LU), Vizepräsidentin der EKR, wies der Bundesrat diesen Vorwurf entschieden zurück. Das 1991 entwickelte Konzept habe seinerzeit im Parlament einen breiten politischen Konsens gefunden. Zur Forderung nach einem neuen Migrationskonzept führte er aus, seiner Ansicht nach hätten die bilateralen Verhandlungen mit der EU über den freien Personenverkehr absolute Priorität gegenüber den Diskussionen um ein Zwei- oder Drei-Kreise-Modell. Die Frage nach einer neuen, umfassenden Ausländerpolitik könne ohnehin erst nach der detaillierten Auswertung der Vernehmlassung zum Migrationsbericht angegangen werden. Frau Bühlmann war mit dem Antrag des Bundesrates einverstanden, ihre Motion in ein Postulat umzuwandeln. Dieses wurde jedoch von Baumberger (cvp, ZH) bekämpft und schliesslich mit 45 zu 49 Stimmen knapp abgelehnt. 7 GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Ebenfalls grundsätzliche Kritik an der Politik des Bundesrates übte das Gutachten des DATUM: 05.08.1996 MARIANNE BENTELI Genfer Staatsrechtsprofessors Andreas Auer. Gemäss dem Autor ist die Ausländerpolitik des Bundesrates diskriminierend und verstösst gegen das internationale Abkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Zwar habe der Bundesrat seinerzeit bei seiner Ratifizierung der Konvention einen Vorbehalt in bezug auf seine Ausländer- und Arbeitsmarktpolitik angebracht, doch dieser beziehe sich lediglich auf einen einzigen Absatz des Abkommens (Saisonnierstatut ohne Recht auf Familiennachzug) und ändere nichts daran, dass die Schweiz verpflichtet sei, ihre Ausländerpolitik künftig so zu gestalten, dass sie nicht zur Diskriminierung einzelner Ethnien führe. Auer hielt fest, dass die Bevorzugung aller EU- oder Efta- Staatsangehörigen keinerlei rechtliche Probleme verursache. Schliesslich strebe die Schweiz hier längerfristig die gegenseitige Einführung des freien Personenverkehrs an. Auch die Auswahl bestimmter Staaten als traditionelle Rekrutierungsgebiete sei an und für sich zulässig. Doch gehe es nicht an, den Ausschluss bestimmter Staaten damit zu begründen, dass Menschen dieser nationalen oder ethnischen Gruppen nicht fähig seien, sich in der Schweiz zu integrieren. Das Drei-Kreise-Modell sei auch mit dem internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie mit der in der Verfassung verankerten Rechtsgleichheit unvereinbar. Der Staatsrechtler zeigte sodann auf, wie bruchstückhaft die Ausländerpolitik in der Schweiz geregelt ist. Mehrheitlich beruht sie bloss auf vom Bundesrat erlassenen Verordnungen und auf Weisungen der zuständigen Bundesämter. Das treffe insbesondere auch auf das Drei-Kreise-Modell zu, das in keinem Gesetz rechtlich verankert sei. In einer rechtsstaatlichen Demokratie müssten aber die grossen Linien der Ausländerpolitik vom Parlament und dem Volk festgelegt werden. Das verlange das Legalitätsprinzip. Zwar habe die Bundesversammlung seinerzeit formell Kenntnis vom bundesrätlichen Bericht zur Ausländerpolitik genommen, doch könne dies das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage nicht wettmachen. 8 VERORDNUNG / EINFACHER Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften appellierten im August erneut an den BUNDESBESCHLUSS DATUM: 28.08.1996 Bundesrat, zumindest für die seit Jahren in der Schweiz arbeitenden Saisonniers aus MARIANNE BENTELI Ex-Jugoslawien eine neue Lösung zu suchen. Bis eine definitive Regelung gefunden sei, müsste es den Kantonen freistehen, die Bewilligungen zu erneuern. Gleichzeitig hielten die Wirtschaftsverbände fest, dass sie weder gegen eine Vorzugsstellung von Personen aus dem EU/Efta-Raum noch gegen einen Stopp von Neurekrutierungen im ehemaligen Jugoslawien seien. Der Bundesrat zeigte sich aber entschlossen, seinen Entscheid durchzuziehen. In einem Zeitungsinterview erklärte der Vorsteher des EVD, der Bundesrat sei in dieser Frage schon genügend Kompromisse eingegangen. Wenn er jetzt nicht der Umsetzung des Drei-Kreise-Modells zum Durchbruch verhelfe, verliere er seine Glaubwürdigkeit. Dementsprechend wurden bei der Zuteilung der Kontingente für die Periode 1996/97 die ex-jugoslawischen Saisonniers definitiv von der Einreise ausgeschlossen. Betroffen waren rund 10 000 Arbeitnehmer aus dem früheren Jugoslawien. 9 ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 4
BERICHT Unter dem Titel "Ein neues Konzept der Migrationspolitik" wurde Ende August der DATUM: 30.08.1997 MARIANNE BENTELI Bericht der Expertenkommission "Migration" vorgestellt. Um sich nicht von vornherein in eine unfruchtbare Grundsatzdiskussion zu verstricken, einigte sich die Kommission auf ein einheitliches Migrationsmodell für Asyl- und Arbeitssuchende. Jeder Einwanderer - egal ob Asylbewerber oder nicht - soll ihrer Meinung nach den gleichen Migrationsprozess durchlaufen: die Einreise in das Zielland, der vorübergehende oder dauernde Aufenthalt und, je nachdem, die Ausreise. Aus diesen Phasen ergeben sich vier Themenbereiche, zu denen die Kommission Ziele und Massnahmen entwickelte: Zulassungspolitik, Integrationspolitik, Ausreise/Rückwanderung und Migrationsaussenpolitik. Mit einer Ausreisepolitik soll Sorge getragen werden, dass ausländische Staatsangehörige ohne Anwesenheitsberechtigung oder nach deren Ablauf die Schweiz verlassen und nicht illegal im Land bleiben. Ein konsequenter Vollzug soll vor allem durch verstärkte aussenpolitische Massnahmen, d.h. bi- und multilaterale Abkommen, verbessert werden. Eine Rückkehrberatung, wie sie im Moment vor allem Personen aus dem Asylbereich angeboten wird, soll nach Auffassung der Kommission allen Ausländerinnen und Ausländern offenstehen. Mit einer aktiven Aussenpolitik soll gegen die Ursachen erzwungener Migration angegangen werden. Dazu gehören eine Präventivdiplomatie sowie Massnahmen zur Förderung der Menschenrechte, der Minderheitenrechte und der Demokratie. Auch die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe wurden als weitere mögliche Verknüpfungspunkte gesehen. In den traditionellen Herkunfstländern von Asylsuchenden sollten nach Meinung der Experten insbesondere jene Entwicklungsprojekte gefördert werden, welche Chancen bieten, Emigration zu verringern. Die Zulassung von ausländischen Arbeitskräften soll sich nicht mehr nach Branchen oder Regionen richten, sondern im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegen. Die Kommission schlug unter anderem vor, vom Drei-Kreise-Modell abzurücken und stattdessen nur noch zwischen EU/Efta-Staatsangehörigen und allen anderen zu unterscheiden. Für EU-Bürger werden sich Zulassung, Aufenthalt und Bedingungen zur Arbeitsaufnahme gemäss dem Ergebnis der bilateralen Verhandlungen gestalten. Mit Ausnahme von Personen, welche traditionelle Fluchtgründe geltend machen können, sollen nicht-EU/Efta-Bürger nur noch rekrutiert werden können, wenn sie gut- bis hochqualifiziert sind. Die individuelle Qualifikation soll also ausschlaggebend sein und nicht das Herkunftsland. Die Kommission regte dabei an, es sei zu prüfen, ob nicht ein Punktesystem nach amerikanischem, kanadischem oder australischem Modell einzuführen sei. Qualifikationskriterien könnten Sprachkenntnisse, Ausbildung, Alter und Berufserfahrung des Bewerbers oder der Bewerberin sein. 10 GERICHTSVERFAHREN Das Bundesgericht stützte in einem weiteren Grundsatzurteil das Drei-Kreise-Modell. DATUM: 01.10.1997 MARIANNE BENTELI Es wies die Beschwerde eines jugoslawischen Saisonniers ab, der die Umwandlung in eine Jahresbewilligung zu spät beantragt hatte. Der seit zwei Jahren geltende Ausschluss fast aller Ex-Jugoslawen ohne Niederlassungs- oder Jahresbewilligung vom Schweizer Arbeitsmarkt verletze weder das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot noch das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der UNO-Menschenrechtspakte und des Rassendiskriminierungsübereinkommens. Die Vereinbarkeit der Bundesratsregelung mit den internationalen Verträgen überprüfte das Bundesgericht hier erstmals; einen Verstoss gegen das Gebot der Rechtsgleichheit hatte es bereits 1996 verneint. 11 BERICHT Der Bundesrat zeigte sich aber selber bereit, vom 1991 eingeführten Drei-Kreise-Modell DATUM: 31.10.1997 MARIANNE BENTELI wegzukommen und den Vorschlag der Expertenkommission "Migration" aufzunehmen, wonach inskünftig nur noch zwischen Angehörigen von EU-/Efta-Staaten und allen anderen Staaten unterschieden werden soll. Der Bundesrat begründete seine Haltungsänderung damit, dass der "zweite Kreis" - vor allem Kanada und die USA - praktisch nie zum Tragen gekommen sei und ein gewisses Legitimationsdefizit für das umstrittene Modell bestanden habe. Die Einführung des neuen Zulassungsmodells wird de facto aber keine wesentliche Änderung der geltenden Rekrutierungspraxis bedeuten. Insbesondere hat der Bundesrat nicht im Sinn, Arbeitnehmer aus Ex- Jugoslawien wieder als Saisonniers zuzulassen. Nach welchen Kriterien die Qualifikation von ausländischen Arbeitskräften aus Nicht-EU- oder Efta-Staaten erfolgen wird, wollte der Bundesrat vorderhand noch offen lassen. 12 ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 5
VERORDNUNG / EINFACHER In der Ausländerregelung 1998/1999 setzte der Bundesrat die im Vorjahr von der BUNDESBESCHLUSS DATUM: 22.10.1998 Arbeitsgruppe ”Migration” gemachte Empfehlung um und schaffte die bisherigen MARIANNE BENTELI Rekrutierungsgrundsätze nach dem Drei-Kreise-Modell zugunsten eines dualen Zulassungssystems ab. Demnach wird nur noch unterschieden zwischen Angehörigen von EU- bzw. EFTA-Staaten, die prioritär zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit einreisen dürfen, wenn keine entsprechenden inländischen arbeitslosen Personen auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind, sowie den Bürgerinnen und Bürgern aller anderen Nationen, die nur noch in ganz speziellen Fällen rekrutiert werden können. Gleichzeitig wurde die Zahl der jährlich zu vergebenden Saisonbewilligungen weiter von 99 000 auf 88 000 reduziert. 13 Geringfügige Änderung des Arbeitsgesetzes (Swisslex, 93.113) Arbeitnehmerschutz BUNDESRATSGESCHÄFT Im Rahmen von Swisslex unterbreitete der Bundesrat dem Parlament eine geringfügige DATUM: 28.04.1993 MARIANNE BENTELI Änderung des Arbeitsgesetzes mit dem Ziel, die Vorschriften über die Gesundheitsvorsorge auf die Bundesverwaltung auszudehnen sowie bestimmte Arbeitnehmerkategorien, beispielsweise Kader und Assistenten, die bisher nicht eingeschlossen waren, neu den Schutzvorschriften des Gesetzes zu unterstellen. Da die Vorlage bereits mit dem Eurolex-Paket verabschiedet worden war, nahm die kleine Kammer die Änderung diskussionslos und einstimmig an. Im Nationalrat setzte sich jedoch vorerst ein Nichteintretensantrag Gros (lp, GE) mit dem Argument durch, diese Revision trage nichts zu der vom Bundesrat angesagten Deregulierung und Revitalisierung der Schweizer Wirtschaft bei. Der Ständerat befand, dies sei nicht der Ort, um eine Grundsatzdebatte zu führen, und hielt an seinem Entscheid fest, worauf ihm der Nationalrat folgte. 14 BUNDESRATSGESCHÄFT Im Rahmen von Swisslex stimmten sowohl Stände- wie Nationalrat einer Änderung der DATUM: 17.06.1993 MARIANNE BENTELI obligationenrechtlichen Bestimmungen über den Arbeitsvertrag zu, wonach Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer künftig informiert und angehört werden müssen, wenn sie vom Übergang des Unternehmens auf einen neuen Besitzer betroffen sind oder wenn Massenentlassungen bevorstehen. Zudem wird festgelegt, dass der Käufer eines Betriebes die vom Verkäufer abgeschlossenen Arbeitsverträge übernehmen muss. In beiden Kammern unterlagen Rückweisungs- bzw. Nichteintretensanträge aus den Reihen der LP, welche in dieser Vorlage einen Verstoss gegen die Grundsätze der Revitalisierung und Deregulierung sah. Während der Ständerat in der Detailberatung kaum Änderungen am bundesrätlichen Vorschlag vornahm, erreichte im Nationalrat das rechtsbürgerliche Lager, dass bei Betriebsübernahmen die Einhaltung von Gesamtarbeitsverträgen auf ein Jahr reduziert wurde. Da dies der Praxis in den anderen europäischen Staaten entspricht, schloss sich der Ständerat hier an. Zudem setzte sich in der Differenzbereinigung eine Milderung der Sanktionen für die Nichteinhaltung der Informationspflicht bei Massenentlassungen durch. 15 ANDERES Die im Vorjahr im Rahmen von Swisslex vom Parlament beschlossene und auf den 1.Mai DATUM: 30.04.1995 MARIANNE BENTELI 1994 in Kraft gesetzte Änderung der obligationenrechtlichen Bestimmungen über den Arbeitsvertrag, wonach Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angehört werden müssen, wenn Massentlassungen anstehen, trug erste Früchte. Die 340 von der Schliessung ihres Betriebs betroffenen Angestellten der Monteforno-Werke in Bodio (TI) erreichten so nach einer viertägigen Arbeitsniederlegung, dass der von der Unternehmerseite vorgelegte Sozialplan deutlich nachgebessert werden musste. Weniger Glück hatten die rund 100 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der zum Textilunternehmen Gasser gehörenden Baumwollspinnerei in Kollbrunn (ZH). Wegen des rüden Umgangsstils ihres Arbeitgebers, der wegen versuchten Missbrauchs der Arbeitslosenversicherung auch vom BIGA scharf gerügt worden war, hatten die Angestellten einen halbtägigen Warnstreik durchgeführt, worauf Gasser das Werk kurzerhand schloss und die Belegschaft auf die Strasse stellte. Da diese Massenentlassung vor dem Inkrafttreten der neuen obligationenrechtlichen Regelung ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 6
stattfand, waren die Kündigungen auch ohne Vorliegen eines Sozialplans rechtlich nicht anfechtbar. 16 Armierung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (Swisslex, BRG 93.103) Unfallversicherung BUNDESRATSGESCHÄFT Das Parlament stimmte oppositionslos der vom Bundesrat im Rahmen von Swisslex DATUM: 18.06.1993 MARIANNE BENTELI vorgelegten Armierung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung zu. Sie dehnt den Geltungsbereich der Vorschriften über die Arbeitssicherheit auf alle in der Schweiz tätigen Betriebe aus und schreibt gleiche Prämien für Mann und Frau in der Nichtberufsunfallversicherung verbindlich vor. 17 Familienzulagen in der Landwirtschaft (Swisslex, BRG 93.104) Frauen und Gleichstellungspolitik BUNDESRATSGESCHÄFT Im Rahmen von Swisslex wurde im Bundesgesetz über die Familienzulagen in der DATUM: 18.06.1993 MARIANNE BENTELI Landwirtschaft die Gleichstellung von Männern und Frauen verwirklicht. Neu haben auch die Angehörigen der Betriebsleiterin, die im Betrieb mitarbeiten, Anspruch auf diese Zulage. 18 1) BBl, 1991, III, S. 291 ff.; Lit. Werenfels; NZZ, 16.5.91; Presse vom 28.5.91; Ww, 30.5.91. Haltung der Fraktionen: NZZ, 5.6.91. Stellungnahme der Kirchen: Presse vom 11.6.91. 2) Amtl. Bull. NR, 1991, S. 996 ff. 3) Amtl. Bull. StR, 1991, S. 869 W. und 879 ff.; NZZ, 6.2.91 (Jagmetti). (Verhandl. B.vers., 1991, VI, S. 118). 4) BBl, 1992, III, S. 49 f.; Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2673. 5) BBl, 1993, I, S. 827 f. 6) Presse vom 24.5.96. 7) Amtl. Bull. NR, 1996, S. 708 ff. und 788 ff. 8) Presse vom 5.8.96. 9) Presse vom 7.8., 2.9. und 17.10.96; BüZ, 19.8., 23.8., 24.8. und 28.8.96. Siehe SPJ 1994, S. 233. 10) Lit. Ein neues ..; Presse vom 30.8.97; A. Richter, "Migrationspolitik", in Die Volkswirtschaft, 71/1998, Nr. 3, S. 54 ff. Siehe SPJ 1996, S. 267. 11) Presse vom 1.10.97. Siehe SPJ 1996, S. 270. 12) Presse vom 31.10.97. 13) Presse vom 9.6. und 22.10.98. 14) BBl, 1993, I, S. 868; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 258, 609 und 794; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1314, 1792 f. und 2045; BBl, 1993, Ill, S. 796 f. 15) BBl, 1993, S. 880 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 377 ff., 874 ff. und 1131; Amtl. Bull. NR, S. 1708, 1721 ff., 2345 f. und 2590; BBl, 1993, IV, S. 588 ff. 16) LNN, 23.3.94; TA, 30.4.94; NZZ, 31.8. und 21.9.94. Vgl. SPJ 1993, S. 167 f. 17) BBl, 1993, I, S. 850; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 188 f. und 582; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 768 und 1453; BBl, 1993, II, 924 f. 18) BBl, 1993, I, S. 851; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 189 und 582; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 769 und 1454; BBl, 1993, II, S. 926. ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK
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