Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik - Année politique ...

 
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Ausgewählte Beiträge zur
Schweizer Politik
  Dossier               Folgeprogramm nach der Ablehnung des EWR-Abkommens (Swisslex)
                        (93.100)

ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK
Impressum
Herausgeber
Année Politique Suisse
Institut für Politikwissenschaft
Universität Bern
Fabrikstrasse 8
CH-3012 Bern
www.anneepolitique.swiss

Beiträge von
Benteli, Marianne

Bevorzugte Zitierweise

Benteli, Marianne 2020. Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik: Folgeprogramm
nach der Ablehnung des EWR-Abkommens (Swisslex) (93.100), 1991 - 1998. Bern: Année
Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern.
www.anneepolitique.swiss, abgerufen am 28.03.2020.

ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                  I
Inhaltsverzeichnis

Drei Kreise Modell                                                                1
Geringfügige Änderung des Arbeitsgesetzes (Swisslex, 93.113)                      5
Armierung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (Swisslex, BRG 93.103)   6
Familienzulagen in der Landwirtschaft (Swisslex, BRG 93.104)                      6

   ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                II
Abkürzungsverzeichnis
UNO              Organisation der Vereinten Nationen
EFTA             Europäische Freihandelsassoziation
EU               Europäische Union
EVD              Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
EMRK             Europäische Menschenrechtskonvention
EWR              Europäischer Wirtschaftsraum
EG               Europäische Gemeinschaft
BFF              Bundesamt für Flüchtlinge (-2005)
                 heute: Staatssekretariat für Migration (SEM)
BIGA             Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit
EKR              Eidgenössische Kommission gegen Rassismus

ONU              Organisation des Nations unies
AELE             Association européenne de libre-échange
UE               Union européenne
DFE              Département fédéral de l'économie, de la formation et de la recherche
CEDH             Convention européenne des droits de l'homme
EEE              l'Espace économique européen
CE               Communauté européenne
ODR              Office fédéral des réfugiés (-2005)
                 aujourd'hui: Secrétariat d’Etat aux migrations (SEM)

OFIAMT           Office fédéral de l’industrie, des arts et métiers et du travail
CFR              Commission fédérale contre le racisme

ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                      1
Drei Kreise Modell
                     Asylpolitik
BERICHT              Im Mai stellte der Bundesrat einen neuen Bericht zur Ausländer- und Flüchtlingspolitik
DATUM: 16.05.1991
MARIANNE BENTELI
                     vor. Anders als der Strategiebericht zwei Jahre zuvor entstand dieser nicht mehr unter
                     Federführung des Bundesamtes für Flüchtlinge (BFF), sondern unter jener des Biga. Im
                     Vordergrund stehen denn auch mehr arbeitsmarktorientierte Fragestellungen.
                     Hauptpunkt der mittelfristigen Ausländer- und Asylpolitik sei es, so führte Bundesrat
                     Koller an der Pressekonferenz aus, eine EWR-konforme Ausländerpolitik zu definieren.
                     Nach dem Willen des Bundesrat soll inskünftig ein Drei-Kreise-Modell zum Zug
                     kommen. Der innere Kreis umfasst die EG- und Efta-Staaten. Deren Bürger sollen
                     schrittweise keinen ausländer- oder beschäftigungspolitischen Beschränkungen mehr
                     unterliegen, sowie dies ab 1993 auch im Rahmen des geplanten EWR vorgesehen ist.
                     Im zweiten Kreis des Modells befinden sich einerseits die traditionellen
                     Rekrutierungsländer ausserhalb des EG- und Efta-Raumes, in denen bisher weniger
                     qualifizierte Arbeitskräfte angeworben wurden. Konkret war damit Jugoslawien
                     gemeint. Bürger dieser Staaten sollen nur noch als Saisonniers oder Jahresaufenthalter
                     in unserem Land arbeiten können, wenn die Reserven aus dem inneren Kreis erschöpft
                     sind. Dem zweite Kreis ordnete der Bundesrat anderseits alle jene Länder zu, mit denen
                     die Schweiz enge kulturelle Beziehungen unterhält (Nordamerika, eventuell auch
                     Australien, Neuseeland und die Länder Ost- und Südosteuropas). Hier erhofft sich der
                     Bundesrat eine vermehrte Rekrutierung von hochqualifizierten Arbeitskräften. Für die
                     Staaten des zweiten Kreises wird aber ein strenger politischer Massstab angelegt: sie
                     müssen demokratisch regiert sein und die Menschenrechte beachten, asylrechtlich also
                     zu den "safe countries" zählen. Zum dritten Kreis werden alle übrigen Länder
                     gerechnet; dort würden grundsätzlich keine Arbeitskräfte rekrutiert. Ausnahmen für
                     vorübergehende Aufenthalte von Spezialisten sollen indessen möglich sein. Ansonsten
                     wird für Menschen des äussersten Kreises die Schweiz höchstenfalls Asylland bleiben.
                     Im Bereich der Asylpolitik setzte der Bundesrat zwei Schwerpunkte. Einerseits will er
                     inskünftig vermehrt dazu beitragen, die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in
                     den Herkunftsländern zu verbessern, um die Ursachen der Auswanderung zu beseitigen.
                     Andererseits strebt er eine immer engere Zusammenarbeit mit den anderen
                     europäischen Aufnahmestaaten an (Erstasylabkommen, Harmonisierung des Asylrechts,
                     Datenaustausch). Zudem bekräftigte er erneut seinen Willen, die durch die dritte
                     Asylgesetzrevision geschaffenen Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung
                     möglichst voll auszuschöpfen. 1

BUNDESRATSGESCHÄFT   Im Nationalrat wurde der Bericht mit ziemlicher Skepsis aufgenommen. Die meisten
DATUM: 10.06.1991
MARIANNE BENTELI
                     Redner würdigten zwar, dass sich der Bundesrat um eine Gesamtschau der Probleme
                     bemüht und eine gute Diskussionsgrundlage geschaffen habe, bemängelten aber die
                     primär arbeitsmarktpolitische Ausrichtung des Berichts, die offen. sichtliche Abkehr
                     von der Stabilisierungspolitik der 70er Jahre und die fehlenden Perspektiven in der
                     Flüchtlingspolitik. Die innereuropäische Öffnung wurde im grossen und ganzen positiv
                     aufgenommen, ausser bei den SD und Teilen der SVP, welche die fehlenden
                     demographischen Berechnungen über die Auswirkungen des freien Personenverkehrs
                     kritisierten. Wenig Freude am Modell der drei Kreise zeigten CVP und SP. Ihrer Ansicht
                     nach werden damit bereits innerhalb Europas Bürger einzelner Staaten als Menschen
                     zweiter Klasse diskriminiert. Zudem sei es stossend, meinten einige Votanten, dass
                     nach dem bundesrätlichen Konzept ausgerechnet Personen aus Ländern, in denen
                     Menschenrechte immer wieder verletzt werden, keine Chance mehr haben sollen, in
                     der Schweiz zu arbeiten.
                     Erwartungsgemäss war es der dritte Kreis, der zu den hitzigsten Debatten führte. Hier
                     taten sich Ruf (sd, BE) – welcher nicht nur die Rückweisung des Berichtes, sondern gar
                     den Rücktritt des gesamten Bundesrates verlangte – und Dreher (ap, ZH) durch
                     Rundumschläge gegen die bundesrätliche Politik hervor. Mit 100:2 Stimmen lehnte der
                     Rat den Rückweisungsantrag Ruf ab. Deutliche Kritik an der bisherigen Asylpolitik, aber
                     ohne fremdenfeindliche Untertöne, übte auch die liberale Fraktion; sie regte an, das
                     Asylgesetz sei abzuschaffen und die überholte Flüchtlingskonvention notfalls zu
                     kündigen, dafür solle sich die Schweiz bereit erklären, in Absprache mit dem Genfer
                     Uno-Hochkommissariat jedes Jahr ein bestimmtes Kontingent von Flüchtlingen
                     vorübergehend aufzunehmen.
                     Kritisch zur Asylpolitik äusserten sich auch Abgeordnete der FDP und der SVP. Sie
                     traten vor allem für ein rascheres Asylverfahren und einen konsequenteren Vollzug der
                     Ausschaffungen ein; falls dies nicht erreicht werden könne, seien Quoten nicht mehr zu

                     ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                        2
umgehen. CVP und links-grünes Lager forderten dagegen eine Asylpolitik, welche den
                     internationalen Konventionen zu genügen habe – was eine Kontingents- oder
                     Quotenregelung ausschliesse – und keine zusätzlichen Diskriminierungen schaffen
                     dürfe. Einig über die Parteigrenzen war man sich eigentlich nur in der Feststellung, dass
                     der weltweiten Migration längerfristig nur durch entsprechende Hilfsmassnahmen in
                     den Herkunftsländern beizukommen sei. 2

BUNDESRATSGESCHÄFT   Im Ständerat verlief die Beratung des Berichtes emotionsloser. Ganz klar war hier die
DATUM: 14.06.1991
MARIANNE BENTELI
                     Flüchtlingspolitik das Hauptthema, die innereuropäische Öffnung wurde kaum berührt.
                     Auch in der kleinen Kammer mochten die Vertreter von SVP und FDP eine
                     Kontingentierung oder gar die Anwendung von Notrecht nicht mehr ausschliessen.
                     Einen neuen Ansatz brachten die beiden FDP-Vertreter Bühler (LU) und Jagmetti (ZH) in
                     die Diskussion, die anstatt des Drei-Kreise-Modells eine Aufteilung in Ausländer-, Asyl-
                     und Migrationspolitik vorschlugen, wobei bei letzterer eine Quotenregelung ins Auge
                     gefasst werden könnte, ohne dass damit internationale Konventionen verletzt würden.
                     In ähnliche Richtung wie die Vorstellungen Jagmettis geht auch ein Postulat Wiederkehr
                     (Idu, ZH), welches für Angehörige des dritten Kreises zahlenmässig befristete, auf ca.
                     drei Jahre beschränkte Arbeitsbewilligungen anregt. Gleich wie im Nationalrat fanden
                     sich CVP und SP in ihrer Kritik an der nach ihrer Ansicht diskriminierenden
                     Unterscheidung in drei Kreise. Auch sie sprachen sich aber, wie ihre Kollegen in der
                     Volkskammer, für ein rasches Verfahren und einen konsequenten Vollzug der
                     Wegweisungsentscheide aus, allerdings nur unter strikter Wahrung des Non-
                     refoulement-Prinzips. 3

BUNDESRATSGESCHÄFT   Wie der Bundesrat in seinem Bericht über die Legislaturplanung 1991-1995 festhielt, will
DATUM: 10.06.1992
MARIANNE BENTELI
                     er zumindest mittelfristig das Drei-Kreise-Modell umsetzen und deshalb das Gesetz
                     von 1931 über den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern (ANAG) einer
                     Totalrevision unterziehen. Damit soll eine Öffnung gegenüber Europa erreicht und die
                     Rekrutierung von qualifizierten Arbeitnehmern gefördert werden. Der Nationalrat
                     signalisierte allerdings eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dieser Absicht und
                     überwies diskussionslos ein Postulat seiner Kommission für Rechtsfragen, welches den
                     Bundesrat ersucht, das Drei-Kreise-Modell im Lichte des Übereinkommens zur
                     Beseitigung der Rassendiskriminierung noch einmal zu überprüfen und den Räten
                     Bericht zu erstatten. 4

BUNDESRATSGESCHÄFT   Im Rahmen von Swisslex bekräftigte der Bundesrat erneut seinen Willen, das in seinem
DATUM: 23.09.1993
MARIANNE BENTELI
                     Bericht von 1991 aufgezeichnete Konzept des Dreikreisemodells schrittweise zu
                     realisieren. Nach einer Übergangsfrist soll das Saisonnierstatut mit dem heute
                     bestehenden Umwandlungsmechanismus in Daueraufenthaltsbewilligungen, dem in der
                     Vergangenheit eine Schleusenfunktion für die massive Zuwanderung wenig qualifizierter
                     Arbeitskräfte zugekommen war, abgelöst werden. Dies kann der Bundesrat jedoch nicht
                     in eigener Regie beschliessen, da der Umwandlungsanspruch in internationalen
                     Verträgen festgeschrieben ist. Er will deshalb mit den betreffenden Ländern
                     Verhandlungen aufnehmen und nach deren Abschluss die Regelung der saisonalen
                     Arbeitsverhältnisse den europäischen Standards annähern, beispielsweise durch
                     befristete Aufenthaltsbewilligungen mit Gewährung des Familiennachzugs, falls der
                     Kurzaufenthalter über die nötigen Mittel und eine entsprechende Wohnung verfügt.
                     Gleichzeitig beabsichtigt der Bundesrat, die Rechtsstellung der mehrjährigen
                     Grenzgänger mit Ausnahme des Rechts auf Wohnsitznahme derjenigen der
                     Daueraufenthalter anzugleichen. Längerfristiges Ziel des Bundesrates ist ein Abbau der
                     wenig qualifizierten ausländischen Arbeitnehmerschaft und deren Ersetzung durch
                     ausländische Spezialisten und Kaderleute. 5

BERICHT              Mit schwerem Geschütz fuhr die vom Basler Geschichtsprofessor Georg Kreis
DATUM: 24.05.1996
MARIANNE BENTELI
                     präsidierte Eidg. Kommission gegen Rassismus (EKR) auf, indem sie den Vorwurf erhob,
                     das Drei-Kreise-Modell, an welchem sich die Ausländerpolitik des Bundesrates seit 1991
                     orientiert, fördere fremdenfeindliche und kulturell-rassistische Vorurteile gegenüber
                     den Angehörigen des dritten Kreises, insbesondere jenen aus dem ehemaligen
                     Jugoslawien, da diese Menschen pauschal als nicht integrierbar und deshalb
                     unerwünscht gewertet würden. Die Kommission rügte damit erstmals entsprechend
                     ihrem Mandat eine behördliche Massnahme öffentlich. Sie empfahl dem Bundesrat, ein

                     ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                         3
Zwei-Kreise-Modell einzuführen, welches Integrationsmassnahmen und Rückkehrhilfen,
                            aber kein Saisonnierstatut mehr vorsieht. 6

MOTION                      In seiner Antwort auf eine im Rahmen der Legislaturplanung eingereichte Motion von
DATUM: 06.06.1996
MARIANNE BENTELI
                            Nationalrätin Bühlmann (gp, LU), Vizepräsidentin der EKR, wies der Bundesrat diesen
                            Vorwurf entschieden zurück. Das 1991 entwickelte Konzept habe seinerzeit im
                            Parlament einen breiten politischen Konsens gefunden. Zur Forderung nach einem
                            neuen Migrationskonzept führte er aus, seiner Ansicht nach hätten die bilateralen
                            Verhandlungen mit der EU über den freien Personenverkehr absolute Priorität
                            gegenüber den Diskussionen um ein Zwei- oder Drei-Kreise-Modell. Die Frage nach
                            einer neuen, umfassenden Ausländerpolitik könne ohnehin erst nach der detaillierten
                            Auswertung der Vernehmlassung zum Migrationsbericht angegangen werden. Frau
                            Bühlmann war mit dem Antrag des Bundesrates einverstanden, ihre Motion in ein
                            Postulat umzuwandeln. Dieses wurde jedoch von Baumberger (cvp, ZH) bekämpft und
                            schliesslich mit 45 zu 49 Stimmen knapp abgelehnt. 7

GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE   Ebenfalls grundsätzliche Kritik an der Politik des Bundesrates übte das Gutachten des
DATUM: 05.08.1996
MARIANNE BENTELI
                            Genfer Staatsrechtsprofessors Andreas Auer. Gemäss dem Autor ist die
                            Ausländerpolitik des Bundesrates diskriminierend und verstösst gegen das
                            internationale Abkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Zwar
                            habe der Bundesrat seinerzeit bei seiner Ratifizierung der Konvention einen Vorbehalt
                            in bezug auf seine Ausländer- und Arbeitsmarktpolitik angebracht, doch dieser beziehe
                            sich lediglich auf einen einzigen Absatz des Abkommens (Saisonnierstatut ohne Recht
                            auf Familiennachzug) und ändere nichts daran, dass die Schweiz verpflichtet sei, ihre
                            Ausländerpolitik künftig so zu gestalten, dass sie nicht zur Diskriminierung einzelner
                            Ethnien führe. Auer hielt fest, dass die Bevorzugung aller EU- oder Efta-
                            Staatsangehörigen keinerlei rechtliche Probleme verursache. Schliesslich strebe die
                            Schweiz hier längerfristig die gegenseitige Einführung des freien Personenverkehrs an.
                            Auch die Auswahl bestimmter Staaten als traditionelle Rekrutierungsgebiete sei an und
                            für sich zulässig. Doch gehe es nicht an, den Ausschluss bestimmter Staaten damit zu
                            begründen, dass Menschen dieser nationalen oder ethnischen Gruppen nicht fähig
                            seien, sich in der Schweiz zu integrieren. Das Drei-Kreise-Modell sei auch mit dem
                            internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie
                            mit der in der Verfassung verankerten Rechtsgleichheit unvereinbar.

                            Der Staatsrechtler zeigte sodann auf, wie bruchstückhaft die Ausländerpolitik in der
                            Schweiz geregelt ist. Mehrheitlich beruht sie bloss auf vom Bundesrat erlassenen
                            Verordnungen und auf Weisungen der zuständigen Bundesämter. Das treffe
                            insbesondere auch auf das Drei-Kreise-Modell zu, das in keinem Gesetz rechtlich
                            verankert sei. In einer rechtsstaatlichen Demokratie müssten aber die grossen Linien
                            der Ausländerpolitik vom Parlament und dem Volk festgelegt werden. Das verlange das
                            Legalitätsprinzip. Zwar habe die Bundesversammlung seinerzeit formell Kenntnis vom
                            bundesrätlichen Bericht zur Ausländerpolitik genommen, doch könne dies das Fehlen
                            einer gesetzlichen Grundlage nicht wettmachen. 8

VERORDNUNG / EINFACHER      Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften appellierten im August erneut an den
BUNDESBESCHLUSS
DATUM: 28.08.1996
                            Bundesrat, zumindest für die seit Jahren in der Schweiz arbeitenden Saisonniers aus
MARIANNE BENTELI            Ex-Jugoslawien eine neue Lösung zu suchen. Bis eine definitive Regelung gefunden sei,
                            müsste es den Kantonen freistehen, die Bewilligungen zu erneuern. Gleichzeitig hielten
                            die Wirtschaftsverbände fest, dass sie weder gegen eine Vorzugsstellung von Personen
                            aus dem EU/Efta-Raum noch gegen einen Stopp von Neurekrutierungen im ehemaligen
                            Jugoslawien seien. Der Bundesrat zeigte sich aber entschlossen, seinen Entscheid
                            durchzuziehen. In einem Zeitungsinterview erklärte der Vorsteher des EVD, der
                            Bundesrat sei in dieser Frage schon genügend Kompromisse eingegangen. Wenn er jetzt
                            nicht der Umsetzung des Drei-Kreise-Modells zum Durchbruch verhelfe, verliere er
                            seine Glaubwürdigkeit. Dementsprechend wurden bei der Zuteilung der Kontingente für
                            die Periode 1996/97 die ex-jugoslawischen Saisonniers definitiv von der Einreise
                            ausgeschlossen. Betroffen waren rund 10 000 Arbeitnehmer aus dem früheren
                            Jugoslawien. 9

                            ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                      4
BERICHT             Unter dem Titel "Ein neues Konzept der Migrationspolitik" wurde Ende August der
DATUM: 30.08.1997
MARIANNE BENTELI
                    Bericht der Expertenkommission "Migration" vorgestellt. Um sich nicht von vornherein
                    in eine unfruchtbare Grundsatzdiskussion zu verstricken, einigte sich die Kommission
                    auf ein einheitliches Migrationsmodell für Asyl- und Arbeitssuchende. Jeder
                    Einwanderer - egal ob Asylbewerber oder nicht - soll ihrer Meinung nach den gleichen
                    Migrationsprozess durchlaufen: die Einreise in das Zielland, der vorübergehende oder
                    dauernde Aufenthalt und, je nachdem, die Ausreise. Aus diesen Phasen ergeben sich
                    vier Themenbereiche, zu denen die Kommission Ziele und Massnahmen entwickelte:
                    Zulassungspolitik,       Integrationspolitik,     Ausreise/Rückwanderung         und
                    Migrationsaussenpolitik.

                    Mit einer Ausreisepolitik soll Sorge getragen werden, dass ausländische
                    Staatsangehörige ohne Anwesenheitsberechtigung oder nach deren Ablauf die Schweiz
                    verlassen und nicht illegal im Land bleiben. Ein konsequenter Vollzug soll vor allem
                    durch verstärkte aussenpolitische Massnahmen, d.h. bi- und multilaterale Abkommen,
                    verbessert werden. Eine Rückkehrberatung, wie sie im Moment vor allem Personen aus
                    dem Asylbereich angeboten wird, soll nach Auffassung der Kommission allen
                    Ausländerinnen und Ausländern offenstehen. Mit einer aktiven Aussenpolitik soll gegen
                    die Ursachen erzwungener Migration angegangen werden. Dazu gehören eine
                    Präventivdiplomatie sowie Massnahmen zur Förderung der Menschenrechte, der
                    Minderheitenrechte und der Demokratie. Auch die Entwicklungszusammenarbeit und
                    die humanitäre Hilfe wurden als weitere mögliche Verknüpfungspunkte gesehen. In den
                    traditionellen Herkunfstländern von Asylsuchenden sollten nach Meinung der Experten
                    insbesondere jene Entwicklungsprojekte gefördert werden, welche Chancen bieten,
                    Emigration zu verringern.

                    Die Zulassung von ausländischen Arbeitskräften soll sich nicht mehr nach Branchen
                    oder Regionen richten, sondern im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegen. Die
                    Kommission schlug unter anderem vor, vom Drei-Kreise-Modell abzurücken und
                    stattdessen nur noch zwischen EU/Efta-Staatsangehörigen und allen anderen zu
                    unterscheiden. Für EU-Bürger werden sich Zulassung, Aufenthalt und Bedingungen zur
                    Arbeitsaufnahme gemäss dem Ergebnis der bilateralen Verhandlungen gestalten. Mit
                    Ausnahme von Personen, welche traditionelle Fluchtgründe geltend machen können,
                    sollen nicht-EU/Efta-Bürger nur noch rekrutiert werden können, wenn sie gut- bis
                    hochqualifiziert sind. Die individuelle Qualifikation soll also ausschlaggebend sein und
                    nicht das Herkunftsland. Die Kommission regte dabei an, es sei zu prüfen, ob nicht ein
                    Punktesystem nach amerikanischem, kanadischem oder australischem Modell
                    einzuführen sei. Qualifikationskriterien könnten Sprachkenntnisse, Ausbildung, Alter
                    und Berufserfahrung des Bewerbers oder der Bewerberin sein. 10

GERICHTSVERFAHREN   Das Bundesgericht stützte in einem weiteren Grundsatzurteil das Drei-Kreise-Modell.
DATUM: 01.10.1997
MARIANNE BENTELI
                    Es wies die Beschwerde eines jugoslawischen Saisonniers ab, der die Umwandlung in
                    eine Jahresbewilligung zu spät beantragt hatte. Der seit zwei Jahren geltende
                    Ausschluss fast aller Ex-Jugoslawen ohne Niederlassungs- oder Jahresbewilligung vom
                    Schweizer Arbeitsmarkt verletze weder das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot
                    noch das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK),
                    der UNO-Menschenrechtspakte und des Rassendiskriminierungsübereinkommens. Die
                    Vereinbarkeit der Bundesratsregelung mit den internationalen Verträgen überprüfte
                    das Bundesgericht hier erstmals; einen Verstoss gegen das Gebot der Rechtsgleichheit
                    hatte es bereits 1996 verneint. 11

BERICHT             Der Bundesrat zeigte sich aber selber bereit, vom 1991 eingeführten Drei-Kreise-Modell
DATUM: 31.10.1997
MARIANNE BENTELI
                    wegzukommen und den Vorschlag der Expertenkommission "Migration" aufzunehmen,
                    wonach inskünftig nur noch zwischen Angehörigen von EU-/Efta-Staaten und allen
                    anderen Staaten unterschieden werden soll. Der Bundesrat begründete seine
                    Haltungsänderung damit, dass der "zweite Kreis" - vor allem Kanada und die USA -
                    praktisch nie zum Tragen gekommen sei und ein gewisses Legitimationsdefizit für das
                    umstrittene Modell bestanden habe. Die Einführung des neuen Zulassungsmodells wird
                    de facto aber keine wesentliche Änderung der geltenden Rekrutierungspraxis
                    bedeuten. Insbesondere hat der Bundesrat nicht im Sinn, Arbeitnehmer aus Ex-
                    Jugoslawien wieder als Saisonniers zuzulassen. Nach welchen Kriterien die Qualifikation
                    von ausländischen Arbeitskräften aus Nicht-EU- oder Efta-Staaten erfolgen wird, wollte
                    der Bundesrat vorderhand noch offen lassen. 12

                    ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                        5
VERORDNUNG / EINFACHER   In der Ausländerregelung 1998/1999 setzte der Bundesrat die im Vorjahr von der
BUNDESBESCHLUSS
DATUM: 22.10.1998
                         Arbeitsgruppe ”Migration” gemachte Empfehlung um und schaffte die bisherigen
MARIANNE BENTELI         Rekrutierungsgrundsätze nach dem Drei-Kreise-Modell zugunsten eines dualen
                         Zulassungssystems ab. Demnach wird nur noch unterschieden zwischen Angehörigen
                         von EU- bzw. EFTA-Staaten, die prioritär zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit einreisen
                         dürfen, wenn keine entsprechenden inländischen arbeitslosen Personen auf dem
                         Arbeitsmarkt verfügbar sind, sowie den Bürgerinnen und Bürgern aller anderen
                         Nationen, die nur noch in ganz speziellen Fällen rekrutiert werden können. Gleichzeitig
                         wurde die Zahl der jährlich zu vergebenden Saisonbewilligungen weiter von 99 000 auf
                         88 000 reduziert. 13

                         Geringfügige Änderung des Arbeitsgesetzes
                         (Swisslex, 93.113)
                         Arbeitnehmerschutz
BUNDESRATSGESCHÄFT       Im Rahmen von Swisslex unterbreitete der Bundesrat dem Parlament eine geringfügige
DATUM: 28.04.1993
MARIANNE BENTELI
                         Änderung des Arbeitsgesetzes mit dem Ziel, die Vorschriften über die
                         Gesundheitsvorsorge auf die Bundesverwaltung auszudehnen sowie bestimmte
                         Arbeitnehmerkategorien, beispielsweise Kader und Assistenten, die bisher nicht
                         eingeschlossen waren, neu den Schutzvorschriften des Gesetzes zu unterstellen. Da die
                         Vorlage bereits mit dem Eurolex-Paket verabschiedet worden war, nahm die kleine
                         Kammer die Änderung diskussionslos und einstimmig an. Im Nationalrat setzte sich
                         jedoch vorerst ein Nichteintretensantrag Gros (lp, GE) mit dem Argument durch, diese
                         Revision trage nichts zu der vom Bundesrat angesagten Deregulierung und
                         Revitalisierung der Schweizer Wirtschaft bei. Der Ständerat befand, dies sei nicht der
                         Ort, um eine Grundsatzdebatte zu führen, und hielt an seinem Entscheid fest, worauf
                         ihm der Nationalrat folgte. 14

BUNDESRATSGESCHÄFT       Im Rahmen von Swisslex stimmten sowohl Stände- wie Nationalrat einer Änderung der
DATUM: 17.06.1993
MARIANNE BENTELI
                         obligationenrechtlichen Bestimmungen über den Arbeitsvertrag zu, wonach
                         Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer künftig informiert und angehört werden
                         müssen, wenn sie vom Übergang des Unternehmens auf einen neuen Besitzer
                         betroffen sind oder wenn Massenentlassungen bevorstehen. Zudem wird festgelegt,
                         dass der Käufer eines Betriebes die vom Verkäufer abgeschlossenen Arbeitsverträge
                         übernehmen muss. In beiden Kammern unterlagen Rückweisungs- bzw.
                         Nichteintretensanträge aus den Reihen der LP, welche in dieser Vorlage einen Verstoss
                         gegen die Grundsätze der Revitalisierung und Deregulierung sah. Während der
                         Ständerat in der Detailberatung kaum Änderungen am bundesrätlichen Vorschlag
                         vornahm, erreichte im Nationalrat das rechtsbürgerliche Lager, dass bei
                         Betriebsübernahmen die Einhaltung von Gesamtarbeitsverträgen auf ein Jahr reduziert
                         wurde. Da dies der Praxis in den anderen europäischen Staaten entspricht, schloss sich
                         der Ständerat hier an. Zudem setzte sich in der Differenzbereinigung eine Milderung
                         der Sanktionen für die Nichteinhaltung der Informationspflicht bei Massenentlassungen
                         durch. 15

ANDERES                  Die im Vorjahr im Rahmen von Swisslex vom Parlament beschlossene und auf den 1.Mai
DATUM: 30.04.1995
MARIANNE BENTELI
                         1994 in Kraft gesetzte Änderung der obligationenrechtlichen Bestimmungen über den
                         Arbeitsvertrag, wonach Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angehört werden
                         müssen, wenn Massentlassungen anstehen, trug erste Früchte. Die 340 von der
                         Schliessung ihres Betriebs betroffenen Angestellten der Monteforno-Werke in Bodio
                         (TI) erreichten so nach einer viertägigen Arbeitsniederlegung, dass der von der
                         Unternehmerseite vorgelegte Sozialplan deutlich nachgebessert werden musste.

                         Weniger Glück hatten die rund 100 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der zum
                         Textilunternehmen Gasser gehörenden Baumwollspinnerei in Kollbrunn (ZH). Wegen
                         des rüden Umgangsstils ihres Arbeitgebers, der wegen versuchten Missbrauchs der
                         Arbeitslosenversicherung auch vom BIGA scharf gerügt worden war, hatten die
                         Angestellten einen halbtägigen Warnstreik durchgeführt, worauf Gasser das Werk
                         kurzerhand schloss und die Belegschaft auf die Strasse stellte. Da diese
                         Massenentlassung vor dem Inkrafttreten der neuen obligationenrechtlichen Regelung

                         ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                       6
stattfand, waren die Kündigungen auch ohne Vorliegen eines Sozialplans rechtlich nicht
                     anfechtbar. 16

                     Armierung des Bundesgesetzes über die
                     Unfallversicherung (Swisslex, BRG 93.103)
                     Unfallversicherung
BUNDESRATSGESCHÄFT   Das Parlament stimmte oppositionslos der vom Bundesrat im Rahmen von Swisslex
DATUM: 18.06.1993
MARIANNE BENTELI
                     vorgelegten Armierung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung zu. Sie dehnt
                     den Geltungsbereich der Vorschriften über die Arbeitssicherheit auf alle in der Schweiz
                     tätigen Betriebe aus und schreibt gleiche Prämien für Mann und Frau in der
                     Nichtberufsunfallversicherung verbindlich vor. 17

                     Familienzulagen in der Landwirtschaft
                     (Swisslex, BRG 93.104)
                     Frauen und Gleichstellungspolitik
BUNDESRATSGESCHÄFT   Im Rahmen von Swisslex wurde im Bundesgesetz über die Familienzulagen in der
DATUM: 18.06.1993
MARIANNE BENTELI
                     Landwirtschaft die Gleichstellung von Männern und Frauen verwirklicht. Neu haben
                     auch die Angehörigen der Betriebsleiterin, die im Betrieb mitarbeiten, Anspruch auf
                     diese Zulage. 18

                     1) BBl, 1991, III, S. 291 ff.; Lit. Werenfels; NZZ, 16.5.91; Presse vom 28.5.91; Ww, 30.5.91. Haltung der Fraktionen: NZZ, 5.6.91.
                     Stellungnahme der Kirchen: Presse vom 11.6.91.
                     2) Amtl. Bull. NR, 1991, S. 996 ff.
                     3) Amtl. Bull. StR, 1991, S. 869 W. und 879 ff.; NZZ, 6.2.91 (Jagmetti). (Verhandl. B.vers., 1991, VI, S. 118).
                     4) BBl, 1992, III, S. 49 f.; Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2673.
                     5) BBl, 1993, I, S. 827 f.
                     6) Presse vom 24.5.96.
                     7) Amtl. Bull. NR, 1996, S. 708 ff. und 788 ff.
                     8) Presse vom 5.8.96.
                     9) Presse vom 7.8., 2.9. und 17.10.96; BüZ, 19.8., 23.8., 24.8. und 28.8.96. Siehe SPJ 1994, S. 233.
                     10) Lit. Ein neues ..; Presse vom 30.8.97; A. Richter, "Migrationspolitik", in Die Volkswirtschaft, 71/1998, Nr. 3, S. 54 ff. Siehe
                     SPJ 1996, S. 267.
                     11) Presse vom 1.10.97. Siehe SPJ 1996, S. 270.
                     12) Presse vom 31.10.97.
                     13) Presse vom 9.6. und 22.10.98.
                     14) BBl, 1993, I, S. 868; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 258, 609 und 794; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1314, 1792 f. und 2045; BBl, 1993, Ill,
                     S. 796 f.
                     15) BBl, 1993, S. 880 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 377 ff., 874 ff. und 1131; Amtl. Bull. NR, S. 1708, 1721 ff., 2345 f. und 2590; BBl,
                     1993, IV, S. 588 ff.
                     16) LNN, 23.3.94; TA, 30.4.94; NZZ, 31.8. und 21.9.94. Vgl. SPJ 1993, S. 167 f.
                     17) BBl, 1993, I, S. 850; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 188 f. und 582; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 768 und 1453; BBl, 1993, II, 924 f.
                     18) BBl, 1993, I, S. 851; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 189 und 582; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 769 und 1454; BBl, 1993, II, S. 926.

                     ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK
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