Basel im Winter Winter in Basel - Zeit zum Lesen - Das Magazin der Christoph Merian Stiftung
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Das Magazin der Christoph Merian Stiftung Basel im Winter Winter in Basel Zeit zum Lesen Nr. 9 Dezember 2019
Editorial Lesen Unter der Oberfläche Lesestoff für kalte Tage heisst Dieses RADAR gibt Einblick in das aktuelle Basler eintauchen Es ist ja nicht so, dass heute zu wenig kommuniziert würde. Ganz Literaturschaffen. Sechs junge Autorinnen und Autoren haben exklusiv für diese Ausgabe Ge- im Gegenteil, wahrscheinlich wurde noch nie so viel kommuni- schichten verfasst. Das Thema ‹Winter in Basel – Basel im Winter› war vorgegeben, Form, Sprache ziert wie heute, am Handy, per E-Mail, SMS, WhatsApp, Facebook, und Inhalt waren ihnen freigestellt. Alle Schrei- Twitter, Instagram usw. Und auf den herkömmlichen Wegen nach benden haben einen engen Bezug zu einem von der CMS unterstützten Förderprojekt. So unter- wie vor. Dabei hat die Sprache Konkurrenz erhalten. Bilder, Fotos, schiedlich die Projektpartner der CMS im Bereich Literatur sind, so verschieden sind auch die ent- Filme sagen oft mehr als tausend Worte. Liegt es an der Geschwin- standenen Texte. digkeit der Bildkommunikation, an unserer immer stärkeren visu- ellen Empfänglichkeit, daran, dass Bilder Botschaften einfacher transportieren können? Ist die Sprache dadurch unter Druck geraten? Vielleicht nicht die Sprache selbst, sondern das, was unter der bildlichen und sprachlichen Oberfläche liegt: das reflek- tierte Sich-Ausdrücken, nicht das Rasche, Geschwinde, das Postulieren und hektische Replizieren. Texte und Bücher sind Gefässe für die Kunst der Langsamkeit. Sie brauchen Zeit, um geschrieben, produziert und gelesen zu werden. Ja, Lesen braucht Musse, ist zeitaufwendig, physisch und psychisch. Hören und Verstehen auch. Lesen heisst eintauchen, abtauchen, sich unter der Oberfläche aufhalten. Komponierte Sprache – Literatur lesen, Gelesenem zuhören – bedeutet Konzentration, bedeutet, sich auf jemand anderen einzulassen, sich manchmal auch zu verlieren und sich zu finden. Christoph Merian hat seiner Stiftung aufgetragen, sich für das «Wohl der Menschen» einzusetzen. Mit ihrer breiten Literatur- förderung und ihrem eigenen Verlag trägt die Christoph Merian Stiftung (CMS) zum Wohl der Menschen bei, indem sie die Ausein- 3 inter in Basel W Simon Morgenthaler andersetzung mit anderen Menschen, mit anderen Vorstellungen, mit Themen, Wissen, mit Kunst und Kultur und der Vergangen- 4 Basel im Winter Lucien Haug heit fördert, indem sie eine eigene Verortung in der Zeit und in der Gesellschaft ermöglicht, indem sie die Auseinandersetzung 5 wölf Tage im Basler Winter Z Caterina John mit der eigenen Identität fördert. Als der Christoph Merian Verlag 1976 von der CMS gegründet wurde, konnte niemand ahnen, wie 6 Winterstaub und Wasserdampf Sarah Altenaichinger wichtig er heute in einer ausgedünnten Verlagslandschaft und einer radikal veränderten Medienwelt werden würde. Denn mit 7 chnee in Basel S der immer kürzeren Halbwertszeit von Informationen, Werten Dominik Muheim und Gewissheiten sind Projekte und Institutionen, die Inhalte 8 Winterreise oder Als Dora fundiert aufbereiten und vermitteln, die Sprache gewichten und vor einem Pinguin stand Gianna Molinari um werthaltigen Content ringen, bedeutender denn je. Deshalb widmet sich dieses RADAR ganz dem Thema Lesen und 9 Blühender Strauss Literaturförderung der CMS der Literaturförderung durch die CMS. Sechs Basler Autorinnen und Autoren haben exklusiv für dieses Heft je einen literarischen 10 In der Nische Text verfasst. Christoph Merian Verlag ‹Winter in Basel – Basel im Winter›, geniessen Sie die Lektüre! 10 ehr als ein guter Tipp M Leseempfehlungen Dr. Beat von Wartburg 14 igital durch die Geschichte D Direktor der Christoph Merian Stiftung der Stadt Basler Stadtbuch auf Social Media 16 lles auf einen Blick A Titelbild Literaturveranstaltungen Ecke Hegenheimerstrasse Muespacherstrasse, Basel Im Winter 2009 in Basel 2
Basel im Winter Nostalgisch wurde J. höchstens beim Wenn J. mit dem Schimpfen begann, Verzehr der letzten Büchsen strahlte er eine gewisse Wärme Ravioli, murmelte dann irgendetwas aus. Ein monumentaler Professor, sagte von «Italianità» und reifen Tomaten, er, habe sich einmal so fürchterlich «Paradeiser, Paradies», kalauerte über die scheusslich steigende Wettstein- Winter er und warf, nach kurzem, desinter- essiertem Blättern, ein weiteres brücke enerviert, eine Brücke mit Gefälle, die für alle Zeiten das Stadt- in Basel Buch ins Feuer. Das Holz war alles bild verschandeln würde. Schief verbrannt oder aufgefressen von sei sie jetzt, schön schief. Ein Schein- den Würmern, die nach dem grossen und Schattenleben, das er habe Regen gekommen waren, kleine führen müssen, immer nur oxen und Basel … sieht mich übrigens so langweilig und philiströs an, weiche Wesen, die alles verschlangen, oxen, wie er sagte, und die herzguten, dass ich meinem Herrgott selbst für einen Winter in Berlin sehr dankbar bin. Gewürm, das alles zum Einstürzen langweiligen Menschen, mit denen brachte, ganze Jahrhunderte, er sich habe herumschlagen müssen. Jacob Burckhardt an Gottfried und Johanna Kinkel, 11. September 1846 nur um dann, als das Eis kam, selber Die allgemeine Erkaltung sei auszusterben. Bei einer der schon einer Befreiung gleichgekom- Exkursionen ins Trümmerfeld men, zumindest nach dem grossen gleich in der Nähe (wohl der Sturm. Was erstarrt gewesen sei, Rest eines linksrheinischen, gross- sei tatsächlich erstarrt, sagte er, und Lange bevor die Temperatur wonnenen Freiheit in den noch nicht bürgerlichen Hauses) fand ich die kühlen Leute seien zu Leichen abgefallen sei (vor der allgemeinen ganz zugefrorenen Fluss geworfen. per Zufall einen angestossenen Buch- erkaltet. In einer Welt von lauter Erkaltung der Welt), habe man, Kopfüber sei das Ding in einer rücken. Nach mühseligem Graben Schemen habe er leben müssen, und so J., gesagt, es gebe keinen Winter losbrechenden Scholle stecken ge- – ich erinnere mich, dass der wenn er jetzt einem dieser ver- in Basel. Es sei ein Scheissklima blieben und sei dann kurz vor wieder herbeifantasierte rechte Ring- eisten Schemen begegne, sehe er nicht gewesen, sagte er, im Sommer der Mittleren Brücke endgültig ver- finger schmerzte, der mir unlängst einmal mehr die Fratze, die doch unerträglich, kaum atembar die Luft. soffen. Da sitzt er jetzt am Boden, abgefroren war – stiess ich auf erst den Menschen daraus gemacht Im Winter sei’s jeweils etwas besser erstarrt, und starrt, den Kopf einen metallenen Kasten, vollgestopft habe. geworden, auch wenn es meistens in nunmehr ewiger Schieflage, zu den mit dicken Lexika, einigen keinen echten Winter gegeben habe, beiden halbeingestürzten Turm- Gesamtausgaben, Brennstoff. Das Was soll’s, J. ist tot, und der letzte wenigstens nicht die hirntötende skeletten hinüber, die vom Schnee Buchenholz unter den Büchern, übriggebliebene Band – ich glaube, Glut des Sommers. Sans rime ni raison fast ganz verschluckt als Hügel wie’s J. bezeichnete, nicht wie diese es ist irgendeine viel zu dick ge- hätten sich die Leute, so J., auch erscheinen – «les roches pharma- tannenähnlich knisternden ratene Ausgabe einer Korrespondenz bei geringster Hitze die Kleider vom comanes», hatte J. sie genannt. Dünndruckausgaben der Werke – wird mich auch nicht mehr lange Leib gerissen und sich (vor Freude!), eines gewissen Dürrenmatt, wärmen. Den Registerband haben wir manche schreiend, in den Rhein Dass wir die Holzlatten der Sitzbank die so beissenden Rauch geschlagen dummerweise als Erstes verbrannt gestürzt. Was den «gewickelten Fisch» nicht verfeuerten, war ein unge- hatten. Über Wochen haben wir – und wer hat heute noch den Idealis- (o. Ä.) anbelangt, über den er schriebenes Gesetz, und als wir es die Bücher in einem zum Schlitten mus, ganze Bücher zu lesen; sich ausführlich zu erregen pflegte – doch taten, verloren wir kein umfunktionierten Einkaufswagen überhaupt, das Lesen ist gefährlich dieser sei Inbegriff der hiesigen Wort darüber. Ich weiss nicht, was es (ein verbogenes Geländer als Kufen) für die Finger; der Ringfinger ist Krähwinkelei, er sei das wasserdicht mit dieser Bank auf sich hatte. zum Bunker gezogen, den Ab- mir so erfroren und abgefallen, bin verpackte Basler Philisterio: nur Imaginiere ich mir ein Basel, das noch hang hinuntergelassen, bei der Bank eingeschlafen, den Finger als Luft in einer Hülle eigentlich, und intakt war, so wie J. es mir schilderte, vorbei, neben deren Gestell J. nun Buchzeichen eingeklemmt in einem Besitz, den man hier, auf die scheint gerade dieser Ort nicht steif und durchgefroren sitzt, Wälzer, und ich glaube, es war Gefahr hin, damit unterzugehen, mit besonders idyllisch oder schön ge- unter dem einen schräg angelehnten nicht mal ein gutes Buch. J. ist tot und sich in die Fluten getragen habe –, wesen zu sein – und das war, Trümmerstück der Brücke hin- der letzte Band liegt im Feuer, ich so wusste man nie recht, um welche wenn ich das richtig verstanden habe, durch. Der Infanteriebunker A 2872 scharre mit dem Haken in der Glut, Art Fisch es sich dabei eigentlich das Konzept solcher Sitzgelegen- für nordwärts gerichtete Maschinen- ein verkohlter Fetzen erhebt handelte. heiten. Vielleicht war es genau diese gewehre, wie J. erzählte, aus sich in der warmen Luft, ich klaube Gegenteiligkeit, die J. suchte: einem der Weltkriege: unsere Residenz. ihn auf, klamm, lese: … selbst für Es spielt ohnehin keine Rolle mehr. Es war ihm unangenehm zuzugeben, einen Winter in Berlin sehr dankbar bin. J. ist erfroren, vor einer Woche, einem dass es ihm in seinem Domizil Wie er lachen konnte, und wie dumpf Nein, unter diesen Geldbonzen Monat, man weiss es nicht genau, verhältnismässig gut gepasst hatte, das Lachen im Bunker geklungen hält es kein rechter Mensch aus! Rom! es ist, als bleiche dieses Weiss oder früher, vor der allgemeinen Er- hat. Die Brücke, erzählte er, habe einer Rom! Rom! – capisce? J. hat immer von Grau von Schnee und Eis, diese kaltung. Zuweilen hatte ich ohnehin in die Luft gesprengt, die alten Rom geschwärmt, man weiss permanente dumpfe Blendung die das Gefühl, dass J.s Philippika Sprengsätze vom Militär seien doch nicht mehr, warum. Und selbst ein Erinnerung aus. Und schwimmen eigentlich von eher allgemeiner Natur noch dort gewesen; einer, der Basler Bonze, oder sei’s ein Philister, kann man im Rhein schon längst nicht war, dass der Sermon über immer herumgeschrien habe, dass es denkt es mir sans rime ni raison, mehr. Ich habe J. noch rauf zu den die selbstgenügsame Kleinheit und kälter werde, immer kälter, dass wär’ mir jetzt lieber als die Einsamkeit, Überresten seiner Lieblingssitzbank Enge der Stadt, über das gräuliche das Eis komme, dem aber niemand könnt’ ich mich doch wenigstens auf einer kleinen Betonkanzel Philistertum, im Grunde auf geglaubt habe; einer, der sich darüber ärgern, dass ich nicht alleine rechts der Wettsteinbrücke geschleppt das Ganze, was man damals Schweiz auf dem Barfüsserplatz ein Behältnis bin. J. ist tot und vielleicht ist er – ein Wahnsinn, wo ich doch jedes genannt hat, zutrifft. Von Enge mit Trockeneis über den Kopf zu jetzt dort, wo die Paradeiser wachsen. Quäntchen an Energie und Kraft fürs ist jetzt nicht mehr viel übrig, leeren drohte, der aber über- Es ist Winter in Basel. eigene Überleben gebrauchen die meisten Gebäude sind zerfallen wältigt worden sei. Nur ein Hund, konnte –, rechts jener Brücke also, und von Eis bedeckt – Ödnis, offene so erzählte J., sei damals durch deren Ruine jetzt wie dieses Ödnis. das herabstürzende Behältnis umge- groteske und zerfressene Gebiss, kommen – gelyncht hätten sie das auf der längst leeren Zigaretten- den Mann deswegen beinahe, jene, schachtel abgebildet ist, aus der die später gierig an den Knochen Eisfläche des Rheins ragt. Die guss- ihrer Haustiere nagten, ganz eiserne Skulptur – ein Mischwesen, egal, ob Hund oder Katz’. O Schilda, wie J. erzählte, aus Gockel und mein Vaterland, deklamierte J. Drachen, das auf dem Pedestal rechts mit frivolem Pathos, und ich verstand der Treppe gestanden sei, die zur kein Wort. Bank führte – habe damals, als durch Simon Morgenthaler (* 1981) liest und schreibt die allgemeine Erkaltung alles zwischen Basel und Bern. Publikationen in kollabiert sei, ein Mob demontiert verschiedenen Zeitschriften und unter anderem und als Zeichen der wiederge- für den Literaturautomaten Basel. 3
Basel im Winter Basel im Winter Warten wir noch auf das Bellen der Hunde Warten wir noch auf den nächtlichen Frost Warten wir noch auf die Autos der Bullen Warten wir noch auf die Winde aus Ost Warten wir noch mit den tanzbaren Liedern Warten wir noch mit dem Schliessen der Tür Warten wir noch auf die guten Gedichte Warten wir noch auf die Worte dafür Warten wir noch mit dem Packen der Koffer Warten wir noch auf die Brücke im Raum Warten wir noch auf die offenen Häuser Warten wir noch auf den eifrigen Traum Warten wir noch mit dem gültigen Abschied Warten wir noch mit dem besseren Scherz Warten wir noch mit dem Laden der Akkus Warten wir noch auf ein leichteres Herz Warten wir noch mit gehaltenem Atem Warten wir noch auf gehaltenes Wort Warten wir noch auf die Siege der Liebe Warten wir noch auf den Winter in Basel und dann sind Lucien Haug (* 1992), wohnhaft in Basel, Studium an der Hochschule der Künste in Bern. Von ihm sind diverse Theatertexte aufgeführt worden, so zum Beispiel am Jungen Theater Basel, am Schauspielhaus Zürich, in der Kaserne Basel, am Maxim-Gorki- Theater Berlin, an den Treibstoff-Theatertagen und beim Verein der Flaneure. Er kuratiert und moderiert Veranstaltungen für das Literaturfestival BuchBasel. 4
Winter in Basel Zwölf Tage wanderten wir durch die stattlichen Stände des Weihnachtsmarkts. im Basler Winter Angesteckt vom Virus der Feierlich- keit, ausgecheckt vom Papst Pius der Barmherzigkeit, haben wir ahnungslos alles ausgeschleckt, Am ersten Weihnachtstag schenkte was uns die Winterzeit bereithält. mir meine wahre Liebe ein Leb- Anstatt das alles zu hinterfragen, kuchenherz mit unseren Initialen von tragen wir es mit uns herum – nach einem zuckersüss verzierten Chalet dem Warum wird hier schon lange am Weihnachtsmarkt auf dem Hunde. Morgen würde kein guter Tag, nicht mehr gesucht. Initialen. Geschenk um Geschenk Petersplatz. Der Duft von Rahmtäfeli, so viel stand fest, denn Kopfschmer- landete in meinem Magen, meiner Beggeschmütz und Magebrot verur- zen und Schnupfen hatten sich Am siebten Weihnachtstag Leber, meiner Milz, in meiner Lunge. sachte leichte Übelkeit und der kurz bereits angekündigt und mein verwahr- schenkte mir meine wahre Liebe Die überschwängerte Luft erhaschte Blick meines Spiegel- loster Körper sehnte sich unter sieben Schoggisamichläus. tropfte nur so von Gerüchen und bildes im sich drehenden Karussell, der schweren Last eines zugedröhnten Dämpfen und überall spürte ich das die Hand meines Freundes Kopfes nach Bewegung. Am achten Weihnachtstag schenkte Fett aus meinen Poren quellen. Meine hielt und mit glühenden Wangen von mir meine grosse Liebe acht Ohren trieften vor Ohrenwürmern, einem Ohr zum anderen strahlte, Am vierten Weihnachtstag schenkte Beggeschmütz, die mir das Gesicht die sich langsam ineinander ver- hätte mich als Passantin schlagartig mir meine süsse Liebe seine verklebten. Am neunten Weih- flochten und sich zu einem riesigen zur Insulinspritze greifen lassen. letzten vier Zigaretten, während nachtstag schenkte mir meine echte Teppich des Kitsches bildeten, Doch der würzige Glühwein im Magen wir fröstelnd über die Mittlere Liebe neun Schoggibanane, obwohl auf dem ich immer wieder stolperte. und das Lebkuchenherz in meiner Brücke schlenderten, drei Liter Glüh- ich Bananen gar nicht richtig Hand stimmten mich der feierlichen wein gegen die beissende Kälte, mag. Auf dem Petersplatz sitzend Am elften Weihnachtstag schenkte Winterstimmung gegenüber gnädig. zwei Grillwürste mit Senf vor der über- stopfte ich alles in mich hinein mir meine echte Liebe elf Raclette- füllten Tramhaltestelle und ein und mein Freund erfreute sich an der teller aus der Sennehütte, zehn Päckli Am zweiten Weihnachtstag Lebkuchenherz mit unseren Initialen. Freude, die er mir schenkte, Magebrot vom Jonasch, neun schenkte mir meine echte Liebe zwei Den Rauch einziehend stellte was wiederum mich erfreute. Das Schoggibanane, acht Beggeschmütz, Grillwürste mit Senf. Wir assen sich ein wohltuendes Schwindelgefühl war also die winterliche positive sieben Schoggisamichläus, sechs sie stehend bei der Tramhaltestelle ein. Der Blick in das kalte Rhein- Rückkoppelung, ein Phänomen, das Portionen Fondue, fünf Flammen- am Barfüsserplatz und der Senf wasser, in dem sich tausende Lichter die Verkaufszahlen unnützer kuchen, vier Zigaretten, drei Liter tropfte auf meinen dicken Wollman- spiegelten und sanft bewegten, Dinge in die Höhe schiessen liess. Glühwein, zwei Grillwürste mit Senf tel, während die Nacht um uns liess uns an den Sommer denken. Ja, Mir selbst kam es so vor, als und ein Lebkuchenherz mit unseren herum von farbigen Lichtern erfüllt im Sommer, als wir schwimmen unterläge das ganze Fett, der ganze Initialen. Und mein Inneres fing wurde. Das Fett spritzte aus der gingen, in der Hängematte hingen Zucker – kurz, die ganze Materie, zu rumoren an, sich zu winden, sich Bratwurst, als ich zum zweiten Mal und spätabends schon den neuen die ich in den letzten Tagen in zu bewegen, es fühlte sich wie hineinbiss, und ich dachte mir, Tag anfingen.Wo Gedanken schranken- mich hineingestopft hatte, anderen fünfzig Tumoren an, alles um mich morgen, ja morgen werde ich Sport los auf- und niedersanken, wir physikalischen und biologischen fing zu schwinden an, und als ich machen. Darauf fing mein Freund schwankten, zankten und am Virus Gesetzen, so als wäre der Aus- mich erheben wollte und zu einem herzlich zu lachen an und in seinen Freiheit erkrankten. Konformismus dehnungskoeffizient durch die Kälte Büschchen hinbegeben … entblössten Zähnen blitzten ver- überwinden und unser Rebellen- und die Jahreszeit gnädiger mit stohlen Wurstreste hervor. tum neu erfinden. Geschissen haben meiner Figur umgegangen und die ... schenkte mir meine wahre Liebe wir auf Normen, geschissen auf Schwerkraft, milde gestimmt am zwölften Weihnachtstag zwölf Am dritten Weihnachtstag schenkte Vorgaben und Formen, Traditionen durch die Feierlichkeiten um uns Küsse. Keine Schokoküsse, mir meine grosse Liebe drei Liter und Bräuche, umstrittene Sitten herum, weniger … schwer. echte Küsse, doch er hatte vorher Glühwein. Schenken ist vielleicht der und zusammenkittende Massenkle- einen Döner gegessen, und so kam es, falsche Begriff, denn die beissende bemittel. Und nun liefen wir in Am zehnten Weihnachtstag schenkte dass ich elf Racletteteller aus der Kälte und der scharfe Wind auf dem Basel Hand in Hand Kippen rauchend mir meine wahre Liebe zehn Sennhütte, zehn Päckli Magebrot vom Barfüsserplatz liessen uns keine über dunkles Gewässer und liessen Päckli Magebrot vom Jonasch, neun Jonasch, neun Schoggibanane, obwohl andere Wahl. Angetrunken und noch Worte aus rauen Lippen wie Schoggibanane, acht Beggeschmütz, ich Bananen gar nicht mag, acht immer zitternd spazierten wir den Rauch von uns steigen. Über Weih- sieben Schoggisamichläus, sechs Beggeschmütz, die alles verklebten, Weihnachtsständen entlang. Geblendet nachtslicht und Mitternacht, die Portionen Fondue mit Zwiebelchen sieben Schoggisamichläus, sechs von Glitzergirlanden und benebelt Absicht dahinter, alles wirres Gefasel und Brot, fünf Flammenkuchen, Portionen Fondue mit Zwiebelchen vom Wein und der geruchsschwangeren auf einer Strasse in Basel im Winter. vier letzte Kippen, drei Liter Glüh- und Brot, fünf Flammenkuchen, vier Luft stolperten wir über das Kopf- wein, zwei Grillwürste mit Senf letzte Zigaretten, drei Liter Glüh- steinpflaster, fremde Winterstiefel Am fünften Weihnachtstag schenkte und ein Lebkuchenherz mit unseren wein und zwei Grillwürste mit Senf und in den Massen untergehende mir meine wahre Liebe fünf Flammen- auf ein Lebkuchenherz mit unse- kuchen, vier letzte Zigaretten, drei ren Initialen und dem mit Kussmund schwere Liter Glühwein, zwei fettige zu mir gebeugten Gesicht heraus- Grillwürste und ein Lebkuchenherz kotzte. Merry Christmas, mein Lieber, mit unseren Initialen. schenken ist schön, beschenkt werden auch, doch ohne Sinn macht Am sechsten Weihnachtstag schen- es eben einfach … nicht so viel Sinn. kte mir meine grosse Liebe sechs wir fort Portionen Fondue mit Zwiebelchen und Brot aus dem Fonduestübli beim Münster. Sport hatte ich noch Caterina John(* 2000) hat im Juni 2019 das immer keinen gemacht und Gymnasium in Liestal abgeschlossen. Seit 2013 langsam fing ich an, mich scheisse zu ist sie als Slam-Poetin auf verschiedenen fühlen. Als assimilierte Asoziale Bühnen in der Nordwestschweiz unterwegs und hat 2018 den Titel U20-Basler-Meister*in in Poetry Slam gewonnen. Im Zwischenjahr vor dem Studium konzentriert sie sich auf das Schreiben und Chillen. 5
Basel im Winter Jeans und fragt einen Passanten nach Feuer. Ziellos läuft er in der Stadt umher. Um sich warmzuhalten, will er in Bewegung bleiben. Erst auf der Pfalz macht er eine Pause, Winterstaub ohne zu wissen, wie er genau hierher- kam. Sein Kopf ist jeweils wie und Wasserdampf leergefegt, während ihn die Füsse tragen. Hier ist er schon seit Ewigkei- ten nicht mehr gewesen. Die heraus- geputzte Münsterterrasse passt Ich sitze im Café Huguenin und gar nicht zu ihm, dem schmuddeligen, die Welt zieht vorbei wie ein rasender jungen Mann, dessen Zuhause Lichtkasten. Die kräuselnden seit zwei Wintern auf der Strasse liegt. Schwaden meiner heissen Schokolade, Nun schaut er über die gläsern kleine Zweige aus Wasserluft, um- vereiste Stadt. Sein Herz plustert wachsen meine Arme, ringeln sich um sich auf, als er seine milchige meine Wangen, wabern in mein ihr nur nach. Er ist nicht verärgert, Geliebte so daliegen sieht. «Schön, Seltsame Figuren scheinen daraus zerzaustes Haar, wo sie tröpfchen- seltsamerweise. In letzter Zeit sind nicht», spricht ihn plötzlich ein wie Wolkenbilder aufzusteigen. weise verdampfen. Mit einem seine Gefühle abgekühlt, ungewohnt Mädchen an. Er hat sie gar nicht Es wird allmählich kälter, und irgend- Händeruck zerstäube ich die Gespen- taub geworden. Das Gute daran gesehen, wie sie in einer Ecke wann steht der Mann neben ihr ster vor meinen Augen und schaue sind die fehlenden Wutausbrüche, die des Platzes auf der Steinkante, grau auf. Er sagt etwas über die Notschlaf- nach draussen. Wo sich im Sommer ihn früher immer wie aus dem auf grau, hockt und raucht. Rona stelle und dass er jetzt noch ein Spatzen und Tauben um Krümel Nichts überkamen. Doch zugleich fehlt mustert den Mann. «Kalt ist es», bisschen Geld sammeln müsse. Sie balgen, liegt nun eine dünne Schicht ihm auch das kribbelige Gefühl, antwortet der und bleibt auf seiner langt wieder in ihre Jacke und lässt alle Schnee. Kaum der Rede wert. wenn er seinen Wagen aufklappt und Seite stehen. Sie drückt ihre Münzen, die sie finden kann, in Staubschicht aus dem Himmel, die die ersten Kastanien in seinen Zigarette aus, erhebt sich, geht zu seine Hand rieseln. Als Gegenleistung ein Kleinkind wegpusten könnte. Kesseln dampfen. Sie dampfen trotz- ihm hin, an ihm vorbei, bis sie verrät er ihr seinen Namen. Sie Auf den Trottoirs und Strassen haben dem bald, ganz ohne sein fühlendes auf dem rechten Steinvorsprung antwortet mit ihrem. Ihre kleine Schuhspuren in den unterschied- Zutun. Max starrt durch den Dampf wieder zum Sitzen kommt. Doch nun Abschiedszeremonie. Dann trottet lichsten Grössen und Formen, dünne nach draussen und summt einen wendet Rona sich dem Fremden er davon, bis die langgezogenen Velopneustreifen und breite Auto- Winterblues vor sich hin. Während zu und ihre Augen leuchten diebisch Schatten der Nachmittagsdunkelheit bänder Hieroglyphen in den ihm bald vor Wärme fast schwummrig auf. «Wer zuerst eine Schneeflocke ihn zunächst liebevoll umarmt Papierboden gestempelt. Die dazuge- wird – ein seltsames Klischee, sieht, hat gewonnen!», ruft sie und dann plötzlich ganz verschluckt hörigen Schemen huschen darüber. der frierende Marroni-Verkäufer aus und, als er sie nur stutzig ansieht, haben. Dieser Dunkelheit gewahr Kaum zu erkennen, so schnell – zählt er die Lämpchen der Weih- zupft sie an seinem Jackenärmel werdend, springt auch Rona auf. Ihre sind sie auf und davon. Eines dieser nachtsbeleuchtung, die sich über den und er tritt zu ihr ans Steingeländer. schwarzen, langen Haare schlenkern Wesen ist Anna. Auf einem roten Platz spannen wie Zahnspangen Heiser wendet er ein, dass es über ihre Schultern, während Fahrrad, das aber vor lauter Anna und aus Strass. Wann sie diese wohl wieder nicht nach Schnee aussehe. «Papper- sie den Münsterberg hinuntereilt. Riesenwinterjacke kaum zu abmontieren, fragt er sich, Weih- lapapp», erwidert sie trotzig und Sie kommt sich dabei wie ein Tage- sehen ist, fährt sie am Café vorbei. nachten liegt schon wieder in ihrem zeigt auf die Konstellationen dieb vor, gestohlene Sonnen- Ein kleiner Punkt flitzt durch die Rücken und damit auch seine der bauchigen Wolken, «der Mensch strahlen hinter dem Ohr. Der Atem Falknerstrasse und biegt zum Markt- beste Verkaufszeit. Max seufzt und hat es bisher noch nicht geschafft, der Stadt in ihrem Nacken schmeckt platz ab, verschwindet kurz im schwenkt die Marroni in der Pfanne. die Dinger wirklich zu verstehen. nach Apfelsaft und Staub. Gerade Menschengetümmel, um gleich wieder Das Gelb der Frucht schielt Weshalb also sollte er wissen, wann noch rechtzeitig erscheint sie im Café. daraus hervorzuleuchten, zwängt aus der eingeschnittenen, gerösteten genau es schneit und wann nicht. Der Chef wirft ihr nur einen vor- sich am 36er und 33er Bus vorbei und Schale. Ein wunderschönes Bild, Hast du übrigens gewusst, dass eine wurfsvollen Blick zu und delegiert nimmt mit Schwung die Mittlere da staunt er schon seit vierzig Jahren Schneeflocke eigentlich nur aus ihr die ersten Bestellungen. Brücke in Angriff. Sie ist etwas zu spät darüber. Jetzt muss er aufpassen. einem Staubkorn mit einem Wasser- aufgewacht und versucht nun die Wenn er die feurigen Früchte in Papier- tröpfchenmantel besteht?» Trium- Ich habe noch eine Schokolade verlorenen Minuten durch doppeltes tüten füllt, kann es leicht passieren, phierend schaut Rona den Mann bestellt. Eine junge, feingliedrige Frau Tempo wettzumachen. Sie möchte dass ein vorwitziges Ding brandheiss an und merkt an seinem Schweigen, mit schwarzen Haaren bringt sie nicht zu spät kommen. Die Band zwischen seinen Fingern hängen dass er es nicht gewusst und sie mir verträumt und kassiert dann sou- ist ihr wichtig und der Schlagzeuger bleibt oder er sich die Haut an der gewonnen hat. Sie schaut noch ein verän ein. Ihr flüchtiges Lächeln ihr Freund. Die Speichen surren, Pfanne versengt. «Krieg ich eine bisschen länger. Erst jetzt realisiert verbindet sich mit neuen Wasserdampf- Annas Herz hüpft und die Ohrenwär- Tüte?», lässt ihn eine Stimme aus der sie, dass die Jacke, die er trägt, kringeln und steigt in Schnörkeln mer rutschen ihr immer wieder auf Konzentration auffahren. Die abgeschabt, die Schuhe verlottert, in die Luft. Aus den Spiralen werden die Schultern herab. Hastig stülpt sie nervöse, schnarrende Stimme gehört sein Gesicht unrasiert und müde Rauchschwaden, kleine Marroni- sich die wolligen Dinger zurück Gregor, der sich ein paar Münzen wirken. Kurzerhand greift sie in ihre kugeln und ein Fahrrad, das wie ein über die Ohren. Fast hätte sie deshalb aus den Hosentaschen kramt. Es sind Jackentasche, zieht zwei Zigaretten silbernes Patronustier über meinem einen Marroni-Verkäufer angefahren, die paar, die er sich in der letzten daraus hervor und sieht ihn fragend Kopf kreiselt. Ich schaue hinaus der seinen Wagen gerade in Stunde verdiente. Trotz Fäustlingen an. Er nickt, und so drückt sie ihm in den frühen Abend und halte einen diesem Moment über die Strasse zu sind seine Finger zwischenzeitlich eine davon in die Hand, klemmt sich Stift in den Händen. Die Weihnachts- seinem Stammplatz vor der Clara- kalt und taub geworden, und als die andere zwischen die Lippen, beleuchtung geht ein letztes Mal kirche schieben möchte. Es gelingt er den Wagen erblickte, kam es ihm lässt ein Feuerzeug aufflammen und an und im Licht der Laternen ihr schlitternd, ihm um eine Haares- wie eine Verheissung vor. Dieses entzündet nacheinander ihrer beiden schuppt sich der Himmel. Die erste breite auszuweichen, und sie ent- eine Mal nur will er sich sowas gönnen, Zigarettenspitzen. Dann starren Schneeflocke, die sehe ich! schuldigt sich im Weiterfahren über- ein verspätetes Weihnachtsgeschenk sie abwechselnd in die Stadt oder ins schwänglich bei ihm. Max schaut sozusagen. Nun glühen die Kas- Wasserfarbenmeer über ihnen tanien in seinen Händen. Er hält den und wagen kaum zu blinzeln, um auch Schatz an seine Brust gedrückt ja keinen ersten Schnee zu verpassen. und vertilgt die metaphorischen Gold- Rauchschwaden umnebeln ihre Seit 2012 nennt Sarah Altenaichinger (* 1997) stückchen eins ums andere. Die zusammengerückten Körper. Slam-Bühnen ihr zweites Zuhause. Daneben leere Tüte stopft er sich in den Ruck- gibt die Neubernerin Spoken-Word-Workshops sack, da das Papier noch zu ge- und veranstaltet die Lesebühne Bingoclub in Basel. Vervollständigt wird ihre Bühnenerfah- brauchen ist. Kaum sind seine Finger rung durch mehrere Theaterengagements. wieder frei, werden sie ruhelos. Seit 2016 studiert sie Germanistik und Psycho- Er zupft sich eine Zigarette aus der logie an der Universität Bern. 6
Winter in Basel Schnee in Basel d Schussfahrt über e Dreispitz zum Joggeli abe und im A2 hinde, dere Partyarena, so rich- tig in Apres-Ski, wo mit Holdrios in de Händ, und Moonboots an de Scheiche zu de Kläng vom DJ Ötzi uf de Feschtbänk S Bruederholz-Sässeli lauft ummegstampft worde isch. Alles verschwindet. Numme zwar no, aber uf dene drei Plätz Jetz isch s A2 zue. Si sy wäg, die der Näbel nid. Dä blybt hüt stur. näbe mir sitzt niemer. Das Freerider, wo sich bis in die Wenigschtens spuckt är jetz d isch anderscht as uf dene Föteli früehe Morgestunde Glüehwyy Bärgstation us. Und mit der Bärg- vo früener, wo unde in der und Swizly und suure Moscht station der Schorsch, wo in Talstation bim Dreispitz an der hinter d Rüschtig grömeret häi. sym Kabinli hinter der Schyybe Wand hänke. Uf dene Föteli Die Freerider, wo näbe der höcklet und die blau-rot- hets nämmlig Turischte. E ganzi Pyschte dur Gärte vom Brueder- wyss gstreifti Chappe uf em Schwetti Turischte. Und alli holz gsaust sy und derby d Rega Chopf het, wo «SKA CS» gsehn si glücklig us. Wie si regelmeessig mit Usflüg ver- druf stoht. «Hoi Schorsch!», rüef in ihre farbige Ski-Jagge und Ski- sorgt häi, wils denn amme wiider i und wink em. Aber der Schorsch Helm und Ski-Stöck in dere eine ume yygschneite Stewi winkt nid zrugg, wil er Schlange stönde und warte und ummegwigglet het. Es sy alli wäg schlooft. in d Kamera strahle und in und i sitz uf em Viererli und Ich gleit mit mym Snowboard d Kamera winke und eifach sau- zmitz im Näbel erschyynt mer vom Viererli zum Bänkli übere, meessig guet druff sy. Und unter der Roger Federer. Es Plakat styg in d Bindig und lueg no- dene Föteli stoht mit wysser vom Roger Federer. Hangt am mol zrugg: Eis leers Sässeli nach Schrift an der Beton-Wand, ass fünfte Mascht. Er grinst mi em andere taucht uf, schwingt «euses» Bruederholz-Sässeli aa und bänglet derby mit sym sich glychgültig Richtig Tal pro Daag bis zu zwölftuusig settigi Racket irgend e Schoggi-Chugele und verschwindet im Nüt. Und au Turischte cha ufe schuufle dervo. Bald bini doobe. ich rutsch jetz Richtig Pyschte, und uf all dene Föteli vo früener D Johanniter-Gondle häi si s an dere Taafele verby, wo druf schyynt immer d Sunne. letscht Johr zue do, der Spalebärg- stoht, wie sich Basel 1976 Aber hüt isch näblig und hüt isch Bügel lauft, wenns guet höggscht motiviert für d Winter- nümm früener und mys Viererli chunnt, no knapp zwänzg Täg spiil beworbe het. Mues e ratteret einsam ame Mascht pro Saison, und wil es dütsches Highlight gsi sy für d Stadt. Isch verby. Irgendneume unter mir Päärli yybroche isch, isch denn aber nüt worde drus. isch d Basilisker-Pyschte. au s Schlittschuefahre uf em Vellicht duets jo no uf, dänk i und Isch lang eini vo de beliebtischte Rhy verbotte. fahr denn los, dur dä sulzig Pyschte vo Basel gsi. E schwarzi Das merksch der Stadt aa. Me Schneekanone-Schnee und ver- Pyschte, numme no wyss, isch gstresst. Der Stolz schmilzt schwind samt der Pyschte dank de schneespeuende Schnee- dervo. Der Schnee tropft noodisnoo irgendwo im Näbel kanone. Aber ich ghör keini vo de Dächer uf d Chöpf vo de vom Bruederholz. Ski dur e Schnee karve, ghör keini Ratrak-Fahrer, wo ihri alge- Chind brüele, ghör numme grüene Ratraks chönne in der s Surre vom Sässeli-Lift. Derby Garasch loo. D Langlauf- ischs ame ei Lärm gsi do Loipe vom Steinegrabe bis zum Dominik Muheim (* 1992) ist Gewinner des Oltner Kabarettcastings 2015, Poetry-Slam- unde, isch richtig abgange, isch Badische hindere sy numme Schweizermeister 2017 und Kulturpreisträger des Kantons Baselland. Er ist Teil des Morgenge- e richtigi Druckete gsi. Vo no Pfütze und d Iglu-Bauerinne schichten-Teams auf Radio SRF 1 und tourt mit seinem zweiten Programm ‹Chunnt scho guet› überall sy si cho und sy die Pyschte vom Münschterplatz hocke uf durch die Schweiz. Er leitet Slam-Workshops für das Wortstellwerk in Basel und moderiert durab brätteret. Und noochhär em Trochene. diverse Anlässe. Er lebt in Liestal. 7
Basel im Winter Winterreise oder Als Dora vor einem Pinguin stand Dora genoss die ersten Tage mit Hans Hubert, weil er, wie sie meinte, ein gemütlicher Typ war und sie es mochte, mit ihm Tee zu trinken und im Wohnzimmer in Wolldecken gehüllt auf dem Sofa sitzend stundenlang zu plaudern. Während draussen Schneeregen kam und Schnee und Wind und die Strassen Auf den Friedhöfen wurden die Hans Hubert richtete sich ein. Und schwarzgeräumt und wieder Während sie Hans Hubert zuschaute, Begonien von den Gräbern entfernt die Stadt bereitete sich vor: In der weiss und wieder schwarzgeräumt wie er ihre Vorratskammer aus- und mit Callunapflanzen ersetzt, Stadt wurde der sechsundvierzigste wurden. räumte, dachte sie an den kältesten während im Naturhistorischen Muse- von insgesamt sechsundfünfzig Winter, den sie jemals erlebt um ein Pinguin das ganze Jahr Streugutbehältern mit Streu gefüllt. Während im Zoo der Wassergraben hatte. Als der Rhein in jenem Winter über unverändert stand. Und vor dem zu einer eisigen Ader gefroren beim Bisongehege zufror und Pinguin stand jetzt Dora, die ihn Die Gärtnerinnen und Gärtner war, war sie noch ein Kind gewesen. aufgepickelt werden musste und die sehr genau betrachtete. Dora freute der Stadtgärtnerei schnitten die Pla- Sie war auf dieser Ader Schlittschuh Besucherinnen von nun an Tag sich auf den nahenden Winter. tanenallee am Rheinweg zurück gelaufen und hatte dabei an die für Tag pünktlich um elf Uhr auf den Vermutlich hätte sich auch der Pinguin und die Rosen auf sieben Augen he- Nordsee gedacht und sich gefragt, ob Beginn des Pinguinenspaziergangs darüber gefreut, wenn er sich runter, damit sie unter der Schnee- der Winter genügend lang, genügend noch hätte freuen können. Aber last nicht brechen würden. warteten. kalt und bitter sein würde, um den Freude war für einen ausgestopften Fluss bis dorthin erstarren zu lassen. Pinguin keine Option mehr, so Sie nahmen Laub zusammen, ent- Die Stadt war auf den Winter schien es Dora. fernten die mobilen Parkbänke aus vorbereitet. Die Ader hatte sich ausgebreitet und den Parkanlagen, die mobilen Wasserkristalle waren Schulter Bevor Dora im Naturhistorischen Sonnenschirme von den Spielplätzen Und Hans Hubert hatte sich an Schulter weiter vorangerückt. Sie Museum vor dem Pinguin stand, und winterten sie ein. ausgebreitet. Das Gästezimmer hatten zusammengehalten und hatte sie durch eine Scheibe hindurch war randvoll mit Hans Huberts Hab- Dora hatte gedacht, dass die Wasser- einen Frosch betrachtet. Über Der Sommerflor wich dem seligkeiten. Immer mehr entnahm kristalle gemeinsam Grosses den Waldfrosch las sie, dass dieser Wechselflor. erreichen würden, vielleicht sogar er seinem alten Lederkoffer und bald auch Eisfrosch genannt wurde das Meer. war dort an Schlafen nicht mehr und sich im Winter, um Energie zu Die nicht winterharten Oleander- zu denken. Auch einen Drittel des sparen, bis zu einem Drittel ein- pflanzen in den grossen Töpfen auf Während Hans Hubert auch nicht Wohnzimmers hatte er bereits in frieren konnte. dem Centralbahnplatz wurden vor den Einmachgläsern mit abgelau- Beschlag genommen, und Dora dachte in das Gewächshaus gebracht, die fenem Datum Halt machte, dabei Dora verliess das Museum. Auf Brunnen der Stadt entleert und an den zu einem Drittel eingefro- grösser und grösser wurde und die dem Weg zu ihrer Wohnung kaufte abgestellt. renen Waldfrosch. Wohnung nun auch für ihn selber sie für sich und Hans Hubert ein, langsam eng, für Dora aber kaum noch der seinen Besuch bereits vor einiger Die Stadt fuhr ihre Heizungen hoch. Dora erinnerte sich daran, dass bewohnbar war, flüchtete Dora Zeit angekündigt hatte. Die Heizungen pochten nun wie das all die vergangenen Jahre auch so nach draussen. Sie lief gegen Wind über neunzigtausend kleine Herzen gewesen war, dass sie sich zuerst und Wetter. Nicht bis an die Nord- Auf seiner jährlichen Winterreise in der ganzen Stadt verteilt. freute, mit Hans Hubert Zeit zu ver- see. Aber doch bis in den Zoo. Es war machte er immer Halt bei ihr, und bis bringen und Abende lang zu plaudern. elf Uhr, und eine Besucherinnengruppe zu ihrem Wiedersehen verging Aber irgendwann kippte das, und versammelte sich bei der Pinguin- stets ein Jahr. Eine sichere Zeitrech- anlage. Dort stand auch Dora, und der Hans Huberts Anwesenheit wurde nung. Und obwohl sie sein Kommen Pinguin, der jetzt vor ihr stand, unangenehm. Wenn Hans Hubert jedes Jahr erwartete, war Dora freute sich über den Winter. Zumin- einen Raum betrat, wurde es kühl, und dann doch überrascht, als es klingelte dest schien es Dora, als freue sich sowohl der Wasserhahn im Bad und da Hans Hubert vor ihrer der Pinguin sehr. als auch derjenige in der Küche froren Wohnungstür stand, mit leicht gesenk- tem Kopf und dünn. Auf jeden ein. Jeder Raum, den Hans Hubert Fall dünner und sicher auch kleiner betrat, wurde dunkler. Vielleicht lag als noch vor einem Jahr, dachte Dora. das daran, dass Hans Hubert mit Er hatte einen an den Ecken be- jedem Tag grösser wurde und mit sei- schädigten Lederkoffer dabei. Sie ner Grösse dem Licht den Weg kannte diesen Koffer. Sie kannte versperrte. Hans Hubert. Die Gemütlichkeit war vorbei und Während Dora Hans Hubert in Dora war über Hans Huberts Beneh- ihre Wohnung bat, knarrten die Dielen men verärgert. Und über sich selber Gianna Molinari (* 1988 in Basel) lebt unter ihren Füssen und ein in Zürich. Sie studierte Literarisches Schreiben war sie wütend, dass sie jedes Jahr eisiger Windhauch zog an ihr vorbei. in Biel und Neuere Deutsche Literatur in aufs Neue denselben Fehler machte, Lausanne. Ihr Debütroman ‹Hier ist noch alles Im Gästezimmer packte er seinen dass sie immer wieder darauf möglich› (Aufbau Verlag, 2018) wurde mehr- Koffer aus, der endlos gefüllt zu sein fach ausgezeichnet und war für den Schweizer hereinfiel. Und am Ende durch seine schien. und den Deutschen Buchpreis nominiert. Platz einnehmende Art meinte, mehr Sie war bereits einige Male im Literaturhaus und mehr zu verschwinden. Basel zu Gast. 8
Literaturförderung Lesen, schreiben, Mitmachen und damit zur kulturellen Teilhabe animieren, sind uns wichtig. So haben etwa der Buchclub Die Welt lesen* oder die Veranstaltungen von Blasphemic Reading performen Soirees* das Ziel, gemeinsam Texte zu lesen, sich über Literatur auszutauschen und ein Reden über gesellschaft- liche Themen zu lancieren. Hier werden wichtige Diskurs- und Teilhaberäume eröffnet. Lange fristete die Literatur im Basler Kulturleben ein Mauerblümchendasein. Im Mittelpunkt der Fördertätig- Noch einen Schritt weiter gehen Literaturprojekte, in de- keit standen das Theater, das Sinfonieorchester und die nen es darum geht, selbst kreativ zu werden, Geschichten Museen; die Mittel für Literaturprojekte flossen dagegen zu erfinden, Erinnerungen aufzuschreiben, Bilder zu spärlich und die Literaten waren zerstritten. Doch 1998 gestalten und schliesslich ein Buch daraus zu machen. beschloss die Christoph Merian Stiftung (CMS), damals Die Druckstelle ist eine offene Druck- und Buchwerkstatt noch im Bereich ‹Städtische Aufgaben›, neue kulturelle mitten im lebendigen Klybeckquartier. Sie bietet jeweils Schwerpunkte zu setzen. Neben bildender Kunst und am Mittwochnachmittag und in den Ferien offene und Film/Video/Foto sollte auch die Literatur gefördert wer- niederschwellig zugängliche Ateliers für Kinder. ‹Buch- den. Diese Schwerpunktbildung war gleichzeitig der kinder› funktioniert projektbezogener: Kinder im Alter von Startschuss für die Gründung eines Literaturhauses. 7 bis 13 entwickeln in angeleiteten Workshops eigene Bereits im Jahr 2000 konnte es im neu entstandenen Geschichten, schreiben die Texte, malen Bilder für die Unternehmen Mitte eröffnet werden. Die Finanzierung Illustrationen und wirken in der Produktion der gebunde- der ersten Betriebsjahre übernahm vollumfänglich die nen Bücher mit. Die ‹Basler Eule› bietet seit 1997 jedes CMS, später kam der Kanton Basel-Stadt hinzu. Insge- Jahr einen Schreibwettbewerb für Kinder und Jugend- samt sind bislang über CHF 12 Mio. Fördergelder der CMS liche, dessen beste Geschichten in einem Buch beim stif- in das Literaturhaus geflossen. Heute unterstützt die tungseigenen Christoph Merian Verlag veröffentlicht CMS LiteraturBasel und das Festival BuchBasel über den werden. Im Wortstellwerk, dem Literaturlabor für Jugend- Förderschwerpunkt ‹Partnerschaften› mit jährlich CHF liche auf dem Dreispitz, coachen Autorinnen und Autoren 460 000, ab 2021 mit CHF 360 000. Die Reduktion war not- beim Entwickeln der eigenen Sprache, in Workshops mit wendig, um neue, ergänzende Literaturprojekte initiieren Schulklassen entstehen richtige Schulhausromane. und fördern zu können, beispielsweise das Wortstellwerk. Die Unterstützung von BuchBasel und LiteraturBasel ist Für Erwachsene bietet das Projekt Edition Unik Interes- jedoch unumstritten. Die Institution leistet hochkarätige sierten die Möglichkeit, in 17 Wochen ein Buch zu verfas- Arbeit, bietet nationalen und internationalen Autorinnen sen. Sie werden beim Schreiben begleitet, eine App hilft und Autoren eine Plattform und vermittelt aktuelle The- bei der Strukturierung, und verschiedene Netzwerktreffen men und Entwicklungen. ermöglichen den Austausch mit anderen Schreiberinnen und Schreibern. Lesungen und Literatur-Präsentationen mit lokalen und jungen Literaturschaffenden, die ein junges Publikum Die Buchmesse I Never Read, Art Book Fair Basel versam- anziehen, sind der Abteilung Kultur der CMS ein zentrales melt jedes Jahr während der Art Basel unabhängige und Anliegen. Mit der Jacqueline Spengler Stiftung, einer selbst- eher kleine Kunstbuchverlage in der Kaserne und gibt ständigen, von der CMS im Mandat verwalteten Stiftung, ihnen die Möglichkeit, ihr Schaffen und ihre Produkte hat sie eine ideale Partnerin für die Förderung weiterer kunstaffinen Messebesuchern zu präsentieren. Projekte in diesem Bereich. Dabei geht es um das Aus- probieren von neuen Formaten oder um das Lesen im Schliesslich können sich professionelle Autorinnen und speziellen Ambiente: Der Verein Literaturautomat versorgt Autoren aus der Triregio bei Atelier Mondial für dreimona- an ausgewählten Standorten durch umgebaute Zigaret- tige Stipendien in der Cité Internationale des Arts in Paris tenautomaten die Lesehungrigen mit Kurzgeschichten bewerben. Damit schafft die CMS für das professionelle und organisiert Lesungen. Das Od-Theater* organisiert Literaturschaffen die Zeit, sich neuen Projekten und Tex- jährlich feine, ausgewählte Lyriklesungen. Verschiedene ten zu widmen. Poetry-Slam-Veranstaltungen finden jeweils ein grosses, sehr junges Publikum, das dank Rhythmus, junger Spra- Aus dem Mauerblümchen Literatur ist also ein blühender che, Witz und Tempo auf seine Kosten kommt. Das Projekt Strauss von literarischen Angeboten geworden; ganz ver- ‹LeseLiebe› versuchte 2018 mit einer gross angelegten schiedene Gattungen, welche die CMS auch weiterhin Social-Media-Kampagne, Veranstaltungen und spezifi- hegen und pflegen möchte. Denn das Ziel der CMS-Lite- schen Bibliothekszugängen Jugendliche an die klassische raturförderung ist eine differenzierte, dem jeweiligen Literatur heranzuführen. Zielpublikum angepasste, kreative Auseinandersetzung mit allem, was Sprache trägt: die Texte, das Schreiben Die Literaturförderung der CMS geht aber über dieses For- und das Sprechen. mat von institutioneller und Vortrags- und Leseförderung hinaus. Auch Formate, die den Diskurs anregen oder zum Nathalie Unternährer, Leiterin Abteilung Kultur * unterstützt von der Jacqueline Spengler Stiftung 9
Christoph Merian Verlag Sie haben die Stelle bekommen und sind dem Verlag treu geblieben, bis heute. Genau, zuerst im Vertrieb, dann in der Werbung und Medienarbeit, dann wurde ich Geschäftsführer und «Wir sind zwar klein, schliesslich Verlagsleiter. Sie strahlen … Ja! Ich finde es wahnsinnig toll, Bücher zu machen. aber agil und Bei jedem neuen Buch lerne ich spannende Menschen kennen und tauche in neue Lebenswelten und The- men ein. Es ist immer wieder ein ganz neues Erlebnis. sehr gut vernetzt» Die Christoph Merian Stiftung (CMS) gibt es seit 1886, den Verlag erst seit 1976. Weshalb hat eine Stiftung wie die CMS überhaupt einen eigenen Verlag gegründet? Gespräch mit Oliver Bolanz Die Stiftung hat damals die Baseldeutsche Grammatik von Ruedi Suter initiiert und finanziert und das Basler Stadtbuch, welches der Verlag Helbing & Lichtenhahn Der Christoph Merian Verlag (CMV) hat sich RADAR: Oliver Bolanz, Sie arbeiten schon herausgab. Er hat sein Programm auf Wirtschaft, in den letzten Jahren vom regionalen Kleinverlag seit sechzehn Jahren im CMV, seit 2009 sind Steuer und Recht spezialisiert, Basiliensia passten da für Bücher zu Basel zu einem international Sie Verlagsleiter. Wie kam das? nicht mehr rein. Die Stiftung entschied dann: Ok, beachteten Experten für Kunst-, Medien- und Oliver Bolanz: Ich habe zuerst eine Lehre als Verlags- gründen wir einen eigenen Verlag und geben das Architekturpublikationen weiterentwickelt. kaufmann bei der ‹Badischen Zeitung› gemacht und Stadtbuch und die ‹Baseldeutsch-Grammatik› selber Basel bleibt dabei ein wichtiger Bezugspunkt: Die danach Soziologie und Wirtschaftswissenschaften in heraus. Das lief am Anfang auch sehr gut, mit Aufla- Publikationen über Basels Geschichte, Kultur Freiburg im Breisgau studiert. Und dann sah ich ein gen des Stadtbuchs von mehreren tausend Exempla- und Wirtschaft und gesellschaftspolitisch relevante Inserat für eine Stelle beim Christoph Merian Verlag ren. Später kamen dann auch historische Publikatio- Fragestellungen und Protagonisten weisen in Basel im Vertrieb und habe mich sofort beworben. nen dazu. aber weit über Basel hinaus – und wagen auch mal Ich bin ja im Badischen aufgewachsen, habe in Basel Ausflüge ins Quere und Unkonventionelle jen- aber schon während des Studiums ein Praktikum Der CMV will heute «eine Nische für seits des Mainstreams. Verlagsleiter Oliver Bolanz beim Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos besondere publizistische Vorhaben» sein. gibt Auskunft. im Bereich Medienforschung gemacht. Und Basel Was heisst das? gefiel mir schon damals sehr. Wir sind seither breiter geworden und haben einiges ausprobiert. Heute fokussieren wir auf die drei Kern- bereiche ‹Basel und Geschichte›, ‹Kultur und Gesell- schaft› und ‹Kunst und Architektur› – und dort vor allem auf ausstellungsbegleitende Publikationen mit Oliver Bolanz (46) aus Freiburg im Breisgau hat nach seiner Ausbildung Roboterträume zum Verlagskaufmann und einem Soziologie- und Wirtschaftsstudium 2003 Migros-Kulturprozent, Dominik Landwehr (Hg.) beim Christoph Merian Verlag an- Machines and Robots gefangen. Seit 2009 leitet er den Verlag. Edition Digital Culture 5 2018, 288 Seiten, 51 meist farbige Abbildungen Der automatische Griff in die Hosentasche und der Blick auf das Smartphone erfolgen täglich unzählige Male. Wie Roboter, Automaten und Computer immer mehr in unser Leben eindringen und unsere Lebensweise verändern, finde ich faszinierend und beängstigend zugleich. Werden wir in Zukunft durch intelligente Maschinen ersetzt? Es ist mir wichtig, die Digitalisierung kritisch zu hinterfragen: Was bedeutet sie für mich persönlich und für uns als Gesellschaft? Die vorgestellten Kunstwerke und der Bildessay im Buch zeigen die Viel- schichtigkeit und Komplexität dieser gesellschaftlichen Debatte auf. Roboter verändern nicht nur das Verhältnis von Mensch zu Maschine, sondern auch jenes von Mensch zu Mensch. Der beste Guide für Basel-Besucher Dorothee Huber Architekturführer Basel. Die Baugeschichte der Stadt und ihrer Umgebung 2014, 500 Seiten, 450 meist farbige Abbildungen Basel wird gerne als DIE Schweizer Architekturstadt bezeichnet. Dank dem Architekturführer von Dorothee Huber weiss ich auch, warum das so ist: Es gibt wahrlich viel zu entdecken, quasi an jeder Ecke. Im Führer werden aber nicht nur Bauten vom Mittelalter bis zur Gegenwart beschrieben und im Bild gezeigt; es werden darüber hinaus auch Bezüge Annie Heine (29) ist in Bern aufgewachsen, zur Baugeschichte der Stadt hergestellt und in einen Kontext gesetzt. hat in Basel Medienwissenschaften Das Buch mag ich sehr, weil ich nun viel mehr über die Architektur und und Kunstgeschichte studiert und arbeitete drei Jahre lang im Vermittlungsteam Baugeschichte der Stadt weiss und mit diesem Wissen glänzen kann, im HeK Haus der elektronischen Künste Basel. wenn ich mit Besuch durch Basel schlendere. Auch schön: Es ist ein echter Seit September ist sie Praktikantin der Longseller im Verlagsprogramm und verkauft sich nach wie vor sehr gut. Abteilung Kultur in der CMS. 10
Christoph Merian Verlag Museen und Institutionen sowie Medien- und zeitge- Welche Bücher waren ein Flop? Preis auch Qualität, Image und vor allem Vertriebs- nössische Kunst. Das ist im Verlagsbusiness eine Ich würde die Frage anders stellen: Wo haben wir eine möglichkeiten im In- und Ausland eine Rolle. Andere Nische. Ausserdem sind wir experimentierfreudig, ich zu grosse Auflage riskiert? Das war zum Beispiel bei Verlage haben auch Sponsoren, nur ist das weniger denke zum Beispiel an das Buch ‹Rex, Roxy, Royal. ‹On Air› von 2013 der Fall, über die Privatradioszene in bekannt. Eine Reise durch die Schweizer Kinolandschaft›. Das der Schweiz. Das wurde zwar als eines der schönsten haben die Autorinnen verschiedenen Verlagen ange- deutschen Bücher ausgezeichnet, verkaufte sich aber Zum Beispiel? boten. Wir waren interessiert an diesem Nischen- schlecht. Es gibt Gönnervereine, Freundeskreise oder Einzelper- thema – und es hat sich sehr gut verkauft, stiess auf sonen, die einen Verlag unterstützen. Crowdfunding breites Medienecho und hat auch einen Preis für Was machen Sie als Nischenverlag besser ist ein weiteres beliebtes Mittel, um konkrete Projekte schöne Buchgestaltung gewonnen. Ein Erfolg auf als andere? finanzieren zu können. Ein weiteres Beispiel ist der allen Ebenen. Es ist sicher auch eine Preisfrage. Gute Gestalterin- Kunstbuchverlag JRP|Ringier. Der wurde nach fünf- nen und Gestalter, ein gutes Lektorat, wasserdichte zehn Jahren kommerzieller Verlagstätigkeit kürzlich Was heisst «sehr gut verkauft»? Quellentauglichkeit – das alles können wir bieten, und in eine Stiftung überführt. Das ist auch das transpa- Knapp 1 200 Exemplare. Aber ‹gut› ist immer relativ, das hat seinen Preis. Gute Qualität muss man sich rentere Modell, schliesslich war das wunderbare Pro- je nach Thema, gerade in Nischenbereichen. Die leisten können. Da ist es sicher nützlich, dass wir ein gramm von JRP wohl kommerziell nie selbstragend ‹Tagebücher aus dem Regenwald› von Bruno Manser Teil der CMS sind und die Grundfinanzierung des Ver- und wurde vom namensgebenden Mäzen schon von 2004 zum Beispiel wurden in drei Auflagen über lags sichergestellt ist. immer alimentiert. 9 000-mal verkauft. Oder die Tierarztgeschichten aus dem Zolli, die ein Bestseller wurden. Aber Erfolg misst Diese Grundfinanzierung durch die Stiftung Wer ist Ihre grösste Konkurrenz? sich nicht nur in Verkaufszahlen. ist ein grosser Wettbewerbsvorteil … Je nach Thema ganz unterschiedliche Verlage. Mal Sicherlich hilft es, aber so deutlich höre ich das in der regionale wie Schwabe oder Reinhardt, aber auch Sondern? Verlagsbranche nicht. Wir treten auch nicht so auf. internationale wie Hatje Cantz, der sich wie wir auf Erfolg ist für uns auch, wenn ein Thema, das uns und Man kann sagen, dass wir ein vollwertiges und aner- hochwertige Kunst-, Architektur-, Fotografie- und der Stiftung sehr wichtig ist, breite Resonanz findet: kanntes Mitglied in der Schweizer Verlagsfamilie sind. Design-Bücher spezialisiert hat. In der Schweiz in die- zum Beispiel unsere Publikation ‹Zuhause auf Zeit›, in Ich selbst bin seit vielen Jahren Mitglied im Vorstand sem Segment vor allem auch Scheidegger & Spiess der die Geschichte des Bürgerlichen Waisenhauses in des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands aus Zürich. Basel aufgearbeitet wird. Oder ‹Chemie und Pharma und vertrete die Interessen der gesamten Verlags- in Basel› – die bisher einzige unabhängige Publikation branche. Engt Sie die Fokussierung speziell über Basels Schlüsselindustrie. Das Buch hat die auch auf Basler Themen nicht ein? Stiftung selber initiiert und finanziert. Oder diesen Wirklich? Kein Neid von anderen Verlagen? Basel ist ja sehr klein. Frühling ‹Diesseits der Grenze›, das zehn Schicksale Nein, das spüre ich nicht. Wir gestalten ein unabhän- Wir sind schon lange kein Verlag mehr, der nur regi- zwischen 1925 und 1955 aus den Akten der Fremden- giges Programm und machen auch keine Dumping- onale Themen verlegt. Ausserdem sind ‹Basler The- polizei nachgezeichnet hat. Dieses Buch fand eine preise. Und es ist überhaupt nicht so, dass wir immer men› oft nur der Anlass für Publikationen, die weit breite Medienresonanz, wurde für seine Gestaltung zum Zug kommen! Bei Kooperationen mit Museen über Basel und die Region hinausweisen. Zum Bei- ausgezeichnet UND ist erfolgreich im Buchhandel. müssen auch wir Offerten eingeben und uns mit spiel unser Buch ‹Neue Schulräume. Architektur für anderen Verlagen messen. Da spielen neben dem zeitgemässes Lernen›. Das interessiert Architektinnen Karin Matt (39) ist in Chur aufgewachsen. Nach einer Buchhändlerlehre und einigen Chemie und Pharma in Basel Jahren Arbeit in der Buchhandlung DomusHaus, Basel, arbeitet sie seit 2007 Georg Kreis, Beat von Wartburg (Hg.) im Christoph Merian Verlag, wo sie den Chemie und Pharma in Basel Vertrieb betreut. 768 Seiten, 212 Abbildungen, zwei Bände im Plexiglasschuber Ich bin im Fricktal aufgewachsen, da gehörten Roche und die damalige Ciba-Geigy als grosse Arbeitgeber und mit unübersehbaren Fabriken zum täglichen Leben. Mein erster richtiger Ferienjob war am Fliessband bei der Medikamentenverpackung. Mit dem Geschichtsstudium wuchs das Interesse an der Geschichte der Basler Chemie. Deshalb ist die zweibändige Publikation ‹Chemie und Pharma in Basel› von Mario König, Georg Kreis und vielen anderen mein absolutes absolutes Lieblingsbuch im CMV. Es zeigt den Wandel der Basler Schlüsselindustrie auf, von den rauch- enden Schloten des 19. Jahrhunderts bis hin zu den Life-Sciences-Labors der heutigen Weltkonzerne. Und wenn man sich gar nichts aus dieser Geschichte macht, dann eignen sich die zwei Bände vorzüglich fürs Krafttraining! Geheimnisvolle Schweiz Catherine Iselin (Hg.), Kostas Maros Hidden – Verborgene Orte in der Schweiz 2018, 192 Seiten, 113 farbige Abbildungen In ‹Hidden› gehen der Fotograf Kostas Maros und die Kunsthistorikerin Catherine Iselin der Frage nach, was die Faszination verborgener Orte ausmacht. Gemeinsam haben sie 25 Orte in der Schweiz aufgesucht, die für die meisten unzugänglich sind oder bisher im Verborgenen blieben. Kennen Sie das geheime Sitzungszimmer des Bundesrats in Bern oder waren Sie schon einmal Nathalie Unternährer (48) ist in Laufenburg aufgewachsen und hat in einem Halal-Schlachthof? Entstanden sind faszinierende Fotografien in Basel Geschichte studiert. Seit und spannende Texte, die aussergewöhnliche, manchmal unheimliche Einblicke 2014 leitet sie die Abteilung Kultur der ermöglichen. Christoph Merian Stiftung. 11
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