Einfach und schnell einkaufen Menü: Grönland-Suppe Eisbären-Filet Gurkensalat 'Gilgoise' Coupe Packeis Château Traîne-de-gaze - Rote Fabrik

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                                   Menü:
                              Grönland-Suppe
                               Eisbären-Filet
                            Gurkensalat 'Gilgoise'
Wir wollen alles und zwar

                               Coupe Packeis
                                  Château
                               Traîne-de-gaze

                            Very nice biergarten.
                                A bit alternative.
                                                     The building

                                           ZT
                                    visit

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                                       ZÜ       elf de
Freiheit ist       für Grönland
                                           anst
                                               ecke

                                                           eine urbane grüne Insel mit Nutzgarten, Pop
                                                   nd

                                    FREI TAG FLAG SHIP
                                    FREI SEIN GEHT IMMER
       Glauben Sie auch an h FREI HEIT?
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Nu                  Up Stores und vielen bunten Anlässen
D’Bewegig, das war für mich eine gewaltige Eruption,

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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              din, die schon lange in Zürich lebt, aber nicht lange genug,

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Provinzstadt einen nachhaltigen Tritt in den Hintern gegeben.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              bensfreude, nach Gleichaltrigen, nach Gruppengefühl, nach
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Lossagung von Autoritäten, nach Gerechtigkeit, eigener Le-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              schaftsstadt mit einer Handvoll bürgerlicher, ewiggestriger
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              vor dem Zürcher Opernhaus, wo für 60 Millionen ein Fleisch-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              käse gebaut werden sollte. Wo ich damals war, weiss ich ge-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              warum die Jugendbewegung von 1980 für Zürich so bedeut-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              den, aber immer noch stimmig: D’Bewegig hat Zürich kom-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Fremdwort. Damit machte d’Bewegig Schluss. Mit ihrer lau-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              rinnen und Schreiberlinge von damals sind auch heute mit
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              ler und das Chinazelt im Theaterspektakel. Aus dem AJZ-Kino
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Unruhe, Jugendunruhe oder Jugendbewegung 80. Angefan-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              nau, aber es ist mir etwas peinlich. Ich war auf jeden Fall weit

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              die das an den Tag beförderte, was damals in vielen jungen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Menschen schlummerte: das schiere Bedürfnis nach Lust, Le-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Vor ein paar Tagen fragte mich eine deutsche Freun-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              dentenbewegung von 1968 nicht, obwohl letztere die ganze
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Welt erschüttert hat. Die Antwort ist schon oft gegeben wor-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              plett verändert. Sie war ein lokales Phänomen, sie hat einer

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Bis 1980 war Zürich eine verbunkerte, triste Banken- und Wirt-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Kulturtempel. Die Trottoirs waren nach Arbeitsschluss hoch-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Für mich dauert d’Bewegig in einem gewissen Sinne
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              bis heute an. Aus dem AJZ-Spunten wurden der Tessiner Kel-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              das Xenix, das Riffraff und das Kosmos. Aus dem AJZ und der
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Besetzung am Stauffacher die neuen Wohngenossenschaften
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Dreieck, Kraftwerk, Karthago und Kalkbreite. Die bunten, wil-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              den und militanten Strassenproteste führten zur Eroberung
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              des öffentlichen Raumes. Viele Musikerinnen, Zeichner, Filme-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Josy Meier ist selbstständige Drehbuchautorin und war während vieler Jahre Teil der
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              ihren Arbeiten präsent. Ebenso einige Politaktivist*innen mit
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Für uns hiess sie schlicht «d’Bewegig». Nichts mit Zürcher

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              sam ist, dass sie alle zehn Jahre gefeiert wird, aber die Stu-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              geklappt, die wenigen netten Treffpunkte wurden von der Po-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              lizei argwöhnisch beobachtet und öffentlicher Raum war ein

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              dend. In meinem Herzen trage ich Erinnerungen an ausserge-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              gen hatte d’Bewegig mit einem Paukenschlag am 30. Mai 1980

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              ten Forderung nach Freiräumen und wilden Strassenprotesten
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              brachte sie das langweilige und konservative Zürich zuerst ins

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       D’Bewegig war wild, kompromisslos und überbor-
   Bewegung (und Stillstand)

   «D‘ Bewegig» sorgte 1980 für ein stürmisches Klima in Zürich.
   Die von der damaligen Stadtregierung in den 1970er Jahren

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              für die das Versprechen nach Freiheit zu gross war.
   ignorierten Forderungen nach alternativen, nicht von den Be-
   hörden kontrollierten Kulturangebote bildeten den Nährbo-
   den für zunehmende Demonstrationen und die verzweifelten

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              bensgestaltung und gaaanz viel Freiraum.
   bis dadaistischen Sprüche, an die wir uns bis heute erinnern.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Wanken und dann – langfristig – zu Fall.
   Das Aufeinanderprallen von jugendlichen Bedürfnissen und
   gesellschaftlichen Strukturen fand am 30. Mai 1980 in den
   Opernhauskrawallen ihren grössten Ausbruch. Die Zürcher

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 anarchistischen Buchhandlung Paranoia City.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              ihren vielfältigen Aktionsfeldern.
   Jugendunruhen äusserten sich an diesem Tag mit einer sol-
   chen Heftigkeit, dass selbst internationale Medien wie die
   «New York Times» darüber berichteten.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              weg und ein Greenhorn.
             Bereits damals war klar, dass Zürich nach 1980 nicht
   mehr dieselbe Stadt sein würde. Zwar kam die Bewegung
   nach dem Abriss des Alternativen Jugendzentrums AJZ hinter
   dem Hauptbahnhof 1982 weitgehend zum Erliegen, aber das
   vielbeschwörte «Eis» war gebrochen. Davon zeugen nicht nur

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Josy Meier
   die erkämpften und erschaffenen heute noch bestehenden
   Räume in der Roten Fabrik oder dem Kanzleiareal, sondern
   auch eine offenere Haltung gegenüber Besetzungen und al-
   ternativer Kultur sowie zahlreiche Anlässe wie das Theater-
   spektakel, Openair Kinos, oder später der Streetparade.
             Die Beispiele deuten es an: Durch die neue Akzeptanz
   damals alternativer Lebens- und Kulturformen entstanden
   auch neue Zielgruppen für den Konsum- und Werbemarkt. Im
   Zusammenhang mit der Zürcher Bewegung wird häufig be-
   tont, wie betoniert Zürich vor 1980 im Stadtbild und in den
   Köpfen war. Die von der Bewegung geforderte Öffnung wurde
   zu einem Faktor der ökonomischen Attraktivität Zürichs. Erst
   die alternative Kultur machte Zürich zur «Weltstadt», die sie
   alleine durch Banken und Industrie nie geworden wäre.
             Heute, vierzig Jahre nach dem Höhepunkt der Bewe-
   gung müssen Industrieareale nicht mehr vor dem Abriss auf
   Vorrat gerettet werden. Stattdessen werden von der Stadt
   Projektwettbewerbe zur Entwicklung (oft gleichbedeutend
   mit Zwischennutzung) von Arealen lanciert. Oder sie werden                                                                                                                                                                               Die ungeschriebene(n) Geschichte(n)                                              Wo liegen die Untiefen dieser erzählerischen Logik? Und wel-
   gleich eigenhändig von internationalen Digitalkonzernen und                                                                                                                                                                              der Achtziger-Bewegung                                                           che anderen Geschichten der Achtziger-Bewegung werden von
   Innovation-Hubs umgebaut, die mit ausgefallenen Arbeits-                                                                                                                                                                                 Nadine Zberg                                                                     ihr verdeckt? Diese «Festschreibung» der Achtziger-Bewegung
   modellen das kreative Potential abschöpfen möchten. Vielen                                                                                                                                                                                                                                                                sieht in der Bewegung den zentralen und kausalen Ausgangs-
   scheint dies als gesellschaftlicher Fortschritt zu reichen – und                                                                                                                                                                         «Im Sinne ihrer politisch definitionsmächtigen Festschreibung                    punkt der Gegenwart. So wird in «Capitales Fatales» ausführ-
   so erstaunt es nicht, dass heute der kollektiv-geführte «Ziegel                                                                                                                                                                          ist die Geschichte des Opernhaus-Krawalls und der Achtziger                      lich geschildert, wie die «Revolte» in den verkrusteten städte-
   Oh Lac» von Gästen in einem Zug mit dem kommerziellen                                                                                                                                                                                    Jugendbewegung längst abgeschlossen.» Das schrieb der Zeit-                      planerischen Stillstand der 1970er Jahre Bewegung brachte
   «Frau Gerolds Garten» genannt werden kann. Die Grenzen                                                                                                                                                                                   zeuge und Journalist Stephan Ramming in der Einleitung des                       und die Modernisierung Zürichs (zur «Weltstadt») katalysierte.
   zwischen alternativem Idealismus und kommerziellem Asset                                                                                                                                                                                 2001 erschienenen Buchs ‹Wir wollen alles, und zwar subito!›.                    Ein impliziter Nebeneffekt dieser Darstellung ist, dass den zu-
   verschwimmen.                                                                                                                                                                                                                            Jede Neu-Erzählung der Ereignisse könne nur eine subalterne                      rückblickenden Zeitzeugen – es sind Männer, die dieses Narra-
             D’Bewegig ist je nach Anschauung in der Stadt auf-                                                                                                                                                                             Variante dieses bereits bestehenden «Macht-Diskurses» bil-                       tiv vor allem zu prägen scheinen – darin wie zufällig die Rolle
   gegangen oder zum Stillstand gekommen. Wir haben fünf                                                                                                                                                                                    den. Seinen eigenen Wunsch nach «Teilhabe am Historisie-                         der tragischen Helden zukommt, die im Kampf für das Gute
   Autorinnen und Autoren gebeten, auf die Ereignisse der 80er                                                                                                                                                                              rungsprozess» der Bewegung bezeichnete Ramming daher als                         (alternative Freiräume) unwissentlich auch dem Bösen (Kapi-
   Jahre in Zürich zurückzuschauen und kritisch zu reflektieren.                                                                                                                                                                            «naiv». Diese unantastbare erzählerische Machtposition ge-                       talismus, Kommerz, Gentrifizierung) den Weg bereiteten. Nicht
   Zusätzlich haben wir zehn damalige Bewegte (und Unbeweg-                                                                                                                                                                                 hörte laut Ramming den NZZ-Redaktoren – die Welt damals                          nur die Kulturschaffenden, Alternativen und Jungen von heute,
   te) nach ihren Erinnerungen an den 30. Mai 1980 befragt, und                                                                                                                                                                             bestand aus dem generischen Maskulin – und Vertretern des                        sondern auch die Kapitalist*innen haben also eigentlich alles
   auch danach, was in ihren Augen von der Bewegung geblieben                                                                                                                                                                               «Establishments»: den Erzfeinden der Achtziger-Bewegten,                         ihnen zu verdanken…
   ist. Was ist ihr «Verdienst», was hat sie «angerichtet» und wann                                                                                                                                                                         die jedes Verständnis für die jugendlichen «Verweigerer» ihrer-                            Dass Zeitzeug*innen geneigt sein mögen, prägenden
   ist sie zum Erliegen gekommen? Erhalten haben wir persönli-                                                                                                                                                                              seits verweigerten.                                                              und ereignisreichen Phasen in ihrer Biografie eine zentrale
   che und reflektierte Zeitzeugnisse, die helfen, das Geschehene                                                                                                                                                                                     Im Jahr 2020 scheint deren Deutungsautorität in                        Rolle ihrer Interpretation der Welt zuzusprechen, ist nachvoll-
   einzuordnen – und mehr oder weniger explizite Forderungen                                                                                                                                                                                Bezug auf die Ereignisse der frühen 1980er Jahre in Zürich                       ziehbar. Hinter dieser kausalen Erzähllogik lauert aber noch
   und Fragen für heute: «Wo ist die nächste Bewegung?»                                                                                                                                                                                     erodiert worden zu sein. Wer zur Achtziger-Bewegung recher-                      ein Fallstrick: Sie folgt nämlich einem Geschichtsbild aus dem
                                                                                                                                                                                                                                            chiert, stösst vorab auf eine Fülle an Materialien, die vor allem                19. Jahrhundert, das auf der Vorstellung eines stetigen Fort-
   Editorial von Ivan Sterzinger                                                                                                                                                                                                            der Perspektive der Bewegten Raum geben und/oder von                             schreitens der historischen Entwicklung in Richtung «Moder-
                                                                                                                                                                                                                                            damals selbst Beteiligten verfasst wurden. Stilbildend darun-                    nisierung» oder höherer Stufe des «Zivilisationsprozesses»
                                                                                                                                                                                                                                            ter ist zweifellos der erwähnte Sammelband von Heinz Nigg,                       beruht. Sozialen Bewegungen kommt dabei die Rolle von
                                                                                                                                                                                                                                            mit dem dieser der Achtziger-Bewegung ein Denkmal setzte                         Motoren zu, die diese Entwicklung beschleunigt voranbringen
                                                                                                                                                                                                                                            und in dem sich Rammings so pessimistische Einschätzung                          – in der marxistischen Interpretation bekanntlich solange, bis
                                                                                                                                                                                                                                            der eigenen Wirkungsmächtigkeit findet. Der Band präsentiert                     auf der höchsten Stufe der Entfaltung der Produktivkräfte die
                                                                                                                                                                                                                                            sich in einer Form, die späteren Publikationen zur Achtziger-                    Revolution eintritt. Wenn also die Achtziger-Bewegung als
                                                                                                                                                                                                                                            Bewegung als Muster diente: als vielstimmiges Kaleidoskop,                       progressive «Revolte» letztlich die Höherentwicklung des Zür-
                                                                                                                                                                                                                                            das eben gerade kein einheitliches Bild der Bewegung ent-                        cher Kapitalismus – Stadtvermarktung, Globalisierung, Neo-
                                                                                                                                                                                                                                            werfen will. Und doch verdichtet sich in diesem Panorama                         liberalismus – bewirkt haben soll, dann folgt diese Erzählung
                                                                                                                                                                                                                                            eine zwar variierende, aber in ihrem Kern konstante «Fest-                       genau dieser geschichtlichen Logik.
                                                                                                                                                                                                                                            schreibung» oder Deutung der Achtziger-Bewegung, an der                                    Mal abgesehen davon, dass wir nun schon länger auf
                                                                                                                                                                                                                                            ehemalige Bewegte einen wesentlichen Anteil haben.                               die Revolution warten, ist auch diese Auffassung von Geschich-
                                                                                                                                                                                                                                                      Das Kondensat dieser «Festschreibung» besteht in                       te nicht mehr ganz taufrisch, und zwar, weil sie Zusammenhän-
                                                                                                                                                                                                                                            einem Satz, der als Bilanzierung der Achtziger-Bewegung zu                       ge so stark vereinfacht, dass viele Phänomene in dieser Logik
                                                                                                                                                                                                                                            einer Art Mantra geworden ist. Auch in der Ausschreibung zu                      nicht erzählt werden können. Die neuere historische Forschung
                                                                                                                                                                                                                                            dieser Nummer der Fabrikzeitung fiel er wieder: «Die neuen                       begreift gesellschaftliche Veränderungen daher als komplexe,
                                                                                                                                                                                                                                            Archipele der alternativen Kultur machten Zürich erst zur Welt-                  willkürliche und von Ungleichzeitigkeiten geprägte Prozesse,
                                                                                                                                                                                                                                            stadt, die sie allein mit der distinguierten Monokultur von                      die in erster Linie andere – nicht bessere oder modernere –
                                                                                                                                                                                                                                            Banken und Multis nie geworden wäre.» Er findet sich in der                      historische Konstellationen hervorbringen. In Bezug auf die
                                                                                                                                                                                                                                            Publikation «Capitales Fatales» des International Network for                    Achtziger-Bewegung würde eine solche Sichtweise erstmal
                                                                                                                                                                                                                                            Urban Research and Action (INURA) von 1995 und stammt aus                        bedeuten, sie als historisches Ereignis von der Last zu befreien,
                                                                                                                                                                                                                                            der Feder von den ehemaligen Bewegten Hansruedi Hitz,                            Ursprung der gegenwärtigen Zu- und Missstände zu sein. Da-
                                                                                                                                                                                                                                            Christian Schmid und Richard Wolff. Deren Erzählung geht                         mit wird der Blick frei auf eine Vielzahl von anderen Geschich-
                                                                                                                                                                                                                                            dabei so, dass der Staat 1982 einerseits mit Repression das                      ten über die Achtziger-Bewegung. Drei Themenfelder, die mir
                                                                                                                                                                                                                                            widerständige Moment der «Revolte» der Achtziger-Bewe-                           besonders interessant scheinen, möchte ich kurz skizzieren.
                                                                                                                                                                                                                                            gung zerschlug und andererseits zugleich mit einer guten                                   Als erstes lohnt es sich, das auch von den INURA-
                                                                                                                                                                                                                                            Nase für die kommerzielle Verwertbarkeit vieler Anliegen und                     Autoren starkgemachte Thema der (alternativen) Kultur neu
                                                                                                                                                                                                                                            Strategien der Bewegung diese «domestizierte» und sozusa-                        zu betrachten. Die Achtziger-Bewegung muss hier als ein
                                                                                                                                                                                                                                            gen als Triebrad ins ökonomische System «integrierte». Da-                       Ereignis in einer ganzen Reihe zahlreicher weiterer seit den
                                                                                                                                                                                                                                            durch wurde die Achtziger-Bewegung unfreiwillig zur Wegbe-                       1960er Jahren gesehen werden. Ab dann wurde in einem
                                                                                       Es wurde ein langer, heisser Sommer. Ein Sommer,

                                                                              Freude und grosse Erfolge bringen sollte. Wer hätte gedacht,
                                                                              tiger Sicht, viel Vorstellungskraft!): 60 Millionen mal so hopp,

                                                                              sich der Demo an. Es gab eine regelrechte Strassenschlacht,
                                                                              monstrantInnen gaben nicht auf. Das Ganze verlagerte sich

                                                                              dass diese Nacht meine nächsten zwei Jahre bestimmen wird

                                                                                                                                                  Miklós Klaus Rózsa (*1954) dokumentiert seit den 1970er Jahren als politischer Aktivist
                                                                              die Polizei die Hippies an der «Riviera» und die Kiffer jagte und
                                                                                       Man muss sich vorstellen (es braucht dazu, aus heu-

                                                                              lauten liess: «Popmusik ist keine Kultur». In einer Stadt, wo

                                                                              schäfte geplündert! Und dann das auch noch das: Im Hallen-
                                                                              eine «Rasen betreten verboten»-Mentalität herrschte, in der

                                                                              es kommen musste, die Leute flüchteten und – aber stopp!

                                                                              Das gab es noch nie! Die Polizei zog sich fast zurück, sammel-
                                                                              te sich und schoss dann mit Tränengas zurück. Aber die De-

                                                                              stadion war am selben Abend ein Bob Marley Konzert. «Get

                                                                              Leute strömten von Oerlikon direkt ins Dörfli und schlossen

                                                                              der die Polizei überhaupt nicht gewachsen war. Dann holten

                                                                              der zwei Jahre dauern sollte, der viele Schmerzen, noch mehr
                                                                              Ich war als Fotojournalist unterwegs. Leute rund um die Grup-
                                                                              pe «Luft und Lärm» hatten zu einer Demo aufgerufen gegen
                                                                              einen Umbaukredit für das Opernhaus. Über 60 Millionen soll-

                                                                              in einer Stadt, dessen Stadtpräsident erst gerade noch ver-

                                                                              gab – wobei die «Nacht» um 2 Uhr dann zu Ende war – in die

                                                                              und ein Megafon. Schon kamen sie aus dem Gebäude ge-

                                                                              stand zu spüren: Steine und Baulatten wurden von der NZZ-

                                                                              Richtung Niederdorf. Dort ging es weiter: Leute aus den Spe-
                                                                              lunken kamen heraus und machten mit, plötzlich wurden Ge-

                                                                              die Schmier ihre Geheimwaffe aus der Urania: Gummige-
                                                                              schossgewehre mit entsprechender Munition. Die Leute wa-
                                                                              ren überrascht und entsetzt. Aber in der verwinkelten Altstadt

                                                                                                                                                  und Fotograf gesellschaftliche und kulturelle Bewegungen. Aufgrund seiner Tätigkeit
                                                                                                                                                  wurde er jahrelang von der Schweizerischen Bundespolizei, Kantonspolizei und Stadt-
                                                                              man aber kaum reinkam, weil die Security niemanden mehr
                                                                              reinliessen (ausser gegen Bestechung). In einer Stadt, in der

                                                                              gen: 200 bis 300 Menschen, mit einem Fronttransparent «Wir
                                                                              sind die Kulturleichen». Über das Bellevue kommend über-

                                                                              breitet sich auf den Treppen zum Opernhaus aus. Es war alles
                                                                              und alle friedlich, Transparente, eine Kuhglocke, Seifenblasen

                                                                              stürzt, die Trachtengruppe Urania im Vollwichs, die uns im
                                                                              Innern des Opernhauses erwartet hatte. Nun ja, es kam wie

                                                                              Sie kamen zurück! Zum ersten Mal war so etwas wie Wider-

                                                                              und gegen die riesige Übermacht, hatten die Polizisten auch so
                                                                              querte der überschaubare Zug die Sächsilüüte-Wiese und

                                                                              up stand up, fight for your right!» war das letzte Lied, die
                                                                              es keine Freiräume gab für Jugendliche, keine Räume ohne
                                                                              Konsumzwang, wo es gerade mal zwei oder drei Nachtkaffees

                                                                              Baustelle angeschleppt und flogen gegen die Polizisten. Wow!
                                                                                       Nun, es versammelten sich die üblichen Verdächti-

                                                                              keine Chance. Erst gegen Morgen früh beruhigte sich die Lage.

                                                                                                                                                                                                                                            reiterin des heutigen neoliberalen «Lebensqualitäts»-Zürich                      Spannungsfeld von verschiedenen zivilgesellschaftlichen
                     Der 30. Mai 1980 wird mir immer in Erinnerung bleiben.

                                                                                                                                                                                                                                            mit Standortranking-Spitzenplatzierung. Varianten dieser These                   Gruppen, staatlichen Akteuren sowie den Kulturschaffenden
                                                                                                                                                                                                                                            scheinen seither immer wieder auf, wenn von der Bewegung                         selber intensiv über eine «Demokratisierung» der Kultur dis-
                                                                                                                                                                                                                                            die Rede ist, auch bei solchen, die die politischen Lager inzwi-                 kutiert, wobei der Begriff der «Kultur» eine markante Bedeu-
                                                                                                                                                                                                                                            schen gewechselt haben. So führt Kenneth Angst, einstiger                        tungsverschiebung und -ausweitung erfuhr. Konflikte bestan-
                                                                              ten dort verbaut werden. Das nervte – und wie!

                                                                                                                                                                                                                                            Bewegter und späterer NZZ-Redaktor, in seiner 2010 im Sam-                       den nicht so sehr bei der Frage, ob alternative Kultur berechtigt
                     Detailreich, auch heute – 40 Jahre danach…..

                                                                                                                                                                                                                                            melband ‹ Zur(e)ich brennt› erschienenen Bilanz sowohl die                       sei und gefördert werden sollte – sondern vielmehr darüber,
                                                                                                                                                                                                                                            plurale und liberale urbane Gesellschaft des 21. Jahrhunderts                    was dieser Begriff umfasste und was nicht. (Damit beschäfti-
                                                                                                                                                                                                                                            als auch «die kulturelle Kommerzialisierung des öffentlichen                     ge ich mich aktuell in einem Beitrag, der in diesem Jahr in der
                                                                              und mein Leben auf den Kopf stellt!

                                                                                                                                                                                                                                            Raums in unserer marketinggesteuerten Event- und Selbstin-                       Publikation zum 40-jährigen Jubiläum der Roten Fabrik er-
                                                                                                                                                                                                                                            szenierungsgesellschaft» auf die Bewegung zurück.                                scheinen wird.) In diesem Kontext ist auch das berühmt-be-
                                                                              jede Demo im Keim erstickt hat.

                                                                                                                                                                                                                                                      Deutlich wird, dass gerade für die selbst an der Be-                   rüchtigte Diktum des damaligen Stadtpräsidenten Sigmund
                                                                                                                                                                                                                                            wegung Beteiligten dieses Fazit der eigenen politisch aktiven                    Widmer, dass «Rockmusik keine Kultur» sei, zu verorten: Dass
                                                                                                                                                                                                                                            Vergangenheit von einer tiefen Ambivalenz geprägt ist. Der                       die in den 1970er Jahren populär werdenden grossen und
                                                                                                                                                                                                                                            Alt-Achtziger Mischa Brutschin stellt in einem Interview von                     kommerziellen Rockkonzerte nun auf einmal auch «Kultur»
                                                                                                                                                                                                                                            2016 resigniert fest: «Das Bittere ist ja – da musste ich leer                   sein sollten, überstieg wohl tatsächlich den Horizont des
Miklós Klaus Rózsa

                                                                                                                                                  polizei Zürich überwacht.

                                                                                                                                                                                                                                            schlucken, als mir das bewusst wurde – dass die Bewegung                         schöngeistigen Germanisten und Lehrer, als Stapi seines Zei-
                                                                                                                                                                                                                                            der 80er-Jahre den Boden für das moderne Zürich gelegt hat.»                     chens zuständig für die «Kulturpflege», wie es damals noch
                                                                                                                                                                                                                                            In die zum Teil vorhandene Genugtuung oder gar zum Stolz,                        hiess. Der springende Punkt hier ist aber nicht eine Verteidi-
                                                                                                                                                                                                                                            den Anstoss zum «bunten», «urbanen», «vielfältigen» Zürich                       gung von Widmers antiquiertem bildungsbürgerlichen Kultur-
                                                                                                                                                                                                                                            der Gegenwart gegeben zu haben, scheint sich Enttäuschung                        verständnis, sondern die Tatsache, dass die «Kulturalisierung»
                                                                                                                                                                                                                                            darüber zu mischen, unabsichtlich der Agenda des politischen                     von Gesellschaft und Stadt – ein wichtiger Faktor bei der
                                                                                                                                                                                                                                            Gegners in die Hände gespielt zu haben.                                          Aufwertung der Stadtzürcher «Standortattraktivität» in den
s‘Operehuus und für di Rot Fabrik» folgten wir deshalb nicht.
                                                                               Am 30. Mai 1980 war ich am historischen Bob Marley Konzert:
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   ner im «Pin-up» – das Tagebuch der «Bewegung» geführt: alle

                                                                               geblich verantwortlich dafür, dass ich heute da bin wo ich bin.
                                                                                                                                                                                                                                                 Neunzigern – nicht erst durch die Achtziger-Bewegung auf die                                                                                                     Traum der Welt
                   «Get up, stand up, stand up for your rights» (Bob Marley,

                                                                               Nach dem Konzert sollte der Abend gemütlich ausklingen,

                                                                               gleichzeitig eine geballte Ladung angewandter Staatskunde.
                                                                               matischer Bob Marley, Party-Stimmung, Ganja-Schwaden.

                                                                                        D‘Bewegig war eine eigentliche Kulturrevolution und
                                                                               Heisscoole Reggae-Songs, politisch-lyrische Texte, ein charis-

                                                                               Schade. Aber was wir verpasst hatten, holten wir in den

                                                                               der Befreiung ging durch Zürich und löste gewaltige Energien
                                                                               aus, Energien, die Zürich zu einer anderen Stadt machen soll-

                                                                               und die Beziehungen, die ich hier knüpfen konnte, sind mass-
                                                                               Mein Studieninteresse verlagerte sich auf das Thema Stadt-

                                                                               bruch Zürichs miterleben und mitprägen. Was ich hier lernte

                                                                                                                                                           Richard Wolff (*1957) ist Stadtentwicklungsforscher und Mitbegründer des Internati-
                                                                               wir wollten schwelgen, mehr Musik hören. Den laut geschrie-

                                                                               Menschen kennen zu lernen, die gewaltigen Kräfte mitzuerle-
                                                                               ben, die mobilisiert wurden. Ein süchtig-machendes Gefühl

                                                                               Rote Fabrik. Von hier aus konnte ich den kulturpolitischen Auf-

                                                                                                                                                           er in den Zürcher Stadtrat gewählt, wo er aktuell dem Tiefbau- und Entsorgungsde-
                                                                               nen Aufforderungen «Chömed alli i d‘Stadt – a d‘Demo gäge

                                                                                                                                                           mehrere Jahre als Sekretär und Vorstand in der Roten Fabrik engagiert. 2013 wurde
                                                                               wäre, b) von Staates wegen so darauf reagiert und c) Zürich

                                                                               Es war unglaublich bereichernd, so viele unterschiedlichste

                                                                               entwicklung und beruflich engagierte ich mich im 80er Projekt

                                                                                                                                                           onal Networks for Urban Research and Action INURA. Ab den 80er Jahren war er über
                                                                               hatte nicht geglaubt, dass a) so etwas in der Schweiz möglich

                                                                                        Für mich persönlich war «1980» ein Wendepunkt:
                                                                                        Durch d‘Bewegig wurde ich massiv politisiert. Ich
                                                                                                                                                                                                                                                 Agenda gesetzt wurde. Die Bewegung erscheint somit nicht                                                                                                         Michael Hiltbrunner                                                                                                                              Neuerscheinungen, Gigs und Ereignisse, die ich für wichtig
                                                                                                                                                                                                                                                 mehr als Initialzündung, die radikale neue Impulse setzte,                                                                                                                                                                                                                                                        hielt, sind bis Anfang 1980 durch meine Schreibmaschine ge-
                                                                                                                                                                                                                                                 sondern als Episode eines vielstimmigen gesellschaftlichen                                                                                                       Die 80er-Bewegung in Zürich – eine assoziative Erinnerung auf                                                                                    schleust worden», schreibt er 1982 im Musikzine «Pin-up».
                                                                                                                                                                                                                                                 Aushandlungsprozesses, der schon jahrelang geführt worden                                                                                                        Nebenpfaden… Am liebsten mag ich die Sachen, die von der                                                                                         Der Text wurde in «Hot Love», dem Buch zu Swiss Punk und

                                                                               ten. Das Grau war plötzlich weg, die Starre auch.
                                                                                                                                                                                                                                                 war. Eine solche Geschichte der Achtziger-Bewegung kann                                                                                                          Bewegung selbst nicht sehr geschätzt wurden. Die F+F Schu-                                                                                       Wave, 2006 noch mal abgedruckt.
                                                                                                                                                                                                                                                 nun neue Fragen stellen. Etwa danach, inwiefern die kultur-                                                                                                      le, Bands wie Kleenex/Liliput, das Projekt Verdorbene Jugend,                                                                                              Auch die Lektüre wert sind Ausgaben der Zeitschrift

                                                                               nächsten Tagen, Wochen und Monaten nach.
                                                                                                                                                                                                                                                 politischen Diskussionen der 1970er Jahre den Rahmen schu-                                                                                                       die Welttraumforscher von Christian Pfluger, die Hexenkurse                                                                                      «Der Alltag» aus dieser Zeit, damals im herzerwärmenden A5-
                                                                                                                                                                                                                                                 fen, in dem die Forderungen der Achtziger-Bewegung erst                                                                                                          von Doris Stauffer an der Helmutstrasse, wo auch Luft & Lärm                                                                                     Format (später war sie grösser und dicker aber nicht mehr so
                                                                                                                                                                                                                                                 artikulierbar wurden. Oder danach, wie die Achtziger-Bewe-                                                                                                       ihren Anfang nahm, die Arbeit von Robert A. Fischer oder das                                                                                     charmant). Als «Sensationsblatt des Gewöhnlichen» enthält
                                                                                                                                                                                                                                                 gung in diesen kulturpolitischen Deutungskampf intervenier-                                                                                                      RecRec Musikgeschäft.                                                                                                                            z.B. die Ausgabe vom Oktober 1980 einen Report mit Foto-

                                                                               sich dermassen verändern würde.
                                                                                                                                                                                                                                                 te und an welche bereits bestehenden Deutungen und Inhalte                                                                                                                Meine Kindheitserinnerung an die 80er-Bewegung in                                                                                       grafien zur Stadtwanderung vom Flughafen Kloten bis nach
                   30.5.1980, Hallenstadion Zürich)

                                                                                                                                                                                                                                                 sie dabei anschliessen konnte; und so fort.                                                                                                                      Zürich ist, dass die Aktiven gar nicht in Zürich waren, sondern                                                                                  Schwamendingen.
                                                                                                                                                                                                                                                           Ein zweites Themenfeld, dessen Abwesenheit in den                                                                                                      vor der polizeilichen Repression ins Tessin und in die Toskana                                                                                             Bei Elke Betzel in Frankfurt am Main erschienen um
                                                                                                                                                                                                                                                 Erzählungen der Achtziger-Bewegung frappant ist, ist die                                                                                                         flohen. Die spannendsten Leute waren besonders unter Druck:                                                                                      1980 mehrere spannende Bücher aus Zürich: Das Fotobuch
                                                                                                                                                                                                                                                 Frauenbewegung der 1970er Jahre. In der politischen Auf-                                                                                                         einerseits durch staatliche Repression und andrerseits durch                                                                                     von Walter Pfeiffer (mit Aufnahmen in der F+F), das Buch zur
                                                                                                                                                                                                                                                 bruchsstimmung von 1968 und vor dem Hintergrund der De-                                                                                                          ihre eigenen Freund*innen. Das haben sie erzählt, als wir sie                                                                                    F+F («Genie gibt’s») und, sehr wichtig, «Prima Volta»: «der
                                                                                                                                                                                                                                                 batten im Vorfeld der Einführung des Stimm- und Wahlrechts                                                                                                       in Spruga im Onsernonetal und in der Toskana auf einem Bau-                                                                                      erste deutsche Fotoroman» von Beat Schmidlin und Barbara

                                                                                                                                                           partement vorsteht.
                                                                                                                                                                                                                                                 für Frauen in der Schweiz 1971 hatte sich in Zürich die Frau-                                                                                                    ernhof besuchten. Eigentlich gute Orte. Manchen bezahlten                                                                                        Schneider. Die Geschichte von «Prima Volta» spielt in Zürich.
                                                                                                                                                                                                                                                 enbefreiungsbewegung (FBB) gebildet – die erste politische                                                                                                       die Eltern was dran – sie konnten da ohne Lohnarbeit leben.                                                                                      Sie handelt von einer Selbstfindung im Kunstmilieu, mit be-
Richi Wolff

                                                                                                                                                                                                                                                 Bewegung in der Schweiz, die in ihrem Selbstverständnis                                                                                                          War die 80er-Bewegung also eine Mittelklasse-Bewegung?                                                                                           kannten Gesichtern und wundervoller Gestaltung. Die Deka-
                                                                                                                                                                                                                                                 autonom war. Darin, in ihrer anführerinnenlosen, fluiden Or-                                                                                                     Zu einem guten Teil wahrscheinlich schon. Bei diesen Exil-                                                                                       denz, die Drogen, die oben-ohne-Bilder und das Bettgeflüster
                                                                                                                                                                                                                                                 ganisationsform in Arbeitsgruppen, in ihrem kreativen Aktio-                                                                                                     Besuchen habe ich jedenfalls früh nicht nur Skepsis gegen-                                                                                       zeugen von einer machoiden Gesellschaft, von dem sich die
                                                                                                                                                                                                                                                 nismus und ihrer Forderung nach Räumen nahm die FBB                                                                                                              über staatlicher Allmacht, sondern auch gegen selbsternann-                                                                                      Publikation nicht wirklich distanziert. Vielleicht waren das die
                                                                                                                                                                                                                                                 viele Merkmale der Achtziger-Bewegung vorweg. Weder wird                                                                                                         te Szene-Chefs bekommen. Viele der Protagonist*innen sind                                                                                        80er: Sie waren «dagegen», machten aber trotzdem voll mit.
                                                                                                                                                                                                                                                 aber die Frauenbewegung als Vorläuferin in den Erzählungen                                                                                                       mir recht unsympathisch, sie stellen sich oft extra dumm,                                                                                                  Die Macho-Schlagseite von «Prima Volta» erinnert
                                                                                                                                                                                                                                                 der Achtziger-Bewegung erwähnt, noch der (erfolgreiche)                                                                                                          geben sich als Einzelkämpfer*innen, machen derbe Sprüche                                                                                         mich daran: Ja natürlich, «Kassandra» die «feministische zeit-
                                                                                                                                                                                                                                                 Kampf der FBB für ein Frauenzentrum in die Chronologie des                                                                                                       gegen Sensibles und Intellektuelles.                                                                                                             schrift für die visuellen künste», die 1978 nur in zwei Ausga-
                                                                                                                                                                                                                                                 Kampfs um Freiräume gestellt. Ein Gang ins Archiv zeigt, dass                                                                                                             Auch gescholten wurde die F+F. Die Schule für expe-                                                                                     ben in Zürich und Berlin erschien, und die 1975 in Zürich
                                                                                                                                                                                                                                                 die FBBlerinnen schon zu AJZ-Zeiten mit einiger Bitterkeit                                                                                                       rimentelle Gestaltung war eine seit 1971 aktive Schule im                                                                                        gegründete «Lesbenfront». Beide sind lesenswerte Zeitschrif-
                                                                                                                                                                                                                                                 feststellten, dass das, was bei ihnen Jahre davor noch als «zu                                                                                                   Sinn der «Radical Education», sie entwickelte eine alternative                                                                                   ten, kulturelle Ereignisse oder noch deutlicher: Wichtiges
                                                                                                                                                                                                                                                 wenig politisch» verlacht wurde, nun von denselben Männern                                                                                                       Gestaltungspädagogik. Im 1987 abgerissenen Drahtschmidli,                                                                                        Kulturgut. Sie sind noch spannender als die «Fraue-Zitig», die
                                                                                                                                                                                                                                                 «beklatscht» werde. Das spannende Material, zum Beispiel                                                                                                         wo heute das Jugendkulturhaus Dynamo steht, hatte die                                                                                            jeweils bei meiner Mutter auflag. In der «Kassandra» Nr. 1
                                                                                                                                                                                                                                                 das underground-Heft «hubers modeblatt», enthält Berichte,                                                                                                       Schule ihr Zentrum, weitere Schulräume waren Ende der                                                                                            gibt es von der Gestalterin und Verlegerin Alice Juliana Lang
                                                                                                                                                                                                                                                 denen zufolge sich viele Aktivistinnen aus der Frauenbewe-                                                                                                       1970er-Jahre am Sihlquai 67 im Kreis 5 – gleich neben dem                                                                                        auch einen Bericht zur zweiten «Hexenwoche» bei Doris
                                                                                                                                                                                                                                                 gung anfänglich mit Begeisterung der Achtziger-Bewegung                                                                                                          Autonomen Jugendzentrum AJZ, das am 28. Juni 1980 eröff-                                                                                         Stauffer an der F+F Schule.
                                                                                                                                                                                                                                                 anschlossen, an den VVs bald aber ein Klima «latenter Frau-                                                                                                      nete. Im Kreis 4 hatte die F+F Ateliers an der Freyastrasse 20                                                                                             Doch zurück zum Kanon: Sicher war es sehr schön,
                                                                                                                                                                                                                                                 enfeindlichkeit» wahrnahmen und «ein schleichendes … Un-                                                                                                         und im Restaurant Sonne an der Hohlstrasse 32. Die Sonne                                                                                         wie Deutsch-Amerikanische Freundschaft im Houdini spielten,
                                                                                                                                                                                                                                                 behagen unter den ‹eigenen› Leuten» empfanden. Die Verge-                                                                                                        war damals auch Treffpunkt der Hell’s Angels und Übungs-                                                                                         das im Kino Walche vom AJZ aus organisiert wurde. Auch hät-
                                                                                                                                                                                                                                                 waltigungen im AJZ (und der kollektive Umgang damit)                                                                                                             raum von Kleenex. Bekannt ist es heute als «Milieulokal»,                                                                                        te ich gerne das Festival «Tonmodern» gesehen in der Roten
                                                                                                                                                                                                                                                 trugen das ihre dazu bei, den Graben zwischen den politisier-                                                                                                    oder sagen wir mal «Kontaktlokal». Ebenfalls im Kreis 4 eröff-                                                                                   Fabrik, 1982 und 1983. Es gibt also durchaus bewundernswer-
                                                                                                                                                                                                                                                 ten Frauen und der Bewegung zu vertiefen.                                                                                                                        nete Doris Stauffer 1978 die Frauenwerkstatt für die Hexen-                                                                                      te Ereignisse der 80er.
                                                                                                                                                                                                                                                           Stephan Ramming schrieb in seinem Text, dass sich in                                                                                                   kurse, die sie seit 1977 an der F+F angeboten hatte und dafür                                                                                              Der RecRec-Plattenladen war ein absolutes Highlight,
                                                                                                                                                                                                                                                 der Achtziger-Bewegung «die Jugend … als unsichtbarer Teil                                                                                                       vom Schulleiter Hansjörg Mattmüller angefeindet wurde. Und                                                                                       aber gerade der RecRec blieb am Rande der Szene. Es wurde
                                                                                                                                                                                                                                                 der Gesellschaft plötzlich sichtbar» gemacht hatte. Indem die                                                                                                    in der Roten Fabrik hat die F+F seit 1979 ein Atelier, das heute                                                                                 wenig wahrgenommen, was sie dort entwickelten: «RecRec
                                                                                                                                                                                                                                                 «Jugend» als «Jugend» sichtbar wurde, wurden andere solche                                                                                                       noch besteht. Um 1980 war also die F+F Schule an vielen Kno-                                                                                     Music betrachten wir als Forum der Anderen Musik – Musik,
                                                                                                                                                                                                                                                 politischen Benennungen und Anliegen verdeckt: eben zum                                                                                                          tenpunkten der 80er-Bewegung präsent. Sie hat den Style                                                                                          die sich nicht an einer Verkäuflichkeit orientiert oder modi-
                                                                                                                                                                                                                                                 Beispiel die «Frauen», oder auch die «Migrant*innen» – das                                                                                                       und den Drive dieser Bewegung massgeblich mitgeformt.                                                                                            schen Trends anpasst – sondern mehr versucht, neue Formen
                                                                                                                                                                                                                                                 dritte Themenfeld, auf das ich eingehen möchte. Zwar wird in                                                                                                              Klaudia Schifferle hatte an der F+F studiert. Sie war                                                                                   des musikalischen Ausdrucks zu realisieren. (...) Musik reflek-
                                                                                                                                                                                                                                                 den Erzählungen der Bewegung immer wieder betont, dass                                                                                                           bei der Band Kleenex/Liliput dabei, die für die 80er-Bewegung                                                                                    tiert Wirklichkeiten und Veränderungen, in denen wir leben;
                                                                                                                                                                                                                                                 (vor allem italienische) Secondos und Secondas mit dabei ge-                                                                                                     in Zürich doch recht wichtig ist. Eine Frauenband, bei der zeit-                                                                                 sie betrifft, klärt, verwirrt und ist gegenwärtig.» So steht es
                                                                                                                                                                                                                                                 wesen seien. Mit ihren Slogans wie «Freie Sicht aufs Mittel-                                                                                                     weise auch Jungs spielten. Mit einer Musik, die heute noch                                                                                       im RecRec Katalog 1986–1988.
                                                                                                                                                                                                                                                 meer» bezogen die Bewegten dazu ihre Forderungen nach                                                                                                            sehr gut klingt. Man kann natürlich die grosse Box kaufen, die                                                                                             Nachdem Veit Stauffer mit einer Defizitgarantie des
                                                                                                                                                                                                                                                 einer lebenswerteren Stadt auf eine (romantisierte) Vorstel-                                                                                                     2010 bei Kill Rock Stars erschien. Und sicher sind all die Sing-                                                                                 Vereins «Kunst und Kommunikation» der F+F Schule 1978 in
                                                                                                                                                                                                                                                 lung des Lebensgefühls im südlichen Nachbarland. Doch die                                                                                                        les gut, die sie machten. Aber wenn wir mal eine LP in Ruhe                                                                                      Zürich ein Konzert der Band Henry Cow organisiert hatte,
                                                                                                                                                                                                                                                 migrantischen Anteile an der Bewegung bleiben in den bishe-                                                                                                      hören möchten, spiele ich die Liliput LP von 1982, besonders                                                                                     gründeten er und Daniel Waldner 1979 den RecRec Vertrieb.
                                                                                                                                                                                                                                                 rigen Erzählungen der Achtziger-Bewegung genauso unsicht-                                                                                                        Seite B. Die Plattencovers sind meist von Peter Fischli oder                                                                                     1981 kam der Laden dazu. Die von ihnen in der Roten Fabrik,
                                                                                                                                                                                                                                                 bar wie jene der Frauen. Und auch der Verweis auf die migran-                                                                                                    Fischli/Weiss gestaltet, was sie auch zu Hinguckern macht.                                                                                       im Houdini des AJZ und anderswo organisierten Konzerte
                                                                                                                                                                                                                                                 tischen Kämpfe in den 1970er Jahren – etwa im Zusammenhang                                                                                                                An der F+F waren auch Fredy Meier, der als Teil von                                                                                     enthalten starke Namen, die ich sehr empfehlen kann. Um nur
                                                                                                                                                                                                                                                 mit der «Überfremdungs»-Initiative von James Schwarzen-                                                                                                          «Herr und Frau Müller» über das Schweizer Fernsehen zu Be-                                                                                       einige zu nennen: Feminist Improvising Group (1979), Aksak
                                                                                                                                                                                                                                                 bach – fehlt in den Vorgeschichten der Achtziger-Bewegung.                                                                                                       kanntheit gelangte, und Daniel Schäublin, der als Mann mit                                                                                       Maboul (1981), Red Crayola (1981), Family Fodder (1981), This
                                                                                                                                                                                                                                                 Ein weiterer Hinweis darauf, dass das Verhältnis zwischen dem                                                                                                    blutendem Auge, getroffen vom Gummigeschoss, abgebildet                                                                                          Heat (1982) oder Honeymoon Killers (1982). Auch die erste LP
                                                                                                                                                                                                                                                 migrantischen Zürich und der linken Szene, aus der sich die                                                                                                      wurde. Daniel Schäublin war an der F+F Dozent und eigentlich                                                                                     ihres Labels mit Débile Menthol (1982) aus Neuchâtel ist ein
                                                                                                                                                                                                                                                 Bewegung unter anderem rekrutierte, zumindest ambivalent                                                                                                         ein spannender Fotograf, wie das Archiv der F+F zeigt. Nun ist                                                                                   Hit. Und die Gestaltung der Platte, gemacht von Peter Bäder,
                                                                                                                                                                                                                                                 war, könnte sein, dass es gerade die leeren Wohnungen der im                                                                                                     er in die USA ausgewandert und äussert sich offenbar nicht                                                                                       very nice. Der Aufkleber des RecRec-Versands gilt als Gütesie-
                                                                                                                                                                                                                                                 Zug der Rezession ausgewiesenen «Gastarbeiter» in Ausser-                                                                                                        mehr künstlerisch – oder versteckt es so gut, dass ich davon                                                                                     gel für Schallplatten. Eine davon ist «Verdorbene Jugend» von
                                                                                                                                                                                                                                                 sihl waren, in denen sich Mitte der 1970er eine alternative Sze-                                                                                                 nichts finde. Ebenso realisierte Stephan Eicher seine erste                                                                                      1984. Im Lied «süchtig nach dir» lautet der Refrain: «Ich liebe
                                                                                                                                                                                                                                                 ne von WGs und Kommunen etablierte. Die Forderung nach                                                                                                           Single mit Noise Boys, die als Kassette erschien, als Projekt                                                                                    dich, ich will dich vögeln, ich hasse dich, weil ich dich lieb.»
                                                                                                                                                                                                                                                 einer postmigrantischen Geschichte der Achtziger-Bewegung                                                                                                        an der F+F.                                                                                                                                      Vielleicht sind das die 80er, aggressiv auf der Suche nach der
                                                                                                                                                                                                                                                 stellt aktuell auch Rohit Jain im Buch «Labitzke Farben», das                                                                                                             Völlig für sich stand Christian Pfluger mit seinem                                                                                      eigenen Sensibilität.
                                                                                                                                                                                                                                                 dieses Jahr bei der Edition Hochparterre erscheint.                                                                                                              Projekt Welttraumforscher. Aber als Mitarbeiter im Musikzine                                                                                               Doch all diese kleinsten Pendelbewegungen des kul-
                                                                                                                                                                                                                                                           Damit sind nur drei Themenfelder angedeutet als                                                                                                        «cut» war er ab 1982 doch mit der Zürcher Szene verbunden,                                                                                       turellen Sensoriums sind wohl belanglos in der Wahrnehmung
                                                                                                                                                                                                                                                 Denkfäden, entlang derer sich neue und andere Geschichten                                                                                                        für das er auch mal Fischli/Weiss (1984) interviewte. Musika-                                                                                    von aussen. So sind Massenbewegungen: Am Ende bleibt in
                                                                                                                                                                                                                                                 der Achtziger-Bewegung erzählen lassen. Es gibt mit Sicher-                                                                                                      lisch starteten die Welttraumforscher 1981 mit der Kassette                                                                                      den Köpfen nur der liebe Obdachlosen-Prediger mit dem Esel
                                                                                                                                                                                                                                                 heit noch viele mehr. Nicht nur muss die Frage nach den                                                                                                          «Herzschlag Erde» und machten ihr Ziel bekannt: «Der Wel-                                                                                        – und Tränengas. Schon verrückt, dass die gleiche Polizei, die
                                                                                                                                                                                                                                                 Machteffekten der Bewegung neu gestellt, sondern auch ihr                                                                                                        tentraum / der Traum der Welt / steckt irgendwo / auf dieser                                                                                     heute Schwulenclubs beschützt und bei Verbrechen keine Na-
                                                                                                                                                                                                                                                 Verhältnis zur restlichen Gesellschaft überdacht werden. So                                                                                                      Welt / wir wissen nicht / ob es ihn gibt / und doch erforschen                                                                                   tionalitäten mehr bekannt geben darf, damals wöchentlich
                                                                                                                                                                                                                                                 würde ein Raum geschaffen für eine differenziertere, vielfälti-                                                                                                  / wir den Traum der / Welt». Wer die Kassette nicht hat, kann                                                                                    Demos niederknüppelte und mit dem anti-linken Spitzeldienst
                                                                                                                                                                                                                                                 gere und wie ich meine, aufschlussreichere Geschichte der                                                                                                        es im Katalog nachlesen, der 2013 beim Kunsthaus Langen-                                                                                         von Ernst Cincera flirtete. Laut dem Blog von RecRecs Veit
                                                                                                                                                                                                                                                 Achtziger-Bewegung. Denn diese ist mit Sicherheit noch nicht                                                                                                     thal erschien. Stücke von der Kassette erschienen 2005 auf                                                                                       Stauffer war der Polizeichef der Stadt Zürich bei der Beerdi-
                                                                                                                                                                                                                                                 (fest)geschrieben.                                                                                                                                               der CD-Compilation «21 Weltraum Standards», die ich leider                                                                                       gung der Kleenex/Liliput-Mitbegründerin und Gitarristin Mar-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  nicht habe.                                                                                                                                      lene Marder (1954–2016) sogar diskret unter den Trauergästen,
                                                                                                                                                                                                                                                 Nadine Zberg ist Historikerin und forscht an der Universität Zürich zur Politisierung                                                                                     Bei «cut» schrieb manchmal auch Robert A. Fischer,                                                                                      neben der Stadtpräsidentin Corine Mauch.
                                                                                                                                                                                                                                                 der Stadtplanung im Zürich der 1970er-Jahre. 2016/17 hat sie in der Shedhalle u.a. an
                                                                                                                                                                                                                                                 einem Projekt zu «Urban Citizenship» mitgewirkt.                                                                                                                 damals im Tessin wohnhaft, der Ende 1976 das Fanzine «Mi-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Michael Hiltbrunner ist Kulturanthropologe und Kunstforschender am Institute for
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  nimal Rock» gestartet hatte: «Ich hab von Anfang an – ab No-                                                                                     Contemporary Art Research der Zürcher Hochschule der Künste. Er arbeitet auch als
                                                                                                                                                                                                                                                 Quellenhinweise:
                                                                                                                                                                                                                                                 Kenneth Angst et al.: Zur(e)ich brennt, Zürich:
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  vember 76 im «Minimal Rock» und ab 1978 mit Arnoldo Stei-                                                                                        freischaffender Kurator und unterrichtet Kunsttheorie und Kulturanalyse.
                                                                                                                                                                                                                                                     Europa Verlag Zürich, 2010.
                                                                                                                                                                                                                                                 Michele D’Ariano Simionato/Marco Jacomella (Hg.): Katalog der Ausstellung
                                                                                                                                                                                                                                                     «Alles ist Gut. Freiräume in der Stadt Zürich 1960-2015», Luzern: Präsens
                                                                                                                                                                                                                                                     Editionen 2016.
                                                                                                                                                                                                                                                 Hansruedi Hitz et al. (Hg.): Capitales Fatales. Urbanisierung und Politik in den
                                                                                                                                                                                                                                                     Finanzmetropolen Frankfurt und Zürich, Zürich: Rotpunktverlag 1995.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 cken neben mir. Was ich ganz sicher weiss, es gab diesen Abend.
                   DRS und arbeitete auch für die Nachrichtenagentur DDP/AP.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ofen heizen mussten. Wir hörten Radio. Piratenradio. Ich glaube,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ter Fuss doppelt so gross wie mein linker. Ohne Übertreibung.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Ich bin dann an Krücken ins Hallenstadion gehumpelt.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 auch «groovy», was im Nachhinein schwer verständlich ist.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Jahre für das Schweizer Fernsehen, zuletzt als Redaktionsleiterin des Kulturplatz.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Rollbrett. Das war sehr cool. Wenn ich mich richtig erinnere,

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 men. Ich war wie elektrifiziert. Mein Freund verliebt genug, dass
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 meiner Lieblingstools von Google, zeigt einen leichten Anstieg
                   begonnen für die Neuen Zürcher Nachrichten zu arbeiten, eine

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 habe mein Feuerzeug geschwenkt, als er «No women, no cry»

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ganz gut das erste Mal. Bin nicht hingefallen. Nur bremsen
                   mit mässiger Begeisterung Germanistik. Nebenbei hatte ich

                   katholische Tageszeitung, die es heute nicht mehr gibt. Ich kam

                   alles scheint mir heute ikonografisch. Ich glaube diese Zeit hat

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 sagten wir damals jedoch nicht «cool», sondern «läss», das
                   zwischen 18 und 19 Uhr von der Redaktionssitzung an der

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Ja, ich war am legendären Bob Marley-Konzert. Und ja, ich

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ein anderer Abend, an dem ich dank dem Schwarzsender dabei
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 weniger als einem Jahr tot ist, hätte ich wohl geheult. Dann

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Mein Freund und seine Kumpels fuhren schon damals

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ren und einen steilen in den 80er Jahren. Na also!) Wir sagten

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 schüssige Strasse irgendwo auf dem Land, ohne Verkehr. Ging
                   1980 war ich in meinem zweiten Jahr an der Uni und studierte

                   Holbeinstrasse im Seefeld und bemerkte vor dem Opernhaus

                   Teilnehmern versammelt. Bald flogen die ersten Steine, dann

                            Später wechselte ich zum Regionaljournal von Radio

                   Bei einem Einsatz vor dem AJZ wurde ich einmal von einem

                   den. Einmal wurde ich verhaftet und einige Stunden von der

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 los war. Anscheinend hatten auch Konzertbesucher*innen das
                   kam das Tränengas. Das Geschehen verlagerte sich vom Opern-

                   Gummigeschoss getroffen und musste im Spital verarztet wer-

                   Tönz – er war auch der Schweizer Korrespondent von «Aktzen-

                   der wir jungen Journis damals über diese Unruhen berichtet
                   haben. Umgekehrt war die Antwort des Staates jenseits jeg-
                   licher Verhältnismässigkeit. Mir scheint, diese Zeit werde heu-

                            Das wichtigste war für mich rückblickend die Entfal-

                   war die ganze Bewegungs-Ästhetik. Das Strassenblatt «Iis-
                   brecher», der Film «Züri brännt» und die Musik jener Zeit –

                   den Weg für die Kreativszene geebnet, die dann in den 90er

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 gesungen hat. Wir haben ja damals ausnahmslos alle ge-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 der – geschriebenen – Anwendung von «cool» in den 70er Jah-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 an einem schönen Sonntagnachmittag eine kleine, leicht ab-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ging nicht. Musste also abspringen. Am Abend war mein rech-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 War sau-anstrengend. Und sehr uncool. Nach dem Konzert fuh-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ren wir nachhause, in die WG. Eine Altbauwohnung unter dem
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Dach. So alt, dass wir die Küche im Winter mit dem Gasback-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 es war Radio Banana. So erfuhren wir, was in der Innenstadt

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 «Get Up, Stand Up!» von Bob Marley recht wörtlich genom-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 er bei mir zuhause blieb. Aber gab es sie tatsächlich, die Live-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Regula Bochsler (*1958) ist Historikerin, Journalistin und Künstlerin. Sie arbeitete 25
                   ein grosses Polizeiaufgebot. Vor dem Eingang hatte sich eine
                   kleine Demonstration mit vielleicht 150 Teilnehmerinnen und

                   tung der Kreativität – Punk war damals angesagt und punkig

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Berichterstattung vom Opernhaus-Krawall? Vielleicht war es

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 war, bei der «äkschen» auf der Strasse. Fuss hochgelagert. Krü-
                            Ich wundere mich heute über die distanzlose Art, in

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 in der Tasche. Das Lied hat mich sehr gerührt, daran erinnere

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 war die coole Form von «lässig». (Der Ngram Viewer, eines

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Aber zurück zum Rollbrett. Ich wollte auch. Also suchten wir
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 raucht, die meisten wie die Bürstenbinder. Ich «MARY Long
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 – sie ist so mild». Folglich hatten wir auch alle ein Feuerzeug

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 musste ich mich hinsetzen. Nicht aus Rührung, ich war die

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Und dass ich, kaum waren die Krücken weg, auch auf der
                   Kriminalpolizei verhört. Zur Anzeige kam es nicht, Kollege Koni

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ich mich noch gut. Hätte ich gewusst, dass Bob Marley in
                                                                                                                                                 Dominik Landwehr, *1958, ist nach Jahren bei Radio DRS, IKRK und Migros-Kultur-

                                                                                                                                                                                                                                                 Heinz Nigg (Hg.): Wir wollen alles, und zwar subito! Die Achtziger Jugendunruhen
                   zeichen XY» – konnte das mit seinen Kontakten verhindern.

                                                                                                                                                                                                                                                     in der Schweiz und ihre Folgen, Zürich: Limmat Verlag, 2001.
                   haus zum Bellevue und die Sache geriet ausser Kontrolle.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Der Arzt diagnostizierte eine schwere Bänderzerrung.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Zur Zeit forscht sie schwerpunktmässig zur Geschichte der Emser Werke.
                                                                                                                                                 prozent heute als selbständiger Autor und Erwachsenenbilder tätig.
                   Jahren mit den illegalen Bars wichtig wurde.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ganze Zeit auf einem Fuss gestanden.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           «Get Up, Stand Up!»
Dominik Landwehr

                   te etwas überhöht.

                                                                                                                                                 www.sternenjaeger.ch

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Regula Bochsler

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Stras­se war.
Zürich macht's wieder gut   Es gibt keine überzeugendere

                                                                     gelebte Utopie als hier
                                               Al
                                                 l

                                                   es
                                                      ist
                                           E ,
                                        F F   E!

                                                          mögl
                                      HA   FF
                                     C
                                    S CH A
                                     S

                                                              ich!
                               t!

                                 M              fi
                                  ach       iib
                                      mit bl
                                                                                                wo Kultur und Lebenslust zu

                                                                                                                                    hause ist
                                                                                               ZUREICH         STUTZ HÄRE
                                                                                                                  ODER

                                                                                                                                    Fast wie im
                                                                                                               ES BRÄNNT
                                                                                               Meh

                                                                                                         Rahm fürs Volk   Kreis 3
Freiheit für Grönland – schmelzt das Packeis                          das Reden vergehen kann, abgewöhnt werden möchte». Die                                        «That’s the way it was explained to me in Zurich»                   die Bahnhofstrasse gezeigt – «sie nannten diese ironisch ‹the                                                                                                     Lyrics «Zurich»
Von Anja Nora Schulthess                                              Parolen der «Bewegig» dagegen werden zu «Gedichte[n] in                                       Von Philipp Anz                                                     most beautiful street in the world›, was ich im Song aufgriff»
                                                                      einer kalten Zeit» erklärt. Kanon neben Subkultur. Kunst ne-                                                                                                      –, aber auch die anderen, alternativen Orte. «In Erinnerung                                                                                                       you meet out on the midnight street
       BEWEGUNG                                                       ben Nicht-Kunst und Pseudokunst («perfide Kunst des Sperr-                                    Der Soundtrack der 80er-Bewegung? «Züri brännt» und «Raz-           geblieben ist mir eine Versammlung in einem grossen Saal                                                                                                          underneath the lamplight bright
       die Ausdruck, besser: die Eruption jahrelang falsch            drucks und der Gänsefüsschen», «Kunst der Berichterstat-                                      zia» von TNT, klar, «Züri Punx» von Sperma, Stücke von Klee-        (wohl das Volkshaus, Anm. d. Autors). Da sassen Politiker­innen                                                                                                   outside the diamond jewelry windows
       gelebten oder nicht gelebten oder abgemurksten                 tung»), Literatur neben Propaganda. Als Zeitdokument realer                                   nex/Liliput, den Bucks, Mother’s Ruin und anderen mehr. Aber        und Politiker auf der Bühne und erklärten den dicht gedräng-                                                                                                      dazzling your sight tonight
       Lebens, jahrelang angestauten Schweinemuts, ein                politischer Ereignisse und als ein über diese Ereignisse hin-                                 es gibt auch «Zurich» von Jim Page, in dem der US-Folksänger        ten Jugendlichen, dass sie eigentlich kein Verständnis für ihre                                                                                                   and something in the blood that pounds
       altes Wort für Schwermut, unserer Zeit ist                     ausweisendes künstlerisches Produkt ist er zugleich Ausdruck                                  vom Aufruhr der Jugend über Wasserwerfer und Gummige-               Anliegen hatten. Es war ein Paradeschauspiel einer verloge-                                                                                                       echoes in the hollow sound
                                                                      einer Verschränkung von Kunst und Leben.                                                      schosse, «Anarchie auf den Strassen aus Gold» bis zum Auto-         nen Politik. Irgendwann haben die neben mir dann kleine Sa-                                                                                                       and it all comes tumbling down
Reto Hänny schrieb seine Tirade ‹Freiheit für Grönland – schmelzt              Der Text spricht vom Sprengen der «als Herrschaft                                    nomen Jugendzentrum AJZ sehr genau die Stimmung und                 chen auf die Bühne geschmissen, ich glaube, das war Katzen-                                                                                                       in Zurich
das Packeis› 1980, mitten im Spätsommer der Zürcher Jugend-           oder Herrschaftsstruktur empfundenen Grammatik» und tut                                       Ereignisse jener Tage beschreibt. Das Folgende ist die Ge-          streu.»
unruhen. Reto Hänny war als Sympathisant auf den Strassen             es dort, wo er davon spricht: Visuell werden Textblöcke, «TÜR-                                schichte eines Songs, den fast niemand kennt, und die seines                  Dieser Aufenthalt und die Ereignisse des Sommers                                                                                                        it’s taught among the rules of school
Zürichs dabei und hat für seine Erlebnisse und Eindrücke lite-        ME AUS WORTEN» die im Kontext unbedingt mit den «Poten-                                       Komponisten.                                                        1980 und danach inspirierten Page zum Song «Zurich». «Ich                                                                                                         that all that glitters must be gold
rarische Formen gefunden. So ist etwa ‹Zürich, Anfang Septem-         zinsignien», den «aus der Hardau wie verkohlte Schwurfinger                                             Jim Page, Jahrgang 1949, wuchs in der Bay Area in         habe die Leute in Zürich gefragt, ob es okay sei, wenn ich                                                                                                        and those who would not play the fool
ber› ein Bericht über seine Verhaftung; ein Text, der ihm später      gen Himmel protzenden Hochhäusern» der zubetonierten                                          Kalifornien auf. «Ich war ein Kid aus dem Mittelstand», betont      darüber singen würde. Und sie haben sofort Ja gesagt.» Sie                                                                                                        must follow in the social mold
den Vorwurf eingebracht hat, seine Verhaftung «in bereichern-         Stadt Zürich und allgemeiner der vertikalen, hierarchisch ge-                                 er im Gespräch. Aber ein Kid, das sich fortan immer entlang         hätten ihm später dann auch ein Buch über die Bewegung                                                                                                            oh but the well to do
der Absicht vorsätzlich provoziert» zu haben, um aus dem Vor-         prägten Gesellschaftsstruktur assoziert werden müssen, auf-                                   der Gegenkulturen bewegte. Nach dem Schulabschluss kam              geschickt, voll mit handschriftlichen Notizen und Übersetzun-                                                                                                     beautiful people in public view
fall Kapital zu schlagen. «Literatur, wie man sieht, kann also        gesprengt. Buchstäblich schafft sich der Text Plätze und Frei-                                er 1967 mitten hinein in die Flower-Power-Hochblüte und be-         gen. «Auf dem Cover war eine Uhr, die mit einem Pflasterstein                                                                                                     ain’t got time for the likes of you
nicht ganz ungefährlich sein – für den Autor», bemerkte Hänny         räume (stellenweise sind halbe Seiten leer). Rhythmisch wird                                  gann sogleich, mit der akustischen Gitarre aufzutreten: «Grup-      zerstört worden war – ein eindrückliches Bild.» («Zürcher Be-                                                                                                     in Zurich
dazu rund zwanzig Jahre später in einer E-Mail an einen Her-          der monotone Ton einer sich durch Einschübe unendlich lang                                    pen wie Jefferson Airplane oder Grateful Dead hatten ja auch        wegung», Verlag ohne Zukunft, Anm. d. Autors.)
ausgeber. Damit weist er auf ein subversives Moment der Lite-         hinziehender Wortkette (dort wo es um die Monotonie der                                       Wurzeln im Folk. Doch ich konnte mich nicht mit dem Gedan-                    «Zurich» paart die aufwühlenden Ereignisse im Text                                                                                                      it all begins one morning fine
ratur hin: Literatur als Störung, als reale durch die gesellschaft-   akademischen Sprache und des akademischen Lebens geht),                                       ken anfreunden, einer Band beizutreten.» Also spielte er al-        mit sanften Akkorden auf der akustischen Gitarre. «Ich wollte                                                                                                     when the government money comes to town
liche Ordnung wahrgenommene Bedrohung.                                durch ein Stakkato unterbrochen.                                                              leine – an Protesten gegen den Vietnamkrieg und auf den             bewusst eine Ballade schreiben», sagt Page, «eine Melodie                                                                                                         a fortune goes to the opera
         Wie ‹Zürich, Anfang September› muss auch ‹Freiheit                    Entscheidend ist, dass die gegebene Sprache und die                                  Uni-Campus. «An den Universitäten gab es viele aktive Stu-          wie für ein Liebeslied, die im Kontrast zur Schärfe des Textes                                                                                                    but not a penny trickles down
für Grönland – schmelzt das Packeis› im Kontext der «Bewegig»         Strukturen, die hier als «einengend und also beengen[d]» be-                                  dentengruppen – Anti War, Black Student Union, Chicano Stu-         steht.» Beim Schreiben habe er daran gedacht, «dass das,                                                                                                          to the youth center in the middle of town
gelesen werden. So ist bereits der Titel ein Zitat der «Bewegig»:     klagt werden «von innen und von unten her» aufgebrochen                                       dents, Native Americans und so weiter – und ich ging zu all         was die Menschen in Zürich und auch anderswo wollten und                                                                                                          gonna have to close it down
«Eisbrecher» nannte sich die bekannteste Untergrundzeitung            werden wollen. Es geht nicht darum, die Sprache zu verlieren                                  den Treffen, Reden und Diskussionen. Das war meine politi-          brauchten, eine Realität war, die nicht geleugnet werden konn-                                                                                                    can’t afford to have you hangin’ ‘round
der Bewegung, wobei der Feind, das «Packeis», als Metapher            oder zu verstummen – womit der Text stellenweise zu koket-                                    sche Bildung.»                                                      te». Etwa sechs Jahre lang habe er «Zurich» regelmässig an                                                                                                        in Zurich
galt für den Staat, das starre, zubetonierte, kalte Zürich mit        tieren scheint, wenn er davon spricht, dass «einem das Reden                                            Daneben war er als Strassenmusiker unterwegs: «Ich        Konzerten gespielt, aber nie auf Platte aufgenommen. Doch
seinen Banken und Bürokomplexen und das bürgerliche, enge,            vergehen» kann, oder das «Dichten». Der ganze Text ist Aus-                                   habe sehr schnell gelernt, dass die Leute zuhören, wenn man         der Song nahm auch noch einen zweiten Weg...                                                                                                                      all in a shattering instant then
unlustvolle Leben überhaupt. Gefordert wurde «freie Sicht aufs        druck eines Begehrens danach eine neue Sprache zu suchen,                                     über sie singt. Und ich habe geschaut, dass ich jede Woche                    Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre war Page oft in                                                                                                   upon that well remembered night
Mittelmeer». Versprach eine Aktion Erfolg, hiess es: «Das Pack-       einer Sprache, die es vermag, sich «Luft für den lang zuge-                                   mindestens ein neues Lied hatte. Je mehr ich sang, desto            Irland auf Tour und freundete sich dort mit dem Sänger Christy                                                                                                    in a sudden clash with bricks and bottles
eis schmilzt».                                                        schnürten Atem zu verschaffen». Der Text zeichnet sich durch                                  mehr lernte ich. Was als eine Überlebenstechnik begann, wur-        Moore an, der mit der Band Planxty und als Solo-Künstler zu                                                                                                       comes a most surprising sight
         Der Text thematisiert, bei aller Rätselhaftigkeit, die       eine ambivalente, eine affirmativ-kritische Haltung aus und                                   de zu einem Lebenswerk.»                                            einem der Grossen der irischen Musik wurde. Als Moores kur-                                                                                                       as fired with a smoldering heat
ihm aneignet, klar die Ereignisse des «heissen Sommers» von           dies sowohl bezüglich der eigenen, paradoxen Position, des                                              1971 zog Page nach Seattle, wo er bis heute lebt. Er      zeitiges Bandprojekt Moving Hearts 1981 ihre erste Single                                                                                                         five thousand angry rebels meet
1980. Er thematisiert die Gewalt der Polizei und des Staats,          Sprechenden, des literarischen Schreibens als auch bezüglich                                  setzte sich aktiv für die Rechte von Strassenmusiker*innen          veröffentlichten, war dies «Hiroshima Nagasaki Russian Rou-                                                                                                       and break every window on that most beautiful street
die Berichterstattung durch die Medien, den Opernhauskra-             der Bewegung auf der Strasse.                                                                 ein, arbeitete mit der Black Panther Party und nahm 1975 sein       lette», ein Anti-Atomkrieg-Stück, das Page 1976 geschrieben                                                                                                       in Zurich
wall, das Scheitern des Dialogs. Augenfällig sind die Parolen                                                                                                       erstes Album «A Shot of the Usual» auf. 1977 folgte die Ein-        hatte. «Christy gefiel auch ‹Zurich›, vor allem sprach ihn die
der Jugendbewegung, derer sich der Text bedient, und die er                    BEWEGUNG,                                                                            ladung ans Cambridge Folk Festival und die erste Reise nach         letzte Zeile ‹that’s the way it was explained to me in Zurich›                                                                                                    anarchy on streets of gold
buchstäblich wie Banner, Barrikaden, «Transparente gegen die                   die mit Sprache, zumal mit literarischer, vordergründig                              Europa. «In England ging da gerade Punk los. Auch wenn ich          an. Er lud mich nach Belfast ein, um dort Lieder mit ähnlichem                                                                                                    lights a-flashing, sirens wail
Angst» zwischen die Zeilen schiebt:                                            wenig zu tun hat, aus sichrer Distanz, tränengas- und                                andere Musik machte, konnte ich den Antrieb dahinter sofort         Inhalt über die Proteste und die Troubles zu schreiben.»                                                                                                          frightened eyes behind the windows
                                                                               hartgummigeschosshagelsichrer Distanz, allein, in                                    verstehen und fühlte mich ihm verbunden.»                                     Moore spielte auch Pages Song. Bei ihm heisst er «In                                                                                                    watch the young ones off to jail
       WIR HABEN GRUND GENUG ZUM WEINEN, AUCH                                  wohliger Wärme, hinter Schreibtisch und vorgescho-                                             Daneben engagierte sich Page weiter für die Rechte        Zurich», hat einen leicht geänderten Text und eine angriffigere                                                                                                   soldiers in their shouldered ranks
       OHNE EUER TRÄNENGAS, WIR HABEN NICHTS ZU                                benem Alter, hinter einem Wall fadenscheiniger                                       der Native Americans und schrieb den «Song for Leonard Pel-         Tonalität. Zu finden ist er auf der Anthologie «The Box Set                                                                                                       armed with water canon tanks
       VERLIEREN, AUSSER UNSERE ANGST; KEINE MACHT                             Jährchen verschanzt, von idyllischem Abhang aus                                      tier» über den Aktivisten des American Indian Movement, der         1964–2004», wo er lange die einzige verfügbare Aufnahme                                                                                                           and rubber bullets to protect the banks
       FÜR NIEMAND; MACHT AUS DIESEM STAAT DRUM                                über Feld Wald & Wiesen und über ein paar den Blick                                  1977 in den USA wegen Mordes an zwei FBI-Beamten zu le-             blieb. Bis jetzt. «Ich wollte das Lied schon lange noch einmal                                                                                                    of Zurich
       GURKENSALAT; FREIHEIT FÜR GRÖNLAND, NIEDER                              kaum ankratzenden Blocks hinweg betrachtet über-                                     benslanger Haft verurteilt wurde und seither im Gefängnis           machen», sagt Page, «aber ich geriet immer wieder in diesel-
       MIT DEM PACKEIS.                                                        haupt nichts; hintergründig, aus unmittelbarer Nähe                                  sitzt. «Der Song zirkulierte auf Kassette im ganzen Indian Mo-      ben Sackgassen, was das Arrangement betraf. Dann habe ich                                                                                                         battle lines are clearly drawn
                                                                               besehen, am eignenLeibe mit eigenem Leibe erfahren                                   vement. Auf einer Tour bin ich dann in Europa mehr zufällig         die Anfrage für unser Gespräch bekommen und dachte, okay,                                                                                                         to show which side you’re standing on
Stellenweise greift der Text gar die Rhetorik der Bewegten auf,                – die schiere Unwirklichkeit des Erblickten, so                                      Floyd Westerman über den Weg gelaufen, dem Dakota-Sioux-            jemand ausser mir mag den Song immer noch, also werde ich                                                                                                         those who sympathize in kind
eine Rhetorik, die sich in linken Kreisen in den letzten vierzig               zynisch grotesk gegen alles Leben gerichtet kommts                                   Sänger», erzählt Page. «Ein Juwel von einem Mann mit einer          das in Ordnung bringen. Ich habe mich hingesetzt und daran                                                                                                        wake up to find their jobs are gone
Jahren kaum geändert hat. So etwa dort, wo es um die Ak-                       einem vor, gibt Wirklichkeit dem Blick –, aus eigenster                              Stimme wie Johnny Cash. Fortan haben wir oft Doppel-Kon-            herumgespielt, die Akkordstimmen geändert und einen Inst-                                                                                                         speaking up and speaking out
quirierung von Polizeiaspiranten geht für «Tätigkeiten [...], bei              Getroffen- & Betroffenheit erfahren dafür plötzlich                                  zerte gegeben.» Westerman starb 2007. Davor hatte er nach           rumentalabschnitt eingefügt. Meine Frau Katy hat spontan                                                                                                          depends on what you talk about
denen immer der Mensch im Vordergrund stehe: ja, um ihn                        umso mehr                                                                            dem Film «Dancing with Wolves», in dem er den Häuptling Ten         Backing-Vocals dazu gesungen. Das war sehr befriedigend.»                                                                                                         the real right is coming out
mit Knüppel und Tränengas und einem Hartgummigeschoss-                                                                                                              Bears spielte, noch eine erfolgreiche Zweitkarriere als Schau-                «Zurich» in der Version von Jim Page ist deshalb nach                                                                                                   in Zurich
hagel umzulegen», oder um die Ausnutzung von Arbeitskräf-             Eine Textstelle, die nicht nur von einem gleichzeitigen Be-                                   spieler gestartet.                                                  40 Jahren erstmals als Aufnahme hörbar: auf seiner Sound-
ten: «die schickt man, wenn der Frost einbricht, als Gastarbei-       wusstsein über die Grenzen des eigenen, distanzierten Wir-                                              Zusammen mit Westerman sei er dann auch erstmals          cloud-Seite (/folkpunch/zurich) oder in der Internet-Ausgabe                                                                                                      how can such a trouble be
ter zurück in ihre Heimat». Es sind jedoch Sätze, die seltsam         kens hinter dem Schreibtisch, zeugt, sondern auch von den                                     in der Schweiz aufgetreten, sagt Page. An die einzelnen Kon-        der Fabrikzeitung. Zu Zürich habe er leider den Kontakt verlo-                                                                                                    is this the writing on the wall
quer stehen zum Rest des Texts, die in ihrer klaren Satzstruk-        Möglichkeiten des «betroffenen» Schreibens. Darüber hinaus                                    zertorte könne er sich leider nicht mehr im Detail erinnern, er     ren, sagt Page. «Aber ich würde diese Menschen sehr gerne                                                                                                         the pillars of society
tur und Botschaft geradezu lapidar daherkommen. Dennoch               lässt es die Textstelle aufgrund ihrer syntaktischen Ambiva-                                  sei damals ständig auf Tour gewesen. Geblieben sind ihm aber        einmal wiedersehen. Für mich war es eine wunderbare Zeit.                                                                                                         give a very anxious call
scheint das sprechende Ich sich klar auf der Seite der Beweg-         lenz auch zu, das Prädikat «betrachtet überhaupt nichts» auf                                  die persönlichen Begegnungen: «Viele der Konzerte wurden            Überall, wo man hinging, war viel los. Es schien, als stünden                                                                                                     and orderly they call for peace
ten zu situieren, wenn es opponiert: gegen den herrschenden           die «BEWEGUNG» auf der Strasse zu beziehen. Ein erster                                        von der Schweizer NGO Incomindios organisiert, die sich für         grosse Veränderungen vor der Tür.»                                                                                                                                discipline to say the least
Diskurs der Politik, den Akademismus, die Behörden, die               Hinweis zumindest auf eine mögliche Blindheit der politi-                                     die indigenen Völker einsetzt.» Besonders engagiert sei eine                                                                                                                                                                          what we need is more police
Polizei, die Medien (die NZZ!): die «grauen Eminenzen», die           schen Aktionen auf der Strasse. Neben jener Anspielung sind                                   junge Kunststudentin namens Anna gewesen, die ihn regel-            Philipp Anz ist Journalist in Zürich. Er war Mitherausgeber des Buchs «Schmieren/                                                                                 in Zurich
                                                                                                                                                                                                                                        Kleben» und gehört zum Redaktionsteam der anstehenden Buch-Veröffentlichung
«friedlichen Bürger», «die Fluchtgeldhorter und Kanonenfab-           die ganzen Reflexionen über Gewalt im Text widersprüchlich.                                   mässig für Auftritte gebucht habe. «Sie und ihre Freunde wa-        zum 40. Geburtstag der Roten Fabrik.
rikanten und Waffenschieber bluttriefender Operettengenera-                                                                                                         ren alle intelligent, künstlerisch und politisch sehr aktiv. Ein-                                                                                                                                                                     from the gardens of Geneva
                                                                                                                                                                                                                                        Jim Page gibt heute noch regelmässig Konzerte in Seattle und überträgt diese auch
le») und insbesondere gegen deren Sprache – eine «Fremd-                       GELD UND GEWALT, GEWALT UND GELD,                                                    mal sagte sie zu mir: ‹Eigentlich bin ich eine Anarchistin!› Das    auf Facebook unter «Seattle Jim Page». Weitere Infos: www.jimpage.net
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          to the flowered streets of Amsterdam
sprache, auch wenn es meine Muttersprache sein soll».                          DARAN KANN MAN SICH FREUEN;                                                          entsprach mir, ich mochte diese politische Energie.»                                                                                                                                                                                  inside the walls of West Berlin
          Diese Positionierung ist jedoch durchaus ambivalent.                 GERECHTIGKEIT UND UNGERECHTIGKEIT,                                                             Dann kam der 30. Mai 1980 in Zürich. Page erfuhr vom                                                                                                                                                                        trouble passes hand to hand
Darauf verweist nicht nur, aber auch das damalige Verhältnis                   DAS SIND NUR LUMPEREIEN                                                              Opernhauskrawall durch die US-Medien. «Es war auf den Ti-                                                                                                                                                                             in among these times that be
des Autors zur Jugendbewegung. Als 33-Jähriger war Reto                                                                                                             telseiten, auch der Aufmacher in den Fernsehnachrichten. Zü-                                                                                                                                                                          no future do they see
Hänny 1980 älter als die meisten «Bewegten»; als Intellektuel-        «GEGEN GEWALT», ein selbst schon doppeldeutiges Demo-                                         rich ist die Stadt, wo die Banken sind, und alle Wirtschaftskrei-                                                                                                                                                                     that’s the way it was explained to me
ler fremd unter den vielen Lehrlingen und Personen mit einem          Transparent der «Bewegig», wird hier abermals buchstäblich                                    se wurden deswegen nervös. Die vorherrschende Meinung                                                                                                                                                                                 in Zurich
Dünkel gegen die «Uniperversität»; zugleich Teil und Nichtteil        als «Transparent gegen die Angst» zwischen den Satz gescho-                                   aber war, dass die jungen Leute plötzlich verrückt geworden
der Bewegung; ein Aussenseiter unter Aussenseitern. Diese             ben. «GEGEN GEWALT» beinhaltet sowohl Kritik an der Ge-                                       seien, dass sie grundlos auf die Strasse gegangen waren. Ich
Gleichzeitigkeit von Drinnen- und Draussensein, von Betrof-           walt durch den Staat, die herrschende Ordnung, als auch Af-                                   war damals erfahren genug, um zu wissen, dass solche Dinge
fenheit und Distanz lassen sich am Text festmachen – eine Am-         firmation von Gewalt als legitime Antwort auf diese Gewalt.                                   nicht ohne Grund passieren.»
bivalenz, die auch auf Verhältnis und Differenz von literarischer     Jedoch scheint sich der Text auch der begrenzten Kraft von                                              Kurz darauf, Ende Juli 1980, war Jim Page für einen
Revolte und Revolte der Strassenkämpfe hinweist. In einer             Gegengewalt bewusst zu sein: «...Gewalt weckt wieder Ge-                                      Auftritt am Folk Festival in Nyon, dem Vorläufer des heutigen
Anspielung auf Brechts Gedicht «Schlechte Zeit für Lyrik»             walt, eine unendliche Kette von Rache und Widerrache...»                                      Paléo Festivals, wieder in der Schweiz. «Ich habe dann Anna
und Reinhard Lettaus «Zerstreutes Hinschaun – Vom Schreiben           und die Gegengewalt, die «Sprache der Pflastersteine», wur-                                   und ihre Freunde angerufen und gesagt: Ich will für ein paar
über Vorgänge in direkter Nähe oder in der Entfernung von             de «kapiert», jedoch «längst nicht verstanden».                                               Tage nach Zürich kommen und mehr über diese Bewegung
Schreibtischen», reflektiert der Text die Frage nach dem Sinn                   «Kapiert» und «nicht verstanden», ein Paradox, das                                  erfahren.» Anna und ihre Freund*innen hätten ihm in Zürich
des literarischen Schreibens in Zeiten der Unruhe.                    vielleicht auf das grundlegende Missverständnis, das grund-
          Die Zürcher «Bewegig» war Ausdruck eines Leidens            legende Sich-nicht-Verstehen hinweist zwischen denen, die
unter der gegebenen Ordnung, der gegebenen Sprache, der vor-          Teil der gesellschaftlichen Ordnung sind, und denen, die ihren
gegebenen Identitäten und Lebensweisen, der vordefinierten            «Anteil» als «Anteillose» behaupten. Darauf, dass hier zwar,
Räume. Reto Hänny bringt diese gegebene symbolische und               rein technisch, dieselbe Sprache gesprochen wird, dass die
gesellschaftliche Ordnung und das Leiden darunter zur Sprache.        Jugend durch ihren Lärm auf den Strassen akustisch gehört,
Ordnung wird mit Gewalt assoziert, Gewalt am Andern, an Ab-           mit ihren Demonstrationen und Strassenaktionen gar nicht
weichung und Widerspruch. Der Text thematisiert das Nichtge-          übersehen werden kann («kapiert») und gleichzeitig in ihrer

                                                                                                                                                                                           An den Demos selber war ich selten zuvorderst dabei.

                                                                                                                                                                                 chenzeitung WOZ, die Druckerei Ropress oder der Videoladen,
                                                                                                                                                                                 Am 30. Mai war ich, soweit ich mich erinnere, in München,

                                                                                                                                                                                           Heute sind vor allem noch die Institutionen sichtbar,

                                                                                                                                                                                 druck basierte, hat sich wohl parallel zur Bewegig entwickelt.
                                                                                                                                                                                 zieher-WG» bezeichneten Wohngemeinschaft; obwohl ich

                                                                                                                                                                                 Rote Fabrik, das aus dem AJZ-Kino entstandene Xenix oder der
                                                                                                                                                                                 halten. 1982 hatte für die Stadt, aber auch für mich persönlich,

                                                                                                                                                                                 zogen und waren häufiger an Sachen in kleineren Gruppen
                                                                                                                                                                                 Zürich war ich erst 2,3 Tage später. Es gab zu dieser Zeit ja

                                                                                                                                                                                 würde. Ich wohnte seit Herbst 1979 in der Stadt Zürich an

                                                                                                                                                                                 wehrten uns aber gegen die Politik, die so stark auf Repressi-

                                                                                                                                                                                 reits ab Mitte 1981. Viele engagierte Aktive wurden ja bereits

                                                                                                                                                                                 hatten wir da bereits bekommen, das AJZ war nicht mehr zu

                                                                                                                                                                                 Und letztlich gibt es viele andere Sachen, die zu dieser Zeit

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Hans X. Hagen (*1955) ist inoffizieller Archivar des Areals der Roten Fabrik und Mit-
                                                                                                                                                                                 ich bin dazumals viel per Autostopp herumgereist. Zurück in

                                                                                                                                                                                 immer wieder Demos in Zürich, deshalb dachte ich im Vor-

                                                                                                                                                                                 der Brandschenkestrasse 38, in einer der damals als «Draht-

                                                                                                                                                                                 noch nicht lange in der Stadt wohnte, fand ich dadurch rela-

                                                                                                                                                                                 Politik durchzusetzten und wir sahen es als legitim an, uns

                                                                                                                                                                                 wegig nie wahrgenommen. Es gab so viele Menschen unter-
                                                                                                                                                                                 schiedlichen Alters, die sich für die Sache einsetzten, für Thea-
                                                                                                                                                                                 ter, für Konzerte, für Film. Damals gab es ja in der Stadt nur

                                                                                                                                                                                 1980 regelrecht kapputt- oder fertiggemacht. Gleichzeitig wa-
                                                                                                                                                                                 ren einzelne Forderungen inzwischen erfüllt; die Rote Fabrik

                                                                                                                                                                                 die grosse Depression begonnen. Viele haben sich zurückge-

                                                                                                                                                                                 Musikladen RecRec. Auch das Theaterspektakel, das zwar un-
                                                                                                                                                                                 abhängig davon entstanden ist, aber auf demselben Leidens-

                                                                                                                                                                                 begonnen und durch den kollektiven Geist der Bewegig be-
                                                                                                                                                                                 stärkt wurden: Kollektiv verwaltete Betriebe wie z.B. die Wo-

                                                                                                                                                                                 dank dem wir heute den Film «Züri brännt» haben. Und letzt-
                                                                                                                                                                                 lich ist wohl auch die Festhütte Zürich, 24h, 7-Tage-die-Woche
                                                                                                                                                                                 eine Folge der Bewegig. Die Forderung nach Freiraum kann in
                                                                                                                                                                                 Wir hatten zu Beginn nichts gegen die Polizei an sich. Wir

                                                                                                                                                                                 on setzte. Die Polizei hatte dabei die undankbare Rolle, diese

                                                                                                                                                                                 die durch und aus der Bewegig entstanden sind: die geforderte
                                                                                                                                                                                           Zum Erliegen kam d’Bewegig in meinen Augen be-
                                                                                                                                                                                 aus auch nicht daran, dass es genau am 30. Mai so eskalieren

                                                                                                                                                                                           Als eigentliche «Jugendbewegung» habe ich d’Be-
hörtwerden der Begehren der Jugend, für das die «somnambu-            Sprache nicht verstanden wird, weil diese in der gegebenen
la», die «drinnen» im «notdürftig verbrettert und vernagelten»        Ordnung nicht vorkommt, gar nicht vorgesehen ist.

                                                                                                                                                                                 gewissem Sinne auch als übererfüllt angesehen werden.
Opernhaus gespielt wird, Metapher ist. Revolte der Strasse und                  Wenn auch das sprechende Ich die «Sprache der Pflas-
Revolte der Literatur stehen also insofern in Zusammenhang, als       tersteine» als «einzige einigen noch gebliebene Sprache, eine

                                                                                                                                                                                 engagiert, andere sind aus der Stadt weggezogen.
                                                                                                                                                                                 tiv rasch Zugang zum «aktiven» Teil von Zürich.

es um den Bruch mit der gegebenen Ordnung geht, für die der           verständlich adäquate» bejaht, ist sie ihm «letztlich ohn-mäch-
«gut[e] Geschmack», die «Sprachhandhabung der Behörden»               tige Antwort». Noch das Wort «ohn-mächtig» zeugt von der

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  beteiligter am ersten Open-Air-Kino in Zürich: «Film am See».
und die «domestiziert[e] gepanzert[e] gefängnisordnungsgittri-        Ambivalenz, durch die sich der Text auszeichnet. Die Aufsplit-
ge Sprache» paradigmatisch stehen. Und sie unterscheiden sich         tung des Worts in seine Wortteile durch Bindestrich macht
insofern, als es sich dabei um andere Ordnungen, Regeln, Struk-       deutlich, dass im Wort «ohnmächtig» (paradigmatisch für die
turen handelt – wenn auch die einen (etwa die Grenzen literari-       Grenzen von Gegengewalt, die Grenzen der Politik der Strasse,
scher Gattungen, die Grenzen zwischen Kunst und Leben,                der «Bewegig) auch das Wort «mächtig» (paradigmatisch für
Kanon, Kommerz und Subkultur, syntaktische und logische               die subversive Kraft der Politik) steckt. Reto Hännys Text ist
Strukturen) Ausdruck oder Symptom der anderen (gesellschaft-          Ausdruck eines Bewusstseins für die Notwendigkeit von Poli-
liche Ordnung, politisch-ökonomische Strukturen) sind.                tik/Revolte (sei es diejenige der Strasse oder diejenige der Li-
          Freiheit für Grönland entzieht sich einer klaren Einor-     teratur), aber auch für deren Grenzen, deren Antagonismen
                                                                                                                                                                                 sehr wenig Angebote.
                                                                                                                                                                                 dagegen zu wehren.

dung (Gedicht? Pamphlet? Bericht? Brief?). Der Text bejaht            und in diesem Sinne Ausdruck einer affirmativen (Selbst-)Kritik.
gerade die Überwindung solcher Grenzen und führt diese
                                                                      Anja Nora Schulthess schreibt kulturwissenschaftliche Beiträge, Essays und Lyrik. 2017
                                                                                                                                                                 Hans X. Hagen

buchstäblich vor. So stehen die nicht ausgewiesenen Zitate
                                                                      erschien ihr lyrisches Debüt «worthülsen luftlettern dreck». 2020 erscheint ihr Sachbuch
der «literarischen Väter» (Aischylos, Hölderlin, Büchner, Hohl,       zu den Untergrundzeitungen der Zürcher Achtziger Bewegung im Limmat Verlag.
Achternbusch) als GLEICHE neben den Parolen der Bewegung.
                                                                      Literatur: Reto Hänny: Freiheit für Grönland – schmelzt das Packeis. In: Zürich,
Die literarischen Zitate werden dem Text durch deren Gross-           Anfang September. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 1981.
schreibung buchstäblich zu «Transparenten gegen die Angst»,           Reto Hänny: Vorspiel oder Wut hat eine lange Geschichte. In: Zürich, Anfang
zu Bannern und Barrikaden – «[i]n einem Klima, in dem einem           September.Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 1981
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