BDA-Preis für Architekturkritik 2018 Gerhard Matzig - Bund Deutscher ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Inhalt BDA-Preis für Architekturkritik 2018 Gerhard Matzig Der BDA-Preis für Architekturkritik 3 Matzigs Leben im Heute 25 Heiner Farwick Dietmar Steiner Begründung der Jury 6 Über Geschmack lässt sich sehr wohl streiten 37 Gerhard Matzig im Gespräch mit Vita 7 Benedikt Hotze und David Kasparek Einfach mal runterkommen 9 Impressum 47 Texte von Gerhard Matzig Fiebernde Hirne 10 Die Gattin des Genies 12 Einfach mal runterkommen 14 Zur Feier der Schöpfung 17 „Alles Schwachköpfe!“ 19 Das Wunder 21
Der BDA-Preis für Architekturkritik Die unabhängige Architekturkritik ist eine wichtige Den BDA-Preis für Architekturkritik 2018 erhält der Größe im Diskurs über die Qualität des Planens Leitende Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“ und Bauens. Doch in vielen Verlagen und manchen und Buchautor Gerhard Matzig. Der Preis ist mit Redaktionen wird das heute nicht mehr so gese- 5.000 Euro dotiert. hen. Veranstaltungen und Produktvorstellungen spielen eine immer wichtigere Rolle. Nicht immer Gerhard Matzig wurde 1963 geboren. Er hat poli- gelingt es da einer fundierten Architekturkritik, tische Wissenschaften und Architektur in Bochum, sich zu behaupten. Passau und München studiert. Nach einem Volon- tariat wurde er 1997 Redakteur im Feuilleton der Daher ist der BDA-Preis für Architekturkritik heute Süddeutschen Zeitung und 2000 dort Leitender vielleicht so wichtig wie nie zuvor in den mittlerwei- Redakteur. Er betreut die Themengebiete Archi- le 55 Jahren seiner Geschichte. Zu den Preisträgern tektur, Urbanismus und Design. Seit 2005 lehrt er zählten unter anderem Julius Posener, Manfred Architekturtheorie an der FH München. Sack, Wolfgang Pehnt und Peter Sloterdijk. Mit dem Preis wird „eine herausragende Leistung auf Seine Texte in einem großen deutschen Feuilleton dem Gebiet der kritischen Auseinandersetzung zu beweisen, dass hier die unabhängige Architektur- Fragen des Planens und Bauens mit publizistischen kritik einen festen Platz hat und Architektur und Mitteln geehrt“, wie es in der Satzung heißt. Der Städtebau zu den relevanten Fragen unserer Ge- „Kritikerpreis“ des BDA steht in einer Reihe mit sellschaft gehören. Ich gratuliere dem Preisträger den beiden anderen Preisen, die der BDA-Bundes- sehr herzlich. verband alternierend vergibt: dem „Großen BDA- Preis“ und dem „BDA-Architekturpreis Nike“. Heiner Farwick, Präsident des Bundes Deutscher Architekten BDA 3
BDA-Preis für Architekturkritik 2018 Begründung der Jury und Vita des Preisträgers
Begründung der Jury Gerhard Matzig schreibt als Leitender Redakteur der Die Jury würdigt seine rhetorische Brillanz, seine ana- Süddeutschen Zeitung hauptsächlich im dortigen lytische Schärfe und die Qualität seiner „gebauten“ Feuilleton, tritt aber auch als erfolgreicher Buchau- Sprache. Gerhard Matzig ragt unter den Zeitungs- tor, Juror und versierter Teilnehmer von Podiums- journalisten mit einem klaren Willen zur Gestaltung und Fernsehdiskussionen hervor. Er überzeugt durch seines Mediums in besonderer Weise hervor. seine große Fachkenntnis in Architekturthemen und deren inhaltliche Verknüpfung mit weit darüber hi- Susanne Wartzeck (Vorsitz) nausgehenden gesellschaftlich-politischen Fragen. sturm und wartzeck | architekten bda | innen- architekten, Mitglied des BDA-Präsidiums, Dipperz Ob es sich um die Auswirkung von Normung und Vergaberecht auf die Architekturqualität oder um Andreas Denk das Verschwinden der Frauen aus der Leitungsebe- Chefredakteur „der architekt“, Bonn / Berlin ne großer Architekturbüros handelt: Er beherrscht die Kunst, auch scheinbar komplizierte Themen des Dennis Mueller Baugeschehens mit einer eigenen Sprache auf ho- Architekt BDA, VON M, Stuttgart hem sachlichen Niveau, gleichzeitig unterhaltsam und vergnüglich, weit über enge Fachkreise hinaus Dietmar Steiner zu vermitteln, ja zu erklären. Ihm gelingt so ein Zu- Architekturjournalist, Wien gang zur allgemeinen Öffentlichkeit, dabei greift er auf einen fundierten Hintergrund zurück und be- zieht klare Positionen, die dem Leser plausibel und überzeugend erscheinen. 6
Gerhard Matzig Dipl.-Ing. Gerhard Matzig (*1963) studierte Rechts- wissenschaft, Politische Wissenschaften und Ar- chitektur in Bochum, Passau und München. Von 1986 bis 1991 absolvierte Matzig studienbegleitend während der Semesterferien ein Volontariat bei der Passauer Neuen Presse als Stipendium. Seit 1994 ar- beitet er bei der Süddeutschen Zeitung. Seit 2001 ist er dort Leitender Redakteur und berichtet vor allem über Architektur, Stadtplanung, Design und Lebensweltliches. Er leitete von 2009 bis 2016 das Ressort „SZ Wochenende“. Neben seiner Tätigkeit für die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte er zahl- reiche Bücher, darunter „Nettelbeck und Familie“ (2015), „Meine Frau will einen Garten“ (2012) und „Einfach nur dagegen“ (2011). Darüber hinaus war Matzig Lehrbeauftragter für Produktdesign an der FH München, unterrichtete Kulturjournalismus an der Deutschen Journalistenschule München und war als Honorarprofessor für Wissenschaftstheorie an der Universität für angewandte Kunst in Wien. 2013 erhielt er den DAI-Literaturpreis. Gerhard Matzig ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in München. 7
Einfach BDA-Preis Großer mal 2017 runterkommen Peter Zumthor Texte von Gerhard Matzig
Süddeutsche Zeitung | Feuilleton 15. November 2017 Von GERHARD MATZIG E inundzwanzig Abgeordnete gehören dem Haushaltsausschuss im Bayerischen Landtag an. Einer davon bestätigt am Tele- fon, dass das Konzerthaus, das im Namen des Freistaates ab 2018 in München realisiert wird, „knapp unter 400 Millionen“ kosten soll. Diese Summe kursiert im Landtag. Und auch im Kultusministerium des Bauherrn Ludwig Spaenle weiß man um eine Summe von 370 Millionen Euro. Als Obergrenze. In der SZ wurde bereits darüber berichtet. Nicht dass man Probleme hätte mit einer Summe, die einem nicht unbescheiden, aber auch nicht gigantomanisch vorkommt – ange- sichts eines komplex gelagerten Prestigepro- jekts. Als Analogie im Autohandel: Für diese Summe bekommt man etwas aus der Oberklas- se, auch wenn eine gut ausgestattete Fünfer- BMW-Architektur letztlich realistischer sein Wie der neue Konzertsaal in München aussehen soll, ist klar. Wie viel er kostet, nicht. dürfte als ein Bau-Bentley. Die Zahl ist nicht Der Architekt nennt die Summe „fahrlässig“. Foto: Cukrowicz Nachbaur Architekten grundfalsch, aber zugleich aus Gründen der Logik und der Baukultur blanker Unsinn und Fiebernde Hirne das Produkt fiebernder Hirne. Es ist eine falsche Zahl, die auf unverant- wortliche Weise zum falschen Zeitpunkt publik wurde – und die sehr wenig vom geplanten Bau verrät, dafür aber sehr viel über die Misere der Das neue Münchner Konzerthaus soll 370 Millionen Euro kosten. öffentlichen Baukultur, die zu einer Unkultur Eine falsche Zahl zum falschen Zeitpunkt des Quatschens und zu einer Brutstätte des Baukosten-Deliriums geworden ist. Auch des- halb wüsste man gern, wer sich diese Zahl ei- gentlich ausgedacht hat. nun zu beauftragen wären? Man ruft das jun- Semester des Architekturstudiums eine 4,3 mit Wer also könnte am ehesten wissen, was ge österreichische Architekturbüro in Bregenz knapper Not erreichen könnte (noch bestanden ein ambitioniertes Projekt, das am Anfang an. Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur- und doch ein Desaster), kann man glücklich steht, am Ende kostet? Die Architekten wo- Sturm haben Top-Büros wie Zaha Hadid Ar- darüber sein. Auch wenn der spröde „Vor“- möglich – als die Verfasser jener überraschend chitects oder Jean Nouvel klar abgehängt. Entwurf eines „Klangspeichers“ noch viele siegreichen Pläne, die nach einem insgesamt Wenn man sich Nouvels Maikäferschach- Fragen offenlässt. Zum Beispiel die nach einem eher enttäuschend verlaufenen Wettbewerb tel anschaut, die als Entwurfsarbeit im vierten Foyer, das von der Aula einer Gesamtschule 10
15. November 2017 Süddeutsche Zeitung | Feuilleton der siebziger Jahre kaum zu unterscheiden ist. Raum des Raunens zu blasen? Man ruft beim Architektendichte weltweit, das Bauen verlernt Und warum sich Architekten weigern, Eingän- zuständigen Bauministerium von Joachim hat. Oder das Rechnen. Oder beides. ge statt Löcher in der Wand zu entwerfen. Weil Herrmann an. Dort heißt es, nein, das stamme Eigentlich müsste man ja hoffen, dass ab- aber Fragen offen sind nach Konstruktion, Ma- „garantiert nicht“ vom Minister, man findet seits des privaten Bauens nach der Sehnsuchts- terialität, Akustik oder Haustechnik, naturge- die Diskussion „fahrlässig“. Erstmals in der formel „Einmal im Leben“ die öffentlichen mäß zum Zeitpunkt des Projekts, und weil die Öffentlichkeit platziert habe die Zahlen im Bauherren deutlich vorsichtiger umgehen mit Planung „noch grob“ ist, so Anton Nachbaur- Übrigen „der Herr Spaenle“, der tatsächlich den wirtschaftlichen Risiken am Bau. Denn Sturm, weigert er sich zu Recht, die 370 Mil- auf der fraglichen Pressekonferenz etwas von sie sind die Treuhänder unseres Geldes. Das lionen zu bestätigen. „Ich will und kann jetzt „Dreihundertundmehrmillionen“ gemurmelt öffentliche Bauen speist sich schließlich aus dazu nichts sagen. Das wäre fahrlässig.“ hat. Aber auch Spaenle hat sich das nicht aus- Steuermitteln. Wo aber Kommunen und Län- Das wiederum bestätigt die Architekten gedacht. Wer dann? Das Finanzministerium der, Ministerien und Ämter als Bauherren als seriöse Repräsentanten einer Zunft, die erst etwa? Das hat lange vor dem Jury-Entscheid auftreten, zeigt sich die Nation als groteske überlegt, dann plant – und dann rechnet. Und und ohne Kenntnis der Entwürfe die Zahl als Mischung aus Schilda und Schurkenstaat. Eine nicht umgekehrt. Kommt die Zahl womöglich „vorläufige Kostenschätzung“ (also nicht als Studie der Hertie School of Governance, die aus den Reihen der Jury? Anruf beim Vorsit- „Kostenrahmen“) fixiert. Angeblich aber „nur 170 öffentliche Großprojekte der letzten Jahre zenden der Jury, Arno Lederer. „Auf keinen mit Hilfe“ einer Kostenkalkulation der Bau- in Deutschland untersucht hat, kommt zu einer Fall“, sagt er. Um so eine Zahl „halbwegs“ zu verwaltung im Hause Herrmann, bei der man „durchschnittlichen Kostensteigerung“ von 73 berechnen, müsste man jetzt „zwei Architekten einfach drei wahllos herausgegriffene Konzert- Prozent. Pro Projekt. Insgesamt wurden die drei Monate lang entwerfen und kalkulieren häuser der Baugeschichte zum arithmetischen Bauvorhaben um 59 Milliarden Euro teurer lassen“. Lederer ärgert sich über das Zahlenge- Mittel verrechnet haben soll. Als würde man als ursprünglich berechnet. Das Bauen ist da- murmel. Er hat davor gewarnt. sich „ein Stück Haus“ an der Theke bestellen, bei, vom Versprechen und identitätsstiftenden Allein die Fassade des Klangspeichers, wo man die Preise für Leberwurst leicht ver- Moment zur Zumutung degradiert zu werden. eine gigantische Glaskonstruktion, ist bis gleichen kann. Die Skandal-Liste ist bekannt. Sie reicht von jetzt, da die Architekten noch nicht einmal Man kann die Sehnsucht nach einer Zahl Limburg (Bischofssitz) bis Berlin (Flughafen), beauftragt sind, mit intensiveren Planungen als Sucht der Gegenwart beschreiben. Wo- wobei ganz oben die Elbphilharmonie thront. in Haptik, Ästhetik oder Energetik völlig un- bei die Öffentlichkeit das Bedürfnis teilt, ein Sie sollte erst 77 Millionen Euro kosten, eine bestimmt. Ein Quadratmeter Glas kann aber Projekt messbar zu machen, um es einzuhe- tendenziell eh ziemlich absurde Idee, und 2010 wenige Euro kosten – oder auch mal, siehe gen. Das ist nicht unverständlich. Es illus- fertig werden. Doch wurden daraus 2017 und Elbphilharmonie, einige Zehntausend Euro. triert ein tiefes Misstrauen. Klar, denn wohin 866 Millionen. Dazwischen ereignet sich Architektur als man auch schaut: Irgendwo explodieren im- In der bayerischen Staatsregierung könnte Summe unzähliger Entwurfsoptimierungen, mer irgendwelche Baukosten mit einem lau- man sich auch gedacht haben: Von den 866 Mil- die im Idealfall sowie am Ende zu einem ten „Bouuumm“. lionen Euro ziehen wir 77 ab und halbieren das ausgewogenen Verhältnis ästhetischer, tech- Nach der „Bauherren-Studie 2017“ liefen Ganze (Elbphilharmonie-für-Arme-Faktor). So nischer, funktionaler und – selbstverständlich! beispielsweise bei mehr als 70 Prozent der in erhält man jenen Wert, der als „Kostenschät- – auch ökonomischer Aspekte führen. Mit der den letzten fünf Jahren privat erbauten Häuser zung“ nun herumvagabundiert und so gescheit Betonung auf „am Ende“. Nach der Vor- und die Kosten aus dem Ruder. Und nur jedes zwei- ist wie ein Backstein. Eine Bitte an die Politik Durchplanung und vor dem Bau. te Eigenheim konnte fristgerecht bezogen wer- und andere Möchtegern-Bauherren: Erbarmt Wer also war zu einem Zeitpunkt, da die den. Man kann sich fragen, ob Deutschland, euch, lasst die Fachleute vorher ihre Arbeit ma- Experten wissen, dass sie nichts wissen, so Hochburg der Gotik, Geburtsstätte des Bau- chen, damit hinterher nicht schon wieder die schlau, die 370 Millionen in den öffentlichen hauses und überdies das Land mit der größten Kosten explodieren. 11
SZ Plan W | Sonstiges 4. Juni 2016 Von GERHARD MATZIG D a ist es, ein kleines Zögern, ein flir- rendes Innehalten. Schon ist es weg. „Nein“, sagt Regina Dahmen-Ingenhoven Regina Dahmen-Ingenhoven sitzt entspannt in ihrem Garten. Genauso entspannt schaut sie auf ihre Lebensentscheidung – für Kinder, gegen die Weltkarriere. Foto: Sabrina Weniger mit fester Stimme, „ich bedaure meine Ent- scheidung nicht.“ Nämlich die Entscheidung Die Gattin des Genies für die Kinder – und gegen die Karriere. In Düsseldorf arbeitet die Architektin in dem von ihr gegründeten Designstudio mitten im sogenannten Medienhafen. Die Lage fast unmittelbar am Rhein, Kaistraße 12, Wohin verschwinden die Frauen, die in den Architekturvorlesungen 55 Prozent der wo alles fließt, mag einem auch jene Gelas- Studierenden ausmachen? Die Geschichte der Ingenhovens gibt einige Antworten senheit vermitteln, eine Entscheidung eine Entscheidung sein zu lassen. „Klar“, sagt sie, „ich habe auch einen gewissen Preis dafür gezahlt. Aber wenn Sie glauben, man Es gibt dazu Zahlen. Davon gleich mehr, sind namhafte Architekten. Ein Dream-Team könnte wirklich beides haben, viele Kinder, denn zuvor ist hier die Geschichte der Ingen- am Bau. Kennengelernt haben sie sich in Aa- eine große Familie – und zugleich enorme hovens zu erzählen, weil sie so typisch ist. chen im Studium. Er war einer der besten Stu- Ambitionen im Beruf ausleben: Das ist eine Vielleicht sollte man schon vorneweg wissen: denten. Sie war eine der besten Studentinnen. Illusion.“ Das stimmt, zumindest für eine Regina Dahmen-Ingenhoven, 54 Jahre alt, Dann kam die Liebe, dann kamen die fünf Architektin. Für einen Architekten stimmt und der zwei Jahre ältere Christoph Ingenho- Kinder, heute zwischen 15 und 28 Jahre alt, es nicht. ven, sind seit drei Jahren geschieden. Beide es kam die Karriere, nämlich der Aufbau des 12
4. Juni 2016 SZ Plan W | Sonstiges heute in aller Welt bekannten, 80 Mitarbeiter Und jetzt? Jetzt sind sie getrennt und ha- vergangenen Jahres waren unter den 81 „Best umfassenden Büros Ingenhoven Architects. ben jeweils ihre Büros. Er ein sehr großes. Sie of the Best“-Preisträgern des renommierten Dann kam die Scheidung. eines mit großer Frauenquote, das eher klein Red Dot Awards wie viele Frauen? Eine. Heute, im Medienhafen, hat Regina ist. Und nein, keiner der beiden Ingenhovens In einer Studie heißt es: „Viele Frauen Dahmen-Ingenhoven vier feste Mitarbeiter. würde über den anderen Ingenhoven ein bö- sind gute Teamplayer, aber schlechte Ego- Derzeit erarbeitet sie für das Münchner Mo- ses Wort sagen. Sie sagt vielmehr: „Wir hatten manen.“ Die im Frühjahr verstorbene bri- deunternehmen Allude ein ganzheitliches eine klassische Arbeitsteilung, von Anfang tische Architektin Zaha Hadid, eine von zwei Gestaltungskonzept. Sie hat Apotheken ein- an. Und ich habe das auch so gewollt. Als Frauen, die je den Pritzker-Preis, eine Art gerichtet, eine Kinderarztpraxis entworfen, Mutter habe ich andere Prioritäten gesetzt. Nobelpreis der Architektur, errungen haben, Showrooms inszeniert. Doch, ja, die promo- Für mich war und ist die Erziehung meiner meinte einmal im Interview: „Es gibt einfach vierte Architektin, die im Studienfach „Ent- Kinder eben auch eine sehr schöne und wich- Berufe, in die Frauen nicht so gut reinkom- wurf“ nie eine andere Note als „1,0“ erzielte, tige Form der Selbstverwirklichung.“ Also men. Keine Ahnung, was männliche Archi- arbeitet erfolgreich und anerkannt als Archi- alles gut? Fast. tekten mit ihren Kunden machen – golfen, tektin. Mit einem kleinen Büro, das nur einen Tatsache ist, dass Frauen in planenden segeln, ein paar Drinks an der Bar? Echt, kei- männlichen Mitarbeiter und somit eine, wie Berufen benachteiligt sind. Nach einer Erhe- ne Ahnung.“ Hadid wirkte, als sie das sagte, Regina Dahmen-Ingenhoven nicht ohne Iro- bung der Bundesarchitektenkammer vom Ja- etwas gelangweilt. Vermutlich, weil die Vor- nie anmerkt, „sagenhafte Frauenquote von 75 nuar 2016 beträgt der Anteil von Frauen im stellung von den Deals an der Bar unter Män- Prozent aufweist“. Es geht ihr also gut. Sie ist Bereich freischaffender Hochbauarchitekten nern ein langweiliges Klischee ist. Also eines, zufrieden. Und doch … gerade einmal knapp 22 Prozent. Unter ge- das stimmt. Wie soll man das jetzt sagen? Das Büro werblich tätigen Stadtplanern sind es sogar Ist es also die Bar, die den Unterschied ihres geschiedenen Mannes, auch im Medi- nur neun Prozent. Das ist absurd, denn es macht, siehe Hadid? Oder der Kinderwunsch, enhafen gelegen, keinen Steinwurf entfernt gibt mehr Architekturstudentinnen (2013: 55 siehe Ingenhoven? Ist der Beruf am Ende per vom Designstudio der Frau, ist berühmt. In- Prozent) als Architekturstudenten. Und es ist se „männlich“? Er ist zumindest nicht beson- genhoven Architects bauen in Sydney und kein Geheimnis, dass Frauen die insgesamt ders familiengerecht. Die 38,5-Stunden-Wo- Helsinki, in Jerusalem und Tokio. Christoph besseren Zensuren erzielen. Von mehr und che ist nicht die Regel in den Architekturbü- Ingenhoven ist einer der wenigen deutschen besser ausgebildeten Architektinnen bleiben ros. Nachtschichten dagegen schon. Architekten, der sich international durchset- also auf dem Weg durch den Berufsalltag nur Es kommt aber wohl noch etwas gravie- zen konnte. Er ist ein Pionier energieeffizi- sehr wenige Frauen übrig, die es in ihrem rend anderes hinzu: Architekten sind nach enter, kluger und fortschrittlicher Architektur, Beruf an die Spitze oder zu einem eigenen einem klassischen Berufsverständnis immer die nicht als Jute-statt-Plastik-Tasche rüber- Büro schaffen. auch Selbstdarsteller. Schon der französische kommt, sondern aufregend schön ist. Er ist Architektinnen verdienen im Schnitt da- „Revolutionsarchitekt“ Claude-Nicolas Le- der Verfasser des berühmten, auch berüch- her 30 Prozent weniger als ihre männlichen doux (1736 –1806) meinte, Architekten seien tigten Stuttgart-21-Projekts und der Architekt Kollegen. Und was die Berufspolitik angeht: die „Rivalen des Schöpfers“ beziehungsweise vieler bekannter Gebäude. Unter den 16 Präsidenten der Länderarchitek- die „Titanen der Erde“. Die ersten „Stararchi- Man darf wohl sagen: Er hat fünf Kinder tenkammern befinden sich drei Frauen. Die tekten“ der Moderne, Frank Lloyd Wright am und ist ein berühmter Architekt – sie hat fünf Lehre? An der ETH Zürich – es ist eine der Beginn und Le Corbusier Mitte des 20. Jahr- Kinder und ist, genau: eine Architektin. Er hat namhaftesten Architektenausbildungsstätten hunderts inszenierten sich in dieser Tradition sich um das Büro gekümmert (und um die Fa- der Welt – sind nur wenige Lehrstühle von ganz bewusst als geniale Künstler. Als Wright milie), sie hat sich um die Familie gekümmert Frauen besetzt. Nicht anders sieht es bei den einmal bei einem Prozess als Zeuge befragt (und um das Büro). Designerinnen und Designern aus. Im Juni wurde und Namen und Beruf angeben sollte, 13
SZ Plan W | Sonstiges 4. Juni / 20. Februar 2016 gab er zu Protokoll: „Ich heiße Frank Lloyd Images schmückte er sich später mit dem Wright und bin der bedeutsamste Architekt Geburtsnamen der Mutter (Rohe) und adel- aller Zeiten.“ Später meinte er, er hätte nichts te sich gleich mal selbst. Was ihn aber auch anderes sagen können – denn: „Ich stand ja nicht daran hinderte, die bedeutsamste Sen- unter Eid.“ Bescheidenheit gehört möglicher- tenz der Architekturgeschichte zu definieren: weise nicht zu den wichtigsten Tugenden am „Weniger ist mehr“. Bau. Frank Lloyd Wright entwarf ein Hoch- Was die Karriere in der Architektur an- haus mit atomgetriebenen Aufzügen. Le geht: Da ist mehr Selbstbewusstsein mehr. Corbusier wollte die halbe Altstadt von Paris Man könnte jetzt noch erzählen, wie über- abreißen lassen. Und der vor zwei Jahren ver- aus erbärmlich sich Le Corbusier gegenüber storbene österreichische Architekt Hans Hol- seiner Kollegin Eileen Gray verhielt, deren lein skizzierte ein Hochhaus in Form eines Haus er während ihrer Abwesenheit und aus- erigierten Phallus. drücklich gegen ihren Willen mit fünf großen Die Baugeschichte ist voller Frauen, die Wandgemälden ausmalte, und das auch noch sich nur sehr mühsam durchsetzen konn- nackt – als müsste er sein Revier markieren. ten. Margarete Schütte-Lihotzky etwa (1897 Am Ende ist es so, wie das Regina Dah- –2000). Sie war die erste Architektin, die men-Ingenhoven formuliert: „Du kannst in Österreich ein Architekturstudium abge- nicht alles haben.“ Viele großartig begabte schlossen hat. Wofür wurde sie bekannt? Für Architektinnen verzichten auf die ganz groß- den Entwurf der „Frankfurter Küche“. Man en Erfolge, auf die kühnsten Hochhäuser und fand wohl, dass auch eine Architektin in der spektakulärsten Museen. Sie kümmern sich Küche noch am besten aufgehoben wäre. Im nicht um ihr Image, sondern um die Familie. Von GERHARD MATZIG Interview erzählte sie einmal, dass es we- Und andere Architektinnen und Designer- der eine „männliche“ noch eine „weibliche“ Form der Architektur gäbe. Es gäbe aber eine männliche Dominanz am Bau und in den Bü- innen, die sich durchgesetzt haben und heute namhafte Büros führen, es gibt sie natürlich, konnten zwar viele wunderbare Häuser, aber D üsseldorf ist eine famose So-lala- Stadt. Einerseits so, andererseits so. Einerseits also sagen die Düsseldorfer ihren ros. Frauen würden sich da noch weitere 100 keine Familie aufbauen. In Liza Marklunds Rosenmontagszug ab, bloß weil ein Sturm Jahre schwertun. „Ich glaube“, sagte sie, „die Kriminalroman „Olympisches Feuer“ arbeitet droht. Wobei sich dieser als zwar windige, Gleichberechtigung in der Architektur erlebe eine begabte Architektin am Bau des Olym- letztlich aber harmlose Angelegenheit er- ich nicht mehr.“ piastadions. Sie kann sich in der Männerwelt weist – worüber die antagonistischen Köl- Das galt auch für die Designerin Lilly am Bau nicht durchsetzen, daher ist sie fru- ner, die dem Wetter die Stirn und ihrer Stadt Reich, die die erste Frau im Vorstand des striert – und bringt ein paar Kollegen um, be- den „Zoch“ geboten haben, noch immer Deutschen Werkbundes wurde. Ab 1926 ar- vor sie das Stadion in die Luft jagt. Das sollte lachen. Einerseits also ist Düsseldorf viel- beitete und lebte sie mit Ludwig Mies van der einem eine Lehre sein. leicht etwas tantenhaft und das Draufgän- Rohe zusammen. Kongenial war sie sowohl Regina Dahmen-Ingenhoven übrigens gertum wohnt womöglich woanders. An- am Barcelona-Pavillon wie am Bau der Vil- träumt von einer Welt, in der Männer und dererseits haben sich die Düsseldorfer nun la Tugendhat beteiligt. Beides sind Ikonen Frauen in vollkommener Harmonie ein Gan- eine U-Bahn gebaut, die nicht nur die In- der Moderne. Und beide Bauten schreibt zes bilden. Auch in der Architektur. Alles an- nenstadt, sondern auch die Ränder des Son- man eindeutig Mies zu. Übrigens hieß er ur- dere sei zu wenig. Vielleicht sind Frauen ja nensystems erschließt. Kühner geht’s kaum. sprünglich Ludwig Mies. Aus Gründen des doch die radikaleren Utopisten. David Bowie, inspiriert übrigens einst von 14
20. Februar 2016 Süddeutsche Zeitung | Feuilleton als 50 000 Menschen besucht werden, ma- chen dann aus Düsseldorf die abgründigste Stadt Deutschlands: eine Stadt mit einem gewaltigen unterirdischen Kunstareal. Dass man das Sonnensystem in der U- Bahnstation Benrather Straße räumlich sug- gestiv erleben kann, ist das Verdienst einer eigentlich unmöglichen, jedenfalls kaum je anzutreffenden Symbiose von Verkehrspla- nung, Architektur und Kunst. Der Schweizer Installationskünstler Thomas Stricker hat sein Konzept „Himmel oben, Himmel un- ten“ verwirklicht. Mithilfe von sechs großen Monitorwänden, die sich über die Wartebe- reiche des mittig im Düsseldorfer Banken- viertel gelegenen Bahnhofs verteilen, stellt sich das Gefühl ein, man sei nicht unterir- discher Passant des Nahverkehrs – sondern überirdischer Passagier eines Raumschiffs. Dort, wo man anderswo in den zugigen, Manuel Franke macht aus einer Rolltreppe einen befahrbaren Farbrausch. Foto: Jörg Hempel zugleich meist miefigen Kachel-Verliesen beim odysseehaften Herumschlurfen – war- tend auf die nächste U-Bahn – normalerwei- se das Elend der öden Werbeplakate oder die Einfach mal runterkommen unheilvoll vom Neongeflacker verdüsterten Auslagen depressiv anmutender T-Shirt-Läd- chen studiert, tut sich nun ein Blick in das bewegte Schwarz des Universums auf. Man Die gekachelte Tristesse der U-Bahn ist ein Schrecken. Doch in Düsseldorf wird sieht Merkur, Venus oder Mars vorbeiziehen, der Abgrund neu erfunden – als grandioser Kunst- und Architekturraum man nähert sich schwerelos dem Asteroiden- gürtel – bis man das Gefühl hat, nicht auf die nächste U-Bahn Richtung Pempelforter Straße zu warten, sondern auf den nächsten der Band La Düsseldorf, lässt grüßen: put eines radikalen Utopismus, der sich auch interstellaren Trip Richtung Milchstraße. your helmet on. ohne Rosenmontag als neue U-Bahnstrecke Man vergisst im Ambiente raffiniert Düsseldorf ist also angenehm solide bis namens „Wehrhahn-Linie“ verkleidet hat. zugeschnittener und bisweilen futuristisch irre. Beziehungsweise: Die Stadt Heinrich An diesem Samstag wird die knapp 850 anmutender Räume, dass man sich im Heines („ein kühnes Beginnen ist halbes Millionen Euro teure, 3,4 Kilometer lange Untergrund befindet. Dass man also dem Gewinnen“) ist offensichtlich nicht nur Linie eröffnet. Sechs denkwürdig experi- Himmel leider sehr fern ist. Und dann im- harmlos, sondern zugleich auch der Hotspot mentelle U-Bahnhöfe, die täglich von mehr mer diese Rolltreppen. Wobei es offenbar 15
Süddeutsche Zeitung | Feuilleton 20. Februar 2016 / 5. Juli 2016 in Deutschland ein Gesetz des öffentlichen unterschiedlicher kaum sein könnten. Die Nahverkehrs gibt, wonach von zwei Roll- einen planen die „Entfluchtung der Bahn- treppen grundsätzlich drei wegen drin- steige“, die anderen reden vom „räumlichen gender Wartungsarbeiten ruhen. Kontinuum“. Kosten darf beides nichts. Das Wunder besteht nun darin, dass Ohne Paartherapie ist so eine Beziehung man sich in Düsseldorf gern aufhält in der kaum vorstellbar. U-Bahn – etliche Meter unter der Erde. Als Die Kraft zum ausmoderierten Ganzen wäre man gar nicht fern von allem, was Auf- steckt im Entwurf und in der kommunika- enthaltsqualität und Anregung verspricht. tiven Baukultur von netzwerkarchitekten. Stattdessen ist der U-Bahnhof plötzlich in Sie haben zusammen mit einem verstän- poetischer Weise das, was Tucholsky von digen Tiefbau und einer aufgeschlossenen Bahnhöfen als Kubaturen der Moderne ein- Stadtverwaltung nicht lediglich ein Tun- forderte: „Hier ist Aufenthalt.“ nelsystem realisiert, in dem die Stadtbahn Das Wunder einer so intelligenten wie unterirdisch verkehrt (in Düsseldorf ist die sinnlichen Neuinterpretation der 1863 in U-Bahn eine Art Straßenbahn, die sich ihre London beginnenden U-Bahn-Historie ver- Energie auch unter der Erde aus Oberlei- dankt sich an der Benrather Straße nicht nur tungen holt). Wobei die Bahn auch keine der Installation von Thomas Stricker, die den sechs unterschiedlich gestalteten, mit Kunst transitorischen Zwischenraum, das ewige aufgehübschten Bahnhöfe anfährt. Vielmehr Wartezimmer öffentlicher Mobilität, umdeu- haben die Architekten den gesamten Raum, tet in den Raum an sich, den Weltraum; es also Tunnel und Bahnhöfe, als „Kontinuum“ verdankt sich auch einem Architekten-Wett- erdacht – einheitlich gestaltet und räumlich bewerb, der im August 2001 auf visionäre Thomas Strickers Installation „Himmel oben, als Ganzes erlebbar. Weise entschieden wurde. Heute lässt sich Himmel unten“ (rechts) macht die U-Bahnfahrt Das heißt: Die Bahnhöfe fungieren wie zum Weltraumtrip. Sechs große Monitorwände, die feststellen: Das Experiment ist geglückt. sich in den Wartezonen und Übergängen befinden, Ausweitungen, Raumöffnungen der auch in 15 Jahre lang hat das Darmstädter Büro bieten eine spektakuläre Interpretation des Sonnen- der Gestaltung und in den zurückhaltend netzwerkarchitekten – zusammen mit der systems. Foto: Jörg Hempel gewählten Materialien erfahrbaren Tunnel- Berliner Künstlerin Heike Klussmann – an technik. Was anderswo als normierter Ba- der Wehrhahn-Linie gearbeitet. Was lange nalraum zu erleiden ist, Sperrengeschosse währt, wird endlich tief. Zugegeben, auch an- Formsprachen. In unterschiedlichen Mate- nach DIN-Norm, Brandschutz und ökono- derswo, etwa in München, sind in den letzten rialien. Und mit unterschiedlich gelungenen mischem Kalkül, hier ist es Licht, Form, Jahren ambitioniert gestaltete U-Bahnhöfe – oft als reines Dekorum missverstandenen Chiffre und Raum: Baukultur. Wo immer entstanden; auch anderswo hat man im Zuge – Kunst-am-Bau-Bemühungen. möglich, schaufeln die Architekten das Ta- des erwünschten Ausbaus öffentlicher Ver- Anders in Düsseldorf: Hier, das ist das geslicht bis auf den Grund der Gleisbetten. kehrsmittel den baukulturell lange vernach- Besondere an diesem signifikanten und Wo immer sinnvoll, schaffen sie Aus- und lässigten U-Bahnbau architektonisch aufge- vorbildlichen Projekt, arbeiteten von An- Einblicke, Sichtachsen und Querbezüge. rüstet. Aber entstanden sind meist Bahnhöfe, fang an Ingenieure, Stadtplaner und Archi- Die unterirdische Gefangenschaft veredeln die sich innerhalb ihrer Linien ausnehmen tekten sowie Künstlerinnen und Künstler sie in Raumqualität. Vor allem: Werbepla- wie eine disparate Dauerausstellung zeitge- zusammen. Selbstverständlich ist das nicht. kate oder Kommerzläden gibt es nicht in nössischer Baukunst. Mit unterschiedlichen Schließlich begegnen sich Welten, wie sie der Wehrhahn-Linie. Die U-Bahn ist allein 16
20. Februar 2016 / 5. Juli 2016 Süddeutsche Zeitung | Feuilleton den sechs Werken verschiedener Künstler verpflichtet. Ja, gut, auch kommt man prima von A nach B. Städte wachsen überall auf der Welt. Verkehrlich auch in den Boden hinein. Düs- seldorf bereichert diese Entwicklung mit einem einmaligen Raumexperiment: Kunst und Architektur als Taktgeber urbaner und suburbaner Mobilität. Die U-Bahnfahrt wird so nicht zu einem nervigen Geruckel von Station zu Station, das man nur mit dem E-Mail-Checken auf dem Handy übersteht, sondern zu einer sinn- Zur Feier der Schöpfung lichen Raumreise. Beschleunigt von jener Kreativität, die aus toter U-Bahn-Zeit vitale Kunst zu formen weiß. Heike Klussmann, die die Station Pem- pelforter Straße künstlerisch interpretiert und Inspiriert vom Atomtest: Vor siebzig Jahren wurde der durch den gesamten Bahnhof weiße Bänder Bikini in Paris der Weltöffentlichkeit vorgestellt wie die Bewegungslinien einer neugierig den Raum erobernden Flipperkugel gelegt hat, macht aus einem einfachen Verkehrsraum ein komplexes Volumen: „Aufenthalt“. Oder Von GERHARD MATZIG Gerne in weiblicher Form, wobei von Ralf Brög, der die Station an der Heinrich- Borat in seinem neongrünen „Mankini“ zu Heine-Allee visuell, vor allem aber akustisch als Aufführungsort wechselnder Soundcol- lagen nutzt. Dem üblichen „Muzak“, also B auhistorisch betrachtet ist der Bikini die Vollendung der gotischen Kathedrale. Beide Architekturen verdanken sich moder- schweigen ist. Da ist man ja ganz beim Va- tikan und kann den Bikini für Männer, da er die darin wohnenden Geschöpfe nicht jenem Klangteppich, der aus den Fahrstuhl- ner Tragwerkslehre: der Leichtbauweise. Bei verherrlicht, sondern demütigt, nur als sa- schächten und Kaufhäusern mittlerweile der gotischen Kathedrale geht es darum, die tanische Idee verwerfen. Der Bikini, so ist auch schon in die ersten U-Bahnhöfe suppt Wandflächen und Gewölbemassen auf ein zu befürchten, ist grundsätzlich auch ohne (sehr gerne Mozart), setzt er den Klang der Minimum zu reduzieren, um möglichst viel Bikini-Mädchen-Plakatverbot-Diskussion Gegenwart entgegen. Das Publikum ist Teil Göttliches, zum Beispiel Sonne, hinein zu etwas sexistisch: Männer müssen leider davon. Auch das ist ein Experiment. lassen. Dies zur Feier der Schöpfung. Beim draußen bleiben. Ein von Brög beschallter Bereich im U- Bikini geht es darum, die Stoffmassen zur Ein bedeutsamer Modeschöpfer des 20. Bahnhof wird sich das am Computer modi- Bedeckung der Gewölbe auf ein Minimum Jahrhunderts, Óscar de la Renta, sagte übri- fizierte Vogelgezwitscher zunutze machen. zu reduzieren, um möglichst viel Göttliches, gens einmal, dass die vollendete Kunst darin Dass man mal nach Düsseldorf kommen zum Beispiel sonnenbraune Haut, hinaus zu bestehe, die Kontur einer Frau auf geschick- würde, um ausgerechnet in der U-Bahn der lassen. Dies zur Feier wenn nicht der Schöp- te Weise zu enthüllen, indem man sie raffi- Rheinbahn AG, umgeben von Kunst und Ar- fung, so doch ihrer Geschöpfe, die nicht mehr niert verhüllt. Nichts anderes, gelegentlich chitektur, zu chillen: Das ist echt abgefahren. im Paradies, bisweilen aber im Freibad leben. sogar ohne Raffinesse, tut der Bikini, der vor 17
Süddeutsche Zeitung | Feuilleton 5. Juli 2016 siebzig Jahren der Weltöffentlichkeit im Pari- ser Art-déco-Bad Piscine Molitor vorgestellt wurde. Ironischerweise wurde er nicht von einem Architekten oder Modeschöpfer erson- nen, sondern von einem Automechaniker und Maschinenbauingenieur namens Louis Réard. Der Bikini ist eine geniale Konstruktion. Er besteht, denn weniger ist mehr in der Mo- derne, im Prinzip nur aus vier Dreiecken und zwei Kordeln. Der Bikini als Miniaturbauwerk folgt somit einerseits der „Bekleidungstheo- rie“ des Gottfried Semper. Dieser Theorie zu- folge, sie ist maßgeblich für das Verständnis der gesamten Moderne, geht es beim Bauen vor allem um das Verhältnis von architekto- nischem Kern und Hülle, von Ornament und Struktur. Der Körper wäre insofern der Kern – aber der Bikini ist das Ornament. Beides zusammen ergibt: Überwältigungsarchitektur. Am Bikini lässt sich zudem die Formel „Form follows function“ erklären. Einer ih- Der Erfinder des Bikinis, Louis Réard, hatte von Anfang an den Tabubruch im Sinn: rer Urheber, Louis Sullivan, schrieb: „Ob es So wurde der Bikini am 5. Juli 1946 in Paris präsentiert – von der Nackttänzerin Micheline Bernardini. Andere Models trauten sich nicht. Foto: SIPA der gravitätische Adler in seinem Flug sei oder die geöffnete Apfelblüte (. . .) der an- mutige Schwan, die sich abzweigende Eiche (. . .) die Form folgt immer der Funktion. Das für 60 000 Dollar ersteigert wurde; manchmal ist. Als Réard am 5. Juli 1946 seine Erfindung ist Gesetz. Wo die Funktion sich nicht än- gelingt es nicht, dann ist man zum Beispiel die durch die Nackttänzerin Micheline Bernardini dert, ändert sich die Form nicht.“ Ob es also 17-jährige Ilonka, die an drei Wochenenden vorführen ließ, sollte der Skandal nach Mög- der gravitätische Stringtanga oder das geöff- der 1960er-Jahre die Fußböden von Altershei- lichkeit „einschlagen wie eine Atombombe“. nete Triangel-Oberteil sei – jedenfalls bleibt men putzen musste, weil sie auf dem Münch- Über die wurde damals sehr viel und sehr die Funktion immer die gleiche: Man liegt ner Viktualienmarkt im Bikini aufgegriffen naiv gesprochen, denn wenige Tage vor der da, die geeignete Form vorausgesetzt, und wurde. Die Geschichte des Bikinis, den es Bikini-Präsentation hatten im Bikini-Atoll versucht als gotische Kathedrale im funk- mittlerweile in allen Formen und Materialien der Marshallinseln Atomwaffentests stattge- tionalistischen Gesamtzusammenhang die gibt (selbst aus dem 3-D-Drucker), den es für funden. Da hat man ja nun mit der Geogra- Schöpfung zu preisen und ein Stück Bauge- Männer oder auch für den Islam in Form des fie auch wieder großes Glück gehabt. Es gibt schichte zu sein. Und nebenher hübsch braun Burkinis gibt, ist immer auch die Geschichte nämlich viele Atomwaffentestgebiete. Etwa zu werden. seines eigenen Skandals. in Kasachstan. Möchte man im Freibad aber Manchmal gelingt das, dann ist man zum Sein Erfinder hatte von Anfang an den raunen: „Boah, guck ma’, dort drüben, die da Beispiel Ursula Andress in „Dr. No“ und ent- Tabubruch im Sinn. Daher auch der seltsame im roten Semipalatinsk?“ Alles in allem: Der steigt dem Meer in jenem Bikini, der später Name, der einer Marketing-Idee geschuldet Bikini ist perfekt. 18
21. Februar 2018 Süddeutsche Zeitung | Feuilleton Die „Messestadt“ in München: besser als ihr Ruf – zugleich berechtigter Anlass zur Architektenschelte. Foto: michael steiner Von GERHARD MATZIG F laubert oder McDonald’s? Man weiß gar nicht so recht, ob man Manuel Pretzl eher mit dem französischen Roman- „Alles Schwachköpfe!“ cier Gustave Flaubert – oder doch mit dem McDonald’s-Kinospot zum Thema „Woh- Eine Münchner Debatte und die Frage: Welche Rolle spielen Architekten im nen“ gerecht wird. Zur Sicherheit kann landesweiten Wohnungs- und Städtebau-Fiasko? man dem Mitglied des Münchner Stadtrats und CSU-Fraktionschef, der eine weit über München hinausweisende Architektur-De- batte losgetreten hat (SZ vom 10. Februar), sonst? – schwarzen Rolli seine sich über nen dem Politiker Pretzl zunächst recht zu ja mal beide Zitate anbieten. mangelnde Gemütlichkeit beschwerende geben. Architektenschaft und Gesellschaft, Flaubert meinte im 19. Jahrhundert: Bauherrnschaft im neu errichteten, gleißend Politik und Planung wären demnach reif für „Architekten, alles Schwachköpfe! Verges- weiß als Insektizidsiederei vollgekachelten eine ernsthafte Paartherapie. Möglicherwei- sen immer die Treppen im Haus!“ Und im Heim so ab: „Wenn Sie was Warmes wollen, se hat man sich ja etwas auseinandergelebt Werbespot des US-amerikanischen Brat-Im- dann gehen Sie doch zu McDonald’s.“ Bei- in einer langen Ehe, die von einer langwie- periums bügelt ein smarter Planer im – was de Quellen, Fast Food wie Literatur, schei- rigen Depression kaum zu unterscheiden ist. 19
Süddeutsche Zeitung | Feuilleton 21. Februar 2018 Mit Blick auf die jüngere Baugeschichte ausgenommen, einem immer größeren, zu neu. Gut gemachte Städte bestehen aus an der Isar stellt Pretzl, ein Münchner, die- Recht immer kritischeren Publikum eher als einem großen, im Wortsinn gut aufgestellten se Diagnose: Die Architektur in München, Heimsuchung – denn als das, was die Archi- Chor alltäglicher Belanglosigkeit (besser: namentlich auch die in den neueren Wohn- tektur Ernst Bloch zufolge sein müsste: „ein Normalität, Tradition) und den Soli der dann vierteln, sei „belanglos und uniform“. Produktionsversuch menschlicher Heimat“. auch gern innovativen Sehenswürdigkeiten. Er sagt: „Das hat keine Lebensqualität.“ So weit – so Pretzl, wobei man dem Städtebau ist eine Frage der Balance und der Verantwortlich dafür sei „eine Clique aus Politiker auch danken kann für offene, di- Schichtung von Historie und Zeitgenossen- zwei Handvoll Architekten, die entweder plomatiefreie Worte und den Mut, sich weit schaft. Wenn es den Architekten der Gegen- ihre Entwürfe einreichen oder in der Jury hinauszulehnen. Das ist ernst zu nehmen, wart an Mut fehlt, so ist es wohl eher der Mut sitzen.“ So fordert der Politiker in Robin- anregend – und sollte daher die Architekten- zur Demut. Man wünschte sich ja gern eine Hood-Pose: „Wir müssen die Stadt von den schaft nicht gleich zu empörungsritualisier- Macht der Gestaltung, doch am Bau herrscht Architekten zurückholen.“ ten Beißreflexen animieren. stattdessen die Ohnmacht der Gestalter. Woraufhin sich in den letzten Tagen die Dennoch lehnt sich die lustvoll harsche Zudem ist es so, dass gerade auf dem gesamte Architektenschaft von Sherwood Kritik an einer Profession, die als eine Art Terrain des Wohnungsbaus Architekten Forest / München wie ein Mann (erfolgreiche Darth-Vader-Kaderschmiede und Dunkel- nicht das Problem, sondern die Lösung dar- Frauen gibt es am Bau leider selten) erhoben welt parodiert wird, allzu weit aus dem Fen- stellen. Denn dieser Wohnungsbau folgt zu- hat, um die Ehre des in McDonald’s-Manier ster; entsprechend tief fällt sie – nämlich auf meist vielen Stimmen, selten aber auch einer abgebürsteten Berufsstandes zu verteidigen. ein tendenziell dämliches Klischee herein. architektonischen, stadträumlichen Idee. Zu Nein, heißt es jetzt unisono, so gehe das Hätten Architekten wirklich (und nicht: als den Stellgrößen, die aus unseren Städten das nicht, die Vorwürfe seien erstens „von ver- „Clique“, die es nicht gibt) die Macht, un- machen, was man als gebauten Würfelhu- schwörungstheoretischer Natur“ und zwei- sere Städte und Wohnquartiere in nennens- sten wahrnimmt, gehören zunächst einmal tens „reinster Populismus“. werter Weise zu entwerfen und zu gestalten, die Bauherren, die eher den Gesetzen des Ach, es ist herrlich. Einerseits. Und an- so sähe die Welt eher nicht so „belanglos Marktes als jenen der Proportionen folgen. dererseits müsste man der Debatte Comedy- und uniform“ aus, wie sie nun mal aussieht. Die Städte der Vergangenheit sind deshalb Qualität bescheinigen, würde der Münchner Wobei darin schon der erste Denkfeh- oft schöner als die Wohnsteppen der Gegen- Komödie nicht auch die Tragik der Realität in ler einer ansonsten angenehm tempera- wart, weil die wichtigsten „Player“ keine ganz Deutschland innewohnen. Denn tatsäch- mentvollen Kritik aufscheint: Belanglose ahnungslosen, baukulturell ungebildeten lich ist dort, wo so oft „Populismus“ drauf- Städte sind oft deshalb schön (harmonisch, Bauherren waren, sondern garantiert anti- steht, meist auch erstaunlich viel Volk drinnen. alltagstauglich, menschenfreundlich), weil demokratische Könige und Kirchenfürsten. Mit anderen Worten: In aller Drastik be- ihnen Ambition und Belang, um jeden Preis Von Ludwig I. ist bekannt, dass er bei Leo schreibt Pretzl, eine architekturkritische Be- nicht belanglos oder wenig ambitioniert er- von Klenze Stilkunde büffeln musste (Klen- gabung ersten Ranges, ziemlich genau das, scheinen zu wollen, fast vollständig fehlen. ze attestierte seinem König eine mäßige was viele Menschen auch so empfinden. Spektakel dagegen, modisch angelegte zu- Begabung). In solch eine Architekturschule Überall. Denn die tristen Ränder der Stadt mal, können ganz schön hässlich und grund- wünschte man sich auch manche Manager, München sind von den tristen Rändern der sätzlich leider auch sehr penetrant sein. Den die heute so gern als Bauherren auftreten. Stadt Gütersloh, die selbstverständlich eine Münchner Architekten und allen anderen Um die Baukultur, die sich immer nur dann Perle ist zwischen Teutoburger Wald und Planern müsste man also eher mal zurufen: einstellt, wenn Auftraggeber und Auftrag- Westfälischer Bucht, nicht zu unterschei- Beruhigt euch doch bitte, schaut euch das nehmer, Bauherren und Architekten auf Au- den. Das neue Bauen gilt, singuläre Spek- Gelungene von der Baugeschichte ab – und genhöhe agieren, stünde es besser. takel-Architektur abseits der Wohnregale erfindet nicht jeden Montag die Architektur Gerade im Wohnungsbau zeigt sich, 20
21. Februar 2018 / 12. März 2016 Süddeutsche Zeitung | Gesellschaft dass die Architekten in den Diskussionen um Grundrisse und Fassaden, um Materi- alien und Konstruktionen, um Städtebau und Freiflächen selten das letzte Wort ha- ben. Den eigentlichen Entscheidern, darun- ter gerne Betriebswirte und Juristen sowie Das Wunder Immobilienkaufleute, dienen Architekten am Ende zumeist nur als Verhübscher und Fassadisten – die daran natürlich auch oft genug scheitern. Überhaupt gibt es logischerweise und Zehn Monate vor der Eröffnung hat die Elbphilharmonie bereits eine nach Art der Normalverteilung auch un- tolle Karriere hinter sich: Sie war ein Traum, ein Fiasko, ein Witz – nun ist sie ter Architekten (wie unter Journalisten, die schöne Geliebte Politikern oder Bäckern) Genies, selten, Durchschnittler, häufiger – und leider auch Vollhonks. Tatsächlich gibt es auch einfach Von GERHARD MATZIG im plattesten Platt und somit schon mal sehr schlechte Architekten, die schlechte Archi- sympathisch antwortet: „dorwegen“. tekturen produzieren, was im Gegensatz zu schlechten Semmeln leider von etwas nach- haltigerem Schaden für die Öffentlichkeit F lach liegt die Barkasse im Wasser. Leicht schwankend, bisschen unsicher. Wie ein vollgelaufener Matrose, der auf der nahen Mit dem Daumen deutet er über die Schulter, über die Reling, über die Barkas- se, über den alten ziegelummauerten Kai der ist. Aber all die schnell und möglichst bil- Reeperbahn, wo die vollgelaufenen Matro- Speicherstadt . . . dann höher . . . höher . . . auf lig hochgezogenen Wohn-Ungereimtheiten, sen seit mindestens einhundert Jahren ausge- etwas, was aussieht wie ein leuchtendes Ge- die die Städte wie Furunkel entstellen, ver- storben sind, die La Paloma Bar sucht, aber birgsmassiv mitten auf dem Wasser. Wie ein danken sich keinem Mangel an architekto- nur den neuesten Fischfoodschnellimbiss schwebender, titanischer Kristall. Ein Wun- nischer Finesse oder Divergenz, sondern hinter der Herbertstraße findet. Die Herbert- der. Als käme gerade der Fliegende Holländer sind einem Mangel an architektonischer straße war übrigens in ihrer bizarren Blöße vorbei. Der Skipper zeigt aber nicht auf das Planung und stadträumlicher Gestaltungs- auch schon mal deutlich anziehender – als so Wunder, sondern auf das Unerhörte. Auf das hoheit geschuldet. Es ist also nicht so, dass ausgezogen, umgezogen und bald auch hin- Dings. Den Skandal. Die Pleite. Das Fiasko. man sich die Städte von den Architekten weggentrifiziert wie jetzt. Auf der einstün- Die Katastrophe. Die Frechheit. Den Wahn- zurückholen müsste: Man muss die Archi- digen Hamburg-Rundfahrt „Speicherstadt & sinn. Auf die dümmste Baustelle der Welt. tekten umgekehrt endlich in die Städte und Hafen“, sie ereignete sich tatsächlich schon Er zeigt auf das Höhöhö-Haus, auf die die Alltäglichkeit hineinholen. vor ein paar Jahren, wird jedenfalls die Hamburger Elbphilharmonie. Zurück zum eingangs erwähnten „Ar- Kehrwiederspitze erreicht. Da sagt der Bar- Das neue Konzerthaus inmitten Euro- chitekten, alles Schwachköpfe“. Flaubert kassenskipper: „Tja, Leute, eigentlich sollte pas größtem Bauprojekt, der Hafencity: eine drückte nicht seinen Unmut über tölpelhafte man die Kehrwiederspitze ja allmählich um- Lachnummer, ein Trauerspiel. Was eine Kro- Treppenvergesslichkeit aus, sondern ironi- benennen: in Kehrniewiederspitze.“ ne werden sollte, ist ein Elend. Ein Grund, sierte ein auch damals schon gängiges Res- Höhöhö. Hamburg für Schilda zu halten. Viele Jahre sentiment gegen das Bauen. Schwachsinnig Die erfahrenen Hafen-Touristen lachen. später fertig als erhofft. Hunderte Millionen fand er nicht die Architekten, sondern die Man selbst ist halblustig drauf. So fragt man: Euro teurer als gedacht. Ein Bau, der vor Ge- Klischees über die Baukunst seiner Zeit. „Wieso das denn?“ Woraufhin der Skipper richt landet. Wie blöd muss man eigentlich 21
Süddeutsche Zeitung | Gesellschaft 12. März 2016 sein? Der Skipper ist jetzt mal so richtig in Es ist also nicht alles gut gegangen. großartig im besten Sinne des Wortes. Es gibt Fahrt – dorwegen. Und trotzdem, wie soll man sagen, man hat viele Ereignisarchitekturen, aber auch immer In einigen Monaten, am 11. Januar 2017, ja schon das eine oder andere Haus gese- noch wirkliche Architekturereignisse – die soll das so spektakuläre wie umstrittene, das hen, aber ein solches noch nie. Man möch- Elbphilharmonie ist ein solches.“ so ersehnte wie befürchtete Konzerthaus te nicht Konzerthaus zum Konzerthaus sa- Die Geschichte, die von Hamburg und endlich eröffnet werden. Nun aber wirklich. gen. Sondern, wäre es nicht so abgegriffen, der Elbphilharmonie erzählt, ist im Grunde Es ist, als würde mit diesem Haus ein Satz Kathedrale. Oder, wäre das nicht noch viel eine typische Liebesgeschichte. In guten wahr werden, der vom Wiener Architekten abgegegriffener, Wunder, Ufo, irgendwas Liebesgeschichten gibt es: Verliebtheit, Ver- Wolf Prix und seinem Coop-Himmelb(l)au- Unglaubliches jedenfalls. Vielleicht sogar: lobtheit, Verheiratetheit . . . und dann, wie es Team stammt, wobei Prix mit der Elbphil- Backsteinmauerreste im brackigen Wasser sich gehört, Hass, Raserei, Verrat. Man sieht harmonie gar nichts zu tun hat. Er mag sie mit oben was aus Glas, Konzertsaal und Ho- sich vor Gericht. Szenen einer Ehe. In die- aber. Was kein Wunder ist. Häuser, die sich tel drauf. Kurz: Die Elbphilharmonie ist fan- sem Fall: mit Happy End. Hamburg liebt als Anarchie, Wahnwitz und Chaos in der tastisch. Vielleicht nicht nur trotz, sondern nämlich seine Elbphilharmonie. Endlich. Gesellschaft erweisen, findet er eigentlich auch aufgrund ihrer Geschichte. Aus dem Lustobjekt wurde ein Hassobjekt grundsätzlich schwer in Ordnung. Die Him- Häuser sind immer dann am schönsten, – und aus dem Hass wurde die große Lie- melblauen dichteten einmal: „Wir wollen wenn sie so aussehen, als hätten sie schon ei- be. Ach, schön. Das sollte auch mal unter Architektur, die leuchtet, die sticht, die fetzt niges hinter sich und noch ein paar Rätsel in Menschen so sein. In der Baugeschichte ( . . . ) Architektur muss schluchtig sein. Le- sich. Darin sind Häuser den Menschen selt- ist es nicht ganz so selten. Es geht stets um bend oder tot.“ sam ähnlich. Misstrauen und jene Zeit, die es manchmal Die höchstdekorierten Architekten der Umso schöner ist nun, dass der Hafen- braucht, um etwas böses Neues (fremd, Skandalphilharmonie, Jacques Herzog und rundfahrtveranstalter von damals auch aus- feindlich, furchtbar) als das gute Alte zu ver- Pierre de Meuron aus Basel, sowie die Pro- weislich der aktuellen Homepage die Kehr- einnahmen (vertraut, tradiert, herrlich). So jektleiter des Baukonzerns Hochtief wollte wiederspitze doch noch so offensichtlich erging es dem Eiffelturm in Paris. Auch der man zur Zeit der Hafenrundfahrt gelegent- ins Herz geschlossen hat: „Weitere Sehens- wurde erst gehasst und danach geliebt. lich lieber tot als lebendig sehen in Ham- würdigkeiten sind die malerischen Fleete Er hatte es nicht schwer, weil er so teuer burg. Und die eigenen Baubehörden hätte und die faszinierende Hafencity mit ihrem wurde, sondern weil er so unfassbar hässlich man am liebsten auch gleich hinterher und neuen Konzerthaus, der noch unvollendeten, werden sollte. Tatsache. Als im späten 19. zu den Fischen geschickt. Hamburg war echt berühmt berüchtigten – und dennoch bereits Jahrhundert der 324 Meter hohe Eisenfach- sauer. Und im Rest Deutschlands sagte man prächtigen – Elbphilharmonie.“ werkturm errichtet wurde, veröffentlichte sich: Höhöhö. Erst berühmt. Dann berüchtigt. Dann Le Temps einen Aufschrei der Empörung: Wie titelte der Stern als Fachmagazin für prächtig. So ist das. „Wir protestieren mit aller Kraft gegen die extraterrestrische Absonderlichkeiten doch Würde man dem Skipper von damals Errichtung des unnötigen und ungeheu- so schön im Jahr 2003, als man sich am Plan erneut begegnen, so fragte man ihn, warum erlichen Eiffelturms. Wird die Stadt Paris für ein „neues Konzerthaus der Superlative“ Hamburg eigentlich so toll ist. So schön. So sich den überspannten, geschäftstüchtigen noch berauschen konnte: „Ufo an der Elbe“. einzigartig. Vielleicht würde sein Daumen Fantastereien einer Maschinenkonstruktion Erst sollte das Ufo 241,3 Millionen kosten – einmal mehr über die Schulter auf die Elbphil- anschließen, um sich für immer zu schän- jetzt werden 860 Millionen Euro daraus. Erst harmonie deuten – und womöglich raunzte er den?“ Man beachte das Vokabular: unnötig, dachte man: „Wenn alles gut geht, wird das einen abermals platterdings so an: dorwegen. ungeheuerlich, überspannt . . . kennt man alles Wunderwerk im Jahr 2008 eröffnet.“ Jetzt ist Der Hamburger Oberbaudirektor Jörn von der Elbphilharmonie. Übrigens wollten es das Jahr 2017. Walter sagt jetzt: „Der Bau wird wirklich ein paar Aktionisten vor einiger Zeit den Eif- 22
Sie können auch lesen