Senioren post wetzlar - Herausgeber: Der Magistrat der Stadt Wetzlar
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senioren September / Oktober 2021 Ausgabe 224 post Herausgeber: Der Magistrat der Stadt Wetzlar wetzlar 1250 Jahre Niedergirmes Spiegelung im Continental-Gebäude in der Philipsstraße Foto: Gabi Geppert
S e ni o r e np o s t W e t z lar Ausgabe Nr. 224 September / Oktober 2021 Nächste Ausgabe voraussichtlich Anfang November 2021 Inhaltsverzeichnis Seite Seite Liebe Leserin, lieber Leser.........................4 Rat und Hilfe Allzuviel ist ungesund.................................21 Aus der Stadtgeschichte - 1250 Jahre Niedergirmes...................5,6,7,8 Büchertipp - Als am „Ring“ die Bäume fielen...........9,10 - Lenas Tagebuch ..................................22,23 - Traurigkeit................................................23 Aus der Natur - Familienplanung..........................................11 Seniorenpolitik - Viel edler geht´s wirklich nicht...................11 - 13.Deutscher Seniorentag 2021 . ........24,25 - Tag der Älteren Menschen........................25 Unterhaltung - Früher bei uns daheim..................... 12,13,14, Unser Preisrätsel ......................................26 - Gefährliche Begegnung............................. 15 - Florian und die Dianaburg.................... 16,17 Wer hat gewonnen?...................................27 Aus der digitalen Welt - Kryptowährung oder Bitcoin................ 18,19 Impressum ................................................28 Wissenswert - Nicht immer ist es Demenz......................20 Informationsseiten ............................ I - VII Redaktionsschluss für die Ausgabe 225 ist der 30.09.2021 seniorenpost wetzlar 224 3
Liebe Leserin, lieber Leser, Im September und Oktober ist auch die Zeit der Sinkt jeder Tag knackigen Früchte. Zunächst sind es die Pflau- hinab in jeder Nacht, men. Bei diesem Steinobst ist es nicht leicht, so gibt es einen Brunnen, den Überblick zu behalten. Da halten wir es als der drunten die Helligkeit hält. Krimifans gern mit Miss Marple, der versierten, Pablo Neruda (1904 – 1973) berühmten Detektivin in Agatha Christies Bü- chern, die immer Pflaumengin, Pflaumenchutney Erinnern Sie sich noch, wie schön es war, wenn und Pflaumenmus in ihrem gemütlichen Haus in Ihnen als Kind ein Erwachsener winkte? Probie- St. Mary Mead vorrätig hatte, den Pflaumengin ren Sie es selbst einmal aus. Vielleicht begegnet vornehmlich für die Herren. Ihnen ein Schulbus mit lauter Kindern. Winken Sie Und köstliche Weintrauben gibt es im Oktober, ihnen fröhlich zu oder hinterher und beobachten ob rot oder weiß, sie alle besitzen wertvolle In- Sie, wie die Kinder plötzlich strahlen und zurück- haltsstoffe. Die Traubenkerne sind besonders winken! Eine kleine Geste, die allen Beteiligten heilkräftig, und roh und in Maßen genossen, alles Vergnügen bereitet. ein Genuß. ‚Schreiben heißt sich selber lesen‘, schrieb Max Im aktuellen Heft lesen Sie aus der Stadtge- Frisch. In diesem Sinne könnte uns das Schrei- schichte zur 1250-Jahrfeier in Niedergirmes, ben eines Lebensbuches ein Gespräch mit uns Wissenswertes zum 13. Deutschen Seniorentag selbst eröffnen. Gedanken, Zitate, Gespräche, 2021, Erinnerungen aus der Kindheit und Unter- Gelesenes, Bemerkenswertes und Verrücktes haltendes. oder auch einfache Vorkommnisse passen dort hinein. Im Unterschied zu unseren Tagebüchern, Entspannende Lektüre und glückliche, in denen vorwiegend festgehalten wird was wir mildsonnige Herbstwochen! fühlen, geht es hier um eine Dokumentation Gunhild Deis-Wiese deessen, was uns im Leben weiterbrachte und weiterbringt. Die Schatten auf den Sonnenuhren werden länger, der Bogen der Sonnenbahn am Himmel Kleines Gedichtchen wird kleiner und flacher, die Nächte kühler und Morgennebel stellt sich ein. Kleines Gedichtchen Wer sich gesundheitlich besonders auf die rapi- Ziehe denn hinaus! de kürzer werdenden Tage vorbereiten will, sät Mach ein lustiges Gesichtchen laufend in kleinen Schalen schmackhafte Kresse Merke dir aber mein Haus! aus. Sie wird, das Sonnenlicht einfangend, zu Geh ganz langsam und bescheiden einem Heil-, Würz- und Nährmittel ersten Ranges! Zu ihr hin, klopf an die Tür, Bei Streifzügen durch Wald und Flur fasziniert die Sag, ich möchte sie so leiden, herbstliche Blüten- und Blätterpracht. Man findet Doch ich könnte nichts dafür. alle Farben des Regenbogens und darüber hinaus Antwort, nein, bedarf es keiner. sämtliche Nuancierungen. Es muss ein Traum Sprich nur einfach überzeugt. sein, in amerikanisch-kanadischen Grenzgebie- Dann verbeug dich wie ein kleiner Bote ten zu wandern und dort die Farbenpracht des schüchtern sich verbeugt. Indian Summer zu erleben. Er ist in Neuengland, Und dann, kleines Gedichtchen du, Maine, New Hampshire und Vermont zu sehen. sag noch sehr innig: ‚Geruhsame Ruh‘ Aber wir haben ja auch ein bißchen davon, den „goldenen Herbst“. Joachim Ringelnatz 4 seniorenpost wetzlar 224
Aus der Stadtgeschichte 1250 Jahre Niedergirmes Notizen aus der Geschichte Uralte Urkunden Wir schreiben das Jahr 771. Der fränkische König betet würde.Das ließ sich am besten durch eine Karl, der Kaiser werden und „Karl der Große“ ge- Stiftung an ein Kloster erreichen. Die Mönche dort nannt werden wird, regiert seit drei Jahren. Das schrieben alles auf, so wurden die Spender nicht Land ist in Grafschaften aufgeteilt, die wiederum vergessen. Sie wurden in die täglichen Gebete kleinere Gebiete, die Marken, enthalten. In un- eingeschlossen und an ihrem Todestag wurde serer Heimat fasst das Christentum Fuß. Klöster alljährlich eine Messe gelesen. Darauf hoffte entstehen, die das kulturelle und wirtschaftliche auch ein offensichtlich reicher Mann mit Namen Leben vorantreiben. Viele Mönche kennen sich Rupertus, der am 17. Juni 771 seinen gesamten mit der Landwirtschaft und dem Weinbau aus, Besitz in der Girmeser Mark im Lahngau dem andere können lesen und schreiben, aber alle Kloster Lorsch geschenkt hat. Damit für alle Zeit sind eifrige, treue Beter. an den Stifter gedacht werden konnte, trugen die Mönche den Vorgang dieser Schenkung gleich in ihr wichtiges Buch ein, in den Lorscher Codex. Das ist die schriftliche Ersterwähnung von Nie- dergirmes, nicht aber das Gründungsdatum. Das kennen wir nicht, aber wir können sicher sein, dass die Ansiedlung schon vor 771 bestanden hat. Jeweils 775, 779 und 795 verzeichnet der Lorscher Codex eine weitere Schenkung aus der Girmeser Mark. Abb. 1 Schenkung des Rupertus Von solchem Gebet erhofften sich die Menschen viel. Sie fürchteten, nach ihrem Tod lange im Fegefeuer oder gar ewig in der Hölle leiden zu müssen. Um solche Strafe abzukürzen oder ganz zu vermeiden, suchten sie Hilfe bei Heiligen und Abb. 2 Lorscher Codex den Gebeten von frommen Menschen. Wer es sich leisten konnte, sorgte schon zu Dreieinhalb Jahrhunderte später, 1142, übereig- seinen Lebzeiten für sein Seelenheil und sorgte net der Erzbischof von Trier dem Kloster Schif- durch Geschenke dafür, dass immer für ihn ge- fenberg eine Kirche. In der dazu gehörenden seniorenpost wetzlar 224 5
Aus der Stadtgeschichte Urkunde, wird auch erklärt, wo sich diese Kirche befand, nämlich in Girmize iuxta Witflaria, also in Girmes bei Wetzlar. Aus diesen wenigen Worten lernen die Historiker zweierlei. Zum einen, dass Niedergirmes ein richtiges Dorf mit einer damals schon bedeutenden Kirche war. Weiterhin begeg- nen wir hier zum allerersten Male der schriftlichen Überlieferung des Namens Wetzlar. So können die Menschen in Niedergirmes stolz darauf hin- weisen, dass die Ersterwähnung unseres Stadt- names ihrem eigenen Stadtteil zu verdanken ist. Der Siechhof Wo heute die Hospitalkirche steht, gab es seit dem 13. Jahrhundert das „Hospital zum Hl. Geist“. Es Abb. 3 Becken des Brunnens bei der Siechhof- war ursprünglich als Herberge für durchreisende kapelle (heute im Deutschordenshof) Pilger und als Obdach für arme Kranke gedacht. Ihm oblag auch die Fürsorge für Leprakranke. Die- So entstand ein richtiger Wirtschaftsbetrieb, der se durch ein Bakterium hervorgerufene Krankheit nach dem Brauch der damaligen Zeit durch from- war seit der Römerzeit in Europa bekannt und me Stiftungen unterhalten wurde. Als Gegenlei- erreichte vom 11. bis ins 13. Jahrhundert ihren stung wurde von den Bewohnern erwartet, dass Höhepunkt. Sie war damals nicht behandelbar sie für die Stifter beteten. Wie das Hospital war und führte nach längerem Siechtum zum Tod. auch der Siechhof eine Einrichtung der Stadt, Zu Recht fürchtete man die Lepra, wusste wohl die der Fürsorge für die bedürftige Bevölkerung auch um die Ansteckungsgefahr und isolierte diente. Der Stadtrat wählte aus seiner Mitte zwei die daran Erkrankten. So entstanden an vielen Pfleger, die für die Verwaltung zuständig waren. Orten Siechenhäuser, die auch Lazarus-Häuser Geleitet wurde der Siechhof von einem Leprosen- hießen, denn im Mittelalter hieß die Lepra auch meister. Der musste den Pflegern Rechenschaft Lazaruskrankheit (Lazarett). Später nannte man ablegen über die ordnungsgemäße Betreuung sie auch „Aussatz“, denn die Kranken wurden an der Liegenschaften und der beweglichen Habe einem von menschlichen Siedlungen entfernten sowie über Einnahmen und Ausgaben. Ort ausgesetzt. Dieser Ort sollte am reinigenden Wasser und an einer Straße liegen, damit die War bei einem Menschen Lepra festgestellt Kranken noch einen Blick auf menschliches Le- worden, so wurde er aus der bürgerlichen Ge- ben hätten und von den Durchreisenden Spenden meinschaft ausgeschlossen. Ein letztes Mal bekämen. durfte er an einem Gottedienst teilnehmen, das war sozusagen seine Totenmesse. Danach wur- Solch einen Ort suchte man in Wetzlar und fand den seine Kleider verbrannt und er bekam die ihn an der „Engen Dill“ nahe der Kreuzung zwei- Siechentracht, die ihn als Aussätzigen kenntlich er Straßen – auf Niedergirmeser Grund! Schon machte. Das waren ein weiter dunkler Mantel, 1291 lesen wir in einer lateinischen Urkunde vom Handschuhe und ein großer Hut, dazu Brotsack „domus leprosorum apud Wetflariam“, dem Haus und Wassergefäß und die Siechenklapper. Mit der Leprosen bei Wetzlar. Zunächst war es wohl dieser musste er sich bemerkbar machen, wenn wirklich nur ein einzelnes Haus, doch bald kamen er sich Gesunden näherte. Wirtschaftsgebäude, Stall, Scheune und Garten- land dazu. Schließlich besaß der Siechhof auch eine eigene Kapelle und einen Friedhof. 6 seniorenpost wetzlar 224
Aus der Stadtgeschichte der Reformation galt die Wetzlarer Stadtreligion auch für die Bewohner des Siechhofes. In der Kapelle fand jetzt nur noch an Ostern, Pfingsten, Weihnachten und Michaelis ein Gottesdienst statt. Der wurde von einem evangelisch-lutherischen Stadtpfarrer abgehalten. Im 17. Jahrhundert ging in ganz Europa die Zahl der Leprakranken zurück. Viele Städte waren froh, ihre Siechhöfe schließen zu können. Ganz anders die Wetzlarer, die wollten ihren Siechhof erhalten, der auf Solmser Gebiet lag. Hätte er seinen Zweck erfüllt gehabt und wäre geschlossen worden, wären sein gesamter Besitz und die laufenden Einnahmen an den Territorialherren, den Grafen von Solms-Greifenstein, gefallen. Das galt es für die Wetzlare zu verhindern. Abb.4 Mann mit Warnklapper (Zeichnung von Rembrandt) Nur zweimal im Jahr durften die „Guten Leute“ wie die Bewohner des Siechhofes verharmlosend genannt wurden, die Stadt betreten. An Karfreitag und zu Weihnachten stellten die Wetzlarer dann milde Gaben zum Mitnehmen vor ihre Haustüren. In der Notzeit des 30jährigen Krieges wurden den Leprosen wöchentliche Bettelgänge erlaubt. Nicht nur aus der Reichsstadt, sondern auch aus dem Umland kamen Menschen in unseren Siechhof. Wir wissen von Aufnahmegesuchen von Menschen aus Herborn und Weilburg. Auch Abb. 5 Die Siechhofkapelle 1933 Zeichnung von ein Dankvermächtnis gibt es aus Oberbiel, weil Wilhelm Waldschmidt „Jakobs eheliche Hausfrau....in das Siechenhaus der guten Leute bei Wetzlar“ aufgenommen wor- Als nur noch eine Witwe im Wetzlarer Siechhof den war. lebte, griff die Stadt zu einer List und schickte Bo- Die segensreiche Wetzlarer Einrichtung stand ja ten aus, die nach übersiedlungswilligen Leprosen auf Girmeser Grund, das bedeutet, sie befand suchen sollten. Diese fanden eine Familie bei sich auf Solmser Gebiet. Alsfeld und eine Frau in der Pfalz, die tatsächlich Wie wir aus unserer Heimatgeschichte wissen, nach Wetzlar kamen. So überlebte das Kran- gab es all die Jahrhunderte hindurch immer kenhaus noch einige Jahre, aber um einen sehr wieder Streit zwischen den Wetzlarern und den hohen Preis, denn die Auseinandersetzungen mit Solmsern. So kam es auch am Siechhof zu tät- Solms verschärften sich. Dennoch gelang es dem lichen Auseinandersetzungen. An der Kapelle war Wetzlarer Hospital und damit der Stadt, im Besitz von alters her das Wetzlarer Stadtwappen, ein des Siechhofes zu bleiben. Adler, angebracht. Der wurde im Rahmen solcher Als keine Kranken mehr dort lebten, wurde das Grenzstreitigkeiten heruntergehauen – Frevel an Anwesen ökonomisch genutzt, die Kapelle wurde einem Gotteshaus! zum Kuhstall und die Ländereien verpachtet. Das Im Mittelalter wurden die Kapelle und die Men- völlige und schreckliche Ende des Siechhofes schen des Siechhofes von dem jeweiligen Pfarrer kam am 7. März 1945, als Fliegerbomben ne- von Niedergirmes mitversorgt. Nach den Stürmen ben vielen anderen Gebäuden in Niedergirmes seniorenpost wetzlar 224 7
Aus der Stadtgeschichte auch den Siechhof zerstörten. Heute erinnern die Bauern nicht hergeben, sie wollten keinen die Straßennamen Siechhof, Siechhofsraße und Bahnhof, sie wollten ihren landwirtschaftlich ge- Gutleutstraße an die denkwürdige historische nutzten Grund behalten. Sie waren auch gegen Einrichtung. die Eisenbahnschienen, die die Zufahrt zu den Feldern erschwerten. In vielen Dörfern der da- Niedergirmes bekommt einen Bahnhof maligen Amtsbürgermeisterei Aßlar, zur der auch Seit 1835, als die erste Eisenbahn in Deutschland Niedergirmes gehörte, griffen die Menschen zur von Nürnberg nach Fürth gefahren war, betrie- Selbsthilfe. Sie verwehrten den Vermessern der ben Privatgesellschaften in den verschiedenen Bahngesellschaft den Zugang zu ihren Grundstü- deutschen Staaten den Ausbau eines Eisenbahn- cken und vernichteten nachts die Markierungen. Verkehrsnetzes. So wurde unsere Nachbarstadt Viele wollten ihren Besitz nicht verkaufen, so dass Gießen seit 1850 eine wichtige Station der Main- es zu Enteignungsverfahren kam. Weserbahn. Die Köln-Mindener Bahngesellschaft plante eine Strecke Deutz-Betzdorf- Wetzlar- Gießen. Damit würde auch Wetzlar einen Bahnhof bekommen. Aber wo sollte er Platz finden? Seit alten Zeiten war es das Problem Wetzlars, dass seine Gemarkung viel zu klein war. So konnten die Wetzlarer Stadtväter auch nur eine relativ kleine Fläche auf dem Gebiet der heutigen Sophienstra- ße für den Bau eines Bahnhofes anbieten. Das hätte bedeutet, die von der Dill herkommende Strecke entgegen der Planung auf das rechte Dillufer zu legen und dann nach einer gefährlich engen Kurve wäre den Bahnhof zu erreichen. Die Abb. 7. Das erste Bahnhofsgebäude Bahngesellschaft lehnte den Vorschlag ab. Der Bau begann. Zeitweise arbeiteten bis zu 3000 Arbeiter und mehr als 50 Pferde am Bahnbau. Die Arbeiter kamen nicht nur aus allen Teilen Deutschlands, sondern auch aus Italien und vom Balkan. Die Maurerarbeiten wurden von hei- mischen Handwerkern durchgeführt. Im Sommer 1861 wurden die ersten Schienen verlegt, und im Januar 1862 eröffnete die Köln-Mindener Eisen- bahngesellschaft die letzte Teilstrecke der Bahn von Köln nach Gießen. Ein Jahr später kam die Lahntalstrecke hinzu und 1878 die „Kanonen- bahn“ von Lollar nach Wetzlar. So erhielt Nieder- girmes seinen Bahnhof, der leider von Anfang an Abb. 6. Das Bahngelände in der Gemarkung „Bahnhof Wetzlar“ hieß. Niedergirmes Das waren drei Notizen aus der Geschichte von Aber ganz in der Nähe, in Niedergirmes, da war Niedergirmes. Viel mehr darüber gibt es im Nieder- ein geeignetes Gelände. Niedergirmes reichte girmeser Heimatbuch „1200 Jahre Niedergirmes“, damals bis dicht an die Stadt Wetzlar heran. 1971 in Wetzlar erschienen, und in den „Mitteilungen Das heutige Bannviertel, das Gebiet um die des Wetzlarer Geschichtsvereins“ von 2019. Beide Bahnhofstraße bis an die Lahn und bis zum Bücher und noch viel mehr kam man lesen und aus- Buderusplatz, das alles waren Niedergirmeser leihen in der Stadtbibliothek Wetzlar, in der Bahnhof- Äcker und Wiesen. Dieses gute Land wollten straße 6 – und das ist altes Niedergirmeser Gebiet! Herta Virnich 8 seniorenpost wetzlar 224
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Aus der Stadtgeschichte Jeder möchte gute Straßen, sichere Wasser-, Strom- und Gasversorgung sowie möglichst schnelles Internet. Werden dazu aber Straßen aufgerissen, so hört man gerade in diesem Jahr in Wetzlar oft ein heftiges Murren. Dass es auch schon vor sechzig Jahren „Unleidliche Tage“ durch Straßenumbau gegeben hat, zeigt der folgende Artikel, den Adolf Lutz im Heimatkalender des Kreises Wetzlar 1961 veröffentlicht hat, Als am „Ring“ die Bäume fielen Wetzlars große Verkehrsader im Wandel der Zeiten Schon 1958 war davon gesprochen und geschrie- wurden zum größten Teil innerhalb von zehn Tagen ben worden, daß Wetzlars große Verkehrsader, geschafft. Sie erfolgten zur Zeit des Abbruchs des der 1938 eröffnete und längst zu eng gewordene gegenüberliegenden alten Landratsamtes. Karl-Kellner-Ring umgestaltet werden sollte, da Dann trat zunächst eine Pause ein. Gegenüber der Verkehr sich nicht mehr ohne Stockungen ab- wuchs bald der Neubau des Kreishausgebäudes zu wickeln ließ. Das Ziel sollte die Verbreiterung des 7 Stockwerken unentwegt in die Höhe. (Grundstein- Straßendammes als Vierbahnenstraße mit einer legung 17. 4.; Richtfest 16. 9. 1959). Abgesehen durchschnittlichen Breite von 13 Metern sein. von dem jetzt ungewohnten Anblick der baumlos So stand denn im Jahre 1959 das Straßenstück gewordenen Straße bot diese inzwischen wieder zwischen Buderusplatz und Langgasse monatelang das übliche Bild. Auch Geometer waren natürlich an im Zeichen dieser großen Umstellung. Die Arbeiten dem Vorhaben beteiligt; sie kamen mit Meßlatten, begannen am 21. Februar mit der Beseitigung der Bandmaß und Theodolit und machten ihre Eintra- gungen. Anfangs Mai wurde der östliche Gehsteig längs der Ladenzeile am Freibad am Straßenran- de aufgegraben, um neuen Kanalisations-Röhren Raum zu bieten. Am 4. Juli begann man mit dem Aufbrechen der Straßendecke bei vorläufig noch durchgehendem Verkehr; zwei Tage später mit der Entfernung des östlichen Gehsteigbelages, des- sen Platten zur späteren Wiederverwendung am Rande gestapelt wurden. Die Straßenbauarbeiten umfaßten dann bis zum völligen Abschluß — als Rauhasphalt-Fahrbahn — den Zeitraum von sieben Monaten. alten hohen Bäume. Jeder der alten Baumriesen Ein vorerst übriggelassener Baumstumpf, den man lag, vom Ansetzen der 2-Mann-Motorsäge an beim Hallenbad noch nicht ausgegraben hatte, gerechnet und durch Seilzug beim Fallen gelenkt, sproßte Anfang Juli, viereinhalb Monate nach dem innerhalb von 4 Minuten am Boden. Das Fällen Fall der Bäume, in dem ungewöhnlich trockenen und das sich anschließende Wegräumen der Äste Sommer 1959 ohne Stamm und Krone als nur noch und Zweige dauerte zwei Tage. Eine weit härtere aus Wurzel und Stumpf bestehender Baumtorso und umständlichere Arbeit war das Ausgräbern der leuchtend grün am steinigen Straßenrande. Er tief und fest in der Erde steckenden Wurzelstöcke. trieb, kaum l m hoch, seine Schößlinge mit jedem Soweit hierfür die Kraft des Bagger-Hebekrans oder Tage weiter voran und bot Mitte August mit seiner selbst die der Zugkette der Straßenwalze nicht den Holzstumpf wie mit einem Mantel einhüllenden ausreichte, tat der rote Buderus-Drehkran ganze Blätterüberwucherung fast ein botanisches Phäno- Arbeit. Er hob die notfalls zuvor durch Sprengla- men, wert genug, im Bilde festgehalten zu werden. dung gelockerten Baumstrünke aus der Tiefe des Gegenüber, auf der westlichen Gehsteigseite, Straßenrandes empor und setzte sie auf das be- begann man am 11. August die Sockelsteine und reitstehende Transportauto nieder. Diese Arbeiten den eisernen Zaun des letzten dort noch verblie- seniorenpost wetzlar 224 9
Aus der Stadtgeschichte benen Vorgartens (W. & H. Seibert) zu entfernen, Schottersteinen, der tagelang [im November] in die der sieben Jahrzehnte überdauert hatte und bis in Wohnungen eindringende Geruch von heißem Teer den Spätherbst hinein von roten Rosen überblüht beim Auftragen der mehrschichtigen Straßendecke war. Auf dieser Seite wurde jetzt, fast bis an die und noch manches andere: man wünschte sehn- Hauswände heran, die Erde aufgegraben — zur lichst den Abschluß der Arbeiten herbei. Verlegung von Wasserrohren, Gasrohren und Ka- belsträngen. Soweit die Arbeiten es zuließen, war Im Wandel der Zeiten der Ring dabei nur in einer Fahrtrichtung gesperrt; Es war nicht die erste Veränderung, die diese — an als dann auch Straßendurchbrüche erforderlich sich 1828 als Zugang nach dem ehemaligen Dorfe wurden, mußte ab 7. September die völlige Absper- Niedergirmes angelegte — Straße erlebte. Mehr rung des Straßendammes erfolgen. Die Umleitung als einmal sind in den letzten drei Jahrzehnten brachte der schmalen Moritz-Hensoldt-Straße zu- ihre Bordsteine versetzt worden. Schon bei der sätzlich einen zeitweiligen Gegenverkehr, wie ihn Neuanlage des Karl-Kellner-Ringes als innere Um- diese Parallelstraße noch nicht erlebt hatte. Anfang gehungsstraße in den Jahren 1936/ 38 zwischen November war die Straße halbseitig wieder befahr- Leitz-Platz und Sophien-Straße wurde das damals bar; ab 5. Dezember konnte die Fahrbahn für jeden Straßenverkehr in beiden Richtungen freigegeben werden. Zum gleichen Zeitpunkt war der Zugang zur „alten“ Sophienstraße vom Ring her für den Wa- genverkehr gesperrt worden. Noch zur rechten Zeit vor den weihnachtlichen verkaufsoffenen Sonnta- gen und vor etwaigen überraschend einsetzenden größeren Schneefällen waren die vom Wetter sehr begünstigten Straßen-Umbauarbeiten am Ring abgeschlossen. Im November erfolgte auch die Wiederherstellung der westlichen Gehsteigseite, die sich zum Schluß wegen Kanalbauarbeiten an noch die Bezeichnung „Bahnhofstraße“ tragende der Kreissparkasse bis zur endgültigen Freigabe Teilstück des Ringes entlang der Ochsenwiese ver- am 28. Dezember hinzog. breitert. Die Straße rückte dabei dicht an die Bäume heran. Damals bereits wurden auf der westlichen, Unleidliche Tage der Landratsamtsseite, die Bäume am Rande des Es darf dazu gesagt werden, daß dieses not- Gehsteiges zum größten Teil entfernt. wendig gewordene Unternehmen den dortigen Sodann veränderte das noch über die Namen Ja- Häusern für längere Zeit recht unleidliche Tage kob-Sprenger-Straße, dann Ringstraße, inzwischen bescherte. Besonders den Inhabern der Laden- zum Karl-Kellner-Ring gewordene Straßenstück im geschäfte mochte es manchmal zuviel werden, Jahre 1953 sein Gesicht bei der Umgestaltung der was ein Straßenumbau, einmal begonnen, an alten freien Ochsenwiese zum Freibad Domblick, geschäftlichen Behinderungen mit sich brachte. wobei durch Aufschüttung der tiefer gelegenen Das Aufbrechen der Straßendecke durch ständig Wiese der Gehsteig an der östlichen Seite, entlang hämmernde Preßluft-Bohrer, das Gehen auf den der damals neuen Ladenzeile, erheblich erweitert von ihrem Plattenbelag entblößten und zudem und die Straße selbst zum zweiten Male verbreitert durch Absperrungen sehr eingeengten Gehsteigen, wurde. das Ausheben der Straßengräben durch knatternde Der ständig wachsende Kraftverkehr war der Bagger, das Kabelschweißen, das Gestampfe der Grund, daß an dieser vielbefahrenen Straße die Preßluft-Rammen, die längere Zeit währende Ab- letzten schattenspendenden Platanen und Ahorn- sperrung der Grundstückseingänge und Einfahrten, bäume, 14 an der Zahl, diese Rauch-und Staub- das Überqueren der offenen Gräben auf Bohlen- filter mit ihren wiegenden Baumkronen und ihren Behelfsstegen, dann die schädliche Einwirkung Vogelnestern, beseitigt wurden und abermals ein der Auspuffgase der Arbeitsmaschinen, die Staub- Wandel zum Größeren erfolgte. Im Juni 1960 wur- wolkenentwicklung beim wiederholten Entladen de die Straßendecke mit einer neuen Teerauflage ganzer Doppelkippwagen von Sand, Kies, Splitt und überzogen. 10 seniorenpost wetzlar 224
Aus der Natur Familienplanung Es sitzen Vöglein auf einem Zweig Die Flaumbällchen bald zu Federn werden, in ihrem Lieblings-Gartenbereich, die Füßchen sich schon kräftiger färben. wo einen kleinen Teich sie haben, Die Alten locken die Kleinen heraus um Durst zu stillen und zu baden. Aus dem eng gewordenen Haus. Sie warten auf den Lenz gespannt, Die „Halbstarken“ ihre Flügel lupfen, die Zeichen sind schon da im Land. probieren zu trippeln und zu hupfen, Nun langsam wird es wirklich Zeit, erfreuen sich der Frühlingsluft dass man sich ein Weibchen freit! und schnuppern süßen Blütenduft. Hat er gefunden eine Braut, Da, plötzlich einer es schon wagt, wird emsig auch ein Nest gebaut, erst mal kleine kurze Strecken! – ausgelegt mit feinen Moosen, Geschwister ihre Hälschen recken, kann keines sich an Hartem stoßen. – tun´s mutig dann dem Bruder nach! Nach einer Weile sind zu finden Erfahrungen der Eltern borgen, Eierchen in Nestgewinden. ein oder andern Tipp einstecken, Gut warm gehalten werden sollen alle jetzt die Welt entdecken, die Kleinen, bis sie schlüpfen wollen. bald selber für die Nahrung sorgen. Bald fangen alle an zu schrei´n, Die junge Generation ist nun so weit, jedes will das Erste sein. dass die Art erhalten bleibt. Dann aber geht es richtig los, Möge es, solang wir leben die Fütterung klappt ganz famos! aller Arten Vögel geben! Die Eltern fliegen hin und her, Ihr Gesang zu Gottes Lob unermüdlich kreuz und quer, tut so wohl in mancher Not viele Insekten und Würmlein zu raffen, mildert Leib- und Seelenschmerz, in weit geöffnete Schnäblein zu schaffen. erfreut gar sehr des Menschen Herz! Edelgard Bohres (Jahrgang 1925) Viel edler geht‘s wirklich nicht... Nein, Disteln sind nicht jedermanns Sache. Aber stehen wir plötzlich vor solch einem imposanten Gewächs, erkennen wir doch spontan ihre einzigartige Schönheit an und erfreuen uns an ihrem sta- cheligen, bizarren Anblick. Oft sind ihre herrlichen roten bis pinkfarbenen Blüten mit ein Grund für unsere Bewunderung. Vergleichsweise bescheiden ist da die Kleine Eberwurz. Selten ist sie, denn sie bevorzugt magere kalkhaltige Böden wie im Naturschutzgebiet Weinberg. Hier fühlt sie sich pu- delwohl und wächst recht zahlreich an verschiedenen Stellen und sogar in größeren Gruppen. Die Kleine Eberwurz besticht durch ihre Bescheidenheit, ihre Zartheit und Eleganz sowie ihre geringe Größe von etwa 40 cm. In einen Farbtopf ist sie nicht gefallen, ihr genügen die ganz zarten Farbtöne um Beige und Braun und Gold. Ja, Gold. Das haben schon unsere Ahnen ganz richtig er- kannt und ihr zusätzlich den treffenden Namen „Golddistel“ gegeben. Immer im August, wenn meine Golddistel blüht, muss ich ihr einen Besuch abstatten. Aber sie hat auch andere Fans, wie ich feststellte. Schmetterlinge suchen ebenfalls ihre Nähe, darunter sinnigerweise auch die „Goldene Acht“! Viel edler geht es ja nun wirklich nicht. Gold zu Gold. Peter Jörg Albrecht seniorenpost wetzlar 224 11
Unterhaltung Früher bei uns daheim Unser Autor Erich Bittrich hat die Schule beendet und berichtet in dieser Ausgabe von seinem Eintritt ins Berufsleben und seinem weiteren Berufsleben. Vor Beginn dieser Ausbildung musste ich jedoch Ein anderer wiederum konnte den Gürtel seiner noch eine Einstellungsuntersuchung beim Werks- Arbeitshose fast zweimal um den Bauch wickeln. arzt über mich ergehen lassen. Dazu versammel- Auch meine Schutzkleidung war nicht gerade ten sich alle angehenden Lehrlinge im Wartebe- perfekt. Mit meinen viel zu weiten Hosen, die sich reich des werksärztlichen Dienstes. Wir waren bei Gegenwind wie ein Segel aufblähten, führte etwa zehn Jungs und fünf Mädchen. Hier wurden ich die Liste der modischen Entgleisungen an. wir auf die dort befindlichen fünf Kabinen verteilt, So erging es mir auch in meiner Grundschulzeit, in denen wir uns bis auf die Unterhose entkleiden als ein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung gehen sollten. Danach wurden wir nacheinander zur sollte, den ich lieber nie gehabt hätte. Nämlich der, ärztlichen Untersuchung aufgerufen. Durch eine eine Krachlederne (kurze Lederhose) zu besitzen. zweite Tür in den Kabinen gelangte man direkt Dies gestaltete sich bei mir etwas problema- in den Behandlungsraum. Irgendwann wurde ich tisch, da meine Kindheit von einer ausgeprägten aufgerufen. Ordentlich, wie ich nun einmal war, Leibesfülle überschattet wurde. Also musste es schloss ich hinter mir die Kabinentür. Nach der er- eine Männergröße sein, die meinen begnadeten folgten Untersuchung sollte ich mich wieder anzie- Körper weiträumig umspielte. Zum Glück kam es hen. Da ich aber meine Kabinentür geschlossen bei dem von mir ausgesuchten Beruf nicht auf ein hatte und alle Kabinen gleich aussahen, wusste perfektes Aussehen an, sondern auf eine perfekte ich nicht mehr, aus welcher ich gekommen war. Arbeitsausführung. Also verließ ich mich auf mein Glück und öffnete gleich die erste Tür der Kabinenreihe. Und was In der Modelltischlerei angekommen, wurde ich soll ich sagen, ich hatte Glück. Vor mir stand ein zunächst von meinem Ausbilder begrüßt. Nach bildhübsches Mädchen, das nur mit einem Slip einigen einleitenden Worten machte er mich mit bekleidet war. Doch damals konnte ich mein den Gegebenheiten der Werkstatt vertraut und Glück noch nicht fassen, und mein Gesicht nahm erklärte mir die Einsatzbereiche des dort befind- augenblicklich die Farbe eines Feuerlöschers an. lichen Maschinenparks. Insbesondere wies er Als ich später das Mädchen im Vorraum wieder mich auf die Unfallgefahren hin, die beim Umgang traf, war mir das sehr peinlich. Sie nahm es jedoch mit diesen Maschinen zu beachten waren. Dazu ganz locker. muss man wissen, dass Holzbearbeitungsma- schinen eine sehr hohe Umdrehungszahl haben. Am 17. August war es dann endlich soweit. Wenn man da nicht aufpasst, sind schnell einmal Pünktlich um 8 Uhr waren alle gewerblichen ein oder zwei Finger ab. Der erste Arbeitstag Lehrlinge, mit Blaumännnern bewaffnet, am endete mit einer Werksbesichtigung, bei der uns Haupteingang eingetroffen. Von dort aus führten die wichtigsten Einrichtungen gezeigt und auch uns zwei ältere Lehrlinge in den Unterrichtsraum erklärt wurden. der Lehrwerkstatt, die mitten im Werksgelände lag. Hier wurden wir vom Ausbildungsleiter, dem Natürlich mussten wir auch ein Berichtsheft Werksdirektor und einigen anderen Beschäftigten führen, in dem Arbeitsabläufe beschrieben und des Ausbildungswesens, begrüßt. Nach einer mit technischen Zeichnungen ergänzt werden kurzen gegenseitigen Vorstellung wurde uns der mussten. Die ordentliche Führung dieses Heftes Betrieb vertraut gemacht. Nachdem wir in unsere nahm ich sehr ernst, da es bei der Abschlussprü- Blaumänner geschlüpft waren, begaben wir uns fung vorgelegt werden musste. Dafür opferte ich in die einzelnen Ausbildungsabteilungen. meist den kompletten Samstag. Schon bald wurde Dabei sahen wir in unserer Arbeitsbekleidung mein Fleiß belohnt, und mein Berichtsheft wurde nicht gerade vorteilhaft aus. So hatte einer eine als Vorbild für alle anderen Lehrlinge im Schau- Latzhose mit viel zu langen Hosenbeinen an. kasten der Lehrwerkstatt ausgestellt. Damit war 12 seniorenpost wetzlar 224
Unterhaltung der Ärger vorprogrammiert. Neid und Missgunst uns schnell handelseinig. Den Vorschlag, eine machten sich breit, und ich musste mit Repres- Anzahlung in Höhe von 500 DM zu leisten und salien rechnen. Diese ließen nicht lange auf sich den Rest in monatlichen Raten von 50 DM zu warten. Schon am folgenden Tage wurde ich in begleichen, hielt ich für akzeptabel. Also machten voller Arbeitsmontur unter die kalte Dusche ge- wir das Geschäft. Damit war ich stolzer Besitzer stellt. Aber davon ließ ich mich nicht unterkriegen. eines Vespa-Rollers. Ich hegte und pflegte ihn, Es machte mich eher noch härter. bis dann das Unfassbare geschah. Mittlerweile befand ich mich im zweiten Lehrjahr, Ich war wieder mit meiner Vespa unterwegs. und der Wunsch nach einem fahrbaren Untersatz Hinter mir saß meine Cousine aus Berlin, die ihre machte sich in mir breit. Natürlich hatte ich ja das Schulferien bei uns verbrachte. Vor mir fuhr mein Fahrrad, aber das konnte ein mit Motorkraft an- Kumpel mit seinem alten Rabeneick-Roller und getriebenes Gefährt nicht ersetzen. Von meiner hatte meine kleine Schwester im Gepäck. Sein nicht gerade üppigen Ausbildungsvergütung, die Roller war immer etwas schneller als meiner. Als im ersten Ausbildungsjahr 127 DM betrug und sich er seine Geschwindigkeit vor einer Kurve verrin- bis auf 208 DM im vierten Ausbildungsjahr steiger- gerte, sah ich eine Möglichkeit, ihn zu überholen. te, hatte ich bereits 500 DM gespart. Dazu muss Um meiner Cousine zu imponieren nahm ich diese man wissen, dass ich monatlich 50 DM Kostgeld Möglichkeit auch wahr. Das hätte ich besser nicht zu Hause abgeben musste. Schon lange hatte ich tun sollen. Beim Überholvorgang wurde ich aus mit einem korallroten Vespa-Roller geliebäugelt, der Kurve getragen, und wir landeten unsaft auf der im Schaufenster unseres Vespa-Händlers auf dem Asphalt. Noch im Liegen hielt ich den Lenker mich wartete. fest und war froh, dass der Motor noch lief. In diesem Moment dachte ich nur an meinen heiß- Bereits im Kindesalter besaß ich einen Roller, geliebten Roller, der jetzt einige Blessuren davon allerdings einen Tretroller, den mir mein älterer getragen hatte, aber nicht an meine Cousine, die Bruder überlassen hatte. Von ihm hatte ich bereits einige Meter hinter mir mit blutendem Knöchel auf den abgewetzten Schulranzen, die schon etwas der Straße lag. Zum Glück hielt ein nachfolgender verblasste Schultüte und später auch den Kom- Autofahrer an und übernahm ihre Erstversorgung, munionsanzug übernommen. Eine gemeinsame bevor er sie ins Städtische Krankenhaus fuhr. Erst Rollerfahrt wurde meinem Bruder und mir beinahe jetzt wurde mir klar, was ich eigentlich angerichtet zum Verhängnis. Wir wohnten damals an einer hatte. Ich schaffte es mit dem zerknitterten Roller Straße mit steilem Gefälle. Vom höchsten Punkt gerade noch bis nach Hause, wo die Moralpredigt dieser Gefällstrecke starteten wir mir unserem meiner Eltern nicht lang auf sich warten ließ. Wir heißgeliebten Roller zur Schussfahrt ins Unge- waren alle heilfroh, dass meine Cousine noch am wisse. Da ich hinter meinem Bruder stand und ihm selben Tag das Krankenhaus verlassen konnte. somit den Weg zur Hinterradbremse versperrte, Jetzt mussten wir ihrem Vater die Geschichte rasten wir ungebremst in Richtung Hauptver- noch schonend beibringen, zumal er ihr das Mit- kehrsstraße. Zum Glück stand am unteren Ende fahren auf Mopeds ausdrücklich verboten hatte. des Gefälles einer der mächtigen Straßenbäume, Nachdem wir ihm die körperliche Unversehrtheit der unsere rasante Fahrt abrupt stoppte. Außer seiner Tochter glaubhaft machen konnten, war zerrissenen Hosen, einigen Schürfwunden und seine anfängliche Aufregung schnell verflogen. einer Moralpredigt unserer Eltern waren keine Jetzt konnte ich mich wieder meinem Roller wid- größeren Schäden zu beklagen. men, dessen Blechschaden schnellstens beho- Selbst die Erinnerung an diese Episode schaff- ben werden musste. Hier nun kam wieder mein te es nicht, mich vom Kauf eines Motorrollers Kumpel ins Spiel, dessen langsame Fahrweise abzubringen. Doch jetzt musste erst einmal der mich zum Überholen inspiriert hatte. Da er gerade Führerschein her. Am 15. März 1973 war es dann eine Ausbildung zum Autoschlosser absolvierte, so weit. Ich hielt den Führerschein der Klasse war es für ihn ein Leichtes, das Blech wieder ge- vier in meinen Händen. Der Weg war jetzt frei für rade zu biegen. Nun strahlte mein Roller wieder die Verhandlung mit dem Händler. Wir wurden im neuen Glanz. Doch das sollte nicht lange so seniorenpost wetzlar 224 13
Unterhaltung bleiben. Es war an einem sehr kalten November- ders pünktlich an meinem Arbeitsplatz erschie- tag, und ich war wieder mal mit meinem Roller nen. Die Prüfungskommission übergab mir eine unterwegs. Bei einem Abbiegevorgang legte ich technische Zeichnung, auf der das anzufertigende mich wahrscheinlich zu steil in die Kurve und Modell in drei Ansichten zu sehen war. Die darauf kam zu Fall. Ich landete direkt vor den Füßen vermerkte Zeitvorgabe betrug sieben Stunden. Mit einer am Straßenrand stehenden Frau, die hier anfangs noch zittrigen Händen machte ich mich auf die Grünphase der Fußgängerampel wartete. an die Arbeit. Da ich mit dem Bau des Modells Glücklicherweise war ihr nichts passiert. Nur mein gut voran kam, wurde ich immer ruhiger. Als ich Roller sah wieder sehr mitgenommen aus. Ganz das fertige Werkstück nach sechseinhalb Stunden zu schweigen von meiner Hose, die den Sturz der Prüfungskommission übergab, standen mir nicht überlebte. Von den Blessuren an beiden die Schweißperlen auf der Stirn. Knien will ich gar nicht reden. Nachdem mein Kumpel, der mit dem alten Rabeneick-Roller, den Nachdem ich auch die theoretische Prüfung, die Schaden an meinem Gefährt notdürftig repariert aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil hatte, nahm ich mir vor, mich jetzt intensiv um bestand, hinter mich gebracht hatte, war Warten meine Ausbildung zu kümmern, da die Abschlus- angesagt. Am 23. Januar 1974 war es dann so sprüfung bereits im nächsten Jahr bevorstand. weit. Ich erhielt das Ergebnis meiner Prüfung, die ich mit der Gesamtnote „gut“ bestand. Obwohl Schon in der Berufsschule und auch im Werks- ich von meinem Aus- Werbung unterricht bereiteten wir uns intensiv auf diese bildungsbetrieb in ein Prüfung vor. Ich saß jetzt fast jeden Abend an unbefristetes Arbeits- meinem Schreibtisch, der eigentlich ein ausge- verhältnis übernommen musterter Küchentisch war, und versuchte meine wurde, hielt ich es hier Wissenslücken zu füllen. Eine dabei auswendig nicht lange aus. Bereits gelernte Begriffsbestimmung geht mir bis heute nach wenigen Monaten nicht aus dem Kopf, die da lautet. „Eine Verlei- verließ ich den Betrieb, mung beruht auf den beiden Kräften der Adhäsi- um mein Glück beim on und Kohäsion und stellt darüber hinaus eine Bundesgrenzschutz zu vielfache Verdübelung dar.“ versuchen. Dort absol- vierte ich eine Ausbil- In der jetzt knapp gewordenen Freizeit traf ich dung zum Polizeivoll- mich mit meinen Freunden im Jugendraum zugsbeamten und war BESTATTUNGEN unserer Kirche. Hier konnten wir uns an einer hier später als Ausbilder ZEITGEMÄSS UND Tischtennisplatte und einem Tischkicker aus- tätig. Aber auch das PERSÖNLICH. toben, ohne etwas trinken oder verzehren zu brachte mir keine Erfül- Wir sind da, wenn müssen. Tische und Sitzmöglichkeiten hatten lung. So verließ ich im Sie uns brauchen. wir selbst hergestellt. So bestanden die Hocker Jahre 1982 den Bun- aus zwei übereinanderliegenden Autoreifen, die desgrenzschutz und miteinander verschraubt waren. Die Untergestelle absolvierte eine kauf- der Tische waren genauso aufgebaut und wurden männische Ausbildung nach oben mit einer runden Holzplatte abgedeckt. bei den Stadtwerken in Diese hatte ich mit Erlaubnis meines Ausbilders Wetzlar, bei denen ich in der Modelltischlerei angefertigt. auch bis zu meinem Ausscheiden aus dem Dann war es endlich soweit. Die Prüfung, die sich Berufsleben beschäftigt aus einem praktischen und einem theoretischen war. Ältestes Bestattungshaus in Wetzlar | Meisterbetrieb Teil zusammensetzte, stand unmittelbar bevor. Am Tag der praktischen Prüfung war ich beson- PFANNENSTIELSGASSE 11 – 13 35578 WETZLAR TELEFON 06441 42302 WWW.PIETAET-ULM.DE 14 seniorenpost wetzlar 224 PU Anzeige Image 45x170 10.20 v2.indd22.10.2020 1 14:23:24
Unterhaltung Gefährliche Begegnung Ein kleiner Abstecher zu den Wirkungsstätten „geangelt“. Inzwischen gruben sich die spitzen meiner Kindheit führte mich an einem heißen Zähne eines kleinen Hundes in meine Finger, Sommertag in das bezaubernde kleine Kreis- der seinen vermeintlichen „Feind“ einfach nicht städtchen am Main. Ich betrat ein gutbesuchtes freigeben wollte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht Café Ufer des Flusses, dem ich dann doch nicht fragte ich laut in die Runde: „Wem gehört denn widerstehen konnte und setzte mich unter die dieser Hund?“ Gäste. Kommt man ohne Begleitung unter so viele Menschen, kann man sie unbemerkt beobachten. „Ach, das ist der Hund von Dr. Lippert“, rief die Das Spektrum der Wesensarten ist unvergleich- Bedienung und machte den „Schönling“ am lauten lich und hochinteressant. Das Gelächter an Tisch vor mir auf meinen „Fang“ aufmerksam. einem Tische vor mir erweckte unweigerlich mein Der wollte sein Tier mit knapper „Tschuldigung“ Interesse. Ein Herr, schätzungsweise in meinem abholen. „Dr. Lippert? Klaus Lippert?“ Kurzes „Ja“. Alter, umgeben von vier jungen Damen, musste Ich stellte mich mit meinem Mädchennamen vor, sich wahrhaftig fühlen wie der Hahn im Korb. Es sagte ihm, dass wir zusammen im Nachbarort in wurde geschäkert, gekichert und geküsst. Jede die Schule gegangen waren. Er konnte oder wollte seiner Begleiterinnen produzierte sich immer sich nicht mehr an mich erinnern. Für mich wäre mehr, um seine besondere Aufmerksamkeit auf die Angelegenheit erledigt gewesen, wenn nicht sich zu lenken. auch noch die Damen neugierig dazu gekommen wären. Es war für ihn wohl der Gipfel der Peinlich- Inzwischen wuselte etwas um meine Beine he- keit und ich zahlte so schnell ich konnte, um wei- rum. Ich bückte mich um unter den Tisch sehen teren Fragen seiner Begleiterinnen zu entrinnen. zu können, sah aber nichts. Vielleicht eine Katze? Es konnte auch keiner gefüßelt haben, denn es Wie es meiner Hand erging? Nach einer kurzen saß mir niemand gegenüber. Erneut spürte ich Entzündung der Bisswunde verheilte alles recht etwas um meine Beine herum schnüren und fuhr schnell. Ob der Hund dieses Internisten Desin- mit der Hand unter den Tisch. Nach einer kurzen fektionsmittel zu trinken bekam, weil diese Ver- Schrecksekunde zog ich meine Hand hoch und letzung so glimpflich verheilte? hatte, man kann es kaum glauben, einen Hund Uta Gutermann Werbung Warum sich gerade JETZT der VERKAUF Ihrer IMMOBILIE lohnt? Das erfahren Sie direkt bei uns. Vereinbaren Sie Ihren kostenlosen Beratungstermin. Silhöfer Straße 36, 35578 Wetzlar Dirk Francovich 06441 / 20 49 405 Immobilienmakler immo@francovich-immobilien.de Immobilienverwalter www.francovich-immobilien.de Immobilienwertermittler seniorenpost wetzlar 224 15
Unterhaltung Florian und die Dianaburg Bäume und Häuser rasten an unserem Fenster die quietschenden Bremsen zum Aussteigen. Mit vorüber. Florian starrte fasziniert hinaus auf die einem kräftigen „Wiedersehen“ überließ der nun Welt, die sich da so seltsam vorbeibewegte. Wie mutig gewordene Wanderbursche die freundliche sehr hatte er sich die Bahnfahrt gewünscht. Als ich Dame wieder ihren eigenen Gedanken. ihm vor Wochen versprach, mit ihm zur Dianaburg zu wandern, erstrahlte sein Gesicht vor Freude, Die Gegend um den Bahnhof herum war hässlich, um dann aber gleich darauf ganz ernst zu werden. und wir brachten sie schnell hinter uns. Oben „Gibt es da wirklich ganz echte ‚ianers?“ fragte er am Waldrand staunte Flori über die bereits voll- mit seinen großen dunklen Augen zu mir herauf. brachte Leistung. Das ganze Dorf lag zu unseren Mit seinen gerade vier Jahren leistete er sich Füßen. Weit unten im Tal glitzerte die Dill im noch den beneidenswerten Luxus, bei längeren Sonnenlicht wie eine Perlenkette zu uns herauf. Wörtern ein paar Buchstaben einfach fortzulas- Florian legte eine kurze Teepause ein, denn sen. „Ob es da Indianer das Fläschchen baumelte gibt? Vielleicht, ich weiß es schon zu lange verlockend nicht“, wich ich aus und be- an seiner Brust, und das mühte mich, ebenso ernst erzeugt einen ungeheuren zu bleiben. Entgegen seiner Durst. Das Blätterdach des sonstigen Gewohnheit gab Hochwaldes schützte uns er sich nach kurzem Nach- inzwischen vor der schon denken mit dieser auswei- unangenehm werdenden chenden Antwort zufrieden Hitze, und Florian schritt und fragte nicht weiter. kräftig aus. „Flori“, ver- suchte ich ihn nach einer Das gleichmäßige Rucken Weile etwas abzulenken, unter uns, das mir auf län- „wenn Du Tiere sehen geren Bahnreisen stets so willst, musst du aber ganz monoton und ermüdend leise schleichen. Kannst erschien, war heute Musik du das?“ „Klar, das geht in meinen Ohren. Florian doch baby“, frohlockte er saß - tief beeindruckt von und ging nun - ähnlich den ständig wechselnden einem Seiltänzer - spitz- Bildern, die der Fensterrah- füßig vor mir her, die Arme men bot - neben mir. Die weit ausschwenkend und ältere Dame uns gegenüber den Körper vornüberge- konnte sich an ihm nicht beugt. Lustig war‘s - aber sattsehen. „Du bist ja ein leise nicht. „Aber Flori“, echter Wanderbursche“, stellte sie mit bewegter musste ich ihn enttäuschen, „ich höre ja noch Stimme fest und riß Florian aus seinen Betrach- die Steinchen unter deinen Füßen. So werden tungen. „So eine schöne Lederhose und echte wir bestimmt keine Tiere sehen“. „Aber es geht Wanderschuhe. Sogar einen Rucksack hast Du doch nicht leiser“, trotzte er dem Weinen nahe. um, da ist wohl die Marschverpflegung drin?“ Flo- „Kann ich denn fliegen?“ „Geh doch einmal da rian bejahte etwas geniert und schob sein kleines auf dem braunen Humusstreifen am Wegrand“, Händchen noch tiefer zwischen meine Finger, um ermutigte ich ihn. Er tat es und merkte nun selbst, die nötige Sicherheit zu bekommen, die diese wir gut es sich da auf der Grenze zwischen dem Situation nun mal erforderte. Bevor die Unterhal- raschelnden Laub und den knirschenden Steinen tung so richtig in Gang kommen konnte, mahnten schleichen ließ. „Jetzt kann ich es aber“, strahlte 16 seniorenpost wetzlar 224
Unterhaltung er zu mir zurück, behielt aber den Seiltänzergang gegen die Blechkuppel. Deshalb klingt es auch zur Vorsicht bei. Minute für Minute schlichen wir so hohl und blechern. Auf jeden Fall wissen wir im Gänsemarsch den sich schlängelnden Weg nun ganz genau die Richtung und auch, dass es hinauf, hier und da stehenbleibend, lauschend. nicht mehr so weit ist“. Das gab Florian, der nun Die Geräusche des Dorfes klangen kaum noch doch langsam ermüdete, wieder frischen Mut, zu uns durch. Wieder blieb Florian stehen. Ein doch vor der letzten Anhöhe nahm ich ihn vor- kräftiges Rascheln vor uns im Laub erregte seine sichtshalber auf die Schultern, von wo aus er mich Aufmerksamkeit. „Da“, sagte er leise mit großen nun zu Höchstleistungen anzutreiben versuchte. Augen, „ein Vogel“. Ich nahm ihn auf den Arm, Doch auch meine Kräfte waren begrenzt, und so damit er besser sehen konnte. „Ist der nicht gol- waren wir beide froh, als wir die Wiese an der dig?“ „Eine Amsel“, flüsterte ich zurück, „davon Dianaburg endlich erreichten. Florian ließ es sich haben wir doch ganz viele im Garten“. Doch blieb nicht nehmen, der Burg - einen mächtigen Turm ich stehen, und wir beobachteten die Amsel, die - , die dort oben fast völlig von Bäumen verdeckt da vorn zwischen dem Falllaub nach Larven und auf dem Basaltkegel steht, sogleich einen Besuch Würmern suchte. Ein neues Geräusch, das Kna- abzustatten. Er turnte übermütig zwischen den cken eines Ästchens, ließ uns beide gleichzeitig Basaltbrocken umher, und alle Müdigkeit war nach rechts sehen. „Ein Reh“, hauchte mir Florian verflogen. erfreut ins Ohr. Er hielt ganz still, nur seine Hand klammerte sich etwas fester an meine Schulter. Nach dem Mittagessen - es gab Würstchen nach Das Reh stand wie gebannt unter uns am Hang, Waldläuferart - streckte ich mich erst einmal auf vom Gebüsch halb verdeckt. Es sah mit sanftem der Wiese aus und versuchte, vor dem Rück- Blick aus großen, schwarzen Augen zu uns marsch noch etwas auszuruhen. Es hätte alles herauf, beide Ohren steil aufgerichtet. Hatte es so schön sein können, wenn mich diese dumme keine Angst? Jäh machte es einen Satz zur Seite, Mücke nicht ständig in den Hals gestochen hät- blickte wieder zu uns und spielte mit den großen te. Als ich endlich kräftig nach ihr schlug, lachte Ohren. Doch schien es nichts Beunruhigendes zu jemand hinter mir hell und schadenfroh auf, und entdecken, senkte nun sogar seinen Kopf dem ich konnte nicht mehr sehen, wie Florian - Freu- zarten Grün entgegen, zupfte ein wenig daran und dentränen in den Augen - den langen Grashalm verschwand schließlich in dem dichten Unterholz, blitzschnell hinter seinem Rücken versteckte. wo wir ihm noch eine Weile nachlauschten. „War Bevor ich ihn greifen konnte, rannte er schon zwei das nicht schön?“ fragte Florian etwas atemlos Bläulingen nach, die durcheinanderwirbelnd über vom Luftanhalten und kraulte dabei zart meinen die Waldwiese schaukelten. Florian sprang - die Nacken. „Ja, Flori, das war sogar sehr schön, Hände über dem Kopf ausgestreckt - hinterher. und das nur, weil Du schon so gut schleichen Doch je weiter die wilde Jagd ging, umso mehr kannst“. „Ja“, bestätigte er knapp und zu neuen Schmetterlinge wurden aufgescheucht. Flori- Taten angespornt. an schrie vor Vergnügen und versuchte, jeden Aus der Ferne dröhnte ein schnelles „Tocktock- Schmetterling zu erhaschen. Schnaufend und tocktock“ zu uns herüber. „Na, Flori, weißt du, atemlos lag er schließlich neben mir, wo er dann wer da klopft?“ nahm ich ihm die Antwort schon endlich in einen kurzen aber wohltuenden Schlaf fast vorweg, und wie zur weiteren Unterstützung fiel, der ihn für den „Abstieg“ stärkte... tockte es wiederum durch die Waldesstille. „Das ist ein Specht“, war die sachkundige Antwort. Und die Indianer? Ob es da oben Indianer gibt? „Ja, das hast du gut gewusst“, lobte ich, „und Ich muß gestehen, ich weiß es auch heute noch der Specht - ein Grauspecht - sitzt oben auf der nicht. Aber eines weiß ich ganz sicher: Es lohnt Dianaburg und hämmert mit seinem Schnabel sich für jeden, das einmal selbst herauszufinden. Peter-Jörg Albrecht seniorenpost wetzlar 224 17
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