Bebop, Bars und weißes Pulver - Jack Kerouac Leseprobe aus: Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

 
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Leseprobe aus:

                     Jack Kerouac

Bebop, Bars und weißes Pulver

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  Copyright © 1979, 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
das gleiche Gesicht, aber dunkel, weich, mit kleinen Augen
ehrlich funkelnd und intensiv beugte Mardou sich vor
und sagte in größter Ernsthaftigkeit irgendetwas zu Ross
Wallenstein ( Juliens Freund), beugte sich über den Tisch,
weit – «Ich muss mit ihr was anfangen» – ich versuchte
ihr einladende eindeutige Blicke zuzuwerfen – sie dachte
gar nicht daran den Kopf zu heben oder herüberzublicken
– ich muss erklären, ich war eben erst von einem Schiff in
New York gekommen, wo sie mich vor der Weiterfahrt nach
Kobe in Japan abgeschoben hatten, wegen Schwierigkeiten
mit dem Steward und meiner Unfähigkeit, meine Arbeit als
Essenholer im Salon freundlich und wie ein gewöhnlicher
Mensch zu verrichten (und jeder muss zugeben, dass ich
mich hier an die Tatsachen halte), typisch für mich, ich be-
handelte den Ersten Maschinisten und die anderen Offizie-
re mit übertriebener Höflichkeit, das ärgerte sie schließlich,
sie wollten, dass ich morgens, wenn ich den Kaffee vor sie
hinstellte, irgendetwas sagte, selbst etwas Mürrisches, und
stattdessen beeilte ich mich stumm auf Kreppsohlen ihren
Wünschen nachzukommen und zeigte wenn überhaupt ein
schwaches, ein überlegenes Lächeln, und das hat alles mit
dem Engel der Einsamkeit zu tun, der auf meiner Schulter
saß, als ich an diesem Abend die warme Montgomery Street
herunterkam und Mardou mit Julien auf dem Kotflügel sit-
zen sah und daran dachte «Ach da ist ja das Mädchen, mit
der ich was anfangen muss, möchte bloß wissen, ob sie mit
einem dieser Jungs geht» – dunkel, man konnte sie in dem
düsteren Licht kaum sehen – ihre Füße in irgendwelchen
Riemchensandalen von einer derart sexuell erregenden
Größe, dass ich sie küssen wollte, das Mädchen, die Füße –
obwohl ich von nichts eine Ahnung hatte.
    Die Unterirdischen saßen und standen in der warmen
Nacht vor dem Mask herum, Julien auf dem Kotflügel,

                                                            
Ross Wallenstein stand daneben, Roger Beloit der große
Bop-Tenorsaxophonist, Walt Fitzpatrick der als Sohn
eines berühmten Regisseurs in Hollywood aufgewachsen
war in einer Atmosphäre von Greta-Garbo-Partys im
Morgengrauen und einem betrunken über die Türschwel-
le stürzenden Chaplin, mehrere andere Mädchen, Harriet,
die Exfrau Ross Wallensteins, eine Art Blondine mit sanf-
ten ausdruckslosen Gesichtszügen in einem einfachen fast
wie eine Hausfrau-in-der-Küche-Baumwollkleid und doch
weichen Rundungen zum Ansehen – womit wieder ein
Geständnis fällig ist, dem noch viele folgen werden, ehe
die Zeit abgelaufen ist – ich habe ein ungeschminkt männ-
liches Interesse am Sex und kann es nicht ändern und habe
lüsterne und so fort Neigungen wie zweifellos fast alle
meine männlichen Leser – Geständnis auf Geständnis, ich
bin ein Frankokanadier, ich habe Englisch erst mit 5 oder
6 gelernt, noch mit 16 hatte ich einen lähmenden Akzent
und war ein großes ahnungsloses Kind in der Schule auch
wenn ich später in der Schulmannschaft Basketball spielte
und wäre das nicht gewesen hätte keiner bemerkt dass ich
es in irgendeiner Weise mit der Welt aufnehmen konnte
(Unterselbstvertrauen) und sie hätten mich wegen irgend-
einer Unzulänglichkeit ins Irrenhaus gesteckt –
    Aber jetzt muss ich von Mardou erzählen (schwer ein
echtes Bekenntnis abzulegen und zu zeigen was geschehen
ist wenn man so egozentrisch ist, dass man nichts anderes
tun kann als lange Abschnitte mit unwichtigen Details
über sich selbst zu füllen, während die wichtigen Details
über die Seelen anderer herumsitzen und warten) – auf
jeden Fall, also, außerdem war da noch Fritz Nicholas, der
nominelle Anführer der Unterirdischen, zu dem ich sagte
(nachdem ich ihn am Silvesterabend in einer protzigen
Wohnung am Nob Hill kennengelernt hatte wo er mit ge-


kreuzten Beinen in einem sauberen weißen Russenhemd
wie ein Peyote-Indianer auf dem dicken Teppich saß
und an seiner Schulter ein verrücktes Isadora-Duncan-
Mädchen sie rauchten Pot und redeten über Pound und
Peyote) (dünn auch christusähnlich mit dem Aussehen
eines Fauns und jung und ernsthaft und wie der Vater der
Gruppe wenn man ihn beispielsweise plötzlich im Black
Mask sitzen sah, wo er mit zurückgeworfenem Kopf und
schmalen dunklen Augen alle beobachtete wie in plötz-
lichem langsamem Erstaunen und «Hier sind wir meine
Kinder und was nun meine Lieben», aber auch ein großer
Drogenfreund, alles was high macht war ihm willkommen,
jederzeit und möglichst stark) ich sagte zu ihm: «Kennst
du dieses Mädchen, die Dunkle?» – «Mardou?» –
«Heißt sie so? Mit wem geht sie?» – «Zurzeit mit keinem
Bestimmten, in dieser Gruppe hat’s schon eine Menge
Inzest gegeben», eine höchst seltsame Bemerkung, die er
da machte, als wir zu seinem alten verbeulten 36er Chevy
ohne Rücksitze gegenüber der Bar gingen, um für die
ganze Gruppe Gras zu besorgen, denn ich hatte zu Larry
gesagt: «Mann, lass uns Gras besorgen.» – «Und wieso
willst du all diese Leute dabeihaben?» – «Ich steh auf die
Gruppe als Ganzes», sagte ich auch für Nicholas’ Ohren,
damit er sehen konnte, wie sensibel ich war ein Fremder
in der Gruppe der sofort usw. ihren Wert erkannte – Tat-
sachen, Tatsachen, schöne Philosophie die mir längst und
wie der Schwung anderer Jahre abhandengekommen ist
– eine Menge Inzest – es gab schließlich noch einen her-
ausragenden Mann in der Gruppe, der aber jetzt diesen
Sommer nicht hier war sondern in Paris, Jack Steen, ein
sehr interessanter kleiner Bursche Leslie-Howard-Typ er
kam daher (Mardou hat mir das später vorgeführt) wie
ein Wiener Philosoph mit einem Schlenkern der schlaffen
Arme einem leichten seitlichen Drall und langen lang-
samen fließenden Schritten, bis er in einer gebieterischen
schlaffen Pose an der Ecke stehen blieb – auch er hatte
mit Mardou zu tun gehabt und wie ich später erfuhr auf
höchst sonderbare Weise – doch nun mein erstes bisschen
an Information über dieses Mädchen mit dem ich mich
UNBEDINGT einlassen wollte als ob nicht schon genug
Ärger oder frühere Romanzen mich gelehrt hätten was
Schmerz ist aber ich konnte es nicht lassen, mein Leben
lang nicht –
    Aus der Bar strömten interessante Leute, alles an die-
sem Abend machte großen Eindruck auf mich, eine Art
dunkler Marlon Brando mit Haaren wie Truman Capote
und bei ihm ein wunderschönes schlankes Jädchen oder
Mädchen in Knabenhosen mit Sternen in den Augen und
Hüften die so weich schienen als sie die Hände in die Ho-
sentaschen steckte, konnte ich die Veränderung sehen –
und dunkle schlanke Hosenbeine fielen über kleine Füße,
und dann dieses Gesicht, und bei ihnen ein Typ mit einer
anderen schönen Puppe, Rob hieß der Typ irgendein
unternehmungslustiger Soldat aus Israel mit britischem
Akzent so einen findet man wohl morgens um fünf in
einer Bar an der Riviera inmitten eines Haufens interes-
santer verrückter Freunde aus der internationalen Lebe-
welt trinkt alles was da ist in alphabetischer Reihenfolge –
Larry O’Hara stellte mich Roger Beloit vor (ich konnte
nicht glauben, dass dieser junge Mann mit dem unauffäl-
ligen Gesicht, der da vor mir stand, der große Dichter war,
den ich einst so verehrt hatte, in meiner Jugend, meiner
Jugend, meiner Jugend, ich meine 1948 und spreche dau-
ernd von meiner Jugend) – «Das ist Roger Beloit? – Und
ich bin Bennett Fitzpatrick» (Walts Vater), was Roger
Beloit lächeln ließ – auch Adam Moorad war inzwischen


aus dem Dunkel aufgetaucht und der Abend konnte be-
ginnen –
    Wir trafen uns also alle bei Larry, und Julien saß am
Boden vor einer ausgebreiteten Zeitung darauf das Gras
(minderwertiger L.A.-Qualität, aber gut genug) und er
drehte die Joints oder «rollte» sie, wie Jack Steen, der
Abwesende, am vergangenen Silvesterabend zu mir gesagt
hatte, und da das meine erste Berührung mit den Unter-
irdischen gewesen war, hatte er angeboten, einen Stick für
mich zu rollen und ich hatte richtig kalt gesagt: «Wozu?
Das mach ich schon selber», und sofort lag die Wolke auf
seinem sensiblen kleinen Gesicht usw. und er hasste mich –
und schnitt mich an diesem Abend, wo immer er konnte –,
aber jetzt saß Julien am Boden, im Schneidersitz, und
drehte Joints für die Gruppe, und alle beteiligten sich am
monotonen Gemurmel der Gespräche, die ich ganz gewiss
nicht wiederholen werde, höchstens Dinge wie «Ich seh
da dieses Buch von Percepied – wer ist Percepied, haben
sie den noch nicht hochgehen lassen?» und derlei belang-
loses Zeug, oder es geht um Stan Kenton und die Musik
von morgen und wir hören einen neuen Mann am Tenor-
sax, Ricci Comucca, und Roger Beloit zieht ausdrucksvoll
die schmalen Purpurlippen zurück und sagt: «Das soll
die Musik von morgen sein?», und Larry O’Hara erzählt
die üblichen Anekdoten aus seinem Repertoire. Unter-
wegs hatte Julien, der in dem 36er Chevy neben mir auf
dem Boden saß, die Hand ausgestreckt und gesagt: «Ich
heiße Julien Alexander, ich habe etwas, ich habe Ägypten
erobert», und dann streckte Mardou Adam Moorad die
Hand hin und stellte sich vor, «Mardou Fox», dachte
aber gar nicht daran, sich mir vorzustellen, und das hätte
für mich der erste Hinweis sein müssen, auf das, was noch
kommen sollte, jedenfalls musste ich ihr die Hand hinhal-

                                                       
ten und sagen: «Leo Percepied heiß ich» und ihre Hand
schütteln – ach, immer ist man hinter denen her, die einen
im Grunde gar nicht haben wollen – sie wollte wirklich
Adam Moorad, sie war gerade erst kühl und auf Art der
Unterirdischen von Julien abgewiesen worden – sie war
an hageren asketischen wunderlichen Intellektuellen aus
San Francisco und Berkeley interessiert und nicht an bul-
ligen paranoiden Pennern von Schiffen herunter und aus
Eisenbahnen und Romanen und von einer Widerlichkeit,
die mir und deshalb auch anderen an mir selber so auf-
fällt – doch obschon und weil sie zehn Jahre jünger war als
ich sah sie nichts von meinen guten Seiten, aber die waren
ohnehin längst unter jahrelangem Drogenkonsum ver-
schüttet und unter dem Wunsch zu sterben, aufzugeben,
alles aufzugeben und alles zu vergessen, im dunklen Stern
zu sterben – ich war es, der die Hand ausstreckte, nicht
sie – ach die Zeit.
    Aber angesichts ihrer zarten Reize hatte ich nur den al-
les verdrängenden einen Gedanken: Ich musste mein ein-
sames Wesen («Ein starker trauriger einsamer Mann»,
sagte sie später einmal zu mir, als sie mich eines Abends
plötzlich dasitzen sah) im warmen Bad und der Erlösung
ihrer Schenkel versenken – die Innigkeiten von Junglie-
benden in einem Bett, high, Auge an Auge, nackte Brust
an Brust, Organ an Organ, Knie an zitterndem Gänsehaut-
knie, ein existenzielles Tauschen und Zusammensein von
Liebenden im Bemühen, es zu schaffen – «es schaffen»
war ihre Zauberformel, ich kann sehen, wie sich die
kleinen Zähne durch die kleinen Rotlippen schieben,
während sie dabei ist, «es zu schaffen» – der Schlüssel
zum Schmerz – sie saß in der Ecke, am Fenster, sie war
aus ganz persönlichen Gründen «losgelöst» oder «weit
weg» oder «bereit aus dieser Gruppe auszusteigen». –


Ich ging in die Ecke und lehnte meinen Kopf nicht an sie,
sondern an die Wand und versuchte es mit stummer Ver-
ständigung, dann mit ruhigen Worten (zur Party passend)
und North-Beach-Worten, «Was ist das für ein Buch?»
und zum ersten Mal machte sie den Mund auf und sprach
mit mir und teilte mir einen ganzen Gedanken mit und
mein Herz verzagte zwar nicht direkt aber ich wunderte
mich über den gepflegten merkwürdigen Tonfall, teils
Beach, teils mondänes Mannequin, teils Berkeley, teils
schwarze Oberklasse, irgendetwas, eine Mischung aus
langue und einer Redeweise und Wortwahl, die ich noch
nirgends gehört hatte außer bei ganz wenigen besonderen
Mädchen die natürlich weiß waren und so merkwürdig,
dass es sogar Adam sofort auffiel wie er mir später an dem
Abend noch sagte – aber eindeutig die Sprechweise der
neuen Bebop-Generation, man spricht I nicht «ai» aus
sondern «ahai» oder «oi», irgendwie lang gezogen, oft
wie ein «weibisches» Reden von früher, sodass es bei
einem Mann zunächst mal unangenehm wirkt und bei
Frauen zwar nicht ohne Reiz aber viel zu fremdartig, ein
Ton den ich bestimmt und mit Verwunderung schon in
der Stimme neuer Bebop-Sänger gehört hatte, bei Jerry
Winters etwa, vor allem zusammen mit Kentons Band auf
der Platte Yes Daddy Yes und vielleicht auch bei Jeri South-
ern – aber mein Mut sank, denn die Beachleute hatten
mich schon immer gehasst, mich ausgestoßen, mich über-
sehen, auf mich geschissen, schon seit 1943 – denn sieh
doch, wenn ich die Straße entlangkomme bin ich irgend-
ein Schlägertyp, und wenn sie dann merken, dass ich kein
Schlägertyp sondern so was wie ein verrückter Heiliger
bin, gefällt ihnen das auch nicht und außerdem haben sie
Angst, dass ich plötzlich doch zuschlage und alles kurz
und klein schlage und das hätte ich auch fast getan und

                                                         
als Jugendlicher tatsächlich, als ich zum Beispiel mit den
Stanford-Basketballern durch North Beach zog, vor allem
mit Red Kelly dessen Frau (richtige?) 1946 in Redwood
City starb, die ganze Mannschaft hinter uns, außerdem die
Garetta-Brüder, er schob einen Geiger einen Schwulen in
eine Toreinfahrt und ich stieß einen anderen hinein, er ver-
prügelte seinen, ich starrte meinen finster an, ich war 18,
ich war ein Kinderschreck und selber noch so frisch wie
ein Gänseblümchen – jetzt sahen sie diese Vergangenheit
in meinen wilden und finsteren Blicken und in meinem
furchterregenden Stirnrunzeln und wollten nichts mit
mir zu tun haben, und so wusste ich natürlich auch, dass
Mardou mir ein wirkliches und echtes Misstrauen und
Missfallen entgegenbrachte wie ich so dasaß und «ver-
suchte nicht ES, sondern sie zu schaffen» – gar nicht hip
sondern draufgängerisch und lächelnd, sie nennen es ein
falsches hysterisches «zwanghaftes» Lächeln – ich erhitzt
– die anderen cool – dazu trug ich auch noch ein ungüns-
tiges nicht Beach-gemäßes Hemd, das ich am Broadway in
New York gekauft hatte, als ich in Gedanken schon über
die Landungsbrücke in Kobe ging, ein albernes Hawaii-
hemd à la Crosby mit Mustern drauf, und nach der an-
fänglich aufrichtigen Bescheidenheit meines eigentlichen
Selbst (wirklich) fühlte ich mich voll männlicher Eitel-
keit schon nach zwei Zügen an meinem Joint gezwungen
einen weiteren Knopf an dem Hemd zu öffnen und so
meine gebräunte haarige Brust herzuzeigen – was sie an-
gewidert haben muss –, sie blickte aber ohnehin nicht her
und redete wenig und leise – und konzentrierte sich auf
Julien der mit dem Rücken zu ihr auf dem Boden hock-
te – und sie horchte und murmelte ein Lachen in die all-
gemeine Unterhaltung – am meisten redeten O’Hara und
der lautsprechende Roger Beloit und jener intelligente


unternehmungslustige Rob und ich, zu stumm, zuhörend,
genießend, machte aber in meiner Gras-Selbstgefälligkeit
gelegentlich «perfekte» (so glaubte ich) Zwischenbe-
merkungen die nur «zu perfekt» waren, aber für Adam
Moorad der mich schon lange kannte deutliches Zeichen
meiner Scheu und Aufmerksamkeit und Achtung vor
der Gruppe, und für die anderen wollte dieser Neue mit
seinen Zwischenbemerkungen nur zeigen dass er hip war
– alles entsetzlich und nicht wiedergutzumachen. – Am
Anfang allerdings, vor den Joints, die die Runde machten
wie bei den Indianern die Friedenspfeife, hatte ich das
sichere Gefühl, es würde mir gelingen, Mardou näherzu-
kommen und mich mit ihr einzulassen und sie gleich in
dieser ersten Nacht zu «schaffen» das heißt mit ihr allein
loszuziehen und sei es nur auf einen Kaffee, aber nach den
Joints die mich ehrerbietig und in ernster Heimlichkeit
um die Rückkehr meiner vom keinem Joint beeinflussten
Vernunft beten ließen wurde ich äußerst selbst-unsicher,
ich übertrieb meine Bemühungen um sie, war sicher, dass
sie mich nicht mochte, hasste die Tatsachen – ich muss-
te nun an jenen Abend denken an dem ich Nicki Peters
die ich später liebte kennenlernte, 1948 in Adam Moorads
Wohnung im (damals) Fillmore, ich stand wie üblich unbe-
kümmert und mit einem Bier in der Küche (und zu Hause
arbeitete ich wie ein Wilder an einem dicken Roman, ver-
rückt, übergeschnappt, zuversichtlich, jung, begabt wie
seitdem nie wieder), als sie auf meinen Schatten an der
blassgrünen Wand zeigte und sagte: «Wie schön dein Pro-
fil aussieht», und das verblüffte mich so sehr und machte
mich (wie das Gras) selbstunsicher, über-aufmerksam,
und ich machte mich daran «sie zu schaffen» und fing an
mich so zu benehmen, dass es durch ihre fast hypnotische
Bemerkung nun zu den ersten einleitenden Sondierungen

                                                       
von Stolz gegen Stolz kam und von Schönheit oder Glück-
seligkeit oder Sensibilität gegen die dumme neurotische
Nervosität des phallischen Typs, der sich pausenlos seines
Phallus, seines Turms, bewusst ist, der die Frau als Brun-
nen sieht – so sieht es in Wahrheit aus, doch der Mann ist
aus dem Gleichgewicht, keineswegs entspannt, und dies
ist nicht mehr das Jahr 1948 sondern 1953 und die Leu-
te sind cool und ich fünf Jahre älter oder jünger und ich
muss es (oder die Frauen) auf eine andere Art und Weise
schaffen und die Nervosität ablegen – jedenfalls hörte ich
auf mich bewusst an Mardou heranzumachen und freute
mich einfach auf einen langen Abend mit dieser neuen
verblüffenden Gruppe der Unterirdischen, von Adam in
North Beach entdeckt und so getauft.
    Aber Mardou gab sich in der Tat vom ersten Moment
an selbständig und unabhängig, als sie verkündete, sie
wolle niemand, wolle mit keinem was zu tun haben, wolle
(nach mir) damit aufhören – und ich spüre es jetzt in der
kalten elenden Nacht in der Luft, was sie damals verkün-
dete, spüre, dass ihre kleinen Zähne nicht mehr für mich
da sind, dass vielmehr mein Feind an ihnen leckt und
ihr sadistisch kommt was sie wahrscheinlich liebt denn
ich hab sie anders behandelt – Morde in der Luft – und
jene kahle Ecke, in der eine Lampe brennt, und Winde
wirbeln, eine Zeitung, Nebel, ich sehe das große entmu-
tigte Gesicht meiner selbst und meine sogenannte Liebe
draußen auf der Gasse in sich zusammensinken, kaputt –
so wie es vorher ein melancholisches Zusammensinken
auf elektrischen Stühlen gegeben hatte, entmutigt von
Monden (wenn wir auch im Augenblick die große Nacht
des Erntemondes haben) – während es damals, vorher, die
Erkenntnis war, dass ich zur weltweiten Liebe zurückkeh-
ren musste, wie das ein großer Schriftsteller einfach tun


muss, ein Luther, ein Wagner, ist jetzt dieser wärmende
Gedanke an Größe ein eisiger Luftzug im Wind – denn
auch Größe stirbt – ach, und wer hat denn gesagt, ich sei
groß – und angenommen man wäre ein großer Schrift-
steller, ein heimlicher Shakespeare der Kopfkissennacht?
oder in Wirklichkeit – ein Gedicht Baudelaires wiegt sei-
nen Schmerz nicht auf – seinen Schmerz – (Es war Mar-
dou, die schließlich zu mir sagte: «Ich hätte den glück-
lichen Mann den unglücklichen Gedichten vorgezogen,
die er uns hinterlassen hat», was auch meine Meinung ist
und ich bin Baudelaire und liebe meine dunkle Geliebte
und auch ich lehnte mich an ihren Bauch und horchte auf
das Rumpeln im Verborgenen) –, aber als sie gleich zu
Beginn ihre Unabhängigkeit verkündete hätte ich wissen
müssen, dass sie eine echte Abneigung dagegen hatte, sich
mit mir einzulassen, doch stattdessen stürzte ich mich auf
sie, als ob ich und weil ich tatsächlich verletzt und ver-
wundet werden wollte – noch eine solche Wunde und
ich komme unter die Grasnarbe und sie lassen meinen
Sarg runterrumpeln, Mensch – denn nun spannt der Tod
große Flügel über mein Fenster, ich seh ihn, ich hör ihn,
ich riech ihn, ich seh ihn in meinen schlaff dahängenden
Hemden, dazu bestimmt, nicht getragen zu werden, neu-
alt, modisch-altmodisch, Krawatten wie Schlangen die ich
gar nicht mehr benutze, neue Decken für herbstlich fried-
liche Betten doch nun sind es schwankende auf Wellen
treibende Pritschen in einem Meer aus Selbstmord – Ver-
lust – Hass – Paranoia – es war ihr kleines Gesicht in das
ich eindringen wollte und auch bin –
     Gegen Morgen als die Party ihren Höhepunkt erreich-
te war ich wieder in Larrys Schlafzimmer und bewunderte
das rote Licht und dachte an die Nacht, als wir zu dritt
– Adam und Larry und ich – Micky in diesem Zimmer

                                                       
hatten und Bennies schluckten und eine tolle kaum zu
beschreibende Sexparty hatten – als Larry hereinstürmte
und sagte: «Mann wie sieht’s aus, kriegst du sie rum heute
Nacht?»–«Ichmöchtjaverdammt,aberichweißnicht–»
– «Dann mach schon Mann, du hast nicht mehr viel Zeit,
was’n los mit dir, wenn wir schon all die Leute herholen
und ihnen Gras zum Rauchen geben und mein ganzes Bier
aus dem Kühlschrank, Mann da muss was rauskommen
für uns, wir müssen was tun –» – «Ach so, du magst sie?»
– «Klar Mann, ich mag alle – aber ich meinte jetzt dich,
Mann.» Und so nahm ich widerwillig und lahm einen
neuen Anlauf, ein flüchtiger Blick, eine Bemerkung, ich
setzte mich zu ihr in die Ecke. Und dann gab ich auf und
im Morgengrauen zog sie mit den anderen ab um irgend-
wo Kaffee zu trinken und ich ging mit Adam hinterher um
sie wiederzusehen (gingen fünf Minuten nach der Gruppe
die Treppe hinunter) und alle waren da nur sie nicht, un-
abhängig düster grübelnd war sie zu ihrer stickigen klei-
nen Wohnung an der Heavenly Lane auf dem Telegraph
Hill gegangen.
    Ich ging also heim, und mehrere Tage lang erschien in
sexuellen Phantasien sie, ihre dunklen Füße, die Riemen
ihrer Sandalen, dunkle Augen, kleines sanftes braunes
Gesicht, an Rita Savage erinnernde Wangen und Lippen,
ein wenig verschwiegene Vertrautheit und nun auch ein
irgendwie sanfter schlangenähnlicher Charme wie er einer
kleinen schlanken braunen Frau gut ansteht, die zu dunk-
ler Kleidung neigt, zur Kleidung der armen zerschlagenen
Unterirdischen . . .
    Ein paar Abende danach meldete Adam mit einem
boshaften Lächeln, dass er sie zufällig in einem Third-
Street-Bus getroffen hatte und dass sie in seine Wohnung
gegangen waren um sich zu unterhalten und etwas zu trin-


ken und dass eine unheimlich lange Unterhaltung schließ-
lich ganz in der Art Leroys darin gipfelte, dass Adam nackt
dasaß und chinesische Gedichte vorlas und ein paar Sticks
herumgehen ließ, bis sie sich schließlich im Bett wieder-
fanden. «Und sie ist sehr zärtlich, mein Gott, wie sie
plötzlich die Arme um dich legt, offenbar nur aus reiner
plötzlicher Zuneigung.» – «Wirst du’s machen? Eine Af-
färe mit ihr anfangen?» – «Also weißt du, ich – ich kann
dir nur sagen – sie ist durch und durch und nicht nur ein
bisschen verrückt – sie macht Therapie, ist offenbar erst
vor kurzem ernsthaft ausgeflippt, hat irgendwas mit Julien
zu tun, geht nicht zum vereinbarten Therapietermin sitzt
oder liegt lieber rum und liest oder tut nichts und starrt
den ganzen Tag an die Decke in ihrer Bude, achtzehn
Dollar im Monat an der Heavenly Lane, bekommt offen-
bar eine Art Fürsorge, irgendwie läuft das über ihre Ärzte
oder sonst jemand und hat mit ihrer Arbeitsunfähigkeit zu
tun oder was weiß ich – davon redet sie dauernd und für
meinen Geschmack eindeutig zu viel – hat anscheinend
echte Halluzinationen von Nonnen in dem Waisenhaus
wo sie aufgewachsen ist und hat sie gesehen und sich
tatsächlich bedroht gefühlt – und auch andere Dinge, so
empfindet sie oft die Wirkung von Junk obwohl sie so was
noch nie genommen hat und nur ein paar Junkies gekannt
hat.» – «Julien?» – «Julien nimmt Junk sooft er kann,
aber das ist selten weil er kein Geld hat und er hat irgend-
wie den Ehrgeiz ein echter Junkie zu werden – jedenfalls
hatte sie Halluzinationen und glaubte sie sei high ohne
selbst etwas dazu getan zu haben glaubte irgendjemand
oder irgendwas habe sie heimlich gespritzt, Leute die ihr
auf der Straße folgen oder so, sie ist wirklich verrückt –
und für mich ist das alles zu viel – und dann auch noch
eine Schwarze, ich will da nicht so tief hineingeraten.» –

                                                         
«Ist sie hübsch?» – «Wunderschön – aber ich kann bei
ihr nicht.» – «Aber Mann, ich steh auf ihr Aussehen und
alles.» – «Na gut Mann, dann bist du dran – geh zu ihr,
ich geb dir die Adresse, oder es ist vielleicht besser wenn,
ich lad sie zu mir ein und wir unterhalten uns, du kannst es
ja versuchen wenn du willst, aber obwohl sie mich sexuell
und so unheimlich erregt, will ich mich wirklich nicht
weiter mit ihr einlassen, nicht nur aus diesen Gründen,
sondern letztlich vor allem aus einem entscheidenden
Grund: Wenn ich mich jetzt mit einem Mädchen einlasse,
dann muss es von Dauer sein, ich meine wirklich von Dau-
er und ernsthaft und langfristig, und bei ihr kann ich das
nicht.» – «Ich möchte auch gern was von Dauer und so
weiter.» – «Nun, wir werden ja sehen.»
    Er nannte mir einen Abend, an dem sie zu ihm kom-
men würde, zu einem kleinen Abendessen, das er für sie
zubereitete, und so ging ich hin und rauchte Gras im roten
Wohnzimmer im trüben Licht einer roten Glühbirne und
sie kam herein und sah aus wie beim letzten Mal, aber ich
trug nun ein einfaches blaues Seidenhemd und elegante
Hosen, und ich lehnte mich zurück und gab mich cool und
hoffte sie werde das bemerken und blieb prompt sitzen,
als die Dame das Wohnzimmer betrat.
    Während sie in der Küche aßen gab ich vor zu lesen.
Ich tat so, als beachtete ich sie nicht im Geringsten. Wir
gingen ein wenig zu dritt spazieren und nun waren wir alle
darauf bedacht wie drei gute Freunde zu reden die zusam-
menhalten und alles sagen wollen was ihnen gerade ein-
fällt, eine freundliche Rivalität – wir gingen ins Red Drum
um Jazz zu hören und das war an diesem Abend Charlie
Parker mit Honduras Jones an den Drums und anderen
interessanten Leuten, wahrscheinlich auch Roger Beloit,
den ich jetzt sehen wollte, und dieser erregende nacht-


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