Bebop, Bars und weißes Pulver - Jack Kerouac Leseprobe aus: Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.
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Leseprobe aus: Jack Kerouac Bebop, Bars und weißes Pulver Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de. Copyright © 1979, 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
das gleiche Gesicht, aber dunkel, weich, mit kleinen Augen ehrlich funkelnd und intensiv beugte Mardou sich vor und sagte in größter Ernsthaftigkeit irgendetwas zu Ross Wallenstein ( Juliens Freund), beugte sich über den Tisch, weit – «Ich muss mit ihr was anfangen» – ich versuchte ihr einladende eindeutige Blicke zuzuwerfen – sie dachte gar nicht daran den Kopf zu heben oder herüberzublicken – ich muss erklären, ich war eben erst von einem Schiff in New York gekommen, wo sie mich vor der Weiterfahrt nach Kobe in Japan abgeschoben hatten, wegen Schwierigkeiten mit dem Steward und meiner Unfähigkeit, meine Arbeit als Essenholer im Salon freundlich und wie ein gewöhnlicher Mensch zu verrichten (und jeder muss zugeben, dass ich mich hier an die Tatsachen halte), typisch für mich, ich be- handelte den Ersten Maschinisten und die anderen Offizie- re mit übertriebener Höflichkeit, das ärgerte sie schließlich, sie wollten, dass ich morgens, wenn ich den Kaffee vor sie hinstellte, irgendetwas sagte, selbst etwas Mürrisches, und stattdessen beeilte ich mich stumm auf Kreppsohlen ihren Wünschen nachzukommen und zeigte wenn überhaupt ein schwaches, ein überlegenes Lächeln, und das hat alles mit dem Engel der Einsamkeit zu tun, der auf meiner Schulter saß, als ich an diesem Abend die warme Montgomery Street herunterkam und Mardou mit Julien auf dem Kotflügel sit- zen sah und daran dachte «Ach da ist ja das Mädchen, mit der ich was anfangen muss, möchte bloß wissen, ob sie mit einem dieser Jungs geht» – dunkel, man konnte sie in dem düsteren Licht kaum sehen – ihre Füße in irgendwelchen Riemchensandalen von einer derart sexuell erregenden Größe, dass ich sie küssen wollte, das Mädchen, die Füße – obwohl ich von nichts eine Ahnung hatte. Die Unterirdischen saßen und standen in der warmen Nacht vor dem Mask herum, Julien auf dem Kotflügel,
Ross Wallenstein stand daneben, Roger Beloit der große Bop-Tenorsaxophonist, Walt Fitzpatrick der als Sohn eines berühmten Regisseurs in Hollywood aufgewachsen war in einer Atmosphäre von Greta-Garbo-Partys im Morgengrauen und einem betrunken über die Türschwel- le stürzenden Chaplin, mehrere andere Mädchen, Harriet, die Exfrau Ross Wallensteins, eine Art Blondine mit sanf- ten ausdruckslosen Gesichtszügen in einem einfachen fast wie eine Hausfrau-in-der-Küche-Baumwollkleid und doch weichen Rundungen zum Ansehen – womit wieder ein Geständnis fällig ist, dem noch viele folgen werden, ehe die Zeit abgelaufen ist – ich habe ein ungeschminkt männ- liches Interesse am Sex und kann es nicht ändern und habe lüsterne und so fort Neigungen wie zweifellos fast alle meine männlichen Leser – Geständnis auf Geständnis, ich bin ein Frankokanadier, ich habe Englisch erst mit 5 oder 6 gelernt, noch mit 16 hatte ich einen lähmenden Akzent und war ein großes ahnungsloses Kind in der Schule auch wenn ich später in der Schulmannschaft Basketball spielte und wäre das nicht gewesen hätte keiner bemerkt dass ich es in irgendeiner Weise mit der Welt aufnehmen konnte (Unterselbstvertrauen) und sie hätten mich wegen irgend- einer Unzulänglichkeit ins Irrenhaus gesteckt – Aber jetzt muss ich von Mardou erzählen (schwer ein echtes Bekenntnis abzulegen und zu zeigen was geschehen ist wenn man so egozentrisch ist, dass man nichts anderes tun kann als lange Abschnitte mit unwichtigen Details über sich selbst zu füllen, während die wichtigen Details über die Seelen anderer herumsitzen und warten) – auf jeden Fall, also, außerdem war da noch Fritz Nicholas, der nominelle Anführer der Unterirdischen, zu dem ich sagte (nachdem ich ihn am Silvesterabend in einer protzigen Wohnung am Nob Hill kennengelernt hatte wo er mit ge-
kreuzten Beinen in einem sauberen weißen Russenhemd wie ein Peyote-Indianer auf dem dicken Teppich saß und an seiner Schulter ein verrücktes Isadora-Duncan- Mädchen sie rauchten Pot und redeten über Pound und Peyote) (dünn auch christusähnlich mit dem Aussehen eines Fauns und jung und ernsthaft und wie der Vater der Gruppe wenn man ihn beispielsweise plötzlich im Black Mask sitzen sah, wo er mit zurückgeworfenem Kopf und schmalen dunklen Augen alle beobachtete wie in plötz- lichem langsamem Erstaunen und «Hier sind wir meine Kinder und was nun meine Lieben», aber auch ein großer Drogenfreund, alles was high macht war ihm willkommen, jederzeit und möglichst stark) ich sagte zu ihm: «Kennst du dieses Mädchen, die Dunkle?» – «Mardou?» – «Heißt sie so? Mit wem geht sie?» – «Zurzeit mit keinem Bestimmten, in dieser Gruppe hat’s schon eine Menge Inzest gegeben», eine höchst seltsame Bemerkung, die er da machte, als wir zu seinem alten verbeulten 36er Chevy ohne Rücksitze gegenüber der Bar gingen, um für die ganze Gruppe Gras zu besorgen, denn ich hatte zu Larry gesagt: «Mann, lass uns Gras besorgen.» – «Und wieso willst du all diese Leute dabeihaben?» – «Ich steh auf die Gruppe als Ganzes», sagte ich auch für Nicholas’ Ohren, damit er sehen konnte, wie sensibel ich war ein Fremder in der Gruppe der sofort usw. ihren Wert erkannte – Tat- sachen, Tatsachen, schöne Philosophie die mir längst und wie der Schwung anderer Jahre abhandengekommen ist – eine Menge Inzest – es gab schließlich noch einen her- ausragenden Mann in der Gruppe, der aber jetzt diesen Sommer nicht hier war sondern in Paris, Jack Steen, ein sehr interessanter kleiner Bursche Leslie-Howard-Typ er kam daher (Mardou hat mir das später vorgeführt) wie ein Wiener Philosoph mit einem Schlenkern der schlaffen
Arme einem leichten seitlichen Drall und langen lang- samen fließenden Schritten, bis er in einer gebieterischen schlaffen Pose an der Ecke stehen blieb – auch er hatte mit Mardou zu tun gehabt und wie ich später erfuhr auf höchst sonderbare Weise – doch nun mein erstes bisschen an Information über dieses Mädchen mit dem ich mich UNBEDINGT einlassen wollte als ob nicht schon genug Ärger oder frühere Romanzen mich gelehrt hätten was Schmerz ist aber ich konnte es nicht lassen, mein Leben lang nicht – Aus der Bar strömten interessante Leute, alles an die- sem Abend machte großen Eindruck auf mich, eine Art dunkler Marlon Brando mit Haaren wie Truman Capote und bei ihm ein wunderschönes schlankes Jädchen oder Mädchen in Knabenhosen mit Sternen in den Augen und Hüften die so weich schienen als sie die Hände in die Ho- sentaschen steckte, konnte ich die Veränderung sehen – und dunkle schlanke Hosenbeine fielen über kleine Füße, und dann dieses Gesicht, und bei ihnen ein Typ mit einer anderen schönen Puppe, Rob hieß der Typ irgendein unternehmungslustiger Soldat aus Israel mit britischem Akzent so einen findet man wohl morgens um fünf in einer Bar an der Riviera inmitten eines Haufens interes- santer verrückter Freunde aus der internationalen Lebe- welt trinkt alles was da ist in alphabetischer Reihenfolge – Larry O’Hara stellte mich Roger Beloit vor (ich konnte nicht glauben, dass dieser junge Mann mit dem unauffäl- ligen Gesicht, der da vor mir stand, der große Dichter war, den ich einst so verehrt hatte, in meiner Jugend, meiner Jugend, meiner Jugend, ich meine 1948 und spreche dau- ernd von meiner Jugend) – «Das ist Roger Beloit? – Und ich bin Bennett Fitzpatrick» (Walts Vater), was Roger Beloit lächeln ließ – auch Adam Moorad war inzwischen
aus dem Dunkel aufgetaucht und der Abend konnte be- ginnen – Wir trafen uns also alle bei Larry, und Julien saß am Boden vor einer ausgebreiteten Zeitung darauf das Gras (minderwertiger L.A.-Qualität, aber gut genug) und er drehte die Joints oder «rollte» sie, wie Jack Steen, der Abwesende, am vergangenen Silvesterabend zu mir gesagt hatte, und da das meine erste Berührung mit den Unter- irdischen gewesen war, hatte er angeboten, einen Stick für mich zu rollen und ich hatte richtig kalt gesagt: «Wozu? Das mach ich schon selber», und sofort lag die Wolke auf seinem sensiblen kleinen Gesicht usw. und er hasste mich – und schnitt mich an diesem Abend, wo immer er konnte –, aber jetzt saß Julien am Boden, im Schneidersitz, und drehte Joints für die Gruppe, und alle beteiligten sich am monotonen Gemurmel der Gespräche, die ich ganz gewiss nicht wiederholen werde, höchstens Dinge wie «Ich seh da dieses Buch von Percepied – wer ist Percepied, haben sie den noch nicht hochgehen lassen?» und derlei belang- loses Zeug, oder es geht um Stan Kenton und die Musik von morgen und wir hören einen neuen Mann am Tenor- sax, Ricci Comucca, und Roger Beloit zieht ausdrucksvoll die schmalen Purpurlippen zurück und sagt: «Das soll die Musik von morgen sein?», und Larry O’Hara erzählt die üblichen Anekdoten aus seinem Repertoire. Unter- wegs hatte Julien, der in dem 36er Chevy neben mir auf dem Boden saß, die Hand ausgestreckt und gesagt: «Ich heiße Julien Alexander, ich habe etwas, ich habe Ägypten erobert», und dann streckte Mardou Adam Moorad die Hand hin und stellte sich vor, «Mardou Fox», dachte aber gar nicht daran, sich mir vorzustellen, und das hätte für mich der erste Hinweis sein müssen, auf das, was noch kommen sollte, jedenfalls musste ich ihr die Hand hinhal-
ten und sagen: «Leo Percepied heiß ich» und ihre Hand schütteln – ach, immer ist man hinter denen her, die einen im Grunde gar nicht haben wollen – sie wollte wirklich Adam Moorad, sie war gerade erst kühl und auf Art der Unterirdischen von Julien abgewiesen worden – sie war an hageren asketischen wunderlichen Intellektuellen aus San Francisco und Berkeley interessiert und nicht an bul- ligen paranoiden Pennern von Schiffen herunter und aus Eisenbahnen und Romanen und von einer Widerlichkeit, die mir und deshalb auch anderen an mir selber so auf- fällt – doch obschon und weil sie zehn Jahre jünger war als ich sah sie nichts von meinen guten Seiten, aber die waren ohnehin längst unter jahrelangem Drogenkonsum ver- schüttet und unter dem Wunsch zu sterben, aufzugeben, alles aufzugeben und alles zu vergessen, im dunklen Stern zu sterben – ich war es, der die Hand ausstreckte, nicht sie – ach die Zeit. Aber angesichts ihrer zarten Reize hatte ich nur den al- les verdrängenden einen Gedanken: Ich musste mein ein- sames Wesen («Ein starker trauriger einsamer Mann», sagte sie später einmal zu mir, als sie mich eines Abends plötzlich dasitzen sah) im warmen Bad und der Erlösung ihrer Schenkel versenken – die Innigkeiten von Junglie- benden in einem Bett, high, Auge an Auge, nackte Brust an Brust, Organ an Organ, Knie an zitterndem Gänsehaut- knie, ein existenzielles Tauschen und Zusammensein von Liebenden im Bemühen, es zu schaffen – «es schaffen» war ihre Zauberformel, ich kann sehen, wie sich die kleinen Zähne durch die kleinen Rotlippen schieben, während sie dabei ist, «es zu schaffen» – der Schlüssel zum Schmerz – sie saß in der Ecke, am Fenster, sie war aus ganz persönlichen Gründen «losgelöst» oder «weit weg» oder «bereit aus dieser Gruppe auszusteigen». –
Ich ging in die Ecke und lehnte meinen Kopf nicht an sie, sondern an die Wand und versuchte es mit stummer Ver- ständigung, dann mit ruhigen Worten (zur Party passend) und North-Beach-Worten, «Was ist das für ein Buch?» und zum ersten Mal machte sie den Mund auf und sprach mit mir und teilte mir einen ganzen Gedanken mit und mein Herz verzagte zwar nicht direkt aber ich wunderte mich über den gepflegten merkwürdigen Tonfall, teils Beach, teils mondänes Mannequin, teils Berkeley, teils schwarze Oberklasse, irgendetwas, eine Mischung aus langue und einer Redeweise und Wortwahl, die ich noch nirgends gehört hatte außer bei ganz wenigen besonderen Mädchen die natürlich weiß waren und so merkwürdig, dass es sogar Adam sofort auffiel wie er mir später an dem Abend noch sagte – aber eindeutig die Sprechweise der neuen Bebop-Generation, man spricht I nicht «ai» aus sondern «ahai» oder «oi», irgendwie lang gezogen, oft wie ein «weibisches» Reden von früher, sodass es bei einem Mann zunächst mal unangenehm wirkt und bei Frauen zwar nicht ohne Reiz aber viel zu fremdartig, ein Ton den ich bestimmt und mit Verwunderung schon in der Stimme neuer Bebop-Sänger gehört hatte, bei Jerry Winters etwa, vor allem zusammen mit Kentons Band auf der Platte Yes Daddy Yes und vielleicht auch bei Jeri South- ern – aber mein Mut sank, denn die Beachleute hatten mich schon immer gehasst, mich ausgestoßen, mich über- sehen, auf mich geschissen, schon seit 1943 – denn sieh doch, wenn ich die Straße entlangkomme bin ich irgend- ein Schlägertyp, und wenn sie dann merken, dass ich kein Schlägertyp sondern so was wie ein verrückter Heiliger bin, gefällt ihnen das auch nicht und außerdem haben sie Angst, dass ich plötzlich doch zuschlage und alles kurz und klein schlage und das hätte ich auch fast getan und
als Jugendlicher tatsächlich, als ich zum Beispiel mit den Stanford-Basketballern durch North Beach zog, vor allem mit Red Kelly dessen Frau (richtige?) 1946 in Redwood City starb, die ganze Mannschaft hinter uns, außerdem die Garetta-Brüder, er schob einen Geiger einen Schwulen in eine Toreinfahrt und ich stieß einen anderen hinein, er ver- prügelte seinen, ich starrte meinen finster an, ich war 18, ich war ein Kinderschreck und selber noch so frisch wie ein Gänseblümchen – jetzt sahen sie diese Vergangenheit in meinen wilden und finsteren Blicken und in meinem furchterregenden Stirnrunzeln und wollten nichts mit mir zu tun haben, und so wusste ich natürlich auch, dass Mardou mir ein wirkliches und echtes Misstrauen und Missfallen entgegenbrachte wie ich so dasaß und «ver- suchte nicht ES, sondern sie zu schaffen» – gar nicht hip sondern draufgängerisch und lächelnd, sie nennen es ein falsches hysterisches «zwanghaftes» Lächeln – ich erhitzt – die anderen cool – dazu trug ich auch noch ein ungüns- tiges nicht Beach-gemäßes Hemd, das ich am Broadway in New York gekauft hatte, als ich in Gedanken schon über die Landungsbrücke in Kobe ging, ein albernes Hawaii- hemd à la Crosby mit Mustern drauf, und nach der an- fänglich aufrichtigen Bescheidenheit meines eigentlichen Selbst (wirklich) fühlte ich mich voll männlicher Eitel- keit schon nach zwei Zügen an meinem Joint gezwungen einen weiteren Knopf an dem Hemd zu öffnen und so meine gebräunte haarige Brust herzuzeigen – was sie an- gewidert haben muss –, sie blickte aber ohnehin nicht her und redete wenig und leise – und konzentrierte sich auf Julien der mit dem Rücken zu ihr auf dem Boden hock- te – und sie horchte und murmelte ein Lachen in die all- gemeine Unterhaltung – am meisten redeten O’Hara und der lautsprechende Roger Beloit und jener intelligente
unternehmungslustige Rob und ich, zu stumm, zuhörend, genießend, machte aber in meiner Gras-Selbstgefälligkeit gelegentlich «perfekte» (so glaubte ich) Zwischenbe- merkungen die nur «zu perfekt» waren, aber für Adam Moorad der mich schon lange kannte deutliches Zeichen meiner Scheu und Aufmerksamkeit und Achtung vor der Gruppe, und für die anderen wollte dieser Neue mit seinen Zwischenbemerkungen nur zeigen dass er hip war – alles entsetzlich und nicht wiedergutzumachen. – Am Anfang allerdings, vor den Joints, die die Runde machten wie bei den Indianern die Friedenspfeife, hatte ich das sichere Gefühl, es würde mir gelingen, Mardou näherzu- kommen und mich mit ihr einzulassen und sie gleich in dieser ersten Nacht zu «schaffen» das heißt mit ihr allein loszuziehen und sei es nur auf einen Kaffee, aber nach den Joints die mich ehrerbietig und in ernster Heimlichkeit um die Rückkehr meiner vom keinem Joint beeinflussten Vernunft beten ließen wurde ich äußerst selbst-unsicher, ich übertrieb meine Bemühungen um sie, war sicher, dass sie mich nicht mochte, hasste die Tatsachen – ich muss- te nun an jenen Abend denken an dem ich Nicki Peters die ich später liebte kennenlernte, 1948 in Adam Moorads Wohnung im (damals) Fillmore, ich stand wie üblich unbe- kümmert und mit einem Bier in der Küche (und zu Hause arbeitete ich wie ein Wilder an einem dicken Roman, ver- rückt, übergeschnappt, zuversichtlich, jung, begabt wie seitdem nie wieder), als sie auf meinen Schatten an der blassgrünen Wand zeigte und sagte: «Wie schön dein Pro- fil aussieht», und das verblüffte mich so sehr und machte mich (wie das Gras) selbstunsicher, über-aufmerksam, und ich machte mich daran «sie zu schaffen» und fing an mich so zu benehmen, dass es durch ihre fast hypnotische Bemerkung nun zu den ersten einleitenden Sondierungen
von Stolz gegen Stolz kam und von Schönheit oder Glück- seligkeit oder Sensibilität gegen die dumme neurotische Nervosität des phallischen Typs, der sich pausenlos seines Phallus, seines Turms, bewusst ist, der die Frau als Brun- nen sieht – so sieht es in Wahrheit aus, doch der Mann ist aus dem Gleichgewicht, keineswegs entspannt, und dies ist nicht mehr das Jahr 1948 sondern 1953 und die Leu- te sind cool und ich fünf Jahre älter oder jünger und ich muss es (oder die Frauen) auf eine andere Art und Weise schaffen und die Nervosität ablegen – jedenfalls hörte ich auf mich bewusst an Mardou heranzumachen und freute mich einfach auf einen langen Abend mit dieser neuen verblüffenden Gruppe der Unterirdischen, von Adam in North Beach entdeckt und so getauft. Aber Mardou gab sich in der Tat vom ersten Moment an selbständig und unabhängig, als sie verkündete, sie wolle niemand, wolle mit keinem was zu tun haben, wolle (nach mir) damit aufhören – und ich spüre es jetzt in der kalten elenden Nacht in der Luft, was sie damals verkün- dete, spüre, dass ihre kleinen Zähne nicht mehr für mich da sind, dass vielmehr mein Feind an ihnen leckt und ihr sadistisch kommt was sie wahrscheinlich liebt denn ich hab sie anders behandelt – Morde in der Luft – und jene kahle Ecke, in der eine Lampe brennt, und Winde wirbeln, eine Zeitung, Nebel, ich sehe das große entmu- tigte Gesicht meiner selbst und meine sogenannte Liebe draußen auf der Gasse in sich zusammensinken, kaputt – so wie es vorher ein melancholisches Zusammensinken auf elektrischen Stühlen gegeben hatte, entmutigt von Monden (wenn wir auch im Augenblick die große Nacht des Erntemondes haben) – während es damals, vorher, die Erkenntnis war, dass ich zur weltweiten Liebe zurückkeh- ren musste, wie das ein großer Schriftsteller einfach tun
muss, ein Luther, ein Wagner, ist jetzt dieser wärmende Gedanke an Größe ein eisiger Luftzug im Wind – denn auch Größe stirbt – ach, und wer hat denn gesagt, ich sei groß – und angenommen man wäre ein großer Schrift- steller, ein heimlicher Shakespeare der Kopfkissennacht? oder in Wirklichkeit – ein Gedicht Baudelaires wiegt sei- nen Schmerz nicht auf – seinen Schmerz – (Es war Mar- dou, die schließlich zu mir sagte: «Ich hätte den glück- lichen Mann den unglücklichen Gedichten vorgezogen, die er uns hinterlassen hat», was auch meine Meinung ist und ich bin Baudelaire und liebe meine dunkle Geliebte und auch ich lehnte mich an ihren Bauch und horchte auf das Rumpeln im Verborgenen) –, aber als sie gleich zu Beginn ihre Unabhängigkeit verkündete hätte ich wissen müssen, dass sie eine echte Abneigung dagegen hatte, sich mit mir einzulassen, doch stattdessen stürzte ich mich auf sie, als ob ich und weil ich tatsächlich verletzt und ver- wundet werden wollte – noch eine solche Wunde und ich komme unter die Grasnarbe und sie lassen meinen Sarg runterrumpeln, Mensch – denn nun spannt der Tod große Flügel über mein Fenster, ich seh ihn, ich hör ihn, ich riech ihn, ich seh ihn in meinen schlaff dahängenden Hemden, dazu bestimmt, nicht getragen zu werden, neu- alt, modisch-altmodisch, Krawatten wie Schlangen die ich gar nicht mehr benutze, neue Decken für herbstlich fried- liche Betten doch nun sind es schwankende auf Wellen treibende Pritschen in einem Meer aus Selbstmord – Ver- lust – Hass – Paranoia – es war ihr kleines Gesicht in das ich eindringen wollte und auch bin – Gegen Morgen als die Party ihren Höhepunkt erreich- te war ich wieder in Larrys Schlafzimmer und bewunderte das rote Licht und dachte an die Nacht, als wir zu dritt – Adam und Larry und ich – Micky in diesem Zimmer
hatten und Bennies schluckten und eine tolle kaum zu beschreibende Sexparty hatten – als Larry hereinstürmte und sagte: «Mann wie sieht’s aus, kriegst du sie rum heute Nacht?»–«Ichmöchtjaverdammt,aberichweißnicht–» – «Dann mach schon Mann, du hast nicht mehr viel Zeit, was’n los mit dir, wenn wir schon all die Leute herholen und ihnen Gras zum Rauchen geben und mein ganzes Bier aus dem Kühlschrank, Mann da muss was rauskommen für uns, wir müssen was tun –» – «Ach so, du magst sie?» – «Klar Mann, ich mag alle – aber ich meinte jetzt dich, Mann.» Und so nahm ich widerwillig und lahm einen neuen Anlauf, ein flüchtiger Blick, eine Bemerkung, ich setzte mich zu ihr in die Ecke. Und dann gab ich auf und im Morgengrauen zog sie mit den anderen ab um irgend- wo Kaffee zu trinken und ich ging mit Adam hinterher um sie wiederzusehen (gingen fünf Minuten nach der Gruppe die Treppe hinunter) und alle waren da nur sie nicht, un- abhängig düster grübelnd war sie zu ihrer stickigen klei- nen Wohnung an der Heavenly Lane auf dem Telegraph Hill gegangen. Ich ging also heim, und mehrere Tage lang erschien in sexuellen Phantasien sie, ihre dunklen Füße, die Riemen ihrer Sandalen, dunkle Augen, kleines sanftes braunes Gesicht, an Rita Savage erinnernde Wangen und Lippen, ein wenig verschwiegene Vertrautheit und nun auch ein irgendwie sanfter schlangenähnlicher Charme wie er einer kleinen schlanken braunen Frau gut ansteht, die zu dunk- ler Kleidung neigt, zur Kleidung der armen zerschlagenen Unterirdischen . . . Ein paar Abende danach meldete Adam mit einem boshaften Lächeln, dass er sie zufällig in einem Third- Street-Bus getroffen hatte und dass sie in seine Wohnung gegangen waren um sich zu unterhalten und etwas zu trin-
ken und dass eine unheimlich lange Unterhaltung schließ- lich ganz in der Art Leroys darin gipfelte, dass Adam nackt dasaß und chinesische Gedichte vorlas und ein paar Sticks herumgehen ließ, bis sie sich schließlich im Bett wieder- fanden. «Und sie ist sehr zärtlich, mein Gott, wie sie plötzlich die Arme um dich legt, offenbar nur aus reiner plötzlicher Zuneigung.» – «Wirst du’s machen? Eine Af- färe mit ihr anfangen?» – «Also weißt du, ich – ich kann dir nur sagen – sie ist durch und durch und nicht nur ein bisschen verrückt – sie macht Therapie, ist offenbar erst vor kurzem ernsthaft ausgeflippt, hat irgendwas mit Julien zu tun, geht nicht zum vereinbarten Therapietermin sitzt oder liegt lieber rum und liest oder tut nichts und starrt den ganzen Tag an die Decke in ihrer Bude, achtzehn Dollar im Monat an der Heavenly Lane, bekommt offen- bar eine Art Fürsorge, irgendwie läuft das über ihre Ärzte oder sonst jemand und hat mit ihrer Arbeitsunfähigkeit zu tun oder was weiß ich – davon redet sie dauernd und für meinen Geschmack eindeutig zu viel – hat anscheinend echte Halluzinationen von Nonnen in dem Waisenhaus wo sie aufgewachsen ist und hat sie gesehen und sich tatsächlich bedroht gefühlt – und auch andere Dinge, so empfindet sie oft die Wirkung von Junk obwohl sie so was noch nie genommen hat und nur ein paar Junkies gekannt hat.» – «Julien?» – «Julien nimmt Junk sooft er kann, aber das ist selten weil er kein Geld hat und er hat irgend- wie den Ehrgeiz ein echter Junkie zu werden – jedenfalls hatte sie Halluzinationen und glaubte sie sei high ohne selbst etwas dazu getan zu haben glaubte irgendjemand oder irgendwas habe sie heimlich gespritzt, Leute die ihr auf der Straße folgen oder so, sie ist wirklich verrückt – und für mich ist das alles zu viel – und dann auch noch eine Schwarze, ich will da nicht so tief hineingeraten.» –
«Ist sie hübsch?» – «Wunderschön – aber ich kann bei ihr nicht.» – «Aber Mann, ich steh auf ihr Aussehen und alles.» – «Na gut Mann, dann bist du dran – geh zu ihr, ich geb dir die Adresse, oder es ist vielleicht besser wenn, ich lad sie zu mir ein und wir unterhalten uns, du kannst es ja versuchen wenn du willst, aber obwohl sie mich sexuell und so unheimlich erregt, will ich mich wirklich nicht weiter mit ihr einlassen, nicht nur aus diesen Gründen, sondern letztlich vor allem aus einem entscheidenden Grund: Wenn ich mich jetzt mit einem Mädchen einlasse, dann muss es von Dauer sein, ich meine wirklich von Dau- er und ernsthaft und langfristig, und bei ihr kann ich das nicht.» – «Ich möchte auch gern was von Dauer und so weiter.» – «Nun, wir werden ja sehen.» Er nannte mir einen Abend, an dem sie zu ihm kom- men würde, zu einem kleinen Abendessen, das er für sie zubereitete, und so ging ich hin und rauchte Gras im roten Wohnzimmer im trüben Licht einer roten Glühbirne und sie kam herein und sah aus wie beim letzten Mal, aber ich trug nun ein einfaches blaues Seidenhemd und elegante Hosen, und ich lehnte mich zurück und gab mich cool und hoffte sie werde das bemerken und blieb prompt sitzen, als die Dame das Wohnzimmer betrat. Während sie in der Küche aßen gab ich vor zu lesen. Ich tat so, als beachtete ich sie nicht im Geringsten. Wir gingen ein wenig zu dritt spazieren und nun waren wir alle darauf bedacht wie drei gute Freunde zu reden die zusam- menhalten und alles sagen wollen was ihnen gerade ein- fällt, eine freundliche Rivalität – wir gingen ins Red Drum um Jazz zu hören und das war an diesem Abend Charlie Parker mit Honduras Jones an den Drums und anderen interessanten Leuten, wahrscheinlich auch Roger Beloit, den ich jetzt sehen wollte, und dieser erregende nacht-
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