Beitrag: Genesen, geimpft, gereizt-Manuskript - ZDF

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Manuskript

Beitrag: Genesen, geimpft, gereizt –
             Wie Coronaregeln Gesellschaft spalten

Sendung vom 19. Oktober 2021

von Martina Morawietz

Mitarbeit: Michelle Gruber und Sarah Herdic

Anmoderation:
Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben, hieß es mal in der
Pandemie. Und wenn wir erst einen Impfstoff hätten, werde
Normalität bald wieder möglich sein, hieß es auch.
Inzwischen können Genesene, Geimpfte oder Getestete zwar
in Restaurants oder Theater gehen, aber „normal“ ist es noch
nicht. Laut ZDF-"Politbarometer" fänden 62 Prozent der
Bürgerinnen und Bürger sogar gut, wenn deutschlandweit die
strengere 2G-Regel in Restaurants, Hotels sowie bei Kultur-
und Freizeitveranstaltungen gelten würde. 36 Prozent sind
dagegen, dass Ungeimpfte draußen bleiben müssen. Martina
Morawietz über Coronaregeln, eine gespaltene Gesellschaft
und Gastronomen im Dilemma.

Text:
Samstagabend, Nachtleben in München. Schlange stehen vor
dem Café Kosmos. Hier darf nur rein, wer geimpft oder
genesen ist. 2G heißt diese Regelung. Es wird streng
kontrolliert.

Lena ist nicht geimpft und wollte sich hier mit Freunden
treffen - keine Chance.

O-Ton Lena:
Ich habe jetzt extra 15 Euro gezahlt für diesen Test und jetzt
stehe ich hier und komme nicht weiter. Also, ich finde es die
ganze Zeit schon so ein bisschen diskriminierend, dass man
einfach so gezwungen wird zur Impfung, wenn man sonst
nicht Teil des sozialen Lebens sein kann. Und jetzt gerade
erlebe ich das live und hautnah, krasser als jemals zuvor,
quasi, nicht cool - kein schönes Gefühl.

Lena muss sich an diesem Abend einen anderen Club zum
Feiern suchen. Im Café Kosmos bleiben Geimpfte und
Genesene unter sich.

O-Ton Ann Kathrin:
Ich habe heute Geburtstag und ich feiere hier. Und leider
durften heute ein paar Leute nicht kommen, weil sie eben
nicht 2G haben.

O-Ton Andrea:
Jeder muss für sich selbst entscheiden, was er macht und
was er tut, aber er muss auch damit leben, dass er dann
Einschränkungen hat.

Es ist voll, eng, die Menschen müssen weder Maske tragen
noch Abstand halten. Inhaber Florian Schönhofer war einer
der ersten, der für sich entschied, seinen Club nur unter 2G-
Bedingungen wieder zu öffnen.

O-Ton Florian Schönhofer, Inhaber Café Kosmos:
Es war nicht so, oh, mir ist nach 2G, sondern lesen, lesen,
lesen. Und dann denkt man sich, okay, jetzt habe ich mein
Personal geimpft, ich bin geimpft, jetzt mache ich den Laden
auf und lass dann Leute rein, die eben nicht geimpft sind, ja.
Ist es denn wirklich klug, fürsorglich fürs Personal zu sein
und für Gäste nicht?

Der Shitstorm, der wegen dieser Entscheidung zu 2G in den
sozialen Netzwerken folgte, überraschte den Gastronomen:

O-Ton Florian Schönhofer, Inhaber Café Kosmos (liest
Nachrichten):

"Schön wäre die Nachricht: Café Kosmos in München
abgebrannt!"

"Solche Arschgeigen wie Dich braucht kein Mensch."

O-Ton Florian Schönhofer, Inhaber Café Kosmos:
Mei, das sind so die Sachen, also, viel so: Du sollst
verbrennen, du sollst vergast werden! Da merkt man halt
schon, wie rasend doof die sind oder auch sauer und
irgendwo in die Ecke getrieben, ja.

2G, 3G, viele Gastronomen tun sich schwer mit solchen
Entscheidungen - die Politik in jedem Bundesland anders.
Manchmal sind rein wirtschaftliche Gründe entscheidend,
denn 2G erlaubt es, viel mehr Gäste zu bewirten, da
Abstandsregeln und Maskenpflicht wegfallen.

Die Branche zieht eine kritische Coronabilanz. Jahrestagung
des Hotel- und Gaststättenverbandes Brandenburg gestern.
Der Präsident Olaf Schöpe wird deutlich:

O-Ton Olaf Schöpe, Präsident DEHOGA Brandenburg:
Ich bin gegen jegliche Art von Ausgrenzung. Und ich wehre
mich auch dagegen, dass wir für die Politik jetzt an der Stelle
die Kastanien aus dem Feuer holen sollen. Ich meine damit,
dass durch diese angebliche Freiwilligkeit der 2G-Regel doch
ein gewisser Druck ausgeübt wird auf die Kollegen, wer denn
nicht die 2G macht, ja, der darf eben keine guten Geschäfte
machen. Das halte ich durchaus für kritisch.

Mehr Zuversicht und Optimismus wünschen sich die
Gastronomen und Hoteliers von der Regierungstruppe. Da
passt es, dass Bundesgesundheitsminister Spahn jetzt mehr
Normalität für alle verspricht:

O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister:
Dank des enormen Fortschritts bei den Impfungen, viele,
viele Menschen schützen sich durch Impfungen, können wir
den pandemischen Ausnahmezustand verlassen, in einen
Zustand mit besonderer Vorsicht, etwa mit 3G im Innenraum.
Aber das Signal ist sehr wichtig, die schwersten Monate
liegen hinter uns!

Wer das Ende der Pandemie verspricht, erwecke Erwartungen,
die nicht zu erfüllen seien, kritisiert Gesundheitsexperte Karl
Lauterbach. Noch sei das zu früh:

O-Ton Karl Lauterbach, SPD, Gesundheitsexperte:
Die Prognose ist die: Also, wenn es uns gelingt, wie ich eben
schon sagte, bei den über 65Jährigen also über 90 Prozent
geimpft zu haben, und bei den Erwachsenen insgesamt, also,
über 80 Prozent, dann also sind Öffnungen möglich.

Um die nicht geimpften Menschen zu erreichen, fordert der
Gesundheitsökonom Professor Jonas Schreyögg einen
Strategiewechsel: weniger politischen Druck bei der
Impfdebatte.

Seine jüngste Befragung kommt zu dem Ergebnis, dass 19
Prozent der Bevölkerung über 18 nicht geimpft ist.
Geschlecht und Bildungsgrad spielten dabei keine Rolle. 67
Prozent der Impf-Unwilligen fühle sich von der Politik unter
Druck gesetzt.

O-Ton Prof. Jonas Schreyögg, Ökonom, Hamburg Center for
Health Economics:
Wir stellen fest, dass wenn man Ungeimpfte nach ihrer
Reaktion fragt, in Bezug auf 2G oder kostenpflichtige Tests,
dass viele eher mit Trotz reagieren und sagen, ihre
Impfbereitschaft wird sich dadurch nicht erhöhen, sondern
eher sogar ein Drittel sagt, dass die Impfbereitschaft dadurch
eher sinkt.

Astrid Winter ist Marketingleiterin. Wir erreichen sie per
Skype. Die Mutter von zwei Kindern ist nicht gegen COVID
geimpft. Als Querdenkerin sieht sie sich nicht. Sie hat Angst
vor der Impfung, weil ihr Immunsystem durch eine Borreliose
geschwächt ist, erzählt sie.

O-Ton Astrid Winter:
Ich bin gegen alles geimpft, gegen Tetanus, gegen Röteln,
gegen Masern. Ich befolge alle Maßnahmen, ich halte
Abstand, ich trage meine Maske, ich gehe nicht auf
Großveranstaltungen und werde einfach, ja, den Fokus auf
die Eigenverantwortung setzen und nicht auf irgendwelche
Druck- und Zwangsmaßnahmen. Mit jeder Maßnahme, die
obendrauf kommt, rückt die Bevölkerung ein bisschen weiter
auseinander, und das finde ich extrem traurig und das macht
mich auch ein bisschen wütend.

Der Streit ums Impfen spaltet. Das spürt auch Dieter
Lübberding. Als Chef mit friderizianischem Dreispitz bemüht
er sich Ängste und Sorgen seiner Gäste im Campingpark
Potsdam zu vertreiben. Am Eingang stehen für fünf Euro
Tests bereit. Im Restaurant Anna Amalia bleibt die 3G-Regel
bestehen.

O-Ton Dieter Lübberding, Anna Amalia Restaurant:
Weil das ja das große Problem mit dieser 2G- und 3G-
Regelung ist, die wir haben, dass eine Spaltung der
Gesellschaft vorantritt, und das möchte ich eigentlich
verhindern. Deswegen sage ich, mein Demokratieverständnis
ist 3G - jeder darf kommen.

Deshalb verzichtet der Wirt auf 30 bis 40 Prozent seiner
Einnahmen, denn die Tische müssen 1,50 Abstand haben.

O-Ton Dieter Lübberding, Anna Amalia Restaurant:
Wir machen es natürlich auch deswegen, weil einige unserer
Mitarbeiter nicht geimpft sind, und die dürften auch bei der
2G-Regelung dann nicht mehr bei uns arbeiten. Und gerade in
der heutigen Zeit mit dem Fachkräftemangel ist es natürlich
auch schon dann schwierig.

Lübberding wird weiter arbeiten für ein möglichst
entspanntes Miteinander in Zeiten von Corona. Die Sorge,
dass Virus und Pandemie die Konflikte weiter verschärfen,
bleibt.

Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck
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