Über den Tellerrand schauen und Neues entdecken - bwo ...

Die Seite wird erstellt Hortensia-Antoniya Fricke
 
WEITER LESEN
Über den Tellerrand schauen und Neues entdecken - bwo ...
Stiftung BWO
     Institution mit sozialen Angeboten

                                                                                                                                          Über den Tellerrand schauen
     Asylstrasse 37
     Postfach 614, 3550 Langnau
     T +41 34 409 33 33

                                                                                                                                          und Neues entdecken
     info@bwo-langnau.ch
     bwo-langnau.ch

     Spendenkonto: PC 30-2636-7
     Herzlichen Dank für Ihre Spende!

                    TM

                            Höchster Standard für Ökoeffektivität.                  Cradle to Cradle Certified™
                            Cradle to Cradle Certified™ -Druckprodukte              is a certification mark licensed by
                            hergestellt durch die Vögeli AG.                        the Cradle to Cradle Products
TM                          Bindung ausgenommen.                                    Innovation Institute.
     Höchster Standard für Ökoeffektivität.          Cradle to Cradle Certified™
     Cradle to Cradle Certified™ -Druckprodukte      is a certification mark licensed by
     hergestellt durch die Vögeli AG.                the Cradle to Cradle Products
     Bindung ausgenommen.                            Innovation Institute.

                                                                                                                          BWO Jahresbericht 2020                        45
Über den Tellerrand schauen und Neues entdecken - bwo ...
Inhalt

                                                        Gedanken zum Jahresthema «Über den Tellerrand schauen»            4
                                                        Cornelia Schwarzenbach, Präsidentin des Stiftungsrats

                                                        Bericht aus der BWO                                               6
                                                        Kathrin Wanner, Geschäftsführerin

                                                        «Über den Tellerrand schauen»                                    10
                                                        Matthias Widmer und Daniel Oberholzer, FHNW

                                                        Einblicke in den Bereich Wohnen und Ateliers WAT                 14
                                                        Interview mit Cornelia Widmer, WAT-Bereichsleiterin              16
                                                        Interview mit Elisabeth Bühlmann, Bewohnerin                     18

                                                        Einblicke in den Bereich Werkstatt ADW                           22
                                                        Interview mit Daniel Steiner, ADW-Bereichsleiter                 24
                                                        Interview mit Matthias Röthlisberger, ADW-Mitarbeiter            26

                                                        Einblicke in den Bereich Heilpädagogische Sonderschule HPS       28
                                                        Interview mit Gabriele Erdin, HPS-Bereichsleiterin               30
                                                        Interview mit Timon Sahli und Markus Krebs,                      32
                                                        HPS-Schüler und -Klassenlehrer

                                                        Wie geht es weiter mit dem Projekt «Über den Tellerrand schauen»? 36
                                                        Matthias Widmer und Daniel Oberholzer, FHNW

                                                        Über die Stiftung                                                38

                                                        Kennzahlen                                                       40

Das Titelbild des Jahresberichtes zeigt
                                                        Personelles                                                      42
Andreas Minder und Fritz Fuhrer aus der Stiftung BWO.
Über den Tellerrand schauen und Neues entdecken - bwo ...
Editorial

     Gedanken zum Jahresmotto
    «Über den Tellerrand schauen»

                  Liebe Leserin, lieber Leser                        Was bedeutet «Über den Tellerrand schauen»? Wir Zeit hat uns häufig gefordert. Immer wieder gab bzw.
                                                                     verlassen die angenehme Komfortzone, lernen aus gibt es neue Irritationen, die Anpassungen verlan-
                  Liebe Freundinnen und                              Fehlern, schauen mutig voraus. Wir überprüfen gen. Jede BWO-Einheit hat diese Herausforderun-
                  Freunde der BWO                                    sorgfältig, wo sich Bestehendes bewährt hat und wo gen bis jetzt hervorragend gemeistert. Im Namen
                                                                     Neues angesagt ist. Dazu brauchen wir Teams, auf des Stiftungsrates danke ich unseren Mitarbeiten-
                                                                     die Verlass ist; Menschen, die einander Vertrauen den für ihren grossartigen Einsatz, geprägt von sehr
                                                                     schenken, die Mut beweisen und bekannte Struktu- viel Empathie, Flexibilität, Kreativität und gegen­
                   Das Motto 2020 «Über den Tellerrand schauen»      ren sprengen. Menschen, die zur Selbstkritik und seitiger Unterstützung. Der Stiftungsrat ist stolz auf
                   begleitet die BWO bei unterschiedlichen           -reflexion fähig sind.                             seine Mitarbeitenden.
                   Aktivitäten. Darunter fallen das Projekt Neubau
                   der Heilpädagogischen Schule (HPS), eine          Unsere Mitarbeitenden setzen dies in ihrer täglichen   Liebe Leserin, lieber Leser, die Stiftung BWO und
                   s­pannende Kooperation mit der Fachhochschule     Arbeit um, gemeinsam mit den Menschen, die in der      unsere Gesellschaft brauchen Menschen, die es
                   Nordwestschweiz, Ferientage und Freizeit­         BWO wohnen, arbeiten oder zur Schule gehen. Es         wagen, über den Tellerrand zu schauen, die beherzt,
                   aktivitäten für die Menschen in der BWO trotz     ist teilweise eine Gratwanderung, die Fingerspitzen-   couragiert, entschlossen und unerschrocken unter-
                   Corona, der Bezug eines neuen Lagers in der       gefühl und Empathie voraussetzt: Wie viel dürfen       wegs sind.
                   Werkstatt und vieles mehr.                        die Mitarbeitenden wagen und fordern, ohne die
                                                                     Par­tizipation und Autonomie der ihnen anvertrau-      Wagen auch Sie den Blick über den Tellerrand, es
                                                                     ten Menschen zu verletzen? Bereits seit mehr als 50    lohnt sich. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit
                                                                     Jahren schauen wir gemeinsam über den Tellerrand,      und Ihr Interesse an den Menschen in unserer Insti-
                                                                     engagiert und kompetent, was Entwicklungen ge-         tution. Ihnen wünsche ich im Jahr 2021 Zuversicht
                                                                     fördert und uns als Institution weitergebracht hat.    und viele helle und beglückende Momente.

                                                                     Es ist offensichtlich, dass unser Jahresmotto «Über    Herzlichst
                                                                     den Tellerrand schauen» bestens zu unserem mo-         Cornelia Schwarzenbach
4                                                                    mentanen Alltag passt. Diese aussergewöhnliche         Präsidentin des Stiftungsrats                                5
Über den Tellerrand schauen und Neues entdecken - bwo ...
Rückblick

BWO-Jahresbericht 2020
Kathrin Wanner, Geschäftsführerin

            Das Jahresmotto «Über den Tellerrand schauen» war Fernunterricht in der HPS, Spezialtransporte in der        von den reichen Erfahrungen der Werkklasse. Neu
            äusserst passend zum Jahr 2020. Dieses Jahr löste ADW oder Ferienstopp im Wohn- und Ateliersbe-              kommt hinzu, dass die Schülerinnen und Schüler
            im BWO-Alltag immer wieder Irritationen und dann reich. Neues brachte z. T. auch Vorteile, wie z. B. die
                                                                                                                  ­­     nebst dem Unterricht in der HPS niederschwellig
            Innovationsschübe aus. In dieser bewegten Zeit lau- Durchführung von digitalen Sitzungen. Alle, die         ­Erfahrungen in der Arbeitswelt sammeln können.
            schen wir vielleicht vermehrt in uns hinein – hinter- Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, das Per-
            fragen unsere gefestigten Routinen oder Glaubens- sonal, die Partner, die Angehörigen und gesetz­lichen     Anstehender Direktionswechsel der HPS im 2022
            sätze. Wir sind aufgerufen, Neues zu lernen und Vertretungen, haben sich sehr verantwortungsvoll            Die Veränderungen aufgrund des Direktionswech-
            Unbekanntes auszuprobieren. Unser Jahresmotto und flexibel verhalten und mitgeholfen, die Corona-           sels zur Kantonalen Bildungs- und Kulturdirektion
            wird im Alltag und auch in einem speziellen Projekt Herausforderungen gut zu meistern. Ihnen allen ge-      im Januar 2022 haben uns bereits in diesem Jahr be-
            «Über den Tellerrand schauen» in Kooperation mit bührt mein grosser Dank. Die Solidarität unter den         schäftigt. Sie haben mehrheitlich Auswirkungen auf
            der Fachhochschule Nordwestschweiz bearbeitet. Mitarbeitenden war immer riesig, die Unterstützung           die Schulstrukturen. Der aktuelle Name der Heilpäd-
            Dies ermöglicht uns, eine Brücke zwischen Theorie des Stiftungsrates stets spürbar und zum Glück ha-        agogischen Schulen lautet nach dem Wechsel neu
            und Praxis zu schlagen.                                ben wir alle auch in diesen schwierigen Zeiten die   Besondere Volksschulen. Damit wird der kantonalen
                                                                  ­Zuversicht und das Träumen nie ganz verloren!        strategischen Ausrichtung Rechnung getragen: un-
            Von uns selber entwickelte Projekte und Verände-                                                            ter dem Dach der Volksschule sollen verschiedene
            rungen sowie von aussen ausgelöste Anpassungen Nun folgt eine kleine Auswahl von Geschehnissen              Schultypen geführt werden: Die Regelschule und        «Wir sind aufgerufen,
            brachten spannende Herausforderungen in unse- des vergangenen Jahrs aus den verschiedenen Be-               die Besondere Volksschule.
                                                                                                                                                                                Neues zu lernen
            ren Alltag. Einerseits mussten wir neue Realitäten reichen:
            schaffen, andererseits bestätigte sich Bewährtes.                                                           Neubau für die HPS und für Angebote                   und Unbekanntes aus­
            Unterhaltsame Geschichten dazu aus den Berei-                                                               der Regelschule                                           zuprobieren.»
            chen Heilpädagogische Schule, Wohnen/Ateliers Heilpädagogische Schule HPS                                   Nach sorgfältigen Abklärungen und genauer Prü-
            und ADW-Werkstatt finden Sie später.                                                                        fung zweier unterschiedlicher Standorte fällte der
                                                                  Angebotserweiterung                                   BWO-Stiftungsrat im Frühling den wegweisenden
            Corona hat auch uns gefordert. Wir sind dankbar, Die seit vielen Jahren geführte Werkklasse im Dorf         Entscheid, das Neubauprojekt am Standort auf der
            dass wir in der BWO keine Massenansteckungen in Langnau für ältere Schülerinnen und Schüler ent-            Kniematte in Langnau und in Zusammenarbeit mit
            verzeichnen mussten und dass die Krankheit der wickeln wir weiter zum sonderpädagogischen Brü-              der Gemeinde, bzw. der Regelschule, weiterzuver-
            positiv getesteten Personen relativ milde verlaufen ckenangebot und verlegen sie zurück an den Haupt-       folgen. Die Zusammenarbeit mit den beiden vor­
6           ist. Viele Anpassungen waren aber notwendig, z. B. standort der HPS. Die neue Ausrichtung profitiert        genannten Institutionen wurde intensiviert und das                            7
Über den Tellerrand schauen und Neues entdecken - bwo ...
Rückblick

            Raumkonzept konkretisiert. Mit Unterstützung der nen Wohngruppe verbringen zu dürfen und das                ADW-Werkstatt
            Firma Kontur, Bern, haben wir ein qualitätssichern- Schliessen des Ateliers für externe Mitarbeitende
                                                                                                                                                                                                Gemeinsam unterwegs –
            des Verfahren durchgeführt in Form eines Studien- mit Beeinträchtigungen. Den Einschränkungen der           Die Pandemie löste bei vielen Mitarbeitenden mit                        engagiert und kompetent
            auftrages. Dies geschah unter Berücksichtigung Teilhabemöglichkeiten begegneten Mitarbeitende               Beeinträchtigungen verstärkt Unsicherheiten und
            des kantonalen Gesetzes über das öffentliche Be- und Bewohnende mit vielen kreativen Ideen. So              Ängste aus. Ihr soziales Umfeld ist häufig einge-
            schaffungswesen.                                     gründete z. B. eine Wohngruppe gleich ihren eige-      schränkter und ihr Unterstützungsbedarf grösser
                                                                 nen Kiosk, damit die Bewohnenden ihr heissge­          als in der übrigen Bevölkerung. Klare Strukturen
            Die Aufgabe der fünf Planerteams war keine einfa- liebtes «Gänggele» weiter erleben konnten. Die Ein-       und die Sicherheit, möglichst risikofrei arbeiten zu
            che: Sie sollten eine zukunftsweisende Heilpäda­ schränkungen brachten auch neue Erkenntnisse               können, waren haltgebende Faktoren. Die ADW mit
            gogische Schule und passende Räumlichkeiten für und eröffneten interessante Möglichkeiten, z. B. den        ihren Arbeitsplätzen und ihrem sozialen Gefüge ist
            die Regelschule entwerfen, die ideale Vorausset- vermehrten Nutzen von digitalen Medien.                    also ein wichtiger Anker. Es war schnell klar, dass wir Tauchen nach dem Lesen des Jahresberichtes Fra-
            zungen für den Austausch zwischen Regel- und                                                                für die vielen sozialen und traditionellen Aktivitäten, gen auf? Verspüren Sie eine Neugierde? Wir laden
            Sonderschule schaffen. Zudem sollte der Plan die Personelles                                                z. B. den Betriebsausflug oder das Jahresschluss­ Sie gerne ein, unsere neue Homepage zu besuchen:
            Umsetzung des integrativen Gedankens fördern Die Stelle der Bereichsleitung war seit Juni vakant.           essen, neue Durchführungsmöglichkeiten in ange- www.bwo-langnau.ch. Wir sind stolz, dass es uns in
            und somit den politischen wie gesellschaftlichen Kurz vor Weihnachten konnten wir sie nach einer            passten Formen finden wollten. Damit fördern wir diesem aussergewöhnlichen Jahr gelungen ist, der
            Entwicklungen Rechnung tragen. Das Projekt von Reorganisation intern besetzen. Die Aufgaben und             das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitarbeiten- Website der Stiftung BWO einen komplett neuen
            Froelich & Hsu Architekten aus Zürich gewann den Verantwortlichkeiten der Fachstelle Agogik gaben           den und können ihren Leistungen Anerkennung Anstrich und eine moderne Form zu verleihen. Es
            Wettbewerb. Wir freuen uns auf die Zusammen­ wir der Bereichsleitungsfunktion zurück, der Perso-            entgegenbringen. Ihre Freude und ihr Dank haben freut uns sehr, wenn Sie auf der Homepage herum-
            arbeit mit ihnen und mit allen Anspruchsgruppen.     nalbereich wurde zur Unterstützung dieses Berei-       uns in unserer Entscheidung bestätigt.                  spazieren und uns Ihre Eindrücke mitteilen.
                                                                 ches ausgebaut. Der Bereichsleiterin steht neu eine
                                                                 Assistentin zur Seite. Die Mitarbeit der Gruppenlei-   Geleistet wurde in jeder Hinsicht und von allen sehr
            Wohn- und Ateliersbereich WAT                        terinnen und -leiter wurde im Prozess in jeder Hin-    viel. Die Auftragsauslastungen lagen in der Verpa-
                                                                 sicht sehr geschätzt.                                  ckung und Montage über den Erwartungen. In der         Ich bedanke mich herzlich bei allen, die in diesem
            Bewohnende                                                                                                  Mechanik entwickelten sich die Aufträge leider         erlebnisreichen Jahr die BWO in irgendeiner Weise
            Das Jahr begann mit dem tragischen Tod des Be- Immobilien                                                   rückläufig und wir mussten teilweise Kurzarbeit ein-   unterstützt haben. Dies waren viele und sie taten es
            wohners Dominic Wyss. Über 33 Jahre hatte er in Die Nasszellen beschäftigten uns in verschiedenen           führen: ein Abbild des allgemeinen Arbeitsmark­tes.    in vielfältigen Formen.
            der BWO gelebt. Die Musik war seine grosse Leiden- Wohngruppen. Optimierungen haben wir geplant             Auch in diesem Jahr war uns unsere Dienstleis-
            schaft. Beim Singen öffnete sich sichtbar sein Herz, oder bereits umgesetzt. Mit diesen Massnahmen          tungsorientierung enorm wichtig. Gerade in einer
            seine Freude, seine Aktivitäten und seine Zufrieden- haben mehrere Personen ein eigenes Badezimmer          ausserordentlichen Situation schätzen wir uns sehr
            heit waren ansteckend. Wir vermissen seine starke erhalten, was sie sehr schätzen. Anpassungen bei          glücklich über die vielen guten, persönlichen Kun-
            Persönlichkeit, seinen Charme und sein Lachen. Badezimmern sind häufig mit grossem finanziellem             denbeziehungen in beiden Abteilungen.
            Kurz danach folgten für die Bewohnenden und fürs Aufwand verbunden. Wir sind sehr dankbar, konnten
            Personal einschneidende Coronamassnahmen, z. B. wir alle für die Verbesserung der Lebensqualität der
8           das Verbot, die Wochenenden ausserhalb der eige- Bewohnenden notwendigen Projekte umsetzen.                                                                                                                               9
Über den Tellerrand schauen und Neues entdecken - bwo ...
Jahresmotto

«Über den Tellerrand schauen»
Matthias Widmer und Daniel Oberholzer, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW

          Menschen mit Beeinträchtigungen haben das Recht          Menschen ohne Beeinträchtigung wohnen, aber              und begleiten dieses Projekt wissenschaftlich. Wir
          auf eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilha-     kaum Kontakte zur Umwelt haben und einsam sind.          haben zusammen mit Studierenden der FHNW
          be. Gleichzeitig haben sie das Recht, sich in ihrem      Nicht ideal ist es zudem, wenn Menschen mit Beein-       den Wohn- und Ateliersbereich, die ADW-Werk-
          Tun als wichtig und wertvoll zu erleben. Dafür erhal-    trächtigungen zwar im allgemeinen Arbeitsmarkt           statt und die HPS besucht, gemeinsam mit Vertrete-
          ten sie geeignete Hilfen. Diese Zusicherung ist in der   arbeiten, sich aber als wenig kompetent und wertge-      rinnen der BWO über diesen «Tellerrand» geschaut
          UN-Behindertenrechtskonvention und im Schwei-            schätzt erleben.                                         und nach Entwicklungsmöglichkeiten Ausschau ge-
          zerischen Gleichstellungsgesetz festgelegt. Das Ziel                                                              halten.
          ist die inklusive Teilhabe: Menschen mit Beeinträch-     Für Einrichtungen der Behindertenhilfe wie die BWO
          tigungen wohnen, arbeiten, lernen und erleben Frei-      ist die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen      Für die Analyse der aktuellen Situation in den Berei-
          zeit an den gleichen Orten wie alle anderen Men-         gesetzlichen, gesellschaftlichen und persönlichen An-     chen haben wir ein Modell entwickelt. Das Modell        Matthias Widmer
          schen ohne Beeinträchtigungen.                           forderungen der Menschen mit B    ­ e­einträchtigungen    zeigt, wie Menschen oder Gruppen über den Teller-
                                                                   eine grosse Herausforderung. Herkömmliche For-            rand schauen. Menschen beschäftigen sich grund-
          Aber warum wohnt, arbeitet und lernt eine Mehrheit       men, bei denen es primär um die Unterbringung und         sätzlich gern und sehr oft mit vertrauten Orten und
          der Menschen mit Beeinträchtigungen trotzdem             Versorgung der Grundbedürfnisse geht, müssen              mit Aktivitäten, die eingespielt sind. Dies ist ein
          in geschützten Werkstätten, Ateliers, Wohnheimen         überdacht werden. Angebote und Leistungen müs-            Grundbedürfnis nach Sicherheit und Orientierung,
          oder in Sonderschulen? Sicher hat das damit zu tun,      sen weiterentwickelt werden. Zugänge zur Welt aus-        das sich typischerweise in Ritualen und Routinen
          dass spezielle Einrichtungen für Menschen mit Be-        serhalb der BWO müssen erschlossen werden. Ohne           widerspiegelt. Denken Sie nur an Ihre schlafwandle-
          einträchtigungen sehr lange Zeit als normal ange-        Offenheit gegenüber Neuem ist das nicht möglich.          rische Sicherheit am Morgen nach dem Aufwachen,
          schaut wurden – sowohl von der Gesellschaft als          Deshalb hat die BWO ein Projekt gestartet. Es heisst      mit der Sie alle notwendigen Handlungen bis zu
          auch von den Menschen mit Beeinträchtigungen             «Über den Tellerrand schauen» und befasst sich mit       ­Ihrem ersten Kaffee realisieren.
          und ihren Angehörigen.                                   genau dieser Offenheit gegenüber Neuem. Dabei
                                                                   geht es nicht darum, Bisheriges grundsätzlich in Fra-    Auf den ersten Blick neigt man zur Annahme, die
          Es gibt aber auch Menschen mit Beeinträchtigun-          ge zu stellen, sondern darum, sich selbstbewusst         Liebe des Menschen zum Gewohnten sei der na-
          gen, die vom Leben in einem Wohnheim, von der            und neugierig gemeinsam mit allen Beteiligten mit        türliche Gegner von Informationen und Erlebnis-
          Arbeit in einer Werkstätte oder vom Lernen in einer      Entwicklungschancen auseinanderzusetzen.                 sen, die ausserhalb des Tellerrands warten. Das Ge-
          Sonderschule profitieren. Das ganz Normale ist nicht                                                              genteil ist jedoch der Fall. Denn wenn der Mensch        Daniel Oberholzer
          immer das Beste für sie, zum Beispiel, wenn Men-         Wir sind Matthias Widmer und Daniel Oberholzer           mit ausreichend Stabilität durch die Beschäftigung
10        schen mit Beeinträchtigungen zwar gemeinsam mit          von der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW              mit Bekanntem versorgt ist, kann sich eine zweite                            11
Über den Tellerrand schauen und Neues entdecken - bwo ...
Jahresmotto

Das Tellerrand-Lebenserfahrungs-Modell
                                                                                                                 Kraft entwickeln: die Neugier. Sie macht es erst        ten einzugrenzen ist ein trügerischer Komfort. Es
                                                                                                                 möglich, dass wir uns auf Unbekanntes einlassen.       ­limitiert unseren Horizont auf Dinge, die wir bereits
                                                                                                                                                                         kennen.» Camilla Pang ist eine Biologin mit Autis-
                                                                                                                 Der Mensch hat, sobald er den Blick über den Teller-    mus, ihre Aussage ist der der NZZ am Sonntag am
                                                                                                                 rand hinaus lenkt, verschiedene Möglichkeiten, sich     26.2.2021 erschienen.
                                                                                                                 mit Neuem zu befassen. Eine Möglichkeit ist die
                                                                                                                 Rückkehr zurück ins Bekannte innerhalb des Teller-     Wie ein Mensch mit Neuem umgeht, ist von seiner
                                                                                                   Ablehnen
                                                                                                                 randes. Neues wird ignoriert. Eine andere Möglich-     persönlichen Stabilität, dem Grad der Irritation durch
        Erlebnis
                      Wie unbekannt           Erlebte                                                            keit besteht aus kleinen, behutsamen Schritten ins     das Neue, von seiner Persönlichkeit und von seinem
     ausserhalb des                                                                     Reaktion
                      ist das Neue?          Irritation                                                          Neue hinein. Es gibt auch Menschen, die alles Neue     Vorwissen über das Neue abhängig. Natürlich ist
      Tellerrandes
                                                                                                                 freudig willkommen heissen. Dinge ausserhalb des       auch das soziale Umfeld von Bedeutung. Beispiels-
                                                                                                   Integrieren
                                                                                                                 Tellerrands werden sogleich mit der eigenen Wirk-      weise kann der Schritt über den Tellerrand dank der
                                                                                                                 lichkeit verknüpft. Ohne gelegentliche Blicke über     Begleitung durch eine vertraute Person leichter fal-
                                                                                                                 den Tellerrand hinaus ist Entwicklung hingegen nicht   len. Das ist wichtig fürs Projekt «Über den Tellerrand
                                                                                                                 möglich.                                               schauen». Denn es will nicht nur Entwicklungschan-
                                                                                                                                                                        cen eröffnen. Es will auch herausfinden, wie sich
                                                                                                                 «Die meisten von uns kennen nur einen Weg zur          Menschen mit solchen Chancen auseinandersetzen.
                                                                                                                 Arbeit, oder sie kennen nur eine Handvoll Gerichte,    Die BWO will erfahren, was hilft, Neues als Chance
                                                                       Mut                                       die sie immer wieder kochen. Auswahlmöglichkei-        anzunehmen und mit dem Bekannten zu verbinden.

                                  Lebens-                                    Soziales
                                                      Persönlichkeit
                                 erfahrung                                   Umfeld

                                                                                                                                      Mit Offenheit können Zugänge zur Welt
12                                                                                                                                    ausserhalb der BWO erschlossen werden.                                                     13
Über den Tellerrand schauen und Neues entdecken - bwo ...
Wohnen und Ateliers WAT

Einblicke in den Bereich
Wohnen und Ateliers WAT                                                                                                     «Ganz sicher kann der Umgang mit Unbekanntem
                                                                                                                                    aber gelernt und geübt werden.»
Matthias Widmer und Daniel Oberholzer, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW

          Unser Einblick in den Wohn- und Ateliersbereich Die Personen mit ihrer Geschichte und ihren Erfah-
          zeigte eine Vielfalt an Möglichkeiten, wie Gruppen rungen auf der einen Seite und die Gruppenkultur
          mit dem Thema «Über den Tellerrand schauen» auf der anderen beeinflussen den Umgang mit dem
          umgehen. Das lässt sich zum Beispiel daran festma- Thema «Über den Tellerrand schauen» also glei-
          chen, dass wir von einigen Gruppen erwartet wur- chermassen. Eine bestimmte Gruppenkultur kann
          den, für andere Gruppen war unser Besuch jedoch den Blick über den Tellerrand bei vorsichtigen Per-                                          Andrea Wyssmann
          eine Überraschung. Unabhängig davon konnten sonen durchaus anregen. In anderen Fällen kann
          wir sehr unterschiedliche Reaktionen der Bewoh- eine andere Gruppenkultur die Lust am Neuen
          nenden auf den Besuch beobachten. Die Reaktion aber einschränken.
          auf etwas Neues ist damit, wie in unserem Teller-
          rand-Modell beschrieben, stark vom Hintergrund Ganz sicher kann der Umgang mit Unbekanntem
          der Person abhängig. Es kommt aber auch darauf aber gelernt und geübt werden. Die Gruppenkultur
          an, wie das Umfeld dieses Neue einbettet.          spielt hier eine entscheidende Rolle.

           Wir haben im Tellerrand-Modell mit dieser Erkennt-
           nis das soziale Umfeld um den Begriff Gruppenkul-
           tur erweitert. Die Gruppenkultur hat in der BWO
           einen grossen Einfluss auf die Art und Weise, ob
           und wie der Blick der Bewohnenden über den Tel-
           lerrand möglich wird. Die Gruppenkultur in den ver-
           schiedenen Wohngemeinschaften lässt sich gut­
           am Umgang mit Alltäglichem und Neuem ablesen.­
           Bei einigen Gruppen haben Routinen und gere­
           gelte Abläufe eine hohe Bedeutung. Andere Grup-
           pen legen mehr Wert auf Veränderungen und neue­
14        ­Aktivitäten.                                                                   Lydia Gerber und Petra Schaller                                                  15
Über den Tellerrand schauen und Neues entdecken - bwo ...
Wohnen und Ateliers WAT

       Interview mit Cornelia Widmer-Graf
               WAT-Bereichsleiterin
                             Interview durchgeführt von: Manuela Roschi, Projektmitarbeiterin

      Welches Ereignis im Bereich Wohnen und Ateliers           Welches Gefühl hat das Erlebnis bei dir ausgelöst       Wie hat das Erlebnis deinen Alltag verändert?
      hat dich im Jahr 2020 überrascht?                         und wie hast du reagiert?                               Das Organisatorische erhält normalerweise sehr viel
      Das war der Anruf aus einem Hotel aus der Boden-          Meine erste Reaktion war: Finden wir genügend           Gewicht. Festzustellen, dass solche Anlässe auch
      seeregion. Eine Angestellte erkundigte sich nach          Mitarbeitende, um diese Ferien durchzuführen?           mit weniger Aufwand und kürzerem Vorlauf um-
      der Zimmerliste für unsere bevorstehenden Ferien.         Diese Bedenken legten sich schnell. Denn mir wur-       setzbar sind, war für mich eine grosse Erkenntnis.
      Nach einer ersten Irritation realisierten wir, dass die   de einerseits die Kraft der Spontaneität bewusst        Ebenso habe ich die Bedeutung von Ferien für un-
      Gruppenbuchung aufgrund eines Missverständnis-            und andererseits liess der Respekt vor der Kurzfris-    sere Bewohnerinnen und Bewohner noch deutli-
      ses nicht storniert worden war. Es standen also un-       tigkeit nach. Ein sehr tragendes Gefühl war auch das    cher erkannt. Sie unterbrechen den Alltag und öff-
      erwartet Zimmer für uns bereit, von denen wir nichts      Vertrauen in unsere Mitarbeitenden, zu erleben wie      nen neue Erfahrungswelten. Noch Wochen später
      wussten! Gemeinsam blickten wir auf die Ausgangs-         wichtig ihnen die Organisation und die Durchfüh-        war das Erlebte in den Gruppen Thema. Daher kann
      lage, prüften unsere Möglichkeiten und entschie-          rung dieser Ferien war, nachdem durch Corona be-        es gut sein, dass wir künftig vermehrt spontanere,
      den, unseren Bewohnerinnen und Bewohnern die              dingt viele Aktivitäten kurzfristig gestrichen worden   der Situation und den Bedürfnissen angepasste Fe-
      Ferien in diesem für uns alle ungewöhnlichen Jahr         waren. Viele Mitarbeitende haben ihre privaten Plä-     rienaufenthalte anbieten – mit kleinerem Aufwand,
      zu ermöglichen. Überrascht hat mich dabei, wie gut        ne zurückgestellt, um unseren Bewohnenden diese         aber grosser Wirkung für uns alle.                       «Mir wurde einerseits
      es uns gelang, diese Ferientage am Bodensee in­-          Ferientage am Bodensee zu ermöglichen.
                                                                                                                                                                              die ‹Kraft der Spontaneität›
      nert drei Wochen auf die Beine zu stellen. Denn mei-
      ne Erfahrung sagte mir, dass genau so etwas nicht                                                                                                                          bewusst und anderer-
     ­möglich sei.                                                                                                                                                               seits liess zugleich der
                                                                                                                                                                               Respekt vor der Kurzfris­
                                                                                                                                                                                      tigkeit nach.»

16                                                                                                                                                                                                            17
Über den Tellerrand schauen und Neues entdecken - bwo ...
Wohnen und Ateliers WAT

Interview mit Elisabeth Bühlmann
WAT-Bewohnerin
Interview durchgeführt von: Manuela Roschi, Projektmitarbeiterin

           Dies ist eine Geschichte aus dem letzten Jahr von       Erstaunlich war, dass Elisabeth den Coiffeur-Besuch                                   Wie hat das Erlebnis deinen Alltag verändert?
           Elisabeth Bühlmann, einer Bewohnerin der Wohn-          genauso schätzte und auch sofort erkannte, dass ­sie                                  Diese Geschichte zeigt deutlich, wie wichtig für un-
           gruppe Gecko in Konolfingen. Der Coif­feur-Besuch       sich hinsetzen durfte und nun die Haare geschnit-                                     sere Bewohnerinnen und Bewohner Gesellschaft
           war ein regelmässiges Highlight für sie und konnte      ten werden.                                                                           und Begegnung sind sowie langjährige Beziehun-
           aufgrund der Covid-Situation nicht mehr wie ge-                                                                                               gen und Rituale wie das Kafi. Das Erlebte hat uns ge-
           wohnt stattfinden.                                      Nicht fehlen durfte jeweils das Kafi! Unabhängig                                      zeigt, dass es sich lohnt, diese Begegnungsmöglich-
                                                                   vom Ort, das Kafi gehört für Elisabeth zum Coiffeur-                                  keiten und Strukturen aufrechtzuerhalten und somit
            Elisabeth kann sich nonverbal ausdrücken. Den          Besuch dazu.                                                                          im Alltag viele schöne Momente zu ermöglichen,
            Wunsch, zum Coiffeur zu gehen, zeigt sie beispiels-                                                                                          die das Leben schlussendlich lebendig ­machen.
            weise, indem sie mit ihren Fingern eine Schere         Welches Gefühl hat das Erlebnis bei dir ausgelöst
           ­dar­­stellt. Ihre Ausdrücke in Worte gefasst hat für   und wie hast du reagiert?                                  «Freude! Sobald die        So blieb es nicht nur beim Coiffeur. Wir haben unter
            dieses Interview Steffi Gafner, ihre Bezugsperson.     Steffi schildert Elisabeths Gesichtsausdruck, der vor                                 Berücksichtigung der geltenden Regeln eine «Ge-
                                                                                                                            Coiffeuse bei uns eintraf,
                                                                   allem eines ausstrahlt, wenn es ums Haareschnei-                                      cko-Beiz», einen Kiosk, die «Gecko-Fasnacht» und
           Welches Ereignis hat dich im letzten Jahr               den geht: Freude!                                          setzte sich Elisabeth      vieles mehr auf die Beine gestellt und dadurch viel
           überrascht?                                                                                                        voller Vorfreude auf       zusammen gelacht und das Leben gefeiert.
           Das war unter anderem der «Freiluft-Coiffeur» und       Sobald die Coiffeuse bei uns eingetroffen war, setz-
           die damit verbundene Freude!                            te sich Elisabeth voller Vorfreude auf den Stuhl. S
                                                                                                                     ­ ie          den Stuhl.»
                                                                   geniesst diese Besuche, die Begegnung und die
           Steffi erläutert: Ich beginne bei der wirklich langen   Berührung von Mensch zu Mensch. Wir erkennen
           Freundschaft zwischen Elisabeth und Erika, «ihrer»      dies daran, dass Elisabeth ihre Augen schliesst und
           Coiffeuse. Seit über 20 Jahren kennen sie einan­-       sich entspannt. Die neue Form von Coiffeur-Be-
           der und es war uns wichtig, diese Begegnung auch        such erfreut sich auch bei den anderen Bewohnern
           nach dem Lockdown wieder zu ermöglichen. So             und Bewohnerinnen schnell grosser Beliebtheit.
           entstand die Idee, den Coiffeur-Besuch an die fri-      Sobald Erika bei uns eintrifft, geht das «Rennen»
           sche Luft zu verlegen, anstatt in den Coiffeursalon     um den Stuhl los – wer darf diesmal in den Genuss
18         zu fahren.                                              kommen?                                                                                                                                 19
«Ich bin gespannt, welche
                                                           Antworten verschiedener Mitarbeitenden                                    Dynamik die Gruppe
                                                                                                                                 entwickelt und welche Rollen-
         «Wie fühlt es sich wohl an,
                                                              auf die Frage, worauf sie sich im                                     ­verteilung sich ergibt.»
      das weiche Fell des Kaninchens                      2021 bei der Umsetzung der Entwicklungs­-                                   Sarah Jost und Denise Jörg, Atelier

       zu berüh­ren? Kann man einem
     Hamster beim Hamstern zusehen?
                                                                  projekte besonders freuen
        Wir freuen uns darauf, das
      heraus­zufinden! Unsere Ferien-
        Haustiere machen’s möglich.»
              Doris Kipfer, WG Topaz

                                                                                                  «BewohnerInnen selbständig
                                                            «Spannende Ausgangslage                 Entscheide treffen lassen,
                                                             mit neuen Blickwinkeln.»             bedeutet, offen und mutig zu
                                                                Abteilungsleiter Michael Lüthi,         sein für Neues.»
                                                                       ADW-Werkstatt
                                                                                                         Yves Mäder, WG Gecko

                 «Obwohl unser Alltag immer
                 durchgeplant und strukturiert                                                                                     «Neugierig auf die
                  ist, freuen wir uns zu jeder                                                                                  Reaktionen der Menschen
                 Zeit über eine Überraschung.»                                                                                   mit Beein­trächtigung.»
20                      Seraina Schlegel, WG Mühlestock                                                                             Projektleiter Daniel Steiner,           21
                                                                                                                                         ADW-Werkstatt
Werkstatt ADW

Einblicke in den Bereich
Werkstatt ADW
                                                                                                                                     «Eine sehr wertvolle Abwechslung
Matthias Widmer und Daniel Oberholzer, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW
                                                                                                                                   und Anerkennung für Mitarbeiterinnen
                                                                                                                                             und Mitarbeiter.»
                                                                                                                                             Abteilungsleiter Michael Lüthi, ADW-Werkstatt
           In der ADW-Werkstatt haben wir einen Tag lang als Tellerrand-Modell können wir auch feststellen, dass
           Gäste in einer Arbeitsgruppe in der Produktion mit- die Mitarbeitenden trotz vieler Serienarbeiten Neu-
           gewirkt. Wir haben damit einen Einblick in die Pers- em und Unbekanntem positiv begegnen. Der ADW-
           pektive von Mitarbeitenden mit Beeinträchtigun- Werkstatt gelingt das vor allem mit ihrem Arbeits­
           gen erhalten.                                           klima. Es sind nicht unbedingt die Aufträge und
                                                                   Aufgaben, die d
                                                                                 ­ as Interesse am Neuen wecken, son-
           Der Alltag in der ADW-Werkstatt ist oft, wie in den dern es ist die Form, wie sich die Mitarbeitenden                                                                  Brigitte Habegger
           meisten anderen Werkstätten mit angepassten Ar- ­begegnen und Anteil nehmen. Mitwirkende und Ar-
           beitsplätzen, von einfachen und wiederkehren­den beitsgruppen pflegen zum Beispiel eine Gesprächs-
          Arbeiten geprägt. Diese meist gleichbleibenden kultur, die von Wertschätzung und persönlichem
           Routinen führen dazu, dass Mitarbeitende rasch ­Interesse geprägt ist. Das betrifft die Kultur zwischen
           eine hohe Sicherheit und Arbeitsqualität erreichen. den Mit­arbeitenden und jene zwischen den Vor­
           Solche routinierten Leistungen sind in unserem Tel- gesetzten und Mitarbeitenden.
           lerrand-Modell innerhalb des Tellerrandes einzu-
           ordnen. Neu sind sie nur in dem Moment, in dem Ein positiver Umgang mit Neuem wird zusätzlich
           die Mitarbeitenden den Auftrag das erste Mal aus- gefördert, weil sich die Arbeitsgruppen nicht ein-
           führen.                                                 fach als geschlossene Einheiten verstehen. Es ist
                                                                   möglich, in andere Gruppen zu wechseln oder diese
           Unsere Beobachtung zeigt, dass es der ADW-Werk- zu besuchen. Mitarbeitende zirkulieren in allen Be-
           statt trotzdem gelingt, Freude an der Arbeit, Moti- reichen der Werkstatt. Allerdings konnte diese Kul-
           vation und Lebensenergie im Arbeitsalltag zu för- tur der Durchlässigkeit im letzten Jahr aus bekann-
           dern. Wir stellen fest, dass die Motivation auch ten Gründen nur eingeschränkt gelebt werden.
           deswegen entsteht, weil ein Grossteil der Aufträge
           aus der Wirtschaft stammt. Das macht sichtbar, dass
           die eigene Arbeitskraft gebraucht wird, und dies                                                                Gruppenbild aus
22        ­erfüllt die Mitarbeitenden mit Stolz. Mit Blick auf das                                                      der ADW-Werkstatt                                                             23
ADW-Werkstatt

                  Interview mit Daniel Steiner
                      ADW-Bereichsleiter
                          Interview durchgeführt von: Manuela Roschi, Projektmitarbeiterin

     Welches Ereignis im Bereich der ADW hat dich          Jetzt komme ich zur Flexibilität: Ich habe wirklich      Wie hat das Erlebnis deinen Alltag verändert?
     im Jahr 2020 überrascht?                              gestaunt, wie sich alle auf das Experiment einge­        Ein zentraler Faktor bildet die Zusammenarbeit – in
     Was mich überrascht hat? Da kommen mir spontan        lassen haben: Angefangen bei der Einhaltung der          zweierlei Hinsicht. Mir wurde erstens bewusst, wie
     zwei Begriffe zu einem Ereignis in den Sinn: Angst    Hygienevorschriften bis zur Einteilung in die jeweili-   wichtig die täglichen Begegnungen und die Struktur
     und Flexibilität.                                     gen Arbeitsgruppen! Dank dieser Flexibilität konn-       für unsere Mitarbeitenden sind, wie viel sie bereit
                                                           ten wir den Auftrag – mit einigen Umwegen – den-         sind, auf sich zu nehmen, um in Kontakt zu bleiben
     Wir erhielten über einen langjährigen Kunden, die     noch ausführen.                                          und etwas zu erschaffen. Zweitens haben sich unse-
     Firma Schelling, einen sehr erfreulichen Auftrag von                                                           re Kundenbeziehungen auf neue Weise intensiviert
     Swatch – eine wirklich «grosse Sache». Wir wussten: Welches Gefühl hat das Erlebnis bei dir ausgelöst          und zugleich flexibilisiert. Ich denke beispielsweise
     um diesen Auftrag gut auszuführen, brauchen wir und wie hast du reagiert?                                      an das wachsende gegenseitige Verständnis und,
     alle. Aufgrund der Corona-Situation blieben Mit­ Es war eine Palette an Gefühlen. Auf der einen Seite          dass durch die neuen Kommunikationswege ein an-
     arbeitende aber zu Hause, weil die Angst, sich an­ spürte ich die Verunsicherung und auf der anderen           deres Zusammen-Arbeiten möglich wird.
     zustecken, sehr gross war. Homeoffice ist für uns in Seite sah ich diese Chance für den Grossauftrag. Da
     der Produktion jedoch keine Lösung. Wir waren also waren auch eine Portion Nachdenklichkeit und                Konkret beibehalten werden wir die Einteilung des           «Hier habe ich mich
     gefordert, die Angst zu verstehen und Vertrauen in Zweifel, ich fragte mich: Wie kriegen wir das alles         Mittags in zwei Schichten – es werden also nicht
                                                                                                                                                                            einfach gefragt, was können
     die Situation zu schaffen.                           hin? Es war diese innere Spannung, die mich zu-           mehr 50 Leute zeitgleich essen. Diese Einteilung
                                                          gleich antrieb, neue Wege zu finden. Grundsätzlich        bringt eine Beruhigung für alle, weniger Lärm, weni-        wir in dieser fremd­
     Wir suchten den Kontakt mit unseren Mitarbeiten- habe ich versucht, die Situation zu akzeptieren, ruhig        ger Stress – mehr Genuss.                                bestimmten Situation zum
     den, führten viele Gespräche und wurden erfinde- zu bleiben und nicht mit Panik zu reagieren. – Man
     risch. Das zeigte sich in der Organisation von pri­ nennt das, glaube ich, auch «Fels in der Brandung                                                                       Guten verändern?»
     vaten Transporten, in der Miete von zusätzlichen sein» (schmunzelt). Denn eigentlich mag ich Verän-
     Räumen und in der Einteilung der Mitarbeitenden derungen, hier habe ich mich einfach gefragt: Was
     in kleine Gruppen. Sogar das Mittagessen wurde können wir in dieser fremdbestimmten Situation
     anstatt auf einmal nun in fünf Schichten serviert.   zum Guten verändern?

24                                                                                                                                                                                                    25
ADW-Werkstatt

Interview mit Matthias Röthlisberger
ADW-Mitarbeiter
Interview durchgeführt von: Manuela Roschi, Projektmitarbeiterin

           Welches Ereignis hat dich im letzten Jahr               Insbesondere die «Schokokopf-Schleuder», die hat                                        Was ich noch erwähnen möchte, ist, dass das Jahr
           wirklich überrascht?                                    Spass gemacht. Da muss man einen Ball durch ein                                         insgesamt für mich gut verlaufen ist. Es ergab sich
           Das Grillfest natürlich! Normalerweise gibt es ein-     Loch in eine Kiste werfen, wenn dies gelingt, wird                                      für mich die Möglichkeit, längerfristig bei der ADW
           mal jährlich einen Ausflug, wir fahren dann mit meh-    mittels einer Feder ein «Schokokopf» durch die Luft                                     zu bleiben und das freut mich sehr. Diese Arbeit,­
           reren Bussen an einen Ausflugsort. Mit dieser gan-      geschleudert. Natürlich geht es dann darum, diesen                                      das Werken und Basteln, machen mir einfach viel
           zen «Corona-Sache» war das nicht möglich und wir        aufzufangen, bevor er zu Boden geht. Naja, ich                                          Freude und ich mag die Menschen hier sehr gerne.
           dachten, es gebe wohl kein gemeinsames Fest in          selbst bin nicht so gut im Fassen und darum war er                                      Daher hatte das Jahr trotz allem auch viel Gutes für
           diesem Jahr. Und dann gab es eben doch eines!­          halt manchmal ein bisschen zerdrückt. Gut sind sie                                      mich bereit.
           Es war für mich überhaupt nicht selbstverständlich,     ja trotzdem (schmunzelt).
           dass wir alle gemeinsam ein Fest im Freien erleben
           konnten. Da staunte ich, was sie alles auf die Beine    Wie hat das Erlebnis deinen Alltag verändert?             «Es war eigentlich nicht
           gestellt haben, trotz der Abstände und Vorschriften.    Es war eigentlich nicht nur das Grillfest, sondern das
                                                                                                                            nur das Grillfest, sondern
                                                                   ganze Jahr hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, zusam-
           Welches Gefühl hat das Erlebnis bei dir aus­-           men zu feiern. Es fehlt etwas, wenn solche Anlässe         das ganze Jahr hat mir
           gelöst und wie hast du reagiert?                        nicht stattfinden, da geht etwas verloren.               gezeigt, wie wichtig es ist,
           Eben – ich hatte eine Riesenfreude. Das Zusam-
           mensein ist einfach wichtig für uns alle und es hat                                                                zusammen zu feiern.»
           mich sehr gefreut, dass es möglich war. Weisst du,
           wir sind normalerweise alle fast wie eine grosse Fa-
           milie, doch aufgrund von Corona arbeiten wir seit
           Monaten ­immer in denselben Arbeitsgruppen, ver-
           bringen die Pause mit denselben Leuten. An diesem
           Tag durften wir uns zwar auch nicht richtig durch­
           mischen, aber dennoch: Man hat immerhin mal wie-
           der alle gesehen, zusammen gelacht und gespielt.
26                                                                                                                                                                                                         27
Heilpädagogische Sonderschule HPS

Einblicke in den Bereich
Heilpädagogische Sonderschule (HPS)
                                                                                                                              «Die Herausforderungen in der Psychomotorik
Matthias Widmer und Daniel Oberholzer, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW
                                                                                                                               liegen nicht im Finden eines Kompromisses,
                                                                                                                               sondern in der flexiblen und individuellen
                                                                                                                                  A­npassung des Raumes an das Kind.»
          Die Besichtigung der Heilpädagogischen Sonder-          Das ist in einer Schulklasse anspruchsvoll, weil meh-
          schule HPS umfasste einen Tagesbesuch in einer          rere Kinder mit sehr unterschiedlichen Beeinträch-                           Matthias Widmer und Daniel Oberholzer, FHNW
          Schulklasse und eine Visite in der Psychomotorik.       tigungen, Erfahrungen und Interessen beteiligt sind.
          Die beiden Bereiche unterscheiden sich deutlich.­       Diese Unterschiedlichkeit der Kinder macht den
          In der Schulklasse wird eine bestimmte Anzahl Kin-      Umgang mit Neuem und Unbekanntem heraus­
          der in vorgegebenen Inhalten gemäss Lehrplan 21         fordernd. Es muss ein gutes Mass an energiespen-
          unterrichtet. In der Psychomotorik wird mit einem       denden Ritualen einerseits und herausfordernden,
          Kind oder mit kleinen Gruppen von Kindern an in­        neuen Inhalten andererseits gefunden werden. Die
          dividuellen Themen gearbeitet. In der Schulklasse       Balance muss so liegen, dass möglichst niemand
          stehen Wissen und Kompetenz im Zentrum. Die             über- und niemand unterfordert wird.
          Psychomotorik strebt den Aufbau von Fähigkeiten
          an, die dem Kind beim Lernen und in der Entwick-        Im Gegensatz dazu kann diese Balance in der Psy-
          lung helfen.                                            chomotorik mit einem Kind oder mit kleinen Grup-
                                                                  pen leichter gesucht und gefunden werden. Die
          «Über den Tellerrand schauen» ist für Kinder von        Heraus­forderungen liegen hier nicht im Finden
          besonders grosser Bedeutung. Kinder können sich         eines Kompromisses, sondern in der flexiblen und
          entwickeln, wenn sie immer wieder in Kontakt mit        individuellen Anpassung des Raumes an das Kind,
          Neuem kommen. Durch das Neue können sie ihr             damit es wichtige Schlüsselkompetenzen für eine
          bisheriges Wissen überprüfen und anpassen. Die          möglichst uneingeschränkte Entwicklung aufbauen
          HPS muss gemäss unserem Tellerrand-Modell dafür         kann.
          sorgen, dass die Kinder genügend Sicherheit und
          Energie aufbauen, damit sie sich interessiert auf die
          Angebote ausserhalb ihres Tellerrandes einlassen,
          welche die HPS zur Verfügung stellt.
                                                                                                                            Timon Sahli und
                                                                                                                              Markus Krebs,
28                                                                                                                        Interview Seite 33                                                 29
Heilpädagogische Sonderschule HPS

                  Interview mit Gabriele Erdin
                          HPS-Leiterin
                           Interview durchgeführt von: Manuela Roschi, Projektmitarbeiterin

      Welches Ereignis im Bereich der HPS hat dich          und Schülern Ideen für die ganze Familie mit auf        wo wir künftig durch weniger und dafür gezieltere
      im Jahr 2020 überrascht?                              den Weg zu geben, damit sie diese Zeit gut über-        Aktivität mehr bewirken könnten. Früher starteten
      Wirklich überrascht hat mich, wie es uns gelungen     brücken könnten.                                        wir beispielsweise am Montagmorgen gemeinsam
      ist, die HPS an einem Wochenende quasi neu zu                                                                 als ganze Schule in die neue Woche. Dieser Start im
     ­erfinden. Ich spreche hier das uns allen bekannte     Welches Gefühl hat das Erlebnis bei dir ausgelöst       Theatersaal ist jetzt aus Sicherheitsgründen noch
      Wochenende an, als vom Bundesrat der Lockdown         und wie hast du reagiert?                               nicht möglich. Für Schülerinnen und Schüler, die
      beschlossen wurde.                                    Es gab nicht ein einziges Gefühl, das ich beschrei-     Mühe mit Wechseln oder grossen Gruppen haben,
                                                            ben könnte. Als der Lockdown kam, sah ich innerlich     fängt die Woche im Klassenzimmer nun entspann-
     Bedingt durch die Umstellung auf den Fernunter-        grosse Fragezeichen. Unser Unterricht basiert stark     ter an. Für diese Schülerinnen und Schüler hat die
     richt, rückte die Orientierung am Fortschritt durch    auf dem unmittelbaren Kontakt, auf Beziehung –          Beschränkung somit etwas Positives.
     Kompetenzentwicklung und Wissensvermittlung            dies funktionierte nun nicht mehr. Dieser Zustand
     in den Hintergrund. An Wichtigkeit gewann im Ge-       der Irritation wich bald einer Erleichterung darüber,   Abschliessend ist für mich folgende Erkenntnis
     genzug der Kontakt zu den Eltern, Schülerinnen         was dennoch alles möglich wurde. Ich staunte über       ­zentral: Es ist nicht immer die Fülle, die neue Wege
     und Schülern. Es galt, neue Wege zu finden, wie wir    das freigesetzte Potenzial und den Schub an Kreati-      hervorbringt, auch die Enge kann Potenzial und           «Es ist nicht immer
     diesen Kontakt wirkungsvoll gestalten und auf-         vität in meinem Team. Was Tage zuvor als unmöglich       ver­borgene Kräfte freisetzen.
                                                                                                                                                                            die Fülle, die neue Wege
     rechthalten konnten.                                   erschienen war, wurde übers Wochenende möglich.
                                                            Am meisten beeindruckt hat mich, wie schnell wir                                                                   hervorbringt, auch
     Daraus resultierten die zentralen Fragen: Was ist      neue Strukturen aufgebaut haben und die virtuelle                                                               die Enge kann Potential
     jetzt wichtig? Wie können wir die Eltern in der Be-    Welt für uns nutzbar gemacht haben.
     treuung der Kinder in dieser Zeit unterstützen? Die                                                                                                                     und verborgene Kräfte
     Lehrpersonen erarbeiteten äusserst kreative Inputs.    Wie hat das Erlebnis deinen Alltag verändert?                                                                         freisetzen.»
     Sie stellten für die Schülerinnen und Schüler Pakete
     zusammen mit Back- und Nähanleitungen oder mit         Es hat uns dazu aufgefordert, noch genauer hin­
     Aufgaben, welche die Kinder in der Natur lösen         zuschauen und uns zu fragen: Für wen ist was gut?­
     konnten. Unser Ziel war es, unseren Schülerinnen       In diesem Zusammenhang reflektieren wir zurzeit,
30                                                                                                                                                                                                            31
Heilpädagogische Sonderschule HPS

Interview mit Timon Sahli und Markus Krebs
HPS-Schüler und -Klassenlehrer
Interview durchgeführt von: Manuela Roschi, Projektmitarbeiterin

           Aufgrund von Corona wurde der Unterricht ver-           Überrascht haben mich im Winter der Schnee und
           mehrt in die Natur verlegt. Besonders ein Platz im      das Eis auf dem Weg. Wenn du da nicht aufpasst,                                       Zudem haben sie kürzlich entdeckt, dass man auch
           Wald mit Feuerstelle eignete sich, um gemeinsam         macht es «zack» und du liegst am Boden. Das war                                         im Wald «über den Tellerrand schauen» kann. So
           mit den Schülern die Natur zu entdecken. Regel-         eine Sache!                                                                           ­haben sie sich mit den Schülern auf den Weg «hinter
           mässig finden dort nun gemeinsame Mittagessen                                                                                                   dem Wald» gemacht, um zu erkunden, was sich
           statt – bei fast jedem Wetter. Timon, ein Schüler        Welches Gefühl hat das Erlebnis bei dir ausgelöst                                     ­dahinter noch versteckt. Begegnet ist ihnen unter
           der HPS, erzählt, wie er dieses neue Unterrichts-        und wie hast du reagiert?                                                              anderem ein treuer Bauernhof-Hund.
           element erlebt.                                          Uh, es fägt, ich finde das gut! Und wir lachen viel.
                                                                    Besonders, als wir zu zweit wegen des Eises auf dem                                  Timon schmunzelt und ergänzt: Der Hund wollte
           Welches Ereignis hat dich im letzten Jahr                Boden gelandet waren, da lachten wir laut los. Und                                   nichts von uns wissen, nicht einmal gebellt hat er.
           überrascht?                                              ich staune immer wieder, wie viel da los ist im Wald.    «Als wir zu Zweit wegen     Ich glaube, der war müde.
           Die Erlebnisse im Wald. Wir packen jeweils die Ruck-     Kürzlich habe ich gesehen, wie Holzfäller an der
                                                                                                                                 dem Eis auf dem
           säcke und laufen «obsi» in den Wald. Manchmal           ­Arbeit sind. Es läuft immer etwas im Wald!
           stinkt es unterwegs nach «Bschütti», uhhh! Wenn wir                                                              Boden landeten, da lachten
           oben sind, gibt es aber viel zu sehen. Da sind Pilze,   Wie hat das Erlebnis deinen Alltag verändert?                wir alle laut los.»
           Tiere und eine Hütte. Zur Hütte gehen wir ab und zu     Markus Krebs erzählt, dass sie Ausflüge in den Wald
           hin und schauen, ob sie noch steht, wenn wir wieder     sicher bis in den Sommer beibehalten, denn es ist
           kommen. Hinein gehen wir natürlich nicht.               eine wertvolle Möglichkeit, den Kindern die Natur
                                                                   näherzubringen. Auch Fortschritte sind erkennbar,
           Wir machen immer ein Feuer, damit wir das Essen         zum Beispiel bewegen sich die Schüler viel geübter
           wärmen können. Einmal war kein Holz mehr da, so-        in der Natur und steigen inzwischen gekonnt über
           mit mussten wir alle zuerst auf Holzsuche, das war      Stock und Stein.
           auch was.

32                                                                                                                                                                                                        33
Impressionen

                                                     Andrea Wyssmann,
                                                     Karin Aeschbacher

     «Es muss ein gutes Mass an energiespendenden
       Ritualen einerseits und herausfordernden,
     neuen Inhalten andererseits gefunden werden.»
                                                                         Martin Studer am Grillfest

               Walter Moser, Schokokopf-Schleuder
34                                                                                                    35
Ausblick

Wie geht es weiter mit dem Projekt                                                                                                                                                               Einzigartig –
«Über den Tellerrand schauen»?                                                                                                                                                           wie die Menschen in der BWO

Matthias Widmer und Daniel Oberholzer, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW

           Unsere Besuche in der ADW-Werkstatt, im Ateliers- Im zweiten Gruppentyp ist der Alltag klar geregelt        Zeit ohne Programm                                    pe hat beispielsweise vorgesehen, Hasen in die WG
           und im Wohnbereich sowie in der HPS zeigen, dass in und geplant. Damit entsteht bei den Personen ein        Durch unverplante Zeitfenster im Alltag werden zu-    einziehen zu lassen. Eine andere Wohngruppe wird
           den Gruppen sehr unterschiedlich mit dem Thema hohes Mass an Stabilität und Sicherheit. Personen            sätzliche Möglichkeiten geschaffen, aus dem ge-       mit neuen Möbeln experimentieren und genauere
           «Über den Tellerrand schauen» umgegangen wird. mit einem hohen Interesse an neuen Erlebnissen               wohnten Alltag herauszutreten und Neues zu ent-       Vorstellungen entwickeln, wie die Bewohnenden
           Die BWO kann darauf mit einem bewussten Umgang haben hier etwas weniger Möglichkeiten, über den             decken. Zum Beispiel wird die ADW-Werkstatt           ihre Wohnung einrichten wollen.
           mit der Gruppenkultur Einfluss nehmen. Ideal ist eine Tellerrand zu schauen.                                zufällig ausgewählten Personen ermöglichen, Aus-
           Gruppenkultur, die den Personen und der Gruppe Si-                                                          lieferungen von Produkten zu Kunden zu begleiten      Ungewöhnliche Orte erobern
           cherheit und Stabilität innerhalb des Tellerrandes er- Der Alltag im dritten Gruppentyp bietet viele ab-    oder die Umgebung der Werkstatt zu erkunden.          Bei diesem Thema werden neue Orte «erobert», die
           möglicht und gleichzeitig Inspiration und Herausfor- wechselnde und spontane Aktivitäten. Dieser Typ ist    Eine Wohngruppe plant einen Abend, der völlig frei    für die Personen möglichst unbekannt sind. Die
           derung ausserhalb des Tellerrandes zugänglich macht. attraktiv für Personen mit einer grossen Begeiste-     und ohne Plan durchgeführt wird.                      Orte mit ihren Besonderheiten sollen von Grund auf
                                                                  rung für allerlei Unternehmungen. Dabei ist nicht                                                          entdeckt werden können. In der ADW-Werkstatt
           Wir haben unterschiedliche Gruppenkulturen und immer ganz klar, welche Vorlieben und Interessen             Kreative Beteiligung                                  werden ausgewählte Personen beispielsweise die
           individuelle Verhaltensweisen in der BWO angetrof- die Menschen tatsächlich haben.                          Vorgespurte Abläufe oder alltagsbezogene Vorga-       Produktionsstätten von Auftraggebern besichtigen.
           fen und in vier Typen eingeteilt. Dabei geht es nicht                                                       ben werden bewusst aufgelöst. Einzelne Wohngrup-      Eine andere Gruppe will sich einen Tag lang am of­
           darum, welcher Typ besser oder weniger gut ist. Je- Der vierte Gruppentyp ist von einem durchdringen-       pen haben sich zu diesem Thema vorgenommen,           fenen Feuer im Wald verpflegen.
           der Typ steht für eine bestimmte Art und Form der den Entdeckergeist und Interesse an der Welt ge-          den Bewohnenden eine Auswahl an Lebensmitteln
           Auseinandersetzung mit Neuem und passt unter- prägt. Personen mit einem guten Wissen, was sie               ohne Vorgaben zur Verfügung zu stellen, die dann      Wir von der FHNW werten die Wirkung all dieser
           schiedlich gut zu verschiedenen Personen. Ein Blick interessiert und wie sie dieses Interesse befriedigen   zu einem Nachtessen verarbeitet werden – mög-         Projekte wissenschaftlich aus. Das neue Wissen wird
           über den Tellerrand ist bei allen Typen möglich, wird können, passen besonders gut in diesen Gruppentyp.    lichst ohne Hilfe der Begleitpersonen. Eine andere    anschliessend für das bessere Ansteuern von Ent-
           jedoch unterschiedlich angeregt.                                                                            Wohngemeinschaft plant eine Sommernacht unter         wicklungschancen in der BWO und anderen Einrich-
                                                                  Gemeinsam mit der BWO wurden vier unterschied-       der Führung der Bewohnenden.                          tungen genutzt. Freuen Sie sich auf den Jahresbe-
           Im ersten Gruppentyp verbleiben Personen am liche Möglichkeiten entwickelt, wie der Blick über                                                                    richt 2021, wenn wir von den Ergebnissen aus den
           liebsten innerhalb des eigenen Tellerrands, und dies den Tellerrand bewusst angeregt werden kann. Die       Flexible Nutzung bestehender Räume                    Projekten berichten!
           aus freien Stücken. Dieser Gruppentyp eignet sich Gruppen aller Bereiche haben dazu eigene Projekte         Scheinbar unveränderlich festgelegte Vorstellungen,
           gut für Personen, die im Moment nur wenig Energie entwickelt. Diese werden bis im Sommer 2021 um-           wie bestimmte Räume genutzt werden, werden be-
36         für Neues zur Verfügung haben.                         gesetzt.                                             wusst und mit Mut aufgebrochen. Eine Wohngrup-                                                              37
Zahlen und Fakten Stiftung BWO

Über die Stiftung
BWO

          Angebote in der Stiftung BWO                        Spenden 2020                                                                     Jahresrechnung 2020

          Kinder und Jugendliche mit einer Entwicklungs-      Vielen herzlichen Dank für alle Zuwendungen. Wie                                 Wir verzichten, unsere Jahresrechnung 2020 mit
          verzögerung, einer geistigen oder mehrfachen        jedes Jahr durften wir viele Spenden in Empfang                                  Betriebsrechnung, Bilanz, Anhang sowie den Re­
          Beeinträchtigung:                                   nehmen, total einen Betrag von CHF 24 674.00.                                    visionsbericht im Jahresbericht abzudrucken. Wir
          • Heilpädagogische Schule für Kinder ab 4 Jahren,                                                                                    laden Sie herzlich ein, diese auf unserer Homepage
            mit Therapien wie Logopädie, Psychomotorik        In Gedenken an verschiedene Personen wurde uns             Herzlichen Dank       zu besichtigen: bwo-langnau.ch
          • Integrative Sonderschulung in Regelklassen        zusätzlich ein Betrag von CHF 4529.80 überreicht.
                                                                                                                      für Ihre Unterstützung
           Erwachsene mit einer geistigen oder mehrfachen     Ihre Spenden zaubern ein Strahlen in die Gesichter           von insgesamt
           Beeinträchtigung:                                  der Menschen mit Beeinträchtigung, verschaffen ih-
          • Wohngruppen mit integrierten Ateliers             nen glückliche, erlebnisreiche Momente und wun-
          • Wohngruppe für ältere/alte Menschen
          • Wohngruppe für Menschen mit sehr herausfor-
             derndem Verhalten und grossem Unterstüt-
                                                              derbare Erinnerungen, dafür danken wir Ihnen. Die
                                                              Corona-Zeit hat natürlich auch unsere Arbeit verän-
                                                              dert. Trotzdem schaffen wir immer wieder Möglich-
                                                                                                                     CHF   29 203.80
             zungsbedarf                                      keiten, dass diese Menschen in ihrem Alltag und in
          • Begleitetes Wohnen                                ihrer Freizeit unvergessliche und glückliche Momen-
          • Externe Arbeitsplätze in Ateliers                 te erleben dürfen, wie z. B. Ferien in Kleingruppen     Spenden im Jahr 2020!
          • Ausbildungs-, Abklärungs- und Umschulungs-        am Bodensee.
             plätze im Bereich Mechanik, Logistik und
             Administration                                   Unser Dank geht auch an die Freiwilligen für die ge-
          • Angepasste Arbeitsplätze in der Verpackerei und   schenkte Zeit und ihr wertvolles Engagement und
             Montage sowie Mechanik.                          die vielen Spenden, die direkt an unsere Gruppen
                                                              gegangen sind.

38                                                                                                                                                                                                  39
Zahlen und Fakten Stiftung BWO

Kennzahlen
Stand am 31.12.                                 2020         2019                                                           2020   2019

                                                                        Mitarbeitende mit Beeinträchtigung in Ausbildung

                                                  188         189
          Personal                                                      Logistik                                             9      3
                                                   117         114
                                                                        Mechanik                                             2      2
                                                                        Administration                                       1      1
                                                Total 305   Total 303
                                                                        Industrie                                            1      1
                                                                        Holzbearbeitung PrA                                  3      2
                                                                        Metallbauer                                          1

                                                   35          38       Mitarbeitende ohne Beeinträchtigung in Ausbildung
          Eintritte
                                                   15          19       Arbeitsagogik                                        2      1
                                                                        Sozialpädagogik                                      3      3
                                                Total 50    Total 57    FaBe EFZ                                             7      8
                                                                        AGS EBA                                              2      1
                                                                        Mechanik                                             4      8
                                                                        Logistik                                             0      0

                                                   44          39
          Austritte                                                     Lern- und Bewerbungscoaching
                                                   14          15

                                                                        Lerncoaching                                         1
                                                Total 58    Total 54    Bewerbungscoaching                                   1

          Mitarbeitende mit Beeinträchtigung
40        Mitarbeitende ohne Beeinträchtigung                                                                                             41
Zahlen und Fakten Stiftung BWO

Personelles
der Stiftung BWO

          Abschlüsse                                         Weiterbildungen                                  Jubilaren                                      Stiftungsmitglieder

          Erfolgreich ihre Lehre abgeschlossen haben         Interne Weiterbildungen                          BWO-Jubilarinnen und Jubilaren                 Präsidentin
          (nach dem Alphabet aufgeführt)                     • Pflegerische Grundlagen (für Lernende)                                                        Cornelia Schwarzenbach, Berufsschullehrerin /
                                                             • Handlungspläne erstellen                       40 Jahre                                       dipl. Erwachsenenbildnerin HF, Bern
          ADW                                                • Palliative Care, ethische und rechtliche       ADW: Streit Rolf
          Adrian Kräuchi, Polymechaniker EFZ                   Grundlagen                                     35 Jahre                                       Vizepräsident
          Beat Röthlin, Mechanikpraktiker EBA                • Einführung Aggressionsmanagement               ADW: Fankhauser Anita, Gerber Martin, Günter   Christine Schär von Steiger, Juristin, Burgdorf
          Ilya Regamey, Polymechaniker EFZ                   • Formen von Behinderungen                       Andreas, Pietrogiovanna René, Reber Hedi
          Nico Eigl, Polymechaniker EFZ                        (für neue Mitarbeitende ohne Fachausbildung)   WAT: Mahindan Gnanasundaram                    Mitglieder
          Robiel Tesfahans, Mechanikpraktiker EBA                                                             30 Jahre                                       Martin Furter, Architekt, Langenthal
                                                             Weitere, geplante Weiterbildungen wurden         ADW: Schäppi Thomas, Steiner Daniel,           Beat Luginbühl, Fürsprecher, Bern
          Abschlüsse in Partnerfirmen                        wegen Corona abgesagt oder verschoben.           Vuillemier Jean, Wüthrich Andreas              Robert Naville, Unternehmer, Uetikon am See
          Kenny Nett, Holzbearbeiter PrA                                                                      25 Jahre                                       Johann Sommer, Wirtschaftsprüfer, Langnau i.E.
          Paolo Bertoldo, Logistiker EBA                                                                      ADW: Krähenbühl Tobias, Zwygart Katharina      Rea Nejedly, Pensionierte Radiologiefachfrau, Worb
                                                                                                              15 Jahre
          Wohnen und Ateliers                                                                                 ADW: Bärtsch Maria, Studer Martin              Geschäftsführerin
          Bruno Jakob, FaBe EFZ                                                                               10 Jahre                                       Kathrin Wanner, Bern
          Cornelia Löffel, Sozialpädagogin HF                                                                 ADW: Arumugam Yasinthan, Baumann Susanne,
          Daniela Roth, FaBe EFZ                                                                              Michel Erika, Wittwer Gottfried
          Jasmin Tanner, AGS EBA                                                                              HPS: Müller Brigitte
                                                                                                              WAT: Lüthi Kathrin, Wettstein Sabrina
          Wir gratulieren allen herzlich zum erfolgreichen
          ­Abschluss und wünschen ihnen für die berufliche                                                    Wir gratulieren ihnen und bedanken uns
           Zukunft viel Freude und Erfolg.                                                                    herzlich für ihre grosse BWO-Treue.

42                                                                                                                                                                                                                43
Sie können auch lesen