Wildpflanzensaatgut im Spannungsfeld des Naturschutzes - Verband ...
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Markus Wieden, Wildpflanzensaatgut im Spannungsfeld des Naturschutzes, NuL 47 (6), 2015, 181-190 Wildpflanzensaatgut im Spannungsfeld des Naturschutzes Kritische Anmerkungen zu aktuellen Regelungsversuchen Von Markus Wieden Abstracts Der Einsatz kommerziellen Wildpflanzensaatguts ist zentraler Seeds from Wild Plants from a Nature Conservation Point of View Bestandteil vieler Kompensationsmaßnahmen. Aus genetischen – Critical annotations on current suggestions of regulations Studien lassen sich Abstände zwischen Quell- und Zielstandort The application of commercial seed material of wild plants has für Saatgut von mindestens 300 km bei ähnlichen Standort- become a central component of many compensation measures. faktoren als zulässig ableiten. Kleinräumig stabil nebeneinan- Genetic studies allow the derivation of acceptable distances at der bestehende Ökotypen erlauben den Rückschluss, dass am least 300 km between source and destination of the seed of Ausbringungsort von regionalem Saatgut in den angrenzenden with comparable site conditions. The fact that adjacent ecotypes Populationen keine erheblichen Schäden durch Hybridisierung firmly coexist side by side allows the conclusion that the ap- auftreten. plication of regional seed material does not cause significant In einer Studie der Universität Hannover wird in einem Ar- hybridisation effects in adjacent populations. A study at the tenfilter ein großer Teil der heimischen Arten für Ansaaten University of Hannover excludes a large number of native spe- ausgeschlossen. Die Autoren dieser Studie wirkten auch bei cies for seed measures by applying a species filter. The authors Rezepturen für 72 Mischungen, den RSM-Regio, als bundes- of this study also contributed to the recipes for 72 mixtures, weitem Standard mit. Diese Mischungen bestehen auf Basis the “RSM-Regio”, which was established as a standard on des Artenfilters aus wenigen, meist ubiquitären Arten und federal level. Based on the species filter these mixtures consist werden vom Verband deutscher Wildpflanzenproduzenten e.V. of few, mostly ubiquitary species. The Association of German (VWW) abgelehnt. Wild Seed and Wild Plant Producers (VWW) has refused their Am Beispiel der Feuchtwiesen wird im vorliegenden Beitrag application. Using the example of moist grassland, the study die mangelnde Differenzierung der RSM-Regio aufgezeigt und illustrates the lacking differentiation of the RSM-Regio and it der weitreichende Artenausschluss durch den Artenfilter hin- questions the exclusion of species. For nature conservation terfragt. Der VWW empfiehlt für den Naturschutz artenreiche purposes the VWW recommends species-rich mixtures adapt- standortangepasste Mischungen und den Aufbau einer Arten- ed to the site and the establishment of a species data bank datenbank mit genetischen Informationen für den Saatgut providing genetic information for the application of the seed einsatz. material. 1 Vorbemerkung zen zu Ansaatzwecken ist dagegen deut- ausgeräumten Agrarlandschaften rasch lich älter. Wildgräseranbau tritt in Europa eine zunehmende Popularität. Durch stei- Regionales Wildpflanzensaatgut wird im schon im 18. Jahrhundert auf (L.C. Nun- genden Bedarf an Saatgut zur Neuanlage Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG; gesser Saaten 1981). Differenzierte Mi- von „Blumenwiesen“ verstärken die weni- Deutscher Bundestag 2009) in § 39 erst- schungen z.B. zur „Wiesenanlage mit gen mit Wildpflanzen vertrauten Saatgut- malig als Mittel für naturschutzfachlich trockenem Boden“ werden bereits 1883 firmen, wie Blauettikett Bornträger, Con- geeignete Maßnahmen genannt. Zu be- von der Fa. Conrad Appel (1989) angebo- rad Appel und die L.C. Nungesser KG, in achten ist, dass dort alle Arten, die sich ten. Diese Mischungen bestehen aber dieser Zeit den Zukauf von Kräutersamen für mehrere Generationen in Deutschland überwiegend aus Gräsern. Noch bis in die und legen landwirtschaftliche Vermeh vermehren, als heimisch und Arten, die 1960er-Jahre werden große Partien von rungsflächen an. Heute sind in Deutsch- außerhalb ihres natürlichen Vorkommens- artenreinen Wildgrassammlungen aus den land ca. 120 Betriebe mit der Saatgutge- gebietes auftreten, als gebietsfremd be- Haubergen von Taunus, Westerwald und winnung und der Produktion von Einzel- zeichnet werden (§ 7). Nicht gebietsfrem- Lahn-Dill-Bergland bei der Fa. Samen pflanzen oder Mischungsprodukten befasst. de Arten können im Umkehrschluss nach Schneider aufbereitet und zur Vermeh- Mit der steigenden Zahl der Betriebe, Kowarik & Seitz (2003) als gebietseigen rung weiterverkauft (R. Schneider, Hai- dem zunehmenden Informationsbedarf bezeichnet werden; sie verbinden mit die- ger, mdl. Mitt. 2015). der Saatgutanwender und den vielen of- sem Begriff die Bedingung, dass die be- Mit der im BNatSchG von 1976 erstma- fenen Fragen zu naturschutzfachlichen treffende Art im Gebiet auch indigen sein lig verankerten Eingriffsregelung (Jessel und saatguttechnischen Belangen wird muss. Diese ist allerdings nicht zwingend 2003) wird die breite Anwendung von 2005 der Verband der deutschen Wildsa- aus dem BNatSchG ableitbar. Wiesenansaaten für Ausgleichs- und Er- men- und Wildpflanzenproduzenten e.V. Die Geschichte der Sammlung, Ver- satzvorhaben unterstützt. Diese nun kräu- (VWW) zur Bündelung und Bearbeitung mehrung und Verwendung von Wildpflan- terreichen Mischungen gewinnen in den dieser Themen gegründet. Neben Bera- 181
Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (6), 2015, 181-190, ISSN 0940-6808 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart ausbringung. Vor allem Fragen zur Gene- tik stehen dabei im Vordergrund und werden von einer zunehmenden Zahl von Studien beleuchtet. Im Folgenden sollen kurz die beiden wichtigsten Untersu- chungsmethoden und die häufigsten Kri- tikpunkte beim Saatguteinsatz diskutiert werden. 2.2 Untersuchungsmethoden Die Ergebnisse zahlreicher vorliegender molekulagenetischer Markerunter suchungen (Allozym, RAPD, SSR, AFLP, cpDNA, SNP) zeigen Differenzierungen am Erbgut zwischen Populationen, die ohne Selektion, also zufällig auftreten (genetische Drift). Merkmale, die einem ähnlichen Selektionsdruck unterliegen, verändern sich dagegen wenig oder gar nicht (Vander Mijnsbrugge et al. 2010). Verpflanzungsexperimente (Common- Garden-Versuche) testen dagegen auch Abb. 1: Vermehrungsbestand von Schwarzer Königskerze (Verbascum nigrum) bei Wildsaaten in quantitative, selektionsabhängige Merk- Wetzlar. Foto: M. Wieden (28.06.2009) male, z.B. die Wuchsleistung, die Fertilität und die Ausprägung relevanter Organe. tung bei Gesetzgebung und Verwaltung ten jahrzehntelang fast ausschließlich aus Sie erfassen aber praktisch nie die Summe wird vom VWW mit den Zertifikaten Zuchtsortenmischungen, z.B. Berliner der Standortfaktoren, z.B. Witterungs VWW-Regiosaaten® und VWW-Regioge- Tiergarten-Mischung und Regelsaatgut- anomalien, wie starke Fröste und Tro- hölze® ein Herkunftsnachweis für Wild- mischungen (RSM). Seit Mitte der 1970er- ckenperioden, die über eine lange Zeit zur pflanzen eingeführt. Jahre werden erstmals kräuterreiche Mi- Ausbildung des lokalen Ökotyps beige Zentrales Thema des Verbandes ist au- schungen erprobt, die überwiegend der tragen haben. ßerdem die Erarbeitung von wissenschaft- natürlichen Zusammensetzung von Pflan- lichen Grundlagen für den Einsatz von zengesellschaften nachgeahmt sind. Die 2.3 Biodiversität Wildpflanzen. Hierzu wird in einem ersten Präzision, mit der standörtlich angepass- Als mögliche nachteilige Effekte für die Vorschlag von Hacker & Hiller (2003) te Mischungen mit prozentgenauer Arten- innerartliche und zwischenartliche Viel- Deutschland in 13 Regionen unterteilt. In zusammensetzung erstellt werden kön- falt durch Saatgutausbringung werden einer darauf folgenden Studie wird von nen, führt bei fachgerechter Anwendung folgende Aspekte diskutiert: Prasse et al. (2010) ausgehend von einem zur Etablierung von klassischen Pflanzen- bundesweiten Arbeitskreis eine Gliede- gesellschaften, die sogar die Merkmale für (1) Auftreten invasiver „heimischer“ rung in 22 Regionen vorgenommen. Ein Lebensraumtypen nach FFH-Richtlinie Arten (kryptische Invasion): Verdrän- weiterer Teil dieser Studie enthält eine (Rat der EU 1992) erfüllen. Dabei handelt gung örtlicher Sippen durch eingebrachte Klassifizierung der Ansaateignung aller es sich aber immer nur um Anfangsstadi- Sippen oder deren Hybriden infolge von Wildpflanzenarten (ohne Gehölze) in en langfristig zu entwickelnder Lebensge- Konkurrenzvorteilen. Zusätzlich kann einem „Artenfilter“. Seit 2014 werden von meinschaften (Joas et al. 2007). Diese eine Gefährdung von Artengemeinschaf- der Forschungsgesellschaft Landschafts- neue „Machbarkeit“ im Naturschutz wird ten entstehen, wenn die neue Sippe ihr bau und Landschaftsentwicklung (FLL) von vielen Projektträgern und Natur- ökologisches Spektrum erweitert. Das auf der Basis des Artenfilters die „RSM- schutzverwaltungen aufgegriffen und Auftreten invasiver Sippen aus dem hei- Regio“ herausgegeben (FLL 2014): eine führt zu weitreichenden Ansaatvorhaben mischen Artenspektrum ist extrem un- Sammlung von konkreten Mischungsre- mit Wildpflanzen, z.B. Ausgleichsflächen wahrscheinlich, wenn auch durch neu zepturen aus Wildsaatgut, differenziert für Flughäfen mit Anlage großflächiger entstandene Ökotypen möglich. Diskutiert für 22 Regionen. In Abschnitt 3 des vor- Magerrasen, Begrünung von Autobahn- wird das z.B. von Joshi (2015) für die liegenden Beitrags sollen unter der Prä- böschungen oder die gezielte Ansaat für Schlanksegge (Carex acuta), die in die misse eines praktikablen Wildsaatgutein- Artenschutzprojekte, z.B. von wechsel- Strandschmielen-Gesellschaft am Boden- satzes das Regionenkonzept, der Artenfil- feuchten Wiesen mit Großem Wiesen- see einwandert. Ein Teil der heimischen ter und die RSM-Regio kritisch betrachtet knopf (Sanguisorba officinalis) zur Förde- Arten, die in vom Menschen beeinflusste werden. rung der Ameisenbläulinge (Maculinea Standorte vordringen (Apophyten), ist spec.) (HMWVL 2005). Das Angebot an ebenfalls auf dieses Phänomen zu prüfen, 2 Genetische Aspekte Wildpflanzensaatgut umfasst heute in z.B. das Einwandern von Schmalblättri- Deutschland Hunderte von Mischungen gem Weidenröschen (Epilobium angusti 2.1 Ausgangssituation aus ca. 400 Arten. folium) in Bergwiesen (Sukopp 2008). Auf Neben den massenhaft eingesetzten Mit dem verbreiteten Saatguteinsatz kontinentaler Ebene wurde invasives Ver- Zuchtsorten der Landwirtschaft bestehen entsteht eine Debatte über die natur- halten bei Schilfrassen (Phragmites aust auch die verbreiteten Landschaftsansaa- schutzfachliche Zulässigkeit der Saatgut- ralis) beobachtet (Saltonstall 2002). 182 182
Markus Wieden, Wildpflanzensaatgut im Spannungsfeld des Naturschutzes, NuL 47 (6), 2015, 181-190 Die genannten Beispiele werden nicht auf auch die Einbringung, anders als bei land- Forstpflanzen, entlang von Verkehrs Effekte durch Saatgutausbringung zurück- wirtschaftlichen Kulturformen, immer nur wegen, bei Transporten von Verkippungs- geführt! lokal und punktuell stattfindet (dazu auch material und Einsatz von landwirtschaft- Durka in Prasse et al. 2010: 89ff.). Noch lichem Saatgut. Auch durch Einsatz von (2) Inzuchtdepression: Die Population beständiger bleibt die Trennung zwischen regionalem Wildpflanzensaatgut können auf dem neu besiedelten Standort ist Selbstbefruchtern oder sogar apomikti- Ökotypen in ein für sie neues Areal gelan- durch fehlende genetische Diversität so schen Sippen (Gregor 2013). Frankham gen. Die Verwischung von (meist nicht wenig heterozygot, dass schädliche Allele et al. (2011) stellen sogar das Auftreten bekannten Arealgrenzen) kann daher als den Fortbestand der Art an diesem Stand- von Auszuchtdepression bei kleinräumi- Nachteil für die Forschung betrachtet wer- ort gefährden. Zudem kann die Art wegen ger Diversität generell in Frage. Räumlich den, die Vorteile neu begründeter Bio fehlender Variabilität nur wenig auf sich getrennte Populationen entwickeln dem- diversität in der Landschaft (Bosshard & ändernde Umweltfaktoren mit Anpassung nach bei ähnlichen Umwelteinflüssen Kuster 2001, Haberreiter 2006) sind reagieren. auch nach mehreren tausend Generatio- dem aber gegenüberzustellen. Dieses ernstzunehmende Phänomen ist nen oder nach bis zu 500 Jahren Trennung für die Saatguterzeugung von Bedeutung. ohne Genfluss keine Auszuchtdepression 2.4 Definition im Die Produzenten müssen darauf achten, bei Kreuzung. Bundesnaturschutzgesetz eine genetische Verengung durch eine zu Zwar gibt es bisher kaum Untersuchun- Es muss davon ausgegangen werden, dass geringe Anzahl besammelter Standorte gen zu Auszuchtdepression in situ als be- für einen Großteil der Wildpflanzenarten oder durch technische Selektion im Anbau standsgefährdendem Effekt (Mischalski genetische Differenzierung und lokale zu vermeiden. & Durka 2012), jedoch zeigen die bishe- Anpassungen in voneinander mehr- oder rigen Nachweise von Verdrängung lokaler weniger isolierten, auch kleinräumigen (3) Auszuchtdepression: Die Population Ökotypen durch massenhafte Ausbrin- Populationen bestehen (Michalski & auf dem neu besiedelten Standort kreuzt gung von Zuchtformen (Fischer & Stohr Durka 2012). Die Abstände liegen dabei sich mit der vorhandenen standörtlichen 2000, Lumaret 1990) oder durch Invasi- zwischen vielen km und wenigen Zehner- Population. Die Nachkommen besitzen on überregionaler Herkünfte (Salton- Metern (Mix et al. 2006, Waser & Price nicht mehr die am Standort vorteilhaften stall 2002), dass verdrängende Sippen 1991). Die juristische Einordnung derar- Eigenschaften und verlieren durch gegen- gegenüber der lokalen Sippe besonders tiger Populationsstrukturen gemäß Artbe- seitige Beeinflussung von Genen (Epista- abweichende Eigenschaften erfordern. griff im BNatSchG ist aber unklar. Zu se) und Geneinschleusung (Introgression) beachten ist, dass dort alle Arten, die sich Konkurrenzvorteile. Es entsteht im Ex (4) Verfälschung von Arealen: Das Ver- für mehrere Generationen in Deutschland tremfall ein Verlust an innerartlicher Viel- breitungsgebiet eines Ökotyps kann durch vermehren, als heimisch, und Arten (inkl. falt durch Verlust an Ökotypen. Ansaat vergrößert werden. Vorhandene Unterarten und Populationen), die außer- Dieser Vermutung widerspricht (bei Arealgrenzen, die z.B. die nacheiszeitliche halb ihres natürlichen Vorkommensgebie- Einsatz regionaler Ökotypen) die Tat Wiedereinwanderung nachzeichnen, wer- tes auftreten, als gebietsfremd bezeichnet sache, dass kleinräumig viele (Teil-)Po- den verwischt. werden (§ 7). Nicht gebietsfremde Arten pulation nebeneinander existieren. Selbst Tatsächlich werden durch menschliche können im Umkehrschluss nach Kowarik Fremdbefruchter können noch bei erheb- Aktivitäten Pflanzenareale im großen Stil & Seitz (2003) als gebietseigen bezeich- lichem genetischem Austausch (Genfluss) verändert (Seitz et al. 2007), z.B. bei net werden; sie verbinden mit diesem innerhalb kleinräumiger Skalen isolierte Populationen aufbauen. Mix et al. (2006) zeigen an Ferkelkraut (Hypochaeris radi cata) in den Niederlanden einen Abstand von 3,5 km, bei dem zwei benachbarte Populationen voneinander als isoliert gel- ten können. Waser & Price (1991) ermit- teln in Befruchtungsversuchen an einer ausdauernden Wiesen-Ritterspornart (Delphinium nelsonii) einen optimalen Abstand von 10 m. Näher wachsende In- dividuen erzeugen Inzuchteffekte, weiter entfernte (30 m) bewirken Auszucht depression, obwohl die Pflanzen von Hummeln und Kolibris bestäubt werden (Waser & Price 1990). Die kleinräumige Existenz zahlreicher Ökotypen nebenein- ander belegt, dass selbst bei Auskreuzung und hohem Genfluss erhebliche Stabilität für die Existenz der Populationen besteht (vgl. auch Ernst 1990). Daher führen neue Genotypen in der Nachbarschaft nicht gleich zur genetischen Vermi schung und schon gar nicht zur Ver Abb. 2: Vermehrungsbestand von Bergklee (Trifolium montanum) bei Wildsaaten in Wetzlar. drängung eines ganzen Ökotyps, da Foto: M. Wieden (26.05.2011) 183
Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (6), 2015, 181-190, ISSN 0940-6808 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Begriff die Bedingung, dass die betreffen- grund ausgeräumter Agrarlandschaften (Distanzen > 500 km) mit zunehmender de Art im Gebiet auch ursprünglich vor- und großflächiger Flächenverluste den Entfernung die Eignung eines Ökotyps handen (indigen) sein muss. Dies ist al- Einsatz artenreicher Mischungen zur am neuen Standort abnimmt (Leimu & lerdings nicht zwingend aus dem schnellen Entfaltung großer ökosystema- Fischer 2008). Im kleineren Maßstab sind BNatSchG ableitbar. rer Synergien (Bosshard & Kuster 2001, die örtlichen Standortfaktoren, z.B. Be- Obwohl die innerartliche Vielfalt als Haberreiter 2006, Schmidt 2014) in weidung oder Mahd, für eine genetische Schutzgut unstrittig ist (z.B. Schumacher weiter gefassten Ausbringungsgebieten. Differenzierung ausschlaggebender als & Werk 2010), dürfen lokale, häufig Die potenzielle genetische Belastung wird die räumliche Entfernung, die sich gene- durch Lebensraumfragmentierung ent- geringer eingeschätzt als die Summe der tisch häufig nicht abbilden lässt (z.B. bei standene Teilpopulationen nicht dazu Vorteile, die durch neue artenreiche Be- Lauterbach 2012). führen, die Wiederbesiedlung geeigneter stände entstehen. Keller et al. (2000) stellen fest, dass Standorte mit Herkünften aus Nachbar- Beiden Haltungen liegt ein regionales im kontinentalen Maßstab Saatguttrans- räumen zu unterbinden. Kleinste Popu- Verständnis für die Verwendung von Wild- fers zu Fitness-Einbußen führen, eine lationen könnten dann sogar den Einsatz pflanzensaatgut zugrunde, das aber mit Transfergrenze lässt sich daraus aber nicht lokaler Mähgutübertragung verbieten. unterschiedlichen räumlichen Skalenwei- definieren. McKay et al. (2005) kommen Der Naturschutz würde damit einen we- ten arbeitet. Die Verantwortung, keine entsprechend zu dem Schluss: „Es ist un- sentlichen Teil seiner Ausgleichsinstru- Arten über ihre natürlichen Areale hinaus möglich (und kontraproduktiv), eine geo- mente verlieren. Es fehlt eine handhab- zu verbreiten, ist für beide Haltungen graphische Standarddistanz als Maßstab bare Abgrenzung von Populationen mit gleich. für lokale Anpassung vorzugeben (z.B. eigenem Verbreitungsareal im Sinne des Auf Initiative von Saatgutproduzenten, eine 50-km-Regel).“ Dementsprechend BNatSchG (§ 7 Abs. 2) und hinreichender Wissenschaftlern und administrativem hätten für Deutschland statt 22 auch 18 eigenständiger Differenzierung gegen- Naturschutz wurde mit Förderung der oder acht Räume gebildet werden können. über genetisch erkennbaren Teilpopula- DBU von Prasse et al. (2010) in einer Auch die Gewährleistung der Eigenschaft tionen ohne vergleichbare Bedeutung, Studie ein bundesweites Modell entwi- „gebietseigen“ lässt sich nicht über Ein- z.B. bei genetischer Anpassung in weni- ckelt, um den Einsatz von Wildsaatgut haltung von Räumen ableiten, da die Be- gen Generationen (Jump et al. 2008). naturverträglich und praxisnah zu regeln. trachtung derjenigen Ökotypen, die aus Dieses gilt natürlich nicht für sehr seltene Der VWW war beratend im Projekt betei- unterschiedlichen Standorten derselben oder versprengte Arten, deren ggf. relik- ligt, hatte aber keinen Einfluss auf die Region stammen (basisch-sauer, feucht- tisches Auftreten mit hoher genetischer Methode, die den Ergebnissen zugrunde trocken usw.), gänzlich fehlt. Solche Öko- Differenzierung verbunden sein kann und liegt. Die Studie ist dabei eher dem kon- typen können ihre eigenen Regionen auf- die einzelnen, gezielten Artenhilfsmaß- servierenden Ansatz zuzuordnen und weisen, z.B. beweidungstolerante Sippen nahmen vorbehalten bleiben müssen (z.B. weist für zwei Bereiche Regelungsvor- in großräumig von Beweidung geprägten Lütt 2009). schläge aus, die hier näher betrachtet Landschaften, die nicht mit den Grenzen werden sollen: Abgrenzung von Regionen der 22 Regionen übereinstimmten (Ab- 3 Naturschutzfachliche Vorgaben (Abschnitt 3.2) und Auswahl von zugehö- grenzung s. Abb. 3). rigen Arten (Artenfilter; Abschnitt 3.3). Der VWW betrachtet die acht Produk- 3.1 Vorbemerkungen tionsräume als tragfähigen Kompromiss Die unterschiedlichen Auffassungen im 3.2 Regionen für Saatguttransfergebiete, bei denen die wissenschaftlichen Naturschutz führen zu Deutschland wird in der genannten DBU- Wahrscheinlichkeit für Schäden an ört zwei Herangehensweisen für den Einsatz Studie anhand von klimatischen und bo- von Wildpflanzensaatgut: denkundlich-geologischen Kriterien auf (a) konservierend: Um eine Floren- der Basis von aggregierten Naturräumen verfälschung zu vermeiden, soll möglichst in 22 Regionen und acht Saatgut-Produk- keine oder nur eine geringe Verwendung tionsräume eingeteilt. Die Regionen sind von regionalem Saatgut erlaubt werden. in ihrer Ausdehnung auf ca. 200 km be- Falls eine Ansaat unvermeidbar ist, sollen grenzt (Abgrenzung s. Abb. 4). Sofern möglichst wenige Arten ausgebracht wer- darin Ballungsräume mit hohem Nachfra- den, weitere geeignete Arten sollen aus gepotenzial auftreten, sind Räume in die- natürlicher Zuwanderung hinzutreten. ser Dimension zu klein. Landwirtschaft Zwischen Entnahme und Ausbringung liche Saatgutvermehrung erreicht ohne dürfen für viele Arten nur kleinste Entfer- hinreichenden Saatgutabsatz in Kontinu- nungen liegen, z.B. Ausbringung nur auf ität und Umfang keine wirtschaftliche Gemeindeebene (Zahlheimer 2009). An- Basis oder kann keine ausreichende Pa- saatinstrumente sind dann Mähgutüber- lette an Arten zur Verfügung stellen. Der tragung oder Wiesendrusch (zwangsläufig gewählte Maßstab ist auch aus geneti- begrenzt auf Gebiete, in denen geeignete schen Erkenntnissen nicht ableitbar. Die Spenderflächen und die technische Infra- meisten Untersuchungen beziehen sich struktur zur Verfügung stehen; ackerbau- auf großräumige Effekte, z.B. den Ver- lich vermehrtes Saatgut steht auf dieser gleich von Ökotypen kontinentaler, sub- kleinräumigen Ebene meist nicht zur Ver- atlantischer und atlantischer Herkünfte Abb. 3: Karte der 22 Ursprungsgebiete für Regio- fügung). (Joshi 2001, Keller & Kollmann 1999, saatgut. Mit Graustufen sind die Produktions- (b) gestaltend: Die dagegenstehende Vander Mijnsbrugge et al. 2010). Dabei räume markiert (verändert nach Prasse et al. Auffassung empfiehlt vor dem Hinter- deutet sich an, dass im großen Maßstab 2010) 184
Markus Wieden, Wildpflanzensaatgut im Spannungsfeld des Naturschutzes, NuL 47 (6), 2015, 181-190 lichen Ökotypen sehr gering ist. Er unter- stützt aber die Einhaltung der 22 Regio- nen, soweit dazu Saatgut verfügbar ist, um die Durchdringung von Arealen klein- räumiger Sippen möglichst zu verringern. 3.3 Artenfilter 3.3.1 Funktion Der Artenfilter wurde als ein Instrument zum Auffinden von geeigneten Ansaatar- ten in einer Region entwickelt. Er gilt für Anwender, denen keine ausreichenden Kenntnisse über Standort und Arten zur Verfügung stehen. Diesem Ziel wird der Filter gerecht, indem er restriktiv alle Ar- ten ausschließt, deren Verwendung im Einzelfall problematisch sein können. Da- bei werden allerdings so viele wesentliche Sippen ausgeschlossen, dass in vielen Regionen nur noch fragmentarische Mi- schungen möglich sind, die dem Anspruch an Biodiversität und an eine ökologisch fachgerechte Gestaltung kaum mehr ge- Abb. 4: Ernte von Wiesenkerbel (Anthriscus sylvestris) bei Wildsaaten in Wetzlar. nügen. Der Einsatz des Filters stellt sich Foto: A. Wieden (26.06.2011) damit selbst in Frage, da er als ein Instru- ment zur naturschutzfachlichen Verbes- sie einer Förderung bedürfen und in ge- zeichnet. Hier fehlen zumindest Überar- serung gerade das wesentliche Merkmal eigneten Habitaten neue Lebensräume beitungen, um aufgrund verbesserter Da- naturschutzfachlicher Wertigkeit, nämlich gewinnen könnten. Viele dieser Arten ten aktuelle Einstufungen abzuleiten. regional differenzierten Artenreichtum, waren früher weit verbreitet. Mit Berück- Eine besondere Problematik besteht in ausschließt. sichtigung dieser Kenntnisse könnten für regionalen Verbreitungslücken einiger zahlreiche Rote-Liste-Arten Ansaaten er- Arten innerhalb ihres Verbreitungsgebie- 3.3.2 Kritische Ausschlusskriterien möglicht werden. Einzelne Arten sind tes. Für wärmeliebende Arten können die ffIndigenat: Eingewanderte Arten, die bereits in den Sortimenten der Vermehrer Hochlagen der Mittelgebirge eine Besied- gemäß Konvention seit 1492 als Neophy- vorrätig, die meisten sind aber wegen lungsgrenze darstellen oder säurezeigen- ten bezeichnet werden, sind pauschal ihrer geringen Nachfrage in Ansaatpro- de Arten fehlen in großen Teilen von nicht als regionales Saatgut zugelassen. jekten zurzeit nicht als Saatgut erhältlich. Kalkgebieten. In den meisten Fällen füh- Dieses Kriterium wird dem oft jahrhun- Einige Bundesländer haben bewusst dem ren im Artenfilter solche Verbreitungs dertelangen Anpassungsprozess vieler Ausschluss einzelner Rote-Liste-Arten wi- lücken zum Gesamtausschluss der Art für eingewanderter und heute etablierter Ar- dersprochen, um eine Förderung zu er- die betroffene Region. Obwohl also Samen ten nicht gerecht. Zurzeit sind nur wenige möglichen, z.B. für Sumpfschafgarbe ständig über Wind- oder Tierverbreitung Arten, die diesem Kriterium unterliegen, (Achillea ptarmica) in Region 1, Nattern- in die Verbreitungslücken eingetragen für Ansaaten relevant, z.B. Nachtviole kopf (Echium vulgare) in Region 3 oder werden und dort wegen nicht geeigneter (Hesperis matronalis). Der Verzicht auf Heidenelke (Dianthus deltoides) in Regi- Standortfaktoren nicht zur Etablierung Arten, die in den letzten 100 Jahren ein- on 4. Die besonderen Arten der Kategori- gelangen, wird der vergleichbare Vorgang gewandert sind, wäre ausreichend, um die en 0, 1, 2 und R in Roten Listen sollten bei einer Ansaat ausgeschlossen. Gefahr invasiver Ausbreitung von Arten davon aber ausgenommen werden, um In Landschaften mit prägender Inten- zu vermeiden. Die Fokussierung auf Neo- sie grundsätzlich nur in speziellen Arten- sivlandwirtschaft führt der Artenfilter zu phyten ist unter dem Aspekt einer poten- schutzprojekten zu fördern. der sinnentstellenden Maßgabe, früher ziellen Verdrängung heimischer Arten ffSeltenheit und geringe Verbreitung häufige Arten nicht mehr ansäen zu ohnehin zweifelhaft. Wie Sukopp (2008) (Arealflächenanteil): Dieses Kriterium dürfen, da sie zu große Areallücken auf- an zahlreichen Arten belegt, können durch schließt die meisten der ansaatrelevanten weisen. geeignete Umstände und genetische An- Arten im Artenfilter aus. Die Erfassungs Natürlich gibt es genügend seltene und passung auch heimische Arten zu Invaso- tiefe der floristischen Kartierungen ist sehr seltene Arten mit so geringer Aus- ren zuvor artenreicher Gesellschaften zwischen den Bundesländern sehr unter- breitungsenergie, dass sie nur noch durch werden. Zudem werden vom Bundesamt schiedlich. So führen mangelhafte Ver- künstliche Ausbringung verbreitet werden für Naturschutz alle bekannten invasiven breitungsdaten zum Ausschluss von Arten, könnten. Dieses ist aber nicht das Anliegen und potenziell invasiven Arten mit laufen- obwohl diese eine hinreichend geschlos- der Produzenten im VWW, deren Arbeit der Aktualisierung aufgeführt und be- sene Verbreitung aufweisen. Verbreitete vorrangig den häufigen Arten gilt. Bei sel- schrieben und können so für Ansaaten Arten, wie die Rundblättrige Glockenblu- tenen oder stärker gefährdeten Arten gel- sicher ausgeschlossen werden. me (Campanula rotundifolia), sind durch ten bei der Saatgutausbringung oder ffGefährdung: Rote-Liste-Arten (ausge- den Artenfilter eingeschränkt (nur in 11 Pflanzung uneingeschränkt die „Leitlinien nommen Vorwarnstufe) sind von der Ver- von 22 Regionen freigegeben), obwohl die zur Ausbringung heimischer Wildpflan- wendung ausgeschlossen, obwohl gerade Datenerfassung (heute) ein anderes Bild zen“ (Anonym 1981): 185
Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (6), 2015, 181-190, ISSN 0940-6808 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart – Ausbringung innerhalb des Verbrei- wiesen, obwohl die Ausbringung von nicht in der Mischung vorgesehen. Vorge- tungsgebietes, Zuchtformen gegen das BNatSchG (§ 40 sehen sind dagegen die Einträge mit der – Saat- oder Pflanzgut von einem nahege- Abs. 4) verstößt und Beispiele zeigen, dass Nummer der Region. legenen Standort, Zuchtformen heimische Formen verdrän- Die Arten der untersten Gruppe (E) – Übereinstimmung von Quell- und Ziel- gen können (Lumaret 1990, Seitz et al. können als ungeeignet für eine Feucht- standorteigenschaften, 2007). wiesenansaat eingestuft werden (da im – Dokumentation und wissenschaftliche Die neuen RSM-Regio mit Wildpflan- Regelwerk von einer ein- bis dreimaligen Begleitung der Ausbringung, zen sollen für ingenieurbiologische Zwe- Mahd ausgegangen wird, wird hier das – Abstimmung mit den zuständigen Lan- cke eingesetzt werden und sind geeignet, Ziel Feuchtwiese angenommen.). Es han- desämtern /-Stellen. den Einsatz von Zuchtformen zu redu delt sich überwiegend um trockener ste- zieren, indem sie die bisherigen RSM er- hende oder sehr konkurrenzschwache 3.3.3 Datenlücken setzen könnten. Dabei erhebt das Regel- Arten, wie Feldhainsime (Luzula campest Bei Abfragen im Datenfilter zeigen sich werk den Anspruch, für alle Regionen in ris), oder stark verdämmende Arten, wie zahlreiche Datenlücken, die auch den he- Deutschland Mischungen zu beschreiben, Ausläuferrotschwingel (Festuca rubra ssp. terogenen Datenquellen der einzelnen die als Mindeststandard für Begrünungen rubra). Bundesländer geschuldet sein können. in der freien Natur für fast alle Standorte Die Gruppe der beiden annuellen Arten Viele Arten werden für einzelne Regionen geeignet sind. Der VWW hält diese Mi- (D) beteiligt sich nur im ersten Jahr am nicht aufgeführt, obwohl sie dort nach- schungen bis auf wenige Ausnahmen für Gesellschaftsaufbau und ist für die Be- weislich vorkommen. In diesen Fällen ist nicht geeignet, einen Mindeststandard für trachtung nicht relevant. auch eine Beurteilung, ob die Art als regi- naturnahe Begrünungen zu erfüllen, da Die Gruppe C enthält 27 Arten, die im onales Saatgut geeignet ist, nicht möglich. sie vorwiegend aus ubiquitären, euryöken Artenfilter für alle 26 Regionen freigege- Zufällig aufgefundene Beispiele sind: Klei- Arten bestehen und die standörtlichen ben sind. Sie können damit nicht zur re- ner Odermennig (Agrimonia eupatoria) Möglichkeiten nicht ausschöpfen*. Den- gionalen Differenzierung zwischen den fehlt für Region 19, Wiesenfuchsschwanz noch werden die RSM-Regio immer häu- Mischungen beitragen, auch wenn die (Alopecurus pratensis) fehlt für Region 12 figer über den ihnen zugedachten Zweck Autoren der RSM-Regio durch Auslassun- und 14, Acker-Ochsenzunge (Anchusa hinaus in naturschutzfachlich anspruchs- gen künstliche Unterschiede zwischen den arvensis) fehlt in Region 16, Wiesenkerbel vollen Bereichen eingesetzt, obwohl hier Mischungen erzeugen; das gilt natürlich (Anthriscus sylvestris) fehlt in Region 10 regional abgestimmte, individuelle Mi- auch für die in dieser Gruppe auftretenden und 13, Gewöhnlicher Pastinak (Pastina schungen weitaus zielführender sind. Der Feuchtezeiger. Es handelt sich überwie- ca sativa) fehlt in Region 3, Bittersüßer Einsatz artenarmer Mischungen trägt gend um ubiquitäre Wirtschaftswiesen Nachtschatten (Solanum dulcamara) fehlt schließlich auch zu weiteren Lebensraum- arten (Molinio-Arrhenatheretea), einige vollständig. verlusten für die Fauna bei und verhindert Kennarten aus den Ordnungen der Glatt- die gesetzliche Funktion dieser Flächen haferwiesen (Arrhenatheretalia) und aus 3.4 Die RSM-Regio – oder erfüllt sie nur in geringem Maße (vgl. den Feuchtwiesen (Molinietalia). Praxisempfehlungen der FLL z.B. Schmidt 2014). Die Gruppe B besteht aus sieben fri- 3.4.1 Ziele schezeigenden Arten, die laut Artenfilter Für die Anwender regionalen Saatgutes 3.4.2 Differenzierung der Mischungen aber nicht in allen Regionen eingesetzt ist es i.d.R. schwierig, die richtige Mi- untereinander werden dürfen. Damit sind zwar regiona- schung für ihren Standort festzulegen. Einer der auffallendsten Aspekte des neu- le Differenzierungen möglich, die Arten Hier hilft eine Beratung mit den Saatgut- en Regelwerks ist der hohe Differenzie- sind aber für Feuchtwiesen untypisch, da anbietern, die auf die Erfahrung von oft rungsgrad der Mischungen. Mit 72 Mi- sie überwiegend der Ordnung der Glatt- hunderten bereits erfolgter Ansaaten zu- schungen für Deutschland wird scheinbar haferwiesen angehören. rückgreifen können. Neben individuellen eine große Vielfalt und damit eine Anpas- Erst die Gruppe A mit regelmäßig in Mischungen gibt es eine Reihe von auch sung an die Individualität der Landschaf- Feuchtwiesen anzutreffenden Arten, die regional angepassten Standardmischun- ten erreicht. Betrachtet man die Mischun- in einigen Regionen durch den Artenfilter gen bei den Anbietern. Manche Länder- gen aber im Detail, so sind nur wenige ausgeschlossen werden, erlaubt eine Dif- behörden geben Mischungen vor, z.B. für und kaum regional charakteristische Arten ferenzierung zwischen den Regionen. die Anlage von mehrjährigen Blühflächen an Differenzierungen beteiligt. Beispiel- Allerdings fallen von 14 Arten zwei mah- auf Äckern (HMUKLV 2015, SMUL 2015). haft werden alle 17 Mischungen für dunverträgliche Arten auf (ebenso wie in Ein besonders weitreichender Versuch, Feuchtstandorte in Tab. 1 nebeneinander- Gruppe B + C), die nicht in das Konzept standardisierte Mischungen am Markt gestellt und nach Artengruppen differen- einer Feuchtwiesenansaat passen. Von vorzuschlagen, sind die „RSM-Regio“, die ziert (von der FLL wurden nicht für alle den übrigen Arten weisen nur acht eine seit Frühjahr 2014 von der Forschungsge- 22 Regionen Feuchtstandortmischungen soziologische Zuordnung zu Ordnung sellschaft Landschaftsbau und Land- erstellt). Der Eintrag „x“ in den Gruppen oder Verbänden der Feuchtwiesen auf. schaftsentwicklung (FLL) herausgegeben A bis D steht für eine Freigabe einer Art Dagegen sind Scharfer Hahnenfuß (Ra werden (FLL 2014). in der jeweiligen Region im Artenfilter nunculus acris), Wiesenflockenblume Seit 1978 werden von der FLL (2015) (Prasse et al. 2010), sie ist aber von den (Centaurea jacea ssp. jacea) und Wiesen- die „RSM Rasen“ jährlich veröffentlicht. Autoren der RSM-Regio in dieser Region schaumkraut (Cardamine pratensis) nur Bis heute werden darin Zuchtgräsermi- Klassenkennarten der Wirtschaftswiesen schungen wie die RSM 7.1-4 für den Ein- * Der VWW hat anfänglich an den Beratungen der und zur Charakterisierung von Feuchtwie- FLL zur Erstellung des Regelwerks und der Mischun- satz in der freien Landschaft empfohlen sen wenig geeignet. gen teilgenommen und dies wegen mit seinen bzw. wird nicht auf deren Anwendungs- Statuten unvereinbaren Systemmängeln des FLL- Die acht typischen Feuchtwiesenarten ausschluss in der freien Landschaft hinge- Regelwerks wieder aufgegeben. genügen nicht, um 17 regional differen- 186
Markus Wieden, Wildpflanzensaatgut im Spannungsfeld des Naturschutzes, NuL 47 (6), 2015, 181-190 Tab. 1: Zusammenstellung der unveränderten RSM-Regio-Feuchtwiesen nach differenzierenden Gruppen. *1 = mahdunverträgliche Art; graue Unterlegung = typische Art feuchter Standorte; eingerahmter Eintrag, z.B. 3 = Art ist in der Region 3 entgegen der FLL-Darstellung im Artenfilter nicht zugelassen; x = vom Artenfilter in dieser Region freigegeben, aber nicht in der Mischung enthalten (ohne Gruppe D und E). Region Art 1 2 3 4 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 A feucht, regional differenziert (Molinietalia, Molinio-Arrhenatheretea und andere) Achillea ptarmica 1 2 3 6 7 9 10 x x 21 Betonica officinalis 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Bistorta officinalis 7 x X x x x Cardamine pratensis 1 2 3 4 x 6 7 9 10 x x Centaurea jacea ssp. jacea x 5 x 11 12 x Cirsium oleraceum 3 4 5 6 X x 11 12 14 16 17 20 21 Epilobium hirsutum*1 x x x x x x X x x x 12 x x X x x Lotus pedunculatus 1 2 3 4 6 7 9 10 12 19 20 21 Lythrum salicaria*1 1 x 3 4 5 6 9 x 11 12 14 16 17 19 20 21 Myosotis scorpioides x 2 x x x x Poa palustris 1 2 3 9 12 20 21 Ranunculus acris ssp. acris 1 2 3 4 5 6 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Sanguisorba officinalis 10 11 12 14 16 17 19 x 21 Succisa pratensis 9 10 x x x x X 19 21 B frisch, regional differenziert (Arrhenatheretalia und andere) Crepis biennis 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Cynosurus cristatus 1 2 3 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Geranium pratense 5 x x x Pimpinella major 3 x 6 x x x x x X x 20 21 Silene dioica 2 3 5 6 7 x 10 12 16 17 19 20 21 Silene latifolia ssp. alba*1 x x x x x x x x 14 x X x x x Trisetum flavescens 5 x x x 11 x 14 16 17 19 20 21 C frisch bis feucht, regional undifferenziert (Arrhenatheretalia, Molinietalia, Molinio-Arrhenatheretea und andere) Achillea millefolium ssp. mil. 1 2 3 4 5 6 7 x 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Agrostis capillaris 1 2 3 4 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Agrostis stolonifera x x x x x x x x x x x x x X x 20 x Alopecurus pratensis 1 x 3 4 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Angelica sylvestris ssp. sylv. x x x 4 x x x 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Anthoxanthum odoratum 1 2 3 4 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Anthriscus sylvestris ssp. sylv. x x 3 x x x x x x x x x x x x x x Arrhenatherum elatius x x 3 4 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Festuca pratensis 1 2 3 x 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Filipendula ulmaria 1 2 3 4 5 6 7 9 x 11 12 14 16 17 19 20 21 Galium album ssp. album 1 2 3 4 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Heracleum sphondylium ssp. shp. 1 2 3 4 x 6 x x x x x x x x x x x Lathyrus pratensis 1 2 3 4 5 6 7 9 10 11 12 x x x x 20 21 Lychnis flos-cuculi 1 2 3 4 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Lysimachia vulgaris 1 2 3 4 x x 7 9 10 x x 14 16 17 19 x x Phalaris arundinacea*1 x x x x x x x x 10 x x x x X x x x Phleum pratense 1 x 3 4 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Plantago lanceolata 1 2 3 4 5 6 7 9 x 11 x 14 16 17 19 20 x Poa pratensis 1 2 3 4 5 6 7 9 10 x 12 14 16 17 19 20 21 Poa trivialis 1 2 3 4 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 20 21 Prunella vulgaris 1 2 3 4 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 x 20 21 Rumex acetosa 1 2 3 4 5 6 7 9 10 11 12 14 16 17 19 x 21 Scorzoneroides autumnalis ssp. aut. 1 2 3 4 x 6 7 x x x x x x x x 20 21 Stellaria graminea 1 2 3 4 5 6 7 9 x x 12 14 16 17 19 x x Trifolium pratense ssp. prat. 1 2 3 x 5 6 x x x 11 12 14 16 17 x 20 21 Vicia cracca 1 2 3 4 x 6 7 9 10 x x 14 16 17 19 x x D Einjährige Centaurea cyanus 2 3 4 5 6 7 9 Papaver rhoeas 3 9 11 12 14 16 17 20 21 E Ungeeignete Bromus hordeaceus ssp. hord. 1 2 3 4 5 6 7 9 11 12 14 16 17 19 20 21 Carum carvi 5 12 16 17 19 20 Daucus carota 5 11 12 16 17 20 21 Festuca rubra ssp. rubra 1 2 3 4 6 9 10 11 Leontodon hispidus ssp. his. 14 16 17 Leucanthemum ircutianum 9 Lotus corniculatus 11 Luzula campestris 1 2 3 4 6 7 9 Pastinaca sativa ssp. sativa 5 11 12 14 16 19 Poa angustifolia 11 Scrophularia nodosa* 1 x x x x x x x x x x x x x x x x 21 Tragopogon pratensis 9 Veronica chamaedrys ssp. cham. 1 9 187
Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (6), 2015, 181-190, ISSN 0940-6808 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart zierte Feuchtwiesenmischungen aufzu- typs extreme Magerkeitszeiger und Nähr- kommenden Arten Wiesensalbei (Salvia bauen, obgleich weitere Arten auch bei stoffzeiger gemischt, z.B. in der Region 21 pratensis), Kleiner Wiesenknopf (Sangui Anwendung des Artenfilters zur Verfü- beim Feuchtstandort Teufelsabbiß (Suc sorba minor) und Knöllchensteinbrech gung stehen würden und auch im Handel cisa pratensis) mit Stickstoffzeigerwert 2 (Saxifraga granulata) werden in der erhältlich sind, z.B. Sumpfdotterblume (Ellenberg 1991) und Rote Lichtnelke Grundmischung aufgeführt. Vom Großen (Caltha palustris), Wolfstrapp (Lycopus (Silene dioica) mit 8, was nach der Aussaat Wiesenknopf (Sanguisorba officinalis) gibt europaeus), Sumpfstorchschnabel (Gera zusätzlich zu einem Verlust von Arten es im Schwarzwald (Region 10) zwei Öko- nium palustre) und Wiesensilge (Silaum führt, je nachdem, ob ein Standort nähr- typen, eine verbreitete, im Juni blühende silaus). stoffreich oder ‑arm ist. Zudem müsste die Form, und eine spätblühende in Tallagen Beispielhaft sind in Tab. 2 mit den Ar- Beschreibung „mager-sauer“ zu „trocken- und am Nord- bzw. Ostrand des Schwarz- ten der Gruppe A durch Sortierung und sauer“ präzisiert werden (und „mager- waldes. Diese müssten getrennt gehand- Entfernen einzelner Arteinträge sieben basisch“ zu „trocken-basisch“), da viele habt oder besser hier ausgeschlossen wer- Gruppen, bestehend aus einer bis fünf der Arten hohe Stickstoff-Zeigerwerte den. Regionen, gebildet worden. Jede Gruppe besitzen, z.B. in der Region 14 Wegwarte enthält nur eine Mischung für die zuge- (Cichorium intybus) miot 5, Gewöhnlicher 3.4.5 Fehlende Arten hörigen Regionen. Diese Gliederung spie- Pastinak (Pastinaca sativa) mit 5, Ge- Die Auswahl der Arten für die Mischungen gelt den vorhandenen Artenpool wider wöhnliches Wiesenrispengras (Poa pra zeigt erhebliche Lücken bei typischen Ar- und vermeidet eine Scheinvielfalt. Die tensis) mit 6, Weiße Lichtnelke (Silene ten. Wolliges Honiggras (Holcus lanatus) Darstellung der Tab. 2 ist nicht als realer latifolia) mit 7. und Gewöhnlicher Hornklee (Lotus corni Entwurf für alternative oder überarbeite- culatus) fehlen z.B. vollständig in den te Mischungen zu verstehen, sondern 3.4.4 Artenauswahl Mischungen für Region 9 und 10, sind hier dient zur Erläuterung. Die Auswahl der Arten in den Mischungen aber typisch für frische Wiesen vom sau- Die RSM-Regio-Feuchtwiesen sollen widerspricht häufig den genannten Stand- ren bis in den basischen Bereich. Weitere durch Zusatz von ein oder zwei Brache orttypen. Die folgenden Beispiele wurden fehlende Arten sind z.B. Wiesenkerbel arten in eine Hochstauden-Ufersaum „ver- überwiegend anhand der Regionen 5, 9 (Anthriscus sylvestris), Kleiner Klappertopf wandelt“ werden, in der Region 10 z.B. und 10 ermittelt: Der nässeliebende (Rhinanthus minor) und Ackerwitwen nur durch Zusatz von Wasserdost (Eupa Sumpfhornklee (Lotus pedunculatus) wird blume (Knautia arvensis). Durch Anwen- torium cannabinum). Diese Wahlmöglich- in der Grundmischung der Region 10 ein- dung des Artenfilters fallen weitere zent- keit unterstreicht die Scheinvielfalt der gesetzt, der Basenzeiger Wilder Majoran rale Arten, wie Wiesenflockenblume (Cen Mischungen: Entweder ist die Mischung (Origanum vulgare) in der Region 9 im taurea jacea ssp. jacea), Rundblättrige eine Wiesenmischung, eine Ufermischung sauren Bereich. Die Weiße Lichtnelke (Si Glockenblume (Campanula rotundifolia), oder eine Übergangsmischung; daran lene latifolia ssp. alba) ist eine Ruderalart Horstrotschwingel (Festuca nigrescens) ändert auch das Hinzufügen von Wasser- nährstoffreicher Standorte und ist für und Wiesenschaumkraut (Cardamine pra dost nichts. „trocken-mager“ z.B. in der Region 9 nicht tensis), vielfach aus. Auch besonders cha- geeignet. Die trocken stehende Wilde rakteristische, aber seltenere Arten, wie 3.4.3 Mischungskonzept Möhre (Daucus carota) ist z.B. in der Re- Knäuelglockenblume (Campanula glome Die Mischungen sind nur wenig nach den gion 16 im Feuchtstandort aufgeführt. Die rata) und Karthäusernelke (Dianthus car natürlichen Zusammensetzungen von Feuchtwiesenart Kuckuckslichtnelke thusianorum), sind mehrfach im Arten Pflanzengesellschaften orientiert und sind (Lychnis flos-cuculi) wird in der Region 5 filter geblockt. Der Artenfilter führt damit widersprüchlich zusammengesetzt. So in der Grundmischung gelistet. Auch die insgesamt zu einer gravierenden Ein- werden innerhalb des gleichen Standort- in Region 5 nur an Magerstandorten vor- schränkung für naturnahe Mischungen. Tab. 2: Vorschlag zur Gliederung der differenzierenden Feuchtwiesenarten der RSM-Regio in sieben fiktive Mischungen. Mit „o“ sind ausgelassene Einträge dargestellt. Art Region 1 2 3 6 5 4 7 21 20 10 19 9 14 11 16 12 17 Poa palustris 1 2 o o o 9 o Achillea ptarmica 1 2 o o 7 21 x 10 x 9 Myosotis scorpioides x 2 x x o o Lotus pedunculatus 1 2 3 6 o 7 21 20 10 19 9 o Epilobium hirsutum X x x x x x x o o o x x x x 12 x Lythrum salicaria 1 x 3 6 5 4 21 20 x 19 9 14 11 16 12 17 Ranunculus acris ssp. acris 1 2 3 6 5 4 21 20 10 19 14 11 16 12 17 Cardamine pratensis 3 6 x 4 7 o o 9 o Cirsium oleraceum 3 6 5 4 x o o x 14 11 16 12 17 Centaurea jacea ssp. jacea 5 x o o o o Bistorta officinalis 7 x x x x o Betonica officinalis 7 21 20 10 19 9 14 11 16 12 17 Sanguisorba officinalis 21 x 10 19 14 11 16 12 17 Succisa pratensis o o o 9 x x x x x 188
Markus Wieden, Wildpflanzensaatgut im Spannungsfeld des Naturschutzes, NuL 47 (6), 2015, 181-190 3.4.6 Einsatzbereich Fazit für die Praxis prüft werden: Liegt der Ausbringungsort Obwohl der Einsatz der neuen RSM-Regio der Art im natürlichen Verbreitungsge- z.B. auf erosionsgefährdeten Böschungen • Um Hybridisierung genetisch sehr unter- biet? Ist die Art klein- oder großräumig einer standortgerecht zusammengestell- schiedlicher Ökotypen zu vermeiden, differenziert? Unterliegt die Herkunftsflä- ten Mischung unterlegen sein muss, emp- sollten Saatguttransferzonen auf natur- che ähnlichen Standortbedingungen wie fiehlt das Regelwerk der FLL (S. 19) den räumlich-klimatisch ähnliche Gebiete die Zielfläche? Ist die Art bestimmungs- Einsatz der neuen Mischungen ausdrück- beschränkt bleiben (ca. 300 km Durch- kritisch oder genetisch zu variabel? Zu- lich „vor allem für Begrünungen mit vor- messer). künftig sollte im VWW oder bei einem wiegend ingenieurbiologischer Siche- • Die Anwendung des Artenfilters sollte anderen Träger eine kommentierte und rungsfunktion“. Husicka (2003) und Projekten vorbehalten bleiben, bei denen fortzuführende Datenbank erstellt wer- GMU (2004) zeigen dagegen für arten naturschutzfachliche Anliegen nicht im den, die aus genetischen und sonstigen reiche Extensivwiesen die höchste Ero- Vordergrund stehen. Auch bei Begrü- Vorbedingungen der Arten Hinweise für sionsfestigkeit anhand der Rheindämme nungsvorhaben ohne naturschutzfach die Aussaatpraxis enthält. in NRW und am Hochrhein. liche Begleitung erfüllt der Artenfilter (c) Aufgrund der Anwendung des Ar- Für „Ausgleichs- und Ersatzmaßnah eine Sicherungsfunktion. tenfilters unterliegen die RSM-Regio der men“ und naturschutzfachlich ähnlich • Zukünftig sollte zentral (z.B. im VWW) FLL den beschriebenen Einschränkungen eine kommentierte und fortzuführende anspruchsvolle Zwecke soll „naturraum und sollten nicht auf Flächen mit natur- Datenbank erstellt werden, die aus gene- treues Saatgut“ eingesetzt werden, das schutzfachlichem Anspruch ausgebracht tischen und sonstigen Vorbedingungen nur jeweils innerhalb einer der für werden. Auch ihr Einsatz zu ingenieur der Arten Hinweise für die Verwendung Deutschland benannten 502 (!) natur- in der Aussaatpraxis enthält. biologischen Zwecken bleibt kritisch zu räumlichen Haupteinheiten nach Meynen hinterfragen. Alternativ sind erprobte & Schmithüsen (1962) gewonnen und • Die RSM-Regio der FLL sollten nicht auf oder individuell zu erstellende Mischun- Flächen mit naturschutzfachlichem ausgebracht werden darf. Damit ist natur- Anspruch ausgebracht werden. gen der am Markt vertretenen Wildpflan- raumtreues Saatgut als Handelsware • Alternativ sind erprobte oder individuell zenanbieter zu verwenden. praktisch nicht existent. Niemand kann zu erstellende Mischungen der am (d) Die Vorgaben für Sammlung und wirtschaftlich Saatgut in so kleinen Räu- Markt vertretenen Wildpflanzenanbieter Nachbau müssen den genetischen Er- men produzieren und vorhalten, von ein- zu verwenden. kenntnissen angepasst sein, um Gendrift zelnen Vermehrungen für Großprojekte • Die Vorgaben für Sammlung und Nach- mit mangelnder Anpassung und Inzucht- und natürlich Mähgutübertragung und bau müssen den genetischen Erkennt- depressionen zu vermeiden. Wiesendrusch, die in der Praxis nur einen nissen angepasst sein, um mangelnde geringen Umfang haben, einmal abgese- Anpassung und Inzuchtdepressionen zu Literatur hen. Das FLL-Regelwerk eröffnet daher vermeiden. Anonym (1981): Ausbringung von Wildpflanzen auch für die RSM-Regio eine Möglichkeit – Leitlinien zur Ausbringung von Wildpflanzen. für einen deutlich weiteren Einsatzbereich Natur und Landschaft 56 (10), 367-369. (S. 19): „Wenn kein naturraumtreues züchterisch unveränderte Herkünfte des- Bosshard, A., Kuster, D. (2001): Bedeutung neu Saatgut verfügbar ist [...], kann in Abstim- selben Großraums nicht ableiten. Als er- angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken.-Agrarforschung – Umwelt 8 (7), mung mit den zuständigen Fachbehörden heblich sind dagegen die positiven Effek- 252-257. auf den nächstbenachbarten Naturraum te für die ökosystemare Vielfalt durch Conrad Appel (1989): 200 Jahre Conrad Appel – oder auf Regiosaatgut des entsprechen- naturnahe Begrünungen einzustufen. Die Samen und Pflanzen. Roetherdruck, Darmstadt. den Ursprungsgebietes ausgewichen wer- 22 Herkunfts- und Ausbringungsgebiete Deutscher Bundestag (2009): Gesetz zur Neu regelung des Rechts des Naturschutzes und der den.“ nach Prasse et al. (2010) werden zur Ver- Landschaftspflege. BGBl I (51), 06. August 2009. Damit können die RSM-Regio nicht nur meidung von Gebietsveränderungen von Durka, W. (2009): Herkunftskontrollen von Saat- für den begrenzten Bereich ingenieurbio- Ökotypen bei vorhandenem Saatgutange- und Pflanzgut aus lokalen Herkünften. Mach- logischer Maßnahmen, sondern für nahe- bot eingehalten. Hierzu entwickelt sich barkeitsstudie im Auftrag des Instituts für Um- zu alle Begrünungen in der freien Natur das Netz der Mitgliedsbetriebe im VWW weltplanung, Univ. Hannover, unveröff. Mskr. Ellenberg, H. (1991): Zeigerwerte der Gefäß- eingesetzt werden. ständig weiter, da jährlich neue produzie- pflanzen (ohne Rubus). In: Ellenberg, H., rende Betriebe an neuen Standorten hin- Weber, H.E., Düll, R., Wirth, V., Werner, W., 4 Empfehlung für die zukommen. Paulissen, D., Zeigerwerte von Pflanzen in Saatgutanwendung (b) Die Anwendung des Artenfilters Mitteleuropa, 3. Aufl., Scripta geobotanica 18, (a) Zur Vermeidung von Hybridisierung sollte Projekten vorbehalten bleiben, bei 9-166. Ernst, W.H.O. (1990): Mine vegetation in Europa. genetisch sehr unterschiedlicher Öko denen naturschutzfachliche Anliegen In: Shaw, A.J., ed., Heavy metal tolerance in typen sollten Saatguttransferzonen auf nicht im Vordergrund stehen. Auch bei plants: evolutionary aspects, CRC Press, Boca naturräumlich-klimatisch ähnliche Gebie- Begrünungsvorhaben ohne naturschutz- Raton, Florida, 21-37. te beschränkt bleiben. Nach Durka (2009) fachliche Begleitung erfüllt der Artenfilter Fischer, P., Stohr, G. (2000): Neufunde von Ar- sollte hierzu eine Obergrenze von ca. eine Sicherungsfunktion. Die restriktiven ten und Unterarten des Festuca-ovina-Aggrega- tes in Trockenrasen an der Mittleren Elbe und 300 km eingehalten werden. Diesen An- und zum Teil auch lückenhaften Vorgaben im angrenzenden Gebiet. Mitt. Florist. Kart. satz verfolgt der VWW mit den acht Pro- sind nicht ausreichend, um daraus stand- Sachsen-Anhalt 5, 167-174. duktionsräumen in Deutschland, deren ortangepasste Mischungen zu erstellen. FLL (Forschungsgesellschaft Landschaftsbau und Längenausdehnung in etwa dieser Dimen- Zudem ist der Artenfilter ohne Fortschrei- Landschaftsentwicklung, 2014): Empfehlungen sionierung entspricht. Aus den vorliegen- bung ein starres Instrument, das nicht auf für Begrünungen mit gebietseigenem Saatgut – Regiosaatgut-Mischungen, RSM Regio – Na- den Untersuchungen zur Genetik lässt sich neue Erkenntnisse reagieren kann. Alter- turraumtreues Saatgut: Übertrag von Mähgut, eine erhebliche negative Beeinflussung nativ sollte die Auswahl der Arten für eine Druschgut, Saatgut, Vegetationssoden, Ober- lokaler Ökotypen durch eingebrachte, Mischung nach folgenden Kriterien ge- boden. Broschüre, Bonn. 189
Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (6), 2015, 181-190, ISSN 0940-6808 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart – (2015): Regel-Saatgut-Mischungen Rasen – stellen/keimlingsetablierung-der-invasiven- schutzfachlicher Mindestanforderungen an ei- RSM Rasen 2015. Broschüre, Bonn. segge-carex-acuta.html (abgerufen am nen Herkunftsnachweis für gebietseigenes Frankham, R., Ballou, J.D., Eldridge, M.D.B., 03.05.2015). Wildpflanzensaatgut krautiger Pflanzen. Univ. Lacy, R.C, Ralls, K., Dudash, M.R., Fenster, Jump, A.S., Penuelas, J., Rico, L., Ramallo, E., Hannover, Abschlussbericht DBU-Projekt (Ak- C.B. (2011): Predicting the Probability of Out- Estiarte, M., Martinez-Izquierdo, J.A., tenzeichen: 23931). breeding Depression.-Conserv. Biol. 25 (3), Lloret, F. (2008): Simulated climate change Rat der EU (1992): Richtlinie 92/43/EWG des 465-475. provokes rapid genetic change in the Mediter- Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der na- Gregor, T. (2013). 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