Übersetzer für den Buddha

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Übersetzer für den Buddha
Ein Interview mit Bhikkhu Bodhi
In den letzten 25 Jahren hat sich der in Amerika geborene Mönch Bhikku Bodhi in den Pâli-Kanon vertieft
und ist heute ein anerkannter Interpret in Bezug auf Inhalt und Bedeutung desselben. Seine englischen
Übersetzungen des Majjhima Nikâya und des Samyutta Nikâya (Wisdom Publications 1999 und 2000)
sind bei westlichen Dharma-Studierenden sehr beliebt. Anlässlich der Publikation seiner neuen Anthologie,
IN THE BUDDHA’S WORDS (Wisdom, 2005), führte die Zeitschrift Inquiring Mind im Herbst 2005 mit dem
Ehrwürdigen Bhikkhu Bodhi per E-Mail folgendes Interview.

Inquiring Mind: Wie kam es, dass Sie sich für das           BB: In der Zeit direkt vor meiner Abreise nach
Übersetzen der Lehrreden interessiert haben?                Asien und meiner Ordination (1972), war unter
                                                            jungen Amerikanern das Interesse in den Budd-
Bhikkhu Bodhi: Als ich zuerst ordiniert wurde,              hismus tendenziell anti-intellektuell. Während
hatte ich nicht die Absicht, Übersetzer zu werden.          sich viele Westler, die nach Asien reisten, um die
Mein erster buddhistischer Lehrer, ein vietname-            Lehren des Theravâda zu suchen, in Waldklöstern
sischer Mönch, mit dem ich in den späten 60er               in Thailand und Meditationszentren in Burma
Jahren in Kalifornien lebte, überzeugte mich von            wiederfanden, leiteten meine karmischen Verbin-
der Bedeutung des Lernens der kanonischen                   dungen mich nach Sri Lanka und zu Lehrern, die
Sprachen des Buddhismus, beginnend mit Pâli,                auf die Schriften spezialisiert und bereit waren,
um so einen Zugang zum Verständnis des                      einem wissbegierigen westlichen Studenten anzu-
Dhamma zu bekommen. Als ich 1972 nach Sri                   leiten.
Lanka kam, um mich als Mönch ordinieren zu
lassen, war ich begierig darauf, Pâli zu lernen und         Als ich begann, die Lehrreden des Pâli zu lesen,
direkten Zugang zu den Originalsammlungen der               war ich von der Klarheit, ihrer intellektuellen
buddhistischen Lehrreden zu erhalten. Ich habe              Tiefe, ihrer zarten Schönheit und der subtilen
ganz bewusst den Ehrw. Balangoda Ananda                     emotionalen Glut fasziniert, die durch ihre ruhige
Maitreya zu meinem Lehrer gewählt, weil er zu               Oberfläche schimmert. Anfangs begann ich, Lehr-
dieser Zeit einer der geachtetsten Mönchsgelehr-            reden und Passagen aus den Kommentaren zu
ten in Sri Lanka war. Er war sicherlich der füh-            übersetzen, nicht, um sie zu veröffentlichen, son-
rende singhalesische Mönchsgelehrte, der flie-              dern um sie mir selbst verständlich zu machen.
ßend Englisch sprach und er war auch eine sehr              Im Laufe der Zeit fiel mir auf, das der westliche
sanfte und liebenswerte Person.                             Buddhismus sich durch ein charakteristisches
                                                            Defizit auszeichnet: Ein Mangel an Wissen über
1974 verbrachte ich einige Zeit mit dem deut-               die Lehren des Buddha. Ich hielt es daher für
schen Mönch Nyanaponika Mahâthera, dem Prä-                 überaus wichtig, dass die Lehrreden in einer kla-
sidenten und Herausgeber der Buddhist Publica-              ren, zeitgenössischen Sprache übersetzt werden,
tion Society in Kandy. Um mein Wissen über das              wobei sie von Kommentaren begleitet werden,
Pâli der Kommentare zu vertiefen, benutzte ich in           die ihre tieferen Bedeutungen und ihre praktische
der Zeit das Notizbuch mit seinen Übersetzungen             Relevanz herausstellen. Bis zum heutigen Tag war
aus den 50er Jahren. Ende 1975 zog ich nach                 dies meine Lebensaufgabe.
Kandy um, um dort beim Ehrw. Nyanaponika zu
leben. Er hatte einige meiner persönlichen Über-            IM: Welche Rolle spielt das Gelehrtendasein und
setzungen gesehen und schlug mir daraufhin vor,             das Studium der Lehrreden in Ihrer eigenen Pra-
das Brahmajâla-Sutta (die erste Lehrrede des                xis und spirituellen Entwicklung?
Dîgha-Nikâya), einschließlich seiner Kommentare
und Subkommentare, zu übersetzen. Die daraus                BB: Viele moderne Buddhisten im Westen ver-
entstandene Arbeit, The All-Embracing Net of                stehen das Wort Praxis fast als Synonym für Me-
Views (1978) läutete meine „Karriere“ als Über-             ditation und treiben so einen scharfen Keil zwi-
setzer ein.                                                 schen Studium und Praxis. Sie nehmen an, dass
                                                            wenn ein Mönch sich dem Studium widmet, er
IM: Welche Beobachtungen haben Sie hinsicht-                kein ernsthafter Praktizierender sein kann, als
lich der Rolle, die die Lehrreden für westliche             wäre das Studium mit der richtigen Praxis unver-
Dhamma-Studenten spielt, gemacht? Was hat Sie               einbar. Ich muss zugeben, dass meine eigene Me-
motiviert, englischsprachige Übersetzungen als              ditationspraxis mich wirklich nicht zufrieden
Hilfe für Westler anzufertigen?                             stellt; dies muss ich aber eher einer chronischen

                                                      ~1~
Krankheit (ein karmisches Hindernis, mit dem ich            Buddha vermittelten endgültigen Ziels verwendet
leider leben muss) zuschreiben, und nicht meiner            wird. Mir scheint, dass es so im westlichen Budd-
bewussten Entscheidung für das Studium und das              hismus geschehen ist, und es erklärt, warum sich
Übersetzen buddhistischer Schriften.                        die Tradition in Richtung auf einen Kompromiss
                                                            zwischen moderner Psychologie und weltlichem
Wir sollten uns daran erinnern, dass im buddhis-            Humanismus hin verändert hat.
tischen Asien über Jahrhunderte hinweg in nahe-
zu allen Traditionen die Bewahrung und Überlie-             Beim Studium des Dhamma geht es jedoch nicht
ferung der buddhistischen Lehren die Hauptauf-              darum, einen Haufen kulturellen Ballast aus dem
gabe des Mönchsordens gewesen war. Sie wurde                alten Indien aufzugreifen und diesen in unserem
primär durch intensives Studium, Erforschung                Hinterhof abzuladen. Das Studium muss von
und Verbreitung von buddhistischen Schriften                gründlichem Unterscheidungsvermögen und kriti-
und der Philosophie realisiert. Dies hat den                schem Denken begleitet sein. Auf diese Art kann
Grundstein geformt, auf dem alle höheren Leis-              das Dhamma-Studium genau der Weg sein, wie
tungen der buddhistischen Praxis ruhten und                 wir die Grundzüge der buddhistischen Lehre
glich der Funktion eines Skelettes, das die Mus-            lernen und verinnerlichen können. So können
keln und Organe des Buddhismus gestützt hat.                wir ein gesundes Verständnis der zu Grunde lie-
Obwohl alle Traditionen in ihren Schriften von              genden Prinzipien der Lehren bekommen, ja
Meditierenden berichten, die, obwohl ungebildet,            mehr noch: so können wir die Samen der Weis-
tiefe Verwirklichungen erreicht haben, sind die             heit in unserem Geist pflegen.
bekanntesten Repräsentanten aller Traditionen
immer die gewesen, welche einen hohen Entwick-              Wenn wir den buddhistischen Pfad betreten,
lungsstand im Studium und meditative Verwirkli-             besteht unsere erste Aufgabe darin, Rechte An-
chungen vereinigen konnten. Es ist zu vermuten,             sicht zu entwickeln. Dies ist der erste Faktor des
dass es sich bei den Geschichten über ungebildete           Achtfachen Pfades, der Richtschnur unserer spiri-
Heilige um fromme Übertreibungen handelt.                   tuellen Reise. Die Rechte Ansicht erwirbt man
                                                            durch „Hören“, dies schließt das Lesen buddhisti-
Ich denke, die Verbindung von Studium und                   scher Texte und das Dhamma-Studium unter
Praxis ist ein komplexes Thema, zu dem es nicht             qualifizierten Lehrern mit ein, aber auch die „Re-
für alle die gleiche passende Antwort gibt. Man-            flexion“ d. h. vernünftige Kontemplation der
che Leute werden ganz natürlich von dem einen               Lehren sowohl im hermeneutischen Sinne als
oder anderen der beiden Pole angezogen. Was                 auch in Bezug zu unserem eigenen Leben. Erst
man aber eindeutig sagen kann, ist, dass das im             wenn unsere Sicht klar und deutlich ist, hat unser
Studium erlangte Wissen ohne eine praktische                Vertrauen in den Buddha eine stabile Grundlage.
Anwendung unfruchtbar ist; und dass eine inten-             Auf der Basis der Rechten Ansicht und eines ge-
sive Meditationspraxis ohne klares begriffliches            sunden Vertrauens kann unsere Meditationspra-
Verständnis der Lehre keinen bleibenden Effekt              xis erfolgreich in Richtung des beabsichtigten
hat. Ich befürchte, dass eine Tradition mit einsei-         Zieles voranschreiten.
tigem Schwerpunkt auf Meditation, ohne ein
grundlegendes Verständnis der Texte, leicht in              Echte Weisheit kann nur entstehen, wenn wir
ein paar Generationen verwässert und von der sie            untersuchen, was heilsam und unheilsam ist: was
umgebenen Kultur geschluckt wird. Das gilt be-              zu unserem wahren Wohlsein und Glück führt
sonders für Kulturen, die theistisch oder materia-          und das Wohlbefinden der anderen Wesen för-
listisch ausgerichtet sind.                                 dert, was uns und andere verletzt und Leid zu-
                                                            fügt. All das entwickelt man durch das sorgfältige
                                                            Studium der Schriften, und dies ist nur ein klei-
IM: Bitte erläutern Sie die Bedeutung des Lehr-             ner Teil von dem, was man in den Texten findet.
redenstudiums innerhalb der Praxis von moder-               Was wir lernen, müssen wir untersuchen, reflek-
nen westlichen Nicht-Ordinierten.                           tieren, durch Kontemplation in uns aufnehmen
                                                            und dann mittels direkter Einsicht durchdringen.
BB: Um die Bedeutung des Lehrredenstudiums zu
erklären, müssen wir uns erst einmal die Frage              IM: Welche Möglichkeiten gibt es, das Lesen
stellen, was Praxis eigentlich bedeutet. Um was             und/oder Studieren der Lehrreden in die eigene
geht es in der Praxis? Wenn wir diesen Fragen               Praxis zu integrieren?
nicht wirklich nachgehen, geraten wir in Gefahr,
instinktiv unsere eigenen unreflektierten Vorstel-          BB: Man sollte zuerst wissen, wo man beginnen
lungen über den Sinn der Praxis in die Praxis mit           soll. Jemanden, der sich das erste Mal mit den
hinein zutragen. So kann es passieren, dass sich            Lehrreden beschäftigen will, empfehle ich das
unsere Praxis leicht unseren eigenen persönlichen           kleine Juwel Das Wort des Buddha des Ehrw.
Belangen und kulturellen Neigungen unterordnet              Nyanatiloka, eine Anthologie (veröffentlicht
und nicht als Mittel zum Erreichen des vom                  durch die BPS, oder unter www.pariyatti.com [in

                                                      ~2~
Deutschland bei Christiani]). Eine alternative              vergleicht dies mit dem Ergreifen des Schwanzes
Auswahl von Texten [in Englisch] findet man auf             einer Wasserschlange: die Schlange wird sich
der Website von Access to Insight. Des Weiteren             herumwinden und ihren Angreifer in den Arm
empfehle ich auf derselben Website den Essay                beißen und ihn so töten oder schlimme Schmer-
Befriending the Suttas von John Bullitt [in                 zen verursachen. Ich habe zahlreiche Westler
Deutsch z. B. bei www.ftbb.de]. Als nächsten                gesehen (mich nicht ausgenommen), die in diese
Schritt – vielleicht auch für Anfänger geeignet –           Falle getappt sind. Obwohl man mit den besten
empfehle ich (aller „Bescheidenheit“ zum Trotz)             Absichten beginnt, haftet man an der Lehre mit
meine eigene Anthologie IN THE BUDDHA’S                     einem dogmatischen Geist und nutzt sein Wissen,
WORDS (Wisdom, 2005).                                       um sich mit anderen zu streiten. Letztlich findet
Wenn sich jemand schon an eine ganze Samm-                  man sich dann in der „Schlacht der Interpretatio-
lung heranwagen will, empfehle ich die Mittlere             nen“ wieder. Eine weitere Falle besteht darin,
Sammlung [in Deutsch von K. Zumwinkel, Jhâna-               seinen gesunden Menschenverstand über Bord zu
Verlag, 2001]. Die Website unseres Klosters                 werfen und alles, was in den Lehrreden steht, für
(www.bodhimonastery.net/mntalks_audio.html) bietet          bare Münze zu nehmen. Alles in allem gibt es
seit drei Jahren meine Vorträge über die Mittlere           vieles in den Lehrreden, das dem Wissen der
Sammlung als Audiodatei an. Dies kann ernsthaft             modernen Wissenschaften nicht standhalten
Studierenden helfen, ein detailliertes Verständnis          kann. Wie können wir christliche Kreationisten
dieser Texte zu erwerben.                                   kritisieren, wenn wir zur einer buddhistischen
                                                            Variante davon werden?
Dann ist wichtig, wie man studiert: Ich schlage
vor, eine Lehrrede erst einmal durchzulesen, um             IM: Nennen Sie einige Ihrer Lieblingspassagen
sich mit ihr vertraut zu machen. Dann lesen Sie             aus den Lehrreden.
sie ein zweites Mal und machen sich Notizen. Ist
man mit der Zeit mit mehreren Texten vertraut,              BB: Das erste Mal las ich buddhistische Texte, als
kann man eine Liste von Themen erstellen, die               ich noch die Oberschule besuchte, und war ver-
häufig betont bzw. wiederholt werden, um diese              ständlicherweise von der Lehre der Bedingten
dann bei zukünftigen Studien als Rubriken zu                Entstehung beeindruckt, aber auch von den Fünf
verwenden. Schreitet man nun voran, dann kann               Anhaftungsgruppen, der Anattâ-Lehre usw., die
man Notizen über diese Texte machen und diese               uns direkt zum Kern des Dhamma führen. Aber
den jeweiligen Themen zuordnen, wenn nötig,                 eine der Lehrreden, die mich am meisten beein-
fügt man neue Themen hinzu – immer mit ihren                druckt haben, ist nicht in den tiefen Texten über
Bezügen zu den Texten. Nach einer gewissen Zeit             Meditation und Verwirklichung zu finden. Als ich
(nach einem oder mehreren Jahren) wird man                  die Lehrreden über die Bedingte Entstehung und
zunehmend eine ganzheitliche Sicht auf den                  über das Nicht-Selbst las, dachte ich: der Buddha
Dhamma entwickeln und man kann sehen, dass                  ist bestimmt ein Erwachter, aber vielleicht nicht
sich praktisch alle Lehren, wie bei einem Puzzle,           ganz so vollkommen. Als ich aber dann das erste
zu einem zusammenhängenden Ganzen fügen.                    Mal das Sigâlaka Sutta (D:31) las, waren meine
                                                            Bedenken wie weggeblasen. Besonders im Ab-
Ich möchte auch betonen, dass die Lehrreden aus             schnitt „Verehrung der sechs Richtungen“ (IN
der frühesten Periode buddhistischer Literaturge-           THE BUDDHA’S WORDS, S. 116-118), sah ich, wie
schichte stammen und so das Erbe der gesamten               jemand, der die tiefsten Wahrheiten erkannt und
buddhistischen Tradition bilden. Das Studium                begriffen hat, auch Eltern ganz detailliert lehren
dieser Lehrreden sollte nicht nur den Nachfol-              kann, wie sie ihre Kinder großziehen, einem E-
gern der Theravâda-Tradition oder dem Theravâ-              hemann und seiner Frau, wie sie sich gegenseitig
da-basierten Vipassanâ vorbehalten sein, sondern            lieben und respektieren und einem Unternehmer,
Aufgabe – ja Verantwortung – der Anhänger aller             wie er für seine Angestellten Sorge tragen kann.
buddhistischen Traditionen sein, wenn sie die               Da wurde mir klar, dass dieser Lehrer tatsächlich
Wurzeln des Buddhismus verstehen wollen.                    ein vollkommen Erwachter ist. Diese Lehrrede
                                                            zeigte mir, dass der Buddha nicht nur die „höhere
IM: Nennen Sie einige Hauptschwierigkeiten                  Weisheit“ besitzt, die bis zur höchsten Wahrheit
oder potentielle Gefahren beim Umgang mit den               reicht. Nein, er besitzt auch die von Mitgefühl
Schriften.                                                  getragene „einfache Weisheit“, die wieder ins
                                                            Weltliche zurückkehrt und die im Licht voll-
BB: Eine potentielle Gefahr beim Gebrauch der               kommener Verwirklichung andere auf die
Schriften wurde schon vom Buddha selbst im                  zweckmäßigste Weise lehrt und anleitet.
Gleichnis mit der Schlange (M:22) herausgestellt.
Er spricht von denen, die die Lehrreden lernen,             Eines der Merkmale aus den Lehrreden, die mich
aber statt sie anzuwenden, zu praktizieren, nutzen          am meisten beeindruckt haben und dies auch
sie ihr Wissen, um andere zu kritisieren oder es in         heute noch tun, sind die Gleichnisse. Es scheint,
Debatten unter Beweis zu stellen. Der Buddha                dass der Buddha fähig war, jegliches natürliches

                                                      ~3~
Phänomen oder Objekt aus dem alltäglichen Le-               gedient, bewahrt aber nicht die Verbindung zu
ben zu nehmen und es für ein Gleichnis zu ver-              „erinnern“ – diese Verbindung ist manchmal
wenden, das einen wichtigen Punkt seiner Lehre              nötig, um die entsprechenden Passagen zu verste-
vermittelt. Die Sonne, der Mond und die Sterne;             hen.
Blumen und Bäume, Flüsse, Seen und Ozeane;
der Wechsel der Jahreszeiten; Löwen, Affen,                 Satipaúúhâna wird oft als „Grundlagen der Acht-
Elefanten und Pferde; Könige, Minister und Sol-             samkeit“ übersetzt, was sehr elegant klingt. Ist
daten; Handwerker, Chirurgen und Diebe – die                man aber mit der Pâli-Sprache vertraut, muss
Liste der Dinge, die in seinen Gleichnissen verar-          man vermuten, dass deren Komponenten nicht
beitet werden, ist nahezu endlos. Manchmal liest            sati + paúúhâna (hier: „Grundlagen der Achtsam-
man eine Serie von Lehrreden, die einem staub-              keit“) sind, sondern sati + upaúúhâna: „Errich-
trocken erscheinen, und plötzlich trifft man auf            tung der Achtsamkeit“ (der Buchstabe u fällt
ein Gleichnis, das so frisch und lebendig daher-            durch die Vereinigung zweier Vokale weg). Wenn
kommt, dass ein Eindruck davon auch nach Jahr-              man die Originaltexte kennt, trifft man auf einige
zehnten noch im Gedächtnis bleibt.                          Sätze, die das Wort sati in Verbindung mit u-
                                                            paúúhâna enthalten, wie z. B. upaúhitassati (je-
IM: Welchen speziellen Herausforderungen müs-               mand mit errichteter Achtsamkeit), aber nicht mit
sen Sie sich als Übersetzer stellen?                        Sätzen, die mit Formen wie paúúhâna in Bezie-
                                                            hung stehen. Dies spricht eindeutig für „Errich-
BB: Ich habe herausgefunden, dass jede Sprache              tung der Achtsamkeit“ statt für „Grundlagen der
ein zu Grunde liegendes begriffliches Schema                Achtsamkeit“. Wie elegant das Letztere auch
besitzt. Dieses Schema wird aus den Metaphern,              immer klingen mag, so liegt der Akzent doch auf
die das Vokabular beeinflussen, und durch Kon-              den inneren Prozess des Errichtens der Achtsam-
notationen und Nuancen seiner Wörter gebildet.              keit und nicht auf dem Objekt, auf das die Acht-
Will man nun von einer Sprache in eine andere               samkeit gerichtet wird.
übersetzen, ist man immer dem Problem der Dis-
sonanz ausgesetzt, die zwischen den beiden zu               IM: Die traditionellen Lehren des Theravâda
Grunde liegenden begrifflichen Schemata besteht.            haben durch westliche Lehrer einen Anpassungs-
Dies führt oft zu Konflikten, die nur dadurch               prozess erfahren. Welche Anpassungen halten Sie
gelöst werden können, dass man wichtige begriff-            für nützlich und welche nicht?
liche Verbindungen in der Originalsprache zu
Gunsten der Eleganz und Verständlichkeit in der             BB: Ich sträube mich, über andere Lehrer zu
Zielsprache opfert. Dieses Problem wird umso                urteilen, aber ich möchte nur einen Punkt heraus-
akuter, wenn man aus einer alten Sprache, die               stellen, der in die zeitgenössischen Lehren der
einen Fundus von verhältnismäßig archaischen                Vipassanâ-Meditation Einzug gehalten hat und
Metaphern benutzt, in eine moderne Sprache                  der leicht übersehen werden kann. Ich habe den
übersetzt, die auch noch einer völlig anderen               Eindruck gewonnen, dass der Zweck, warum die
Kultur angehört.                                            Achtsamkeits-Meditation, gelehrt wird, im Wes-
                                                            ten, eine große Veränderung erfahren hat. Viel-
Wir können das Problem schon an den einfachs-               leicht liegt es daran, weil viele westliche Lehrer
ten Pâli-Wörtern beobachten. Das Wort samâdhi               außerhalb des Rahmens des klassischen buddhis-
z. B., kann mit „Konzentration, Gefasst-Sein,               tischen Lehrgebäudes lehren. Achtsamkeits-
geistige Sammlung, geistige Einigung“ usw. über-            Meditation so scheint es, wird heute hauptsäch-
setzt werden. Aber keiner dieser Begriffe gibt die          lich als Mittel gelehrt, unsere Erfahrung des ge-
Vorstellung wieder, dass samâdhi ein spezielles             genwärtigen Augenblicks zu vertiefen. Das Ziel
meditatives Stadium oder eine Reihe von medita-             dieser Praxis ist, uns zu befähigen, alles, was uns
tiven Stadien ist. Dies trifft sowohl für das budd-         widerfährt, vorbehaltlos zu akzeptieren. Durch
histische, als auch für das gesamte indische Sys-           die erhöhte Achtsamkeit auf den gegenwärtigen
tem spiritueller Kultivierung zu. Auch das Wort             Moment lernen wir, alles als im Wesentlichen gut
sati, dass mit „Achtsamkeit“ wiedergegeben wird,            zu akzeptieren, alles als lehrreich zu betrachten
ist nicht unproblematisch. Das Wort stammt von              und als inhärent lohnend zu erfahren. Wir kön-
einem Verb, sarati, was „erinnern“ bedeutet, ab.            nen so im gegenwärtigen Augenblick verweilen,
Gelegentlich wird im Pâli sati immer noch im                begeistert akzeptierend, was auch immer kommt,
Zusammenhang mit der Vorstellung des Erin-                  offen für den immer frischen, immer unvorher-
nerns erklärt. Wird es aber im Kontext der Medi-            sagbaren Fluss der Ereignisse.
tationspraxis verwendet, so existiert kein Wort in
Englisch, was präzise ausdrückt, auf was sich sati          Diese Art zu lehren vermittelt uns auf einer be-
bezieht. Ein früher Übersetzer schuf auf geschick-          stimmten Ebene wertvolle Lektionen. Sicherlich
te Weise das Wort mindfulness, das aber nicht               ist es viel besser, alles zu akzeptieren, was
einmal in (m)einem Wörterbuch steht. Dies hat               kommt, als begierig Vergnügungen nachzujagen
der Übersetzung auf bewundernswerte Weise                   und ängstlich vor dem Schmerz davonzurennen.

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Es ist viel weiser, zu begreifen, dass man aus              Natürlich hat jeder Lehrer selbst zu entscheiden,
Schmerz, Verlust und Vergänglichkeit etwas Posi-            wann es angemessen ist, diese radikalen Lehren in
tives lernen kann, als dass man sich ständig über           vollem Umfang zu präsentieren. Selbst der Budd-
sein schreckliches Schicksal beklagt. Dies aber als         ha lehrte die Vier Edlen Wahrheiten nur dann in
den Hauptpunkt der buddhistischen Lehre zu                  vollem Umfang, wenn er sich sicher war, dass
präsentieren, ist meiner Ansicht nach eine Fehlin-          sich unter seinem Publikum Menschen befanden,
terpretation des Dhamma. Der buddhistischen                 die sie verstehen konnten. Damit jedoch der
Lehre, wie sie in den Lehrreden steht, liegt eine           Dhamma seine Wirkung voll entfalten kann,
völlig andere Logik zu Grunde. Die Lehre wurde              bedarf es wenigstens der Anerkennung der Aussa-
nicht dazu geschaffen, die Welt zu akzeptieren,             gen, die diese Lehren uns vorlegen, auch wenn
sondern um aus ihr herauszuführen, hinter die               wir uns dafür entscheiden, dass wir erst die
Schranken der bedingten Erfahrungen, zu dem,                Grundvoraussetzungen für den befreienden Weg
was die Welt transzendiert, zum Alterslosen und             schaffen und deswegen zeitweilige Vereinfachun-
Todlosen, was auch die Beendigung des Leidens               gen vornehmen müssen.
bedeutet. Das simple Aufrechterhalten der Be-
wusstheit von der Gegenwart, um einen Zustand               IM: Es fällt auf, dass der Buddha in den Lehrre-
der distanzierten Akzeptanz derselben zu errei-             den niemals seinen eigenen Bodhisattva-Weg, der
chen, kann ganz leicht zu einer Versöhnung mit              zur Buddhaschaft führt, empfiehlt. Stattdessen
saásâra durch die Hintertür führen, zu einer                spricht er immer nur vom Ziel der Arahatschaft.
Bestätigung von saásâra – nicht die Befreiung               Warum, glauben Sie, ist das so?
daraus.                                                     BB: Über diese Frage habe ich schon viel nachge-
In der klassischen Lehre bedeutet das achtsame              dacht, habe aber noch keine endgültige Antwort
Beobachten des Gegenwärtigen, dass wir uns auf              gefunden. In den Lehrreden kann man einige
das Entstehen und Vergehen der Phänomene                    Ansätze finden, die auf eine noch unentwickelte
konzentrieren, um Einsicht in ihre unbeständige             Theorie einer Bodhisattva-Karriere während der
Natur zu gewinnen. Dies darf aber nicht zum                 Lebenszeit des Buddha deuten. Es ist schwer zu
Bestätigen der Vergänglichkeit führen; so werden            glauben, dass es während der Lebenszeit des
wir nicht das Ende des Leidens erreichen. Die               Buddha keine Menschen gab, die von seinem
Einsicht in die Unbeständigkeit, anicca, ist viel-          Vorbild des mitfühlenden Befreiers inspiriert
mehr Voraussetzung für die Einsichten in dukkha,            wurden und, anstatt direkt die Arahatschaft anzu-
die unbefriedigende Natur aller bedingten Phä-              steuern, das größere Ziel des Erwachens zur
nomene, und anattâ, die substanzlose Natur aller            Buddhaschaft in zukünftiger Zeit anstrebten. Es
Phänomene. Die Einsicht in diese drei Charakte-             ist auch schwer zu glauben, dass sie sich nicht
ristika führt zur innerlichen Abwendung von                 dem Buddha genähert und ihn gefragt hatten, wie
allem Bedingten. Aus dieser inneren Abwendung               man einen solchen Weg gehen kann, und ihm
entsteht Leidenschaftslosigkeit, die zur Befreiung          daraufhin eine entsprechende Antwort versagt
– der Verwirklichung von nibbâna hier und jetzt             geblieben wäre.
– führt.
                                                            Aber wenn das der Fall ist, muss man sich fragen,
Der Kern der buddhistischen Lehre besteht nicht             warum man in den Lehrreden keine Lehren fin-
einfach aus der These, dass das Loslassen der               det, die den Pfad zur Buddhaschaft thematisieren.
Anhaftung an Dingen uns dazu befähigt, frei von             Warum tauchen sie erst in späteren Texten, wie
Angst und Kummer zu leben. Diese Aussage be-                den Jatakas, Avadanas und in den frühen Mahây-
zieht sich nur auf die Beziehung zwischen den               ana-Sutren auf?
ersten beiden Edlen Wahrheiten, führt uns aber
nicht tief genug. Eine tiefere Analyse der Vier             Ich kann keine endgültige Antwort auf diese
Edlen Wahrheiten muss die Fünf Anhaftungsgrup-              schwierige und quälende Frage geben, biete aber
pen einbeziehen, die der eigentliche Grund für              zwei konkurrierende Hypothesen an, von deren
unser Leiden sind. Sie muss uns zu der Wahrheit             keine wirklich befriedigend ist. (1) In der frühes-
führen, dass das Leiden aus dem Verlangen nach              ten Periode wurde der Buddha lediglich als der
sinnlicher Erfahrung und bedingter Existenz ent-            erste Arahat betrachtet, der die anderen Arahats
steht. Und letztlich führt sie uns zu der Wahrheit,         nur durch sein pädagogisches Geschick und per-
dass das Leiden, an den Kreislauf von Geburt und            sönliches Charisma übertraf. Einwand: Diese
Tod gefesselt zu sein, nur mit der Auslöschung              Hypothese impliziert, das alles, was wir in den
des Verlangens endet. Wenn das nicht vollbracht             Lehrreden über die überragenden Eigenschaften
ist, wird auch die Lehre von den Vier Edlen                 des Buddha finden, nachträgliche Einfügungen
Wahrheiten, das Herz des Dhamma, nicht kom-                 sind, was die Glaubwürdigkeit der Texte unter-
plett sein.                                                 graben würde. (2) Auf den frühen Zusammen-
                                                            künften der buddhistischen Mönche wurde nur
                                                            das Ideal des Arahats verfolgt und Texte, die für

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die Belange der Mönche irrelevant erschienen,               hunderten, das vielleicht bis zu den ersten Schü-
wurden absichtlich ausgeschlossen, einschließlich           lern des historischen Buddha reichen würde.
derer, die vom Bodhisattva-Weg handeln. Ein-                Sogar in den Kommentaren, die erhalten geblie-
wand: Die vorhandenen Text-Sammlungen ent-                  ben sind, zeigen sich älteste Schichten, welche
halten Ratschläge des Buddha an Hausleute,                  anscheinend der Teilung des ursprünglich verein-
Hausfrauen und Könige, die von der Erfüllung                ten Sangha in verschiedene buddhistische Schulen
ihrer entsprechenden Pflichten handeln. Dem-                vorausgehen, denn sie enthalten Material, das bis
nach müssten auch Texte vorhanden sein, welche              in die exegetischen Traditionen verschiedener
die Ratschläge des Buddha an Bodhisattvas ent-              Schulen gelangt ist. Das spätere Material stammt
halten.                                                     von Lehrern der Theravâda-Linie, die aus einer
                                                            der frühbuddhistischen Schulen hervorgegangen
Keine dieser Hypothesen funktioniert also. Die              ist, und reflektiert so deren eigene Interpretati-
einfachste Antwort, zu der ich gelangen konnte,             onsmethode. Außerdem tendierten die Schulen
obwohl sie nicht völlig befriedigend ist, war, dass         dazu, ihre Interpretationen untereinander auszu-
der Buddha durch seinen Charakter und durch                 tauschen. Wir müssen den konservativen The-
sein Verhalten für Bodhisattva-Aspiranten als               ravâdins zu Gute schreiben, dass sie, im Gegen-
Vorbild diente. Da aber seine Lehre letztlich das           satz zu anderen Schulen, neues Material rigoros
Ziel von der Befreiung propagiert, konnte er                aus den kanonischen Werken, die direkt dem
nicht damit konkurrierende Vorstellungen vom                Buddha zugeschrieben wurden, herausgelassen
letzten Ziel vermitteln. Daher mussten seine Leh-           haben.
ren letztlich die Person des Arahats hervorheben,
welcher das letzte Ziel erreicht hat, und den Weg           Um zu verstehen, wie sich die Kommentare auf
beschreiben, der zu diesem Ziel führt. Auf jeden            die Lehre auswirken, müssen wir uns daran erin-
Fall diente dieser Weg des Arahat, wie er in den            nern, dass die Lehrreden selbst keine reinen The-
frühen Schriften beschrieben wird, als Grundlage            ravâda-Texte sind. Sie sind die Theravâda-
für den Bodhisattva-Pfad und wurde von späteren             Überlieferung einer Klasse von Schriften, die alle
buddhistische Schulen und dem Mahâyana weiter               frühbuddhistischen Schulen zur Verfügung hat-
ausgearbeitet. So wurde der Bodhisattva-Pfad erst           ten. Jede dieser Schulen muss ihre eigene Metho-
durch den Arahat-Pfad möglich.                              de der Interpretation gehabt haben. Die Kom-
                                                            mentare, die von Buddhaghosa (und anderen)
IM: Einige meinen, dass die Kommentare, spe-                überliefert wurden, verfolgten den Zweck, die
ziell die von Buddhaghosa, eine andere Perspekti-           Texte aus der Perspektive der Theravâda-Schule
ve darstellen, eine engere Interpretation der               zu interpretieren. Ihre Perspektive ist deshalb
Dhamma-Praxis, als die der Lehrreden. Wie be-               enger, als die der Lehrreden, weil sie spezifischer
trachten Sie das grundlegende Verständnis des               sind: Sie betrachten die Gedankenwelt der Lehr-
Dhamma der Lehrreden im Vergleich mit dem                   reden durch die Brille der exegetischen Metho-
der Kommentare? Was haben sie gemeinsam und                 den, die von frühen Theravâda-Lehrern entwi-
was unterscheidet sie?                                      ckelt worden sind, und mit deren Hilfe sie die
                                                            alten Lehren erläutern und verstehen wollten.
BB: Die Beziehung zwischen den Lehrreden und
den Kommentaren ist extrem komplex und es ist               Wenn wir die Lehrreden mit einem großen aus-
riskant, umfassende Urteile darüber zu fällen. Die          gedehnten Gelände vergleichen, bei dem die
Kommentare sind keine Originalarbeiten von                  Hauptbestandteile seiner Topografie von oben
Buddhaghosa, aber von ihm redigierte Versionen              erkundet wurden, die Details aber nur spärlich
älterer Kommentare, die in Sri Lanka erhalten               umrissen worden sind, dann können wir die
geblieben waren. Ihre historischen Ursprünge                Kommentare mit einer detaillierten Beschreibung
sind unbekannt, aber sie beginnen in der Entste-            der Lage des Geländes vergleichen.
hungszeit der Lehrreden. Das bedeutet: Es gibt
Lehrreden, die als Kommentare zu anderen Lehr-              Kurzum, ich würde sagen, dass man gegenüber
reden verfasst wurden (z. B.: M:141, S 12:31, S             den Kommentaren zwei extreme Positionen ein-
22:3, 4). Die frühen buddhistischen Lehrer müs-             nehmen kann. Die erste, die oft von orthodoxen
sen während der Periode der mündlichen Überlie-             Theravâdins eingenommen wird, betrachtet die
ferung, einen Korpus von Kommentaren geschaf-               Kommentare als absolut maßgebend und mit den
fen haben, die die Ursprungstexte begleitet ha-             Lehrreden fast gleichwertig. Die andere besteht
ben. Dieser Korpus hat sich - wie ein herabrol-             darin, die Kommentare völlig außer Acht zu las-
lender Schneeball immer mehr Schnee aufnimmt -              sen und zu behaupten, dass sie einen „anderen
mit jeder Generation vergrößert. Die alten Sri              Ansatz des Dhamma“ vermitteln. Ich glaube, ein
Lankanischen Kommentare, auf die sich Budd-                 vernünftiger Mittelweg könnte sein, die Kom-
haghosa gestützt hat und die nicht mehr existie-            mentare zu Rate zu ziehen, aber nicht an ihnen zu
ren, wären wahrscheinlich eine archäologische               hängen. Ihre Interpretationen sind oft erleuch-
Schatztruhe mit Material aus verschiedenen Jahr-            tend, aber wir sollten nicht vergessen, dass sie

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eine spezifische Systematisierung der frühen Leh-         Begegnung mit dem Buddha Gautama nicht prak-
ren repräsentieren und manchmal sogar in Kon-             tiziert hatten - über pâramîs, die sie unter zahlrei-
flikt mit ihnen kommen.                                   chen Buddhas der Vergangenheit angesammelt
                                                          hatten.
IM: Viele der Lehrreden enden oft mit der Aus-
sage, dass die, welche diese Worte vernommen              Der zweite Faktor ist eine tiefe, aber unbewusste
und verstanden haben, sehr erfreut und oft auch           Sehnsucht für die Verwirklichung und das Ver-
durch eben jene Worte erleuchtet wurden. Das ist          stehen der Wahrheit. Diese Sehnsucht arbeitete
doch sehr erstaunlich.                                    vielleicht nicht an der Oberfläche ihres Geistes:
                                                          Sie waren vielleicht Händler, bescheidene Haus-
BB: Die Lehrreden selbst geben keine Erklärun-            frauen oder einfache Diener, aber in ihren stillen
gen, außer, dass sie sagen: Während der Buddha            Momenten mussten sie von dem Drang nach
sprach, der Geist der Zuhörer „bereit, aufnahme-          Wahrheit, Güte und spiritueller Schönheit ergrif-
fähig, frei von Hindernissen, begeistert und zu-          fen worden sein, was ein Gefühl der Unruhe, der
versichtlich“ war. Aber oft berichten sie davon,          Qual in ihren Herzen verursacht haben könnte,
dass bevor er vor seinem Publikum sprach, die             welches durch die physische Gegenwart des
Lehrrede mit Bedacht an eine bestimmte Person             Buddha und das Vernehmen seiner Lehre gestillt
oder Gruppe im Publikum richtete. Er muss also            wurde.
vorher gewusst haben, dass diese Person oder
Gruppe die Fähigkeit besaß, die Wahrheit zu               Der dritte Faktor könnte in einigen Fällen eine
realisieren. Ihre Fähigkeit, die Wahrheit des             aufrüttelnde Begegnung mit dem Leiden gewesen
Dhamma zu durchdringen, würde ich auf drei                sein, die, ob intensiv oder subtil, den Schleier der
Faktoren zurückführen. Erstens: In früherem               Verblendung von ihren Augen zog und für sie der
Leben wurden ausreichend pâramîs oder spiritu-            Grund dafür war, nach einem Weg zur endgülti-
elle Reife angesammelt. Ich glaube an das Prinzip         gen Befreiung zu suchen. Waren zwei oder drei
der Wiedergeburt und daran, dass das Erwachen             dieser Faktoren erfüllt, dann waren sie wie Lo-
zu einem großen Ausmaß auf die Früchte des                tusblumen an der Oberfläche eines Teiches, die
eigenen Schaffens im Laufe vieler Leben zurück-           nur auf den Sonnenaufgang warten, um dann ihre
zuführen ist, wo Tugenden wie Großzügigkeit,              Blüte zu öffnen. Das Erscheinen des Buddha war
moralische Disziplin, Geduld, Energie, Meditati-          der Sonnenaufgang und seine Lehre des Dhamma
on, Weisheit, liebevolle Freundlichkeit, Ent-             waren die Sonnenstrahlen, die halfen, dass sich
schlossenheit usw. entwickelt wurden. Deshalb             die Lotusblüten in ihrem Geist zur letzten Wahr-
verfügten diese Leute vielleicht - obwohl sie in          heit öffneten.
ihrem gegenwärtigen Leben den Dhamma bis zur

© Inquiring Mind 2006

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