Biomarker deuten auf schwere Covid-19-Verläufe hin
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D E U T S C H E H E R Z S T I F T U N G _ FO R S C H U N G Die kettenförmigen mRNA-Moleküle sind die Blaupausen für Proteine. Ribosomen (blau) sind die zellulären Minifabriken. Sie lesen die mRNA-Moleküle (mehrfarbig) ab und produzieren dabei ein Protein (rot). Doch es gibt noch weitere Formen von RNA. Biomarker deuten auf schwere Covid-19-Verläufe hin Winzige Schnipsel von Ribonukleinsäure, sogenannte Mikro-RNAs, können anzeigen, wie schwer eine Infektion mit dem Coronavirus ist. Foto: iStock / selvanegra 48 H E R Z h e u t e 4 / 2 02 1
D E U T S C H E H E R Z S T I F T U N G _ FO R S C H U N G R NA“ – diese Abkürzung kennt inzwi- nommierten Fachzeitschrift „European Journal schen wohl jeder. Sie steht für Ribonuk- of Heart Failure“ veröffentlichten Studie haben leinsäure und wurde vor allem dadurch die Wissenschaftler die Blutproben von drei Pa- bekannt, dass der erste gegen Covid-19 in der tientengruppen untersucht: schwerkranke Co- EU zugelassene Impfstoff ein sogenannter vid-19-Patienten, die auf den Intensivstationen mRNA-Impfstoff ist: „m“ steht für „messenger“ der Medizinischen Hochschule Hannover be- oder Boten-RNA. Doch es gibt noch weitere atmet wurden; schwerkranke Grippepatienten, Formen von Ribonukleinsäure. Eine davon, die an einem akuten Atemnotsyndrom litten die Mikro-RNA, könnte künftig eine wichtige und ebenfalls beatmet werden mussten, sowie Rolle als Biomarker bei Corona-Erkrankungen gesunde Kontrollpersonen. spielen. Die Forscher analysierten im Blutserum der Normalerweise findet sich die Mikro-RNA Studienteilnehmer die Konzentration mehrerer (miRNA) im Innern von Zellen. Dort haben die Mikro-RNAs, die für Herz-Kreislauf-Krank- kleinen Ribonukleinsäuren Kontakt zur Boten- heiten relevant sind. Das Ergebnis: Bei den RNA und regulieren Gene. Vor einigen Jahren schwer erkrankten Covid-19-Patienten fanden haben Wissenschaftler entdeckt, dass Mikro- sich deutlich erhöhte Konzentrationen von Mi- RNAs auch außerhalb von Zellen vorkommen. kro-RNAs im Blut, die auf Gefäß- und Herz- „Sie können im Blut nachgewiesen werden schäden hindeuten. Bei den Grippepatienten und diagnostische Hinweise geben“, erläutert und den gesunden Kontrollpersonen hingegen Professor Thomas Thum, Chef des Instituts für ließen sich nicht so stark erhöhte Werte finden. Molekulare und Translationale Therapiestrate- „Obwohl sowohl Covid-19- als auch Grippepa- gien der Medizinischen Hochschule Hannover tienten ähnliche Probleme mit der Lunge ha- und Leiter der von der Deutschen Herzstiftung ben, konnten wir nur bei Covid-19-Patienten geförderten Studie „Nicht-kodierende RNAs erhöhte Mikro-RNA-Biomarker nachweisen, als diagnostische und prognostische Biomarker in herzkranken Covid-19-Patienten“. EIN MOLEKÜL NAMENS RNA Findet man beispielsweise im Blut Mikro- RNA, die sonst nur im Innern von Herzmuskel- Bei der RNA oder Ribonukleinsäure handelt es sich um zellen vorkommt, muss mit dem Herzen etwas ein Molekül, das aus einer Kette von einzelnen Baustei- passiert sein. „Das Herz ist dann möglicherwei- nen, den Nukleotiden, besteht. RNA-Moleküle spielen se geschädigt oder wird krankhaft umgebaut“, bei der Umsetzung von genetischer Information in Pro- erklärt Thum. Insgesamt sind beim Menschen teine eine wichtige Rolle. Die Boten-RNA etwa dient als rund 2000 verschiedene Mikro-RNAs bekannt. Informationsüberträger (siehe Abbildung Seite 48). Sie gelten auch deshalb als ideale Kandidaten Als Mikro-RNAs, kurz miRNAs, werden sehr kurze für zuverlässige Biomarker, weil sie im Unter- RNA-Stücke (rund 20 Nukleotide) bezeichnet, die an schied zur Boten-RNA eher stabil und lange der Genregulation beteiligt sind. Die winzigen RNA- im Blut nachweisbar sind. „Von vielen dieser Schnipsel lagern sich etwa an Boten-RNA an und er- Mikro-RNAs weiß man, in welchen Organen schweren beziehungsweise verhindern, dass die Boten- sie ursprünglich vorkommen“, sagt Thum. „Wir RNA die genetische Information zu den Ribosomen, den haben Mikro-RNAs untersucht, die bereits als Proteinfabriken der Zelle, bringt. Marker für Schäden im Herz-Kreislauf-System Dieser universelle Mechanismus der Genregulation und für Entzündungen bekannt waren.“ wurde erst Ende des letzten Jahrhunderts entdeckt. Da Mikro-RNAs bei vielen zellulären Prozessen eine wichti- MARKER IM BLUT ge regulatorische Rolle spielen und zudem leicht nach- zuweisen sind, hofft man, sie beispielsweise als sensi- Thum und seine Kollegen entdeckten bestimm- tive Biomarker nutzen zu können, die den Verlauf einer te Mikro-RNAs im Blut von schwerkranken Krankheit anzeigen. Covid-19-Patienten. Für die unlängst in der re- H E R Z h e u t e 4 / 2 02 1 49
D E U T S C H E H E R Z S T I F T U N G _ FO R S C H U N G die sonst nur im Herzen vorkommen“, berich- den. „Aus unseren Ergebnissen schließen wir, tet Thum. dass das Coronavirus nicht nur die Lunge, son- Bei schwerkranken Covid-19-Patienten ist dern auch andere Organsysteme angreift“, sagt also nicht nur die Lunge betroffen wie bei Grip- Dr. Anselm Derda, wissenschaftlicher Mitar- pepatienten. Die Mikro-RNA-Marker deuten beiter und Assistenzarzt in der Kardiologie der darauf hin, dass bei Covid-19-Patienten zu- Medizinischen Hochschule. Das hat man schon dem Herzmuskel- und Gefäßzellen angegriffen länger vermutet, konnte aber bislang nicht an- werden. Dann kann es zu schweren Verläufen hand von Biomarkern gezeigt werden. „Die von mit Herz- und Gefäßschäden kommen und zu uns entdeckten Mikro-RNAs können mögli- einer erhöhten Neigung, Blutgerinnsel zu bil- cherweise als frühzeitige Marker dienen – lange Drei Fragen an … … Professor Dr. Dr. Thomas Thum, Leiter des Instituts für Molekulare und Translationale Therapiestrategien der Medizinischen Hochschule Hannover Herr Professor Thum, was interessiert Sie an Mikro-RNAs? Mich hat fasziniert, dass es Moleküle gibt, die wie ein Dirigent im Orchester viele Dinge gleichzeitig tun und daher als wesentliche Steuermechanismen sehr interessant sind. Um die Jahrtausendwende habe ich dazu erstmals eine Publikation in der Zeitschrift „Nature“ gelesen. Darin beschrieb eine Arbeitsgrup- pe die Untersuchung von Mikro-RNA in der Leber. Daraufhin habe ich als einer der ersten Forscher die Mikro-RNA bei Herzerkrankungen untersucht und die Ergebnisse ebenfalls in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht. Auch im Herzen steuern Mikro-RNAs bestimmte Mechanismen. Was ist Ihr wichtigstes Forschungsziel? Wir versuchen, neue diagnostische Methoden und Welche Mikro-RNA haben Sie im Herzen entdeckt? prognostische Marker zu finden. Noch stärker aktiv Wir haben „miRNA-21“ gefunden. Sie fördert eine sind wir bei der Entwicklung von Therapeutika der krankhafte Vermehrung des Bindegewebes, die soge- nächsten Generation, beispielsweise von Hemmstoffen nannte Fibrose. Wenn miRNA-21 gehäuft auftritt, fin- der Mikro-RNA, insbesondere für Herzerkrankungen. det mehr Fibrose im Herzen statt. Als wir miRNA-21 Wir haben beispielsweise eine Substanz entwickelt, die mit einem Hemmstoff ausschalteten, konnten wir die „miRNA-132“ hemmen kann: Diese Mikro-RNA regt Foto: Fraunhofer ITEM, Ralf Mohr Fibrose deutlich reduzieren. Andere Forscher haben das krankhafte Wachstum von Herzmuskelzellen an, entdeckt, dass der miRNA-21-Hemmstoff auch in wie man es bei Patienten mit chronischer Herzschwä- weiteren Organsystemen die Fibrose reduzieren kann. che findet. Unser Hemmstoff zeigte vielversprechende Dieser Hemmstoff wird gerade weiterentwickelt und Ergebnisse in einer Phase-1b-Studie, demnächst wird in klinischen Studien getestet, derzeit als Medikament er in einer Phase-2-Studie mit Herzschwächepatien- gegen Nierenfibrose. ten getestet. 50 H E R Z h e u t e 4 / 2 02 1
D E U T S C H E H E R Z S T I F T U N G _ FO R S C H U N G bevor es zu den klinischen Zeichen einer Herz- beteiligung kommt“, ergänzt Thomas Thum. COVID-19-PROJEKT Derzeit erfolgen in Hannover Langzeit- FÖRDERUNG vergleiche: Die Wissenschaftler ermitteln bei 14 hochkarätige Forschungs überlebenden Covid-19-Patienten, wie sich de- vorhaben wurden im Frühjahr 2020 ren Mikro-RNA-Spiegel über die Zeit hinweg für die „Covid-19-Projektförderung“ verändern. Auf diese Weise hoffen die Forscher der Deutschen Herzstiftung in Höhe zu klären, ob bestimmte erhöhte Mikro-RNA- von insgesamt einer Million Euro Werte zu Beginn der Erkrankung eine Aussage ausgewählt. Das hier vorgestellte darüber zulassen, wie die Krankheit weiterhin Projekt der Medizinischen Hoch- verlaufen wird. Möglicherweise deuten ver- schule Hannover ist mit 50 000 Euro schiedene Marker auf einen schwereren Ver- unterstützt worden. lauf hin. Solche prognostischen Marker lassen frühzeitig Patienten erkennen, die eine intensi- Über Spenden zur gezielten Förde- vere Betreuung brauchen. „Bislang können wir rung der Herzforschung freuen wir noch nicht sagen, ob die von uns entdeckten uns sehr! erhöhten Mikro-RNA-Marker tatsächlich eine solch prognostische Aussagekraft haben“, sagt Deutsche Herzstiftung, Spenden- Thum. Die bisherige Studie sei dafür noch zu konto bei der Frankfurter Volksbank klein und zu kurz gewesen. IBAN: DE97 5019 0000 0000 1010 10 NEUE HEMMSTOFFE Derzeit läuft eine länger angelegte Studie mit das Coronavirus in die Zellen eindringt, auch mehr Patienten, auch mit ehemaligen Intensiv- in Herzmuskelzellen. „Wir untersuchen, ob wir patienten, die nach ihrer Covid-19-Erkrankung diesen Rezeptor so verändern können, dass die in die Ambulanz der Medizinischen Hochschu- Viren ihn nicht mehr benutzen können, um in le kommen. Neben Blutuntersuchungen erfol- menschliche Zellen zu gelangen“, sagt Thum. gen Leistungstests, Echokardiographien oder Mehrere Mikro-RNA-Moleküle, die den ACE2- Lungenfunktionstests. Die Forscher messen Rezeptor beeinflussen, haben die Wissenschaft- mehrere Mikro-RNA-Marker zu verschiedenen ler bereits identifiziert. Derzeit erfolgen erste Zeitpunkten und vergleichen sie. Neben Prog- Untersuchungen in Zellkulturen. nosen zum Langzeitverlauf versuchen Thum Weiter fortgeschritten ist bereits die Ent- und sein Team auch, Aussagen zum sogenann- wicklung eines Wirkstoffs, der Mikro-RNAs ten Long-Covid-Syndrom zu treffen, das mit hemmen kann. „Unsere Gruppe hat weltweit monatelanger Atemnot, Müdigkeit oder Kopf- die erste Studie durchgeführt, in der ein Mikro- schmerzen einhergeht. Darüber hinaus unter- RNA-Hemmstoff bei Patienten mit chronischer suchen die Forscher in ihrer umfassenderen Herzschwäche eingesetzt wurde“, sagt Thum. Folgestudie, ob unterschiedliche Virusvarian- Bislang sind Studien mit Hemmstoffen von ten unterschiedliche Effekte auf Mikro-RNAs Mikro-RNA nur bei Patienten mit Nieren- oder haben. Möglicherweise beeinflussen verschie- Leberleiden erfolgt. Die Forscher hoffen dar- Literatur: dene Virusstämme zudem unterschiedlich auf, entsprechende Substanzen auch bei Covid- stark das Herz. 19-Patienten einsetzen zu können. Garg, A. et al. Die Wissenschaftler in Hannover erforschen (2021): Circulating cardiovascular mi- auch, ob sie Mikro-RNAs therapeutisch ein- croRNAs in critically Ein Video der Herzstiftung zu setzen können. Im Fokus vieler Studien steht diesem Forschungsvorhaben ist ill COVID-19 pati- ents. Eur J Heart der „ACE2-Rezeptor“, die Andockstelle auf abrufbar unter www.youtube.com/ Fail. doi: 10.1002/ der Oberfläche menschlicher Zellen, über die watch?v=LMSAFFlK3Nw ejhf.2096 H E R Z h e u t e 4 / 2 02 1 51
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