Ist die Klassifikation der Bipolarität von Akiskal in die Praxis umsetzbar? - Krause und Pachernegg
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Ist die Klassifikation der Homepage: Bipolarität von Akiskal in die www.kup.at/ Praxis umsetzbar? JNeurolNeurochirPsychiatr Severus E, Riedel M, Möller HJ Online-Datenbank mit Autoren- Journal für Neurologie und Stichwortsuche Neurochirurgie und Psychiatrie 2009; 10 (1), 88-90 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Mozar tgasse 10 Preis : EUR 10,–
Seggauer Fortbildungstage 2018 Entzündlicher Formenkreis, Therapieansätze und Pathophysiologie. Individualisierte Arzneimitteltherapie 13. bis 14. Oktober 2018 in Schloss Seggau bei Leibnitz zum Programm
Akiskal-Klassifikation der Bipolarität Ist die Klassifikation der Bipolarität von Akiskal in die Praxis umsetzbar? E. Severus, M. Riedel, H.-J. Möller Kurzfassung: Das Konzept des „bipolaren Wiederaufnahmehemmern (SSRI), mit dem klas- and carbamazepine have been suggested to be Spektrums“ nach Akiskal & Pinto (1999) beinhal- sischen Stimmungsstabilisator Lithium, aber the treatment of choice for these depressive epi- tet die Vorstellung, dass viele, nach den aktuel- auch mit den atypischen Antipsychotika Olanza- sodes with soft bipolar features. Several studies len Diagnosekriterien bisher als unipolare De- pin bzw. Quetiapin im Sinne einer Augmentation over the last few years have been able to vali- pressionen klassifizierte Krankheitsbilder in einen sinnvollen Therapiebaustein in der Be- date parts of the theoretical concept of the bipo- Wirklichkeit bipolare Erkrankungen darstellen, handlung depressiver Episoden mit weichen lar spectrum by Akiskal. However, it remains to und die klassischen Stimmungsstabilisatoren bipolaren Merkmalen darstellen, da sich diese be seen whether the use of classical mood sta- Lithium, Valproat und Carbamazepin Mittel der Substanzen/Therapieverfahren sowohl in der bilizers is warranted as randomized controlled Wahl in der Behandlung dieser depressiven Epi- Akutbehandlung depressiver Episoden auf dem studies examining this issue have not been pub- soden mit den „weichen“ bipolaren Merkmalen Boden majorer Depressionen als auch bipolarer lished. Augmenting antidepressants, in particu- darstellen. Während verschiedene Untersu- Erkrankungen als wirksam erwiesen haben. lar SSRIs, with the classical mood stabilizer chungen während der vergangenen Jahre Teile lithium, but also with the atypical antipsychotics des theoretischen Konzepts der Bipolarität von olanzapine and quetiapine, respectively, has Akiskal validiert haben, bleibt abzuwarten, in- Abstract: Can the Bipolar Spectrum Con- been proven efficacious in the acute treatment wieweit der vornehmliche Einsatz der klassi- cept by Akiskal Be Applied in Clinical of depressive episodes in the context of major schen Stimmungsstabilisatoren bei diesen Practice? The bipolar spectrum concept, as depressive disorder and bipolar disorders, re- Krankheitsbildern gerechtfertigt ist, da bisher proposed by Akiskal & Pinto (1999), claims that spectively. Therefore, for the time being, this hierzu keine kontrollierten randomisierten Stu- many depressive episodes, diagnosed as “Major may represent a sensible approach in the treat- dien durchgeführt bzw. veröffentlicht worden Depressive Disorder” according to the current ment of depressive episodes with soft bipolar sind. Bis dahin könnte die Kombination von Anti- diagnostic criteria, are, in fact, bipolar disorders. features. J Neurol Neurochir Psychiatr 2009; depressiva, insbesondere selektiven Serotonin- The classical mood stabilizers lithium, valproate, 10 (1): 88–90. Einleitung Unter der Vorstellung, dass es jenseits der klassischen Bipo- lar-I-/II-Erkrankungen und der zyklothymen Störung weitere Bipolare Erkrankungen werden nach den aktuellen Diagnose- bipolare Erkrankungen gibt – die bisher allenfalls unter der kriterien des diagnostischen und statistischen Manuals psy- zuvor erwähnten Kategorie „Nicht näher bezeichnete bipolare chischer Störungen (DSM-IV bzw. DSM-IV-TR) in verschie- Störung“ subsummiert werden konnten – stellten Akiskal und dene Untergruppen unterteilt. Dies sind die Bipolar-I-Stö- Pinto 1999 das Konzept eines „bipolaren Spektrums“ mit den rung, die Bipolar-II-Störung, die zyklothyme Störung sowie Untertypen I–IV vor, wobei sie diese Untertypen anhand von die nicht näher bezeichnete bipolare Störung. Fallberichten illustrierten [1]. Der Spektrumsgedanke be- inhaltet das Vorhandensein depressiver Episoden in Kom- Unter letzterer Bezeichnung werden Störungen mit bipolaren bination mit unterschiedlich stark ausgeprägten exzitatori- Merkmalen subsummiert, die nicht die Kriterien für eine der schen (weichen bipolaren) Symptomen (zeitgleich oder zeit- zuvor erwähnten spezifischen bipolaren Störungen erfüllen. versetzt zu den depressiven Episoden). Den Anfang im bipo- Beispielhaft listet das DSM-IV hierzu unter anderem den Fall laren Spektrum nach Akiskal macht die klassische Bipolar-I- des sehr raschen (innerhalb weniger Tage auftretenden) Erkrankung (Depression und Manie), gefolgt von der Bipo- Wechsels zwischen manischen und depressiven Symptomen lar-I1/2- (Depression mit protrahierter Hypomanie) und der auf, die nicht die Zeitkriterien einer manischen Episode (≥ 7 Bipolar-II-Erkrankung (Depression mit Hypomanie) – diese Tage) oder einer Episode einer Major Depression (≥ 14 Tage) 3 Formen würden auch unter den bisherigen Diagnosekri- erfüllen, ferner die Möglichkeit rezidivierender hypomaner terien (DSM-IV) unter den spezifischen bipolaren Störungen Episoden ohne dazwischenliegende depressive Symptomatik. subsummiert werden. Als nächstes folgt die Bipolar-II1/2- Explizit ausgenommen aus dieser Gruppe werden nach Erkrankung (Zyklothyme Depression: depressive Episode bei DSM-IV Störungen, bei denen die hypomane, manische oder zyklothymer Störung), gefolgt von der Antidepressiva-asso- gemischte Episode ursächlich durch Antidepressiva, einen ziierten Hypomanie (Bipolar-III-Erkrankung) sowie der im Stimulantien(ab)usus oder andere Substanzen hervorgerufen Zusammenhang mit Substanzmissbrauch stehenden Hypo- wird; in diesen Fällen ist nach DSM-IV die Diagnose einer manie (Bipolar-III1/2-Erkrankung). Die Bipolar-IV-Erkran- „substanzinduzierten affektiven Störung“ zu stellen. kung schließlich wird beim Vorliegen depressiver Episoden vor dem Hintergrund eines hyperthymen Temperaments ver- geben. In nachfolgenden Publikationen wurde dann noch die Bipolar-V-Erkrankung beschrieben (Mischzustände mit Aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität Gereiztheit, Agitiertheit und rasenden Gedanken, die die München Korrespondenzadresse: Dr. med. Emanuel Severus, Klinik für Psychiatrie und Kriterien für eine depressive Episode, nicht jedoch die für Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität München, D-80336 München, eine gemischte Episode erfüllen) sowie die Bipolar-VI-Er- Nußbaumstraße 7; E-Mail: Emanuel.Severus@med.uni-muenchen.de krankung (sich neu im 6. bzw. 7. Lebensjahrzehnt manifestie- 88 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (1) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Akiskal-Klassifikation der Bipolarität rende affektive Instabilität, zumeist einhergehend mit kogni- pressiva-assoziierte Hypomanien und Manien, hyperthyme tiven Defiziten) [2]. Grundpersönlichkeit, Mischzustände) stellt im letzteren Fall eine positive Familienanamnese für bipolare Erkran- Wie die Autoren zusammenfassend darlegen, besteht ihre kungen einen weiteren wichtigen Aspekt dar. Weiterhin Hauptthese darin, dass diese majoren Depressionen mit den so kann auch die phänomenologische Präsentation depressi- genannten „weichen“ bipolaren Merkmalen, auch wenn diese ver Episoden Anhaltspunkte hierfür liefern. Im Querschnitt nicht die aktuellen strikten Standards für die Diagnose einer sind dies eine eher kurze Phasendauer (< 3 Monate) sowie Hypomanie und Bipolar-II-Erkrankung (nach DSM-IV oder das Vorhandensein psychotischer Symptome und atypi- ICD-10) erfüllen würden, in Wirklichkeit bipolare Erkran- scher Merkmale (erhaltene affektive Reagibilität bei ge- kungen darstellen, und die klassischen Stimmungsstabilisa- steigertem Appetit oder Gewichtszunahme, Hypersomnie, toren Lithium, Valproat und Carbamazepin entweder als Aug- bleierne Schwere in Armen und Beinen sowie Überemp- mentation von Antidepressiva oder als Monotherapie das Mit- findlichkeit gegenüber Zurückweisungen) nach DSM-IV. tel der Wahl in der Behandlung dieser Erkrankungen darstel- Im Längsschnitt stellt das Auftreten einer ersten depres- len. Wenn es nun um die praktische therapeutische Umsetz- siven Episode vor dem 25. Lebensjahr sowie ein rezidivie- barkeit der Klassifikation von Akiskal geht, stellt sich unwei- render Verlauf (> 3 Episoden) mögliche weitere Anhalts- gerlich die Frage nach der tatsächlichen Datenlage hinsicht- punkte dar [5]. lich der postulierten Nützlichkeit von Stimmungsstabilisa- toren (Lithium, Valproat, Carbamazepin) in dieser Gruppe 2. Bei Vorliegen eines oder mehrerer dieser Merkmale könnte majorer Depressionen mit „weichen“ bipolaren Merkmalen. in einem nächsten Schritt dann auf folgende Therapie- Für eine evidenzbasierte Beantwortung dieser Frage stellen verfahren zurückgegriffen werden, die sich sowohl bei doppelblinde, placebokontrollierte, randomisierte Studien das Episoden einer Major Depression im Rahmen unipolarer Mittel der Wahl dar. als auch bei bipolaren Erkrankungen bewährt haben: • Die Wirksamkeit von Lithium als Augmentation von Methodik Antidepressiva bei unipolaren Depressionen ist durch zahlreiche placebokontrollierte Studien und Metaanaly- Wir führten eine Medline- (PubMed-) Suche mit den folgen- sen gut belegt [6, 7]. Da sich in Vergleichsstudien von den Suchbegriffen durch (Stichtag: 1.12.2007): „Akiskal unipolaren und bipolaren Depressionen die Lithium- AND bipolar spectrum“ und limitiert bezüglich „Randomized augmentation in der Mehrzahl der Fälle bei bipolaren controlled trials“. Erkrankungen unipolaren Depressionen als zumindest ebenbürtig erwiesen hat, dürfte sich dieses Verfahren Ergebnisse auch bei depressiven Episoden jenseits der Bipolar-II- Erkrankungen anbieten [8]. Die durchgeführte Medline-Suche erbrachte keinen Treffer • Mit Olanzapin und Quetiapin stehen mittlerweile zwei hinsichtlich der oben genannten Suchwörter. Die einzige atypische Antipsychotika zur Verfügung, für die zum bisher diesbezüglich veröffentlichte Studie ist retrospektiver einen der Wirksamkeitsnachweis in der Akutbehandlung Natur und beschreibt das Vorhandensein einer „aktivierten (Quetiapin, Olanzapin) und Phasenprophylaxe (Olanza- Depression“ als positiven Prädiktor für die erfolgreiche Aug- pin) der bipolaren Depressionen nach DSM-IV erbracht mentation mit Stimmungsstabilisatoren in Patienten mit einer werden konnte [9]. Zum anderen existieren randomi- depressiven Episode im Rahmen einer „augenscheinlich“ uni- sierte kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit dieser polaren depressiven Störung [3]. Substanzen bei therapierefraktären Patienten mit unipo- laren Depressionen belegen [10, 11]. Somit würde sich Diskussion der Einsatz dieser Substanzen, als Mono- oder Kombina- tionstherapie, auch bei depressiven Episoden im Bereich Angesichts der zuvor dargestellten unbefriedigenden Da- des bipolaren Spektrums, jenseits der Bipolar-II-Erkran- tenlage hinsichtlich der Nützlichkeit klassischer Stim- kung, anbieten. mungsstabilisierer bei depressiven Episoden mit „weichen“ bipolaren Merkmalen könnte folgendes Vorgehen, bis zur Zusammenfassung Besserung der Datenlage, einen pragmatischen Lösungs- ansatz zur optimalen Behandlung dieser Krankheitsbilder Haben verschiedene Untersuchungen während der vergange- darstellen: nen Jahre Teile des theoretischen Konzepts der Bipolarität 1. Depressive Episoden im Rahmen einer Major Depression, von Akiskal validiert [12–14], so bleibt abzuwarten, inwie- die nicht oder nicht anhaltend auf eines oder mehrere Anti- weit der vornehmliche Einsatz der klassischen Stimmungs- depressiva ansprechen, sollten stets den Verdacht auf das stabilisatoren Lithium, Valproat und Carbamazepin bei de- Vorliegen einer noch nicht diagnostizierten (explizit, auch pressiven Episoden mit weichen bipolaren Merkmalen tat- fremdanamnestisch, nach Symptomen einer Hypomanie in sächlich gerechtfertigt ist. Bis dahin könnte die Kombination der Vorgeschichte fragen!) oder aber auch sich noch nicht von Antidepressiva, insbesondere SSRI, mit dem klassischen (mit einer hypomanen, manischen oder gemischten Episo- Stimmungsstabilisator Lithium, aber auch mit atypischen de) manifestierten bipolaren Erkrankung wecken (Cave: Antipsychotika (Olanzapin, Quetiapin) im Sinne einer Aug- Viele bipolare Erkrankungen beginnen mit einer depressi- mentation einen sinnvollen Therapiebaustein in der Behand- ven Episode!) [4]. Neben den von Akiskal im Rahmen des lung depressiver Episoden mit weichen bipolaren Merkmalen bipolaren Spektrums dargelegten Anhaltspunkten (Antide- darstellen. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (1) 89
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